**** "ich würde es begrüßen, wenn bis zu diesem zweiten teil von kommentaren zum obigen abgesehen wird. " ****
Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, aber der Artikel ist ja doch ganz schön lang. Sie werden ihn editieren, dann kann ich einen weiteren Kommentar verfassen, aber ich möchte doch einige Dinge gleich richtig stellen.
**** " ich bitte darum, dass Sie zukünftige kommentare innerhalb dieses beitrags hinterlassen, " ****
Das halte ich auch für keine gute Idee, denn wenn Sie andernorts schreiben, dass am Welt- Autismus- Tag autistische Talente hervorgehoben würden, was einfach nicht der Fall ist, hielte ich es für sinnvoll, dort und nicht hier darauf hinzuweisen, dass der Welt- Autismus- Tag eher eine Verkaufsveranstaltung der Pharma- Industrie ist als alles andere. Ich möchte natürlich nicht den gesamten Blog mit meiner abweichenden Meinung zupflastern und Sie damit verärgern, aber diese „Kommentar“- Funktion besitzt eben eine gewisse Attraktivität. Viele intelligente Menschen lesen diesen Blog, der, meiner Meinung nach, ein verzerrtes Bild von Autismus zeigt.
Nun zu meinem Kommentar, Teil 1:
**** " (...)1. was bedeutet eigentlich "autismuskritik"?
dieses wort ist eine spontane augenblickskreation und scheint mir bis auf weiteres als prägnante zusammenfassung das hauptthema dieses blogs am ehesten wiederzugeben - den versuch einer analyse und kritik diverser gesellschaftlicher phänomene, " ****
Wir haben es also mit einem Wort zu tun, was zwei verschiedene Bedeutungsinhalte transportiert. (Ähnlich wie das Wort "Becken" zum Beispiel auch.)
Einmal wird es synonym verwendet für „Verdinglichung“ und einmal wird es als Name für eine Minderheit verwendet.
Diese beiden gleichzusetzen und auch noch explizit Asperger- Autisten in eine Theoriegebäude einzubauen, in dem es um „gesellschaftlichen Autismus“ geht, ist ein Fehler im Fundament des Gebäudes.
Es gibt auch den Begriff vom „Wissenschaftlichen Autismus“. Damit ist der Umstand gemeint, dass Fachschaften untereinander schlecht kommunizieren können.
In gewisser Weise eine Analogie, die vielleicht Sinn macht, aber wenn man einmal versucht, sich mit „wissenschaftlichem Autismus“ zu befassen, wird man merken, dass man selbst als gebildeter Mensch ohne ein Fachwörterbuch nicht auskommt, um diese Texte zu verstehen.
Jeden stört offenbar an anderen das am meisten, was er an sich selbst nicht mag. Das ist auch gut, so kommt man am Ende oft zu einer umfassenden Selbst- und damit auch Gesellschaftskritik.
Was ich damit sagen will, ist, dass ich nicht autistischer bin als Sie im "verdinglichenden" Sinne, denn wir sind Teilmenge der Gesellschaft.
Aber egal, ob „Autismuskritik“, „wissenschaftlicher Autismus“, „rechtsblinder Autismus“ oder „Autobahn- Autismus“ – der Begriff wird ja synonym verwendet für Egoismus, Sturheit, Gefühlkälte, Ich- Bezogenheit.
Nun gibt es ja tatsächlich Autisten, Menschen, die man so genannt hat, weil sie Schwierigkeiten haben, nach außen zu interagieren oder auf andere angemessen zu reagieren.
Durch die umgangssprachlich negative Verwendung des Begriffes „Autismus“ werden diese Menschen aber diskriminiert, denn sie sind nicht egoistischer oder unemotionaler oder sturer als andere auch.
Vielleicht denken sie etwas mehr über sich selbst nach als andere Menschen, aber das muss kein Fehler sein.
**** " die mir in den letzten jahren zunehmend bedrohlich erscheinen - die folgen von direkter und struktureller gewalt auf die menschlichen fähigkeiten zum sozialen leben als basis jeder gesellschaft und kultur. der autismus, egal wie er definiert wird - als krankheit, als behinderung, und/oder als seinsweise - weist dabei strukturell am deutlichsten in seinen erscheinungsformen auf defekte hin, die sich meiner meinung nach auch in gesellschaftlichen bereichen wiederfinden lassen, die wir als "normal" zu betrachten uns angewöhnt haben. " ****
Wenn man den „klinischen“ Autismus immer wieder als Analogie heranzieht, um gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, muss man sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Kommunikative Defizite haben wir uns nicht als normal zu betrachtend angewöhnt. Autisten hätten in ihrem Alltag keine Probleme, wenn dies hier die autistische Gesellschaft wäre.
Sie haben aber Probleme, weil dies hier die egoistische Gesellschaft ist.
Autisten sind nur keine Egoisten, im Gegenteil. Durch ihre soziale Ungeschicklichkeit werden sie oft ausgenutzt, sie sind häufiger Opfer des Egoismus, der Manipulation und der Gefühlskälte der anderen. Wer kennt ihn nicht, den kostenlosen Computer- Reparierdienst auf zwei Beinen?
Wer kennt nicht die schüchterne Bibliothekarin, die garantiert bei ihrem ersten Date vergewaltigt wurde, weil sie den Spruch mit dem Kaffee nicht verstanden hat?
**** " 2. ist es nicht unzulässig und auch diskriminierend für direkt betroffene, das attribut "autistisch" in zusammenhang bspw. mit kindsmorden, kriegen und allgemein soziopathischem verhalten zu benutzen? " ****
Das ist es definitiv, obwohl ich noch mal darauf hinweisen möchte, dass ich mich nicht als „betroffen“ bezeichne.
**** " eine berechtigte frage - zeit für eine klarstellung: mir ist schon klar, das autistische menschen heute i.d.r. selbst betroffen von vielfältiger stigmatisierung/ausgrenzung sind (das gilt z.t. übrigens auch für diejenigen, die die diagnose einer der hier öfter erwähnten persönlichkeitsstörungen mit sich herumschleppen, gerade borderline ). und gleichfalls sind als solche diagnostizierte autistische menschen in aller regel nicht an der mehrzahl der hier dokumentierten, teils extrem destruktiven verhaltensweisen, beteiligt. trotzdem scheint mir aus gründen, die in punkt 1 schon näher benannt wurden, das wort "autismus" als nicht nur als metapher begründet zu sein - vor allem dann, wenn man ( wie ich) von der these ausgeht, dass sich autistische züge und strukturen bei weitaus mehr menschen finden lassen als bei den immer noch relativ wenigen, die eine diagnose aus diesem spektrum "offiziell" tragen. " ****
Es ist wahr, dass viele Autisten keine offizielle Diagnose tragen. Aber wenn sie im Leben gut zurecht kommen, benötigen sie auch keine, es sei denn, um sich ganz sicher zu sein, dass die persönlichen Probleme, z.B. erwähnte Ausgrenzung, damit zu tun haben.
Warum mir die Metapher dennoch sehr unglücklich gewählt scheint, habe ich ja bereits dargelegt. Es geht im Blog auch nicht um Psychologie oder Psychiatrie, sondern um soziologische und philosophische Fragen.
**** " dabei geht es vor allem um die grundsätzlichen möglichkeiten und defekte der menschlichen wahrnehmungsfähigkeiten, die als eine der wichtigsten voraussetzungen für das menschliche leben auch für jede gesellschaft und kultur eine entscheidende (und meistens völlig unterschätzte) rolle spielen. " ****
Die Autistische Wahrnehmung beruht imho nicht auf einem Defekt, sondern auf einer „Verschiebung“ wenn man so will. Einer anderen Funktionsweise. Die Flut der Informationen erreicht den Autisten gänzlich ungefiltert und darum versucht der Autist, seine Umgebung reizarm zu gestalten, um z.B. konzentriert arbeiten zu können.
Dieselbe Wahrnehmungsbesonderheit hat auch enorme Vorteile. Autisten bemerken Abweichungen in Mustern schneller, ihnen fallen Fehler auf, die andere übersehen.
Ein Detail kann einem Autisten schwer zu schaffen machen und es kann ihn aber auch mehr erfreuen als ein Lotteriegewinn.
Sich einen Überblick zu verschaffen ist für einen Autisten schwer, aber es muss ja auch Menschen mit Detailkenntnis geben. Das eine als „Störung“ und das andere als „gesund“ zu werten, ist absurd.
**** " die krankheiten des autistischen spektrums weisen dabei am deutlichsten darauf hin, was wahrnehmungsstörungen und defekte für konsequenzen haben können. " ****
Welche Krankheiten des autistischen Spektrums? Zöliakie kommt bei Autisten häufiger vor. Ist das gemeint? Wieso weist eine neurologische Besonderheit am deutlichsten darauf hin, was Wahrnehmungsstörungen für Konsequenzen haben können?
Ich würde doch sagen, dass eine Wahrnehmungsstörung, vielleicht eine Halluzination oder eine Psychose oder ein Drogenrausch, selbst am besten auf ihre Konsequenzen hinweisen sollte.
**** " bei anderen diagnosen, v.a. aus dem bereich der persönlichkeitsstörungen, existieren hingegen recht weit verbreitete und gut dokumentierte materialien, die einen zusammenhang zwischen kulturellen und gesellschaftlichen entwicklungen, extrem destruktiven praktiken und bestimmten persönlichkeitsstörungen mehr als nur nahelegen.(...) " ****
Damit kenne ich mich nicht aus und Autismus als angeborene Persönlichkeitsstörung zu sehen, ist verfehlt. Das setzt Autismus mit psychischen“ Erkrankungen“ oder sagen wir besser neurochemischen Inbalancen, gleich. Wenn dem so wäre, gäbe es die Möglichkeit, Autismus mit Psychopharmaka zu behandeln. Solch eine Behandlung bringt aber nichts außer Nebenwirkungen oder Sedierung.
**** " verdinglichung ist das produkt von bestimmten wahrnehmungsmodi, die aus bestimmten gründen in bereichen auftreten - zwischenmenschlich/sozial und auch gegenüber tieren - , in denen sie hochgradig dysfunktional und destruktiv wirken müssen. diese wahrnehmungsmodi, die ich hier im blog unter das label objektivistisch gepackt habe, " ****
Gut, dass Sie das erläutern. Objektivismus war bisher in meinem Verständnis etwas anderes, nämlich 1. die Annahme, dass Objektivität grundsätzlich möglich sei. 2. die Annahme, dass Objekte mit dem Rest der Kategorien korrespondieren (Aristoteles) und 3. die Meinung, dass man allgemeingültige moralische Maßstäbe finden könne.
**** " (pathologisch) ... werden sie jedoch in diversen formen und ausprägungen immer dann, wenn das gestörte psychophysische gleichgewicht innerhalb eines menschen den objektivistischen modus in eine wahrnehmungsmäßige monopolposition gebracht hat. " ****
Nun könnte man davon ausgehen, dass das bei Autisten per Geburt der Fall ist. Dass dies aber andere Auswirkungen als destruktive hat, werde ich noch aufzeigen. Wichtig ist gerade an diesem Punkt, dass man Autisten Gefühle zugesteht und Empathie für andere Geschöpfe.
**** " das hat erstens zur folge, dass sich der betroffene in einem gewissen sinne selbst, v.a. "seinen" körper, als objekt wahrnimmt, und zweitens diese art der wahrnehmung im gesamten sozialen bereich praktiziert. anders ließe sich das als weitgehender verlust der eigenen vollständigen subjektivität beschreiben, " ****
Die körperliche Entfremdung trifft auf dissoziative PS zu. Auf Autismus nicht. Autisten tendieren auch eher dazu, gefühlsmäßig eine grundsätzliche Belebtheit aller Objekte anzunehmen, darum haben sie auch oft Probleme, alten Kram wegzuwerfen. Das ist ein halb scherzhaftes „inoffizielles Diagnosekriterium“ und wissenschaftlich nicht fundiert.
Mit einem Augenzwinkern könnte man sagen: „Es stimmt, dass wir Menschen wie Dinge behandeln, aber bedenkt, wie sehr wir Dinge lieben.“
**** " und das ist die vorbedingung dafür, auch bei anderen deren subjektivität nicht mehr wahrnehmen zu können. im schlimmsten fall wird dieser status dann noch mittels objektivistisch produzierter simulationen überspielt, um sich an die jeweiligen sozialen normen und verhaltenskodexe anzupassen - in einer art "reinform" bei den klassischen soziopathen zu beobachten. " ****
Hier wird die „Theory Of Mind“ angesprochen. Das Wissen, dass andere auch Gefühle und ein Bewusstsein haben. Bis zu einem gewissen Alter haben Autisten Probleme mit der TOM. Erwachsene Autisten wissen natürlich, dass andere Menschen auch ein Bewusstsein haben.
Studien zur Empathiefähigkeit von Autisten haben gezeigt, dass Autisten schlecht erkennen, wie sich jemand fühlt, aber wenn sie es erkannt haben, genauso mitfühlend reagieren wie Nichtautisten.
Das bedeutet, dass man einem Autisten öfter sagen muss, wie man sich fühlt, um eine stärkere Anteilnahme zu erreichen.
Diese Studie: http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/snwg/dziobek.html
kann ich zur Lektüre empfehlen. Dort heißt es u.a.: „Die Voruntersuchungen lieferten Hinweise dafür, dass Menschen mit AS beeinträchtigt sind im Einschätzen von mentalen Zuständen (kognitive Empathie), jedoch über ein ähnliches Maß an Mitgefühl (emotionale Empathie) verfügen wie Normalprobanden.“
Grundsätzlich fehlt es Autisten nicht an Intuition oder Empathie. Es kann auch zuviel davon vorhanden sein und der „Autismus“ ist Selbstschutz.
Es ist aber nicht möglich, die Autisten in die „Wenigwahrnehmer“ und die „Vielwahrnehmer“ zu trennen, da jeder Autist eine Mischform darstellt.
Wenn man es „Simulation“ nennen will, sich an geltende Normen anzupassen, so zeigen gerade Autisten dafür eine große Unbegabung. Die „Simulation“ oder auch das „Vorspielen“ Ein „Hineinversetzen“ in die Rolle – method acting quasi – ist unabdingbar, um sie auszufüllen, das gilt für alle Menschen, auch für Autisten.
Ob ein Mann z.B. die Rolle des liebenden Gatten spielt oder nicht, hat damit zu tun, ob er sich für einen liebenden Gatten hält. Vorgeben einer zu sein und heimlich die Ermordung der Gattin zu planen, wäre soziopathisch und nicht autistisch. Ein Autist würde eine unangenehme Ehesituation ertragen oder nicht, etwas vortäuschen fiele ihm sogar schwerer als einem Nichtautisten.
Nur wenige Menschen können so gut simulieren, ohne dabei zu fühlen, dass man ihnen glaubt. Und das sind vermutlich keine Autisten sondern hochdotierte Berufsschauspieler oder Soziopathen.
Die meisten Menschen glauben, was sie einem „vorspielen“, sie leben ihre Rolle und darum sind sie AUTHENTISCH. Denn, um mal einen beliebten Buchtitel zu zitieren „Wir alle spielen nur Theater“. „Wir alle“ schließt Autisten nicht einmal unbedingt mit ein, wie ich bei der Lektüre des Buches feststellen musste, denn gegenüber Rollenerwartungen bin ich relativ immun.
Aber natürlich rede ich etwas anders zu einem Kind als zu einem Mathematikprofessor. Ich spiele eine Rolle, auch wenn das weniger mit „Simulation“ als mit „Situation“ zu tun hat.
Mit Intuition tun sich Asperger- Autisten meiner Erfahrung nach besonders schwer. Das Vertrauen in die Intuition ist nicht sehr stark. Es gibt aber auch etliche Autisten, die stark intuitiv handeln. Pauschalisieren kann man das nicht.
Natürlich werden intuitive Ergebnisse stärker mittels des Intellekts „geprüft“ bevor sie zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.
Sich intuitiv zu verhalten ist für Autisten nämlich eine gefährliche Sache. Es kann vorkommen, dass man etwas bemerkt hat, das man gar nicht bemerken sollte. Jemand ist zum Beispiel homosexuell, dem Autisten ist das ganz klar und er spricht es aus, weil er nicht weiß, dass der Homosexuelle dies zu verbergen suchte.
Hochfunktionale Autisten sind nicht zuletzt hochfunktional, weil sie sich selbst sehr gut kontrollieren können und emotionale Reaktionen auf Überreizung unterdrücken.
Es kann passieren, dass ein Autist den Raum verlässt, weil jemand weint oder weil gestritten wird. Das hat mehr mit Reizüberflutung als mit Gefühllosigkeit oder Empathiemangel zu tun.
Somit haben wir zwei Problemfelder: 1. Ein Gefühl bei jemand anders wird besonders inmitten vieler anderer Informationen, die verarbeitet werden müssen, schlechter erkannt und wenn es erkannt wird, ist nicht genügend Selbstvertrauen in die Intuition vorhanden, um zu reagieren
2. Die Reaktion des Autisten erscheint unangemessen, weil er sich auch selbst schützen muss oder weil er unemotional wirkt, wenn er z.B. zu trösten versucht oder weil er Körperlichkeiten mit Fremden aus dem Weg geht.
Dieses ganze komplexe Feld der sozialen Interaktion könnte durch Training besser gemeistert werden und tatsächlich zielen aktuelle Verhaltenstherapien mit Kindern darauf ab. Die meisten erwachsenen Autisten sehen aber nicht ein, dass sie sich verstellen sollen. Sie möchten authentisch bleiben und sie erwarten von ihrer Umwelt das gleiche Ausmaß an Intuition und Empathie, wie es von ihnen gefordert wird.
