notiz: lächel-simulationen und ihre folgen

(mit dank an wednesday für den hinweis, ich bin erst jetzt dazu gekommen, diesen interessanten artikel zu lesen). ein nachdrückliches beispiel dafür, wie als-ob-zustände die verdinglichende wahrnehmung fördern können:

Wer Gefühle zeigt, die er nicht hat, kann auf Dauer das Burnout-Syndrom entwickeln. Die Betroffenen fühlen sich erschöpft und von der Arbeit überfordert.
Nach einer Weile ziehen sie sich zurück, in ihren Kunden oder Patienten sehen viele dann keine Menschen mehr, sondern Objekte.

somlu (Gast) - 2. Mär, 18:24

Gibt es da nicht dieses Unternehmen, dass vor einiger Zeit in der Presse war, wo gute Laune per Arbeitsvertrag Pflicht ist? Als ich Berichte über die gesehen habe, ist mir schlecht geworden.

monoma - 2. Mär, 19:30

hallo somlu,

du meinst diesen laden hier?

"Die Mitarbeiter denken positiver. Wichtig ist einfach nur, wenn sie hier arbeiten, dass sie sich nicht hinreißen lassen nachzugrübeln, sondern einfach nach vorn schauen"

pah - "nicht nachgrübeln" vielleicht über die arbeitsbedingungen, fragwürdige produkte, miese löhne...und durchgeknallte chefs? ganz toll.

liebe grüße
mo

ps. mail kommt noch (dochdoch)
Claudia (Gast) - 3. Mär, 19:22

Es ist jedenfalls ein interessanter Aspekt. Andererseits ist es ja so, dass wir uns durchaus besser fühlen können, wenn wir einfach mal lächeln.
Aber Gefühle vortäuschen ist sicher etwas anderes.

mo (Gast) - 3. Mär, 22:30

hallo claudia,

Andererseits ist es ja so, dass wir uns durchaus besser fühlen können, wenn wir einfach mal lächeln.

ja - aber vertraglich festgeschrieben, den ganzen tag und unter den spähenden augen des/der vorgesetzten?
sansculotte (Gast) - 4. Mär, 09:04

Aus der Studie von Dieter Zapf geht ja hervor, dass die gesündeste Reaktion der "Call Center Agents" darin besteht, einfach zurückzupöbeln. Ich halte das für einen nicht-trivialen Aspekt dieses Experiments, weist er doch darauf hin, dass es so etwas wie einen "natürlichen Reaktionsmechanismus" geben könnte, der dem seelischen Wohlbefinden und der körperlichen Integrität einfach am zuträglichsten ist. Und gerade dieser spontane Reaktionsmechanismus wird durch die kapitalistischen Handlungszwänge und die ubiquitäre Verwertungsdoktrin zerrissen, blockiert und verunmöglicht. Weil jede menschliche Begegnung nur noch im Verwertungszusammenhang stattfindet, weil menschliche Beziehungen sich der Profitlogik unterzuordnen haben, braucht es im Kapitalismus den gesunden Menschen mit seinen natürlichen Reaktionen nicht mehr, sondern nur noch den für diese besondere Gesellschaftsform zugerichteten Menschen, der seine Abrichtung auch noch fröhlich willkommen heisst und sich stattliche Legitimationsideologien zusammenzimmert. Ich bin mir sicher, dass ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten, die in diesen Verwertungszusammenhang nocht nicht ganz und gar eingespannt sind, solche Konzepte wie "surface" oder "deep acting" für gänzlich verrückt halten und die Selbstmanipulation durch ein aufgesetztes Lächeln für den Gipfel dieser Verrücktheit.
somlu (Gast) - 5. Mär, 10:43

Langsam klärt sich bei mir eine Irritation, auf die ich den Finger nicht legen konnte. Etwas unsortiert und assoziativ:

In meiner Qualifikation ging es u.a. auch um Vertriebsmethoden. Insgesamt fand ich die Trainingswoche interessant aber irritierend.

Letzlich geht es im professionellen Vertrieb darum mit psychologischen bis psychoanalytischem Halbwissen mein Gegenüber idealerweise so zu bearbeiten , dass er meine Produkte lieber kauft als die des Konkurrenten. Neben der Analyse von Menschen nach H.D.I (Herrmann Dominanz Instrument) und einigen vorsichtig plazierten aber positiven Bemerkungen zu NLP, ging es auch um Beschwerdemanagement.

