notiz: im schatten der (ökonomischen) krise... [update griechenland]

...geht so einiges an anderen meldungen unter, die auf den ersten blick nichts mit den gegenwärtigen zuständen zu tun zu haben scheinen, auf den zweiten blick jedoch strukturen deutlicher werden lassen, die auch in der herrschenden verrückten ökonomie begründet sind. nehmen wir zb. den hiesigen rassismus, speziell seine institutionalisierte form, und betrachten ein gerichtsurteil dieser woche, bei dem es um den tod eines schwarzen angeblichen kleindealers nach einer polizeilichen brechmittelvergabe ging:

(...)"Mit einem Freispruch endete am Donnerstag in Bremen der Prozess um den Brechmitteltod des Sierra-Leoners Laya Alama Condé. Das Landgericht war der Ansicht, dass dem Angeklagten Polizeiarzt Igor V. der Vorwurf der fahrlässigen Tötung nicht nachzuweisen ist. V. hatte dem Afrikaner im Dezember 2004 Brechmittel eingeflößt, weil Polizisten ihn verdächtigten, Kokainkügelchen verschluckt zu haben. Der 35-Jährige fiel ins Koma und starb wenige Tage später."(...)

bemerkenswert ist der grund für den freispruch:

(...)"In seiner Urteilsbegründung sagte der Kammervorsitzende Bernd Asbrock, der Angeklagte habe "objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen", etwa bei der Erstuntersuchung Condés. Auch hätten weder V. noch die Polizisten vor der Maßnahme einen Dolmetscher oder einen Richter gerufen. Vor allem aber hätte V. seine erste erzwungene Brechmittelvergabe viel früher beenden müssen. Condés Zustand war während der rund zweistündigen Maßnahme so kritisch geworden, dass ein Notarzt hinzugerufen werden musste. Doch nachdem das Rettungsteam Condé wieder stabilisiert hatte, flößte V. ihm weiter Wasser ein, damit er seinen Mageninhalt restlos hervorwürgte. "Wäre hier abgebrochen worden, hätte sich der Tod vermeiden lassen", sagte Asbrock."(...)

das klingt in den ohren von juristischen laien eigentlich eindeutig, oder? aber herrschendes recht hat bekanntlich mit gerechtigkeit nicht viel zu tun:

(...)"Für die Verurteilung war die eigentliche Todesursache jedoch nicht ausschlaggebend. Zwar habe sich V. "mehrerer objektiver Pflichtverletzungen" schuldig gemacht, die ursächlich für den Tod waren, so die Richter. Weil er dies aber wegen "mangelnder Ausbildung und Erfahrung mit Brechmittelvergaben subjektiv nicht erkennen" konnte, folgte die Kammer dem Antrag der Anklagebehörde."(...)

muss das noch kommentiert werden? wobei für mich das übel tiefer liegt, nämlich in der ganzen latent rassistischen struktur, die sich in den sog. sicherheitsbehörden immer wieder u.a. in solchen fällen bahn bricht.

und speziell bei diesem thema sollte ein inzwischen schon ein paar jahre altes urteil des europäischen gerichtshofes nicht vergessen werden - ich hatte damals den folgenden
auszug kurz kommentiert:

"Der Einsatz von Brechmitteln gegen Kleindealer verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Deutschland wurde deshalb gestern vom Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt. Der Brechmitteleinsatz sei eine "inhumane und erniedrigende Behandlung", entschieden die Richter mit 10 zu 6 Stimmen. Wenn der Staat auf diese Weise gewonnene Beweismittel im Strafprozess verwendet, verstoße dies gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bundesrepublik muss dem Kläger Abu Bakah Jalloh jetzt 10.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen."(...)


augenscheinlich scheint dieses urteil im aktuellen prozeß keine rolle gespielt zu haben, jedenfalls konnte ich diesbezgl. nichts finden.

*

und am morgigen montag werden wir mit einiger wahrscheinlichkeit zeugen eines weiteren urteils werden, dessen tenor jetzt schon medial zu
besichtigen ist:

(...)"Der langwierige Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle steht unmittelbar vor seinem Abschluss. Wie eine Sprecherin des Landgerichtes Dessau-Roßlau am Freitag betonte, soll das Verfahren gegen zwei Polizisten am Montag definitiv zum Abschluss gebracht werden.

Knapp vier Jahre nach dem Tod des Afrikaners wird das Ergebnis mit größter Spannung erwartet. Allerdings ist völlig unklar, ob überhaupt ein Urteil verkündet wird. Das Landgericht hatte die vergangenen beiden Termine für die Plädoyers kurzfristig abgesagt. Möglich ist auch, dass das Verfahren gegen einen oder beide Polizisten ganz oder teilweise eingestellt wird."(...)


ein mögliches ende, welches natürlich bei auffrischung der erinnerung an diese
geschichte zu erwarten war - ODER?

