Donnerstag, 6. November 2008

assoziation: obama? sieben spontane anmerkungen [update]

1. don´t believe the hype - und das beste fazit, welches mir bisher unter die augen gekommen ist, hat heute die taz in ihrer "verboten"-kolumne auf seite 1:

"Guten Tag, meine Damen und Herren!

verboten war zu müde, um in der US-Wahlnacht noch das Ergebnis abzuwarten. Als verboten am Mittwochmorgen dann aber die Vorhänge zu einer neuen Welt beiseiteschob, da bot sich ein bezauberndes Bild: Die Sonne strahlte, die Luft duftete nach Rosenöl, wildfremde Menschen lagen sich lachend in den Armen, die Bullen halfen den Pennern über die Straße, Roland Koch war endgültig weg vom Fenster, Kampfhunde leckten schwanzwedelnd Kleinkindern die Gesichter ab, die Dealer verteilten Gratis-Joints, das Ozonloch hatte sich geschlossen, Busfahrer warteten lächelnd auf ihre Fahrgäste, alle Stinke-Autos hatten sich über Nacht in Öko-Kühlschränke verwandelt, die Bäume trieben frische Knospen aus.

Dann klingelte der Wecker."


2. auch nicht verkehrt ist es, sich immer wieder über den grundsätzlichen charakter der
simulation namens wahlen klar zu werden:

"Das `Sakrament´ der Mehrheitswahl ist Teil des demokratischen Mythos. Alle paar Jahre `pilgern´ die Wähler zur Wahlurne und wählen sich mit Stimmenmehrheit eine politische Führung. Der geheime Wahlvorgang ist das heiligste Ritual der Demokraten. Anarchisten waren schon immer der Ansicht, daß dies kein echtes Anzeichen für Freiheit ist. Die Wahl von Regierenden durch Stimmenmehrheit ist eher (...) ein Trick, durch den der einzelne Wähler glauben gemacht wird, er hätte die Situation unter Kontrolle. Tatsächlich kann sich der Wähler jedoch nur für die Kandidaten einer vorher schon selektierten Gruppe entscheiden, und es gibt niemals eine Wahl zwischen Vertretern wirklich gegensätzlicher Ideologien. Der Unterschied zwischen den großen Parteien, die eine Chance haben, Wahlsieger zu werden, ist in einem westlichen Land nicht größer als der Unterschied zwischen den rivalisierenden Fraktionen innerhalb der kommunistischen Partei der Sowjetunion oder der Volksrepublik China. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß irgendein ideologisch-philosophischer oder anderer dauerhaft traditioneller Unterschied beispielsweise zwischen den großen Parteien in den Vereinigten Staaten oder in Kanada besteht. Außerdem sollten sich die Wähler daran erinnern, daß sie Personen wählen, die für sie eine Aufgabe übernehmen sollen, daß es aber keine Garantie dafür gibt, daß diese Delegierten ihr Anliegen auch tatsächlich vertreten. Die Aufgabe der Gewählten besteht vor allem darin, Gehorsam mit Gewalt zu erzwingen. Repräsentanten in öffentliche Ämter wählen zu können heißt, eine begrenzte Wahlmöglichkeit darüber zu haben, wer uns unterdrückt.(...)

Wir bekommen oft zu hören: Wenn du nicht wählst, hast du auch kein Recht, dich zu beschweren. Ein solches Argument geht von der falschen Annahme aus, daß eine Wahl wirkliche Alternativen bietet. Und es unterstellt diesem Vorgang fälschlicherweise auch eine Rechtmäßigkeit, die ihm nicht zukommt: ein Mensch wird aufgefordert, Autorität an eine willkürlich ausgewählte kleine Gruppe abzutreten, d.h. er wird aufgefordert, sich seine eigenen Aufseher zu wählen."

