Dienstag, 17. Mai 2011

assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (10) [3. update am 18.05.]

weil´s dringlich ist, um einmal mehr ein allgemeines mediales schweigen zu brechen.

wenn Sie mal in den deutschsprachigen google news unter "spanien" recherchieren, kommt zur stunde
das dabei heraus - lauter meldungen über handball, fussball, formel eins, doping - und zwischendrin ein paar jubelartikel über boomende spanische aktien und überhaupt die "wirtschaftliche stärke" des landes.

macht man die gleiche recherche noch ergänzt um das keyword "demonstration", so kommt
das hier zum vorschein - immerhin sieben artikel beschäftigen sich mit den ereignissen, die seit ca. zwei tagen in spanien eskalieren. vielleicht bis auf (mit einschränkungen) die "taz" und "euronews" ist dabei kein einziges medium zu sehen, welches hierzulande wirklich eine größere verbreitung besitzt.

zufall oder absicht?

*


"Wir haben keine Zukunft":

(...) "Die Facebook-Revolte ist in Spanien angekommen. Unter dem Motto "Echte Demokratie – Jetzt!" versammeln sich seit dem Wochenende in allen größeren Städten des Landes Zehntausende von Jugendlichen.

In Madrid demonstrierten am Sonntag rund 40.000 Menschen, in Barcelona etwa halb so viele. In weiteren 58 Städten wurden Kundgebungen abgehalten. Selbst an britischen Universitäten kam es zu spontanen Solidaritätsaktionen spanischer Auslandsstudenten. Die Veranstalter zählten insgesamt 130.000 Teilnehmer. In mindestens 27 Städten richteten die Jugendlichen Protestcamps ein. Das in Madrid wurde in der Nacht auf Dienstag von der Polizei geräumt.

"Wir haben keine Zukunft", heißt eine der Hauptklagen der Teilnehmer. Spanien hat eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent. Bei jungen Menschen ist sie mehr als doppelt so hoch. Immer mehr junge, spanische Akademiker suchen ihre Zukunft im Ausland." (...)


das ist erstens darum bemerkenswert, weil ich nach berichten von mir bekannten leuten, die das land gut kennen und auch kontakte haben, bisher immer das bild einer mehrheitlich ziemlich apathischen jugend dort hatte. und zweitens scheint die "taz"-reduktion auf eine art jugendrevolte nicht zu passen, wenn man sich die kommentare nicht nur dort betrachtet, sondern auch an anderen stellen recherchiert - hier eine anmerkung zur "taz":

es ist nicht nur eine "jugendrevolte"--- bei den landesweiten demonstrationen waren arbeitslose, arbeiter*innen, hausfrauen und hausmänner usw.- ein querschnitt durch die gesamte bevölkerung
das "reduzieren " auf die jugend versucht seit montag die spanische presse, um einen "zündfunken" zu vermeiden --- die bewegung breitet sich aber - auch durch das gewaltsame räumen der puerta del sol - weiter aus --- es kann durchaus schon der "funke" gelegt sein, der "einen steppenbrand auslösen kann"


kurze impressionen aus dem abendlich-nächtlichen madrid am sonntag:



bei
spreeblick gibt´s was längeres zum thema, u.a. mit einigen links und vor allem einer übersetzung des manifestes "wahre demokratie jetzt!":

"Wir sind normale Menschen. Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu bieten.

Einige von uns bezeichnen sich als aufklärerisch, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht. Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.

Und diese Situation ist mittlerweile zur Normalität geworden – tägliches Leid, ohne jegliche Hoffnung. Doch wenn wir uns zusammentun, können wir das ändern. Es ist an der Zeit, Dinge zu verändern. Zeit, miteinander eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Deswegen treten wir eindringlich hierfür ein: (...)


weiterlesen bitte bei spreeblick; die haben sich dankenswerterweise die arbeit gemacht.

und
telepolis hat einen wirklich brauchbaren hintergrundartikel zu bieten, aus dem dann u.a. endgültig deutlich wird, dass es sich hier um eine so bisher in spanien nicht dagewesene bewegung jenseits aller parteien und auch gewerkschaften handelt, deren forderungen mindestens zum teil an bisherige gesellschaftliche fundamente gehen.

und vor dem hintergrund bleibt bei der frage von weiter oben, ob das bisherige mediale schweigen hierzulande nun eher zufall oder absicht ist, eigentlich nur eine möglichkeit realistisch.


*

edit am 18.05.: ganz frisch vom gestrigen nachmittag:
interview zu #spanishrevolution - auf deutsch, direkt aus dem land zur situation, zielen und zusammensetzung der protestierenden sowie dem alleuropäischen medialen schweigen (es ist offensichtlich kein nur deutsches vorgehen). auf twitter lässt sich der hashtag im link verfolgen; und bei feynsinn wird kräftig gesammelt.


