assoziation

Sonntag, 24. Juli 2011

assoziation: zum massaker in norwegen

ich muss mich wieder mal kürzer fassen, als es unter anderen umständen der fall wäre, darum gleich zu meinen kernpunkten:

1. das war definitiv kein amoklauf, wie es in vielen medialen beiträgen - am penetrantesten ist mir das bei der "tagesschau" aufgefallen - völlig sinnwidrig behauptet wurde bzw. wird (bei gleichzeitigem verzicht auf das anfänglich noch benutzte wort terrorismus , auf das es inzwischen anscheinend eine art "islamisches copyright" gibt, wenn wir den redaktionen der mainstreammedien folgen). die charakteristika von den als "amok" bezeichneten taten wie den school-shootings hierzulande und in den usa hatte ich in der vergangenheit schon ausführlich behandelt und auch ihre unterschiede zum "klassischen amok", wie er einmal ursprünglich begriffen wurde, dargelegt. die einzige gemeinsamkeit zwischen dem norwegischen terroristen und den amok-tätern lässt sich in ihrer gemeinsamen extremen empathielosigkeit feststellen.

2. letzteres führt gleich zum ebenfalls gerade viel auftauchenden begriff "psychopath", für den ich hier im blog aus gründen stattdessen den etwas präziseren begriff soziopath benutze. der kerl hat in seinem vorgehen eine extrem planende instrumentelle intelligenz an den tag gelegt - bombe auch als eine art ablenkung nutzen, in polizeiuniform auftreten, systematisches abschlachten seiner opfer über eine unfassbar lange zeit - , wie sie auch jedem intelligentem soziopathen ohne weiteres zuzutrauen ist. aber reicht das für diese wertung? ich würde aus gründen aufgrund des bislang vorliegenden materials schon sagen, dass sich auch dieser mann nicht nur bei seiner tat, sondern bereits eine lange zeit vorher überwiegend bis ständig in einem deutlich objektivistischen wahrnehmungsmodus befunden hat, was ihn dann zumindest funktional und temporär zu einer inneren struktur gebracht hat, die oberflächlich nicht groß von einem strukturellen soziopathen zu unterscheiden ist. ob er aber letzteres ist, könnte nur eine detaillierte und auch danach suchende psychiatrische diagnostik ergeben. "geisteskrank" im klassisch falschen und klischeebehafteten sinne ist er deutlich nicht, aber das schließt eine schwere psychophysische störung im objektivistischen spektrum eben keinesfalls aus.

3. was aber auch nicht völlig diese tat zumindest teilweise verstehbar machen würde - aber genau dafür hat er genügend material im netz hinterlassen. ich habe mir gerade mal das inzwischen nur noch schwer zu findende video betrachten können, welches sich als durchaus aufwendig und bildreich im "stürmer"-stil illustrierter demagogischer trailer zum schriftlichen
"manifest" verstehen lässt. zu getragen-unheilvoller und irgendwie "mystisch" wirken sollender hintergrundmusik wird in vier teilen die "political correctness", die "islamisierung europas" sowie "widerstand" und "neubeginn" skizziert. was auffällt, ist der oftmalige bezug aufs europäische mittelalter bzw. diverse bekannte und unbekanntere christliche kreuzzügler, garniert mit symbolen und bezeichnungen, wie sie auch auf vielen vt-sites im netz zu finden sind - etwa die eu als "eussr" zu bezeichnen, die europaflagge mit hammer & sichel garniert, oder das logo der britischen bbc mit halbmond kombiniert. ebenfalls werden die am schluß die vier angeblich schlimmsten "genoziden ideologien" benannt, und zwar in der reihenfolge islam - kommunismus - nationalsozialismus und christentum (!). am ende werden die neuen " europäischen tempelritter" dann auf ihre konkreten ziele für den bis 2083 zu gewinnenden krieg gegen den islam verpflichtet:
  • "einheit statt spaltung"
  • "monokulturalismus statt multikultur"
  • "patriarchat statt matriarchat"
  • "europäischer isolationismus statt europäischer imperialismus"
dieses eigenartige programm weckt nicht zufällig erinnerungen an die us-amerikanische "tea party"; ebenfalls sind das durchaus ein paar essentials vieler jener "neurechten" bzw. rechtspopulistischen parteien und bewegungen, die sich in vielen europäischen staaten seit ca. zwei jahrzehnten deutlich beobachten lassen. im schriftlichen "manifest" werden diese punkte genauer ausgeführt; der "kulturelle marxismus" wird primär an der "frankfurter schule" festgemacht und diese u.a. wiederum mit leuten wie gramsci, marcuse, fromm, reich und natürlich adorno identifiziert. der von diesen verbreitete "kulturelle marxismus" ist in der logik die basis für die "political correctness", die wiederum den boden für die "islamische übefremdung" bereitet.

falls Ihnen diese argumentationskette aus vergangenen öffentlichen "diskussionen" nicht nur hierzulande eigentümlich vertraut vorkommt, so ist das absolut kein zufall. ausgerechnet "spon" hat gerade einen ganz brauchbaren beitrag zu jener
ideologischen matrix, in der sich nicht nur der täter bewegt. vor diesem hintergrund betrachtet, ist das massaker eine sehr bewusst geplante und ausgeführte aktion im sinne einer "propaganda der tat", für die ganz folgerichtig nach ihrer logik plausible angrifssziele, nämlich primär die als "kulturmarxistisch" identifizierte sozialdemokratische partei in norwegen, ausgewählt wurde.

ist es also auch insgesamt betrachtet wahnsinn, so hat es doch methode. der täter sah sich aus seiner perspektive letztlich "genötigt", zur entsetzlichen tat zu schreiten - der satz "es muss getan werden" taucht sinngemäß oft in dem kontext auf und erinnert daran, dass ausgefeilte ideologische konstrukte für das innenleben ihrer träger oft genug einen steigenden touch ins objektivistische produzieren können bzw. bereits ausdruck dieses letzteren sind. und das ist dann die basis für dieses quasi-soziopathische, was ich weiter oben beschrieben habe. der wahn dieses mannes (und vieler anderer) ist also durchaus als klinisch relevant zu begreifen, kann jedoch wie üblich in solchen fällen von der orthodoxen psychiatrie nicht als solcher erkannt werden - zu den gründen dafür gab´s ebenfalls ein früheren beiträgen schon einiges zu lesen.

insgesamt werden wir aber jetzt bei weiterem bekanntwerden der skizzierten hintergründe ein spektakel von vernebelung, desinformation und spurenverwischung erleben, welches in grundzügen schon an vielen stellen eingesetzt hat - der "irre amoklaufende einzeltäter" mit seiner "wirren gedankenwelt" hat eben viel zu viele bezugspunkte zu einigen starken europäischen " rechten politischen" (real: paranoiden und objektivistischen) strömungen, die sich bis in elitäre kreise wachsender aufmerksamkeit erfreuen, als das ein derartiges massaker die zukünftigen projekte der "rechtspopulisten" imagemässig nachhaltig beflecken darf. in diesem fall müssen sie sich allerdings ausnahmsweise einmal wirklich anstrengen.

Freitag, 10. Juni 2011

assoziation: anti-terraforming?

mit diesem begriff werden wahrscheinlich direkt nur an sci fi interessierte etwas anfangen können:

"Terraforming ist die gedachte Umformung anderer Planeten in bewohnbare erdähnliche Himmelskörper mittels zukünftiger Techniken. Fremde Planeten sollen so umgestaltet werden, dass darauf menschliches Leben mit geringem oder ohne zusätzlichen technischen Aufwand möglich wird." (...)

den gedanken, dass das auch andersherum geht - eben negatives oder anti-terraforming - , hatte ich in der vergangenheit schon öfter. und er kommt jedesmal wieder beim anblick von meldungen wie bspw.
solchen...

"The Coast Guard is investigating a fisherman's report of an apparent oil spill "several miles" long near Venice, Louisiana, a Coast Guard spokesman said Wednesday." (...)

(ach ja...
"und täglich grüßt der ölteppich"- die reports und meldungen von ölunfällen und - austritten nicht nur im golf zusammengenommen, würden bände über bände füllen. das meiste kriegen wir, wie üblich, erst gar nicht mit.)

*

...oder auch
solchen...

(...) "Nun wurde auch in grünem Tee in Japans größter Teeanbau-Provinz Shizuoka erhöhte radioaktive Strahlung gemessen." (...)

...und
solchen:

"Bei Bodenproben im japanischen Katastrophengebiet sind nun auch Spuren von radioaktivem Strontium entdeckt worden. Der gefährliche Stoff sei an elf verschiedenen Standorten in der Provinz Fukushima gefunden worden" (...)

(aber, wie wir ja alle wissen oder zumindest ahnen können - kein grund zur beunruhigung):

(...) "Nach Aussagen der Atomaufsichtsbehörde sei es aber unwahrscheinlich, dass das Strontium eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellt, meldete die Nachrichtenagentur Kyodo.

Wissenschafter sprechen bei Strontium auch von einem «Knochenkiller». Es schädige das Knochenmark und könne Leukämie (Blutkrebs) auslösen." (...)


doch doch, die zitierte aussage ist durchaus richtig - eine unmittelbare gefahr ist tatsächlich unwahrscheinlich... ob man bei wettbüros auch auf die krebsraten in japan innerhalb der nächsten jahrzehnte setzen kann? bis dahin warten wir dann mal ab, ob und wohin sich die inzwischen auch "amtlich besiegelten" drei kernschmelzen durch den boden fressen. wenn´s eines nicht allzu fernen tages meldungen über eine rätselhafte explosion oder verpuffung dort geben sollte, wäre das dann auch geklärt :-( - derweil plutonium auch schon ausserhalb des reaktorgeländes im boden gefunden wurde. im boden einer mittleren großstadt, wohlgemerkt.

*

auch
regenwälder sind beim anti-terraforming eine aufgabe:

(...) "Das Ausmaß der schleichenden Katastrophe lässt sich mit Zahlen verdeutlichen: zum Beispiel der, dass Indonesien zwischen 1990 und 2006 ein Viertel seiner gesamten Waldfläche verloren hat. Das Land hat bei der Entwaldung im Vergleich zu den Staaten Südamerikas gewaltig aufgeholt - zwischen 2000 und 2005 wurde dort schneller abgeholzt als sonst irgendwo auf dem Planeten. Das Äquivalent von 300 Fußballfeldern voll Wald verschwindet laut Greenpeace stündlich auf Nimmerwiedersehen. Die anderen großen Waldvernichter auf dem Planeten sind Brasilien und mehrere zentralafrikanische Staaten." (...)

dazu gehören natürlich auch die fragen, warum und von wem in wessem interesse geholzt und gebrandrodet wird? der artikel dreht sich übrigens eigentlich um ein anderes hauptthema, nämlich das, was so in der
planetaren atmosphäre vor sich geht:

(...) "Der weltweite Kohlendioxid-Ausstoß ist im Jahr 2010 um insgesamt 1,6 Gigatonnen angestiegen. Das berichtet die Internationale Energieagentur IEA in einer am Montag veröffentlichten Bilanz. Der für das vergangene Jahr verzeichnete Emissionsanstieg sei der höchste seit Beginn der Messungen. Insgesamt betrug die CO2-Emission 2010 weltweit 30,6 Gigatonnen." (...)

das im weiteren verlauf der sprecher der iea das "schlechte image" der atomkraft beklagt, dürfte als weiterer treppenwitz der weltgeschichte anzusehen sein. aber das kommt dann u.a. dabei raus, wenn man ökonomisches wachstum als fetisch und letztlich als einzigen "lebenssinn" betrachtet.

*



*

"wachsen" tut vor allem eines:
der müll:

(...) "Die Menge des Kunststoffs, der in den vergangenen 100 Jahren produziert wurde, würde reichen, um den gesamten Erdball sechsmal einzupacken. (...)

"80 Prozent des Kunststoffmülls gelangen über Flüsse oder gleich direkt in die Ozeane. Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) treiben bis zu 46.000 Plastikteile in jedem Quadratkilometer der Weltozeane." In den Weltmeeren ist heute sechs Mal mehr Plastikmüll zu finden als Plankton.

"Zwischen Hawaii und dem amerikanischen Festland treibt eine Plastikinsel so groß wie Mitteleuropa, die drei Millionen Tonnen wiegt", informiert Christian Pladerer, Vorstandsmitglied des Österreichischen Ökologie Instituts. Fische und andere Meerestiere halten die Teilchen mit einem Durchschnittsgewicht von 1,8 Milligramm für Plankton und fressen sie. Die Folge: Das Plastik verstopft die Mägen der Tiere. So ist es nicht mehr weit, bis der Plastikmüll schlussendlich auf die Teller gelangt." (...)


wie ein boomerang, schrieb ich neulich in bezug auf die folgen der massentierhaltung. aber es sind eine ganze menge boomerangs unterwegs.

*

was für eine art wesen könnte sich nun in einem ökologischen milieu heimisch, gar gut aufgehoben fühlen, in dem im boden, dem wasser und in der atmosphäre jede menge kohlenwasserstoffe (sowie daraus verarbeitete produkte) und radioaktive isotope unterschiedlichster halbwertszeiten herumwabern, die sich dazu an diversen hot spots ballen? in den böden dazu schwermetalle? erhöhte raten von co2 und methan in der atmosphäre? ein erwärmtes klima? weniger verfügbares wasser in den landregionen, dafür mehr steppen und wüsten? pestizide sowie eine unüberschaubare vielzahl synthetischer chemischer verbindungen? ebenso synthetisch erzeugte elektromagnetische strahlung verschiedener frequenzen?

ich fürchte, wir sind´s nicht.

Donnerstag, 2. Juni 2011

assoziation: nachdenken über EHEC [6. update am 10.06.*]

(...) "Die behandelnden Ärzte sprechen derweil von zunehmenden neurologischen Symptomen bei den HUS-Patienten. "Wir haben Patienten, die überhaupt keinen Durchfall haben, aber schwere neurologische Symptome", sagte der Direktor der Nephrologie am Kieler Uniklinikum, Professor Ulrich Kunzendorf. Andere Ärzte sprachen von "völlig abgedrehten Patienten".

Der Gastroenterologe Professor Stefan Schreiber von der Uni Kiel sprach von einer "Situation medizinischer Hilflosigkeit". Die jetzige Welle sei vergleichbar mit anderen großen Seuchen, etwa der Pest." (...)


("Ärztezeitung")

*

nein, ich habe durchaus nicht vor, die gegenwärtigen ereignisse in südeuropa, japan/fukushima oder auch in nordafrika und arabien zu ignorieren. allerdings merke ich in den letzten tagen, dass mich das treiben jener e. coli-bakterien dann doch aus verschiedenen gründen immer mal wieder ausgiebig beschäftigt. aus mehreren gründen: einmal, weil ich selbst in einer stadt (noch) am rande jener zone lebe, in der - aus guten gründen, später mehr - eine oder mehrere aktive quellen der infektion zu suchen sein dürften. zweitens, weil sich auch in den hiesigen krankenhäusern inzwischen die intensivstationen beängstigend schnell füllen. drittens habe ich während meiner beruflichen ausbildung auch mit interesse am bereich epidemiologie geschnuppert - das liegt zwar schon ein paar jährchen zurück, aber momentan kommen immer wieder erinnerungen an ein paar grundlagen hoch. und schon damals rührte mein interesse auch davon her, dass epidemiologen in vielen fällen nicht sehr viel anders als kriminalisten an den ausbruch einer krankheit herangehen (müssen) - mögliche kausalketten aufrollen, ereignisse rückverfolgen, situationen rekonstruieren, plausibilitäten abschätzen, stück für stück geschehnisse bewerten und entweder ausschließen oder aber als basis für weitere ermittlungen nutzen.

und viertens lebe ich seit jahrzehnten (lakto-)vegetarisch, und esse eigentlich sehr gerne frischen gurkensalat - natürlich "bio", mit gewaschener schale, in hauchfeine scheiben gerieben, mit gutem olivenöl, echtem balsamico, kräutersalz, pfeffer und viel (am besten frischem) dill.

dieses schöne bild wurde nun in den letzten wochen von ganz anderen szenen überlagert, was mich persönlich nicht nur ärgert, sondern auch motiviert, jetzt hier meine ebenso persönlichen gedanken dazu loszuwerden. was ich hinsichtlich der bisher bekannten fakten so schreibe, werde ich nicht in jedem fall mit links unterlegen, weil das einfach zu viele werden würden. aber ich konnte jede der folgenden infos über das netz soweit nachprüfen und -vollziehen, das ich das mit gutem gewissen so schreiben kann wie ich´s schreibe.