Ihre speziellen Befindlichkeiten zu erklären, fällt Autisten aber sehr schwer, sie versuchen oft, „zu funktionieren“ und das sorgt für Burnout und Depressionen. Der Selbstverleugnung oder „Simulation“, sollte sie also erfolgen, sind enge Grenzen gesetzt.
**** " ohne die beiden genannten ist letztlich kein soziales leben denkbar, welches auf vertrauen, liebes- und kollektivfähigkeit basieren sollte. das es das bis heute nur in absoluten ausnahmen tut, hat auch damit zu tun, dass diese sozialen fähigkeiten bzw. ihre materiell-körperlichen voraussetzungen - die in den verlinkten beiträgen teils schon erwähnt sind; spiegelneurone und propriozeption gehören u.a. dazu - in einem klassisch klinischen sinne geschädigt bzw. u.u. auch zerstört werden können. und wenn man nun so ein phänomen wie die verdinglichung umfassend begreifen will, ist es mehr als nur plausibel, die grundlagen eines solchen sozusagen entgleisten wahrnehmungsmodus´ eben in unserer absoluten biologischen basis zu suchen: dem körper (incl. hirn & nervensysteme), der wir sind. " ****
Vertrauen, Kollektivfähigkeit, Liebesfähigkeit sind bei Autisten natürlich grundsätzlich vorhanden. Die Tatsache, dass man in Beziehungen viel Zeit und Raum für sich braucht und dass man in Großraumbüros nicht arbeiten kann, sind der schnelleren Ermüdung wegen der Reizüberflutung und der schlechteren Fähigkeit zum Multitasking geschuldet. Autisten können sich auch nur schwer auf mehr als eine Person gleichzeitig konzentrieren und da sie keine Filter haben können sie sich zum Beispiel nicht auf ein Gespräch konzentrieren, wenn ein Nebengeräusch stört.
Die Forschung über die Spiegelneuronen verfolge ich sehr interessiert.
Autisten verfügen (angeblich) über weniger Spiegelneuronen als Nichtautisten. Mir scheint das logisch, denn Spiegelneuronen sorgen z.B. dafür, dass man eine Handlung, nachdem man sie einmal gesehen hat, kopieren kann. Motorische Abläufe werden darum nicht so schnell erlernt. Ein Autist braucht eine genaue „Anleitung zur Rolle vorwärts“ und ein Nichtautist sieht und tut.
Spiegelneuronen sind auch dafür verantwortlich, dass Mimik des Gegenübers kopiert wird. Es kann passieren, dass ein autistisches Baby nicht zurücklacht.
Das hat aber kaum Auswirkungen auf das Gefühl des späteren erwachsenen Autisten beim Anblick einer lachenden Person.
Man lernt irgendwann, was dieses Mundwinkelhochziehen bedeutet und dann verselbstständigt es sich. Wie beim Autofahren denkt man nicht mehr darüber nach. Man wird angelacht, man lacht zurück oder auch nicht, aber die Botschaft kam an.
Viel schwieriger ist es, herauszufinden, warum jemand lacht, aber in der Regel erklärt sich das aus dem situativen Kontext.
Umso besser man eine Person kennt, desto besser kann man nonverbal mit ihr kommunizieren, und zwar OHNE darüber nachzudenken oder etwas zu simulieren.
Ich würde darum von einer Wahrnehmungs- oder Lernbesonderheit in Bezug auf nonverbale Kommunikation sprechen.
**** " ebenso gibt es starke hinweise richtung störungen (im letzten teil des beitrags) der oben erwähnten propriozeptiven wahrnehmung bei autistischen menschen. " ****
Wie ich schon mehrfach erwähnte, möchte ich nicht als „gestört“ bezeichnet werden. Zum einen ist das eine Frage der Höflichkeit, zum anderen bezeichne ich Menschen, die nicht so gut kopfrechnen können wie ich, auch nicht als gestört. Ich sehe mich als einen Menschen mit Stärken und Defiziten. Nur weil ich nicht mit Hinz und Kunz sofort Verbrüderung feiern will und an meine Sozialkontakte langsam und mit großer Sorgfalt herangehe – was auch daran liegt, dass diese Menschen ein großes Maß an Toleranz für unkonventionelle Vorgehensweisen mitbringen müssen – bin ich nicht gestört.
In dem zitierten Beitrag geht es auch um Enfantizid und die Weitergabe von Gewalt.
Ich denke, nach aktuellem Forschungsstand ist es ausgeschlossen, dass Autismus so weitergegeben wird. Die „Kühlschrankmutter“ ist so passee wie etwa die Theorie, dass die Erde eine Scheibe sei.
Autistische Mütter sind keine schlechteren Mütter als andere auch. Bis jetzt ist noch kein Fall einer autistischen Mutter bekannt geworden, die ihre Kinder umbrachte, verhungern ließ oder schwer misshandelte.
**** " das läßt aus meiner sicht hinsichtlich Ihrer obigen behauptung bzw. selbstbeschreibung, die ich bezgl. Ihrer selbstwahrnehmung gar nicht in abrede stellen will bzw. kann, eigentlich nur zwei schlüsse zu - und jetzt werde ich sehr direkt und nicht um den heißen brei herumreden:
entweder ist Ihre (vermutliche) diagnose unzutreffend, " ****
Sie sagen: Autisten haben keine Empathie.
Ich sage: Ich bin Autist und habe welche.
Sie sagen: Dann können Sie kein Autist sein.
Demnach definieren Sie Autismus als Abwesenheit von Empathie. Abwesenheit von Empathie ist aber Soziopathie und nicht Autismus und schlechte Wahrnehmung eigener Gefühle ist Alexithymie und nicht Autismus.
**** " oder aber Ihre selbstwahrnehmung beruht auf einem zugegebenermaßen extrem schwer zu erkennenden prozeß der verwechslung von authentischen sozialen fähigkeiten mit durch eine art lernprozeß herausgebildeten simulativen fähigkeiten, die sich bei Ihnen zwecks anpassung / überleben / funktionieren in einer sozialen umwelt geprägt haben. das wäre noch nichteinmal als manko zu betrachten, sondern lässt sich auch in einem bestimmten sinne als kreative lösung eines existenziellen problems ansehen. " ****
Da muss ich Ihnen widersprechen. Sie behaupten, dass meine sozialen Fähigkeiten simulativ und nicht autentisch sind. Was meinen Sie, tun drei befreundete Autisten am Samstagabend beim Bier trinken?
Reden über Physik, stimmt. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir uns gegenseitig soziale Fähigkeiten simulieren? Wir lassen einfach nur diesen ganzen unaufrichtigen Höflichkeitsquatsch weg. Oder A bemerkt, dass B kein Feuer mehr hat und gibt ihm Feuer. Ohne darüber nachzudenken. B bemerkt, dass C heute so ruhig ist und fragt, wie es ihm geht.
Warum tut er das? Weil ihn Cs Befinden interessiert. C ist Bs Freund. Da liegt authentisches Interesse vor. B könnte sich auch mit D treffen, wenn es ihm nur darum ginge, über Physik zu reden.
C versteht sofort, dass diese Frage aufrichtig gemeint ist und schildert sein Problem: Seine Frau nannte ihn gefühlskalt, dabei ist er nur jemand, der nicht gern über seine Gefühle spricht.
A und B kennen ähnliche Situationen. Ihnen tut C leid. Sie erzählen, wie sie sich in ähnlichen Situationen verhielten. C fühlt sich verstanden. Es tut ihm auch gut, mal darüber zu sprechen.
Wir haben es hier mit authentischen sozialen Fähigkeiten innerhalb einer Gruppe von authentisch miteinander befreundeten Personen zu tun.
**** "nur: qualitativ wäre Ihre art der wahrnehmung trotzdem etwas sehr anderes als das, was ich oben unter den sozialen fähigkeiten beschrieben habe. und ich muss Ihnen auch sagen, dass ich "soziales engagement" nicht als - hm, "beleg" für das vorhandensein bzw. nichtvorhandensein authentischer sozialität ansehen kann. sozial engagieren kann ich mich auch aus eiskaltem kalkül heraus, um bestimmte wirkungen zu erzielen, die mit altruistischen motivationen aber auch gar nix zu tun haben müssen – " ****
Mir eiskaltes Kalkül zu unterstellen zeigt, wie wenig Sie verstanden haben und wie sehr Sie mir Empathie und überhaupt Menschlichkeit absprechen möchten.
Und wenn ich protestiere, wird meine Diagnose angezweifelt, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf: Autisten müssen Monster sein, sonst klappt das Feindbild in sich zusammen.
Mein soziales Engagement bringt mir nichts. Ich habe berufliche Nachteile dadurch. Ich engagiere mich zum Beispiel für Kinder und Tiere und ich spende manchmal der AIDS- Hilfe Geld. Davon weiß niemand was, es steigert mein Ansehen nicht. Obwohl ich selbst weder ein Kind noch ein Tier in einem Labor noch ein AIDS- Kranker bin. Ich gehöre auch zu keiner Risikogruppe, habe selbst keine Kinder und pädophil oder zoophil bin ich auch nicht. Warum engagiere ich mich also? Ich gebe es nicht gerne zu, aber mir tun Kinder und Tiere und AIDS- Kranke leid. Bitte sagen Sie es nicht weiter, es könnte meinem Ansehen als Eisblock schaden.
**** " die marketing- und pr-abteilungen großer konzerne verbringen inzwischen einen großen teil ihrer zeit mit derlei als-ob-engagement. ebenso kann authentisch wirkendes soziales engagement ein teil des konstrukts einer beliebigen eigenen identität sein, welche ganz und gar simulativ daherkommen kann, aber eben als solche nicht bewusst sein muss. " ****
Das ist eine Sache, die man auch positiv sehen kann. Wenn Konzerne für wohltätige Zwecke spenden, um ihr Ansehen zu steigern, dann wird ja tatsächlich wohltätiges mit diesem Geld erwirkt. „So tun als ob“ ist übrigens keine autistische Eigenschaft. In den gängigen Autismus- Tests kriegt man 5 Punkte Abzug, wenn man das kann, es deutet eher auf neurotypisches Verhalten hin.
**** "wie gesagt, ich will Ihnen mit dem obigen nichts unterstellen, weise aber darauf hin, dass Sie durchaus die möglichkeit in betracht ziehen müssen, dass Ihnen Ihre selbstwahrnehmung hier einen streich spielt - was bei einer lebenslangen praxis desselben weder verwunderlich noch unverständlich wäre. denn genau durch (qualitative) veränderungen dieser sozialen fähigkeiten (und den konsequenzen) zeichnet sich der klassische autismus, jedenfalls nach allem, was ich bisher weiß, ja aus. " ****
Jedem Menschen kann die Selbstwahrnehmung einen Streich spielen. Da meine Wahrnehmung allgemein eher (zu) genau ist, gilt das wohl auch für meine Selbstwahrnehmung. Ich habe lediglich Probleme, meine Außenwirkung zu beurteilen.
Dass alle Nichtautisten eine andere Person sind, als sie zu sein vorgeben, ist mir erst mit Mitte Zwanzig klar geworden. Ich kann aber davon abraten, von sich auf alle anderen zu schließen.
Natürlich möchte auch ich geliebt und anerkannt werden, wie jeder Mensch. Aber nicht um jeden Preis, ich möchte um meiner selbst Willen respektiert werden und nicht wegen Vortäuschung falscher Tatsachen.
Mit „klassischem“ Autismus meint man Kanner- Autismus. Für Kanner- Autisten ist Anpassung und „Simulation“ besonders schwer, wenn nicht unmöglich.
Gruß, Guru
Tamara (Gast) - 30. Jun, 11:22
Lieber Guru
ch beschäftige mich seit Jahren aufführlich mit sog. psychischen "Störungen". Wobei ich vorab anmerken möchte, dass ich zwischen körperlich und geistig keinen Unterschied sehe. Ich nehme den Körper nicht - wie so viele in unserer Gesellschaft - getrennt vom Geist (ich bevorzuge das englische Wort Mind, weil es umfassender ist) eines Lebewesens wahr. Weiterhin glaube ich, dass eine ständige Rückkopplung zwischen "Innen" und "Außen" eines Menschens/Lebewesens stattfindet. Wobei auch hier, dass "verinnerlichte Außen" das "Innen" und somit auch auf den Körper (verändernd wirken kann) wirkt, der wiederum unsere Wahrnehmung beeinflusst und umgekehrt.
Auch ich bin ein "Mustererkenner". Daher zweifle ich sehr stark an den Konstrukten der klassischen Psychologie. Mir fehlt sehr oft die Frage: "An was könnte es noch liegen?" Ebenso wie die Frage nach "Wirkung" und "Ursache". Wer sich ein wenig mit komplexen Systemen beschäftigt hat weiß, dass Ursache und Wirkung schnell "chamälionartig" ändern können. Es switcht - sozusagen.
Attwoods letztes Buch habe ich auch gelesen. Spannend fand ich hier, dass ich mich selbst oft in den Beschreibungen der Aspies wiedergefunden habe. Allerdings macht mich dies zu einem Aspie? War ich mal ein Aspie? Kann man die Symptome auch später "verlieren"? Ganz oder teilweise? So wie bei Hochbegabung? Es gibt ja Experten, die behaupten ein Kind könne eine Hochbegabung wieder "verlieren". Falls das so ist - wie und warum geschieht das?
In Stress-Stiuationen ist es mein Verstand der am längsten funktioniert, was Psychologen ja gern eher verneinen. Durch eine Orientierungsreaktion (Flucht/Kampf-Regelkreis oder auch Totstellreflex genannt) soll ja auf das rationale Denken erheblich einschränkend wirken. Wenn ich das nicht so wahrnehme - kann das "logisch" betrachtet doch nur heißen: entweder mache ich mir eher etwas vor und/oder meine Wahrnehmung ist eher - entgegen der Lehrmeinung - intakt. Leider machte ich die Feststellung, dass - entgegen der Ansicht vieler Menschen - der Verstand leider nicht immer in der Lage ist Gefühle zu beherrschen.
Auch ich habe oft das Gefühl "zu viel" wahrzunehmen. Mich in mich zurück zu ziehen ist hier eine gute Strategie mir der Überflutung umzugehen. Reize vermindern. Leider habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass mich zu langes zurückziehen noch Empfindsamer macht als ich es ohnehin schon bin. Also gehe ich auch immer wieder raus. In gewisser Weise ist es ein Wechsel (Switch) zwischen einem "Hyperfokus" (auf Themen und ähnliches, die mich interessieren) und "Reizüberflutung". In beiden "Ich-Zuständen" ist es schwierig mit anderen Menschen umzugehen und auf sozialer Ebene offen zu sein, um zu lernen. Ein Unterschied zwischen beiden "Zuständen" ist aber zum Beispiel, dass in Zeiten des "Hyperfokus" mein Gedächtnis eher expliziter ist - während in Zuständen der "Reizüberflutung" es eher impliziter funktioniert. Ich habe schon Bücher während der Reizüberflutung gelesen, deren Inhalt ich explizit mehr oder weniger vergessen habe - aber später beim nochmaligen Lesen verblüfft feststellte, dass ich für mich zum Zeitpunkt des Lesens für mich relevante Passagen/Denkanstöße sehr wohl aufgenommen und verarbeitet hatte.
Autismus ist ein Begriff - der nach meiner Wahrnehmung von Seiten der Gesellschaft eher mit "Gefühlsarm bzw. Gefühlskalt" verbunden wird. Wenn ich diesen semantischen Hof berücksichtige stimme ich monoma voll zu ganz zu, dass unsere Gesellschaft starke autistische Tendenzen zeigt. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang, dass im Gegensatz zu Literatur zu Persönlichkeitsstörungen und Ähnlichem ich bei Asperger und Kanner-Autismus bisher folgenden Satz sinngemäß nicht gelesen haben: nämlich, dass sich autistische Symptome/Tendenzen/Strukturen in jedem Menschen zu finden seien. Das liest man bei Borderline, Narzissmus, etc. sehr wohl immer wieder. Und ich frage mich: Warum ist das so? Das einzige was man in dieser Richtung findest ist, dass "hochbegabte" Menschen und Techies eher aspische Tendenzen haben. (Natürlich kann es sein, dass ich einen solchen Satz überlesen haben. Falls ja bitte ich darum mir die Fundstelle zu nennen.) Könnte es sein, dass intellektuelle Beschäftigung - Denken allgemein - einfach mit zumindest zeitweiser Reduzierung der sozialen Fähigkeiten einhergeht? (Ich denke das ist so. Manche Wissenschaftler sehen das auch so - andere nicht.)
Die einzige Antwort auf diese Frage, die mir am Wahrscheinlichsten erscheint ist: Verdrängung. Ist es nicht spannend - wie Apsies, die ja fast immer ihre Wahrheit sagen sollen so sehr malträtiert werden? Sie sagen ihre Wahrheit und bekommen gesagt sie seinen Unempathisch? Was heißt das? Es kann doch nur meines Erachtens heißen, dass die Gesellschaft, die angeblich die Wahrheit so hoch schätzt vergisst zuzugeben, dass sie auch Lügen in bestimmten Situationen für notwendig hält. Dabei aber vergisst - dies in ihre "Erziehung" miteinzubeziehen. Täuschen können wird ja - von manchen Psychologen - u.a. als Maßstab für die "Reife" eines Menschen (sie nennen es erwachsen Handeln) herangezogen.
Übrigens hatte und habe ich mit Lügen immer noch ein Problem - nämlich meine Angst irgendwann selbst an das zu glauben, was ich anderen als "Bären aufbinde". Das habe ich zu oft in meiner Umgebung mitangesehen: Erst wurde bewusst gelogen - irgendwann später hat dieser Mensch an seine eigenen Lügen tatsächlich geglaubt. Die Lüge mutierte zur Wahrheit. Das hat mir als Kind einen erheblichen Schrecken eingejagt. So wollte ich nie werden.