Heutzutage bedeutet professionelles Beschwerdemanagement nichts anderes als um jeden Preis freundlich zu bleiben und damit den Kunden genug zufriede zu stellen, dass er wieder oder weiterhin bei mir kauft. Naja, man kann sich ungefähr vorstellen, was da den Menschen abverlangt wird ab "professioneller Freundlichkeit". Die Begriffe"Dienstleistung", "Professionalität", "Freundlichkeit" werden hier zu einem verwirrenden Knoten zusammengemischt, der dem Menschen, der noch spontan reagiert als unprofessionell abstempelt. Üble Sache. Das ist subtiler als die vertragliche vereinbarte Lächelvorgabe, fünktioniert deswegen aber vermutlich besser.

Noch ein Gedanke, auffällig ist ja in diesem Zusammenhang, dass genau diese "Schlüssselqualifikationen" eher bei Frauen festgestellt werden und weswegen an solchen Stellen auch bevorzugt Frauen eingesetzt werden. Verhaltensweisen, die Frauen sozialisationsbedingt eher aufweisen als Männer, werden beruflich ausgebeutet unabhängig davon, ob gerade diese Verhaltensweisen nicht besser mal zu problematisieren wären.

Als Linguistin, die sich auch mit Gesprächsverhalten von Männern und Frauen beschäftigt hat, weiß ich darüber hinaus auch, dass Frauen, die diese VErhaltensweisen nicht an den Tag legen, häufig als "unweiblich" wahrgenommen (abgestempelt) werden. Damit werden bestimmte, im Zweifel auch selbstschädigendes Verhalten auf die Wahrnehmung für richtiges Verhalten der Geschlechter festgeschrieben. Es geht dabei um eher unbewußt gelagerte Prozesse der Wahrnehmung, die über Haltungen in einer Gruppe/Gesellschaft weitergegeben werden. Zu deutsch, eine Frau, die (messbar) genauso aggressiv auf ein Ereignis reagieren würde, wie ein Mann (was ja in Zeiten des Defizitansatzes in der Frauenbewegung auch gang und gäbe war und auch heute noch , hört man da und dort, z.B. dass Frauen ja nur besser verhandeln müssten, dann würden sie das gleiche verdienen, wie Männer), würde sie als zu aggressive Frau wahrgenommen werden und nicht ebenso aggressiv, wie ein Mann.

Noch einmal zu der Trainerin, deren Auftreten und Erscheinung und gleichzeitiger Erfolg im Vertriebsbereich mich ersteinmal irritiert haben. Sie ist eine blondierte, immer geschminkte, mit viel Goldschmuck daher kommende Frau, deren Stimme auch eher in einem Frequenzberech liegt, den ich anstrengend finde. Aber genau dieses Auftreten ist es ja, dass von Frauen erwartet wird und da durch dieses Auftreten in der Wahrnehmung der Anderen keine Irritation auftritt, kann sie auch gerade in einem hochmanipulativen Bereich, wie dem Vertrieb erfolgreich tätig sein.

wednesday (Gast) - 5. Mär, 12:41

> Frauen, die diese Verhaltensweisen nicht an den Tag legen, häufig
> als "unweiblich" wahrgenommen (abgestempelt) werden.

Frauen, die nach Ansicht ihres Gegenüber zu wenig lächeln, Gesten unterlassen, mit denen frau sich mehr oder weniger bewusst unterwürfig und kokett präsentiert, werden auch immer wieder gerne als Lesben bezeichnet. Heute geschieht das anscheinend nicht mehr so schnell und häufig wie noch vor 20 Jahren, als ich, völlig unbedarft, das erste Mal ins Arbeitsleben stolperte.

