notiz: aufgeschoben...

...ist nicht aufgehoben – ein satz, der sich auf die im letzten beitrag hier versprochene definition des begriffs autismus bezieht – es ist einfach so, dass es gerade nicht ganz einfach ist, diverses material, welches ich in dem zusammenhang gerne nutzen würde, über einen öffentlichen zugang ins netz zu bekommen - erst recht dann, wenn eine eigentlich geplante scan-session bei einem freund aus verschiedenen gründen nicht zum erfolg führt. das bedeutet tipparbeit. von daher also muß ich Sie noch einmal etwas um geduld bitten. gefällt mir selbst nicht so recht, weil ich schlecht einschätzen kann, wieweit für die leserInnen hier die inhalte ohne bestimmte (primär psychiatrische) hintergrundkenntnisse überhaupt sinn machen. ich hoffe aber, dass bisher zumindest aufgrund der bisherigen beiträge eine tendenz klargeworden ist, um was es mir hier eigentlich geht.

*

ich schaue schon seit längerer zeit nur noch sehr sporadisch tv, besitze kein eigenes gerät mehr, und manchmal ergibt sich zufällig woanders eine art fernsehabend – so wie letzten donnerstag. unabhängig von irgendwelchen inhalten fällt mir dabei – gerade durch die großen abstände bedingt – von mal zu mal mehr auf, wie rasant sich eigentlich stil und inhalte des programms in den letzten jahren geändert haben – alles, selbst die nachrichten im sog. öffentlich-rechtlichen programm, hat einen touch von event bekommen, bei dem es – zumindest teilweise – offensichtlich darum geht, bei den konsumentInnen bestimmte reaktionen zu erzeugen. das dürfte nun bei der nutzung der medien nichts grundsätzlich neues sein, aber was mich überrascht, ist die totalität, mit der sich das durchgesetzt hat. gerade, wenn ich mich an meine eigene tv-sozialisation in den 1970er jahren mit drei programmen, sendeschluß und testbild erinnere. die beschleunigung und hektik, die sowohl die bilder als auch die inhalte im vergleich zu „damals“ befallen hat, ist atemberaubend im wortwörtlichen sinne.

aber darum geht es mir nicht in erster linie, sondern um das, was sich da als relativ zufällig programmabfolge ergeben hat. einmal gab´s da das politmagazin „panorama“, welches neben einem bedrückenden bericht über folter bei der us.army auch zur alltäglichen abschiebepraxis in deutschland einen bericht präsentierte, der es in sich hatte – und hier meine ich vor allem ein interview mit einem der für abschiebungen verantwortlichen beamten:

„(...) Gegen die Abschiebung der Mutter von Amina und Nura gab es keine rechtlichen Bedenken, meinte die Ausländerbehörde Hildesheim. Die Töchter und der Vater waren noch geschützt durch ein laufendes Verfahren. Kurzerhand riss die Polizei die Familie auseinander und nahm nur die Mutter mit.
(...)
O-Ton
Burkard Berndt,
Kreisrat Landkreis Hildesheim:
„Im Augenblick des Zugriffs ist erst den Behörden vor Ort bewusst geworden, dass die Familie komplett so nicht abgeschoben werden kann. Das ist eine Situation, die uns auch nicht sehr angenehm ist, aber wir sahen dann in der Situation keine andere Möglichkeit, um die Rechtslage durchzusetzen.“

PANORAMA:
„Sie hätten von der Abschiebung ganz absehen können.“

O-Ton
Burkard Berndt,
Kreisrat Landkreis Hildesheim:
„Das sehe ich jetzt so nicht.“
(...)

PANORAMA:
„Heißen Sie die Entscheidung gut, persönlich?“

O-Ton
Burkhardt Berndt,
Kreisrat Hildesheim, CDU:
„Also........das,....das kann man so nicht... also, das... Da muten Sie mir jetzt zu viel zu, dazu eine öffentliche Stellungnahme abzugeben.“
(...)


leider lassen sich hier die zugehörigen bilder nicht wiedergeben. auf die letzte oben dokumentierte frage folgte die antwort mitnichten sofort, sondern der beamte wurde etwa für eine sprachlose, aber dennoch ausdrucksvolle minute mit einem minen- und gestikspiel gezeigt, welches einfach beeindruckend war. er hat sich regelrecht gewunden wie eine qualle. und bei mir die frage ausgelöst, wodurch sich solche beamte eigentlich – mal abgesehen vom outfit – von ihren ebenso pflichtgetreuen vorgängern im nationalsozialismus unterscheiden. das aus deutschland heute immer wieder menschen in ihren sicheren tod abgeschoben werden (und in der regel in eine elende lebenssituation), lässt sich u.a. in den veröffentlichungen von amnesty international, pro asyl und diversen antirassistischen initiativen nachlesen.

als nächste frage steht dann allerdings an: wo unterscheiden wir uns eigentlich, liebe leserin und lieber leser, von der bevölkerung des nationalsozialistischen deutschlands in dieser frage, wenn es z.b. um deportationen geht? böse und polemische frage, ich weiß. aber wir können uns definitiv nicht mit „ich habe nichts davon gewußt“ herausreden.

ein ehemaliger cdu-bundesminister, dem ich solches gar nicht zugetraut hätte – aber das alter macht menschen (manchmal) mild und human:


O-Ton
Christian Schwarz-Schilling, CDU,
Minister a.D.:
„Ich bin sehr enttäuscht, wie wenig sensibel wir aus unserer Geschichte gelernt haben – wir haben die schlimmsten Vertreibungen erlebt in Deutschland, wir haben die schlimmsten Holocaust-Ereignisse in Deutschland erlebt, warum ziehen wir so wenig Lehren aus unserer eigenen Geschichte.“


eine möglichkeit der antwort: es braucht bestimmte wahrnehmungsfähigkeiten, um derartiges staatliches antisoziales verhalten überhaupt als solches wahrnehmen zu können. sich die geschichte speziell dieses landes zu betrachten, heisst auch, einen einblick in die empathiefähigkeiten unserer vorfahren zu bekommen. weit her scheint´s damit bekanntlich nicht gewesen zu sein. und leider scheint dieser zustand noch anzudauern.

*

beim stöbern im buchladen neulich auf den zugegebenermaßen reisserischen titel "Asoziale Marktwirtschaft" aufmerksam geworden. nicht unbedingt eine generelle kritik am westlichen kapitalismus, eher wird eine art von mentalität bei großen konzernen als „asozial“ bezeichnet, welche sich – aus sicht der autoren – primär daran festmachen lässt, wie große unternehmen ganz „legal“ mehr und mehr bspw. um ihre steuerpflichten herumkommen. investigativer journalismus im wallraffstil (einige werden sich daran bestimmt noch erinnern können). als materialsammlung kann ich es unter vorbehalt (ich habe es nur einmal länger durchgeschaut) empfehlen. im vorwort ist u.a. zu lesen:


„Was wir herausgefunden haben, lässt sich auf den einfachen Satz bringen: Die Konzerne plündern den Staat aus, auf jede nur erdenkliche Art und Weise – immer gedeckt durch die Gesetze.

Das ist das wirklich Erschreckende: Alles, was die Konzerne tun, ist juristisch erlaubt, kein Trick ist wirklich illegal. Schuld daran ist eine Politik, die sich den Konzernen andient und ihnen all dies ermöglicht; häufig durchaus gewollt, manchmal als Ergebnis „handwerklicher Fehler“, oft aber auch deshalb, weil die Konzerne über die raffinierteren Berater und auch mehr Macht verfügen als die Politik.“


eine art populäre, klassisch sozialdemokratische wirtschaftskritik also, die das sog. primat der politik („des staates“) gegenüber der wirtschaft betont, sachlich nicht unbedingt falsch ist, jedoch in meinen augen die grundlagen des desasters zuverlässig und permanent ausblendet. ich hänge als ergänzung mal ein kleine passage aus dem bereits mehrfach erwähnten buch „borderline...“ von j.e. mertz (siehe literaturliste) an das obige zitat:


„Das geschriebene Gesetz ist ohnehin nur ein prothetisches Surrogat, als solches kann es das antisoziale Phänomen in (...) relevanter Weise nicht definieren. Das reale antisoziale Phänomen setzt beim authentischen Defekt oder Defizit an und muß keineswegs die Grenzen des geschriebenen Gesetzes übertreten. Reale Antisozialität kann sogar die geschriebenen bzw. praktizierten Gesetze dahingehend verändern, daß gewisse extrem antisoziale Aktionen zur Norm erklärt werden und eindeutig (authentisch) prosoziale Aktionen als Verbrechen erscheinen.“

(S.225)


muß dem noch etwas hinzugefügt werden? alle, die auch nur einen hauch von wissen über die jüngere geschichte besitzen, können ohne schwierigkeiten mit etlichen beispielen die obige these füllen. das möchte ich mir an dieser stelle sparen.

*

aber trotzdem passend dazu noch auf das "Schwarzbuch Markenfirmen" aufmerksam machen:


Markenfirmen wie Adidas, Coca-Cola, McDonald's, Mercedes, Nestlé und Siemens setzen die Trends in der Konsumindustrie. Sie diktieren Modeströmungen genauso wie internationale Vereinbarungen. Ihre Konzernumsätze übertreffen die Wirtschaftskraft zahlreicher Länder. Ihr Einfluss ist teilweise größer als der von Regierungen und politischen Institutionen. Der Wert einer Marke - und damit die Macht der Konzerne - misst sich längst nicht mehr am gehandelten Produkt, sondern an dessen Image: Der Aspirin-Hersteller Bayer wirbt mit »Kompetenz und Verantwortung«, Shell rühmt sich für seine ökologische und soziale Vorreiterrolle und Nike sieht sich als »Corporate Citizen«, der liebevoll für die »weltweite Nike-Familie aus Sportlern, Konsumenten und jenen, die für uns arbeiten« sorgt.

»Die für uns arbeiten«, das sind immer öfter Menschen aus den Billiglohnländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Ausbeutung, Zwangs- und Kinderarbeit sind dort an der Tagesordnung. Menschen und Lebensräume werden vergiftet, Regierungen erpresst, Krisen und bewaffnete Konflikte ungeniert ausgenützt oder sogar finanziert. Bekannte und beliebte Weltmarken tolerieren Folter, Sklaverei, unerlaubte Medikamentenversuche, Diskriminierung, Tierquälerei, Umweltzerstörung und die Verfolgung von Gewerkschaften und Kritikern.“


erinnern Sie sich? auf der angegebenen homepage des buches lohnt es sich übrigens, einmal auf die ganzen firmenlogos zu klicken.

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