Wer den Film "Mozart and the Whale" gesehen hat und sich ein wenig mit der klassischen Psychologie beschäftigt hat - könnte sich fragen: Was macht Isabell (Mozart) zum Aspie? Von Außen betrachtet könnten auch Diagnosen, wie Borderline, Histrionische PS, Narzistische PS, Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, Ängste, Depressionen, ADHS, Hochbegabung, etc. zutreffend sein. Diese Erkenntnis hat mich zunächst umgehauen. Weniger wegen der Fülle der möglichen Diagnosen, sondern aufgrund (der nicht neuen aber diesmal sehr heftigen) Erkenntnis, dass Diagnosen in diesem Land sehr stark von dem Menschen (und seinen Erfahrungen), der diese Diagnose stellt abhängig ist. Auf was hat er sich "spezialisiert"? Welche Fortbildung hatte er letzte Woche? Welche Diagnosen bevorzugt sein evtl. Vorgesetzter? Wie ist die Tagesverfassung des Patienten? Etc. Außerdem kann jemand der eher extrovertiert wirkt, wie Isabell, wirklich Autistin sein? Ich denke das würde viele "Experten" in diesem Lande eher abstreiten.
Ich gehe davon aus, dass sich sämtliche Symptomatiken eines Menschen auf "Ursachen (Erfahrungen mit sich selbst und/oder in seiner Umgebung)" zurückführen lassen. Theoretisch jedenfalls. Denn ein Lebewesen passt sich - aus meiner Sicht - immer seiner Umwelt an. Das beginnt wohl schon im Mutterleib und ggf. noch ein wenig früher. Daher glaube ich auch nicht, dass sich Autisten generell nicht "anpassen" können. Sondern lediglich, dass ihre Form der Anpassung eben die Umgebung "stört" und Autisten sich auch ihre Art zu schützen versuchen. Außerdem hacken Menschen gern auf Menschen herum, die es mit sich machen lassen bzw. sich nicht zu wehren wissen. Das ist wohl auch eine Form der Anpassung. Die Wut, die diese Menschen nicht "spüren dürfen" kanalisiert sich in so etwas wie "unbewusste" Rache, denke ich.
Ich sehe im Autismus eine Art Kompensation einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung mit dem Willen zur Anpassung und mit dem Willen zum Überleben. Schätze bei manchen Autisten wirkt sich dies langfristig so aus, dass sie möglicherweise (eine Spekulation meinerseits) über eine lange Zeit so stark "überkompensieren", dass bei manchen der "Zugriff" auf diese hohe Empfindungsfähigkeit irgendwie "abgebaut" (weil so lange - also über viele, viele Jahre ggf. Jahrzehnte?) werden könnte. Aber ich denke dieses "Denk-Modell" könnte auf alle/viele Menschen in der ein oder anderen Weise zutreffen.
Allerdings - und das wird denke ich auch gern "übersehen" - kann der Rückzug in einen Hyperfokus auch erhaltend wirken - also die "Zugriffskanäle" - die Empfindsamkeit kann durch den "Rückzug" erhalten werden. Allerdings ist hier in meinem Gedanken-Modell es notwendig, dass dieser Mensch eine "Nische" findet. Ob es jetzt Menschen sind bei denen er so sein darf wie er nunmal ist und/oder die Flucht in Spezialinteressen und dem Alleinsein zumindest akzeptiert wird. Hier gibt es aus meiner Sicht u.a. folgenden Stolperstein: Emotionalität - hohe Empfindsamkeit wird in unserer Kultur eher als Schwäche angesehen. Also dann doch lieber Spezialinteresse - Flucht in die intellektuellen Sphären, die ja ohnehin akzeptierter/erwünschter sind - wenn man damit Erfolg hat?
Was mir in meiner Reise durch die Psychologie an möglichem "Muster" immer wieder begegnet ist: alle Symptome können als Anpassung an die jeweilige bzw. ursprüngliche Umwelt eine Menschen interpretiert werden. Weiterhin findet man in der Trauma-Literatur immer wieder Beschreibungen, die sich in vielen anderen Diagnosen wiederfinden. Aber was ein "Traumata" ist und was "traumatisierend" wirken "darf" und was nicht - ist oft eben auch nichts anderes als Definitionssache. Dabei wird die Empfindsamkeit eines Menschen übersehen. Denn ich mache eine Traumatisierung abhängig von der Wahrnehmung des jeweiligen Menschen abhängig. Allerdings findet sich in der Beschreibung von Diagnosen etwas, dass man Rationalisierung nennt. Man könnte es auch "Verdinglichung" nennen. Rationalisierung kann u.a. einerseits der Versuch sein, etwas so genau wie möglich zu beschreiben - allerdings kann Rationaliersung andererseits als Teil eines Abwehrmusters verstanden werden bzw. es tatsächlich sein. Außerdem sind "Fehler" (also sich irren) in unserer Gesellschaft eher verpönt.
Wie sollte man also dies von Außen erkennen können? Gleiche oberflächliche Muter/Beobachtungen können ganz andere Ursachen/Hintergründe haben. Wie entscheidet ein Psychologe das? Vor allem in der sehr knapp bemessenen Zeit, die ihm unser Gesundheitssystem heute lässt? Er kann doch nichts anders sammeln als Hinweise. Was aber wenn ihm die Lehrmeinung nun "wichtiger" ist als der Menschen, der vor ihm sitzt? Was wenn er dieses "Lehrbuch" nicht aus der Hand nehmen kann? Was wenn er selbst genug in seiner Vergangenheit hat, dass er abwehren muss (also nicht sieht)?
Immer wieder die Frage: Was könnte es noch sein? Inwieweit kann ein Mensch sich verändern? Kann auch ein Aspie seine Symptome verlieren? Wenn ja unter welchen Umständen? Das ist ja auch etwas, dass ich immer wieder feststelle. Viele Menschen ändern sich oft nach dem 18 Lebensjahr nicht mehr großartig. Außer es passieren ganz gravierende Einwirkungen von Außen. Das finde ich übrigens ganz "schlimm" in der Apsie-Literatur: "Ein Aspie kann nicht ..." Hier wird - wie auch in anderen Sparten - denke ich Entwicklungspotenzial ausgeredet/ausgelöscht. Allerdings nicht nur bei Aspies.
Übrigens habe ich ein paar Apsie-Kids kennengelernt. Alles sehr empfindsame Kinder, die sehr fröhlich sein können (wenn sie sich wohlfühlen). Gut oberflächlich wirken sie - eher unterkühlt. Aber nur, wenn man sie ausschließlich oberflächlich betrachtet. Kinder, die laut Attwood ihre Symptome verlieren, wenn man sie alleine auf ihrem Zimmer lässt und sie sich mit dem beschäftigen dürfen - was sie derzeit am Meisten interessiert. Ich weiß nicht - das deutet für mich auf vieles hin - aber nicht darauf, dass diese Kids "emotionslos" und "empfindungsarm" sind. Allerdings sehe ich wohl, dass dies irgendwann so werden kann - wenn diese Kids keine Menschen finden - wo sie sein dürfen wie sie sind. Wenn man sie moppt und ihnen das Gefühl gibt - sie seien nicht o.k. Aber auch das gilt nicht nur für "Aspies".
Entwicklung einer Persönlichkeit? Ach ja - aber bitte nur, wenn es das sozialadäquate Verhalten nicht beeinträchtigt. Ansonsten "stört" es nur.
Liebe Grüße
Tamara
guru - 30. Jun, 17:30
Liebe Tamara
Liebe Tamara
Ich nehme Stoffwechselstörungen auch nicht als geistig wahr. Weder solche des Gehirns noch sonstige, wie z.B. die der Schilddrüse, welche auch die Stimmung sehr beeinflussen kann. Das kann man nicht trennen, da gebe ich Ihnen Recht.
Sie erwähnen z.B. Traumatisierungen. Dadurch verändern sich die Neurotransmitter im Limbischen System. Ein Erlebnis hat also körperliche Auswirkungen.
Die klassische Psychologie ist nicht sehr strukturiert aufgebaut und voll von merkwürdigen Behauptungen. Sehr wenig ist empirisch nachgewiesen, das meiste klingt wie irgendjemandes Meinung.
Aber das ändert sich ja alles gerade. Leider immer mehr hin zu Medikation und weg von der Gesprächstherapie, aber was soll man machen, wenn kaum ein Therapeut fähig ist, die eigentlichen Ursachen einer psychischen Erkrankung zu erkennen und stattdessen nur versucht, die Arbeitsfähigkeit der Betreffenden wiederherzustellen. Stichwort Leistungsgesellschaft.
Wenn Ursache und Wirkung switchen können, würde ich das einen Teufelskreis nennen. Jemand trinkt, weil er keinen Job hat und hat keinen Job, weil er trinkt.
Wenn man sich in den Beschreibungen von Aspies wieder findet, ist man vermutlich auf dem Spektrum. Ich habe hier http://www.aspergia.net/index.php?page=auswertung-eq-sq
mal ein hübsches Diagramm. (Bitte runterscrollen). „Männliches“ und „weibliches“ Gehirn sind dabei willkürlich gewählte Klischee- Bezeichnungen, um dem Laien das Konzept von S- und E- Gehirn verständlicher zu machen.
Man sieht dabei (grün) dass die Autisten bei den Empathietests eher schlecht abgeschnitten haben. Das trifft auch auf einige Männer (blau) und Frauen (rot) zu.
Das bezieht sich alles auf die Funktionsweise des Gehirns und bedeutet nicht, dass man kein sozialer Mensch ist. (Oft wird kognitive und affektive Empathie in einen Topf geworfen.)
Man sieht auch sehr schön, wie alles ineinander fließt. Somit ist vielleicht nicht jeder Mensch autistisch, aber die Grenze ist willkürlich gezogen. „Autistisch“ im Sinne von „verdinglichend“ ist mehr oder weniger jeder, der in der verdinglichenden Gesellschaft lebt. Unabhängig von AS, denke ich.
Hochbegabung kann man verlieren. Wenn ein Kind rechnen kann wie ein Erwachsener und sich dann nicht weiterentwickelt, ist es irgendwann nicht mehr hochbegabt. Auch die Beschäftigung mit sozialen Themen beeinflusst nach meiner Erfahrung die mathematische Begabung.
* „Könnte es sein, dass intellektuelle Beschäftigung - Denken allgemein - einfach mit zumindest zeitweiser Reduzierung der sozialen Fähigkeiten einhergeht?“
Darüber habe ich schon meditiert und es scheint der Fall zu sein. Das Gehirn ist sehr anpassungsfähig und wandelbar, auch im Erwachsenenalter noch. Wenn man sich tagein, tagaus, mit Menschen statt mit Zahlen beschäftigt, vergisst man irgendwann auch seine eigene Handy- Nummer, wie alle anderen. Umgekehrt wird man auch weniger sozialkompetent, wenn man sich jahrelang mit nichts außer Zugfahrplänen beschäftigt. Es gibt eine umgekehrte Proportionalität zwischen Intellekt und Sozialkompetenz. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur mal ordentlich betrinken und er wird sofort wird mit allen Menschen Verbrüderung feiern statt über die Heisenbergsche Unschärferelation nachzudenken. (Falls er kein Autist ist, da klappt das nicht so gut mit dem Verbrüdern.)
Ein Autist bleibt aber immer ein Autist, auch wenn die „Symptome“ im Alter schwächer werden. Das ist ja ganz normal, dass man irgendwann Ironie und Redewendungen versteht und ein Lächeln von einem Ausdruck völliger Verzweiflung unterscheiden kann. Einem Autisten werden die anderen Menschen aber nicht gerade „schmackhaft“ gemacht in der Kindheit, gerade in den wichtigen Jahren zwischen 0 und 6, wo das Gehirn sich sozusagen grundlegend organisiert, wenn man so will. Was man in diesem Alter lernt, lernt man sehr schnell und es beeinflusst das weitere Leben.
Laute, durcheinanderwuselnde Menschengruppen wird man immer meiden, das liegt an den Wahrnehmungsbesonderheiten.
* “In Stress-Stiuationen ist es mein Verstand der am längsten funktioniert, was Psychologen ja gern eher verneinen.“
Ich kenne das so von mir. Ich kann körperlich schon längst zusammengebrochen sein, ich gehe immer noch meine Liste im Kopf durch. In Gefahrensituationen bin ich oft der einzige, der sich rational verhält. Zum Beispiel rufe ich den Notarzt und versorge den Verletzten, weil alle anderen panisch durch die Gegend gackern oder in Ohnmacht fallen, wenn sie rote Flüssigkeiten sehen.
* „ Wenn ich das nicht so wahrnehme - kann das "logisch" betrachtet doch nur heißen: entweder mache ich mir eher etwas vor und/oder meine Wahrnehmung ist eher - entgegen der Lehrmeinung - intakt. Leider machte ich die Feststellung, dass - entgegen der Ansicht vieler Menschen - der Verstand leider nicht immer in der Lage ist Gefühle zu beherrschen. „
Das kann passieren, dass die Gefühle stärker sind als der Verstand, sonst gäbe es nicht so viele unglücklich Liebende.
* “Auch ich habe oft das Gefühl "zu viel" wahrzunehmen. Mich in mich zurück zu ziehen ist hier eine gute Strategie mir der Überflutung umzugehen. Reize vermindern. Leider habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass mich zu langes zurückziehen noch Empfindsamer macht als ich es ohnehin schon bin. Also gehe ich auch immer wieder raus. In gewisser Weise ist es ein Wechsel (Switch) zwischen einem "Hyperfokus" (auf Themen und ähnliches, die mich interessieren) und "Reizüberflutung". In beiden "Ich-Zuständen" ist es schwierig mit anderen Menschen umzugehen und auf sozialer Ebene offen zu sein, um zu lernen. Ein Unterschied zwischen beiden "Zuständen" ist aber zum Beispiel, dass in Zeiten des "Hyperfokus" mein Gedächtnis eher expliziter ist - während in Zuständen der "Reizüberflutung" es eher impliziter funktioniert. Ich habe schon Bücher während der Reizüberflutung gelesen, deren Inhalt ich explizit mehr oder weniger vergessen habe - aber später beim nochmaligen Lesen verblüfft feststellte, dass ich für mich zum Zeitpunkt des Lesens für mich relevante Passagen/Denkanstöße sehr wohl aufgenommen und verarbeitet hatte. „
Das ist ja interessant, das geht mir ganz genauso. Darum lese ich im Café oder in der Bahn, wo ich eher gestresst und überfordert bin, lieber einen Roman oder ein seichtes Sachbuch. Dann fühle ich mich auch nicht so angeglotzt. Man wird nämlich unverschämt angestarrt, wenn man nicht zurückschaut. Da vergrabe ich mich dann gern.
* “Autismus ist ein Begriff - der nach meiner Wahrnehmung von Seiten der Gesellschaft eher mit "Gefühlsarm bzw. Gefühlskalt" verbunden wird.“
Genau dagegen wehre ich mich. Ich wirke sicher so, jedenfalls muss ich mir das anhören. Ich finde es anmaßend, wenn Menschen, die überhaupt kein bisschen in mich hineinschauen können und mich fragen, ob ich müde sei, wenn ich nachdenke und ob ich skeptisch sei, wenn ich aufmerksam bin, mir Gefühlskälte unterstellen, weil ich meine Gefühle nur schlecht nonverbal ausdrücken kann.
* „Wenn ich diesen semantischen Hof berücksichtige stimme ich monoma voll zu ganz zu, dass unsere Gesellschaft starke autistische Tendenzen zeigt. „
Da stimme ich auch zu.
* „Spannend finde ich in diesem Zusammenhang, dass im Gegensatz zu Literatur zu Persönlichkeitsstörungen und Ähnlichem ich bei Asperger und Kanner-Autismus bisher folgenden Satz sinngemäß nicht gelesen haben: nämlich, dass sich autistische Symptome/Tendenzen/Strukturen in jedem Menschen zu finden seien. Das liest man bei Borderline, Narzissmus, etc. sehr wohl immer wieder.“
Ich habe das schon oft gelesen. Ich denke, es wurde von Laien geäußert, immer in Zusammenhang mit dem Spektrum Und dass es ein Spektrum ist, sieht man ja sehr schön auf dem Diagramm mit männlichen, weiblichen und autistischen Gehirnen. Da gibt es aber auch eine Menge Leute, die eher nicht autistisch sind, wenn man die Grenze in der Mitte ziehen will. Was nicht bedeutet, dass nicht jemand mit einem extremen E-Gehirn motorische Probleme haben kann oder gern Wochentage im Kopf berechnet und dass jemand mit einem extremen S- Gehirn nicht hervorragend Gefühlszustände aus Gesichtern erkennen kann.
Ich übe das manchmal mit einem Bekannten. Er muss dann etwas fühlen und ich muss raten, was. Das ist sehr effizient, ich werde immer besser und erkenne sogar schon schwierige Gesichtsausdrücke wie Sehnsucht oder Besorgnis.
Man kann sich fragen, warum ich nicht früher auf die Idee gekommen bin, das zu lernen, aber es ist so, dass mir nie klar war, dass ein Gesichtsausdruck irgendwas bedeuten könnte. Wenn jemand traurig war und nicht geweint hat, habe ich es nicht bemerkt.
Ich habe diesen Augenpartietest vor einiger Zeit gemacht und war sehr schlecht, denn keine der angegebenen Optionen schien mir die richtige zu sein und ich musste raten. Kürzlich habe ich den Test wiederholt und mir sehr viel Zeit genommen. Ich habe jedes Bild mehrere Minuten auf mich wirken lassen, mir versucht, Situationen vorzustellen, in denen Menschen mich so ansehen und ich habe außerdem versucht, diese Falten und Augenbrauen zu analysieren, wenn ich mir nicht sicher war. So erreichte ich eine hohe Punktzahl, die im „normalen“ Bereich war. Bin ich jetzt „geheilt“ ? Ich denke nicht. Im wirklichen Leben hilft mir das nämlich nicht weiter, denn die Gesichter ändern sich zu schnell und ich muss ja auch zuhören, was gesagt wird und überlegen, was ich drauf antworte. Aber es ist mal ein Fortschritt und ich habe nur ein Jahr gebraucht, um es zu lernen.