(harold barclay, "völker ohne regierung. eine anthropologie der anarchie". edition schwarze kirschen, libertad verlag, berlin 1985, s. 243 - 245; isbn 3-922226-10-8)


3. die realität, mit der sich obama in seiner position konfrontiert sieht, ist eine desaströse in der weise, dass sich in ihr erstens ein selten gesehener klassenkampf von oben bspw. in gestalt der finanz- und weltwirtschaftskrise manifestiert; zweitens die spezifischen us-probleme eigentlich nur eine art konkursverwaltung - und zwar zu lasten der breiten masse - zulassen, und drittens der spagat zwischen den erwartungen der diversen ethnischen communities, dem big business und den immer noch mächtigen verschiedenen fundamentalistischen religiösen strömungen einer ist, der früher oder später nur misslingen kann. gewählt wurde er meiner meinung nach übrigens genau deswegen, weil er bisher sehr gut damit ausgekommen ist, eine strategie der eigenen person als projektionsfläche zu fahren, in der seitens der verschiedenen fraktionen der us-gesellschaft von genügend menschen ihre eigenen wünsche wiedergespiegelt wurden - aus der perspektive ist die eigenartige inhaltliche schwammigkeit bis zur wahl sehr sinnvoll gewesen, die aber mit der ersten tatsächlichen entscheidung im amt zwangsweise aufgehoben sein wird. dazu kam noch die steilvorlage durch den abgehenden george w. bush, der einen so großen haufen ver- und überdruß erzeugte, das obama diesen treibstoff gar nicht nicht für sich nutzen konnte.

4. die versöhnende attitüde, die bei obama meist lobend konstatiert wird, berücksichtigt nicht die tiefen sozialen spaltungen und auch vielfältigen traumatisch induzierten hasspotenziale, die sich durch die innere struktur des us-systems nicht nur dort, sondern auch weltweit ständig neu bilden. will sagen: jemand, der wirklich etwas qualitativ verändern will, muss neben vielen anderen eigenschaften auch zumindest phasenweise deutlich parteiisch sein auf der seite all derjenigen, deren existenz durch die antisoziale dynamik der herrschenden strukturen tief bedroht ist. das heisst aber auch, dass zwangsläufig gegen mächtige instanzen in front gegangen werden muss - und die innere selektion der herrschenden institutionen sortiert früh genug alle aus, die tatsächlich derartiges im sinn haben mögen.

5. ich sehe allerdings tatsächlich zwei reale und eventuell weitreichende effekte dieser wahl, und die beziehen sich konkret auf die usa: die schwarze mittelklasse hat es in gestalt von obama geschafft, dem strukturell verlogenen "american dream" neues leben einzuhauchen und das gerade in einer ordentlichen krisenphase des kapitalismus, zu dessen mythen das märchen des aufstiegs vom tellerwäscher zum millionär untrennbar gehört, welches gerade in den usa für viele sichtbar de-konstruiert wurde bzw. wird. die delegierung der eigenen potenziellen macht an obama blockiert zu diesem zeitpunkt nötige radikalisierungsprozesse und verschafft speziell den us-amerikanischen "eliten" eine atempause.

6. der zweite effekt ist dann ein - möglicherweise notwendiger - formaler: nämlich die wirkung auf die immer noch auch entlang rassistischer kriterien gespaltene us-gesellschaft. hier liegt vielleicht der einzige positive aspekt der wahl, auch wenn diese wirkung hauptsächlich symbolisch ist. aber selbst das wird ausreichen, um die reaktion - und zwar weltweit - zu produzieren, die ein
user bei heise drastisch so ausmalte:

"Meine Meinung: Ob Obama oder McCain, der Unterschied wird nicht so gewaltig sein. Was ich aber an der Wahl von Obama gut finde: Die
ganzen Rassistenschweine, White Power, KuKluxClan etc., für die ist es der Albtraum schlechthin, ein Schwarzer im weißen Haus. Fast so schlimm, als wenn ihre Tochter einen Schwarzen geheiratet hätte. Die werden vor Wut schäumen, der Sabber wird ihnen aus den Mundwinkeln laufen."(...)


