Montag, 17. Mai 2010

notiz: krisennews und -gedanken (41)

aus aktuellem anlaß zunächst der hinweis auf ein ganz frisches update zu einem ganz speziellen krisenherd, nämlich einer der - das lässt sich jetzt schon vermuten - katastrophalsten menschlich verursachten ölverschmutzungen innerhalb des bisherigen ölzeitalters im golf von mexico. selbst wenn bp jetzt erste erfolgsmeldungen herausgibt - diese geschichte ist noch lange nicht zuende.

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aufruf krisenproteste zwoelfter juni

diese reihe hatte ich jetzt ansonsten eine ganze zeit lang nicht fortgeschrieben, was nicht etwa daran lag, dass ich das gerede vom "aufschwung" und "krisenende" etwa irgendwie ernstgenommen hätte (kein mensch mit auch nur rudimentärem wahrnehmungsvermögen konnte den quatsch glauben), sondern hauptsächlich eher daran, dass sich die krise - wie es sich schon vor monaten abgezeichnet hatte - inzwischen untergründig in die gefilde der staatshaushalte und währungskreisläufe fortgefressen hat. bereiche, die ich persönlich noch schwerer verständlich finde als das eh schon schwer zu durchschauende treiben in den zeiten rund um den crash 2008 bezgl. der banken- und börsenkrise. aber seit den schweren griechischen unruhen und erst recht seit dem abermals in letzter minute noch
abgewendeten totalcrash am letzten wochenende hat sich die trügerische zwischenzeitliche ruhe auch hierzulande wieder in luft aufgelöst - willkommen zum zweiten akt, der den ersten hinsichtlich seiner widerwärtigen folgen absehbar noch in den schatten stellen wird, bzw. eigentlich die erwähnten folgen erst so richtig sicht- und spürbar werden lässt. und bezgl. des letzteren rückt jetzt das bedrohliche mantra "sparen" in den mittelpunkt - und darum sowie die folgen drehen sich auch hauptsächlich die news:
  • globale wirtschaftskrise I: nach den frühindikatoren der oecd anzeichen für einen erneuten ökonomischen einbruch rund um den globus
  • globale wirtschaftskrise II: zum neuen geab
  • südafrika: massive verarmung breiter bevölkerungsschichten - die folgen können in kürze - vor und während der fussball-wm - eskalieren / flächendeckende streiks angekündigt
  • rumänien: im würgegriff des iwf - schwere soziale kämpfe in sicht
  • usa I: bundesstaat illinois ist faktisch insolvent
  • usa II: kalifornien kürzt brachial im gesamten sozialen bereich
  • deutschland: wie zu erwarten - überschuldete kommunen beginnen mit drastischen kürzungen an der (sozialen) infrastruktur
  • griechenland: interview zu den perspektiven des widerstandes
  • in aller kürze: zusammenfassung der angekündigten (general-)streiks der nächsten zeit in europa / "wir laufen in eine große depression" / das allerletzte: goldman-sachs und die ölpest
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zur kenntnisnahme:

"Die Frühindikatoren der OECD (CLIs) weisen im Monat März 2010 auf eine Abschwächung der globalen ökonomischen Aktivitäten hin. In den meisten OECD-Ländern gibt es zaghafte Anzeichen für ein sich abschwächendes Wachstum, stärkere Signale sind jedoch in Frankreich und Italien in Erscheinung getreten. Auch zeichnen sich mehrende Hinweise für einen potenziellen Expansionsstopp der Wirtschaften in China und Brasilien ab."

die folgenden charts sprechen für sich; insbesondere der zusammenfassende lässt die konturen eines großen "W" schon im ansatz deutlich erkennen, wobei sich ernsthaft die frage stellt, ob der letzte teil dieses "w" dann noch relevant sein wird, wenn die zweite talsohle (von der wird mit großer sicherheit das restliche jahr bestimmt werden) erst einmal erreicht ist - das ist keine "normale" zyklische krise des kapitalismus mehr, sondern eben eine umfassende systemkrise mit enormer sprengkraft auf vielen ebenen. btw: ich habe mir lange überlegt, ob ich die auch in früheren k-news häufiger als quelle zitierten wirtschaftsfacts.de weiter nutzen will, rechnen sich die betreiber doch selbst dem einigermaßen ominösen "infokrieg"-spektrum zu. da sehr viel beiträge aber hinsichtlich ihrer fakten durchaus sachlich aufschlussreiches material bringen (mir ist neben den querschüssen keine weitere seite bekannt, die derart regelmässig die realen ökonomischen entwicklungen dokumentiert), habe ich mich entschlossen, weiterhin auf das dortige angebot zurückzugreifen.