* „ Ist es nicht spannend - wie Apies, die ja fast immer ihre Wahrheit sagen sollen so sehr malträtiert werden? Sie sagen ihre Wahrheit und bekommen gesagt sie seinen Unempathisch? Was heißt das? Es kann doch nur meines Erachtens heißen, dass die Gesellschaft, die angeblich die Wahrheit so hoch schätzt vergisst zuzugeben, dass sie auch Lügen in bestimmten Situationen für notwendig hält. Dabei aber vergisst - dies in ihre "Erziehung" miteinzubeziehen. „
Das stimmt, obwohl „spannend“ vielleicht nicht der richtige Begriff ist. Man bekommt gesagt, man soll nicht lügen und hält sich dran. Ich habe aber angefangen zu lügen, weil es notwendig war. Als meine Mutter mich fragte, ob ich etwa heimlich geraucht hätte, habe ich das bejaht und wurde bestraft. Als meine Mutter einmal mein Versteck entdeckte, behauptete ich, die Zigaretten für einen rauchenden Mitschüler aufzubewahren. Das war meine erste bewusste Lüge und sie hat funktioniert.
* „Täuschen können wird ja - von manchen Psychologen - u.a. als Maßstab für die "Reife" eines Menschen (sie nennen es erwachsen Handeln) herangezogen.“
Es ist möglich, dass Autisten in gewisser Hinsicht unreif sind. In sozialer Hinsicht. In Foren wird immer wieder geäußert, dass man intellektuell 65 sei und emotional 12. Vielleicht erklärt sich so auch die Tatsache, dass Kontakt mit Gleichaltrigen gemieden wird, was ich für mich auch bestätigen kann. Meine Freunde sind älter oder jünger, mindestens 4 Jahre. Lügen musste ich schon lange nicht mehr, ich bin auch nicht wirklich gut darin und es ist so, wie Sie sagen: Sobald man eine Lüge ausspricht, wird sie wahr. Ich habe diese Zigaretten damals wirklich dem Mitschüler geschenkt, weil ich plötzlich überzeugt war, es wären seine, er hätte sie irgendwo liegen lassen und ich hätte sie eingesteckt. So freundete ich mich ein wenig mit ihm an, das ging aber nicht lange gut, denn außer rauchen hatten wir keine gemeinsamen Interessen.
* “Wer den Film "Mozart and the Whale" gesehen hat und sich ein wenig mit der klassischen Psychologie beschäftigt hat - könnte sich fragen: Was macht Isabell (Mozart) zum Aspie? „
Das frage ich mich auch, mir fiel zuerst Borderline ein, wegen der Stimmungsschwankungen und dieser Überdrehtheit. Sie ist nicht wie die Aspie- Frauen, die ich kenne, vermutlich falsch diagnostiziert. Es gibt aber eine Szene auf dem Jahrmarkt, in der sie sich die Ohren zu hält. Vielleicht ist die Schauspielerin nicht gut. Sie benutzt auch viel zu viel Mimik.
* „ Außerdem kann jemand der eher extrovertiert wirkt, wie Isabell, wirklich Autistin sein?“
Ich denke schon. Der Aspie in der Sendung „Marienhof“ ist ein extrovertierter Autist. Ich kenne viele Autisten, die extrovertiert sind. Typisch für Asperger ist, nicht zu wissen, wie viel Nähe oder Distanz angemessen ist (nicht körperlich gemeint). Zuviel Nähe kann bedeuten, dass ein Autist einen wildfremden Teenager mit Akne anspricht und über sein neues Spezialinteresse „Hautkrankheiten“ berichtet.
* “Ich gehe davon aus, dass sich sämtliche Symptomatiken eines Menschen auf "Ursachen (Erfahrungen mit sich selbst und/oder in seiner Umgebung)" zurückführen lassen. Theoretisch jedenfalls. Denn ein Lebewesen passt sich - aus meiner Sicht - immer seiner Umwelt an. Das beginnt wohl schon im Mutterleib und ggf. noch ein wenig früher. Daher glaube ich auch nicht, dass sich Autisten generell nicht "anpassen" können. Sondern lediglich, dass ihre Form der Anpassung eben die Umgebung "stört" und Autisten sich auch ihre Art zu schützen versuchen. Außerdem hacken Menschen gern auf Menschen herum, die es mit sich machen lassen bzw. sich nicht zu wehren wissen. Das ist wohl auch eine Form der Anpassung. „
Schlimmer. So funktioniert eine Gesellschaft überhaupt erst. Gruppen definieren sich über die Abgrenzung von anderen Gruppen oder Individuen. Verhalten, das nicht der Norm entspricht, wird bestraft. Wäre das nicht so, wäre die Gesellschaft vermutlich nicht denkbar, was die Frage aufwirft, wie eine rein autistische Gesellschaft funktionieren könnte und auch die Frage, ob nicht die jetzige Gesellschaft in eine mit ein bisschen mehr Toleranz gegenüber Normabweichungen transformiert werden kann.
Dem „anderen“ begegnet man mit Angst. Das ist auch gut so, wenn ich ein Schimpanse bin oder ein Urmensch. Ist auch gut so, wenn ich ein moderner Mensch bin, nur darf ich mich von meinem Gefühl nicht zu sehr leiten lassen.
Weiter kommt dazu, dass Aspies oft peinliche Dinge tun und sagen und die Freundschaft mit einem den sozialen Status nicht gerade hebt. Wie wichtig ist jemandem, was andere über ihn und seine Freunde denken?
Desweiteren verfügen Aspies oft über Fähigkeiten, die andere Menschen nicht haben, weshalb man sie beneidet. „Warum weiß dieser Trottel immer alles, wenn der Lehrer ihn was fragt?“
Woher kommt Neid? Warum sind Menschen neidisch auf das, was andere haben, anstatt sich über das zu freuen, was sie allein besitzen und andere nicht?
Dazu kommen natürlich die vielen Missverständnisse im zwischenmenschlichen Bereich. Kann man eine Kommunikationsgrundlage schaffen, auf der Autisten und Nichtautisten sich verständigen können? Erfahrungsgemäß ist das erst beim Studium der Fall, wenn es um Fachthemen geht und wenn die Autisten alt genug sind, um ein paar grundlegende soziale Regeln verinnerlicht zu haben.
Es ist ein Dilemma, trotzdem glaube ich, dass Autisten nicht unter sich bleiben sollten, um all dem aus dem Weg zu gehen. Ich denke, dass es gelingen kann, sie nicht mehr zu diskriminieren, sondern ihre Stärken schätzen zu lernen.
Schwierig ist es, das Kindern klar zu machen, die ja noch nicht über so ein Ausmaß an Selbstreflektion und ethischen Werten verfügen wie Erwachsene. Oder wie Erwachsene sie eigentlich haben sollten.
* „Ich sehe im Autismus eine Art Kompensation einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung mit dem Willen zur Anpassung und mit dem Willen zum Überleben. Schätze bei manchen Autisten wirkt sich dies langfristig so aus, dass sie möglicherweise (eine Spekulation meinerseits) über eine lange Zeit so stark "überkompensieren", dass bei manchen der "Zugriff" auf diese hohe Empfindungsfähigkeit irgendwie "abgebaut" (weil so lange - also über viele, viele Jahre ggf. Jahrzehnte?) werden könnte. Aber ich denke dieses "Denk-Modell" könnte auf alle/viele Menschen in der ein oder anderen Weise zutreffen. „
Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich tendiere zu dieser Annahme in bezug auf mich und meine emotionale Distanz in manchen Situationen. Also nicht allgemein, sondern in sehr speziellen Situationen. Zum Beispiel werde ich ganz ruhig, wenn jemand mich anschreit oder wenn ich komplett überfordert bin.
Ich kenne Autisten, die sich selbst als „gefühlsarm“ beschreiben und das sind dann die, die sich zuerst die Ohren zuhalten, wenn ein Krankenwagen vorbeifährt. Ich kenne aber auch welche, die sich selbst als „zu emotional“ erleben.
Leidenschaftliches Temperament (wie an Isabelle) habe ich aber noch an keinem bemerkt, auch an leicht hyperaktiven nicht. Die sind dann auch ruhig, aber eben sehr schnell. Klingt paradox. Ich meine diese Art der Zurückhaltung. Oder Selbstbeherrschung. Man kann nicht auf jeden Reiz reagieren, sonst würde man zusammenbrechen, also reagiert man fast gar nicht.
Diese ganze Sache ist aber in Wahrheit noch viel komplexer. Ich werde das an einem Beispiel erläutern, über das ich schon oft nachgedacht habe.
Ich fühle nichts, wenn meine Mutter weint. Das war schon immer so. Ich weiß natürlich, dass ich sie umarmen und trösten sollte, aber das geht überhaupt kein bisschen. Ich bin unfähig zu so einer „Simulation“.
Ich analysierte meine Gefühle in diesen Situationen genau und fand heraus: Es ist nicht „nichts“ was ich fühle. Erstens macht mir wahrscheinlich ihre überbordende Emotionalität Angst. Sie will mir ins Ohr schluchzen, mich festhalten und mein Hemd nass weinen und ich finde, sie sollte sich zusammenreißen. Das sage ich ihr dann auch und sie weint noch mehr und hält mich für ein Monster. In dem Moment, in dem sie weint und schluchzt, ist mir das alles zuviel und ich muss den Raum verlassen. Ich verdränge meine Angst, nehme sie nicht wahr, aber der Fluchtreflex funktioniert.
Zweitens fühle ich mich eigentlich während des Gesprächs davor verletzt und ungerecht behandelt. Denn sie weint meist, nachdem sie mir erklärt hat, was für eine Enttäuschung das Leben inklusive mir sei. Obwohl mir inzwischen klar ist, dass eine allgemeine Erschöpfung bei ihr vorliegt und sie einfach nur jammern will, kann ich mich nicht einmal gedanklich in sie hineinversetzen. Denn dazu müsste ich genauso vom Leben und mir enttäuscht sein wie sie. Mich stört es aber gar nicht, wenn ihre Nachbarn, die ich übrigens nicht kenne, mich für einen durchgeknallten Freak halten. Das ist kein Grund zum Weinen, ich finde das absurd. Sie sollte zu mir halten und mich nicht für Dinge kritisieren, die sie nichts angehen.
Ich finde auch ihr Leben nicht schlimm. Sie hat alles, was sie braucht, sogar Zuneigung und Liebe. Sie weiß es nicht zu schätzen. Sie will jammern. Ich werde den Teufel tun und mit ihr zusammen darüber heulen, dass ich so ein missratener Mensch bin. Im Gegenteil, ich werde richtig ärgerlich auf sie, fühle mich erpresst und überfordert und dann fühle ich nichts mehr und gehe raus.
Drittens: Zu wissen, dass ich mich falsch verhalte und nicht anders kann, gibt mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Der Lähmung. Es macht mich sehr traurig, mich selbst dabei zu beobachten, dass ich mich wie ein Autist verhalte und dann denke ich darüber nach, dass ich tatsächlich einer bin. Das heitert mich in dem Moment keinesfalls auf.
Ich fühle also Angst, Verletzung, Ärger, Hilflosigkeit und letztlich Trauer über mich, dass ich so bin. Letzteres ist genau das, was sie in dem Moment über mich fühlte. Die Übertragung hat funktioniert. Soll noch mal einer sagen, ich sei nicht empathisch.
Diese Situationen mit meiner Mutter und meinem „Fehlverhalten“ übertragen sich unglücklicherweise auf all meine Beziehungen. Ich gehe immer weg, wenn jemand mir Vorwürfe macht und dann weint. Weil mich auch keiner tröstet. Weil ich andere Menschen auch nicht mit meiner Emotionalität belästige. Weil ich überfordert bin.
Es gab übrigens einmal eine Situation, in der es meiner Mutter sehr schlecht ging und sie Angst hatte und verzweifelt war und anfing, zu weinen. Da hatte ich das Bedürfnis, sie zu umarmen und zu drücken. Das habe ich dann auch gemacht.
“ Was mir in meiner Reise durch die Psychologie an möglichem "Muster" immer wieder begegnet ist: alle Symptome können als Anpassung an die jeweilige bzw. ursprüngliche Umwelt eine Menschen interpretiert werden. „
Sämtliche autistische Verhaltens- Besonderheiten als Anpassung an die reizüberflutende Umwelt und die sozial viel begabteren Mitmenschen zu sehen, ist ein spannender Gedankengang.
Da fällt mir noch ein anderes Beispiel für die Anpassung ein. Autistische Rituale werden oft von Fachkräften als Zwangshandlungen fehlinterpretiert. Das autistische Ritual resultiert aus dem Bedürfnis, die Umwelt übersichtlicher zu gestalten. In einem übertragenen Sinn trifft das auf den Zwanghaften auch zu. Der hat natürlich ein anderes Problem, mit dem er nicht klar kommt und kompensiert das. Der Autist hat viel mehr Spaß am Ritual und der Zwanghafte leidet unter so einem Zwang, aber auch Autisten können Zwänge entwickeln, es ist gar nicht so selten. Das ist keine „gesunde“ Anpassung an die Umwelt mehr, wenn man sich dreißig Mal am Tag die Hände wäscht. Wenn man aber immer den linken Schuh zuerst anzieht, ist es eine nützliche Hilfestellung, mit dem Problem umzugehen, dass man nicht beide Schuhe gleichzeitig anziehen kann.
„Weiterhin findet man in der Trauma-Literatur immer wieder Beschreibungen, die sich in vielen anderen Diagnosen wiederfinden. Aber was ein "Traumata" ist und was "traumatisierend" wirken "darf" und was nicht - ist oft eben auch nichts anderes als Definitionssache. … Allerdings findet sich in der Beschreibung von Diagnosen etwas, dass man Rationalisierung nennt. Man könnte es auch "Verdinglichung" nennen.“
Das ist ein interessanter Gedanke, besonders weil er voller Widersprüche steckt.
Ich bin überzeugt davon, dass Autisten von einigen Dingen leichter und von anderen schwerer zu traumatisieren sind. Verdrängen fällt Autisten schwerer und rationalisieren leichter als anderen, so mein Eindruck.
Bei einigen Autisten sind Sinnesreize unangenehmer und intensiver, andere haben z.B. kein Kälteempfinden oder keinen Hunger. Den „Supersensiblen“ und den „Unsensiblen“ gibt es aber nicht, alle Autisten sind Mischformen. Der eine mag laute Geräusche nicht, den nächsten stört die Temperatur oder das Licht.
Der Gedankengang, dass ein empfindsamer Mensch leichter zu traumatisieren, leichter zu einer Rationalisierung und zu einer Verdinglichungshaltung gebracht werden könne, würde bedeuten, dass fast alle sensiblen Menschen sich zu Verdinglichern entwickeln und nur die Hartgesottenen am Ende untraumatisiert sind und nicht verdinglichen und „authentische“ Emotionalität leben können. Da beißt sich entweder irgendwo die Katze in den Schwanz oder wir haben einen Denkfehler drin.
„Untraumatisierte“ Menschen (oder nahezu untraumatisierte) sind oft sehr selbstbewusst, aber auch rücksichtslos und kalkulierend. Ich denke, dass ein Trauma auch sensibilisieren kann. (Ursache und Wirkung wieder mal) Wenn ich selbst als Kind gemobbt wurde, will ich nicht, dass das anderen Kindern auch geschieht. Wenn ich nie negative Erfahrungen mit Mobbing hatte, sind mir gemobbte Menschen egal.
Also vermutlich setzt ein Trauma zwei gegenläufige Wirkmechanismen frei: Die Sensibilisierung und die Desensibilisierung. Jeder Mensch ist vermutlich ein wandelnder Balanceakt. Einzigartig. Falls ein Psychologe einen kleinen Einblick in einen anderen Menschen haben will, dann sollte er den am besten heiraten und sich daneben setzen und ihm hundert Jahre lang zuhören. Oder er sollte über ein Extreme- E- Gehirn verfügen, dann geht das vielleicht schneller.
“ Kann auch ein Aspie seine Symptome verlieren? Wenn ja unter welchen Umständen?“
Ein Aspie kann natürlich seine nach außen sichtbaren „Symptome“ verlieren, das ändert aber nichts an der Art, wie das Gehirn funktioniert. Er bleibt ein Autist und wenn er Stress hat, sind alle seine „Symptome“ – seine eigentliche Wesensart – wieder da.
Und es stört ja auch keinen, wenn jemand monoton spricht, öfter mal seine Unterlagen fallen lässt, im Kino immer an der falschen Stelle lacht oder zehn Sekunden in die Luft starrt, bevor er eine Frage beantwortet.
Man sollte autistische Kinder nicht immer so zurechtbiegen und dann auch noch behaupten, es diene ihrem Besten. Zwanghafte Selbstkontrolle kann zu Zwangserkrankungen und Depressionen führen. Der Mensch muss sich frei entwickeln dürfen. Man muss Autisten im privaten Rahmen eine autismusgerechte Umwelt anbieten, damit sie die Herausforderungen des Lebens meistern.
Im Prinzip kann jeder Mensch alles lernen. Es gibt autistische Heilerziehungspfleger, Künstler, Sozialarbeiter. Unter Autisten gibt es zwar keinen, der Naturwissenschaften nicht mag, aber es sind bei weitem nicht alle „Techies“. Und etwa 90 - 95% aller Programmierer sind nicht autistisch.
Ich denke mal, man soll das alles nicht so ernst nehmen. AS ist sicher etwas, das das ganze Leben sehr stark beeinflusst, aber es ist nicht alles, was einen Menschen ausmacht und es sind auch nicht alle Autisten gleich.