und möglicherweise werden in diesen fraktionen bereits die knarren geputzt - es dürfte kaum jemals zuvor so leicht gewesen sein wie in der kommenden zeit, mittels eines einzigen mordes eine bürgerkriegsartige situation in den usa zu provozieren.

andererseits wird das beispiel obama vielleicht in der schwarzen community, aber nicht nur dort, bei vielen menschen einen schub an selbstbewußtsein bringen, der sich an ganz unerwarteten stellen bahn verschaffen könnte und eine art modernisierungsschub der us-gesellschaft in gang bringt. interessant wird jedenfalls sein zu sehen, wie sich obama zu den überproportional hohen raten schwarzer gefangener in den us-knästen verhält; ebenso wie seine postionierung gegenüber der trostlosen entwicklung in den afro-amerikanischen ghettos der us-städte ausfallen wird. sich darauf zu verlassen, dass er als ehemaliger sozialarbeiter in chicago mögliches entsprechendes bewusstsein in handlungen umsetzen will - ob er´s denn könnte, ist eine andere frage - , oder sich tatsächlich primär seiner biographischen prägung in einer nach formaler gleichstellung strebenden schwarzen mittelklasse verhalten wird, und die verelendete schwarze unterklasse als nicht relevant betrachtet, ist zu diesem zeitpunkt nocht nicht abschließend zu beantworten.

7. für den immer pop-artigeren charakter der westlichen demokratiesimulationen bringt er allerdings tatsächlich eine wertvolle persönliche eigenschaft mit, die erstens in so einer form bei einem politiker noch nicht gesehen worden ist, und zweitens in der deutschen sprache nicht zufällig keine adäquate entsprechung besitzt:
groove.

was sich in diesem wort ausdrückt, ist schwer zu beschreiben - darum jetzt ein hörbeispiel eines weiteren heroen der schon erwähnten schwarzen mittelklasse, nämlich von marvin gaye:



die eingeblendeten filmschnipsel machen meiner meinung nach auch einiges über das milieu deutlich, in dem obama gearbeitet hat und von dem er geprägt sein dürfte - die schwarzen viertel von chicago, hier einblicke in das leben anfang der 1970er jahre, mit nicht zufälliger betonung auf gottvertrauen und religiösität. was aber nichts daran schmälert, dass marvin gaye ein ganz großer der black music gewesen ist, um keine mißverständnisse aufkommen zu lassen.

jedenfalls dürfte obamas groove eine wesentliche rolle auch für all die jungwählerInnen gespielt haben, die ihn mit ins weiße haus gehoben haben - aber groove ist andererseits auch etwas sehr fragiles und situationsbedingtes, nicht ständig zu haltendes. und das wird wichtig für zukünftige ent-täuschungen werden.

*

edit am 07.11.: wie auch immer man zur künftigen politik obamas steht - und meine skepsis wird beim anblick seiner bisher durchgesickerten personellen auswahl für die neue regierung keineswegs geringer -, die wahnhaften absonderungen rassistischer art hinsichtlich obama sind ohne wenn und aber als das zu begreifen, was sie sind: keinerlei art von kritik, sondern zeugnisse gestörter persönlichkeiten - ob es sich nun um einen
quasi-mafiosio handelt...

(...)"Sagt Silvio Berlusconi zu Dmitri Medwedjew: "Barack Obama ist schön, jung und braun gebrannt" und hat deswegen "alles, um sich mit dir zu verstehen". Was wie ein recht rassistischer Witz klingt, war genau das: ein recht rassistischer Witz, gerissen vom italienischen Ministerpräsidenten beim Besuch in Moskau. Als älterer und erfahrener Politiker würde Berlusconi den jungen und unerfahrenen Neger gern beraten. Seine Anspielung auf die Hautfarbe, ergänzte er, sei "eine absolute Nettigkeit, ein großes Kompliment".