1. kurz und knapp - der erreger

escherichia coli ist ein eigentlich
bestens bekanntes bakterium, welches in seinen gutartigen formen - und am richtigen platz - für unsere existenz durchaus positive aspekte aufweist. ausserhalb des darmes und in seinen pathogenen formen jedoch kann es sehr schnell zu unschönen bis schwer bedrohlichen zuständen führen. und während es bisher immer hieß, dass der aktuell verantwortliche ehec-strang aus der e. coli-familie schon lange bekannt sei, aber bisher niemals auffällig - schon gar nicht so verbreitet und vor allem so aggressiv - geworden ist, kamen vor ein paar stunden weitere informationen an die öffentlichkeit:

(...) "Die vorläufige genetische Untersuchungen hätten ergeben, dass der Stamm eine mutierte Form aus zwei E.-coli-Bakterien ist, sagte die WHO-Expertin für Lebensmittelsicherheit, Hilde Kruse. Weiter sagte sie, ein solcher Stamm sei noch nie bei Patienten isoliert worden. Der neue Stamm weise Merkmale auf, die ihn mehr Giftstoffe produzieren ließen." (...)

das dürfte nun weiteres wasser auf die mühlen jener stimmen darstellen, die in den letzten tagen immer deutlicher vernehmbar an vielen stellen im netz das wort "biowaffenanschlag" vor sich hinmurmeln. ich sehe dafür weit und breit bisher bei dem, was so an informationen kursiert, keine wirklich überzeugenden indizien und betrachte die entsprechende meinung als reines konstrukt, welches allerdings durch eine durchaus mangelhafte informationspolitik seitens der verantwortlichen behörden gefördert wird.

aber noch mal zum erreger, dessen bisher sichtbare eigenarten durchaus beunruhigend sind:
  • resistent gegen die allermeisten antibiotika
  • tatsächlich sehr toxisch - die produzierten gifte können das darmgewebe derart angreifen, dass bereits bei einigen betroffenen teile des darms herausoperiert werden mussten. ebenfalls wurde von schweren entzündungen des gesamten magen-darm-traktes berichtet
  • die zahl derjenigen, die schwere nierenkomplikationen (HUS) im gefolge der zerstörung von roten blutkörperchen entwickeln, ist überproportional hoch
  • diejenigen antibiotika, die noch wirkung zeigen, führen als reaktion bei den bakterien offensichtlich zu einem nochmals erhöhten ausstoß an toxinen
  • ebenfalls ziemlich rätselhaft sind die meines wissens so noch nie bei einem ehec-ausbruch beobachteten neurologischen ausfälle, die von epileptischen anfällen über halluzinationen und sprachverluste bis hin zu kleinen schlaganfällen reichen können
  • sind bei früheren ausbrüchen vor allem überdurchschnittlich viele kinder betroffen gewesen, so reicht das spektrum aktuell von kindern bis sehr alten menschen, mit einer großen zahl von bisher "recht gesunden" (das ist bekanntlich interpretationssache) erwachsenen. dabei wiederum sind frauen stark vertreten (das ist ein interessantes und wichtiges indiz, wie ich finde)
  • es ist eine normalerweise für bakterien lächerlich geringe zahl an exemplaren - zwischen zehn und hundert - für eine infektion ausreichend
  • schmierinfektionen sind möglich, ebenso kann eine mensch-zu-mensch oder auch tier-zu-mensch-übertragung nicht ausgeschlossen werden (ist in der vergangenheit beides schon nachgewisen worden)
  • überraschenderweise fällt es mir aus was für gründen auch immer bisher schwer, ein klare antwort auf die frage nach der überlebensquote von ehec / e. coli außerhalb eines lebenden körpers zu finden. sporenbildung findet nicht statt, aber es gibt etliche hinweise darauf, dass ehec-erreger zumindest einige zeit auch außerhalb von ihren bevorzugten darmmilieus existieren können. vermutlich habe ich eine entsprechende klare ansage bisher nur nicht gefunden oder übersehen, wobei gerade eine solche für einige hypothesen über den ausbruch sehr wichtig wäre
  • und ja, ehec stammt mit sicherheit aus tierdärmen, bevorzugt rinderinnereien, aber auch aus denen von schafen und ziegen; schweine können den erreger zwar auch tragen, sind allerdings normalerweise zu vernachlässigen
  • inkubationszeit: zwischen zwei und zehn tagen
alles zusammengenommen ein wirklich unerfreuliches wesen, und mit einigen eigenschaften, die mich den verdacht äußern lassen, dass wir möglicherweise gerade den beginn von etwas erleben, was zumindest ich keinesfalls erleben möchte. das sei übrigens auch all jenen in stammbuch geschrieben, die - sicher mit einer gewissen berechtigung - auf tote durch autounfälle, rauchen, grippevieren, resistente krankenhauskeime etc. etc. hinweisen und fragen, warum in diesen fällen nicht vergleichbarer krach geschlagen wird. nun, damit werden bei mir einerseits offene türen eingerannt, andererseits betrachte ich persönlich ehec nicht als "einfache infektion, die mal halt immer wieder vorkommt", sondern in diesem fall als - wiedermal - von menschen selbst produziertes desaster, welches durchaus beängstigend werden kann bzw. zumindest das potenzial dafür hat.

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2. die norddeutschen hot spots - das elbe-weser-dreieck...

von anfang an war sehr klar, dass es einen oder mehrere regional deutlich eingrenzbare(n) infektionsherd(e) geben muss - immer noch sind sehr viele der infizierten, die aus anderen bundesländern oder auch dem europäischen ausland gemeldet werden, nachweislich vor dem ausbruch ihrer symptome in norddeutschland unterwegs gewesen. neben dieser tatsache verweist die zahl der bestätigten erkrankungen und verdachtsfälle im norden selbst auf diese besonderheit. es ist durchaus interessant, sich die bisherige verbreitung mal genauer zu betrachten.

auffällige cluster von fallzahlen werden aktuell aus folgenden gebieten und städten gemeldet (Sie können gerne selbst nachrecherchieren; "ehec" und stadtname reicht): hamburg natürlich, region und stadt cuxhaven, die kleinstadt rotenburg/wümme, harburg (kurz westlich vor hamburg), lüneburg. jetzt schauen wir mal auf die folgende karte:

elbeweserdreieck

(für die süddeutschen leserInnen: das "elbe-weser-dreieck" ist analog zum "weser-ems-gebiet" ein gebräuchlicher begriff). das "dreieck" wird markiert durch cuxhaven im norden, sowie bremen und hamburg im westen und osten. südöstlich schließt sich die lüneburger heide an, incl. lüneburg (auf der karte ganz unten im südosten).

die ganze gegend ist sehr ländlich geprägt; kleinstädte und dörfer wechseln sich ab. an der küste spielt natürlich der tourismus eine gewisse rolle; ebenso ist das alte land am westlichen elbufer (rund um stade) ein überregional bekannter begriff für ein traditionelles obstanbaugebiet.

zu dem, was sich östlich der elbe abspielt, komme ich gleich. zunächst ein blick nach westen, über die weser: hier werden bisher nur vereinzelte fälle von infektionen gemeldet; der landkreis wesermarsch (etwa nordwestlich von bremen hoch an der weser entlang bis an die küste) hatte bis gestern zwei bestätigte fälle; der sich südlich bzw. südwestlich daran anschließende landkreis oldenburg nur einen. weitere einzelfälle wurden bspw. aus kirchweyhe (bei bremen) sowie diepholz (schon eine ganze ecke weiter südlich von bremen) gemeldet. worauf ich hinauswill: bisher ist das kein vergleich mit dem geschehen östlich der weser. was ein epidemiologisch nicht ganz unwichtiger faktor sein dürfte. die krankenhäuser in bremen und bremerhaven sind übrigens z.zt. hauptsächlich voll mit infizierten aus dem elbe-weser-dreieck - ähnliches gilt auch für hamburg, wo gleichzeitig viele betroffene aus schleswig-holstein versorgt werden. das ist auch das nächste stichwort

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3. ... und schleswig-holstein

es gibt
hier auf einer offiziellen seite einen link zu einem pdf, welches die aktuelle ehec-verteilung im land zeigt. deutlich erkennbar sind die cluster östlich / nordöstlich rund um hamburg in den kreisen pinneberg und storman, aber auch kiel und lübeck an der ostseeküste sowie der bereich rund um flensburg an der dänischen grenze weisen auffällig erhöhte zahlen auf.

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4. (un-)wahrscheinlichkeiten

wenn ich mal das gedankenexperiment veranstalte, selbst auf basis der öffentlich verfügbaren informationen auf epidemiologische spurensuche zu gehen, dann kommt dabei ungefähr das folgende heraus:

erstens: der erreger stammt bevorzugt aus dem verdauungstrakten von wiederkäuern wie rindern, schafen und ziegen. zweitens: die antibiotikaresistenzen weisen als allererstes auf eine mutation hin, die aus der industrialisierten massentierhaltung stammt. das ist für mich einfach eine wesentlich näherliegende erklärung als spekulationen über ominöse (womöglich gar noch "islamistische") laborpanschereien mit e. coli. drittens: wenn ich mir die betroffenen regionen betrachte, so sind kühe/rinder dort absolut keine seltenheit und müssen auch oft genug in massentierhaltung ihr dasein fristen. schafe sind in den küstenregionen besonders auf den deichen keine seltenheit, aber auch an deichen der grossen und kleineren flüsse der betroffenen regionen anzutreffen; ebenfalls durchstreifen vereinzelte schäfer mit ihren herden das hinterland, in der lüneburger heide auch mit heidschnucken. massentierhaltung ist bei ihnen regional aber meines wissen dort ebensowenig ein thema wie bei ziegen. was bedeutet, sich vorzugsweise auf rinder/kühe als ausgangspunkt zu konzentrieren (und gleichzeitig breitflächig präventiv einmal die frei laufenden schafe zu untersuchen).

viertens: der bisher enorme anteil von infizierten frauen weist meiner meinung nach deutlich auf kontaminierte lebensmittel hin; das lässt sich besonders in den ländlichen regionen damit begründen, dass hier frauen immer noch "traditionell" für den küchenbereich zuständig sind. der nachweislich mit ehec infizierte und alleine lebende, in seiner wohnung tot aufgefundene mann in hamburg dürfte aller wahrscheinlichkeit nach selbstversorger und sein eigener koch gewesen sein. fünftens: die bekannten fälle von nach ihrer durchreise erkrankten in anderen bundesländern / im ausland weisen auf ein oder mehrere lebensmittel hin, die sich auch in hotels, pensionen, restaurants, raststätten... finden lassen müssen und womöglich einen regionalen ursprung haben. sechstens: es ist unwahrscheinlich, dass es einen einzigen räumlichen und engbegrenzten hot spot im sinne wie bspw. hamburger großmarkt o.ä. gibt. großmärkte sind als umschlags- und handelsplätze auch für regionale produkte natürlich verdächtig, aber wenn ich mich mal spekulativ über das einkaufsverhalten älterer (infizierter) damen auch in kleineren norddeutschen städten weitab von hamburg äußern darf, so sind diese dann doch eher auf (wenn vorhanden) wochenmärkten sowie in kleinen lebensmittelläden / kleinsupermärkten anzutreffen. das hängt nicht zuletzt mit den ländlichen infrastrukturen zusammen. und die beinhalten auch direkte lieferungen von regionalen erzeugern.

siebentens: und gerade diese älteren frauen schließen auch ursächlich eher aus, dass sich eine originäre quelle für den erreger direkt in hamburg finden lässt. dieser gedanke liegt zunächst nahe, wenn man sich klarmacht, dass hamburg ein großes einzugsgebiet - sagen wir mal einen umkreis von ca. 200 km - für pendler hat, die täglich kommen und gehen, gerade aus den oben dargestellten cluster-regionen. aber alte damen pendeln bekanntlich eher nicht jeden tag in großstädte. achtens: die focussierung auf gemüse ist nicht nachvollziehbar, vor allem nicht, wenn laut aussagen von ärzten etliche infizierte in den fraglichen zeiträumen bspw. gar keine gurken gegessen haben. ebenfalls sind bisher alle untersuchungen von regionalem gemüse in norddeutschland auf ehec ohne befund. tatsächlich essen jüngere frauen wahrscheinlich mehr salat als männer, aber wiederum ist gerade auf dem land der konsum von fleisch (und assoziierten produkten) immer noch die norm. und es erscheint ebenfalls nicht nachvollziehbar, warum in diesem fall praktisch von anfang an fleisch und milchprodukte als mögliche quelle(n) von vorneherein faktisch ausgeschlossen wurden.

kurzes zwischenfazit: ich würde also bevorzugt etwas regional produziertes suchen, was entweder auf dem acker oder feld kontakt mit fäkalien von kühen/rindern gehabt haben kann, oder direkt ein tierisches erzeugnis darstellt, bei welchem die kontamination dann eigentlich nur aus nachlässigkeit oder bewusster und krimineller ignoranz stattfindet. erst, wenn dabei nach abschluß aller möglichen ermittlungen nichts herauskommt, würde ich transportwege und -mittel als weitere möglichkeit in betracht ziehen.

und dabei springt einen in allen betroffenen norddeutschen regionen ein mögliches oberthema geradezu an.

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5. aus scheiße gold machen - das (nicht nur norddeutsche) gülle-problem

das thema hätte eigentlich nicht nur einen eigenen artikel, sondern ein ganzes eigenes blog verdient. aber aufgrund des umfangs und der vielfältigen implikationen muss ich das stark straffen und verweise interessierte auf das selbst recherchieren. gülle ist selbst ohne einen möglichen bezug zu ehec ein ökologisches problem ersten ranges, und verweist gleichzeitig auf das unser verkorkstes verhältnis zur tierwelt.

es gibt noch ein weiteres "dreieck" hier im norden, welches allerdings nur inoffiziell mit seinem namen genannt wird - das "goldene gülle-dreieck" rund um cloppenburg und vechta im sog. oldenburgischen münsterland, im südwestlichen niedersachsen mit fließenden grenzen zum westfälischen. "golden" deshalb, weil die praxis der industrialisierten massentierhaltung - nicht nur schweine und in geringer zahl rinder, sondern auch geflügel - mit millionen von tieren in einem räumlich recht begrenzten gebiet nicht nur materiellen "wohlstand" für große teile der dortigen bevölkerung gebracht hat, sondern inzwischen auch die gesammelten und konzentrierten hinterlassenschaften
vergoldet werden:

(...) "Die Gegend ist flach und gepflegt: akkurat gepflasterte Dorfstraßen, saubere Fassaden. Die Felder nicht zu groß, gesäumt von Hainen, Sträuchern und Eichen. Dahinter stehen halb versteckt die Wahrzeichen der Region: langgezogene Baracken mit kleinen Fenstern und Kaminen. 39 Millionen Masthähnchen, Legehennen, Puten und Schweine leben darin. Jeder der 300.000 Einheimischen könnte 130 gefiederte und berüsselte Wesen um sich scharen; im bundesweiten Mittel kommen auf einen Bürger zwei sogenannte Nutztiere. Doch kaum jemand darf zu ihnen, selbst der Tierarzt nur im Notfall – groß ist die Angst vor Vogelgrippe und Schweinepest. (...)

Über 600.000 Kubikmeter überschüssigen Dünger pro Jahr karren „Güllebomber“ nun rund 100 Kilometer weit ins Umland. Edelhard Brinkmann, Geschäftsführer des Transportunternehmens Güllebank Weser-Ems, sagt, es müsste viel mehr exportiert werden. Weil niemand die Betriebe ordentlich kontrolliere, kippten sie mehr als erlaubt auf die eigenen Felder. So sparten sie Kosten. Die Spediteure werden von den abgebenden und den empfangenden Bauern bezahlt. Letztere freuen sich über die schwappende Fracht, seit die Preise für Kunstdünger steigen und sie die Fäkalien durch Schleppschläuche gezielt auftragen können. Dank dieser Technik stinkt es auch nicht mehr so bestialisch.

So wird aus Gülle Geld – umso mehr, seit sie sich gewinnbringend in Strom verwandeln lässt. Biogasanlangen sind das jüngste Glied in der agrartechnologischen Wertschöpfungskette. Drei große Hersteller haben sich hier angesiedelt und allein das Oldenburger Münsterland mit 100 Fermentern bestückt." (...)


die genannten "100 kilometer ins umland" reichen übrigens auch ins elbe-weser dreieck. in der region selbst sieht der alltag oft genug so aus, wie zufällig ausgewählte unfall- und polizeiberichte zeigen:
13.000 liter gülle nach traktorunfall ausgelaufen (2009); fahrer lässt über kilometer weit gülle auslaufen; abwässer einer tiermehlfabrik verschmutzen fluß (2011). wobei gerade letzteres in regionen mit hohem gülleaufkommen ein bundesweites problem darstellt und oft genug die ursache für kleinere und größere fischsterben ist (auch, wenn es in der letzten meldung nicht explizit um gülle geht - aber die industrialisierte tierhaltung und -verwertung produziert vielfältigste destruktive folgen).

aus schleswig-holstein kommt ein beitrag, der deutlich macht, dass auch dort die gülle schon längst ein problem darstellt und dazu einen möglichen bezug zum aktuellen ehec-ausbruch präsentiert - aus dem
januar 2011:

"Es stinkt zum Himmel. Immer mehr Bürger melden sich - teils anonym - beim NABU und haben nur eine Frage: Ist es erlaubt, dass Landwirte trotz gefrorenen Bodens und auch in der Nähe von Gewässern Gülle großflächig ausbringen? (...) Der Sachverhalt ist einfach geklärt, die Frage eindeutig zu beantworten. Nein - Gülle und gefrorener Boden passen auch rechtlich nicht zusammen.

Der seit Wochen andauernde Frost bringt Tiere haltende Landwirte mehr und mehr in Bedrängnis: Die bei der Haltung von Kühen und Schweinen anfallende Gülle darf nach der Düngeverordnung des Bundes zum Schutz der Gewässer bei gefrorenem Boden grundsätzlich nicht ausgebracht werden, um ein Ausschwemmen der das Wasser gefährdenden Inhaltsstoffe zu vermeiden. Doch die Güllebehälter der Landwirte sind nach dem frühen Winterbeginn jetzt vielfach randvoll. Selbst wenn die Temperaturen tagsüber ins Positive drehen, sind die Böden noch längst nicht aufgetaut, da manchmal in der Nacht weiterhin Bodenfrost zu erwarten ist. Zudem wurden bereits in den letzten Tagen mit starken Frösten größere Mengen Gülle ausgebracht." (...)


letzteres ist wie gesagt eigentlich - eigentlich - verboten. überhaupt: wann darf gülle wie auf welche felder? im konventionellen landbau wird nach aussagen von gemüsebauern gülle "höchstens" lange vor der aussaat zwecks nährstoffanreicherung auf die felder gebracht, und auch dann nur nach "gemessenem bedarf". auf wachsendes gemüse darf gülle überhaupt nicht ausgebracht werden, weil das u.a. den geschmack elementar und deutlich beeinflussen würde. im originären (also nicht die betriebe, die nur mit dem "eu-bio-siegel" hausieren gehen) bio-landbau hingegen dürfen tiere gar nicht unter umständen gehalten werden, die gülle überhaupt in nennenswerten mengen anfallen lassen (also in großer zahl und auf laufgittern, unter denen sich kanäle befinden, in denen alles, was von oben herunterfällt und -plätschert, gesammelt wird). hier wird lediglich mit mist gedüngt, und zwar auch niemals direkt auf gemüse, sondern auf brachliegende felder zur verbesserung der nährstoffsituation. wenn man davon ausgeht, dass hier auch der antibiotikaeinsatz entweder gar nicht oder aber nur in fällen von notwendiger veterinärmedizinischer indikation stattfindet, so ist es wahrscheinlich, dass derartige betriebe als originäre verursacher aus der verlosung sind.

für alle anderen gilt aber ein großes fragezeichen. bei den praktiken in der industrialisierten landwirtschaft, die voll der konkurrenz der globalisierung unterworfen ist, sind krankheiten bei mensch und tier nicht nur nichts besonderes, sondern sogar unausweichlich. nicht nur die ständig wiederkehrenden tierseuchen (trotz massivem antibiotikaeinsatz) bestätigen das, sondern bspw. auch ein artikel, der bereits 1999 unter der überschrift
Landluft macht krank u.a. festhielt:

(...) "Vor allem Kinder leiden unter den Emissionen der Massentierhaltung: Im "goldenen Gülledreieck" zwischen Cloppenburg und Vechta, der Region mit der größten Viehdichte Deutschlands, erkranken Kinder etwa doppelt so häufig an den Atemwegen wie in anderen Teilen des Bezirks Weser-Ems. Auch die Stadtkinder aus Hannover und Braunschweig leiden wesentlich seltener an Asthma und Allergien als ihre Altersgenossen vom Lande. (...)