(...)"Nach einer durchfeierten Nacht vom 6. auf den 7. Januar 2005 spricht Oury Jalloh morgens gegen 8:00 Uhr stark betrunken zwei Putzfrauen der Dessauer Stadtreinigung an, um für ein Telefonat ein Handy zu erfragen. Der exakte Hergang dieser Konfrontation ist nicht rekonstruierbar. Allerdings fühlen sich die beiden Frauen belästigt und die Polizei wird gerufen. Diese kontrolliert Jalloh gegen 8:15 Uhr, verhaftet ihn unmittelbar und bringt ihn zum Dessauer Polizeirevier Wolfgangstraße. Der behandelnde Arzt im Revier untersucht ihn und erklärt ihn für „gewahrsamstauglich". Jalloh wird Blut abgenommen und schließlich in Zelle Nr. 5 gebracht. Gegen 12:00 Uhr bricht dort ein Feuer aus: Die Feuerwehr kann nur noch den verkohlten Leichnam von Oury Jalloh bergen. Bei 345 Grad Celsius hat er einen Hitzeschock erlitten, der sofort zu Atemstillstand und Herztod führte.

In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten kommen Details über den Tod an die Öffentlichkeit, die viele Fragen aufwerfen: So war Oury Jalloh an Händen und Füßen gefesselt, die Zelle war gefliest und die Matratze, auf der er lag, war feuerfest. Zunächst wurden am Brandort auch keine Mittel gefunden, mit dem man ein Feuer hätte entzünden können. Erst später taucht auf einer Aservatenliste plötzlich ein Feuerzeug auf, obwohl bei der Durchsuchung von Oury Jalloh durch einen Polizisten keines gefunden worden war. Oury Jalloh wurde nicht visuell überwacht. Die Überwachung fand durch eine Gegensprechanlage statt, die von dem Dienstgruppenleiter leiser gestellt war. Als der Feueralarm ausbrach, wurde dieser mehrmals ignoriert und schließlich ausgestellt. Weitere Ermittlungen ergaben zudem, dass der Dienstgruppenleiter, der Arzt sowie zwei Polizisten direkt nach dem Brand rassistische Äußerungen gemacht haben. Da bei der ersten Obduktion des Leichnams auf Röntgenbilder verzichtet wurde, veranlassten Freunde von Oury Jalloh eine zweite Obduktion. Hier stellte sich ferner heraus, dass er einen Nasenbeinbruch erlitten hatte."(...)


die sog. rechtsfreien räume finden sich historisch und aktuell eigentlich immer nur innerhalb staatlicher institutionen. wobei für derartiges eine billigung bzw. tolerierung seitens breiterer bevölkerungsteile eine unverzichtbare voraussetzung ist. und eine solche autoritätshörigkeit und unterwerfungsbereitschaft gehört in diesem land bekanntlich traditionell zur staatsbürgerlichen grundausstattung.

*

was sich in anderen ländern nicht so krass verhält - in der letzten nacht ist es in griechenland zu (mindestens) einem
tödlichen schuss aus einer polizeilichen dienstwaffe gekommen...

(...)"Ein 37 Jahre alter Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben haben soll, bekräftigte, er habe lediglich drei Warnschüsse abgefeuert. Einer davon habe den Jugendlichen als Querschläger getroffen. Zuvor habe eine Gruppe Autonomer seinen Streifenwagen, in dem er zusammen mit einem Kollegen gesessen habe, mit Steinen und anderen Wurfgeschoßen angegriffen. Die beiden Beamten hätten versucht, die Randalierer festzunehmen, hieß es.

Nach Darstellung von Augenzeugen soll es jedoch nur zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen den Autonomen und der Besatzung des Polizeiwagens gekommen sein. Anschließend habe der Polizist direkt in die Richtung des Burschen geschossen. "Es war kaltblütiger Mord", meinte ein Augenzeuge im Radio."(...)


...der nicht ohne folgen geblieben ist:



die genaueren umstände der schüsse werden hoffentlich in den nächsten tagen bekannt werden, jedoch ist jetzt schon absehbar, dass diese schüsse in der angespannten situation in griechenland wie benzin auf glut wirken werden - gesammelte informationen zum thema zb.
hier und hier:

(...)"Unruhen weiten sich auf das ganze Land aus

Während die Justiz ermittelt, gibt es weiteren Proteste auf der Straße, Medien sprechen schon nicht mehr nur von Jugendkrawallen. Auch im nordgriechischen Thessaloniki wurden fünf Banken beschädigt, ein Polizeirevier angegriffen und eine Straße blockiert. 2000 Demonstranten versammelten sich in der Innenstadt von Thessaloniki und zogen zum Sitz des Regionalministeriums. In Patras wurde ein Polizeirevier mit Brandsätzen angegriffen, es gab Ausschreitungen. In Komotini und Ioannina, ebenso wie auf der Mittelmeerinsel Kreta kam es zu Krawallen. In Heraklion entstand an drei Bankfilialen Schaden durch Brandsätze. Polizisten versuchten die Lage unter Kontrolle zu bringen, Tränengas wurde eingesetzt. Es sei die schlimmste Bürgerunruhe in Griechenland seit 25 Jahren schreibt die Presse. In Athen wurde in der Nacht ein Gebäude der polytechnischen Hochschule besetzt, die Fassadenfenster des Rathauses zerstört und auch andere Universitätsgebäude der Hauptstadt wurden okkupiert. Etwa 2000 Menschen gingen in die Polytechnische Fachhochschule, wo der Kampf gegen die Diktatur in den 60er angefangen hatte. Eine entscheidende Schwächung erfuhr dort damals die Junta am 17. November 1973 durch den Aufstand der Studenten, der unter Einsatz von Panzern brutal zusammengeschossen wurde und das Regime innerlich und äußerlich diskreditierte. Die Sicherheitskräfte sperrten das Stadtzentrum von Athen ab und gingen gegen die Protestierenden vor. Autonome und andere Gruppen haben für Sonntagnachmittag weitere Proteste angekündigt, mehrere Aktionen sollen im Laufe der nächsten Tage im Ausland vor den griechischen Botschaften stattfinden."


*

edit am 08.12.:
drüben hat che die frage gestellt: Ist das der erste Aufstand im Zeichen der Bankenkrise? ich würde sagen, nicht nur, aber auch - ein sehr informatives posting bei indymedia macht einiges zu den hintergründen deutlich und erklärt die aktuelle wucht der unruhen:

(...)"Die Explosivität der derzeitigen Situation in Griechenland lässt sich nur verstehen, wenn man den tragischen Tod des Schülers vor dem Hintergrund der aktuellen politischen, ökonomischen und soziologischen Gegenwart Griechenlands betrachtet. Bisher vom Ausland weitgehend unbemerkt ist die Regierungspartei Nea Dimokratia mehr und mehr in eine Krise gestürzt, die den griechischen Staat in seinen Grundfesten erschüttert.(...)

Finanzminister Alogoskoufis ist dafür verantwortlich, dass die Staatsfinanzen brach liegen und staatliche Krankenhäuser wegen insgesamt einer Milliarde Euro Schulden aus nicht bezahlten Rechnungen nicht mehr beliefert werden. Der Staat ist einfach seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen. Damit nicht genug: Auch die klammen Sozialversicherungskassen bekommen keine Unterstützung. Selbst Sozialpflichtversicherte Arbeitnehmer müssen Medikamente und Ärzte zunächst privat bezahlen.

Griechische Schulkinder müssen derzeit als einzige in Europa während der Sekundarstufe durchgehend Nachhilfeschulen besuchen. Die Qualität der staatlichen Schulen ist zu schlecht.

Darüber hinaus leidet Griechenland an einer Teuerungsrate für die Grundversorgung, die in ganz Europa Ihresgleichen sucht. Die Banken, die trotz Rekordgewinnen eine staatliche Stütze von 28 Milliarden Euro erhalten, erhöhen die Zinsen für Privat- und Geschäftskunden, während gleichzeitig die europäische Zentralbank den Zinssatz senkt.

Die derart strapazierten Griechen befinden sich derzeit fast alle am Rand des wirtschaftlichen Ruins. Im Gegensatz zum übrigen Europa gibt es noch keine Signale von der Politik, die auf bessere Zeiten oder wenigstens eine kontrollierte Krise hoffen lassen. Im Gegenteil. Minister Alogoskoufis will eine Kopfsteuer einführen, die selbst Bürger unter der Armutsgrenze trifft. Demnach soll jeder Bürger Steuern zahlen, unabhängig davon ob er irgendwelche Einnahmen hat. Der gleiche Minister, der durch seine Unterschrift unter den Immobiliendeal mit den Mönchen den Staat um eine Milliardensumme geschädigt hat und den Banken einen weiteren Bonus verschafft hat.

Vor diesem Hintergrund, und mit dem Wissen, dass noch keine der für die oben genannten Skandale verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen wurde, muss man die bürgerkriegsähnlichen Zustände im heutigen Athen betrachten. Die Griechen haben ihr Vertrauen in Kirche, Regierung und Justiz verloren."(...)


und aktuell sieht es
heute morgen so aus:

(...)"Von Entwarnung könne jedoch nicht die Rede sein, hieß es. Aus Protest blieben am Montag alle Schulen geschlossen. "Viele Schüler haben die Gebäude besetzt. Wir Lehrer streiken für drei Tage", sagte der Präsident der Lehrergewerkschaft, Dimitris Bratis.

Für den Abend und die kommenden Tagen wurden neue Demonstrationen autonomer Gruppen gegen die Polizei angekündigt."(...)


und am mittwoch gibt es einen schon länger geplanten landesweiten streiktag...
monoma - 8. Dez, 16:59

und da kommt die eilmeldung:

freisprüche im jalloh-prozeß:

"Im Prozess um den Feuertod des Asylbewerbers Oury Jalloh hat das Landgericht Dessau am Montag die beiden angeklagten Polizisten freigesprochen."

irgend jemand wirklich erstaunt?

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