kandinsky (Gast) - 10. Dez, 18:44

Mit Blick auf´s Detail

Hallo :)

Zitat:
"Selbstverständlich wird "der Mensch" nicht erst durch (Lohn-)Erwerbsarbeit zum Menschen. Im Gegenteil, in ihr wird er sich selbst fremd, zum Ding, ist Ware. Schule bereitet ihn auf diesen psychischen Tod vor. Wir wissen gar nicht, was ein Mensch ist bzw. sein kann, wir kennen ihn mit wenigen Ausnahmen nur als Ding, als Ware. Die Volkswirtschaftslehre benennt uns so: Wirtschaftssubjekt, Humankapital, Nichtbank. Wir sind nur Subjekt in der Wirtschaft, also Objekt, nur Mensch als verwertbares Kapital, also Nichtmensch. Wir werden von Banken erkannt als nicht ihresgleichen.

Der Widerspruch, in dem Jugendliche heute leben, ist der: Sie sollen sich zum verwertbaren Objekt mit Hilfe der Institution Schule selbst modellieren, ohne zu wissen, ob diese Selbstmodellierung auch tatsächlich zur Verwertbarkeit führt, weil die erfolgreiche Verwertung als Ding/Ware nur zu einem Teil vom erreichten "persönlichen" Gebrauchswert abhängt. Sind keine Tauschwerte mit diesen Gebrauchswerten zu erzielen, werden sie nicht verwertet. Dieser Verwertungsmangel heißt Arbeitslosigkeit. Die Alternative ist also höllenhaft. Entweder gelingt es, zum verwertbaren Ding, zur anwendbaren Ware zu werden oder es gelingt nicht einmal das. Entweder ist man Ding und Ware oder man ist nichts. Das Nichts ist schlimmer als die Verdinglichung."

Den letzten Satz würde ich gern abwandeln in: Das Nichts scheint schlimmer als die Verdinglichung.
Das Nichts gibt zumindest noch ein wenig Spielraum, während in der Verdinglichung nichts mehr möglich ist und scheint.
Vor langer Zeit gabe es bei Saar-Echo einen Artikel, der ein wenig ins Detail geht, und beschreibt, wie es mit dem Nichts bestellt ist. Ich poste das mal hier, das es sich hier um zusammengesuchte Texte von Erich Fromm handelt:

"”Immer wenn eine (durch Privilegierte unterdrückte) Klasse um ihre eigene Befreiung kämpfte, so tat sie dies im Glauben, für die menschliche Freiheit als solche zu kämpfen, so dass sie an ein Ideal, an die Sehnsucht nach Freiheit bei allen Unterdrückten appellieren konnte. In diesem langen und praktisch immer noch fortwährenden Kampf um die Freiheit liefen jedoch Klassen, die gegen die Unterdrückung gekämpft hatten, in einem gewissen Stadium zu den Feinden der Freiheit über, nämlich dann, wenn der Sieg errungen war und es galt, neue Privilegien zu verteidigen. Die Abschaffung der äußeren Botmäßigkeit schien die notwendige, aber auch hinreichende Vorbedingung für die Erreichung des ersehnten Ziels zu sein: der Freiheit des Individuums” (Erich Fromm).

Die heutigen Demokratien der meisten westlichen Länder und die davon hervorgebrachten Regierungen verleugnen und untergraben all jenes, was die Menschen in jahrhundertelangen Kämpfen errungen zu haben glaubten. Das Wesen dieser Systeme, die sich des gesamten gesellschaftlichen und persönlichen Lebens der Bevölkerung schrittweise bemächtigen, ist die Unterwerfung aller unter die Autorität einer Handvoll von Menschen, gegen die sie machtlos sind.

Es ist schon sehr erstaunlich, dass Millionen ebenso bereitwillig ihre Freiheit aufgeben, wie ihre Väter und Vorväter verbissen für diese gekämpft hatten. Zusätzlich sind viele Millionen gegenüber der Freiheit gleichgültig eingestellt und glauben nicht dass Freiheit etwas sei, wofür sich die mannigfaltigen persönlichen Risiken eines Kampfes lohne.

