Yurun (Gast) - 15. Feb, 08:24

Ein paar ausufernde Punkte

'Bezüglich Flüchtlinge "aus Tunesien": ich hatte das mal zufällig mit einem Kollegen zum Thema und der meinte dann es wäre da wohl die Frage welche Tunesier da in Italien anlanden. Das hat mich dann schon etwas verdutzt, wenn ich Zeitungsartikel dazu lese fällt aber wirklich auf das jede Einordnung fehlt. Da wird durch Auslassung das Bild vermittelt irgendwelche Tunesier machen sich aus dem Chaos dort nun auf den Weg nach Italien, während in der Realität wohl schlichtweg die Häfen nicht mehr kontrolliert werden und Menschen die Chance des Transitlands Tunesien nutzen (genaue Informationen fehlen mir aber). Entweder das ist journalistische Schlampigkeit oder Absicht. Ich bin mir aber sicher da wird sich schneller eine europäische Eingreiftruppe finden als für den Sudan, sehr viel schneller. Vielleicht ist Frontex längst angerückt.

Bezüglich Westsaharakonflikt und Europa: beinahe unabhängig vom Ausgang in Marroko wird es da ganz sicher Auswirkungen geben, sozialistische Gruppen gerade dort sind international ziemlich vernetzt und bisher hat noch jeder große Ruck an einem Ende der Schnur da Auswirkungen bis ans andere Ende gehabt. Das einzige was sich wohl nicht ändert ist das mediale Nichtexistieren dieses Konflikts in europäischen Medien (insb. außerhalb Frankreichs). Frankreich mit seinen zahlreichen Einwohnern aus nordafrikanischen Ländern müsste dabei eigentlich hinsichtlich der Resonanz eine besondere Rolle spielen, wenn ich das auch bisher (wohl auch dank Sarkozys politischem Klima) noch nicht sehe. In Italien würde ich dabei nicht von über das Mittelmeer hüpfenden Funken sprechen, die scheinen mir da schon ihre ganz eigene Funkenfabrik zu haben, allerdings auch eine mehr oder weniger spezifisch nationale. In einem politisch bisher ziemlich hoffnungslosen Land voller Scham und Schande sicher nicht zu früh.

Der eigentliche Grund warum ich noch einen Kommentar schreiben wollte ist aber ein anderer: im Titel is da vom dahinschmelzen bleierner Zeiten die Rede und ich weiß nicht so recht wie ich das in Bezug auf das eigentliche Thema des Blogs deuten soll. Lösen sich denn in Ägypten oder sonstwo wirksam jene psychosozialen Strukturen auf, welche noch bisher immer in Herrschaft von Pest oder Cholera gemündet haben?

Das wohl eher nicht, wenn es auch von außen (und wohl selbst innen) nur schwer zu beurteilen ist, doch die Art der Dynamik die sich da entfaltet und welche Art von Blei sie in der Lage ist zu vertreiben sind schon interessant. Da ich dabei selbst kein Ägypter oder Tunesier bin und mir das lokale Blei wesentlich näher steht, finde ich Beobachtungen zur hier existierenden Wahrnehmung der jüngsten Ereignisse fast interessanter, obwohl hier nichts passiert. Freilich lässt sich sowas nur schlecht einschätzen, insbesondere ob und wie etwas durch den Mantel der Gleichgültigkeit dringt. Eine Art Euphorie der Veränderung ala Obama-Effekt für Revolutionsfreunde hat dabei seine Tücken für all jene, die mit dem was da passiert vielleicht allzu naive Vorstellungen verknüpfen. Das vor allem weil dieses Blei zwar vielleicht von vielen gespürt, aber nur von wenigen verstanden wird (oder auch richtig gespürt). Ich fand da eine Arte Doku zu einem jungen italienischen Faschisten namens Mario Piazzesi eindrucksvoll. Dessen Tagebücher aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zeigen ziemlich klar wie die Burschen da im Eifer großer Gefühle und Kameradschaft die nützlichen Idioten ihrer Zeit gespielt haben. Viele Entwicklungen sind da heute klüger, wenn auch oft ziemlich esoterisch und damit letztlich Sackgassen eigener Art. Insofern braucht es ein Bewusstsein was da überwunden werden muss, ein Bewußtsein dafür wie man das tun kann (bei sich selbst und im Zusammenleben) und schließlich und vielleicht gar am wichtigsten ein Bewußtsein dafür was am Ende ein gesunder Mensch und damit auch eine Gesellschaft bestehend aus gesunden Menschen ist (ersteinmal die Bereitschaft zuzugeben, dass so etwas existieren kann, was in der Regel das Fallbeil des Scheiterns selbst bei klugen Leuten ist). Letzteres beinhaltet dann auch was denn der einzelne Mensch von einer wirklichen Revolution wirklich haben könnte, wenn auch bei uns fast jeder heute auf Gedeih und Verderb hin geradezu sich selbst überzeugen muss, bereits glücklich und gesund zu sein, jedenfalls um sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen (eine Kollegin sagte vorletzte Woche sie will tatsächlich lieber einen Leberschaden als etwas psychosomatisches als Diagnose).

Solcher Art Kontext geht über das Nachrichten- und Berichterstattungswesen ziemlich weit hinaus und macht auch nicht gerade beliebt. Auf heile Welt Phantasien kann man in einer kranken Welt, die sich auch gerade durch sie krank erhält, garnicht genug einschlagen. Insofern möchte ich da keine Begeisterung schlecht reden, viele Menschen in Ägypten lassen ja tatsächlich eine Menge Angst los und vor allem: sie reden auf einmal wirklich miteinander. Doch diesen ich nenne es mal Huffington Post Illusionen nach dem Motto "jetzt werden die eine Demokratie und dann sind alle glücklich und zufrieden", da muss man auch mal kräftig in die Suppe spucken und sagen wieviel Arbeit zu tun und wieviel Schmerz aufzuarbeiten ist, um zu so einem Punkt zu kommen (also dem glücklich). Nicht zuletzt gerade auch um Enttäuschungen zu begegnen, weil mit - überspitzt ausgedrückt - ein paar Demos nun nicht gleich die beste aller Welten ausbricht. So sind schon viel zu viele Zyniker entstanden, denen das oben genannte Bewußtsein schlicht fehlt, was dann auch zu falschen Schlüssen führt wenn irgendein ideologisches Modell nicht so funktoniert wie es das soll. Insofern: was sind die richtigen Schlüsse und wie findet man sie im Tun und Lassen alltäglichen Zeitgeschehens, besonders in Anbetracht einer derart verworrenen Gemengelage moderner Ungleichzeitigkeiten? Von welchem Annahmen ausgehend lande ich dann in der Praxis am Ende nicht wieder beim seit jahrtausenden gleichen "der Mensch ist schlecht und ohne äußere Normen gibt es keine menschliche Gesellschaft", also letztlich in der Theologie? Im Gegenzug: finde ich davon etwas in revolutionären und sonstigen Bestrebungen, oder handelt es sich lediglich um einen neuen Vorhang zum Theater menschlicher Leidensfortschreibung mit dem zynischen Erlösungsmodell Atomkrieg?

Es ist dabei schon schlimm wieviel Aufwand es da braucht, sich einigermaßen adequat zu informieren und dann davon ausgehend vielleicht gar noch zu irgendwelchen eigenen Einschätzungen zu kommen, die nicht völlig an den Haaren herbeigezogen sind. Ich wünsche dabei dennoch bestes Gelingen.

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