Zwar sterben Bakterien außerhalb der feuchtwarmen Stallluft schnell ab. Ihre Toxine aber werden erst beim Zerfall der Mikroben frei und werden ebenso wie Viren, Pilze und deren Giftstoffe bis zu 50 Kilometer weit vom Wind getragen. Der Durchmesser dieser Partikel ist so winzig, dass sie - ähnlich wie Asbestfasern - bis in die kleinsten Lungenzipfel vordringen können." (...)


na, auch erst gestutzt beim letzten absatz? aber bitte keine schnellschüsse, es geht hier bakterien primär aus geflügelställen und nicht um ehec. nichtsdestotrotz machen diese dinge durchaus deutlich, dass uns wie soviele andere "zivilisatorische errungenschaften" die gesamte praxis der industrialisierten fabrikmässigen tierhaltung und landwirtschaft über kurz oder lang mächtig um die ohren fliegen wird - ehec könnte da nur eine besonders schrille und misstönende overtüre darstellen.

*

6. die mögliche verbindung - "biogas" aus gülle

zum letzten teil noch das: das ausbringen von gülle auf gefrorene oder auch wegen dürre ausgetrocknete böden hat zur folge, dass die bestandteile der gülle zwar eintrocknen, aber auf dem und nicht im boden. sie können daher auch nicht von den bodenbakterien verarbeitet werden (ein vorgang, der mögliche pathogene keime schon mal zu einem großen teil inaktiv macht), sondern bleiben trocken bis zur wachstumsphase an der oberfläche und geraten dann auch direkt mit pflanzenteilen in kontakt. und sollte es dazu noch auf diesen ausgetrockneten böden mal stürmen, wird die ganze pracht mit allen möglichen resistenten sporen oder sonstwie geschützten erregern als feinstaub in der luft verteilt. mit ein wenig phantasie ist ein solches geschehen auch im aktuellen fall denkbar.

aber zurück zum biogas: wenn man sich einmal betrachtet, wie so ein
fermentierer arbeitet, dann wird deutlich, dass sich kaum ein prachtvollerer brutreaktor auch für pathogene keime vorstellen lässt. gülle von diversen arten kommt mit pflanzlichen resten zusammen, wird ordentlich durchmixt und gärt zwischen 30° und 37° grad vor sich hin - ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es in diesem bakteriellen paradies erstens nicht zu allerlei spontanen mutationen kommt, die zweitens auch bei der vielzahl an tierischen fäkalien mit den vorhandenen antibiotikaresten auf ihre weise fertigwerden - nämlich resistent werden. wenn das material sozusagen fertig "verbrannt" ist, werden die festen - und weitgehend geruchsfreien - reste ebenfalls als begehrter dünger verwendet. incl. aller vorhandenen bakteriellen sporen und aktiven kulturen.

ich würde also ebenfalls mal genauer betrachten, ob und aus welchen biogasanlagen so ca. im letzten halben jahr verbreitet dünger ins elbe-weser-dreieck und nach schleswig-holstein geliefert worden ist. nur mal so als persönliche idee.

*

7. zum schluß noch ein kurzes wort nach spanien

liebe spanische produzenten, erstens sind die bedingungen, unter denen in der region
almeria produziert wird, in so ziemlich jeder hinsicht ein einziger großer skandal. zweitens haben ehec-bakterien auf gurken auch dann nichts verloren, wenn sie nicht zur offensichtlich spezifischen norddeutschen mutation klassifiziert werden können. und drittens ist die idee schlicht wahnsinnig und kriminell, bei dürre und wassermangel euer gemüse einfach mit abwässern zu versorgen. eure beschwerden sind deshalb ein höchst schlechter witz. vielen dank.

(*hinweis: aufgrund der bereits vorhandenen länge dieses beitrags packe ich updates in die kommentarsektion. bisherige updates: 1. 03.06.; 2. + 3. 05.06.; 4. 06.06.; 5. 08.06.; 6. 10.06.)

Dienstag, 24. Mai 2011

assoziation: wachsende widersprüche - wachsende wut ? [update am 25.05.]

(...) "Die Welt muss sich auf weitere Atomkatastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima einstellen, hat UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon gestern gemahnt. Diese düstere Wahrheit verlange weitere Verbesserungen bei der internationalen Zusammenarbeit, sagte Ban in Kiew anlässlich einer Konferenz zum bevorstehenden 25. Jahrestag des Reaktorunglücks von Tschernobyl.

Die stärkere Nutzung der Kernenergie ist nach Bans Darstellung unausweichlich. Atomenergie «ist eine relativ saubere und logische Wahl in einer Ära zunehmender Rohstoffknappheit», sagte Ban. «Die bedauernswerte Wahrheit ist, dass wir wahrscheinlich weitere Katastrophen erleben werden.» (...)


(quelle)

(...) "Seit mehreren Monaten ist die Welt einer ständigen Abfolge geopolitischer, wirtschaftlicher und finanzieller Schocks ausgesetzt, die nach unserer Auffassung Vorzeichen für ein Ereignis von traumatischer Folge sind. (...) Das internationale System hat nunmehr die Phase seiner strukturellen Schwächung hinter sich gelassen und ist (...) in die Phase seines Zerfalls eingetreten, in der die alten Koalitionen sich auflösen, während neue Interessengemeinschaften sich rasch bilden. (...)

Zentralbanker dem Wahnsinn verfallen, die großen Regierungen ohne Vision und Plan, Volkswirtschaften in Rezession oder gar Depression, steigende Inflation, Währungszusammenbrüche, volatile Rohstoffpreise, westliche Staatsschulden außer Kontrolle, Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe, Gesellschaften vor sozialen Zerreißproben... Es kann keinen Zweifel geben: Die explosive Verschmelzung all dieser Trends wird das entscheidende Ereignis des zweiten Halbjahrs 2011 sein!"

(aus dem aktuellen
geab 55)

"It´s a beautiful day, sunshine... smiling on my face... it´s a beautiful day and i´m feeling good...sunshine...let the sunshine in...let the sunshine in...let the sunshine in."



*

das erste zitat ganz oben ist nun schon ein paar wochen alt, und offensichtlich kaum öffentlich wahrgenommen worden. im zusammenhang mit den jüngsten entwicklungen nicht nur in japan, sondern auch in den nuklearen anlagen anderer länder, lässt sich das nur noch als ausdruck einer unfaßbaren frechheit und hochgradig antisozialer gesinnung betrachten, ebenso allerdings als beleg eines bewußtseins, welches sich in einer totalen wahrnehmungsmässigen sackgasse befindet und sich nichts anderes mehr als den bestehenden dreckhaufen als lebensraum und -weise vorzustellen vermag.

das zweite zitat stammt aus dem aktuellen geab, das vergangene woche veröffentlicht wurde. die autoren bekräftigen nochmals ihre sicht der dinge, wie sie sie zum
jahresbeginn umschrieben haben. wenn ich mir diesen beitrag heute nochmals betrachte, mit den damals gerade ersten wahrnehmbaren eruptionen der afrikanischen und arabischen aufstände, so kommt mir das schon bizarr fern vor - die ereignisdichte seitdem hat ein fast unerträgliches maß erreicht.

und bei all dem empfinde ich es von tag zu tag schwieriger, ins alltagsleben abzutauchen. vieles allzu gewohnte erscheint inzwischen regelrecht obszön; die ganze bisherige art des lebens in einer westlichen metropole ist bei genauerer betrachtung derart fragwürdig, dass ich mich schon geraumer zeit mit wachsenden inneren konflikten herumschlage.

die werden nicht zuletzt auch durch den ständig stärker werdenden eindruck genährt, dass sich nicht nur die hiesige gesellschaft rasend schnell auf zustände zu bewegt, die heute noch unfaßbare und tiefgreifende veränderungen bis in die sog. allerpersönlichsten bereiche mit sich bringen werden. die frage ist nicht mehr ob, sondern nur noch: wann?

*

und die allseits sichtbaren zeichen dafür verstellen mittlerweile in alle richtungen den horizont: sei es das inzwischen zu einem medialem lückenfüller degradierte
atomare desaster in japan, bei dem inzwischen alleine bei betroffenen menschen das ganze ausmaß langsam erkennbar wird (es geht im bericht um tausende von arbeitern, die in den letzten monaten in und um fukushima herum aktiv waren und bei denen jetzt eine stark erhöhte innerliche strahlenbelastung nachgewiesen wurde, d.h. die haben radionuklide entweder eingeatmet oder sonstwie aufgenommen, was besonders bei alphastrahlern eine wirklich üble geschichte darstellt.) die ganzen lügen, schönfärbereien und simulationen der japanischen und globalen atombranchemafia, aber auch der japanischen regierung sowie internationaler institutionen wie der iaea und der who werden zukünftig noch ganze generationen von historikern beschäftigen, die nicht zuletzt aus diesem material den zusammenbruch der blase namens "westliche industriezivilisation" rekonstruieren werden können - falls sie nicht nur mit ihrem eigenen bloßen überleben beschäftigt sind.

*

oder sei es die nicht mehr abreißende kette von (kleinen und großen) protesten, demonstrationen und aufstandsähnlichen situationen bis hin zu laufenden revolutionären umwälzungen auf inzwischen faktisch allen kontinenten (nehmen wir die antarktis mal aus), die für unsere hypothetischen historiker ein weiteres und inzwischen nur noch schwer überschaubares reservoir an material ergibt. entgegen allem geschwätz, welches sich vor allem hierzulande hartnäckig hält: die seit 2008 offen sichtbare globale finanz- und wirtschaftskrise ist in vielen regionen dieser welt niemals wirklich zuende gegangen, manifestiert sich jedoch in teils sehr unterschiedlichen formen und zuständen. es deutet aktuell sehr viel darauf hin, dass wir in kürze diesbezgl. in eine weitere und umfassendere phase dieser krise eintreten, deren verwobenheit mit grundsätzlichen ressourcen-, energie- und ökologischen krisen keinerlei auswege mehr innerhalb der herrschenden systemlogik zulässt. und da spielen aus meiner sicht nicht nur die vielfach und zu recht kritisierten inneren logiken des kapitalismus eine rolle, sondern auch damit assoziierte, aber teils ältere und tieferliegende wahrnehmungsmuster innerhalb der westlichen kulturellen traditionen. letztlich dürfte die gesamte bisherige art der westlich geprägten ego-formen zur disposition stehen.


*


von permanenten katastrophen:

(...) "Bei der "Deepwater Horizon" strömte das Öl schon 153 Tage lang weitgehend ungehindert ins Meer. Es war eine Katastrophe neuen Typs, für die es eigentlich auch ein neues Wort geben müsste, handelte es sich doch um eine Katastrophe in Permanenz. Die Betreiberfirma des havarierten japanischen Atomkraftwerks in Fukushima hat unterdessen verkündet, das "Problem" in sechs bis sieben Monaten lösen zu wollen. Die permanenten Katastrophen beginnen also bereits, sich gegenseitig zu überlagern - und uns zu langweilen. Das ist die Signatur unserer Zeit, eine schleichende Eingewöhnung ins Unausweichliche. (...)

Fest steht nur, dass wir jetzt unseren sanften Abstieg ins Tal einer ölfreien Zivilisation beginnen müssen - oder weitermachen wie bisher und uns alsbald am Rande einer sehr, sehr, sehr hohen Klippe wiederfinden werden. Spätestens an dieser Stelle drängt sich regelmäßig die rührende Frage auf: "Was muss noch passieren, damit wir umdenken?" Es wird noch viel mehr passieren, und wir werden nicht umdenken. Weil wir die Faust nicht öffnen, vom Errungenen unmöglich lassen können.

Man muss kein Apokalyptiker sein, keine Kassandra und auch kein Al Gore, um das einzusehen. Und doch wiegen wir uns in dem sehr menschlichen Fortschrittsglauben, dass es "irgendwie" doch noch eine angenehme Lösung geben wird, einen alternativen Sockel für unsere Zivilisation. Es wird wahrscheinlich wirklich etwas geben, das man eine "Lösung" nennen könnte. Nur wird sie uns womöglich nicht angenehm sein, weil sie, um eine Lösung zu sein, das Ende der Zivilisation bedeuten muss, wie wir sie kennen." (...)


wieder mal ein (auch schon ein paar monate alter) kommentar sehr grundsätzlicher art in der "taz", den ich in seinem fazit voll unterschreibe. ich möchte nicht falsch verstanden werden: wenn ich hier sowohl den aktuellen europäischen protesten als auch den arabisch-afrikanischen aufständen hier deutlich sympathisierend raum gebe, dann deshalb, weil ich sie erstens bitter nötig und völlig legitim finde, sie aber zweitens ebenfalls nur als beginn eines langen und bisher weitgehend unbekannten weges in regionen jenseits aller bisherigen systemlogiken betrachte. es wird in spanien, in griechenland und überall sonst genügend menschen geben, die primär ihre partizipation an dem ihnen von kindheit an als "alternativlos" und "allein glücklich machendes" modell von konsum, karriere und "erfolg" einfordern. die dämmernde erkenntnis, dass dieses "lebens"modell nicht nur wegen seiner inneren hohlheit, vielfältigen destruktivität und letztlich expliziten sinnlosigkeit nicht nur nicht zum glück führt, sondern auch schlicht nicht planetenweit umsetzbar ist (über die vielfältigen gründe für diese unmöglichkeit gab es in der vergangenheit schon einiges zu lesen) und auch deshalb aus emanzipatorischer sicht völlig unakzeptabel ist, wird in naher zukunft ganze gesellschaften zusätzlich in große und gefährliche turbulenzen versetzen. trotzdem sind die derzeitigen proteste bitter nötig, ist doch die darin entfesselte kommunikation zwischen sehr vielen menschen über ihre situation der erste schritt dazu, die unausweichlichen massiven veränderungen einigermaßen in einem rahmen zu halten, der als emotional-rational bezeichnet werden könnte. eine garantie darauf gibt es nicht, aber das stellt aus meiner sicht schon mal eine nötige basis dar.




*

updates zur aktuellen protestlage in europa: in spanien bleiben auch weiterhin nach den "wahlen" in vielen städten die zentralen plätze besetzt, so in madrid, barcelona, valencia... mit der option, die dort bisher entwickelten formen einer rudimentären selbstverwaltung auch in die stadtviertel zu tragen. das kann eine sehr spannende geschichte werden, deren brisanz womöglich seitens der "eliten" noch unterschätzt wird. verschiedene berichte zur entwicklung dort:
eins; zwei. mrs.mop berichtet in ihren roten schuhen inzwischen ausführlich über diverseste aspekte der "spanish revolution" und hat letzte woche eine art zusammengefasster grundsatzerklärung der bewegung veröffentlicht, die sowohl grenzen als auch möglichkeiten deutlich macht. erstaunlich daran finde ich die geduld, die diesem system selbst im zugespitzten und von vielen persönlich erlebtem verfall noch entgegengebracht wird - noch.

die gewerkschaften dort sind alle von der dynamik überrascht und -rannt worden, das gilt auch für die in spanien historisch schon immer besonders starke fraktion der anarchosyndikalisten. die cnt hat sich inzwischen eindeutig
positioniert.

eine art "twitter-portal" bietet einen überblick zu den aktuellen weltweiten
solidaritätscamps und -aktionen, die oft, aber nicht nur, von spanischen studentInnen initiiert worden sind.

italien: seit vergangenen freitag kommt es tatsächlich in vielen städten jeden tag zu kleinen und größeren aktionen, incl. camps. die beteiligung reicht dabei bisher von einigen dutzend bis zu einigen hundert leuten; ein italienisches
blog berichtet seit freitag jeden tag zusammenfassend über die situation, und auch wer wie ich kein italienisch spricht, kann sich anhand von fotos und videos einen eindruck verschaffen.

griechenland: hier scheint sich - fast erwartungsgemäß, könnte ich sagen - die spanische bewegung besonderer aufmerksamkeit und sympathie zu erfreuen.
bericht aus athen vom vergangenen wochenende. ansonsten war in den letzten tagen auffällig, dass erstmals auch im medialen mainstream die sich seit monaten in griechenland ausbreitenden aktionen von "zivilem ungehorsam" bis hin zur (versteckten) sabotage staatlicher maßnahmen erwähnung finden.

die fülle an vielen ähnlichen aktionen europaweit - hier bspw. in
bristol - ist wie schon gesagt kaum noch zu überblicken und wird von anderen seiten besser und ausführlicher dokumentiert, als ich es hier vermag. für einen ersten eindruck sei einmal mehr auf twitter verwiesen, die entsprechenden hashtags hatte ich im vorletzten beitrag schon vorgestellt.