Der eine ist hochsensibel, der andere ist ein Klotz. Der eine hat einen großen Freundeskreis, der andere will gar keinen real life Kontakt. Der eine opfert sich für seine Mitmenschen auf, der andere denkt nur an sich.
So sind Menschen eben, Autisten sind da auch nicht anders.
Simulation und Authentizität
Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, aber der Artikel ist ja doch ganz schön lang. Sie werden ihn editieren, dann kann ich einen weiteren Kommentar verfassen, aber ich möchte doch einige Dinge gleich richtig stellen.
**** " ich bitte darum, dass Sie zukünftige kommentare innerhalb dieses beitrags hinterlassen, " ****
Das halte ich auch für keine gute Idee, denn wenn Sie andernorts schreiben, dass am Welt- Autismus- Tag autistische Talente hervorgehoben würden, was einfach nicht der Fall ist, hielte ich es für sinnvoll, dort und nicht hier darauf hinzuweisen, dass der Welt- Autismus- Tag eher eine Verkaufsveranstaltung der Pharma- Industrie ist als alles andere. Ich möchte natürlich nicht den gesamten Blog mit meiner abweichenden Meinung zupflastern und Sie damit verärgern, aber diese „Kommentar“- Funktion besitzt eben eine gewisse Attraktivität. Viele intelligente Menschen lesen diesen Blog, der, meiner Meinung nach, ein verzerrtes Bild von Autismus zeigt.
Nun zu meinem Kommentar, Teil 1:
**** " (...)1. was bedeutet eigentlich "autismuskritik"?
dieses wort ist eine spontane augenblickskreation und scheint mir bis auf weiteres als prägnante zusammenfassung das hauptthema dieses blogs am ehesten wiederzugeben - den versuch einer analyse und kritik diverser gesellschaftlicher phänomene, " ****
Wir haben es also mit einem Wort zu tun, was zwei verschiedene Bedeutungsinhalte transportiert. (Ähnlich wie das Wort "Becken" zum Beispiel auch.)
Einmal wird es synonym verwendet für „Verdinglichung“ und einmal wird es als Name für eine Minderheit verwendet.
Diese beiden gleichzusetzen und auch noch explizit Asperger- Autisten in eine Theoriegebäude einzubauen, in dem es um „gesellschaftlichen Autismus“ geht, ist ein Fehler im Fundament des Gebäudes.
Es gibt auch den Begriff vom „Wissenschaftlichen Autismus“. Damit ist der Umstand gemeint, dass Fachschaften untereinander schlecht kommunizieren können.
In gewisser Weise eine Analogie, die vielleicht Sinn macht, aber wenn man einmal versucht, sich mit „wissenschaftlichem Autismus“ zu befassen, wird man merken, dass man selbst als gebildeter Mensch ohne ein Fachwörterbuch nicht auskommt, um diese Texte zu verstehen.
Jeden stört offenbar an anderen das am meisten, was er an sich selbst nicht mag. Das ist auch gut, so kommt man am Ende oft zu einer umfassenden Selbst- und damit auch Gesellschaftskritik.
Was ich damit sagen will, ist, dass ich nicht autistischer bin als Sie im "verdinglichenden" Sinne, denn wir sind Teilmenge der Gesellschaft.
Aber egal, ob „Autismuskritik“, „wissenschaftlicher Autismus“, „rechtsblinder Autismus“ oder „Autobahn- Autismus“ – der Begriff wird ja synonym verwendet für Egoismus, Sturheit, Gefühlkälte, Ich- Bezogenheit.
Nun gibt es ja tatsächlich Autisten, Menschen, die man so genannt hat, weil sie Schwierigkeiten haben, nach außen zu interagieren oder auf andere angemessen zu reagieren.
Durch die umgangssprachlich negative Verwendung des Begriffes „Autismus“ werden diese Menschen aber diskriminiert, denn sie sind nicht egoistischer oder unemotionaler oder sturer als andere auch.
Vielleicht denken sie etwas mehr über sich selbst nach als andere Menschen, aber das muss kein Fehler sein.
**** " die mir in den letzten jahren zunehmend bedrohlich erscheinen - die folgen von direkter und struktureller gewalt auf die menschlichen fähigkeiten zum sozialen leben als basis jeder gesellschaft und kultur. der autismus, egal wie er definiert wird - als krankheit, als behinderung, und/oder als seinsweise - weist dabei strukturell am deutlichsten in seinen erscheinungsformen auf defekte hin, die sich meiner meinung nach auch in gesellschaftlichen bereichen wiederfinden lassen, die wir als "normal" zu betrachten uns angewöhnt haben. " ****
Wenn man den „klinischen“ Autismus immer wieder als Analogie heranzieht, um gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, muss man sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Kommunikative Defizite haben wir uns nicht als normal zu betrachtend angewöhnt. Autisten hätten in ihrem Alltag keine Probleme, wenn dies hier die autistische Gesellschaft wäre.
Sie haben aber Probleme, weil dies hier die egoistische Gesellschaft ist.
Autisten sind nur keine Egoisten, im Gegenteil. Durch ihre soziale Ungeschicklichkeit werden sie oft ausgenutzt, sie sind häufiger Opfer des Egoismus, der Manipulation und der Gefühlskälte der anderen. Wer kennt ihn nicht, den kostenlosen Computer- Reparierdienst auf zwei Beinen?
Wer kennt nicht die schüchterne Bibliothekarin, die garantiert bei ihrem ersten Date vergewaltigt wurde, weil sie den Spruch mit dem Kaffee nicht verstanden hat?
**** " 2. ist es nicht unzulässig und auch diskriminierend für direkt betroffene, das attribut "autistisch" in zusammenhang bspw. mit kindsmorden, kriegen und allgemein soziopathischem verhalten zu benutzen? " ****
Das ist es definitiv, obwohl ich noch mal darauf hinweisen möchte, dass ich mich nicht als „betroffen“ bezeichne.
**** " eine berechtigte frage - zeit für eine klarstellung: mir ist schon klar, das autistische menschen heute i.d.r. selbst betroffen von vielfältiger stigmatisierung/ausgrenzung sind (das gilt z.t. übrigens auch für diejenigen, die die diagnose einer der hier öfter erwähnten persönlichkeitsstörungen mit sich herumschleppen, gerade borderline ). und gleichfalls sind als solche diagnostizierte autistische menschen in aller regel nicht an der mehrzahl der hier dokumentierten, teils extrem destruktiven verhaltensweisen, beteiligt. trotzdem scheint mir aus gründen, die in punkt 1 schon näher benannt wurden, das wort "autismus" als nicht nur als metapher begründet zu sein - vor allem dann, wenn man ( wie ich) von der these ausgeht, dass sich autistische züge und strukturen bei weitaus mehr menschen finden lassen als bei den immer noch relativ wenigen, die eine diagnose aus diesem spektrum "offiziell" tragen. " ****
Es ist wahr, dass viele Autisten keine offizielle Diagnose tragen. Aber wenn sie im Leben gut zurecht kommen, benötigen sie auch keine, es sei denn, um sich ganz sicher zu sein, dass die persönlichen Probleme, z.B. erwähnte Ausgrenzung, damit zu tun haben.
Warum mir die Metapher dennoch sehr unglücklich gewählt scheint, habe ich ja bereits dargelegt. Es geht im Blog auch nicht um Psychologie oder Psychiatrie, sondern um soziologische und philosophische Fragen.
**** " dabei geht es vor allem um die grundsätzlichen möglichkeiten und defekte der menschlichen wahrnehmungsfähigkeiten, die als eine der wichtigsten voraussetzungen für das menschliche leben auch für jede gesellschaft und kultur eine entscheidende (und meistens völlig unterschätzte) rolle spielen. " ****
Die Autistische Wahrnehmung beruht imho nicht auf einem Defekt, sondern auf einer „Verschiebung“ wenn man so will. Einer anderen Funktionsweise. Die Flut der Informationen erreicht den Autisten gänzlich ungefiltert und darum versucht der Autist, seine Umgebung reizarm zu gestalten, um z.B. konzentriert arbeiten zu können.
Dieselbe Wahrnehmungsbesonderheit hat auch enorme Vorteile. Autisten bemerken Abweichungen in Mustern schneller, ihnen fallen Fehler auf, die andere übersehen.
Ein Detail kann einem Autisten schwer zu schaffen machen und es kann ihn aber auch mehr erfreuen als ein Lotteriegewinn.
Sich einen Überblick zu verschaffen ist für einen Autisten schwer, aber es muss ja auch Menschen mit Detailkenntnis geben. Das eine als „Störung“ und das andere als „gesund“ zu werten, ist absurd.
**** " die krankheiten des autistischen spektrums weisen dabei am deutlichsten darauf hin, was wahrnehmungsstörungen und defekte für konsequenzen haben können. " ****
Welche Krankheiten des autistischen Spektrums? Zöliakie kommt bei Autisten häufiger vor. Ist das gemeint? Wieso weist eine neurologische Besonderheit am deutlichsten darauf hin, was Wahrnehmungsstörungen für Konsequenzen haben können?
Ich würde doch sagen, dass eine Wahrnehmungsstörung, vielleicht eine Halluzination oder eine Psychose oder ein Drogenrausch, selbst am besten auf ihre Konsequenzen hinweisen sollte.
**** " bei anderen diagnosen, v.a. aus dem bereich der persönlichkeitsstörungen, existieren hingegen recht weit verbreitete und gut dokumentierte materialien, die einen zusammenhang zwischen kulturellen und gesellschaftlichen entwicklungen, extrem destruktiven praktiken und bestimmten persönlichkeitsstörungen mehr als nur nahelegen.(...) " ****
Damit kenne ich mich nicht aus und Autismus als angeborene Persönlichkeitsstörung zu sehen, ist verfehlt. Das setzt Autismus mit psychischen“ Erkrankungen“ oder sagen wir besser neurochemischen Inbalancen, gleich. Wenn dem so wäre, gäbe es die Möglichkeit, Autismus mit Psychopharmaka zu behandeln. Solch eine Behandlung bringt aber nichts außer Nebenwirkungen oder Sedierung.
**** " verdinglichung ist das produkt von bestimmten wahrnehmungsmodi, die aus bestimmten gründen in bereichen auftreten - zwischenmenschlich/sozial und auch gegenüber tieren - , in denen sie hochgradig dysfunktional und destruktiv wirken müssen. diese wahrnehmungsmodi, die ich hier im blog unter das label objektivistisch gepackt habe, " ****
Gut, dass Sie das erläutern. Objektivismus war bisher in meinem Verständnis etwas anderes, nämlich 1. die Annahme, dass Objektivität grundsätzlich möglich sei. 2. die Annahme, dass Objekte mit dem Rest der Kategorien korrespondieren (Aristoteles) und 3. die Meinung, dass man allgemeingültige moralische Maßstäbe finden könne.
**** " (pathologisch) ... werden sie jedoch in diversen formen und ausprägungen immer dann, wenn das gestörte psychophysische gleichgewicht innerhalb eines menschen den objektivistischen modus in eine wahrnehmungsmäßige monopolposition gebracht hat. " ****
Nun könnte man davon ausgehen, dass das bei Autisten per Geburt der Fall ist. Dass dies aber andere Auswirkungen als destruktive hat, werde ich noch aufzeigen. Wichtig ist gerade an diesem Punkt, dass man Autisten Gefühle zugesteht und Empathie für andere Geschöpfe.
**** " das hat erstens zur folge, dass sich der betroffene in einem gewissen sinne selbst, v.a. "seinen" körper, als objekt wahrnimmt, und zweitens diese art der wahrnehmung im gesamten sozialen bereich praktiziert. anders ließe sich das als weitgehender verlust der eigenen vollständigen subjektivität beschreiben, " ****
Die körperliche Entfremdung trifft auf dissoziative PS zu. Auf Autismus nicht. Autisten tendieren auch eher dazu, gefühlsmäßig eine grundsätzliche Belebtheit aller Objekte anzunehmen, darum haben sie auch oft Probleme, alten Kram wegzuwerfen. Das ist ein halb scherzhaftes „inoffizielles Diagnosekriterium“ und wissenschaftlich nicht fundiert.
Mit einem Augenzwinkern könnte man sagen: „Es stimmt, dass wir Menschen wie Dinge behandeln, aber bedenkt, wie sehr wir Dinge lieben.“
**** " und das ist die vorbedingung dafür, auch bei anderen deren subjektivität nicht mehr wahrnehmen zu können. im schlimmsten fall wird dieser status dann noch mittels objektivistisch produzierter simulationen überspielt, um sich an die jeweiligen sozialen normen und verhaltenskodexe anzupassen - in einer art "reinform" bei den klassischen soziopathen zu beobachten. " ****
Hier wird die „Theory Of Mind“ angesprochen. Das Wissen, dass andere auch Gefühle und ein Bewusstsein haben. Bis zu einem gewissen Alter haben Autisten Probleme mit der TOM. Erwachsene Autisten wissen natürlich, dass andere Menschen auch ein Bewusstsein haben.
Studien zur Empathiefähigkeit von Autisten haben gezeigt, dass Autisten schlecht erkennen, wie sich jemand fühlt, aber wenn sie es erkannt haben, genauso mitfühlend reagieren wie Nichtautisten.
Das bedeutet, dass man einem Autisten öfter sagen muss, wie man sich fühlt, um eine stärkere Anteilnahme zu erreichen.
Diese Studie:
http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/snwg/dziobek.html
kann ich zur Lektüre empfehlen. Dort heißt es u.a.: „Die Voruntersuchungen lieferten Hinweise dafür, dass Menschen mit AS beeinträchtigt sind im Einschätzen von mentalen Zuständen (kognitive Empathie), jedoch über ein ähnliches Maß an Mitgefühl (emotionale Empathie) verfügen wie Normalprobanden.“
Grundsätzlich fehlt es Autisten nicht an Intuition oder Empathie. Es kann auch zuviel davon vorhanden sein und der „Autismus“ ist Selbstschutz.
Es ist aber nicht möglich, die Autisten in die „Wenigwahrnehmer“ und die „Vielwahrnehmer“ zu trennen, da jeder Autist eine Mischform darstellt.
Wenn man es „Simulation“ nennen will, sich an geltende Normen anzupassen, so zeigen gerade Autisten dafür eine große Unbegabung. Die „Simulation“ oder auch das „Vorspielen“ Ein „Hineinversetzen“ in die Rolle – method acting quasi – ist unabdingbar, um sie auszufüllen, das gilt für alle Menschen, auch für Autisten.
Ob ein Mann z.B. die Rolle des liebenden Gatten spielt oder nicht, hat damit zu tun, ob er sich für einen liebenden Gatten hält. Vorgeben einer zu sein und heimlich die Ermordung der Gattin zu planen, wäre soziopathisch und nicht autistisch. Ein Autist würde eine unangenehme Ehesituation ertragen oder nicht, etwas vortäuschen fiele ihm sogar schwerer als einem Nichtautisten.
Nur wenige Menschen können so gut simulieren, ohne dabei zu fühlen, dass man ihnen glaubt. Und das sind vermutlich keine Autisten sondern hochdotierte Berufsschauspieler oder Soziopathen.
Die meisten Menschen glauben, was sie einem „vorspielen“, sie leben ihre Rolle und darum sind sie AUTHENTISCH. Denn, um mal einen beliebten Buchtitel zu zitieren „Wir alle spielen nur Theater“. „Wir alle“ schließt Autisten nicht einmal unbedingt mit ein, wie ich bei der Lektüre des Buches feststellen musste, denn gegenüber Rollenerwartungen bin ich relativ immun.
Aber natürlich rede ich etwas anders zu einem Kind als zu einem Mathematikprofessor. Ich spiele eine Rolle, auch wenn das weniger mit „Simulation“ als mit „Situation“ zu tun hat.
Mit Intuition tun sich Asperger- Autisten meiner Erfahrung nach besonders schwer. Das Vertrauen in die Intuition ist nicht sehr stark. Es gibt aber auch etliche Autisten, die stark intuitiv handeln. Pauschalisieren kann man das nicht.
Natürlich werden intuitive Ergebnisse stärker mittels des Intellekts „geprüft“ bevor sie zur Entscheidungsfindung herangezogen werden.
Sich intuitiv zu verhalten ist für Autisten nämlich eine gefährliche Sache. Es kann vorkommen, dass man etwas bemerkt hat, das man gar nicht bemerken sollte. Jemand ist zum Beispiel homosexuell, dem Autisten ist das ganz klar und er spricht es aus, weil er nicht weiß, dass der Homosexuelle dies zu verbergen suchte.
Hochfunktionale Autisten sind nicht zuletzt hochfunktional, weil sie sich selbst sehr gut kontrollieren können und emotionale Reaktionen auf Überreizung unterdrücken.
Es kann passieren, dass ein Autist den Raum verlässt, weil jemand weint oder weil gestritten wird. Das hat mehr mit Reizüberflutung als mit Gefühllosigkeit oder Empathiemangel zu tun.
Somit haben wir zwei Problemfelder: 1. Ein Gefühl bei jemand anders wird besonders inmitten vieler anderer Informationen, die verarbeitet werden müssen, schlechter erkannt und wenn es erkannt wird, ist nicht genügend Selbstvertrauen in die Intuition vorhanden, um zu reagieren
2. Die Reaktion des Autisten erscheint unangemessen, weil er sich auch selbst schützen muss oder weil er unemotional wirkt, wenn er z.B. zu trösten versucht oder weil er Körperlichkeiten mit Fremden aus dem Weg geht.