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in etwas anderer hinsicht ist adäquate skepsis auch bei einer anderen quelle angesagt, die in früheren news häufiger eine rolle spielte - das regelmässige bulletin "geab", vom europäischen think tank "leap 2020" herausgegeben, fiel neben größtenteils brauchbaren prognosen zum globalen krisenverlauf auch immer wieder mit einer ärgerlichen verharmlosung der situation in den europäischen regionen auf, was nicht dadurch relativiert wird, dass die dortigen einschätzungen hinsichtlich der wirklich fatalen situation der usa und großbritanniens durchaus realistisch sind. diese früher eher versteckte tendenz tritt jetzt ausgerechnet nach dem ganzen trouble rund um griechenland und die faktische bankenrettung seitens der eu in einer nicht mehr nur ärgerlichen, sondern geradezu propagandistischen art und weise offen zutage, wie sich am neuesten
geab nachvollziehen lässt:

"Wie schon von LEAP/E2020 in der 40. und 42. Ausgabe des GEAB vom Dezember 2009 bzw. Februar 2010 vorhergesehen, durchläuft die umfassende weltweite Krise im Frühjahr 2010 einen weiteren Krümmungspunkt und verschärft sich. Zu groß sind inzwischen die Staatsschulden und öffentlichen Defizite, zu theoretisch bleibt der von den Regierungen häufig angekündigte und dennoch ausbleibende Aufschwung. Die dramatischen sozialen und politischen Auswirkungen dieser Entwicklung kennzeichnen den Anfang der Phase der Auflösung der Welt- und öffentlichen Ordnung, wie wir es in der 32. Ausgabe des GEAB vom Februar 2009 vorhergesagt hatten."

soweit lässt sich das alles noch unterschreiben, aber die nächsten absätze haben mich schon regelrecht ob ihrer realitätsverdrehung schockiert:

"Auch die neuesten Entscheidungen der Regierungen der Eurozone bestätigen die Vorhersagen von LEAP/E2020. Unsere Leser werden sich daran erinnern, wie sehr wir von der damals herrschenden veröffentlichten Meinung abwichen, als wir die Einschätzung äußerten, dass nicht nur der Euro die Griechenlandkrise überstehen, sondern vielmehr die Eurozone aus dieser Etappe der Krise verstärkt hervorgehen werde. Wir wagen jetzt die Behauptung, dass mit der Entscheidung der Eurozone, einen Schutzmechanismus zu schaffen, der die finanziellen Interessen von 26 EU-Ländern schützen soll, die Eurozone (mit Unterstützung Schwedens und Polens), in einer Art Staatstreich die europäische Integration Europas in eine neue Dimension geführt hat. Natürlich werden die Medien und viele Akteure in Europa und weltweit, die ihre Vorurteile und die Wirklichkeit nicht unterscheiden können, einige Monate benötigen, bis sie begreifen, dass hinter einer Entscheidung, die oberflächlich nur von haushälterischem und finanziellem Belang zu sein scheint, sich ein Quantensprung der EU auf dem Weg zu einer politischen Union verbirgt, der weltweit die Gleichgewichte zwischen den Staaten und Regionen verschieben wird. " (...)

bitte was? als eine art "staatsstreich" lassen sich die maßnahmen rund um das "rettungspaket" der eu ja aus einer bestimmten perspektive durchaus begreifen (wenn ich alles richtig verstanden habe, sind letztes wochenende gleich eine ganze palette von eu-verträgen, -richtlinien, -gesetzen etc. na sagen wir mal extrem gedehnt worden) - aber die faktische bedeutung dieser riesigen summe von (noch-)bürgschaften und bereits realen zahlungen liegt sehr offen zutage: es geht einmal mehr primär um die "rettung" des kapitals verschiedenster und "systemrelevanter" europäischer großbanken. wer das ernsthaft als "quantensprung auf dem weg zu einer politischen union" interpretiert, sollte sich dann auch mal die frage stellen, wessen union das dann eigentlich real sein wird - die der europäischen bevölkerungen keinesfalls. leap ist halt eben ein "europäischer think tank", aber derartige interpretationen des handelns der europäischen funktionseliten sind trotzdem hochgradig abstrus.