*

soweit für heute - ich werde bis in die nächste woche aus vielen gründen kaum dazu kommen, hier etwas längeres zu schreiben. das finde ich durchaus ganz persönlich bedauerlich, weil die zeiten gleichzeitig spannend, aber auch in vielerlei hinsicht schrecklich sind, was das schreiben gleichsam oft genug zu einem therapeutischen akt werden lässt. aber ich kann die umstände gerade nicht ändern.

wer sich über die musik wundert, findet
hier auf- bzw. erklärungen. und den immer noch nicht aktualisierten index habe ich nicht vergessen; das wird aber vermutlich ein projekt für einen langen verregneten sommernachmittag.

*

edit am 25.05.: ganz frisch und medial zumindest im deutschsprachigen raum bisher kaum vorhanden: in
griechenland wurde heute abend das erste mal deutlich spürbar der ruf aus spanien aufgenommen:

(...) "Das Motto lautete: „Ohne Parteien und Ideologien verkünden wir friedlich unsere Empörung.“ Als Replik auf den spanischen Slogan „Pssst, die Griechen schlafen“ prangte auf einem Transparent in Athen: „Wir sind wach geworden“.

Allein in der griechischen Hauptstadt strömten nach Schätzungen von Medien rund 8000 Menschen zum zentralen Syntagma-Platz vor dem Parlament. Richtung Volksvertretung skandierten sie Parolen wie „Diebe, Diebe“. Auch in den Hafenstädten Thessaloniki und Patras sowie auf Kreta und der Halbinsel Peloponnes gingen tausende Menschen auf die Straße, berichtete das Staatsradio weiter." (...)


nach den ersten vagen berichten unterscheidet sich das heute in mehrerer hinsicht deutlich von den bisherigen protesten in griechenland: gewerkschaften, die relativ starke griechische kommunistische partei und auch offensichtlich die dort ebenfalls starke autonom-anarchistische linke sind anscheinend nicht der motor. und entgegen der aussage im artikel besteht nach anderen informationen die absicht, es in sachen dauerpräsenz in öffentlichen räumen der spanischen bewegung gleich zu tun. damit ist griechenland jedenfalls das erste land, in dem die spanischen aktionen deutlich merkbare resonanz bekommen. italien, portugal und inzwischen auch frankreich befinden sich hingegen nach dem, was ich so mitbekomme, noch in etwas, was sich als mögliche phase vor dem durchbruch zu einer fühlbaren massenbewegung nach dem spanischen muster interpretieren lässt. ich mag keine prognose abgeben, wie´s in all diesen ländern demnächst weitergeht - reine episode oder tatsächlich die zündfunken für einen europäischen flächenbrand?

Donnerstag, 19. Mai 2011

assoziation: die stimme der menschlichen welt ist weiblich und spricht aus mexico

wie lautete noch die parole eines plakates aus der ägyptischen (unvollendeten) revolution? one world, one pain.



(und wer jetzt damit ankommt, dass es ja hier längst nicht so schlimm aussehen würde, hat einiges wichtige nicht begriffen...)

Dienstag, 17. Mai 2011

assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (10) [3. update am 18.05.]

weil´s dringlich ist, um einmal mehr ein allgemeines mediales schweigen zu brechen.

wenn Sie mal in den deutschsprachigen google news unter "spanien" recherchieren, kommt zur stunde
das dabei heraus - lauter meldungen über handball, fussball, formel eins, doping - und zwischendrin ein paar jubelartikel über boomende spanische aktien und überhaupt die "wirtschaftliche stärke" des landes.

macht man die gleiche recherche noch ergänzt um das keyword "demonstration", so kommt
das hier zum vorschein - immerhin sieben artikel beschäftigen sich mit den ereignissen, die seit ca. zwei tagen in spanien eskalieren. vielleicht bis auf (mit einschränkungen) die "taz" und "euronews" ist dabei kein einziges medium zu sehen, welches hierzulande wirklich eine größere verbreitung besitzt.

zufall oder absicht?

*


"Wir haben keine Zukunft":

(...) "Die Facebook-Revolte ist in Spanien angekommen. Unter dem Motto "Echte Demokratie – Jetzt!" versammeln sich seit dem Wochenende in allen größeren Städten des Landes Zehntausende von Jugendlichen.

In Madrid demonstrierten am Sonntag rund 40.000 Menschen, in Barcelona etwa halb so viele. In weiteren 58 Städten wurden Kundgebungen abgehalten. Selbst an britischen Universitäten kam es zu spontanen Solidaritätsaktionen spanischer Auslandsstudenten. Die Veranstalter zählten insgesamt 130.000 Teilnehmer. In mindestens 27 Städten richteten die Jugendlichen Protestcamps ein. Das in Madrid wurde in der Nacht auf Dienstag von der Polizei geräumt.

"Wir haben keine Zukunft", heißt eine der Hauptklagen der Teilnehmer. Spanien hat eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent. Bei jungen Menschen ist sie mehr als doppelt so hoch. Immer mehr junge, spanische Akademiker suchen ihre Zukunft im Ausland." (...)


das ist erstens darum bemerkenswert, weil ich nach berichten von mir bekannten leuten, die das land gut kennen und auch kontakte haben, bisher immer das bild einer mehrheitlich ziemlich apathischen jugend dort hatte. und zweitens scheint die "taz"-reduktion auf eine art jugendrevolte nicht zu passen, wenn man sich die kommentare nicht nur dort betrachtet, sondern auch an anderen stellen recherchiert - hier eine anmerkung zur "taz":

es ist nicht nur eine "jugendrevolte"--- bei den landesweiten demonstrationen waren arbeitslose, arbeiter*innen, hausfrauen und hausmänner usw.- ein querschnitt durch die gesamte bevölkerung
das "reduzieren " auf die jugend versucht seit montag die spanische presse, um einen "zündfunken" zu vermeiden --- die bewegung breitet sich aber - auch durch das gewaltsame räumen der puerta del sol - weiter aus --- es kann durchaus schon der "funke" gelegt sein, der "einen steppenbrand auslösen kann"


kurze impressionen aus dem abendlich-nächtlichen madrid am sonntag:



bei
spreeblick gibt´s was längeres zum thema, u.a. mit einigen links und vor allem einer übersetzung des manifestes "wahre demokratie jetzt!":

"Wir sind normale Menschen. Wir sind wie du: Menschen, die jeden Morgen aufstehen, um studieren zu gehen, zur Arbeit zu gehen oder einen Job zu finden, Menschen mit Familien und Freunden. Menschen, die jeden Tag hart arbeiten, um denjenigen die uns umgeben eine bessere Zukunft zu bieten.

Einige von uns bezeichnen sich als aufklärerisch, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht. Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.

Und diese Situation ist mittlerweile zur Normalität geworden – tägliches Leid, ohne jegliche Hoffnung. Doch wenn wir uns zusammentun, können wir das ändern. Es ist an der Zeit, Dinge zu verändern. Zeit, miteinander eine bessere Gesellschaft aufzubauen. Deswegen treten wir eindringlich hierfür ein: (...)


weiterlesen bitte bei spreeblick; die haben sich dankenswerterweise die arbeit gemacht.

und
telepolis hat einen wirklich brauchbaren hintergrundartikel zu bieten, aus dem dann u.a. endgültig deutlich wird, dass es sich hier um eine so bisher in spanien nicht dagewesene bewegung jenseits aller parteien und auch gewerkschaften handelt, deren forderungen mindestens zum teil an bisherige gesellschaftliche fundamente gehen.

und vor dem hintergrund bleibt bei der frage von weiter oben, ob das bisherige mediale schweigen hierzulande nun eher zufall oder absicht ist, eigentlich nur eine möglichkeit realistisch.


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edit am 18.05.: ganz frisch vom gestrigen nachmittag:
interview zu #spanishrevolution - auf deutsch, direkt aus dem land zur situation, zielen und zusammensetzung der protestierenden sowie dem alleuropäischen medialen schweigen (es ist offensichtlich kein nur deutsches vorgehen). auf twitter lässt sich der hashtag im link verfolgen; und bei feynsinn wird kräftig gesammelt.


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edit 2 am 18.05.: ein mir bisher unbekanntes blog will heute
live berichten, und hat neben einigen weiteren links auch videos vom gestrigen abend parat. (massen-)medial finden sich heute morgen erstmals berichte bspw. in "stern" und "focus", wobei die alle auf der gleichen dpa-meldung beruhen. ansonsten ist bei derartigen situationen indymedia meist ganz brauchbar:

indy alicante

indy barcelona

indy madrid

indymedia valencia und euskadi/baskenland sind z.zt. nicht erreichbar. für alle, die kein spanisch sprechen, bleiben bis auf weiteres die üblichen übersetzungstools eine möglichkeit. ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass bei andauernden weiteren protesten sehr bald eigene themenblogs zur situation in spanien entstehen, bei denen dann auch direkt übersetzt wird - so selten wird die sprache auch hierzulande nicht gesprochen.

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edit 3: ein ziemlich gutgemachtes mobilisierungsvideo:



alles in allem bin ich wirklich überrascht - wie schon angedeutet, stand spanien auf der liste meiner persönlichen erwartungen hinsichtlich europäischer massenbewegungen gegen die linie der durchgesetzten elitären diktate keinesfalls ganz oben. meiner wahrnehmung nach hat das land trotz zeitlichem abstands von jahrzehnten immer noch mit den folgen und resten der franco-diktatur zu kämpfen (was ich bekanntlich nicht verwunderlich finde), und ebenfalls sind die sozialen strukturen dort, bedingt durch die familiären traditionen und auch die katholische kirche, nicht unbedingt aufstandsfreundlich.

seitdem ich 2008 mit den "krisennews" begonnen hatte, tauchte spanien nur vereinzelt auf - militante auseinandersetzungen rund um fabriken blieben ebenso einzelfälle wie innerhalb der letzten beiden jahre die gewerkschaftlich organisierten generalstreiks.

was von aussen allerdings jetzt zu sehen ist, sieht tatsächlich nach etwas neuem aus - jenseits der etablierten parteien, die offensichtlich durchweg als gegner wahrgenommen werden, und auch jenseits der gewerkschaften besitzt ein teil der (aktuellen; es ist ja nicht klar, was da unter umständen je nach entwicklung noch dazukommt) forderungen durchaus systemändernden charakter. den berühmten tropfen zum überlaufen bildeten in diesem fall offensichtlich die landesweiten kommunalwahlen am nächsten wochenende, bei denen die beiden einzigen relevanten parteien sich nicht zu blöde waren, über hundert bereits einschlägig wegen korruptionsfällen bekannte politiker aufzustellen (aber vermutlich haben die auch gar kein anderes personal mehr). das hat offensichtlich eine menge leute endgültig sehr, sehr wütend gemacht...

das ganze passt potenziell natürlich auch bestens in dieses bisher von geschichtlich erschütternden ereignissen nicht gerade arme jahr. und es bieten sich eine vielzahl an denkbaren weiteren entwicklungen innerhalb der nächsten tage und wochen an. die wichtigsten fragen sind dabei für mich zunächst die: wie weit und breit kann sich die mobilisierung in spanien selbst ausdehnen? wie reagieren die spanischen "eliten"? und vor allem: wie wird die europäische rezeption der ereignisse ausfallen? portugal hatte eine ähnliche unabhängige (= ohne parteien und gewerkschaften) initiative ja schon einmal im märz, allerdings nur für einen tag. jetzt, wo das land faktisch ebenso wie griechenland als protektorat von iwf und eu verstanden werden muss - wie wird da eine mögliche massenbewegung beim großen nachbarn wirken? wie wird das signal in griechenland verstanden? in italien ist der twitter-hashtag #spanishrevolution angeblich heute der tophashtag, wie werden die ereignisse dort und auch in irland sowie großbritannien wirken - allesamt länder, wo es seit langem eine latente und partiell auch immer wieder im vergangenen jahr sichtbare unruhe gibt?

die eu-"eliten" können sich das eigentlich in der derzeitigen situation nicht leisten, in einem mitgliedsstaat vom kaliber spanien eine tatsächlich oppositionelle bewegung ausbreiten zu lassen, womöglich mit sichtbaren erfolgen. andererseits wären sie schön blöd, hier mit reiner repression zu antworten - das würde die gesamte hütte dann wohl in hellen brand stecken. was bleibt, ist zunächst das alte "teile-und-herrsche-spiel", wie es in den letzten wochen in griechenland und vielen anderen eu-staaten zu sehen ist. vor allem die rassistische karte ist hier beliebt, und könnte in spanien vermutlich auch mit einigem erfolg gespielt werden.

letzteres scheint mit blick auf mögliche sympathisierenden stimmungen hierzulande auch jene erbärmliche kreatur im sinn zu haben, die da heute
geifernd und zeternd den altbewährten joker vom "faulen südländer an sich" auf den tisch warf. naja, wenn dieses pack den eigenen untergang näher kommen fühlt, werden sie am ende alle masken fallen lassen. das ist nichts neues, aber darauf sollte man mental gut vorbereitet sein.

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noch als info: um das ganze hier nicht umfangmässig zu lang werden zu lassen, packe ich kleinere updates in die kommentare unten. ergänzungen, anmerkungen etc. sind natürlich jederzeit erwünscht.

Sonntag, 3. April 2011

assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (9)

(zu den vorherigen folgen geht´s hier).

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während ich heute so durch den ersten wirklichen frühlingstag geradelt bin, habe ich beim anblick des summenden und fröhlichen treibens draussen höchst ambivalente gefühle gehabt - einmal viel stärker als in vergangenen jahren eine mir durchaus vertraute, schwer in worte zu fassende sehnsucht, die sich nicht umstandslos als fernweh (schöne worte beide) entschlüsseln lässt, sondern darüber hinaus auch viele erinnerungen an vergangenes mit sich bringt, welches sich auf eigenartige weise aktuell anfühlt.

diese primär körperliche und passemde wahrnehmungsebene wurde ständig von virtuellen produktionen von gedanken durchzogen, die ebenfalls sehr spontan entstanden - gedanken in die richtung, wieviele all dieser schicken gestylten menschen, oft genug mit sonnenbrille im wehenden haar und handy am ohr, sich wirklich darüber im klaren im sind, dass die gesamte art und weise ihres bisher gewohnten lebens ein sehr fragiles gewebe darstellt, welches sich nicht nur seit längerer zeit in erschütterten schwingungen befindet, sondern bereits an diversen stellen löcher und risse aufweist. ich musste in den letzten wochen immer wieder mal an die aus vielen trickfilmen und comics wohlbekannte situation des wanderers denken, der, die augen starr nach oben gerichtet, den rand eines klaffenden abgrunds bereits überquert hat und jetzt auf nichts mehr geht, die unbarmherzigen gesetze der schwerkraft einzig durch seine reduzierte wahrnehmung einen moment anscheinend ausser kraft setzend. Sie werden wissen, wie das üblicherweise weitergeht: früher oder später kommt ein erstaunter, dann schnell entsetzter blick nach unten und whooosch!

*

ich habe mich trotz der gefahr gewisser irritationen durch den titel dieser kleinen reihe dazu entschieden, ihn beizubehalten. das hat in diesem fall nichts mit einer durchaus vorhandenen sarkastischen oder zynischen ader meinerseits zu tun, sondern damit, dass ich das strahlende wrack in fukushima als weiteres einer ganzen reihe von menetekeln betrachte, die in den vergangenen jahren erschienen sind. und ich bin durchaus auch inspiriert vom vorgehen des
aushilfshausmeisters, der den GAU in japan schon seit einigen folgen gleichrangig neben der aufständen in nordafrika und arabien behandelt. mittlerweile kann ich dabei durchaus sinn sehen, weil zwischen den derzeitigen ereignissen durchaus gar nicht mal so untergründige beziehungen bestehen, wenn man sich die situation der menschlichen gesellschaften global genauer betrachtet. aus diesem grund folge ich auch dem beispiel des hausmeisters und will versuchen, beides zusammen zu betrachten.

*

als beispiel für das zuletzt gemeinte will ich mich zentral mit zwei kommentaren beschäftigen, die in dieser woche veröffentlicht wurden und die mit zum besten gehören, was ich seit langem im hiesigen medialen mainstream gelesen habe. beide beschäftigen sich u.a. mit einer haltung, die ich auch sehr vielen der anfangs erwähnten schicken menschen zuschreiben würde - in einem
kommentar bei "spon" wurde das wie folgt formuliert:

"Wieso wollt ihr immer anderen vorschreiben wie sie zu leben haben.
Ich WILL Auto fahren
Ich WILL Erdbeeren im Winter." (...)


es lassen sich ganze abende mit der mediation über diese sätze verbringen. wer genau ist "ihr"? was wird vorgeschrieben? wieso ist sich der verfasser augenscheinlich überhaupt nicht im klaren über die - hm, dialektik in seiner beschwerde? (sein umgesetzter WILLEN führt im- und explizit umgekehrt zu massiven, sogar teils sehr bedrohlichen einschränkungen des lebens von anderen.) und vor allem: was für eine art "ich" ist es, das da empört nach auto und erdbeeren kreischt und sich offensichtlich durch den bloßen gedanken an verzicht existenziell getroffen und eingeschränkt fühlt?

alles so fragen, für die ich in der vergangenheit schon im blog versucht habe, antworten zu skizzieren. die beiden kommentare nun, die jetzt folgen, geben ebenfalls implizite und sehr weitreichende antworten, die dem verfasser des obigen sehr wahrscheinlich kein stück gefallen werden - und nicht nur ihm. aber ich persönlich sehe solche leute inzwischen durchaus in der position des weiter oben erwähnten comicwesens über dem abgrund. das wäre nur dann tragikomisch, wenn diese sich derart manifestierende haltung nicht auch bedeuten würde, dass solche leute in ihrer bodenlosen ignoranz ganze gesellschaften mit über den abgrund zerren. "ich WILL aber!" was sie aller wahrscheinlichkeit nach in letzter konsequenz bekommen werden, ist im besten falle ein aufstand, im schlechtesten ein zustand zwischen dystopie und anomie. aus einer (rein imaginären) neutralen perspektive muss ich sagen, dass beides voll und ganz verdient wäre, wobei meine präferenzen deutlich sein sollten.