Doch die Freiheit ist durch Gleichgültigkeit nicht weniger gefährdet als durch ihre direkten Feinde, ob sie nun untergraben wird im Namen des wirtschaftlichen Wohlergehens, Sicherheit gegen Terrorismus, oder sonstige übergeordnete ”Schutzfunktionen”, zum Beispiel gegenüber Milzbrand, Pocken, Vogelgrippe und anderes. Die gezielte Verängstigung der Bürger soll dazu führen, dass viele - ihre persönliche Ohnmacht und Unbedeutendheit fühlend - sich sicherheit- und schutzsuchend der Obrigkeit unterordnen und jeden Preis dafür bezahlen. Und dies funktioniert meistens wie geplant.

Die grundlegende Bedingung für diese Persönlichkeitsentwicklung stellt zwangsläufig die derzeitige ökonomisch orientierte Struktur der westlichen Gesellschaften dar.

Die fehlende innere Beziehung zu Werten wie Freiheit, Moral, Anstand, Nächstenliebe und so weiter oder wenigstens mit den gesellschaftlichen Verhaltensmustern wie Geld, Anerkennung, Macht, nutze deinen Nächsten für dich selbst usw. verbunden zu sein, die dem Menschen das Gefühl der Gemeinsamkeit geben, das Gefühl ”dazu zu gehören” führt zur ”seelischen Vereinsamung”. Sie ist ebenso unerträglich wie ”körperliche Vereinsamung”. Vollkommen unerträglich ist die Kombination beider Faktoren.

Grund für dieses Verhalten der Menschen ist nicht nur der gebieterische Überlebensinstinkt, sondern auch die in einem Rudeltier - nichts anderes sind wir - tief sitzende Angst vor Isolation und Einsamkeit.

Ist man erst zu einem Individuum geworden, so ist man allein und steht der Welt mit allen ihren gefährlichen und überwältigenden Aspekten einsam gegenüber. Es kommen starke Impulse auf, die eigene Individualität aufzugeben und vollständig in der Außenwelt aufzugehen, um das Gefühl der Ohnmacht und Einsamkeit dadurch zu überwinden.

Es gibt also neben dem angeborenen Wunsch nach Freiheit auch mangels ”höherer Werte” ebenso eine tierhaft instinktive Neigung, sich durch Unterwerfung ins Rudel (Gesellschaft) zu integrieren.

In der Mitte des Rudels ist es am sichersten gegen die Gefahren von außen. Und eine Abdrängung zum Rand des Rudels ist unter allen Umständen und mit jedem Mittel zu vermeiden. Würde dies doch nicht nur den sozialen Abstieg allein bedeuten, sondern direkte Angreifbarkeit gegen jedwede Gefahr in vorderster Front. Zudem bekommt man nur die Fraßreste die das Zentrumsrudel verschmäht. Man ist isoliert und hat ständig Stress mit den anderen Mitgliedern der Randgruppe um die Brosamen des Rudels. Man hat nichts mehr zu melden, gegenüber niemandem. Man ist entmachtet, entmündigt, seiner Würde beraubt, und die Existenz steht täglich auf Messers Schneide. Aber lieber noch am Rand des Rudels als ganz allein. Egal wohin die Leittiere das Rudel führen, man wird mitgehen, verzweifelt das Restchen vermuteter Existenzsicherheit festhaltend. (siehe auch Elias Canetti ”Masse und Macht”)

Aber die Unterwerfung ist nicht der einzige Weg, der Einsamkeit und der Angst zu entfliehen. Der andere Weg - der einzige, der produktiv ist und nicht mit einem unlösbaren Konflikt endet - besteht darin, mit seinen Mitmenschen und der Natur spontan in Beziehung zu treten, welche den einzelnen mit der Welt verbindet, ohne seine Individualität auszulöschen. Diese Beziehung äußert sich in ihrer besten Form durch Liebe und produktive Arbeit als Ausdruck der Integrität und Stärke der Gesamtpersönlichkeit. Wenn jeder Schritt, der zur Loslösung und zur Individualisierung des Menschen Hand in Hand ginge mit einem entsprechenden Wachstum der Persönlichkeit, würde dies zu einer harmonischen Entwicklung des Menschen führen. Doch dies ist leider nicht der Fall.