Dieses ganze komplexe Feld der sozialen Interaktion könnte durch Training besser gemeistert werden und tatsächlich zielen aktuelle Verhaltenstherapien mit Kindern darauf ab. Die meisten erwachsenen Autisten sehen aber nicht ein, dass sie sich verstellen sollen. Sie möchten authentisch bleiben und sie erwarten von ihrer Umwelt das gleiche Ausmaß an Intuition und Empathie, wie es von ihnen gefordert wird.
Ihre speziellen Befindlichkeiten zu erklären, fällt Autisten aber sehr schwer, sie versuchen oft, „zu funktionieren“ und das sorgt für Burnout und Depressionen. Der Selbstverleugnung oder „Simulation“, sollte sie also erfolgen, sind enge Grenzen gesetzt.
**** " ohne die beiden genannten ist letztlich kein soziales leben denkbar, welches auf vertrauen, liebes- und kollektivfähigkeit basieren sollte. das es das bis heute nur in absoluten ausnahmen tut, hat auch damit zu tun, dass diese sozialen fähigkeiten bzw. ihre materiell-körperlichen voraussetzungen - die in den verlinkten beiträgen teils schon erwähnt sind; spiegelneurone und propriozeption gehören u.a. dazu - in einem klassisch klinischen sinne geschädigt bzw. u.u. auch zerstört werden können. und wenn man nun so ein phänomen wie die verdinglichung umfassend begreifen will, ist es mehr als nur plausibel, die grundlagen eines solchen sozusagen entgleisten wahrnehmungsmodus´ eben in unserer absoluten biologischen basis zu suchen: dem körper (incl. hirn & nervensysteme), der wir sind. " ****
Vertrauen, Kollektivfähigkeit, Liebesfähigkeit sind bei Autisten natürlich grundsätzlich vorhanden. Die Tatsache, dass man in Beziehungen viel Zeit und Raum für sich braucht und dass man in Großraumbüros nicht arbeiten kann, sind der schnelleren Ermüdung wegen der Reizüberflutung und der schlechteren Fähigkeit zum Multitasking geschuldet. Autisten können sich auch nur schwer auf mehr als eine Person gleichzeitig konzentrieren und da sie keine Filter haben können sie sich zum Beispiel nicht auf ein Gespräch konzentrieren, wenn ein Nebengeräusch stört.
Die Forschung über die Spiegelneuronen verfolge ich sehr interessiert.
Autisten verfügen (angeblich) über weniger Spiegelneuronen als Nichtautisten. Mir scheint das logisch, denn Spiegelneuronen sorgen z.B. dafür, dass man eine Handlung, nachdem man sie einmal gesehen hat, kopieren kann. Motorische Abläufe werden darum nicht so schnell erlernt. Ein Autist braucht eine genaue „Anleitung zur Rolle vorwärts“ und ein Nichtautist sieht und tut.
Spiegelneuronen sind auch dafür verantwortlich, dass Mimik des Gegenübers kopiert wird. Es kann passieren, dass ein autistisches Baby nicht zurücklacht.
Das hat aber kaum Auswirkungen auf das Gefühl des späteren erwachsenen Autisten beim Anblick einer lachenden Person.
Man lernt irgendwann, was dieses Mundwinkelhochziehen bedeutet und dann verselbstständigt es sich. Wie beim Autofahren denkt man nicht mehr darüber nach. Man wird angelacht, man lacht zurück oder auch nicht, aber die Botschaft kam an.
Viel schwieriger ist es, herauszufinden, warum jemand lacht, aber in der Regel erklärt sich das aus dem situativen Kontext.
Umso besser man eine Person kennt, desto besser kann man nonverbal mit ihr kommunizieren, und zwar OHNE darüber nachzudenken oder etwas zu simulieren.
Ich würde darum von einer Wahrnehmungs- oder Lernbesonderheit in Bezug auf nonverbale Kommunikation sprechen.
**** " ebenso gibt es starke hinweise richtung störungen (im letzten teil des beitrags) der oben erwähnten propriozeptiven wahrnehmung bei autistischen menschen. " ****
Wie ich schon mehrfach erwähnte, möchte ich nicht als „gestört“ bezeichnet werden. Zum einen ist das eine Frage der Höflichkeit, zum anderen bezeichne ich Menschen, die nicht so gut kopfrechnen können wie ich, auch nicht als gestört. Ich sehe mich als einen Menschen mit Stärken und Defiziten. Nur weil ich nicht mit Hinz und Kunz sofort Verbrüderung feiern will und an meine Sozialkontakte langsam und mit großer Sorgfalt herangehe – was auch daran liegt, dass diese Menschen ein großes Maß an Toleranz für unkonventionelle Vorgehensweisen mitbringen müssen – bin ich nicht gestört.
In dem zitierten Beitrag geht es auch um Enfantizid und die Weitergabe von Gewalt.
Ich denke, nach aktuellem Forschungsstand ist es ausgeschlossen, dass Autismus so weitergegeben wird. Die „Kühlschrankmutter“ ist so passee wie etwa die Theorie, dass die Erde eine Scheibe sei.
Autistische Mütter sind keine schlechteren Mütter als andere auch. Bis jetzt ist noch kein Fall einer autistischen Mutter bekannt geworden, die ihre Kinder umbrachte, verhungern ließ oder schwer misshandelte.
**** " das läßt aus meiner sicht hinsichtlich Ihrer obigen behauptung bzw. selbstbeschreibung, die ich bezgl. Ihrer selbstwahrnehmung gar nicht in abrede stellen will bzw. kann, eigentlich nur zwei schlüsse zu - und jetzt werde ich sehr direkt und nicht um den heißen brei herumreden:
entweder ist Ihre (vermutliche) diagnose unzutreffend, " ****
Sie sagen: Autisten haben keine Empathie.
Ich sage: Ich bin Autist und habe welche.
Sie sagen: Dann können Sie kein Autist sein.
Demnach definieren Sie Autismus als Abwesenheit von Empathie. Abwesenheit von Empathie ist aber Soziopathie und nicht Autismus und schlechte Wahrnehmung eigener Gefühle ist Alexithymie und nicht Autismus.
**** " oder aber Ihre selbstwahrnehmung beruht auf einem zugegebenermaßen extrem schwer zu erkennenden prozeß der verwechslung von authentischen sozialen fähigkeiten mit durch eine art lernprozeß herausgebildeten simulativen fähigkeiten, die sich bei Ihnen zwecks anpassung / überleben / funktionieren in einer sozialen umwelt geprägt haben. das wäre noch nichteinmal als manko zu betrachten, sondern lässt sich auch in einem bestimmten sinne als kreative lösung eines existenziellen problems ansehen. " ****
Da muss ich Ihnen widersprechen. Sie behaupten, dass meine sozialen Fähigkeiten simulativ und nicht autentisch sind. Was meinen Sie, tun drei befreundete Autisten am Samstagabend beim Bier trinken?
Reden über Physik, stimmt. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir uns gegenseitig soziale Fähigkeiten simulieren? Wir lassen einfach nur diesen ganzen unaufrichtigen Höflichkeitsquatsch weg. Oder A bemerkt, dass B kein Feuer mehr hat und gibt ihm Feuer. Ohne darüber nachzudenken. B bemerkt, dass C heute so ruhig ist und fragt, wie es ihm geht.
Warum tut er das? Weil ihn Cs Befinden interessiert. C ist Bs Freund. Da liegt authentisches Interesse vor. B könnte sich auch mit D treffen, wenn es ihm nur darum ginge, über Physik zu reden.
C versteht sofort, dass diese Frage aufrichtig gemeint ist und schildert sein Problem: Seine Frau nannte ihn gefühlskalt, dabei ist er nur jemand, der nicht gern über seine Gefühle spricht.
A und B kennen ähnliche Situationen. Ihnen tut C leid. Sie erzählen, wie sie sich in ähnlichen Situationen verhielten. C fühlt sich verstanden. Es tut ihm auch gut, mal darüber zu sprechen.
Wir haben es hier mit authentischen sozialen Fähigkeiten innerhalb einer Gruppe von authentisch miteinander befreundeten Personen zu tun.
**** "nur: qualitativ wäre Ihre art der wahrnehmung trotzdem etwas sehr anderes als das, was ich oben unter den sozialen fähigkeiten beschrieben habe. und ich muss Ihnen auch sagen, dass ich "soziales engagement" nicht als - hm, "beleg" für das vorhandensein bzw. nichtvorhandensein authentischer sozialität ansehen kann. sozial engagieren kann ich mich auch aus eiskaltem kalkül heraus, um bestimmte wirkungen zu erzielen, die mit altruistischen motivationen aber auch gar nix zu tun haben müssen – " ****
Mir eiskaltes Kalkül zu unterstellen zeigt, wie wenig Sie verstanden haben und wie sehr Sie mir Empathie und überhaupt Menschlichkeit absprechen möchten.
Und wenn ich protestiere, wird meine Diagnose angezweifelt, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf: Autisten müssen Monster sein, sonst klappt das Feindbild in sich zusammen.
Mein soziales Engagement bringt mir nichts. Ich habe berufliche Nachteile dadurch. Ich engagiere mich zum Beispiel für Kinder und Tiere und ich spende manchmal der AIDS- Hilfe Geld. Davon weiß niemand was, es steigert mein Ansehen nicht. Obwohl ich selbst weder ein Kind noch ein Tier in einem Labor noch ein AIDS- Kranker bin. Ich gehöre auch zu keiner Risikogruppe, habe selbst keine Kinder und pädophil oder zoophil bin ich auch nicht. Warum engagiere ich mich also? Ich gebe es nicht gerne zu, aber mir tun Kinder und Tiere und AIDS- Kranke leid. Bitte sagen Sie es nicht weiter, es könnte meinem Ansehen als Eisblock schaden.
**** " die marketing- und pr-abteilungen großer konzerne verbringen inzwischen einen großen teil ihrer zeit mit derlei als-ob-engagement. ebenso kann authentisch wirkendes soziales engagement ein teil des konstrukts einer beliebigen eigenen identität sein, welche ganz und gar simulativ daherkommen kann, aber eben als solche nicht bewusst sein muss. " ****
Das ist eine Sache, die man auch positiv sehen kann. Wenn Konzerne für wohltätige Zwecke spenden, um ihr Ansehen zu steigern, dann wird ja tatsächlich wohltätiges mit diesem Geld erwirkt. „So tun als ob“ ist übrigens keine autistische Eigenschaft. In den gängigen Autismus- Tests kriegt man 5 Punkte Abzug, wenn man das kann, es deutet eher auf neurotypisches Verhalten hin.
**** "wie gesagt, ich will Ihnen mit dem obigen nichts unterstellen, weise aber darauf hin, dass Sie durchaus die möglichkeit in betracht ziehen müssen, dass Ihnen Ihre selbstwahrnehmung hier einen streich spielt - was bei einer lebenslangen praxis desselben weder verwunderlich noch unverständlich wäre. denn genau durch (qualitative) veränderungen dieser sozialen fähigkeiten (und den konsequenzen) zeichnet sich der klassische autismus, jedenfalls nach allem, was ich bisher weiß, ja aus. " ****
Jedem Menschen kann die Selbstwahrnehmung einen Streich spielen. Da meine Wahrnehmung allgemein eher (zu) genau ist, gilt das wohl auch für meine Selbstwahrnehmung. Ich habe lediglich Probleme, meine Außenwirkung zu beurteilen.
Dass alle Nichtautisten eine andere Person sind, als sie zu sein vorgeben, ist mir erst mit Mitte Zwanzig klar geworden. Ich kann aber davon abraten, von sich auf alle anderen zu schließen.
Natürlich möchte auch ich geliebt und anerkannt werden, wie jeder Mensch. Aber nicht um jeden Preis, ich möchte um meiner selbst Willen respektiert werden und nicht wegen Vortäuschung falscher Tatsachen.
Mit „klassischem“ Autismus meint man Kanner- Autismus. Für Kanner- Autisten ist Anpassung und „Simulation“ besonders schwer, wenn nicht unmöglich.
Gruß, Guru
Lieber Guru
Auch ich bin ein "Mustererkenner". Daher zweifle ich sehr stark an den Konstrukten der klassischen Psychologie. Mir fehlt sehr oft die Frage: "An was könnte es noch liegen?" Ebenso wie die Frage nach "Wirkung" und "Ursache". Wer sich ein wenig mit komplexen Systemen beschäftigt hat weiß, dass Ursache und Wirkung schnell "chamälionartig" ändern können. Es switcht - sozusagen.
Attwoods letztes Buch habe ich auch gelesen. Spannend fand ich hier, dass ich mich selbst oft in den Beschreibungen der Aspies wiedergefunden habe. Allerdings macht mich dies zu einem Aspie? War ich mal ein Aspie? Kann man die Symptome auch später "verlieren"? Ganz oder teilweise? So wie bei Hochbegabung? Es gibt ja Experten, die behaupten ein Kind könne eine Hochbegabung wieder "verlieren". Falls das so ist - wie und warum geschieht das?
In Stress-Stiuationen ist es mein Verstand der am längsten funktioniert, was Psychologen ja gern eher verneinen. Durch eine Orientierungsreaktion (Flucht/Kampf-Regelkreis oder auch Totstellreflex genannt) soll ja auf das rationale Denken erheblich einschränkend wirken. Wenn ich das nicht so wahrnehme - kann das "logisch" betrachtet doch nur heißen: entweder mache ich mir eher etwas vor und/oder meine Wahrnehmung ist eher - entgegen der Lehrmeinung - intakt. Leider machte ich die Feststellung, dass - entgegen der Ansicht vieler Menschen - der Verstand leider nicht immer in der Lage ist Gefühle zu beherrschen.
Auch ich habe oft das Gefühl "zu viel" wahrzunehmen. Mich in mich zurück zu ziehen ist hier eine gute Strategie mir der Überflutung umzugehen. Reize vermindern. Leider habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass mich zu langes zurückziehen noch Empfindsamer macht als ich es ohnehin schon bin. Also gehe ich auch immer wieder raus. In gewisser Weise ist es ein Wechsel (Switch) zwischen einem "Hyperfokus" (auf Themen und ähnliches, die mich interessieren) und "Reizüberflutung". In beiden "Ich-Zuständen" ist es schwierig mit anderen Menschen umzugehen und auf sozialer Ebene offen zu sein, um zu lernen. Ein Unterschied zwischen beiden "Zuständen" ist aber zum Beispiel, dass in Zeiten des "Hyperfokus" mein Gedächtnis eher expliziter ist - während in Zuständen der "Reizüberflutung" es eher impliziter funktioniert. Ich habe schon Bücher während der Reizüberflutung gelesen, deren Inhalt ich explizit mehr oder weniger vergessen habe - aber später beim nochmaligen Lesen verblüfft feststellte, dass ich für mich zum Zeitpunkt des Lesens für mich relevante Passagen/Denkanstöße sehr wohl aufgenommen und verarbeitet hatte.
Autismus ist ein Begriff - der nach meiner Wahrnehmung von Seiten der Gesellschaft eher mit "Gefühlsarm bzw. Gefühlskalt" verbunden wird. Wenn ich diesen semantischen Hof berücksichtige stimme ich monoma voll zu ganz zu, dass unsere Gesellschaft starke autistische Tendenzen zeigt. Spannend finde ich in diesem Zusammenhang, dass im Gegensatz zu Literatur zu Persönlichkeitsstörungen und Ähnlichem ich bei Asperger und Kanner-Autismus bisher folgenden Satz sinngemäß nicht gelesen haben: nämlich, dass sich autistische Symptome/Tendenzen/Strukturen in jedem Menschen zu finden seien. Das liest man bei Borderline, Narzissmus, etc. sehr wohl immer wieder. Und ich frage mich: Warum ist das so? Das einzige was man in dieser Richtung findest ist, dass "hochbegabte" Menschen und Techies eher aspische Tendenzen haben. (Natürlich kann es sein, dass ich einen solchen Satz überlesen haben. Falls ja bitte ich darum mir die Fundstelle zu nennen.) Könnte es sein, dass intellektuelle Beschäftigung - Denken allgemein - einfach mit zumindest zeitweiser Reduzierung der sozialen Fähigkeiten einhergeht? (Ich denke das ist so. Manche Wissenschaftler sehen das auch so - andere nicht.)
Die einzige Antwort auf diese Frage, die mir am Wahrscheinlichsten erscheint ist: Verdrängung. Ist es nicht spannend - wie Apsies, die ja fast immer ihre Wahrheit sagen sollen so sehr malträtiert werden? Sie sagen ihre Wahrheit und bekommen gesagt sie seinen Unempathisch? Was heißt das? Es kann doch nur meines Erachtens heißen, dass die Gesellschaft, die angeblich die Wahrheit so hoch schätzt vergisst zuzugeben, dass sie auch Lügen in bestimmten Situationen für notwendig hält. Dabei aber vergisst - dies in ihre "Erziehung" miteinzubeziehen. Täuschen können wird ja - von manchen Psychologen - u.a. als Maßstab für die "Reife" eines Menschen (sie nennen es erwachsen Handeln) herangezogen.
Übrigens hatte und habe ich mit Lügen immer noch ein Problem - nämlich meine Angst irgendwann selbst an das zu glauben, was ich anderen als "Bären aufbinde". Das habe ich zu oft in meiner Umgebung mitangesehen: Erst wurde bewusst gelogen - irgendwann später hat dieser Mensch an seine eigenen Lügen tatsächlich geglaubt. Die Lüge mutierte zur Wahrheit. Das hat mir als Kind einen erheblichen Schrecken eingejagt. So wollte ich nie werden.