*

in der "süddeutschen" fand sich vor ein paar tagen (für ein paar stunden war das sogar der aufmacher) unter der erfreulich deutlichen überschrift
stunde der heuchler ein bemerkenswerter kommentar, der oberflächlich primär auf die "grün" wählenden teile der bevölkerung abzielt, aber real zumindest nach meinem verständnis eine breitseite gegen ganze lebensentwürfe und -modelle darstellt:

(...) "Auch ein Porsche Cayenne eignet sich dazu, das Altglas zum Container zu bringen. Ein Porsche Cayenne ist aber sehr, sehr schlecht für die Umwelt. In der Standardausstattung hat das Auto 290 Pferdestärken. Das ist völliger Wahnsinn. Aber dieser Wahnsinn, den die Porsche AG mit Sitz in Stuttgart-Zuffenhausen produziert, verschafft rund 7500 Vollzeitbeschäftigten in Deutschland einen sicheren Arbeitsplatz.

Wird nun der neue grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der im Wahlkampf eine grünere Automobilindustrie gefordert hat, hingehen und die Porsche-Werke von einem auf den anderen Tag schließen lassen? Konsequent wäre es.

Wenn die Partei der Grünen im Kern des südwestdeutschen Bürgertums angekommen ist,(...) dann wird das Grün der Grünen endgültig zum zeitgemäßen Ausdruck der Widersprüche, in denen der leidlich aufgeklärte Mensch der westlichen Welt heute steckt. Man könnte auch sagen: Es ist die Stunde der Heuchler.

Der global verbreitete urbane Lebensstil ist durch die Ökologie insgesamt in Frage gestellt: Mobilität durch Bildung, Pendelverkehr und Flugreisen, kapitalistische Produktvielfalt, Ästhetik des Konsums, Partizipation durch Wohlstand, leuchtende Städte, Massenmedien, der riesige Stromverbrauch des Internets, beheizte Wohnungen und warme Duschen - all das steht auf dem Spiel oder müsste massiv eingeschränkt werden, wenn die Gesellschaft tatsächlich radikal auf Nachhaltigkeit umgestellt würde." (...)


yeah! ich weiß ja nicht, wie es Ihnen damit geht, aber ich finde das ungeheuer wohltuend, wenn sich im medialen strom dieser zeiten mal zur abwechslung ganze fragmente der authentischen realität wiederspiegeln, statt der ansonsten ständig dargebotenen simulationen und illusionen aus den werkstätten der pr- und marketingabteilungen plus den produkten sedierter journalistInnen.

ich habe dem sachlich nichts zuzufügen ausser der feststellung: genau so ist es. niemand, der auch nur einen hauch von verständnis für die globale situation hat, in der sich unsere spezies befindet, kann ernsthaft widersprechen. was übrigens auch und gerade für viele teile der linken gilt, die sich langsam aber sicher damit konfrontieren müssen, dass auch für das marxsche gedankengebäude grenzen gelten, die sich primär und zwangsläufig durch seine eingebundenheit in westliche denk- und philosophietraditionen ergeben, was darauf hinausläuft, dass deren fundamentale fehler (die ich früher an anderen stellen schon mal umrissen habe) gar nicht anders als von marx mit eingebaut werden konnten. linke ausserhalb europas und der usa haben diese tatsache übrigens schon länger im auge; ich erinnere mich an ein lesebuch in den 90ern, in denen ein tupamaro aus uruguay den bezug auf indigene gesellschaftsmodelle mit der blindheit und auch arroganten abwertung der gesamten europäischen philosophie einschließlich marx für lebens- und gesellschaftsmodelle ausserhalb des westlichen "kulturkreises" begründete. es geht dabei übrigens nicht um die unreflektierte lobpreisung anderer kultureller modelle. aber vor allem der westlich-christlich-europäische naturbegriff ist ein einziges desaster; und prinzipiell auch das damit assoziierte menschenbild - "ich denke, also bin ich" und "macht euch die erde untertan" stellen zwei grelle wegweiser auf dem weg in eine grandiose sackgasse dar, die leider auch in diversen facetten linker politik- und weltmodelle existieren, von denen "die grünen" bekanntlich ursprünglich abstammen, zumindest zu großen teilen.

(...) "Das ist also das Lebensmodell, wenn die Grünen zur Mehrheitspartei werden: Der Mann arbeitet bei Bosch und macht irgendwelche klimaschädlichen Sachen - Bosch ist zum Beispiel der weltweit größte Hersteller von Verpackungsmaschinen für Konsumgüter -, während die Frau, die gegen Stuttgart 21 ist, im Ökosupermarkt leckeren Biokäse aus der Region und vollmundigen Biowein aus Apulien kauft, möglichst Verpackung vermeidend. Die Tochter studiert in Tübingen, demonstriert gegen Atomkraft und wird von ihrem Freund abgeholt, der praktischerweise ein Auto hat und dann mit ihr über die Autobahn rast. Nicht so schön aber wär's, wenn den vielen Indern und Chinesen ihr Wunsch nach einer passablen Wohnung, einem kleinen Auto und einem Besuch im Steakhaus erfüllt würde. So etwas muss auf Regierungskonferenzen unbedingt verhindert werden, idealerweise von grünen Ministern, unsere Kinder werden es uns danken." (...)

wunderschön boshaft formuliert zum einen, zum anderen aber wird zuletzt genau der punkt erwähnt, der am ende ganz basal dazu beitragen wird, den westlichen "way of life" auf seinen verdienten platz auf dem müllhaufen der geschichte zu befördern. mit welchem recht und mit welchen argumenten wollen europa und die usa dem rest der welt deutlich machen, dass das hier besonders in den jahrzehnten seit dem ende des wk2 existierende niveau des materiellen wohlstands eine historische abartigkeit, eine riesige blase darstellt, die aus sehr vielen und absolut zwingenden gründen platzen muss, aber bitte nicht hier bei "uns". und wenn schon, dann wenigstens bei uns als letzte, ohne sich dabei endgültig als jene raffgierigen plünderer und diebe der globalen ressourcen zu demaskieren, die besonders aus europa während der letzten jahrhunderte wie eine plage ausgeschwärmt sind?

wie die erwartbare und berechtigte antwort darauf aussieht, lässt sich bereits in der globalen politk bspw. von ländern wie indien und china betrachten. und ich schreibe "berechtigt", obwohl ich die ökonomische entwicklung dieser und anderer "schwellen"- und "entwicklungs"länder - diverse variationen des selben themas der kapitalistischen modernisierung - in so ziemlich allen aspekten katastrophal finde, nicht nur für die jeweiligen staaten. es ist aber zwingend ein ding der schieren unmöglichkeit, ohne weitreichendes runterfahren, eindämmen, abschalten der westlichen konsumgesellschaften und der damit assoziierten lebensstile von anderen zu fordern, sie sollen den versuch doch bitte unterlassen - und wenn die gründe dafür noch so zwingend sind -, an dieser lebensweise zu partizipieren. auf derartige ansinnen dürfte es mehrheitlich aus den oasen der sahara, aus andentälern, aus afrikanischen steppen und von asiatischen küsten die jeweiligen kulturellen äquivalente des gezeigten vogels geben. der spätestens dann durch andere gesten ersetzt werden dürfte, wenn auch dort überall deutlich wird, dass das durch internet und us-amerikanische soaps imaginierte "paradies" nicht nur keins ist, sondern auch definitiv unerreichbar ist und bleibt.

(...) "Der unersättliche Kapitalismus, der unsere Lebensform garantiert, bildet den Hintergrund für das grüne Lebensgefühl der Mittelklassen; mit fundamentaler Umkehr hat das alles nichts zu tun. Man muss ja schließlich auch Geld verdienen. Deshalb wird auch gerne die Illusion genährt, aus derselben Wachstumsdynamik, die Ressourcen verbraucht, entstünden auch bald jene Erfindungen, die den Ressourcenverbrauch stoppen - und uns zugleich im Wesentlichen so weiterleben lassen wie bisher. Wer wollte das nicht?" (...)

ähm, ich zum beispiel. die versteckten kosten dieses "so weiterlebens", und zwar auch und gerade solche, die sich gar nicht mal primär monetär quantifizieren lassen, sind inzwischen so krass und destruktiv - am schlimmsten in der verwüstung der beziehungsfähigkeiten zu beobachten -, dass jedes gerade von "effizienz", "lebensqualität" etc. als reaktion nur noch grelles hohngelächter verdient.

alles in allem ein erstaunlicher kommentar, gerade vor dem hintergrund der inhaltlichen entwicklung der "sz" in den letzten jahren. und nicht zufällig hat der in ein paar tagen mehr als fünfhundert kommentare nach sich gezogen, dort auch eher ungewöhnlich.

*

ob der folgende kommentar mit dem sehr treffenden titel
zurück in die wirklichkeit in der "taz" auch so eine diskussion anstösst? der rundumschlag ist in gewisser weise noch breiter und auch fundamentaler als in der "süddeutschen", werden doch zusätzlich ein paar eigenarten unserer jetzigen lebensrealität angesprochen, die ich hier auch immer wieder im focus habe:

"Die AKW-Katastrophe von Fukushima hat nicht nur die extremen Risiken der Atomenergie aufgezeigt, die skrupellose Profitgier der Stromkonzerne und die Verantwortungslosigkeit der atomkraftfreundlichen Regierungen. Sie hat auch ein Schlaglicht auf die Irrealität unserer alltäglichen Lebensführung in den westlichen Industrienationen geworfen.

Nehmen wir Japan: Ein Land, das seit Jahrzehnten die Mikroelektronik beherrscht, das Millionen von Menschen damit beschäftigt, die Menschheit mit digitalen Spielen, mobilem Internet, elektronischen Zahlungssystemen und anderem Schnickschnack zu beglücken, schafft es nicht, ein sicheres System der Energieversorgung zu errichten. Und offenbar gab es dort bis vor Kurzem kaum jemanden, der sich für diese Fragen interessierte.

Doch Japan ist überall! (...) Die breite Mehrheit unserer Gesellschaft plagt sich dagegen mit ganz anderen Problemen: mit dem Chatten im Internet, dem persönlichen Auftritt bei Facebook, den Leistungsvergleichen vor dem Kauf eines Navis und den günstigsten Flatrates fürs Handy.

Die Katastrophe in Fukushima ist nur die Spitze des Eisbergs. Sie ist das Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung in den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Die großen, überlebensnotwendigen Fragen treten zunehmend in den Hintergrund menschlichen Denkens und Handelns.

Das hat seine Gründe: In der modernen "Dienstleistungsgesellschaft" lebt der Mensch, von Naturgewalten abgeschirmt, in klimatisierten Bürotürmen und verbringt auch seine Freizeit vor dem Monitor. Der Kontakt zu den natürlichen Bedingungen des Lebens verflüchtigt sich. Sie erscheinen als äußere Selbstverständlichkeiten, die sich der aktiven Beeinflussung entziehen.

Der aufgeblasene postindustrielle Sektor produziert derweil Pseudogüter und Fantasiedienstleistungen: das Design, um die Marke A von der Marke B zu unterscheiden, sogenannte Finanzdienstleistungen, die virtuelles Geld aus einer Datei in die andere verschieben. Kommunikationsberater beraten die Unternehmensberater und lassen ihre Beratungsqualität anschließend evaluieren, um bei einer Zertifizierungsagentur ein Zertifikat zu erwerben. Bestimmt die Hälfte der städtischen Büroflächen könnte man mühelos planieren - und die Menschheit wäre um nichts ärmer.

Zwischen First und Second Life verschwinden die Grenzen. Was ist virtuell, was materiell? Kommt einem Short-Zertifikat auf den DAX gegenständliche Realität zu, oder ist es reine Fantasie? Bedeutet das Getippe im Chatroom Freundschaftspflege oder nur deren Simulation? Es gibt Leute, die studieren das TV-Programm eifriger als ihren Hartz-IV-Bescheid, weil das Leben vor dem Fernseher mit oder ohne Kürzungen irgendwie weitergeht."


jeder satz ein treffer, jede aussage ein fanal und eine anklage zugleich, deshalb zitiere ich hier ausgiebiger als sonst:

"In manchen Fußgängerzonen finden sich kaum noch andere Geschäfte als Handyläden. Der Mensch als Insasse einer entfremdeten Welt begibt sich auf Traumreise. Sein Leben wird zu einem verlängerten Kindergartenaufenthalt, in dem es nie genug Tastaturen gibt, auf denen man spielen kann. Wenn etwas piept oder quietscht, kommt Freude auf.

Je unwichtiger ein Gegenstand für das reale Leben objektiv ist, desto mehr Zeit, Material und Geld verschwendet unsere Gesellschaft für seine Herstellung und Nutzung: Während nur noch 292.500 Menschen damit beschäftigt sind, unser tägliches Brot zu backen, arbeiten in der Werbeindustrie mehr als 550.000 Beschäftigte. Wir können Aktien vom Display unseres Handys aus ordern, aber den künstlich geschaffenen Stress der Arbeit immer weniger bewältigen.

Nach Feierabend Freunde zu treffen, dazu fehlt uns die Muße, weil die Arbeit derart verdichtet ist, dass am Abend das Gehirn seine Schotten dicht macht. Bei der France Télécom sprangen vor zwei Jahren die Mitarbeiter aus Verzweiflung gleich reihenweise aus dem Fenster. Wer acht Stunden am Tag mit kryptischen E-Mails und zermürbenden Meetings traktiert wird, hat danach für Beziehungsdiskussionen keinen Nerv mehr. Die unverbindliche SMS ist das Einzige, was noch geht." (...)


die dargestellte rolle der akw in einer so reduzierten und deformierten art der wahrnehmung unterschreibe ich weitgehend, und der appell am ende ist zwar aus meiner perspektive noch unzureichend, aber dennoch ein nötiger anfang:

(...) "Klar, ein Zurück in die "Müsli-Zeit" kann es nicht geben. Doch die Konsequenz aus der Fukushima-Katastrophe sollte ein neuer Realismus sein: Boykottiert die Unterhaltungsindustrie, führt handyfreie Tage ein und entsorgt endlich die Glotze! Nehmt wieder realen Kontakt zu den Menschen und zur Natur auf und gestaltet euer Leben selber - überall da, wo es geht!"

yay! im grunde wird hier schon ziemlich viel von dem zusammengefasst, was ich neulich in den kommentaren zu einem anderen beitrag mit bezug auf "den kommenden aufstand" schon mal geschrieben hatte und was auch "das unsichtbare komitee" nach meinem verständnis ähnlich formuliert und auf den punkt bringt: der alltag hier ist die eigentliche katastrophe, die alle anderen - ob das nun ölteppiche von der größe ganzer kleinstaaten sind, vor sich hinrauchende akw-ruinen, oder aber die langfristig vielleicht noch schlimmeren, aber unspektakulären prozesse der allmählichen vergiftung ganzer lebensbereiche, aber auch zb. finanzkrisen - hervorbringt. der alltag der weitaus meisten menschen beruht inzwischen - und diese aussage begründe ich primär, aber nicht nur, aus eigenem erleben - auf der gleichen art illusionärer blasen wie das gesamte gesellschaftliche leben westlicher zurichtung. die explosion des virtuellen und objektivistischen ist vor diesem hintergrund eine sehr logische reaktion, wenn auch grundsätzlich leider ungeeignet zur realen problembewältigung, auf eine fundamentale und existenzielle krise, weil sie dem "mehr-desselben-prinip" folgt.

da aber unserer alltag in der regel am engsten und nahesten mit unserem denken und fühlen verbunden ist und dieses auch - selbst bw. gerade in den verzerrungen - getreulich wiederspiegelt, erlaubt diese tatsache auch eine nähere bestimmung des ausmaßes der krise, in der sich die westlichen lebensentwürfe inzwischen ganz offen befinden. es ist nicht nur eine finanzkrise, nicht nur eine wirtschaftskrise, nicht nur eine ressourcenkrise in vielen bereichen - die genannten plus die ökologischen krisen zusammen machen es notwendig, eine systemkrise zu konstatieren. aber selbst dieser befund bringt die sache vermutlich noch nicht auf den punkt - da alles dafür spricht, dass unser alltägliches und gewohntes fühlen und denken selbst in gewaltigem ausmaß fundamental und grundsätzlich falsch ist, neige ich persönlich inzwischen dazu, von einer evolutionären krise auszugehen, weil sie derart tiefe und fundamentale veränderungen in uns selbst, genauer der art unserer selbst- und fremdwahrnehmung und folglich den ganz persönlichen wertesystemen nötig macht, dass ich dafür nirgends auch nur ansatzweise etwas historisch vergleichbares sehe. und wir sind evolutionsgeschichtlich eine wirklich junge spezies, gerade mal am rand des krabbelalters angekommen.

mir ist schon klar, dass dieser gedanke der weiteren erläuterung bedarf, und ich werde in kommenden beiträgen auch drauf zurückkommen. für heute und zu später stunde möchte ich ihn jedoch schon mal in den (virtuellen) raum stellen.

Montag, 28. März 2011

assoziation: rund ums strahlende atom - von kern- und hirnschmelzen

juchu. das erste, was ich nach einem langen festen schlaf gestern mittag von der welt vernahm, waren die grotesken sprünge der tepco-istischen desinformationspolitik, Sie wissen schon, die millionenfache belastung des wassers in den reaktoren, die dann - "leider, wir bitten um entschuldigung" - ein meßfehler gewesen sein soll. wenn man sich so durch die verfügbaren informationen nicht nur hierzulande wühlt, bleibt am ende eigentlich nur ein schluß: die situation dort ist nicht nur übel, sie ist regelrecht beschissen. dies vor allem deswegen, weil offensichtlich niemand wirklich einen plan davon hat, was erstens in den reaktoren eigentlich tatsächlich passiert, geschweige denn zweitens, was jetzt zu tun wäre. man kann diese rauchenden und strahlenden ruinen noch nicht mal tschernobyl-artig einsargen, weil vieles darauf hindeutet, dass mindestens in einem reaktor eine kernschmelze schon lange im gange ist und vor einem zuschütten die temperaturen erst ausreichend runtermüssen (so jedenfalls mein eigenes fazit nach ansicht diverser beiträge von leuten, die sich professionell mit kernphysik und atomenergie beschäftigen). bleibt bis auf weiteres die hoffnung, dass sich der wind nicht dreht - soweit sind wir schon gekommen.