Wer solche Scherze nicht ganz so angebracht fand, beispielsweise die Opposition zu Hause in Rom, den beschied der mehrfach geliftete Medien-Multimillionär: "Wenn die Idioten sich zu Wort melden, dann sind wir verloren. Gott möge uns vor ihnen behüten. Wie kann man ein großes Kompliment so negativ auslegen?", überlieferte der Corriere della Sera - und fügte hinzu: "Wer sich das Zeugnis einer dummen Sau abholen will, für den ist jede Gelegenheit recht. Ich habe es satt, und ich sage, was ich will."


...,der sich derart (nicht das erste mal) um kopf und kragen redet und nebenbei mit seinen worten auch noch einen ordentlichen größenwahn erkennen lässt; oder um einen
abgehalferten journalisten in österreich...

(...)"Aber trotzdem, das weiße Amerika, vielleicht ist das ein Rückzug. Vielleicht erleben wir jetzt einen Umbruch. Die alte Gesellschaftsordnung hat basiert auf weiße Gesellschaft mit Sklaven, also Leute hereinholen, wenn sie es haben wollen, auch aus Europa bis hin zur jüdischen Emigration im 2. Weltkrieg. Jetzt sind die Amerikaner vielleicht sich selbst überlassen. Ich möchte mich nicht von einem Schwarzen in der westlichen Welt dirigieren lassen. Wenn sie sagen, des ist eine rassistische Bemerkung: richtig, ist gar keine Frage."(...)

...der derlei zeug in der sendung eines öffentlich-rechtlichen senders ablassen darf, dessen institutionelle nicht-reaktion das ganze erste so richtig widerlich werden lässt (andererseits sind solche seiten österreichs auch wieder kein wunder); oder auch beliebige leute wie jener
zeit-leser, der mittels esoterisch verbrämter le(e)hre seine offensichtlichen minderwertigkeitskomplexe damit kompensiert, dass er obama quasi eingemeinden möchte:

"In meinem Buch "Neue Seelenlehre - Sinn des Lebens" habe ich dargestellt, wie Seelenwanderung funktioniert. Obama hat die Seele eines "weißen" Europäers, er stammt aus der Familie seiner "weißen" Mutter, ist also mit seiner Mutter seelisch verwandt."(...)

- es bereitet einfach innere qualen, derartige zurschaustellungen und selbstentblößungen entsetzlicher dummheit und wirrnis, ja eines desolaten inneren zustands wahrnehmen zu müssen. aber vielleicht ist es auch ganz gut, wenn obama jetzt wie wie ein katalysator wirkt, der die ganzen hassenden ressentiments des "weißen" westens ans licht bringt - schöngeredet wurde auch in dieser hinsicht viel zu lange.

und beim stichwort hass auch noch ein nachtrag zu den gestern bereits erwähnten
us-rassisten:

(...)"Rund 30.000 Menschen werden in einem Jahr erschossen, in 232 Jahren vier Präsidenten. Einrichtungen, die Anhänger extremistischer Gruppen beobachten, sehen in ihnen eine zunehmende Bedrohung für den künftigen Präsidenten. Allerdings sprechen sie eher von einer Gefahr durch Einzeltäter. Die Dialektik der rechtsextremen Gruppierungen hält sich da nicht zurück: "Freunde, Nachbarn, Brüder und alle Weißen, die Schlacht hat gerade begonnen", schreibt ein Nutzer des Portals stormfront.org, eines Treffpunkts vor allem für US-amerikanische Rassisten. Und Thomas Robb, Direktor der extremistischen "Knights", sprach in der Erwartung eines Sieges Obamas von einem "Krieg zwischen unseren und den anderen Menschen".(...)

bei solchen leuten wäre ich für strikte soziale isolation.

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