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die eben angesprochenen europäischen bevölkerungen werden im juni sicherlich zu einem großen teil vor irgendwelchen bildschirmen hängen, um dort einer lieblingsbeschäftigung der massen, dem zuschauersport, zu frönen und der fussball-wm der profis in südafrika zu folgen. in zeiten wie diesen könnte es aber selbst bei so einem event zu überraschungen keinesfalls sportlicher art kommen, und statt der ersehnten ablenkung und zerstreung könnte es passieren, dass stattdessen in ein paar wochen bilder von
sozialen kämpfen über die mattscheiben flimmern:

"4 Wochen vor der WM, die die Stimmung der Ausgebeuteten und Unterdrückten weltweit "aufpeppen" soll, steht nun fast ganz Südafrika still. In den Häfen und auf den Schienen Südafrikas geht nichts mehr. Die beiden grossen Transportgewerkschaften streiken. Andere Gewerkschaften wollen sich anschliessen.

Über 85% der beiden grossen Transportgewerkschaften Südafrikas Satawu und Utatu
(mittlerweile über 90.000 Lohnabhängige) haben sich der Forderung nach 15% Lohnerhöhung bei Transnet angeschlossen. Dem Streikaufruf der beiden Gewerkschaften Satawu und Utatu wollen sich in der kommenden Woche noch weitere Gewerkschaften anschliessen. Die Streiks betreffen das Schienennetz und alle Häfen Südafrikas. Wichtigste Produktionsgüter wie Benzin und Kohle und anderes können nicht mehr transportiert werden. Südafrika wird ab Montag komplett stillstehen. Auch der Personenverkehr fällt komplett aus .Regierungssprecher des Wirtschaftsministeriums und Berater der Regierung verweisen wütend auf die Millionenausfälle durch Produktionsstillstand und den Imageschaden, den die WM nehmen könnte. (Während die Bevölkerung grösstenteils ausgeschlossen ist von der WM, wird die Wut auf diese und die Regierung immer grösser.) Perspektiven des Klassenkampfes die auf den Widerstand in Griechenland verweisen kommen bei verschiedenen Zusammentreffen der Streikorganisation zur Sprache. Ausdrücklich werden Solidaritätsbekundungen und Aktionen aus Europa willkommen geheissen. Die Streiks sollen fortgeführt werden und eine globale Perspektive bekommen."


hui - wenn das passieren sollte und die geliebte wm ins wasser fällt, dürfte das nicht nur hierzulande durchaus relevante massenpsychologische effekte haben. das diese dann u.u. extrem reaktionär ausfallen könnten, liegt auf der hand. deshalb sollten alle emanzipativ interessierten die situation in südafrika spätestens ab jetzt als mindestes aufmerksam beobachten. zur ökonomischen und sozialen situation dort gibt es
hier einen artikel, der einige mir bisher unbekannte infos enthält. die ansicht der kommentare dort macht dann auch gleich klar, warum ich oben das wort "reaktionär" benutzt habe. ziemlich widerlich.

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rumänien war schon in früheren news immer mal wieder thema, u.a. auch deswegen, weil das land medial meistens als "uninteressant" gilt und deshalb vernachlässigt wird. das könnte sich in ein paar wochen ebenfalls ändern - die faktische
kapital-diktatur durch den iwf fängt an, die erwarteten früchte des zorns zu ernten:

(...) "Franks stellte Rumänien die Aufgabe, das Haushaltsdefizit, das sich 2010 voraussichtlich auf 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen wird, im Jahre 2011 auf 4,4 Prozent zu senken. Präsident Traian Basescu kündigte auch umgehend drastische Maßnahmen an: Rumänien müsse Löhne, Gehälter und Renten kürzen. Der aus dem Haushalt finanzierte Lohnfonds wird ab Juni um 25 Prozent reduziert. Die Leiter staatlicher Institutionen werden verpflichtet, eine Auswahl unter ihren Mitarbeitern vorzunehmen, die »nicht auf politischen Kriterien, sondern auf Kompetenz« beruhe. Es geht also um massive Entlassungen! Den Vorstellungen des IWF zufolge muss die Zahl der öffentlich Bediensteten – sowohl in zentralen als auch in örtlichen Behörden – stufenweise um 250 000 gesenkt werden. Mindestlöhne und -gehälter werden Basescu zufolge auf einheitliche 600 Lei (144 Euro) reduziert. Bisher galt in öffentlichen Institutionen ein Mindestlohn von 705 Lei. Renten und Sozialhilfesätze werden um 15 Prozent verringert. Auf diese Weise will Basescu das »Vertrauen« des IWF in die Fähigkeit der Regierung unter Emil Boc wiederherstellen.
Ökonomen weisen darauf hin, dass sich ihr Land nach wie vor in der Rezession befindet. (...)