*

aus diesem und anderen gründen gebe ich dem desaster in japan jetzt bevorzugt platz - was mir in anbetracht der anderen globalen ereignisse nicht gerade leicht fällt, weil es in verschiedener hinsicht durchaus - ja doch, erfreulicher wäre, sich mit den letztgenannten zu beschäftigen. das sind dann nicht nur solche massenproteste wie gestern in london oder auch erst neulich in portugal, sondern ebenfalls die weitere entwicklung der aufstandswelle in nordafrika, arabien und anderen regionen. in diesem zusammenhang empfehle ich einmal mehr den
aushilfshausmeister bei der "taz", der bei seinen betrachtungen inzwischen auch dem atomaren GAU einen platz einräumt. ebenfalls sind die nahostinfos weiter eine gute quelle für zeitnahe infos.

*

massenproteste der besonderen art hatten wir ja nun gestern auch hierzulande, und ich muss gestehen, dass ich mir teils wie in einer zeitschleife vorkomme. ich war vergangenen montag selbst bei der örtlichen variante der hundertfachen anti-atom-"mahnwachen", teils aus emotionalem bedürfnis heraus, teils auch aus interesse, wer sich denn überhaupt so auf die straßen bewegt gerade. als erstes hat mich das altersspektrum überrascht - sehr viele ältere, ab 50 aufwärts, fanden sich neben vielen schülerinnen (ja, primär die weibliche form diesmal - viele mädchen bzw. junge frauen) sowie einer gruppe, die ich durchaus gehässig als "typische grünwählerInnen" beschreiben würde; dazu das ganze spektrum der erkennbaren "veteranen der bewegung" aus anti-akw- und umweltgruppen. vereinzelt ein paar parteifahnen dazu, gab das insgesamt ein buntes bild, welches dominiert wurde von einer mir in der form neuen äusserlichkeit: viele fahnen mit der roten sonne.

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gefundene
hirnschmelz-meldung I von vorgestern:

"Verbraucherschutz-Ministerin Margit Conrad (SPD) protestiert gegen Pläne der EU, die Cäsium-Grenzwerte für Lebensmittelimporte aus Japan heraufzusetzen. Eine entsprechende Eilverordnung der Europäischen Union sollte nach Angaben Conrads am Samstag in Kraft treten.

Nach dieser Verordnung dürfen laut Conrad Waren wie Gemüse, Fleisch, Fisch und Getreide bis zu einem Höchstwert von 1.250 Becquerel an Cäsium 134 und Cäsium 137 pro Kilo in Verkehr gebracht werden. Damit könnten Waren mit einer radioaktiven Belastung bis zu diesem höheren Wert aus Japan importiert werden und auf den europäischen und deutschen Markt kommen." (...)


alle, die alt genug sind, um sich an die zeiten "nach tschernobyl" zu erinnern, dürften bei derartigen meldungen heimelige erinnerungen bekommen... mal abgesehen davon, dass die ganze geschichte tatsächlich als frechheit daherkommt, bei der es interessant wäre zu wissen, welche lobby da im hintergrund wieder die gichtigen und gierigen finger im spiel hat.

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interessant war vor allem das zusammentreffen verschiedener gruppen, die ansonsten leider und bezeichnenderweise wenig bis gar nichts miteinander u tun haben - findet doch montags regelmässig auf dem marktplatz seit jahren tatsächlich auch eine "montagsdemonstration" von erwerbslosen bzw. einigen gruppen aus diesem spektrum statt, die mangels masse aber seit langer zeit den status einer kundgebung mit angeschlossenem "offenen mikrofon" nicht überschreitet. diese versuchten nun, nicht ohne grund und inhaltlich durchaus berechtigt, den bogen zu schlagen zwischen der desolaten sozialen situation vieler leute hier zu dem drohenden bzw. stattfindendem desaster in japan. ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob das wirklich gelang (wie ich mir generell nicht sicher bin, ob das vermitteln doch etwas komplexerer zusammenhänge bei solchen anlässen nicht von vorneherein zum scheitern verurteilt ist), aber die zuströmenden anti-akw-bewegten hörten sich das zumindest größtenteils interessiert an. irgendwann wurde dann von den veranstaltern der mahnwache ihre eigene tonanlage in betrieb genommen, und mir ging erst im verlauf der nun folgenden kundgebung auf, wer das eigentlich organisiert hat: neben einigen umweltverbänden federführend "die grünen", und so standen dann auch neben einigen senatoren aus der rot-grünen landesregierung weitere funktionäre der partei herum, um u.a. den worten des hiesigen umwelt- und verkehrssenators zu lauschen. an diesem punkt ergriff mich dann das erste mal starker widerwillen und ich dachte leicht betrübt an zeiten zurück, an denen so ein redner nach seinen ersten sätzen vom publikum nachdrücklich zum abgang aufgefordert worden wäre.

vor allem dann, wenn die rede eines solchen systemtragenden funktionärs tatsächlich auch genauso klingt: wie eine rede eines solchen funktionärs halt, druckreif, rhetorisch pompös aufgeblasen, und inhaltlich von der konsistenz einer qualle. betrüblich, dass für etwas derartiges genauso beifall geklatscht wurde wie für die anschließenden worte eines mitglieds von robin wood, die im vergleich zum vorhergehenden schon zwangsläufig wohltuend deutlich und regelrecht radikal klangen. die zeiten sind ganz offensichtlich schon andere als "damals".

nach all dem erklärten dann die "grünen" die veranstaltung für beendet, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass alle, die das bedürfnis hätten, "natürlich" so wie den vergangenen montag auch noch demonstrieren könnten, wofür die "montagsdemo" dann wieder die formale verantwortung übernahm. viele der etwa meiner eigenen schätzung nach 800 - 1000 anwesenden machten sich dann auch auf den weg, nur halbherzig und versuchsweise aufgehalten von einer kleinen einheit bereitschaftspolizei, die allerdings auch ohne helm und schild anwesend war. die wurden mit einer erstaunlichen selbstverständlichkeit stehengelassen, und es formierte sich dann in der zunehmenden dunkelheit eine demo durch die abendliche innenstadt, vorbei am örtlichen "energieversorger" und dem cdu-parteibüro, über die nicht mehr viel zu sagen ist.

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hirnschmelze II: jetzt habe ich mir ein paar stunden "wahl"berichterstattung gegeben und weiß nicht, was ich eigentlich schlimmer finde: das es immer noch so viele gibt, die zu diesem simulativen event rennen und ernsthaft glauben, damit auch nur irgendwas beeinflussen zu können? das es immer noch leute gibt, die vor allem die offene fraktion der kapitalhörigen blockparteien wählen? oder ist das schlimmste vielleicht die zahl derjenigen, die anscheinend wirklich glauben, dass die "grünen" in der lage seien (nicht unbedingt nicht willens, da dürfte es dort schon einige geben, denen das abzunehmen ist), nicht nur den nationalen ausstieg aus der atomenergie zu schaffen, sondern auch international mit ihren mitteln druck zu machen? immerhin ist es sehr deutlich geworden, dass diese frage zur nagelprobe dieser partei werden wird und auch ein derartiges agieren wie zu zeiten von rot-grün im bund nicht unbedingt möglich erscheint. bin sehr gespannnt darauf, was sich der reaktionärste teil dieser partei (von dem kretschmann einen würdigen vertreter darstellt) ausdenken wird, um in dieser frage die quadratur des kreise zu schaffen.

wobei das schlimme daran ist, dass man denen genau in dieser frage auch noch wirklich glück wünschen muss - der ausstieg, genauer der schnelle ausstieg, ist eine blanke und existenzielle notwendigkeit.

***

ich muss ja gestehen, dass ich die frage der "friedlichen" nutzung der atomenergie lange zu sehr am rande gelassen habe - "politisch sozialisiert" in der
81er-bewegung, waren die anti-akw-proteste in jenen zeiten immer etwas selbstverständliches, obwohl ich mich dort nie so recht involviert habe. klar habe ich die großen demos damals - "republik freies wendland" in gorleben, die hunderttausend im kalten februar in brokdorf etc. - immer sympathisierend verfolgt. und auch wusste ich bereits etliche argumente gegen diese technologie zu nennen, aber ernster wurde das erst nach tschernobyl.

was in den letzten tagen und wochen aber alles an informationen dazukam, zwingt mich jetzt, die ganze geschichte nochmals neu zu bewerten. und inzwischen frage ich mich, wie ich nur so blind sein konnte, so lange das ganze destruktive potenzial und das volle ausmaß der schier unbegrenzten kriminellen energie innerhalb der atomindustrie plus verbandelter sparten nicht zu erkennen. nicht nur die in den letzten beiträgen schon erwähnten begleitumstände beim uranabbau über den störanfälligen betrieb bis hin zur nicht lösbaren "endlagerung" auf zehntausende von jahren sprechen absolut und zwingend gegen jegliche nutzung der atomenergie, nein, es ist vor allem ihr gleichfalls in jeder hinsicht unmenschliches maß. und das meine ich in keiner hinsicht moralisch, sondern wortwörtlich:
  • die technik selbst ist bereits viel zu komplex, um die ständig notwendige fundamentale kontrolle der diversen prozesse auch nur ansatzweise zu gewährleisten
  • zeitliches ausmaß, räumliche ausdehnung und die nur indirekt mögliche wahrnehmung radioaktiver strahlenbelastung überfordern jedes menschliche vorstellungsvermögen, damit aber wird auch allen realistischen gefahreneinschätzungen gerade im sog. routinebetrieb die fundamentale basis entzogen, was sich dann u.a. in jenen vielfältig auftretenden fällen "menschlichen versagens" äussert. ein "versagen", welches aber erstens zwangsläufig ist und zweitens eben und gerade hier nicht passieren darf
und welche andere technologie bringt es mit sich, dass wirklich schwere stör- und unfälle nicht nur ganze länder, sondern gleich ganze kontinente und die dazugehörigen ökologien existenziell und auf dauer schädigen können? sicher, die wirkungen von analogen fällen zb. in der chemieindustrie oder auch dem ölbusiness werden meist unterschätzt. aber radioaktive strahlung und partikel können über unfassbar lange zeiträume ein elementares problem darstellen.

***


hirnschmelze III: ein wie ich finde wirklich interessanter blogbeitrag der "tagesschau" zur frage nach dem stand des katastrophenschutzes in d-land im falle eines atomaren GAU. beachten Sie vor allem auch die kommentare, da sind einige von angehörigen des "thw" und verschiedener feuerwehren dabei, die ziemlich deutlich sagen, was sache ist. fazit: im falle des falles werden wir hier genauso hilflos und dumm dastehen wie jetzt die leute in japan.

und ich mache gleich mit der hirnschmelze IV weiter - das geht in diesem
kommentar neulich doch zu sehr unter:

"TÜV Süd ist eine Aktiengesellschaft. 74,9 % der Aktien gehören dem TÜV e.V., der ca. 13.500 Mitglieder hat; die übrigen 25,1 % gehören der "TÜV SÜD Stiftung". Mitglieder des TÜV e.V. sind unter anderem die Energiekonzerne E.ON, Vattenfall und EnBW."

dieser "tüv" - viele leute scheinen ja in diese institution, oder besser in diesen namen, durchaus vertrauen zu setzen - hat u.a. die aufgabe, genau die akw zu kontrollieren, die von seinen größten aktionären betrieben werden.

ich meine, das ist wieder so ein fall, wo jeder mafiosi (also von der "illegalen" mafia) schlicht grün vor neid werden muss. apropos "grün": das wird auch sehr interessant sein zu beobachten, wie "die grünen" dort im süden jetzt mit genau dieser konstellation weiter umgehen. kann mir nicht vorstellen, dass die nicht wissen, was dieser sachverhalt eigentlich bedeutet. fällig wäre eigentlich die sofortige ersetzung dieser "kontrolleure" durch zumindest einigermaßen unabhängige instanzen. als allererste und mindeste aktion.

***

betrachten Sie sich einmal dieses video aus japan:



es zeigt die wirklich schwer fassbare gewalt, die in dem tsunami steckte, der auf das beben folgte. und mir wurden dadurch erst jene bilder von städten und dörfern verständlicher, die nichts weiter mehr als ziemlich eingeebnete flächen von geshreddertem schrott zeigen.

was ich mir danach aber auch dachte: nicht nur das akw in fukushima scheint bei ansicht dieser szenen noch glück im unglück gehabt zu haben. auch, wenn im film deutlich wird, dass große gebäude aus beton einzig die stabilität zu haben scheinen, die für das überstehen eines tsunamis dieses kalibers nötig ist. aber bekanntlich gibt es noch stärkere und höhere tsunamis, die dann nicht nur wie in jenen anderen surrealen bildern der katastrophe halbe brennende häuser an ihrer spitze und an ihrer oberfläche mit sich reißen (ein anblick, der mich persönlich aus irgendwelchen gründen besonders verstört hat), sondern die dann gleich mal ganze reaktordruckgefäße weiter ins land befördern können. sicher, solche tsunamis sind "ausnahmen" - genauso so, wie ein erdbeben der stärke neun. und da lässt sich in jeder hinsicht nur jenem japanischen
erdbebenforscher zustimmen, der bereits vor einigen jahren "tepco" direkt auf die tsunami-gefahr hinwies und neulich sagte:

"Es sollte umfangreiche Flexibilität geben, wenn es um die Sicherheit eines Atomkraftwerks geht", sagte Okamura am Samstag. "Es ist eine komische Einstellung, ungewisse Aspekte nicht mitzuberücksichtigen."

"komische einstellung" ist wirklich gut - sollten wir hier nicht deutlich von krimineller und vermutlich bewusster ignoranz reden? vermutlich ist japan, was diese naturphänome angeht, einer der ungünstigsten orte auf diesem planeten überhaupt, um da atomare anlagen hinzustellen. und ich bin gespannt, falls das land wünschenswerterweise dieses mal noch mit einem quasi blauen auge davonkommen sollte, ob dann daraus die einzig denkbare konsequenz gezogen wird?

***

aber diese besonders aufwendige form des kollektiven suizids, welche atomenergie darstellt, ist natürlich kein rein japanisches phänomen, wie in der
hirnschmelze V deutlich wird:

(...) "Aber Indonesiens Regierung will die Atomkraft, auch wenn das Land ähnlich wie Japan im heiklen tektonischen Bereich des pazifischen Feuerrings liegt. Noch ist der Inselstaat ein Entwicklungsland, aber die Wirtschaft wächst schnell und der Energieverbrauch steigt rasant. Seit Ende 2010 gibt es ein Abkommen für den Bau von zwei Atomkraftwerken auf der Hauptinsel Java: Muria 1 und Muria 2 - am Fuß des schlafenden Vulkans Mount Muria. Auch nach der Katastrophe in Japan gibt es bisher keine Reaktion der indonesischen Regierung, die auf eine Änderung der Pläne hindeutet." (...)

am fuß eines schlafenden vulkans... warum nicht gleich im krater selbst? das gäbe dann wenigstens vielleicht ein spektakuläres feuerwerk, wenn sich dieser vulkan eines tages regen sollte (was er irgendwann sicher wird - er liegt auf dem pazifischen feuerring).

ich meine, wie absolut irre muss man sein, um auch nur überhaupt auf so eine völlig durchgeballerte idee zu kommen?

***

aber diese spezifische art von suizidalem und massenmörderischem wahnsinn, welcher sich hinter dem ewigen gehechel vom "wachstum! wir brauchen wachstum und energie!" versteckt, lässt sich durchaus weltweit beobachten, ob es sich nun um öl-, pharma-, gen-, oder sonstige industrien handelt. die nuklearbranche jedoch toppt in gewisser hinsicht und aus gründen, die ich weiter oben schon angeführt habe, nochmal alle anderen. es ist dabei übrigens auch völlig egal, in welcher art von gesellschaftssystem sie gedacht wird - es ist die technik an sich, die hier völlig unakzeptabel ist. ich habe mich die tage in einem forum mit jemandem herumgestritten, der doch ernsthaft die these vertrat, dass unter anderen eigentumsverhältnissen und vergesellschaftet die atomenergie doch gefahrlos betrieben werden könne... auch eigentlich ein fall von hirnschmelze, der mich an gewisse äusserungen zb. seitens der dkp noch in den 1980er jahren erinnerte, nach denen "sozialistische" akw völlig sicher seien, "weil sie ja dem volk gehören würden". ausser unschönem gegurgel fällt mir zu leuten nichts mehr ein, die einen derartigen blödsinn heute noch vertreten.

und ja, kurz hier schon mal meine antwort auf all diejenigen, die gerade an vielen stellen mit scheinalternativen operieren: "wenn wir keine atomkraft nutzen, müssen wir halt mehr fossile brennstoffe (kohle, öl) verbrennen, um unseren lebensstandard zu halten".

überraschung: müssen wir nicht, und können wir vor allem auch nicht. peak oil ist eine realität, atomenergie aus gründen total abzulehnen. und es gibt auch mittelfristig so etwas wie peak coal, d.h. auch kohle ist ein endlicher rohstoff, der sich dazu bei der verbrennung noch negativ klimatisch bemerkbar macht. das potenzial von geothermie, wind- und solarkraft sowie gezeitenkraftwerken ist noch keineswegs voll ausgeschöpft, aber ich wage die prognose, dass selbst in diesem fall niemals mehr und nirgendwo das materielle niveau der derzeitig existierenden "westlichen zivilisation" v.a. in unseren breiten erreicht oder auch nur gehalten werden kann. ja, da lugt das böse wörtchen "verzicht" wieder um die ecke. verzicht allerdings nur für solche leute, die völlig unfähig erscheinen, sich ein anderes leben jenseits der wahl zwischen 30 waschmittelsorten, 500 fernsehprogrammen, sechsspurigen autobahnen, billigflügen für 19 euro fuffzich sowie stand-by-schaltern am elektrischen dosenöffner auch nur ansatzweise vorstellen zu können.

am ende noch etwas erfreuliches: es kommen gerade weltweit menschen auf den gedanken, sich einmal näher mit den jeweiligen zweigen der atommafia in ihrem land zu beschäftigen - ob es sich dabei um die
usa handelt...