Wer den Film "Mozart and the Whale" gesehen hat und sich ein wenig mit der klassischen Psychologie beschäftigt hat - könnte sich fragen: Was macht Isabell (Mozart) zum Aspie? Von Außen betrachtet könnten auch Diagnosen, wie Borderline, Histrionische PS, Narzistische PS, Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, Anpassungsstörung, Ängste, Depressionen, ADHS, Hochbegabung, etc. zutreffend sein. Diese Erkenntnis hat mich zunächst umgehauen. Weniger wegen der Fülle der möglichen Diagnosen, sondern aufgrund (der nicht neuen aber diesmal sehr heftigen) Erkenntnis, dass Diagnosen in diesem Land sehr stark von dem Menschen (und seinen Erfahrungen), der diese Diagnose stellt abhängig ist. Auf was hat er sich "spezialisiert"? Welche Fortbildung hatte er letzte Woche? Welche Diagnosen bevorzugt sein evtl. Vorgesetzter? Wie ist die Tagesverfassung des Patienten? Etc. Außerdem kann jemand der eher extrovertiert wirkt, wie Isabell, wirklich Autistin sein? Ich denke das würde viele "Experten" in diesem Lande eher abstreiten.
Ich gehe davon aus, dass sich sämtliche Symptomatiken eines Menschen auf "Ursachen (Erfahrungen mit sich selbst und/oder in seiner Umgebung)" zurückführen lassen. Theoretisch jedenfalls. Denn ein Lebewesen passt sich - aus meiner Sicht - immer seiner Umwelt an. Das beginnt wohl schon im Mutterleib und ggf. noch ein wenig früher. Daher glaube ich auch nicht, dass sich Autisten generell nicht "anpassen" können. Sondern lediglich, dass ihre Form der Anpassung eben die Umgebung "stört" und Autisten sich auch ihre Art zu schützen versuchen. Außerdem hacken Menschen gern auf Menschen herum, die es mit sich machen lassen bzw. sich nicht zu wehren wissen. Das ist wohl auch eine Form der Anpassung. Die Wut, die diese Menschen nicht "spüren dürfen" kanalisiert sich in so etwas wie "unbewusste" Rache, denke ich.
Ich sehe im Autismus eine Art Kompensation einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung mit dem Willen zur Anpassung und mit dem Willen zum Überleben. Schätze bei manchen Autisten wirkt sich dies langfristig so aus, dass sie möglicherweise (eine Spekulation meinerseits) über eine lange Zeit so stark "überkompensieren", dass bei manchen der "Zugriff" auf diese hohe Empfindungsfähigkeit irgendwie "abgebaut" (weil so lange - also über viele, viele Jahre ggf. Jahrzehnte?) werden könnte. Aber ich denke dieses "Denk-Modell" könnte auf alle/viele Menschen in der ein oder anderen Weise zutreffen.
Allerdings - und das wird denke ich auch gern "übersehen" - kann der Rückzug in einen Hyperfokus auch erhaltend wirken - also die "Zugriffskanäle" - die Empfindsamkeit kann durch den "Rückzug" erhalten werden. Allerdings ist hier in meinem Gedanken-Modell es notwendig, dass dieser Mensch eine "Nische" findet. Ob es jetzt Menschen sind bei denen er so sein darf wie er nunmal ist und/oder die Flucht in Spezialinteressen und dem Alleinsein zumindest akzeptiert wird. Hier gibt es aus meiner Sicht u.a. folgenden Stolperstein: Emotionalität - hohe Empfindsamkeit wird in unserer Kultur eher als Schwäche angesehen. Also dann doch lieber Spezialinteresse - Flucht in die intellektuellen Sphären, die ja ohnehin akzeptierter/erwünschter sind - wenn man damit Erfolg hat?
Was mir in meiner Reise durch die Psychologie an möglichem "Muster" immer wieder begegnet ist: alle Symptome können als Anpassung an die jeweilige bzw. ursprüngliche Umwelt eine Menschen interpretiert werden. Weiterhin findet man in der Trauma-Literatur immer wieder Beschreibungen, die sich in vielen anderen Diagnosen wiederfinden. Aber was ein "Traumata" ist und was "traumatisierend" wirken "darf" und was nicht - ist oft eben auch nichts anderes als Definitionssache. Dabei wird die Empfindsamkeit eines Menschen übersehen. Denn ich mache eine Traumatisierung abhängig von der Wahrnehmung des jeweiligen Menschen abhängig. Allerdings findet sich in der Beschreibung von Diagnosen etwas, dass man Rationalisierung nennt. Man könnte es auch "Verdinglichung" nennen. Rationalisierung kann u.a. einerseits der Versuch sein, etwas so genau wie möglich zu beschreiben - allerdings kann Rationaliersung andererseits als Teil eines Abwehrmusters verstanden werden bzw. es tatsächlich sein. Außerdem sind "Fehler" (also sich irren) in unserer Gesellschaft eher verpönt.
Wie sollte man also dies von Außen erkennen können? Gleiche oberflächliche Muter/Beobachtungen können ganz andere Ursachen/Hintergründe haben. Wie entscheidet ein Psychologe das? Vor allem in der sehr knapp bemessenen Zeit, die ihm unser Gesundheitssystem heute lässt? Er kann doch nichts anders sammeln als Hinweise. Was aber wenn ihm die Lehrmeinung nun "wichtiger" ist als der Menschen, der vor ihm sitzt? Was wenn er dieses "Lehrbuch" nicht aus der Hand nehmen kann? Was wenn er selbst genug in seiner Vergangenheit hat, dass er abwehren muss (also nicht sieht)?
Immer wieder die Frage: Was könnte es noch sein? Inwieweit kann ein Mensch sich verändern? Kann auch ein Aspie seine Symptome verlieren? Wenn ja unter welchen Umständen? Das ist ja auch etwas, dass ich immer wieder feststelle. Viele Menschen ändern sich oft nach dem 18 Lebensjahr nicht mehr großartig. Außer es passieren ganz gravierende Einwirkungen von Außen. Das finde ich übrigens ganz "schlimm" in der Apsie-Literatur: "Ein Aspie kann nicht ..." Hier wird - wie auch in anderen Sparten - denke ich Entwicklungspotenzial ausgeredet/ausgelöscht. Allerdings nicht nur bei Aspies.
Übrigens habe ich ein paar Apsie-Kids kennengelernt. Alles sehr empfindsame Kinder, die sehr fröhlich sein können (wenn sie sich wohlfühlen). Gut oberflächlich wirken sie - eher unterkühlt. Aber nur, wenn man sie ausschließlich oberflächlich betrachtet. Kinder, die laut Attwood ihre Symptome verlieren, wenn man sie alleine auf ihrem Zimmer lässt und sie sich mit dem beschäftigen dürfen - was sie derzeit am Meisten interessiert. Ich weiß nicht - das deutet für mich auf vieles hin - aber nicht darauf, dass diese Kids "emotionslos" und "empfindungsarm" sind. Allerdings sehe ich wohl, dass dies irgendwann so werden kann - wenn diese Kids keine Menschen finden - wo sie sein dürfen wie sie sind. Wenn man sie moppt und ihnen das Gefühl gibt - sie seien nicht o.k. Aber auch das gilt nicht nur für "Aspies".
Entwicklung einer Persönlichkeit? Ach ja - aber bitte nur, wenn es das sozialadäquate Verhalten nicht beeinträchtigt. Ansonsten "stört" es nur.
Liebe Grüße
Tamara
Liebe Tamara
Ich nehme Stoffwechselstörungen auch nicht als geistig wahr. Weder solche des Gehirns noch sonstige, wie z.B. die der Schilddrüse, welche auch die Stimmung sehr beeinflussen kann. Das kann man nicht trennen, da gebe ich Ihnen Recht.
Sie erwähnen z.B. Traumatisierungen. Dadurch verändern sich die Neurotransmitter im Limbischen System. Ein Erlebnis hat also körperliche Auswirkungen.
Die klassische Psychologie ist nicht sehr strukturiert aufgebaut und voll von merkwürdigen Behauptungen. Sehr wenig ist empirisch nachgewiesen, das meiste klingt wie irgendjemandes Meinung.
Aber das ändert sich ja alles gerade. Leider immer mehr hin zu Medikation und weg von der Gesprächstherapie, aber was soll man machen, wenn kaum ein Therapeut fähig ist, die eigentlichen Ursachen einer psychischen Erkrankung zu erkennen und stattdessen nur versucht, die Arbeitsfähigkeit der Betreffenden wiederherzustellen. Stichwort Leistungsgesellschaft.
Wenn Ursache und Wirkung switchen können, würde ich das einen Teufelskreis nennen. Jemand trinkt, weil er keinen Job hat und hat keinen Job, weil er trinkt.
Wenn man sich in den Beschreibungen von Aspies wieder findet, ist man vermutlich auf dem Spektrum. Ich habe hier
http://www.aspergia.net/index.php?page=auswertung-eq-sq
mal ein hübsches Diagramm. (Bitte runterscrollen). „Männliches“ und „weibliches“ Gehirn sind dabei willkürlich gewählte Klischee- Bezeichnungen, um dem Laien das Konzept von S- und E- Gehirn verständlicher zu machen.
Man sieht dabei (grün) dass die Autisten bei den Empathietests eher schlecht abgeschnitten haben. Das trifft auch auf einige Männer (blau) und Frauen (rot) zu.
Das bezieht sich alles auf die Funktionsweise des Gehirns und bedeutet nicht, dass man kein sozialer Mensch ist. (Oft wird kognitive und affektive Empathie in einen Topf geworfen.)
Man sieht auch sehr schön, wie alles ineinander fließt. Somit ist vielleicht nicht jeder Mensch autistisch, aber die Grenze ist willkürlich gezogen. „Autistisch“ im Sinne von „verdinglichend“ ist mehr oder weniger jeder, der in der verdinglichenden Gesellschaft lebt. Unabhängig von AS, denke ich.
Hochbegabung kann man verlieren. Wenn ein Kind rechnen kann wie ein Erwachsener und sich dann nicht weiterentwickelt, ist es irgendwann nicht mehr hochbegabt. Auch die Beschäftigung mit sozialen Themen beeinflusst nach meiner Erfahrung die mathematische Begabung.
* „Könnte es sein, dass intellektuelle Beschäftigung - Denken allgemein - einfach mit zumindest zeitweiser Reduzierung der sozialen Fähigkeiten einhergeht?“
Darüber habe ich schon meditiert und es scheint der Fall zu sein. Das Gehirn ist sehr anpassungsfähig und wandelbar, auch im Erwachsenenalter noch. Wenn man sich tagein, tagaus, mit Menschen statt mit Zahlen beschäftigt, vergisst man irgendwann auch seine eigene Handy- Nummer, wie alle anderen. Umgekehrt wird man auch weniger sozialkompetent, wenn man sich jahrelang mit nichts außer Zugfahrplänen beschäftigt. Es gibt eine umgekehrte Proportionalität zwischen Intellekt und Sozialkompetenz. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur mal ordentlich betrinken und er wird sofort wird mit allen Menschen Verbrüderung feiern statt über die Heisenbergsche Unschärferelation nachzudenken. (Falls er kein Autist ist, da klappt das nicht so gut mit dem Verbrüdern.)
Ein Autist bleibt aber immer ein Autist, auch wenn die „Symptome“ im Alter schwächer werden. Das ist ja ganz normal, dass man irgendwann Ironie und Redewendungen versteht und ein Lächeln von einem Ausdruck völliger Verzweiflung unterscheiden kann. Einem Autisten werden die anderen Menschen aber nicht gerade „schmackhaft“ gemacht in der Kindheit, gerade in den wichtigen Jahren zwischen 0 und 6, wo das Gehirn sich sozusagen grundlegend organisiert, wenn man so will. Was man in diesem Alter lernt, lernt man sehr schnell und es beeinflusst das weitere Leben.
Laute, durcheinanderwuselnde Menschengruppen wird man immer meiden, das liegt an den Wahrnehmungsbesonderheiten.
* “In Stress-Stiuationen ist es mein Verstand der am längsten funktioniert, was Psychologen ja gern eher verneinen.“
Ich kenne das so von mir. Ich kann körperlich schon längst zusammengebrochen sein, ich gehe immer noch meine Liste im Kopf durch. In Gefahrensituationen bin ich oft der einzige, der sich rational verhält. Zum Beispiel rufe ich den Notarzt und versorge den Verletzten, weil alle anderen panisch durch die Gegend gackern oder in Ohnmacht fallen, wenn sie rote Flüssigkeiten sehen.
* „ Wenn ich das nicht so wahrnehme - kann das "logisch" betrachtet doch nur heißen: entweder mache ich mir eher etwas vor und/oder meine Wahrnehmung ist eher - entgegen der Lehrmeinung - intakt. Leider machte ich die Feststellung, dass - entgegen der Ansicht vieler Menschen - der Verstand leider nicht immer in der Lage ist Gefühle zu beherrschen. „
Das kann passieren, dass die Gefühle stärker sind als der Verstand, sonst gäbe es nicht so viele unglücklich Liebende.
* “Auch ich habe oft das Gefühl "zu viel" wahrzunehmen. Mich in mich zurück zu ziehen ist hier eine gute Strategie mir der Überflutung umzugehen. Reize vermindern. Leider habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass mich zu langes zurückziehen noch Empfindsamer macht als ich es ohnehin schon bin. Also gehe ich auch immer wieder raus. In gewisser Weise ist es ein Wechsel (Switch) zwischen einem "Hyperfokus" (auf Themen und ähnliches, die mich interessieren) und "Reizüberflutung". In beiden "Ich-Zuständen" ist es schwierig mit anderen Menschen umzugehen und auf sozialer Ebene offen zu sein, um zu lernen. Ein Unterschied zwischen beiden "Zuständen" ist aber zum Beispiel, dass in Zeiten des "Hyperfokus" mein Gedächtnis eher expliziter ist - während in Zuständen der "Reizüberflutung" es eher impliziter funktioniert. Ich habe schon Bücher während der Reizüberflutung gelesen, deren Inhalt ich explizit mehr oder weniger vergessen habe - aber später beim nochmaligen Lesen verblüfft feststellte, dass ich für mich zum Zeitpunkt des Lesens für mich relevante Passagen/Denkanstöße sehr wohl aufgenommen und verarbeitet hatte. „
Das ist ja interessant, das geht mir ganz genauso. Darum lese ich im Café oder in der Bahn, wo ich eher gestresst und überfordert bin, lieber einen Roman oder ein seichtes Sachbuch. Dann fühle ich mich auch nicht so angeglotzt. Man wird nämlich unverschämt angestarrt, wenn man nicht zurückschaut. Da vergrabe ich mich dann gern.
* “Autismus ist ein Begriff - der nach meiner Wahrnehmung von Seiten der Gesellschaft eher mit "Gefühlsarm bzw. Gefühlskalt" verbunden wird.“
Genau dagegen wehre ich mich. Ich wirke sicher so, jedenfalls muss ich mir das anhören. Ich finde es anmaßend, wenn Menschen, die überhaupt kein bisschen in mich hineinschauen können und mich fragen, ob ich müde sei, wenn ich nachdenke und ob ich skeptisch sei, wenn ich aufmerksam bin, mir Gefühlskälte unterstellen, weil ich meine Gefühle nur schlecht nonverbal ausdrücken kann.
* „Wenn ich diesen semantischen Hof berücksichtige stimme ich monoma voll zu ganz zu, dass unsere Gesellschaft starke autistische Tendenzen zeigt. „
Da stimme ich auch zu.
* „Spannend finde ich in diesem Zusammenhang, dass im Gegensatz zu Literatur zu Persönlichkeitsstörungen und Ähnlichem ich bei Asperger und Kanner-Autismus bisher folgenden Satz sinngemäß nicht gelesen haben: nämlich, dass sich autistische Symptome/Tendenzen/Strukturen in jedem Menschen zu finden seien. Das liest man bei Borderline, Narzissmus, etc. sehr wohl immer wieder.“
Ich habe das schon oft gelesen. Ich denke, es wurde von Laien geäußert, immer in Zusammenhang mit dem Spektrum Und dass es ein Spektrum ist, sieht man ja sehr schön auf dem Diagramm mit männlichen, weiblichen und autistischen Gehirnen. Da gibt es aber auch eine Menge Leute, die eher nicht autistisch sind, wenn man die Grenze in der Mitte ziehen will. Was nicht bedeutet, dass nicht jemand mit einem extremen E-Gehirn motorische Probleme haben kann oder gern Wochentage im Kopf berechnet und dass jemand mit einem extremen S- Gehirn nicht hervorragend Gefühlszustände aus Gesichtern erkennen kann.
Ich übe das manchmal mit einem Bekannten. Er muss dann etwas fühlen und ich muss raten, was. Das ist sehr effizient, ich werde immer besser und erkenne sogar schon schwierige Gesichtsausdrücke wie Sehnsucht oder Besorgnis.
Man kann sich fragen, warum ich nicht früher auf die Idee gekommen bin, das zu lernen, aber es ist so, dass mir nie klar war, dass ein Gesichtsausdruck irgendwas bedeuten könnte. Wenn jemand traurig war und nicht geweint hat, habe ich es nicht bemerkt.
Ich habe diesen Augenpartietest vor einiger Zeit gemacht und war sehr schlecht, denn keine der angegebenen Optionen schien mir die richtige zu sein und ich musste raten. Kürzlich habe ich den Test wiederholt und mir sehr viel Zeit genommen. Ich habe jedes Bild mehrere Minuten auf mich wirken lassen, mir versucht, Situationen vorzustellen, in denen Menschen mich so ansehen und ich habe außerdem versucht, diese Falten und Augenbrauen zu analysieren, wenn ich mir nicht sicher war. So erreichte ich eine hohe Punktzahl, die im „normalen“ Bereich war. Bin ich jetzt „geheilt“ ? Ich denke nicht. Im wirklichen Leben hilft mir das nämlich nicht weiter, denn die Gesichter ändern sich zu schnell und ich muss ja auch zuhören, was gesagt wird und überlegen, was ich drauf antworte. Aber es ist mal ein Fortschritt und ich habe nur ein Jahr gebraucht, um es zu lernen.