Einziges Ergebnis des Treffens Präsident Basescus mit Vertretern der großen Gewerkschaften war die Bildung einer »Krisenstruktur«, in der Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Regierungsvertreter und Parteipolitiker vertreten sind. Das Gremium soll die vorgesehenen Maßnahmen und Lösungen analysieren.

Die fünf großen Gewerkschaftsorganisationen des Landes haben unabhängig davon ein eigenes Krisenkomitee gegründet. Es soll einen Protestkalender ausarbeiten und Aktionen koordinieren. Für den 19. Mai ist ein »massives Meeting« vor dem Regierungssitz angekündigt. Am 25. Mai soll ein Streik im öffentlichen Dienst beginnen."


rumänien ist nur ein land in osteuropa, in dem sich aktuell jede menge sozialer sprengstoff sammelt. "aus den augen, aus dem sinn" wird keinesfalls als position dabei hilfreich sein, die folgen dieser möglichen explosionen auf die globale situation zu begreifen.

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das die usa als ganzes vor einer aussichtslosen ökonomischen situation steht, macht nicht nur ein blick in den dortigen bundeshaushalt deutlich, sondern lässt sich besonders drastisch im hinblick auf einzelne bundesstaaten begreifen -
beispiel illinois. der ganze artikel ist sehr informativ, ich zitiere zusammenfassend nur mal den letzten teil:

(...) " Paralysiert durch das höchste Defizit in seiner Geschichte, ist der Bundesstaat um Monate zurück gefallen in Bezug auf seine finanziellen Außenstände und das, was er Unternehmen und Organisationen an Geld schuldet. Einige von ihnen stehen deshalb bereits am Rande des Bankrotts oder mussten Insolvenz anmelden. Illinois beschäftige sich nicht einmal mit der Formalität der Emission von IOUs, so wie Kalifornien es im vergangenen Jahr getan habe, sondern zahlt einfache nicht mehr. (...)

Die Unternehmen reagieren darauf jetzt auf eigene Weise. Ein Lieferant habe es abgelehnt, Kugeln und Munition an die Gefängnisbehörde zu liefern, solange er nicht im Voraus bezahlt werde. Verschiedene Gesetzgeber erhielten bereits Räumungsmitteilungen für ihre Bezirksbüros, weil der Bundesstaat die Mietzahlungen seit Monaten nicht mehr geleistet habe. Illinois befindet sich auf dem Weg, das aktuelle Fiskaljahr mit unbezahlten Rechnungen in Höhe von 6 Milliarden abzuschließen. Budgetvorschläge für das kommende Jahr – wenn der Bundesstaat ein Budgetloch von $13 Milliarden entgegen blickt – lassen vermuten, dass sich dieselbe Prozedur wiederholen wird. Der Bundesstaat schuldet Geld für alle Arten erbrachter Dienstleistungen, die in seinem Namen angeboten und ausgeführt wurden. Dazu gehören unter anderem die medizinische Vorsorge für die Bedürftigen, der Schutz des Hauses von älteren und behinderten Menschen sowie die Tagespflege für diejenigen, die arbeiten, sich davon aber trotzdem finanziell nicht über Wasser halten können."


das dürfte dem schon sehr nahe kommen, was unter dem begriff "game over" verstanden wird. die folgen für die betroffenen dürften mitsamt ihren komplexen, weil unendlich vielfältigen, auswirkungen kaum vorstellbar sein.

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gleiches gilt für
kalifornien, schon seit dem letzten jahr faktisch bankrott - nur noch nicht formal, was aber für die realität der menschen irrelevant ist:

(...) "Es gebe nur noch harte Entscheidungen, eine Verwaltung der Mängel in einem der reichsten Länder, wobei Schwarzenegger aber auf Griechenland, Spanien oder Irland verweist, wo ähnliches vorgenommen werden müsse. Natürlich suggeriert der republikanische Gouverneur, dass die Kürzung und Streichung der Sozialprogramme alternativenlos sei.

Zurückgefahren werden vor allem Sozialprogramme für die Armen, beispielsweise wird die Unterstützung für die Behandlung von psychischen Problemen um 60 Prozent gekürzt, die staatlich finanzierte Kinderbetreuung für die Einkommensschwachen soll ebenso gestrichen werden wie die Arbeitslosenhilfe und das Gesundheitsprogramm für die Armen. Das Geld für lokale Schulen wird gekürzt, die Löhne von Staatsangestellten werden weiter heruntergefahren, das Geld für die häusliche Pflege von Alten und Behinderten wird um ein Drittel gekürzt." (...)