"In Kalifornien liegt das Kernkraftwerk San Onofre - mitten im Erdbebengebiet und zwischen zwei Millionen-Städten. Gegen Katastrophen hält man sich für gut gerüstet, dabei hat der Betreiber jahrelang gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen." (...)

...oder um
china, ob es sich um indien handelt oder italien (wo es am samstag ebenso wie in der schweiz anti-akw-demonstrationen gab), und selbst in den zitadellen der "nuklearen religion", wie frankreich oder eben auch und gerade japan, beginnt sich, erster widerstand zu entwickeln. aber es gilt allerdings auch: wann, wenn nicht jetzt?

Mittwoch, 9. März 2011

assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (8)

(die direkte fortsetzung von teil 7)

*

weil ich selbst nach den recherchen beim anblick des keinesfalls vollständigen bildes sehr überrascht bis regelrecht geschockt war, soll der aktuelle länderüberblick in dieser folge endlich einigermaßen vollständig werden - es ist inzwischen global eine derartige häufung von protesten bis offenen und schweren unruhen zu verzeichnen, dass es mir wichtig erscheint, diese tatsache viel breiter als bisher zu vermitteln, weil sich - wie besonders in teil 6 schon skizziert - derart möglicherweise erschütterungen andeuten, die über kurz oder lang auch das leben hier massiv beeinflussen werden. die derzeitige mediale praxis vermeidet es sehr offensichtlich, in ihrer berichterstattung thematische cluster zu bilden - die aufstände in nordafrika und im arabischen raum werden selten genug noch zusammen verhandelt, aber was sich darüber hinaus abzeichnet, geht völlig in nebenspalten und kurzmeldungen unter, wenn´s denn überhaupt thema wird. also, dann mal los:

*

nordafrika / arabische halbinsel:

ägypten: im gegensatz zum bericht in der letzten folge ist die ebenfalls zu vermeldende stürmung etlicher gebäude der dortigen "staatssicherheit" mit anschließender beschlagnahme von diversen akten etwas durchaus positives und auch absolut nötiges. inzwischen sind etliche dieser dokumente im netz
zu sehen (achtung, facebook-link) und es spricht sich auch hierzulande langsam herum, dass damit auch ein paar veritable skandale das licht der welt erblicken - siehe zb. hier:

"Die Münchener Firmengruppe Gamma/Elaman soll über einen ägyptischen Vertragspartner Abhörsoftware an die ägyptische "Allgemeine Staatssicherheit" geliefert haben. Dies behauptet das ARD-Studio Kairo unter Berufung auf einen vorliegendes Kaufangebot.

Am vergangenen Samstag stürmten rund 2000 jugendliche Aktivisten der Demokratiebewegung ein von Soldaten umstellte Gebäude der "Allgemeinen Staatssicherheit" in Nasr City unweit von Kairo. Die Soldaten ließen die Demonstranten passieren, die die Räume durchsuchten, um Akten der Spitzelbehörde sicherzustellen. Die "Allgemeine Staatsicherheit" hatte nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung etwa 100.000 Mitarbeiter und unterhielt ein großes Netzwerk von Informanten. Bei der Suche nach Dokumenten, die die Folterungen von Regimegegnern belegen sollen, fand der Aktivist Mustafa Hussein eine Akte mit dem Vermerk "Streng geheim", in der eine Gamma International der Staatssicherheit Mitte 2010 die Installation der Programmsuite Finfisher anbietet, inklusive Einweisung, Training und einem optionalen zweijährigen Support." (...)


"partner, freunde und gute geschäftsbeziehungen..." - es wird geradezu monoton, die handlungen der diversen mafiösen herrschenden klüngel noch einzeln aufzulisten.

ansonsten gibt es
hier noch einen sehr interessanten bericht über streiks und soziale kämpfe im gefolge des diktatorsturzes in einem industriellen zentrum des landes. tipp!

algerien: an dem in früheren folgen dieser reihe skizzierten status der auseinandersetzungen im land hat sich nichts großes geändert. falls ich noch nicht vermerkt hatte, dass vor ein paar wochen der 19jährige ausnahmezustand- das wurde ausdrücklich als gnädiges zugeständnis des regimes verkauft - aufgehoben wurde, sei das hiermit geschehen. am grundsätzlichen und seit monaten zu beobachtenden umgang mit protesten seitens des regimes hat das allerdings nichts geändert. jeden samstag kommt es zu ähnlichen szenen in algier, wie sie bereits vor wochen zu verzeichnen waren. gestern allerdings ist dort etwas passiert, was nicht nur von der größe her eine ernstzunehmende demonstration wurde, sondern auch durch die teilnehmer einen, na sagen wir,
besonderen touch erhielt:

(...) "Laut Organisatoren beteiligten sich rund 20.000 aus zahlreichen Landesteilen angereiste Sicherheitsbeamte an dem Protest. Die Demonstranten, von denen viele ihre Uniformen trugen, hatten sich am Vormittag auf dem Märtyrer-Platz in Algier versammelt.

Trotz der Polizeisperren drangen sie dann bis zu dem 500 Meter entfernten Parlamentsgebäude vor. Sie wurden daraufhin von der Polizei eingekesselt."


"kommunale sicherheitsbeamte" im kampf für höhere gehälter - hm? ähnliches war ja nach mubaraks sturz auch von ägyptischen polizisten zu berichten, die sich ebenfalls demonstrierend an ihre alten? neuen? "dienstherren" wandten. ich vermag das absolut nicht einzuschätzen - kann es sein, dass die diktatoren jeweils so dumm und gierig sind, dass sie wesentliche teile ihrer machtbasis selbst in mangelzuständen lassen und derart aufruhr provozieren? ist das für die "sicherheitskräfte" nur jeweils eine opportune gelegenheit, die eigenen materiellen interessen durchzusetzen? fragen über fragen. im übrigen könnte ich mir vorstellen, dass die weitere entwicklung in libyien nicht unwesentlich auch das nachbarland beeinflussen wird - fällt gaddhafi, und folgt eine eher stammesgeprägte struktur in libyien, könnte das in algerien womöglich nochmals versuche aus ganz anderen richtungen als den bisherigen provozieren, das regime aus dem sattel zu heben. dazu ist die soziale krise im land weiter virulent - das sollte nicht vergessen werden. algerien war im letzten dezember neben tunesien das erste land, in dem soziale unruhe gemeldet wurde.

marokko: im vergleich relativ ruhig - nach den ersten größeren protesten im februar hat vor ein paar tagen das dortige monarchistische regime die
initiative ergriffen:

"Nach den Protesten in Marokko hat König Mohammed VI. einen neuen Nationalen Menschenrechtsrat ins Leben gerufen. (...)

Das Gremium sei unabhängig und mit grossen Vollmachten ausgestattet, teilte dessen künftiger Generalsekretär Mohammed Sebbar am späten Donnerstag in Rabat mit. Es setzt sich nach seinen Angaben aus Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, Behörden, Parteien sowie aus unabhängigen Experten zusammen. Vorsitzender wird der Menschenrechtsaktivist Driss al-Yazami, der bisher die marokkanischen Gemeinden im Ausland vertritt.

Der 59-Jährige engagierte sich in den 1970er-Jahren für die extreme Linke in Marokko, dann ging er nach Frankreich ins Exil. Unter anderem war Yazami Generalsekretär der Internationalen Föderation der Menschenrechtsligen." (...)


nicht ungeschickt, würde ich sagen. natürlich sind alle regimes vom atlantik bis zum golf spätestens seit mubaraks sturz hellwach, und wie sie sich im einzelnen verhalten, lässt durchaus prognosen über ihre jeweilige zukunft zu - diejenigen, die eine gewisse flexibilität im umgang mit protesten und den vermittelten forderungen zeigen, haben erstmal größere chancen des machterhalts als diejenigen, die mit reiner repression reagieren. binsenweisheit, aber deren gültigkeit ist halt wieder einmal zu beobachten. das "erstmal" bezieht sich allerdings auf faktoren wie weiterhin steigende nahrungsmittelpreise - sollten die sozioökonomischen verhältnisse sich weiter zuspitzen, dann wird auch eine solch "flexible", an westlich erprobten machttechniken angelehnte politik schnell ihre grenzen finden.

syrien: von außen betrachtet neben libyien, saudi-arabien (und dem speziellen fall iran) für revolutionäre gelüste eine der härtesten nüsse. es ist kaum etwas aus dem land zu vernehmen, erste "facebook-aufrufe" erwiesen sich im februar bekanntlich als flop. ich kann mir überhaupt keine prognose für das land und das regime vorstellen, ausser der tatsache, dass eine nähere beschäftigung mit dem regime bauchschmerzen bereitet. syrien ist neben libyien, vielleicht sogar mehr als letzteres, ein deutlicher fall eines nicht pro-westlichen regimes, ideologisch verhaftet in einem regionalen ableger der panarabischen und "sozialistischen"
baath-partei (einen anderen flügel führte im benachbarten irak bekanntlich ehemals ein gewisser saddam hussein an). ich neige dazu, die beiden diktaturen in libyien und syrien trotz all ihrer unterschiede besonders als relikte des "kalten krieges" des 20. jahrhunderts zu betrachten. im falle libyiens ist jetzt so oder so ein ende abzusehen, und syrien? hat die instabilen gebilde irak und libanon als nachbarn, dazu israel in nächster nähe. im norden dazu einen gewissen anteil kurdischer bevölkerung, was in naher zukunft durchaus relevant werden könnte (dazu gleich unten mehr). die sozioökonomische lage im land finde ich schwer einschätzbar, ausser der wahrscheinlichkeit, dass es auch in syrien inzwischen eine relevante jugendliche bevölkerungsgruppe gibt, die potenziell andere lebensentwürfe als die staatlich vorgegebenen ausprobieren möchte. dafür spricht u.a. auch ein urteil gegen eine 19jährige bloggerin , die wg. "spionage" mitte februar zu fünf jahren haft verurteilt wurde. das lässt sich aufgrund des zeitpunktes durchaus auch als warnschuss gegen netzaffine teile der städtischen jugend - und damit potenzielle protestkerne - ansehen. wir werden es letztlich erleben, ob und was dort passiert.

irak: vielleicht liegt es daran, dass das land in der hiesigen, nicht nur medialen wahrnehmung eh als sowas wie ein "failed state" gilt, beherrscht von terror und undurchsichtigen religiösen und "ethnischen" konflikten, dass die
sozialen kämpfe der letzten wochen kaum irgendwo zum thema wurden?

"Im Irak kam es in den vergangenen Wochen sporadisch zu Demonstrationen, die am letzten Freitag (25.02.) an einem weiteren “Tag des Zorns” kulminierten, als im ganzen Land zehntausende Menschen auf die Straße gingen. Sie demonstrierten gegen Mißwirtschaft und Korruption in der Verwaltung, für die Auswechslung unbeliebter Gouverneure und Beamter und für eine bessere Versorgung, eine Ausweitung der täglichen Stromversorgung und mehr Arbeitsplätze. Die Proteste führten an einigen Orten zum Rücktritt von hohen Beamten, u.a. der Gouverneure von Babil und Basra.

Die größtenteils friedlichen Demonstrationen führten in einigen Städten zu Gewalt, unter anderem in Mosul, wo Demonstranten ein Verwaltungsgebäude anzündeten, oder in Baghdad, wo Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vorgingen, die in die “Grüne Zone” – Sitz der Regierung – eindringen wollten. Dabei gingen sie mit Schlagstöcken, Tränengas und sogar scharfer Munition vor, ein Demonstrant wurde getötet.

Im ganzen Land, u.a. aus Fallujah und Suleimaniya im kurdischen Autonomiegebiet, gab es Berichte von Polizeibrutalität, auch gegen friedliche Versammlungen gingen Sicherheitskräfte vor, teilweise wie in Bagdad mit scharfer Munition. Es gab 29 Tote und hunderte Verletzte. Auch Journalisten wurden angegriffen, ihre Ausrüstung beschädigt, einige verhaftet.
Premier Nouri al-Maliki hatte noch in der letzten Woche betont, die Regierung nehme die Kritik der Bevölkerung an der schlechten Versorgung und Korruption ernst, und forderte die Sicherheitskräfte auf, friedliche Versammlungen zuzulassen. Zudem hat er in den letzten Tagen Reformen zur Anhebung des Lebensstandards und einer Verbesserung der Versorgungslage angekündigt und vorgezogene Neuwahlen auf Kommunalebene gefordert." (...)


weiteres und mehr bei den nahostinfos. wirklich eine sehr gute und informative quelle, auf die ich gleich nochmal zurückgreife.

kurdistan: wie oben schon angedeutet, rumort es auch heftig in den kurdischen autonomen gebieten
im nord-irak:

(...) "Und auch im oft als stabil, ruhig und gar demokratisch bezeichneten Nordirak, in der kurdischen autonomen Zone, kam es nun zu Auseinandersetzungen, die diese Attribute mehr als fragwürdig erscheinen lassen. Auf erste Proteste gegen die Regierung aus PUK und KDP, zwei kurdischen “Parteien”, die Macht und Besitz untereinander aufgeteilt haben, reagierten diese mit brutaler Gewalt. Gegen steinewerfende Jugendliche gingen KDP-Milizen mit scharfem Feuer vor, verschiedene Demonstrationen wurden gewaltsam aufgelöst, oppositionelle Medien angegriffen und sabotiert, es gab Tote und dutzende Verletzte und Verhaftete." (...)

die mögliche brisanz dieser entwicklung wird erst dann so richtig deutlich, wenn man sich klar macht, dass es bereits seit monaten - hierzulande kaum beachtet - auch im mehrheitlich kurdischen südosten der türkei zu massiven protesten und unruhen einer solchen intensität kommt, dass u.a. als eine reaktion darauf die kck ("gemeinschaft der gesellschaften kurdistans", besitzt auch einen bewaffneten, als guerilla operierenden arm, faktisch die nachfolge der pkk-guerilla) ihren einseitigen waffenstillstand mit der türkei in der letzten woche
aufgekündigt hat:

(...) "Der Ko-Vorsitzende der legalen Kurdenpartei BDP, Selahattin Demirta, warnt: „Die Region ist jetzt wie ein Pulverfass. Es steht kurz vor der Explosion.“ Ende vergangener Woche hatte die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) den einseitigen Waffenstillstand der kurdischen Rebellen für beendet erklärt. In einer Mitteilung begründet dies die KCK damit, dass keine ihrer politischen Forderungen erfüllt worden sei.

Mit Beginn des Frühjahrs seien wieder verstärkte Angriffe der türkischen Armee auf die Kurden-Rebellen zu erwarten, so die KCK. Deren bestimmende Kraft ist die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK, der inhaftierte PKK-Anführer Abdullah Öcalan leitet auch die KCK. Die PKK-Guerilla kündigte an, sich „gegen Angriffe noch wirksamer zu verteidigen“, will selbst jedoch vorerst auf offensive Aktionen verzichten."(...)


wer sich ein bißchen mit dem machtgerangel der kurdischen parteien - die drei in den beiden oben zitierten artikeln sind die relevanten - beschäftigt hat, kann sich ganz verschiedene variationen der weiteren entwicklung vorstellen. keine davon ist besonders ruhig, im gegenteil. die auseinandersetzungen in den kurdischen gebieten der türkei waren meines wissens in den letzten monaten teils so massiv und von breiten bevölkerungskreisen getragen, dass die reaktionen der türkischen armee wie üblich ebenfalls extrem ausfielen - extrem brutal, was dann wiederum zulauf für die guerilla brachte. ein imaginärer kurdischer staat würde sich auf heutigen territorien der türkei, des irans, des iraks und syriens befinden und würde dazu im nordirak auch einiges an ölvorräten besitzen. wenn man sich eine durchaus im bereich des möglichen liegende zunehmende instabilität der letzten drei ausmalt, wird zumindest mir bei den dann möglichen optionen in dieser gegend ziemlich schummrig vor augen. nicht falsch verstehen: die jetzigen zustände sind in diverser hinsicht ein einziger riesiger skandal, aber jenseits dessen könnte die ganze aktuelle "politische architektur" der region so derart aufgemischt werden, dass dieser ganze teil der welt nicht wiederzuerkennen wäre. wie gesagt: optionen.

(was noch dazukommt: nordöstlich schliesst sich in zentralasien die ganze kette der ehemaligen südlichen sowjetrepubliken an, und zu den zuständen dort bzw. den allerjüngsten entwicklungen in zumindest einigen dieser länder gibt es auch einiges zu sagen - mehrheitlich sind das ebenfalls schlicht und einfach - diktaturen. aber das dürfte dann schon zum nächsten beitrag gehören).

yemen: geht in der aufmerksamkeitsökonomie etwas unter, obwohl vieles dafür spricht, dass das land das nächste sein könnte, aus dem ein autoritärer herrscher fliehen muss. die
jüngsten entwicklungen:

(...) "Etwa 2.000 Häftlinge haben sich im Jemen den Protesten gegen Präsident Ali Abdullah Saleh angeschlossen und in einem Gefängnis in Sanaa am späten Montag gemeutert. Mehrere Wachleute seien als Geiseln genommen worden, sagte ein Behördenvertreter am Dienstag. Einige Häftlinge hätten ihre Matratzen in Brand gesteckt und den Gefängnishof besetzt.

Das Sicherheitspersonal habe Tränengas eingesetzt und in die Luft geschossen, sagte der Behördenvertreter. Seit Wochen kommt es im Jemen zu Protesten gegen die Regierung.

Der TV-Sender al-Dschasira berichtet , die Insassen hätten die Kontrolle über das Gefängnis erkämpft, die Büroräume seien ausgebrannt und alle Angestellten hätten das Gebäude verlassen. (...)