* „ Ist es nicht spannend - wie Apies, die ja fast immer ihre Wahrheit sagen sollen so sehr malträtiert werden? Sie sagen ihre Wahrheit und bekommen gesagt sie seinen Unempathisch? Was heißt das? Es kann doch nur meines Erachtens heißen, dass die Gesellschaft, die angeblich die Wahrheit so hoch schätzt vergisst zuzugeben, dass sie auch Lügen in bestimmten Situationen für notwendig hält. Dabei aber vergisst - dies in ihre "Erziehung" miteinzubeziehen. „
Das stimmt, obwohl „spannend“ vielleicht nicht der richtige Begriff ist. Man bekommt gesagt, man soll nicht lügen und hält sich dran. Ich habe aber angefangen zu lügen, weil es notwendig war. Als meine Mutter mich fragte, ob ich etwa heimlich geraucht hätte, habe ich das bejaht und wurde bestraft. Als meine Mutter einmal mein Versteck entdeckte, behauptete ich, die Zigaretten für einen rauchenden Mitschüler aufzubewahren. Das war meine erste bewusste Lüge und sie hat funktioniert.
* „Täuschen können wird ja - von manchen Psychologen - u.a. als Maßstab für die "Reife" eines Menschen (sie nennen es erwachsen Handeln) herangezogen.“
Es ist möglich, dass Autisten in gewisser Hinsicht unreif sind. In sozialer Hinsicht. In Foren wird immer wieder geäußert, dass man intellektuell 65 sei und emotional 12. Vielleicht erklärt sich so auch die Tatsache, dass Kontakt mit Gleichaltrigen gemieden wird, was ich für mich auch bestätigen kann. Meine Freunde sind älter oder jünger, mindestens 4 Jahre. Lügen musste ich schon lange nicht mehr, ich bin auch nicht wirklich gut darin und es ist so, wie Sie sagen: Sobald man eine Lüge ausspricht, wird sie wahr. Ich habe diese Zigaretten damals wirklich dem Mitschüler geschenkt, weil ich plötzlich überzeugt war, es wären seine, er hätte sie irgendwo liegen lassen und ich hätte sie eingesteckt. So freundete ich mich ein wenig mit ihm an, das ging aber nicht lange gut, denn außer rauchen hatten wir keine gemeinsamen Interessen.
* “Wer den Film "Mozart and the Whale" gesehen hat und sich ein wenig mit der klassischen Psychologie beschäftigt hat - könnte sich fragen: Was macht Isabell (Mozart) zum Aspie? „
Das frage ich mich auch, mir fiel zuerst Borderline ein, wegen der Stimmungsschwankungen und dieser Überdrehtheit. Sie ist nicht wie die Aspie- Frauen, die ich kenne, vermutlich falsch diagnostiziert. Es gibt aber eine Szene auf dem Jahrmarkt, in der sie sich die Ohren zu hält. Vielleicht ist die Schauspielerin nicht gut. Sie benutzt auch viel zu viel Mimik.
* „ Außerdem kann jemand der eher extrovertiert wirkt, wie Isabell, wirklich Autistin sein?“
Ich denke schon. Der Aspie in der Sendung „Marienhof“ ist ein extrovertierter Autist. Ich kenne viele Autisten, die extrovertiert sind. Typisch für Asperger ist, nicht zu wissen, wie viel Nähe oder Distanz angemessen ist (nicht körperlich gemeint). Zuviel Nähe kann bedeuten, dass ein Autist einen wildfremden Teenager mit Akne anspricht und über sein neues Spezialinteresse „Hautkrankheiten“ berichtet.
* “Ich gehe davon aus, dass sich sämtliche Symptomatiken eines Menschen auf "Ursachen (Erfahrungen mit sich selbst und/oder in seiner Umgebung)" zurückführen lassen. Theoretisch jedenfalls. Denn ein Lebewesen passt sich - aus meiner Sicht - immer seiner Umwelt an. Das beginnt wohl schon im Mutterleib und ggf. noch ein wenig früher. Daher glaube ich auch nicht, dass sich Autisten generell nicht "anpassen" können. Sondern lediglich, dass ihre Form der Anpassung eben die Umgebung "stört" und Autisten sich auch ihre Art zu schützen versuchen. Außerdem hacken Menschen gern auf Menschen herum, die es mit sich machen lassen bzw. sich nicht zu wehren wissen. Das ist wohl auch eine Form der Anpassung. „
Schlimmer. So funktioniert eine Gesellschaft überhaupt erst. Gruppen definieren sich über die Abgrenzung von anderen Gruppen oder Individuen. Verhalten, das nicht der Norm entspricht, wird bestraft. Wäre das nicht so, wäre die Gesellschaft vermutlich nicht denkbar, was die Frage aufwirft, wie eine rein autistische Gesellschaft funktionieren könnte und auch die Frage, ob nicht die jetzige Gesellschaft in eine mit ein bisschen mehr Toleranz gegenüber Normabweichungen transformiert werden kann.
Dem „anderen“ begegnet man mit Angst. Das ist auch gut so, wenn ich ein Schimpanse bin oder ein Urmensch. Ist auch gut so, wenn ich ein moderner Mensch bin, nur darf ich mich von meinem Gefühl nicht zu sehr leiten lassen.
Weiter kommt dazu, dass Aspies oft peinliche Dinge tun und sagen und die Freundschaft mit einem den sozialen Status nicht gerade hebt. Wie wichtig ist jemandem, was andere über ihn und seine Freunde denken?
Desweiteren verfügen Aspies oft über Fähigkeiten, die andere Menschen nicht haben, weshalb man sie beneidet. „Warum weiß dieser Trottel immer alles, wenn der Lehrer ihn was fragt?“
Woher kommt Neid? Warum sind Menschen neidisch auf das, was andere haben, anstatt sich über das zu freuen, was sie allein besitzen und andere nicht?
Dazu kommen natürlich die vielen Missverständnisse im zwischenmenschlichen Bereich. Kann man eine Kommunikationsgrundlage schaffen, auf der Autisten und Nichtautisten sich verständigen können? Erfahrungsgemäß ist das erst beim Studium der Fall, wenn es um Fachthemen geht und wenn die Autisten alt genug sind, um ein paar grundlegende soziale Regeln verinnerlicht zu haben.
Es ist ein Dilemma, trotzdem glaube ich, dass Autisten nicht unter sich bleiben sollten, um all dem aus dem Weg zu gehen. Ich denke, dass es gelingen kann, sie nicht mehr zu diskriminieren, sondern ihre Stärken schätzen zu lernen.
Schwierig ist es, das Kindern klar zu machen, die ja noch nicht über so ein Ausmaß an Selbstreflektion und ethischen Werten verfügen wie Erwachsene. Oder wie Erwachsene sie eigentlich haben sollten.
* „Ich sehe im Autismus eine Art Kompensation einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit in Verbindung mit dem Willen zur Anpassung und mit dem Willen zum Überleben. Schätze bei manchen Autisten wirkt sich dies langfristig so aus, dass sie möglicherweise (eine Spekulation meinerseits) über eine lange Zeit so stark "überkompensieren", dass bei manchen der "Zugriff" auf diese hohe Empfindungsfähigkeit irgendwie "abgebaut" (weil so lange - also über viele, viele Jahre ggf. Jahrzehnte?) werden könnte. Aber ich denke dieses "Denk-Modell" könnte auf alle/viele Menschen in der ein oder anderen Weise zutreffen. „
Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich tendiere zu dieser Annahme in bezug auf mich und meine emotionale Distanz in manchen Situationen. Also nicht allgemein, sondern in sehr speziellen Situationen. Zum Beispiel werde ich ganz ruhig, wenn jemand mich anschreit oder wenn ich komplett überfordert bin.
Ich kenne Autisten, die sich selbst als „gefühlsarm“ beschreiben und das sind dann die, die sich zuerst die Ohren zuhalten, wenn ein Krankenwagen vorbeifährt. Ich kenne aber auch welche, die sich selbst als „zu emotional“ erleben.
Leidenschaftliches Temperament (wie an Isabelle) habe ich aber noch an keinem bemerkt, auch an leicht hyperaktiven nicht. Die sind dann auch ruhig, aber eben sehr schnell. Klingt paradox. Ich meine diese Art der Zurückhaltung. Oder Selbstbeherrschung. Man kann nicht auf jeden Reiz reagieren, sonst würde man zusammenbrechen, also reagiert man fast gar nicht.
Diese ganze Sache ist aber in Wahrheit noch viel komplexer. Ich werde das an einem Beispiel erläutern, über das ich schon oft nachgedacht habe.
Ich fühle nichts, wenn meine Mutter weint. Das war schon immer so. Ich weiß natürlich, dass ich sie umarmen und trösten sollte, aber das geht überhaupt kein bisschen. Ich bin unfähig zu so einer „Simulation“.
Ich analysierte meine Gefühle in diesen Situationen genau und fand heraus: Es ist nicht „nichts“ was ich fühle. Erstens macht mir wahrscheinlich ihre überbordende Emotionalität Angst. Sie will mir ins Ohr schluchzen, mich festhalten und mein Hemd nass weinen und ich finde, sie sollte sich zusammenreißen. Das sage ich ihr dann auch und sie weint noch mehr und hält mich für ein Monster. In dem Moment, in dem sie weint und schluchzt, ist mir das alles zuviel und ich muss den Raum verlassen. Ich verdränge meine Angst, nehme sie nicht wahr, aber der Fluchtreflex funktioniert.
Zweitens fühle ich mich eigentlich während des Gesprächs davor verletzt und ungerecht behandelt. Denn sie weint meist, nachdem sie mir erklärt hat, was für eine Enttäuschung das Leben inklusive mir sei. Obwohl mir inzwischen klar ist, dass eine allgemeine Erschöpfung bei ihr vorliegt und sie einfach nur jammern will, kann ich mich nicht einmal gedanklich in sie hineinversetzen. Denn dazu müsste ich genauso vom Leben und mir enttäuscht sein wie sie. Mich stört es aber gar nicht, wenn ihre Nachbarn, die ich übrigens nicht kenne, mich für einen durchgeknallten Freak halten. Das ist kein Grund zum Weinen, ich finde das absurd. Sie sollte zu mir halten und mich nicht für Dinge kritisieren, die sie nichts angehen.
Ich finde auch ihr Leben nicht schlimm. Sie hat alles, was sie braucht, sogar Zuneigung und Liebe. Sie weiß es nicht zu schätzen. Sie will jammern. Ich werde den Teufel tun und mit ihr zusammen darüber heulen, dass ich so ein missratener Mensch bin. Im Gegenteil, ich werde richtig ärgerlich auf sie, fühle mich erpresst und überfordert und dann fühle ich nichts mehr und gehe raus.
Drittens: Zu wissen, dass ich mich falsch verhalte und nicht anders kann, gibt mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Der Lähmung. Es macht mich sehr traurig, mich selbst dabei zu beobachten, dass ich mich wie ein Autist verhalte und dann denke ich darüber nach, dass ich tatsächlich einer bin. Das heitert mich in dem Moment keinesfalls auf.
Ich fühle also Angst, Verletzung, Ärger, Hilflosigkeit und letztlich Trauer über mich, dass ich so bin. Letzteres ist genau das, was sie in dem Moment über mich fühlte. Die Übertragung hat funktioniert. Soll noch mal einer sagen, ich sei nicht empathisch.
Diese Situationen mit meiner Mutter und meinem „Fehlverhalten“ übertragen sich unglücklicherweise auf all meine Beziehungen. Ich gehe immer weg, wenn jemand mir Vorwürfe macht und dann weint. Weil mich auch keiner tröstet. Weil ich andere Menschen auch nicht mit meiner Emotionalität belästige. Weil ich überfordert bin.
Es gab übrigens einmal eine Situation, in der es meiner Mutter sehr schlecht ging und sie Angst hatte und verzweifelt war und anfing, zu weinen. Da hatte ich das Bedürfnis, sie zu umarmen und zu drücken. Das habe ich dann auch gemacht.
“ Was mir in meiner Reise durch die Psychologie an möglichem "Muster" immer wieder begegnet ist: alle Symptome können als Anpassung an die jeweilige bzw. ursprüngliche Umwelt eine Menschen interpretiert werden. „
Sämtliche autistische Verhaltens- Besonderheiten als Anpassung an die reizüberflutende Umwelt und die sozial viel begabteren Mitmenschen zu sehen, ist ein spannender Gedankengang.
Da fällt mir noch ein anderes Beispiel für die Anpassung ein. Autistische Rituale werden oft von Fachkräften als Zwangshandlungen fehlinterpretiert. Das autistische Ritual resultiert aus dem Bedürfnis, die Umwelt übersichtlicher zu gestalten. In einem übertragenen Sinn trifft das auf den Zwanghaften auch zu. Der hat natürlich ein anderes Problem, mit dem er nicht klar kommt und kompensiert das. Der Autist hat viel mehr Spaß am Ritual und der Zwanghafte leidet unter so einem Zwang, aber auch Autisten können Zwänge entwickeln, es ist gar nicht so selten. Das ist keine „gesunde“ Anpassung an die Umwelt mehr, wenn man sich dreißig Mal am Tag die Hände wäscht. Wenn man aber immer den linken Schuh zuerst anzieht, ist es eine nützliche Hilfestellung, mit dem Problem umzugehen, dass man nicht beide Schuhe gleichzeitig anziehen kann.
„Weiterhin findet man in der Trauma-Literatur immer wieder Beschreibungen, die sich in vielen anderen Diagnosen wiederfinden. Aber was ein "Traumata" ist und was "traumatisierend" wirken "darf" und was nicht - ist oft eben auch nichts anderes als Definitionssache. … Allerdings findet sich in der Beschreibung von Diagnosen etwas, dass man Rationalisierung nennt. Man könnte es auch "Verdinglichung" nennen.“
Das ist ein interessanter Gedanke, besonders weil er voller Widersprüche steckt.
Ich bin überzeugt davon, dass Autisten von einigen Dingen leichter und von anderen schwerer zu traumatisieren sind. Verdrängen fällt Autisten schwerer und rationalisieren leichter als anderen, so mein Eindruck.
Bei einigen Autisten sind Sinnesreize unangenehmer und intensiver, andere haben z.B. kein Kälteempfinden oder keinen Hunger. Den „Supersensiblen“ und den „Unsensiblen“ gibt es aber nicht, alle Autisten sind Mischformen. Der eine mag laute Geräusche nicht, den nächsten stört die Temperatur oder das Licht.
Der Gedankengang, dass ein empfindsamer Mensch leichter zu traumatisieren, leichter zu einer Rationalisierung und zu einer Verdinglichungshaltung gebracht werden könne, würde bedeuten, dass fast alle sensiblen Menschen sich zu Verdinglichern entwickeln und nur die Hartgesottenen am Ende untraumatisiert sind und nicht verdinglichen und „authentische“ Emotionalität leben können. Da beißt sich entweder irgendwo die Katze in den Schwanz oder wir haben einen Denkfehler drin.
„Untraumatisierte“ Menschen (oder nahezu untraumatisierte) sind oft sehr selbstbewusst, aber auch rücksichtslos und kalkulierend. Ich denke, dass ein Trauma auch sensibilisieren kann. (Ursache und Wirkung wieder mal) Wenn ich selbst als Kind gemobbt wurde, will ich nicht, dass das anderen Kindern auch geschieht. Wenn ich nie negative Erfahrungen mit Mobbing hatte, sind mir gemobbte Menschen egal.
Also vermutlich setzt ein Trauma zwei gegenläufige Wirkmechanismen frei: Die Sensibilisierung und die Desensibilisierung. Jeder Mensch ist vermutlich ein wandelnder Balanceakt. Einzigartig. Falls ein Psychologe einen kleinen Einblick in einen anderen Menschen haben will, dann sollte er den am besten heiraten und sich daneben setzen und ihm hundert Jahre lang zuhören. Oder er sollte über ein Extreme- E- Gehirn verfügen, dann geht das vielleicht schneller.
“ Kann auch ein Aspie seine Symptome verlieren? Wenn ja unter welchen Umständen?“
Ein Aspie kann natürlich seine nach außen sichtbaren „Symptome“ verlieren, das ändert aber nichts an der Art, wie das Gehirn funktioniert. Er bleibt ein Autist und wenn er Stress hat, sind alle seine „Symptome“ – seine eigentliche Wesensart – wieder da.
Und es stört ja auch keinen, wenn jemand monoton spricht, öfter mal seine Unterlagen fallen lässt, im Kino immer an der falschen Stelle lacht oder zehn Sekunden in die Luft starrt, bevor er eine Frage beantwortet.
Man sollte autistische Kinder nicht immer so zurechtbiegen und dann auch noch behaupten, es diene ihrem Besten. Zwanghafte Selbstkontrolle kann zu Zwangserkrankungen und Depressionen führen. Der Mensch muss sich frei entwickeln dürfen. Man muss Autisten im privaten Rahmen eine autismusgerechte Umwelt anbieten, damit sie die Herausforderungen des Lebens meistern.
Im Prinzip kann jeder Mensch alles lernen. Es gibt autistische Heilerziehungspfleger, Künstler, Sozialarbeiter. Unter Autisten gibt es zwar keinen, der Naturwissenschaften nicht mag, aber es sind bei weitem nicht alle „Techies“. Und etwa 90 - 95% aller Programmierer sind nicht autistisch.
Ich denke mal, man soll das alles nicht so ernst nehmen. AS ist sicher etwas, das das ganze Leben sehr stark beeinflusst, aber es ist nicht alles, was einen Menschen ausmacht und es sind auch nicht alle Autisten gleich.
Der eine ist hochsensibel, der andere ist ein Klotz. Der eine hat einen großen Freundeskreis, der andere will gar keinen real life Kontakt. Der eine opfert sich für seine Mitmenschen auf, der andere denkt nur an sich.
So sind Menschen eben, Autisten sind da auch nicht anders.
Gruß, Guru