Wenn jedoch die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen von denen der gesamte Prozess der menschlichen Individualisierung abhängt, keine echte Grundlage für die Verwirklichung des ”gefühlten” Selbst im oben beschriebenen Sinn ermöglicht und die Menschen ebenfalls die Bindungen an ”höhere Werte” verloren haben, dann macht dieser leere Raum die Freiheit zu einer unerträglichen Last. Sie wird dann gleichbedeutend mit Zweifel, mit einem Leben ohne Sinn und Richtung. Es entstehen dann machtvolle Tendenzen, vor dieser Art von Freiheit in die Unterwerfung zu fliehen, die eine Milderung der Unsicherheit verspricht, selbst wenn sie den Menschen seiner Freiheit beraubt.

Bewusst mag sich ein Mensch, der sich den Rudelregeln der Gesellschaft unterworfen hat, sicher und zufrieden fühlen, aber unbewusst merkt er, dass er dies mit dem Preis seiner Stärke und der Integrität seines Selbst bezahlen muss. Es entsteht ein zunehmender innerer Konflikt, der immer mehr Spannung erreicht. So hat die Unterwerfung langfristig genau das Gegenteil dessen zur Folge, was damit beabsichtigt war: Sie vergrößert die Unsicherheit des Menschen und erzeugt gleichzeitig Feindseligkeit und Aufbegehren gegen die Personen und Institutionen, von denen der Mensch auch weiterhin abhängig ist.

Die Konsequenz ist: Der mitmenschliche Umgangston wird rauer bis rüde, Politikverdrossenheit wandelt sich zu Zorn auf die Politik. Die Politikerkaste merkt dies und fängt an, sich einzuigeln, indem sie polizeistaatliche Strukturen, weitgreifende Überwachungssysteme einführt, um zusätzliches Drohpotential gegenüber den eigenen Bürgern aufzubauen, um den Tag des ”schwarzen Falken” möglichst lange hinauszuzögern.

Aber er wird kommen dieser Tag. Und nicht nur bei uns. Dies wissen die Herrschenden genau, und deshalb wägen sie ab, ob sie diesen nicht selbst herbeiführen, präzise und von ihnen kontrolliert. Vieles deutet darauf hin. Wer wird schneller sein?"

Woanders hat jemand aus der "Matrix"(Film) folgendes zitiert:
"Wie sagte doch “Morpheus” zu “Neo” so trefflich im Film Matrix:


“Die Matrix ist allgegenwärtig. Sie umgibt uns - selbst hier, in diesem Zimmer. Du siehst sie, wenn du aus dem Fenster guckst oder wenn du den Fernseher anmachst. Du kannst sie spüren, wenn du zur Arbeit gehst, oder in die Kirche. Und wenn du Deine Steuern zahlst. Es ist eine Scheinwelt, die man dir vorgaukelt, um Dich von der Wahrheit abzulenken.”

Und auf die Rückfrage “Welche Wahrheit?” dann weiter: “Daß du ein Sklave bist, Neo! Du wurdest wie alle in die Sklaverei geboren, und lebst in einem Gefängnis, das Du weder anfassen noch riechen kannst. Ein Gefängnis für deinen Verstand. ... Dummerweise ist es schwer, jemandem zu erklären, was die Matrix ist. ... Jeder muß sie selbst erleben.”

Den ganzen Artikel "Erfurt und Emsdetten, Amok und Angst, Fakten und Folgen, Politterror und Psychokriegsführung" hier:
http://ralph-kutza.de/Amoklaufe_/amoklaufe_.html


An den Rand gedrängt zu werden, in die Nähe des Nichts zu kommen, beinhaltet zumindestens noch den Hauch einer Chance zu sich selbst zu finden. Außerdem hat man am Rand den besseren Überblick zur Mitte.
Fragt sich an dieser Stelle natürlich auch, wie man Angst und Einsamkeit bereit ist zu ertragen. Junge Menschen können hier ja reflektieren wie sie wollen, zu richtigeren und vernünftigen Ergebnissen wird es kaum reichen, da Lebenserfahrung und Können fehlt. Und genau hier wären die Pädagogen gefragt. Pädagogen mit Lebenserfahrung und kluger Anleitung. Das Motto wäre so einfach wie schwierig:
"Wie entziehe ich mich dem Zeitgeist?"

Würde gern noch mehr dazu schreiben, aber meine Erkältung zwingt mich zurück ins Bett....

Gruß,
Kandinsky

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