Hunderte Menschen haben sich am Dienstag vor der Universität in Sanaa versammelt, um den unverzüglichen Rücktritt des jemenitischen Präsidenten Ali Abdulla Saleh zu fordern. Die Behörden zogen rund um den Ort der Kundgebung und beim Präsidentenpalast starke Kontingente der Sonderpolizei zusammen." (...)


klingt es zynisch, wenn ich von außen, aus der position eines eher nichtsahnenden "westlers", den yemen als "wundertüte" betrachte? es gab genügend berichte, die mich haben staunen lassen - das land hat irgendwie im medialen mainstream das image eines "failed state", wo al-quaida und irgendwelche wilden stämme in den bergen hausen. könnte es sein, dass sich das zukünftig als eine der größeren medialen desinformationen der neuzeit entpuppt?

iran; libyien: beides länder, die momentan thematisch gesondert behandelt müssten - ich neige gerade dazu, noch etwas abzuwarten, weil ich mir in beiden fällen eingestehen muss, viel zu viel spekulieren zu müssen, solange ein paar aus meiner sicht wesentliche informationen nicht vorhanden sind.

*

so. ich hoffe, dass Sie sich als leser/-in jetzt nicht völlig erschlagen fühlen. schließlich wird es im nächsten teil der reihe um entwicklungen gehen, die außerhalb der gerade thematisierten regionen stattfinden und kein stück weniger relevant, interessant, aufschlußreich sind (der kommt aber erst innerhalb der nächsten tage). ich bin mir jedenfalls gerade überhaupt nicht mehr sicher, ob die welt am ende dieses jahres nicht in einer art und weise verändert sein wird, dass uns aus diversen gründen die ohren schlackern werden.

Dienstag, 8. März 2011

assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (7)

"Das neue Jahr hatte kaum begonnen, da wagte einer der renommiertesten internationalen Lebensmittelexperten eine Prognose: Um Ostern, also Ende April, würden Hungerrevolten ausbrechen, warnte der Franzose Philippe Chalmin. (...) "Ich bin sehr besorgt." Doch schon wenig später stellte sich heraus, dass die Warnungen des Fachmanns Chalmin sogar noch untertrieben waren. Die explodierenden Lebensmittelpreise lösten am Freitag die ersten schweren Unruhen aus: Bei Protesten in Algerien starben zwei Männer, 400 Menschen erlitten Verletzungen. Eine wütende Menge griff Regierungsgebäude an, Banken und Postfilialen wurden geplündert. Die Regierung in Algier beschloss, Einfuhrzölle und Steuern auf Zucker und Speiseöl zu senken.

Die Ausschreitungen könnten der Auftakt einer globalen Serie von gewaltsamen Demonstrationen gegen kaum noch bezahlbare Lebensmittel sein. In der vorigen Woche schockte die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO mit den neuesten Zahlen ihres Preisindexes für die wichtigsten Grundnahrungsmittel: Das Barometer, das die Teuerung von Erzeugnissen wie Weizen, Reis, Korn, Zucker, Speiseöl und Milchprodukten anzeigt, schoss im Dezember auf den höchsten Stand seit seiner Einführung zu Beginn der neunziger Jahre." (...)


("Angst vor neuen Hungerrevolten"- mitte januar veröffentlicht)

*

so, hier kommt die verspätete fortsetzung der
sechsten folge dieser reihe - ich hatte und habe die letzten tage ausgiebig mit den unangenehmen effekten eines blockierenden halswirbels zu tun, eine erfahrung, auf die ich ganz gut verzichten könnte. aber bekanntlich lautet ja eine der unausgesprochenen folgerungen dieses blogs ungefähr so: der körper ist der meister. manchmal oder auch gar nicht so selten bringt sich diese absolute basis unserer existenz sehr nachdrücklich und sehr schmerzhaft wieder zu bewußtsein.

der - hm, vorteil an der geschichte für diesen beitrag ist nun, dass sich in den tagen seit donnerstag nun schon wieder derartig viel ereignet hat, dass ich zunächst mit einigen nachträgen beginnen werde. das zitat oben soll im übrigen als eine art sehr loser roter faden dienen; das thema der hungerrevolten und die frage danach, wie und ob denn die aktuellen aufstände unter diesem begriff verstanden werden können, wird im folgenden immer wieder eine rolle spielen.

*

nordafrika / arabische halbinsel:

saudi-arabien: nachzutragen bleibt eine
meldung, die am wochenende verbreitet wurde und nochmal deutlich macht, wie nervös die ölprinzen inzwischen sind:

"In Saudi-Arabien hat die Regierung ein Kundgebungs- und Demonstrationsverbot erlassen. Die Sicherheitskräfte würden mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Versuche unterbinden, die öffentliche Ordnung zu gefährden, berichtete das staatliche Fernsehen am Samstag unter Berufung auf das Innenministerium. Zuvor hatte es kleinere Protestkundgebungen der schiitischen Minderheit im Land gegeben." (...)

das ein paar tage vor dem ersten angekündigten "tag des zorns" am 11. märz und mit unruhen in so ziemlich allen angrenzenden nachbarländern konfrontiert: im süden der yemen und oman, im osten die golfstaaten und -emirate, im norden der irak und im nordwesten jordanien - die diktatur der öligen könige muss sich inzwischen wie in einem kochenden krater vorkommen, und die präventiven ankündigungen verheissen nichts gutes.

kuwait: hatte ich im letzten beitrag noch von den dortigen protestierenden staatenlosen arbeiterInnen geschrieben, die als erste auf den straßen waren, so haben diese inzwischen
gesellschaft bekommen:

(...) "Für Dienstag haben mehrere Gruppen zu Kundgebungen in dem Golfemirat aufgerufen. Nach dem Vorbild der Aufstände in Tunesien und Ägypten fordern sie die Absetzung des Ministerpräsidenten und größere politische Freiheiten. Die Organisatoren, vor allem junge Kuwaitis, haben keine Genehmigung für ihre Demonstrationen eingeholt - die damit illegal wären und die Regierung vor eine Machtprobe stellen könnten." (...)

ich konnte bisher noch nichts finden, ob und was da heute möglicherweise passiert ist. kann sein, dass ich später nochmal drauf zurückkomme und ergänze.

tunesien: zur illustration und vertiefung meiner thesen vom letzten beitrag - die revolution befindet sich tatsächlich in ihrer nächsten und ebenfalls entscheidenden
phase:

(...) "Wem gehört die Revolution? Allein der "Kasbah", den tausend Personen, die seit zwei Wochen die Regierung erfolgreich unter Druck setzen, weil sie notfalls auch 100000 Menschen mobilisieren? Vor dem Sportpalast von El Menzah, einem noblen Außenviertel von Tunis, sieht man das anders. Hier demonstriert seit Montag täglich zwei Stunden die "schweigende Mehrheit", von der Ghannouchi in seiner Rücktrittsrede gesprochen hatte. Es sind etwa gleich viel Leute wie auf dem Kasbah-Platz. Doch ist es eine andere Gesellschaft. Viele tragen Krawatte. Demonstriert wird zwischen 17 und 19 Uhr. Vorher arbeitet man schließlich. Man will ja ein neues Tunesien aufbauen. Das wollen die Jugendlichen auf dem Kasbah-Platz gewiss auch, bloß haben die meisten von ihnen eben keine Arbeit." (...)

das beschreibt nochmal ganz gut den konflikt, den ich auch skizziert habe - hier wird entschieden, ob es letztlich in richtung einer sozialen revolution geht oder aber lediglich - ich sagte schon, dass das im verhältnis zur diktatur schon eine verbesserung wäre - eine spezifisch nordafrikanisch-tunesische bürgerlich-demokratische herrschaftsform etabliert wird.

an dieser stelle seien die nachträge erstmal beendet, und es ist durchaus sinnvoll, sich anhand der drei beispiele oben gedanken zu machen zum stichwort vom beginn: hungerrevolten?

wenn ich mir das, was ich inzwischen fragmentarisch in den letzten monaten zu den diversen ländern alles gelernt habe, so betrachte, dann finde ich, dass sich bei dieser frage zunächst ein sehr grober regionaler, geographischer unterschied festmachen lässt: das motiv des hungers (bürokratischer: "nahrungsmittelknappheit") spielt in nordafrika (ausnahme ist möglicherweise ausgerechnet libyien) eine große, aber nicht die einzigste rolle. auf der arabischen halbinsel hingegen - die ausnahme dürften hier zunächst der yemen, aber auch der irak darstellen - rangiert es von außen betrachtet unter den motiven der proteste weiter hinten. der grund für diese unterscheidung dürfte klar sein und ist in einem einzigen kurzen wort zusammenzufassen: öl.

saudi-arabien und die meisten golfstaaten verfügen aufgrund ihrer vorräte an fossilen brennstoffen ebenso wie libyien immer noch über so derart viel materiellen reichtum, dass es ihren herrschern potenziell möglich wäre, sämtliche (materiellen) nöte in ihren ländern abzustellen. das das teils nicht bzw. nur unzureichend (libyien, einige golfemirate) geschehen ist und die schlichte wahrheit des satzes "der mensch lebt nicht von brot alleine" - das beides ergibt zusammen die glut, aus der jetzt die flammen der revolte hochschlagen. in nordafrika hingegen ist der aufstand in ländern wie tunesien, algerien, ägyten... für viele etwas, was auf eine anderen ebene existenziell ist - hier geht und ging es gerade für die mehrheit der armen unterklassen ums pure überleben, eine situation, die durch das geprotze, die widerwärtigkeiten und die repression der jeweiligen diktatorischen clans dann bekanntlich vor kurzem derart unerträglich wurde, das seit dem die weltgeschichte weiter und neu geschrieben wird.

meine eigene antwort, ohne anspruch auf vollständigkeit, auf die frage des anfangs also: teils-teils. die nahrungsmittelpreise spielen und spielten eine rolle, die aber möglicherweise in allernächster zukunft noch deutlicher und fataler werden wird. es ist nämlich kein ende des anstiegs absehbar, und das nicht nur deshalb, weil diese preise nicht nur indirekt mit dem ölpreis zusammenhängen. ebenfalls aber werden die aufstände - und zwar querdurch alle länder hindurch - von wünschen nach mehr gesellschaftlicher partizipation im allgemeinen sinne befeuert - und dabei spielen die städtischen mittelschichten, die dazugehörigen (gutausgebildeten) jugendlichen und auch teile der weiblichen bevölkerung eine große rolle. in so ziemlich allen derzeit "betroffenen" staaten, in denen die aufständigen bewegungen schon die "kritische masse" erreicht haben oder aber dabei sind, diese zu erreichen, spielen blanke materielle existenznöte (für große teile der land-, aber auch stadtbevölkerungen), perspektivlosigkeiten von millionen teils sehr junger menschen, bewußtsein über die bisher völlig fehlenden möglichkeiten der eigenen und politischen selbst- und mitbestimmung sowie das inzwischen global übliche arm-reich-gefälle - das letztere auch besonders für diejenigen, die in den ländern einen arbeitsplatz haben, egal ob im öffentlichen oder privaten sektor; die zahl der gemeldeten stattgefundenen, stattfindenden oder geplanten streiks in den regionen ist nicht mehr zu überblicken - zusammen die entscheidende rolle, um diejenige wucht ins rollen zu bringen, die nötig ist, um diktaturen der dortigen sorte hinwegzufegen. das das nur der erste schritt auf einem langen weg sein kann, wenn es darum geht, das jahrzehnte- bis jahrhundertealte geflecht aus autokratischen, feudalen, religiös untermauerten und patriarchal geprägten (teils auch noch stammes- und clan-) strukturen aufzurollen, dürfte etlichen aktivistInnen in den ländern selbst klar sein.

soweit ein antwortversuch, wie ich ihn z.zt. ungefähr geben würde. mit der frage
Demokratie- oder Hungerrevolten? hat sich vor wochen schon telepolis beschäftigt. lesen, auch wenn ich die frage eben nicht so formulieren würde.

*

was ich gerade oben von "ersten schritten auf einem langen weg" geschrieben hatte, wird untermauert von einem ganz frischen beitrag der
nahostinfos- eine aktion zum internationalen frauentag heute in kairo auf dem tahrirplatz...

"Auf dutzenden Blogs und auf facebook wurde geworben und zum Frauenmarsch auf dem Tahrir-Platz in Kairo aufgerufen. Auf einer facebook-Seite hatte das mehr oder weniger feministische Event über tausend Teilnahmezusagen erhalten. Mit dem noch der revolutionären Hybris entstammenden Pathos sollte es ein “Millionenmarsch für die Frau” werden. Es ging um mehr Gleichberechtigung in einer neuen, säkularen Verfassung und die öffentliche Thematisierung und Kritik des patriarchalen und sexistischen Alltags, wie er sich vor allem in den täglichen verbalen und physischen (=offensives Grabschen) sexistischen Übergriffen auf Frauen mit und ohne Kopftuch, die 9 von 10 befragten ägyptischen Frauen schon mehrmals erlebt haben, äußert. So viele waren enthusiastisch, Schilder wurden gemalt, Witze kursierten auf twitter. Doch 18 Tage Kairiner Revolution verändern eben doch keine Gesellschaft.

Es kam anders, aber anders, als alle dachten. Nur einige Dutzend Frauen und ein paar Männer fanden sich auf dem Tahrir-Platz ein, und begannen zwei Transparente und selbstgemachte Schilder hochzuhalten und Flyer zu verteilen, die u.a. eine säkulare Verfassung und die Möglichkeit weiblicher Präsidentschaft forderten. Auf Schildern verurteilten sie die weitverbreitete Praxis der sexuellen Übergriffe. Innerhalb kurzer Zeit sammelten sich Männer um die kleine Gruppe, und ganz im Sinne massendynamischer Prozesse kamen, als es etwas zu sehen gab, immer mehr hinzu. Bald waren die DemonstrantInnen, die zu unterschiedlichen Zeiten zwischen 70 und 250 an der Zahl waren, von bis zu tausend ganz normalen ägyptischen Männern [manche behaupten, es seien "angeheuerte thugs" gewesen, aber unklar wer sie hätte anheuern sollen] von allen Seiten umringt, die sie beschimpften, beleidigten und teilweise angrapschten. Sie wurden wahlweise als Ausländer oder “Katzen” bezeichnet, und in hitzigen Pöbeleien ging es darum, dass sie zurück in die Küche sollten, sich nicht wundern brauchten betascht zu werden, wenn sie so aussehen würden. Am meisten aufgebracht waren die Männer von der Forderung, dass auch Frauen Präsident werden sollen. Das alles sei irgendwie gegen die Werte, wahlweise ägyptische, islamische, arabische etc." (...)


so bitter es klingen mag - aber derlei szenen sind in den zwischen- oder nach?revolutionären phasen durchaus zu erwarten. ich kann mich an die vielen teils euphorischen äusserungen gerade von frauen aus den 18 tagen der "republik tahrir" erinnern, hier eine durchaus
repräsentative:

(...) "Der Tahrirplatz hat sich in eine gut organisierte Republik innerhalb der Republik verwandelt. Menschenliebe, Aufmerksamkeit und Rücksicht zeichnet das Verhalten aller DemonstrantInnen aus. Komitees für Sauberkeit und Ordnung sind gebildet worden. Ein Teil des Platzes wurde für Menschen mit Behinderungen bestimmt, dort können sie von den anderen unterstützt und beschützt am Geschehen teilnehmen. Die Nahrungsmittelspenden werden über Stände verteilt. Es sind Millionen, die sich selbst ohne fremde Hilfe verwalten. Es sind zahlreiche Ambulanzstationen errichtet worden. Es gibt keine einzige Meldung über Diebstähle, sexuelle Belästigungen oder Gewaltverbrechen. Nicht vom Tahrirplatz, aber auch nicht vom ganzen Land. Ein Land in der Größe Ägyptens mit 80 Millionen EinwohnerInnen ist in einem Zustand der Aufruhr, ohne einen einzigen Polizisten, und ist dennoch sicherer als vor dem 25. Januar!" (...)

selbst, wenn das in der totalität als übertrieben gezeichnet erscheint - der kern des berichts darf durchaus als realistisch angesehen werden, und frauen waren nach vielen berichten durchaus völlig selbstverständlich überall beteiligt. telepolis hat heute übrigend gerade vier frauen aus der region nochmals beispielhaft
gewürdigt, und ihr anteil an den revolutionären prozessen ist bereits jetzt ein geschichtlicher fakt.

ist der bericht aus kairo von heute nun ein zeichen für das scheitern der revolutionären bewegung? ich finde nein - immer noch befinden sich ausser tunesien alle anderen staaten in der ersten oder gar den vorphasen der eigenen möglichen revolution. ägypten hat nach dem ersten meilenstein - sturz der symbolischen führungsfigur - noch viel arbeit vor sich, die in tunesien schon weiter fortgeschritten ist. die künftige stellung und bedeutung von frauen im öffentlichen leben lässt sich allerdings - aus westlicher sozialisierter sicht - als echte nagelprobe für die frage ansehen, wieweit sich die antidiktatorischen revolten zu sozialen revolutionen entwickeln - einfach deshalb, weil dieser aspekt sehr direkt an die weiter oben angesprochenen basisstrukturen auch der heutigen herrschaftssyteme in den beiden regionen rührt. und zukünftig bedeutet das auch einen schärferen konflikt zwischen womöglich immer größeren teilen der weiblichen bevölkerungen dieser länder mit allen vorhandenen spielarten des islam. was wir gerade erleben, kann der erste schritt in diese zukunft sein.

vielleicht sollte für leute, besser gesagt männliche leute, die bei dem bericht aus kairo schon wieder chauvinistisch abgewunken haben und im stillen denken: "sieht man(n) ja wieder, wie `die araber´ wirklich ticken" auch noch die empfehlung auf den weg gegeben werden, sich selbst - vorzugsweise als beobachter - auf den weg zu hiesigen feministischen aktionen zu machen und einfach mal zu sehen und zu hören, wie die reaktionen des hiesigen publikums dann so ausfallen. jegliche anflüge kultureller arroganz sollten sich in aller regel dann zuverlässig verflüchtigen.

*

so, wieder recht lang geworden, und ich mache wieder einen cut. aber der nächste teil soll in den kommenden stunden folgen.

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