SO wird die nächste zukunft der gesamten westlichen welt - und nicht nur da - aussehen, wenn sich eine mehrheit weiterhin derart der passiven agonie ergibt. immerhin haben wir dann zumindest in den lebensverhältnissen gleichheit mit dem trikont hergestellt. (und das das alles nicht nur extrem destruktiv im gesamten sozialen leben wirken und alltäglich vielfältig spürbar werden wird, sondern dazu ein umfassendes verbrechen an millionen von menschen darstellt, muss ich wohl nicht extra betonen.)

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und ja, wir sind auch
hierzulande mittendrin und voll dabei:

(...) "In Hamburg etwa steigen die Kita-Gebühren um bis zu 100 Euro pro Monat. Städte wie Karlsruhe, Mühlhausen in Thüringen oder Feldkirchen bei München haben die Grundsteuer angehoben. Andere stellen neue Radarfallen auf und hoffen darauf, dass Autofahrer rasen.

Einige Städte sind noch kreativer: Die thüringische Gemeinde Niederzimmern verkaufte Schlaglöcher für je 50 Euro. Das gestopfte Schlagloch erhält dann eine Plakette mit dem Namen des Spenders. Insgesamt verkaufte die 1000-Einwohner-Gemeinde 257 Schlaglöcher und nahm so 12.850 Euro ein. Köln hat kürzlich die Einführung einer "Bettensteuer" für Hotels beschlossen, als Kompensation für die gesenkte Mehrwertsteuer für Hoteliers. Die Domstadt rechnet mit jährlichen Einnahmen von bis zu 21,5 Millionen Euro. Das Beispiel macht Schule: Andere Städte wollen den Kölnern folgen, etwa Saarbrücken.

In der Finanznot schlagen Kommunen auch neue Wege beim Schuldenmachen ein. Quickborn in Schleswig-Holstein pumpte im März seine eigenen Bürger an: Einwohner stellten ihrer Stadt eine Million Euro zur Verfügung. Der Bürgerkredit bringt bis zu 2,6 Prozent Zinsen für fünf Jahre. (...)

Auch für Kultur wird weniger ausgegeben: (...) Im schwäbischen Nürtingen erhält die Volkshochschule weniger Geld und muss folglich die Preise erhöhen. In Augsburg muss das Theater auf große Bühnenbilder verzichten und die Zahl der Inszenierungen senken. An den städtischen Bühnen anderer Kommunen ist die Lage ähnlich. Wenn nicht gleich das Haus ganz geschlossen wird, wie das Schauspielhaus in Wuppertal.

Auch der Essener Stadtkämmerer streicht den Kulturzuschuss zusammen. Ohnehin ist die Lage im Ruhrgebiet besonders düster. Beispiel Oberhausen: Die 216.000-Einwohner-Stadt im Westen des Potts ist so gut wie pleite und kürzt die Ausgaben nun radikal. Die Stadt hat den Busfahrplan zusammengestrichen. Viele Busse fahren nun schon ab 21 Uhr im Nachtbetrieb. Einen Bücherbus hat die städtische Bibliothek nicht mehr, Grünflächen werden seltener gemäht. In seiner Not hat Oberhausen zudem mehrere Schwimmbäder geschlossen und eines zu einem Spaßbad umgebaut. Dort wurde dann der Eintrittspreis kräftig erhöht.

Aber auch dort, wo noch Bäder existieren, spüren die Bürger Kürzungen – vor allem in der anstehenden Freibadsaison. Mannheim beheizt nur noch eines seiner Freibäder. In den drei anderen können die Besucher nur hoffen, dass die Sonne kräftig scheint, um das Wasser etwas zu erwärmen. Noch radikaler ging die Stadt Sindelfingen vor: Sie füllte im kommunalen Freibad kurzerhand ein Becken mit Erde und machte es zur Rasenfläche. (...)

