somlu (Gast) - 5. Mär, 10:43

Langsam klärt sich bei mir eine Irritation, auf die ich den Finger nicht legen konnte. Etwas unsortiert und assoziativ:

In meiner Qualifikation ging es u.a. auch um Vertriebsmethoden. Insgesamt fand ich die Trainingswoche interessant aber irritierend.

Letzlich geht es im professionellen Vertrieb darum mit psychologischen bis psychoanalytischem Halbwissen mein Gegenüber idealerweise so zu bearbeiten , dass er meine Produkte lieber kauft als die des Konkurrenten. Neben der Analyse von Menschen nach H.D.I (Herrmann Dominanz Instrument) und einigen vorsichtig plazierten aber positiven Bemerkungen zu NLP, ging es auch um Beschwerdemanagement.

Heutzutage bedeutet professionelles Beschwerdemanagement nichts anderes als um jeden Preis freundlich zu bleiben und damit den Kunden genug zufriede zu stellen, dass er wieder oder weiterhin bei mir kauft. Naja, man kann sich ungefähr vorstellen, was da den Menschen abverlangt wird ab "professioneller Freundlichkeit". Die Begriffe"Dienstleistung", "Professionalität", "Freundlichkeit" werden hier zu einem verwirrenden Knoten zusammengemischt, der dem Menschen, der noch spontan reagiert als unprofessionell abstempelt. Üble Sache. Das ist subtiler als die vertragliche vereinbarte Lächelvorgabe, fünktioniert deswegen aber vermutlich besser.

Noch ein Gedanke, auffällig ist ja in diesem Zusammenhang, dass genau diese "Schlüssselqualifikationen" eher bei Frauen festgestellt werden und weswegen an solchen Stellen auch bevorzugt Frauen eingesetzt werden. Verhaltensweisen, die Frauen sozialisationsbedingt eher aufweisen als Männer, werden beruflich ausgebeutet unabhängig davon, ob gerade diese Verhaltensweisen nicht besser mal zu problematisieren wären.

Als Linguistin, die sich auch mit Gesprächsverhalten von Männern und Frauen beschäftigt hat, weiß ich darüber hinaus auch, dass Frauen, die diese VErhaltensweisen nicht an den Tag legen, häufig als "unweiblich" wahrgenommen (abgestempelt) werden. Damit werden bestimmte, im Zweifel auch selbstschädigendes Verhalten auf die Wahrnehmung für richtiges Verhalten der Geschlechter festgeschrieben. Es geht dabei um eher unbewußt gelagerte Prozesse der Wahrnehmung, die über Haltungen in einer Gruppe/Gesellschaft weitergegeben werden. Zu deutsch, eine Frau, die (messbar) genauso aggressiv auf ein Ereignis reagieren würde, wie ein Mann (was ja in Zeiten des Defizitansatzes in der Frauenbewegung auch gang und gäbe war und auch heute noch , hört man da und dort, z.B. dass Frauen ja nur besser verhandeln müssten, dann würden sie das gleiche verdienen, wie Männer), würde sie als zu aggressive Frau wahrgenommen werden und nicht ebenso aggressiv, wie ein Mann.

Noch einmal zu der Trainerin, deren Auftreten und Erscheinung und gleichzeitiger Erfolg im Vertriebsbereich mich ersteinmal irritiert haben. Sie ist eine blondierte, immer geschminkte, mit viel Goldschmuck daher kommende Frau, deren Stimme auch eher in einem Frequenzberech liegt, den ich anstrengend finde. Aber genau dieses Auftreten ist es ja, dass von Frauen erwartet wird und da durch dieses Auftreten in der Wahrnehmung der Anderen keine Irritation auftritt, kann sie auch gerade in einem hochmanipulativen Bereich, wie dem Vertrieb erfolgreich tätig sein.

wednesday (Gast) - 5. Mär, 12:41

> Frauen, die diese Verhaltensweisen nicht an den Tag legen, häufig
> als "unweiblich" wahrgenommen (abgestempelt) werden.

Frauen, die nach Ansicht ihres Gegenüber zu wenig lächeln, Gesten unterlassen, mit denen frau sich mehr oder weniger bewusst unterwürfig und kokett präsentiert, werden auch immer wieder gerne als Lesben bezeichnet. Heute geschieht das anscheinend nicht mehr so schnell und häufig wie noch vor 20 Jahren, als ich, völlig unbedarft, das erste Mal ins Arbeitsleben stolperte.

Es wird vom Mädchen und der Frau erwartet, und eben allgemein vom _Dienstleister_, sich allem und jedem mit Interesse und Hoffnung zuzuwenden, ohne daß sie/er ihre eigenen Wünsche und Erwartungen in Worte fasst, oder gar in Gesten. Roswitha Scholz spricht auch in diesem Zusammenhang von "Hausfrauisierung" der Arbeitswelt.
Sprich, Eigenschaften, die ewige Zeit als "weiblich" galten, werden zunehmend auch von männlichen Rangunteren erwartet, die auch nicht mehr als Männer wahrgenommen werden, sondern als eine Art schemenhafter Diener (man sollte mal erlebt haben, wie sich wirklich Reiche Handwerkern gegenüber verhalten, es erinnerte mich an die Art, wie man mit Dienstboten umsprang, die tatsächlich wie Unsichtbare behandelt wurden).
Gewisse Verhaltensweisen wie Rücksichtslosigkeit, zurechtweisende Unhöflichkeit, Schmähung und zur Schau getragene Gefühlskälte wird bei Menschen in Chefpositionen viel eher akzeptiert und sogar von deren Fußvolk anerkannt, als die Aggressivität mancher gehetzter Hartz-IV-EmpfängerInnen, die dann schon eher das Recht haben sollten, auf die Gesellschaft, die sie mißhandelt und ausstösst, zu spucken.

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