Es wird vom Mädchen und der Frau erwartet, und eben allgemein vom _Dienstleister_, sich allem und jedem mit Interesse und Hoffnung zuzuwenden, ohne daß sie/er ihre eigenen Wünsche und Erwartungen in Worte fasst, oder gar in Gesten. Roswitha Scholz spricht auch in diesem Zusammenhang von "Hausfrauisierung" der Arbeitswelt.
Sprich, Eigenschaften, die ewige Zeit als "weiblich" galten, werden zunehmend auch von männlichen Rangunteren erwartet, die auch nicht mehr als Männer wahrgenommen werden, sondern als eine Art schemenhafter Diener (man sollte mal erlebt haben, wie sich wirklich Reiche Handwerkern gegenüber verhalten, es erinnerte mich an die Art, wie man mit Dienstboten umsprang, die tatsächlich wie Unsichtbare behandelt wurden).
Gewisse Verhaltensweisen wie Rücksichtslosigkeit, zurechtweisende Unhöflichkeit, Schmähung und zur Schau getragene Gefühlskälte wird bei Menschen in Chefpositionen viel eher akzeptiert und sogar von deren Fußvolk anerkannt, als die Aggressivität mancher gehetzter Hartz-IV-EmpfängerInnen, die dann schon eher das Recht haben sollten, auf die Gesellschaft, die sie mißhandelt und ausstösst, zu spucken.
Zuckerbussi (Gast) - 19. Nov, 12:59

Nicht-Lächeln und die Folgen

Hatte vor ein paar Wochen einen heftigen Streit bei McDonald's (!). Auslöser war ein Mitarbeiter, der meines Erachtens eine süffisant nachlässige Dienstleistungsbereitschaft vermitteln wollte. Nicht der Ansatz eines künstlichen Lächelns (<Mona Lisa) wurde versucht - meine geringen Erwartungen wurden nochmals unterboten...

Mein lieber Amigo hat mich reflexartig als neoliberalen, kapitalistischen Bösewicht beschimpft, der sich neben dem Burger noch zusätzliche "Dienste" erwarten würde - unbezahlte Prostitution in der Gastronomie sozusagen. Man sieht, Fleisch und Fett macht nicht unbedingt entspannt...

Wir kamen dann zum "aufgesetzten" Lächeln und den schlimmen Folgen für den Vortäuschenden - heute hat er mir diesen Link gemailt.

Ich denke, daß auch Nicht-Lächeln Folgen hat - diese müssen abgewogen werden. Viele werden sich durch eine ostentativ zur Schau gestellte Überlegenheit des Dienstleistungs-Erbringers provoziert fühlen, um ihrerseits die Macht des Zahlenden auszuspielen. Eine solche Konfrontation mag für den Verkäufer in Einzelfällen erleichternd wirken, auf Dauer hat das "Nicht-Lächeln" sicher schlimmere Folgen: der Dienstleistende wird gedemütigt werden, seine "niedrige Stellung" in der Hierarchie unserer Gesellschaft wird betont werden - jedes Monat wird er dies auf seinem Gehaltszettel schwarz auf weiß (oder in McDonald's Farben gedruckt) als "Bestätigung" lesen können...

Er wird sich nichts Gutes tun. Lächeln hingegen kann (auch) Zufriedenheit signalisieren, Selbstbewußtsein, Sicherheit - in manchen Fällen sogar Überlegenheit. Ich denke, daß diese Gefühle einem am Ende des Tages besser schlafen lassen...

In einer Dienstleistungsgesellschaft mit all ihren Annehmlichkeiten gibt es wohl natürliche Schwierigkeiten.

sansculotte - 19. Nov, 14:51

Die 'natürlichen' Schwierigkeiten

der von dir absolut gesetzten Dienstleistungsgesellschaft bestehen eben in der Überwindung des Natürlichen. Ich behaupte einmal, dass es unnatürlich ist, zu seiner Demütigung auch noch ein Lächeln aufzusetzen.

Ansonsten bitte ich dich, die Interpunktion der Ereignisse richtig zu setzen: das Nichtlächeln des Dienstleisters ist ja schon eine Reaktion auf ein initiales Zwangsverhältnis, auf ein Machtgefälle also, das dem Betroffenen von Anfang an aufoktroyiert wird.

Die Ereigniskette läuft wie folgt: Arbeitszwang > Anstellung bei Mägdanald > geringes gesellschaftliches Ansehen und niedriges Gehalt > fortlaufende Demütigungen > Reaktion des Dienstleistungs-Erbringers. Du siehst also, das Nicht-Lächeln steht ganz am Ende der Ereigniskette.

Im übrigen ist der Begriff Dienstleister schon ein Hinweis darauf, dass hier eine massive Instrumentalisierung von menschlichen Beziehungen vorliegt.

Emotionsarbeit passt ganz trefflich in das Gefüge der großen gesamtgesellschaftlichen Simulationsmaschine. Emotionsarbeit kann krank machen und bis zum Burn-Out führen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28053/1.html

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