Besonders kritisch wird es dann, wenn die Kommunen bei der Infrastruktur für Kinder sparen. Sei es, dass Jugendmusikschulen ihre Preise erhöhen und Jugendzentren schließen müssen. Sei es, dass Schulen so marode sind, dass – wie im Januar in Augsburg – ein Schulleiter aus Sicherheitsgründen Räume sperren muss. Kürzen Gemeinden die Zuschüsse für die Stadtbücherei, fehlt es an aktuellem Bestand. Andernorts verwahrlosen Abenteuerspielplätze und Sportanlagen."


man könnte sich jetzt bei einem teil der beispiele denken: okay, nutze ich eh selbst nie, betrifft mich nicht. anderes erscheint auf den ersten blick verzichtbar. aber: das sind nur die anfänge. für die ärmsten schichten bedeuten diese kürzungen bereits zunehmenden ausschluß vom öffentlichen leben, und in der folge weitere isolation. für viele kinder und jugendliche bedeutet das klassenübergreifend in vielen fällen ebenfalls eine reale beschneidung ihrer lebensmöglichkeiten. und richtig finster wird´s im wahrsten sinne des wortes dann werden, wenn bspw. kommunen und städte beginnen "müssen", an der öffentlichen beleuchtung zu sparen (ich hatte letztes jahr schon mal erwähnt, dass hier in der stadt an vielen stellen kaputte straßenbeleuchtung nicht mehr repariert wird).

ganz eklig wird´s spätestens dann, wenn es direkt an die sozialleistungen geht: von hartz-IV über zuschüsse für kinder bis hin zu den renten. in kombination mit den kürzungsorgien an der öffentlichen infrastruktur wird das alles ausnahmslos alle betreffen: mehr offene armut, psychosoziale verelendung, entsprechende krankheiten, kaputte familien, zunahme von gewalt auf allen gesellschaftlichen ebenen - und nicht nur in diesem land natürlich auch die entsprechende faschistische gefahr. die - ich kann sie nicht anders nennen - ignoranten idioten, die sich besonders im letzten jahr hingestellt und "crisis? what crisis?!?" getönt haben, werden sich in sehr naher zukunft in einer völlig neuen - und kein stück angenehmen - realität wiederfinden. aber auf diese genugtuung könnte ich persönlich sehr gut verzichten.

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zur aktuellen und weiterhin hoch brisanten lage in griechenland möchte ich heute nur auf ein interessantes
interview mit christoforos vernardakis (professor für politische wissenschaften an der universität saloniki und vorsitzenden des wissenschaftlichen beirates des meinungsforschungsinstitutes VPRC) hinweisen. erschienen in der linken, italienischen tageszeitung „il manifesto“ vom 9.5.2010. die implizite schlußfolgerung wird bereits in der überschrift gezogen: „Zusammenbruch des Systems – nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch“ .

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in aller kürze - das krisentelegramm + überblick: (general-)streiks sind in den kommenden wochen zu erwarten in: griechenland (20. mai), spanien (vermutlich anfang juni), rumänien (siehe oben), südafrika (dito) sowie
portugal, wo es die zentrale gewerkschaft besonders schön formuliert hat: "CGTP-IN kündigt neue Massenproteste an und ruft zu allgemeiner Auflehnung auf." yo, die letztere ist seit langem überfällig. + wie gefährlich die zeiten sind, lässt sich u.a. auch daran erkennen, dass selbst ein medium wie das handelsblatt finstere gedanken veröffentlich: "Wir laufen in eine große Depression" - heute noch "querdenker", morgen schon allgemeiner mainstream: "Die Finanzmärkte werden zusammenbrechen, die Europäische Währungsunion zerbrechen und die Welt in eine große Depression schlittern." mögest du in interessanten zeiten leben ! + das allerletzte schließt heute den bogen zum thema ganz zu beginn: schon ende april machte eine meldung die runde, die hierzulande vielleicht bezeichnenderweise nie so recht eine breite wahrnehmungsschwelle durchstoßen konnte - die huffpost dient als quelle für das darauf folgende, sinngemäß: am mittwoch, dem 6. mai 2010 gestand der welt größter finanzkonzern ein, »daß er mit erheblichen finanziellen mitteln auf eine ölpest im golf von mexiko spekuliert hat«, und das ausgerechnet einen tag bevor dort eine der großen bohrinseln im Meer versank (wobei die zu dem zeitpunkt schon in flammen stand, aber eben noch nicht gesunken war). ein mitarbeiter hatte in einem schreiben an eine freundin geprahlt, daß goldman sachs jetzt auf eine ölpest im golf von mexiko spekuliert. »wenn auch nur eine ölplattform absäuft, dann schwimmen wir im geld«, schrieb er in einer mail. ist´s nicht ein emsiges völkchen, was da in den glaspalästen in lichten höhen throhnt ? (siehe dazu die hinweise in den kommentaren)

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