*

edit 2 am 18.05.: ein mir bisher unbekanntes blog will heute
live berichten, und hat neben einigen weiteren links auch videos vom gestrigen abend parat. (massen-)medial finden sich heute morgen erstmals berichte bspw. in "stern" und "focus", wobei die alle auf der gleichen dpa-meldung beruhen. ansonsten ist bei derartigen situationen indymedia meist ganz brauchbar:

indy alicante

indy barcelona

indy madrid

indymedia valencia und euskadi/baskenland sind z.zt. nicht erreichbar. für alle, die kein spanisch sprechen, bleiben bis auf weiteres die üblichen übersetzungstools eine möglichkeit. ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass bei andauernden weiteren protesten sehr bald eigene themenblogs zur situation in spanien entstehen, bei denen dann auch direkt übersetzt wird - so selten wird die sprache auch hierzulande nicht gesprochen.

*

edit 3: ein ziemlich gutgemachtes mobilisierungsvideo:



alles in allem bin ich wirklich überrascht - wie schon angedeutet, stand spanien auf der liste meiner persönlichen erwartungen hinsichtlich europäischer massenbewegungen gegen die linie der durchgesetzten elitären diktate keinesfalls ganz oben. meiner wahrnehmung nach hat das land trotz zeitlichem abstands von jahrzehnten immer noch mit den folgen und resten der franco-diktatur zu kämpfen (was ich bekanntlich nicht verwunderlich finde), und ebenfalls sind die sozialen strukturen dort, bedingt durch die familiären traditionen und auch die katholische kirche, nicht unbedingt aufstandsfreundlich.

seitdem ich 2008 mit den "krisennews" begonnen hatte, tauchte spanien nur vereinzelt auf - militante auseinandersetzungen rund um fabriken blieben ebenso einzelfälle wie innerhalb der letzten beiden jahre die gewerkschaftlich organisierten generalstreiks.

was von aussen allerdings jetzt zu sehen ist, sieht tatsächlich nach etwas neuem aus - jenseits der etablierten parteien, die offensichtlich durchweg als gegner wahrgenommen werden, und auch jenseits der gewerkschaften besitzt ein teil der (aktuellen; es ist ja nicht klar, was da unter umständen je nach entwicklung noch dazukommt) forderungen durchaus systemändernden charakter. den berühmten tropfen zum überlaufen bildeten in diesem fall offensichtlich die landesweiten kommunalwahlen am nächsten wochenende, bei denen die beiden einzigen relevanten parteien sich nicht zu blöde waren, über hundert bereits einschlägig wegen korruptionsfällen bekannte politiker aufzustellen (aber vermutlich haben die auch gar kein anderes personal mehr). das hat offensichtlich eine menge leute endgültig sehr, sehr wütend gemacht...

das ganze passt potenziell natürlich auch bestens in dieses bisher von geschichtlich erschütternden ereignissen nicht gerade arme jahr. und es bieten sich eine vielzahl an denkbaren weiteren entwicklungen innerhalb der nächsten tage und wochen an. die wichtigsten fragen sind dabei für mich zunächst die: wie weit und breit kann sich die mobilisierung in spanien selbst ausdehnen? wie reagieren die spanischen "eliten"? und vor allem: wie wird die europäische rezeption der ereignisse ausfallen? portugal hatte eine ähnliche unabhängige (= ohne parteien und gewerkschaften) initiative ja schon einmal im märz, allerdings nur für einen tag. jetzt, wo das land faktisch ebenso wie griechenland als protektorat von iwf und eu verstanden werden muss - wie wird da eine mögliche massenbewegung beim großen nachbarn wirken? wie wird das signal in griechenland verstanden? in italien ist der twitter-hashtag #spanishrevolution angeblich heute der tophashtag, wie werden die ereignisse dort und auch in irland sowie großbritannien wirken - allesamt länder, wo es seit langem eine latente und partiell auch immer wieder im vergangenen jahr sichtbare unruhe gibt?

die eu-"eliten" können sich das eigentlich in der derzeitigen situation nicht leisten, in einem mitgliedsstaat vom kaliber spanien eine tatsächlich oppositionelle bewegung ausbreiten zu lassen, womöglich mit sichtbaren erfolgen. andererseits wären sie schön blöd, hier mit reiner repression zu antworten - das würde die gesamte hütte dann wohl in hellen brand stecken. was bleibt, ist zunächst das alte "teile-und-herrsche-spiel", wie es in den letzten wochen in griechenland und vielen anderen eu-staaten zu sehen ist. vor allem die rassistische karte ist hier beliebt, und könnte in spanien vermutlich auch mit einigem erfolg gespielt werden.

letzteres scheint mit blick auf mögliche sympathisierenden stimmungen hierzulande auch jene erbärmliche kreatur im sinn zu haben, die da heute
geifernd und zeternd den altbewährten joker vom "faulen südländer an sich" auf den tisch warf. naja, wenn dieses pack den eigenen untergang näher kommen fühlt, werden sie am ende alle masken fallen lassen. das ist nichts neues, aber darauf sollte man mental gut vorbereitet sein.

*

noch als info: um das ganze hier nicht umfangmässig zu lang werden zu lassen, packe ich kleinere updates in die kommentare unten. ergänzungen, anmerkungen etc. sind natürlich jederzeit erwünscht.

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