notiz: "Prügelstrafe light" (update)

wenn ich über nachrichten wie diese näher nachdenke, dann ist das ergebnis einerseits, dass ich mehr und mehr dazu tendiere anzunehmen, dass sich die sog. "eliten" weltweit mehr oder weniger einem zustand des offenen psychotischen agierens nähern - in politik- und geschichtswissenschaften werden solche ereignisse dann unter namen wie "diktatur", "totalitarismus" oder "autoritäre formierung" abgeheftet, meist unter mehr oder weniger gelungenen versuchen, die damit real verbundenen leiden, schmerzen und zerstörungen in abstraktionen bzw. objektivistischen konstruktionen verschwinden zu lassen. andererseits ist eine untrennbare reaktion ebenfalls auch ein emotionaler aufruhr, der von fassungslosigkeit bis hin zur wut reicht - ich wäre sehr an weiteren reaktionen von anderen auf das folgende interessiert:

(...)"Japanische Lehrer sollen in Zukunft aufmüpfige Schüler in die Ecke stellen und mit leichten Schlägen auf den Kopf bestrafen - das schlug eine Expertenkommission Ministerpräsident Shinzo Abe vor. Die "Prügelstrafe light" fand Abes ausdrückliche Zustimmung, um wachsender Gewalt und Disziplinlosigkeit an den Schulen zu begegnen.

Auf keinen Fall gehe es aber darum, die Schüler wie früher mit dem Stock zu züchtigen oder brutal zu verprügeln, sagte ein Sprecher Abes. Neben den Disziplinarmaßnahmen ist auch eine Ausweitung der Unterrichtszeit geplant. Etwa zehn Prozent länger sollen die Schüler lernen, denn aus Sicht der Regierung haben ihre Leistungen nachgelassen. Letzten Monat hatte das Parlament zudem ein Gesetz verabschiedet, das mehr Patriotismus in Japans Schulen tragen soll."(...)


das wort zurichtung, und zwar für das (im kern total sinnlose) ökonomische "rat race", trifft es hier schon ganz genau. zur sinnkonstruktion gibt´s dann wieder mal das altbewährte emotionale stützkorsett namens "patriotismus" für in ihrer authentischen identität geschädigte menschen.

zu einigen weiteren zuständen in japan mehr hier und hier.

*

edit: und dann kommt mir prompt dieser artikel vor die augen, dessen inhalt durchaus als eine art alternativprogramm zu den japanischen maßnahmen - bei ähnlicher problemlage - gelesen werden kann (und auch, wenn mir kandinsky unten im kommentar zuvorgekommen ist, lasse ich die schon geschriebene ergänzung jetzt einfach so stehen):

(...)"An Privatschulen wie dem Wellington College wurden bereits "Glücklichkeitsstunden" oder Unterricht in well-being eingeführt, nachdem die Regierung empfohlen hatte, es sei auch wichtig für die Kinder, emotionale Intelligenz zu entwickeln und ihre Gefühle kennen zu lernen, die auch das Verhalten prägen. Geistige Leistungsfähigkeit und soziales Verhalten finden auf der Grundlage der emotionalen Intelligenz statt, glaubt man nicht ganz zu Unrecht, weswegen das britische Kultusministerium bereits 2005 den Umgang mit Gefühlen als Thema des Unterrichts in Schulen vorgeschlagen hat. In diesem Jahr sollen die ersten Versuche an Schulen bewerten werden, um zu entscheiden, ob man "happiness classes" als Pflichtstunden an allen Schulen einführt.

Britische Schulen haben bereits jetzt die Verpflichtung, sich um das geistige, emotionale und soziale Wohl der Schüler zu kümmern. So sollen bereits alle Grundschulen Sitzungen machen, auf denen die Schüler über ihre Gefühle sprechen. Dabei sollen die Lehrer Anleitungen geben, wie man Freundschaften schließt, Streitereien schlichtet oder mit Ärger umgehrt. Sekundärschulen sollen emotionale Bildung (emotional literacy) in diesem Jahr mit den Themen Selbstbewusstsein, Mitgefühl, Kontrolle von Gefühlen, Selbstmotivation und soziale Interaktion einführen."(...)


hmhmhm. ich bin stark zwiegespalten. grundsätzlich finde ich die ignoranz und nichtthematisierung von ganzen und wesentlichen bereichen des menschlichens lebens - richtig: gefühle, "psyche", körper - innerhalb des bisherigens schulsystems nicht nur in de. einen bezeichenden ausdruck für die allgemeine gesellschaftliche dissoziation. und würde deshalb auch grundsätzlich konzepte wie oben stark begrüßen (alleine schon, wenn ich mich an meine eigene schulzeit erinnere - zurichtung zu einem ökonomie-kompatiblen wesen bei gleichzeitigem einseitigem training der objektivistischen fähigkeiten unter ignoranz aller "nur" angeblich subjektiven (lies: von geringem wert) reaktionen und empfindungen.)

mit der einführung solcher maßnahmen wird dann übrigens spätestens jetzt auch staatlicherseits unausgesprochen zugegeben, dass die heutigen gesellschaftlichen verhältnisse auf so derart viele menschen destruktive wirkungen haben, dass ganz elementare soziale fähigkeiten nachhaltig in massenhaften dimensionen ge- und zerstört sind, und von derart betroffenen als eltern dann eben auch nicht mehr weitergegeben können.

andererseits: wenn ich das ganze dann zusammen mit entwicklungen in großbritannien betrachte, wie sie bspw. im verlauf dieses beitrags oder auch hier erkennbar werden, und dazu berücksichtige, dass dieses land wie der gesamte sog. "freie westen" unter dem diktat einer zunehmend mörderischer werdenden allgemeinen verdinglichung und der ökonomistischen logik steht, kann ich mir die frage nicht verkneifen, ob wir vor diesem hintergrund ernsthaft davon ausgehen können, dass sich die herrschenden "eliten" selbst ein derartiges ei ins nest legen.

will sagen: kein herrschaftssystem - wirklich keins - hatte und kann interesse an selbstbewußten und psychophysisch gesunden menschen haben - es würde sich selbst den nötigen boden unter den füßen wegziehen. von daher befürchte ich spontan eher, dass es sich bei den dargestellten absichten tatsächlich eher um eine breit angelegte konditionierung von kindern handelt, die in den herrschenden verhältnissen formal funktionsfähig gemacht werden sollen - denn auch noch der raubgierigste kapitalismus ist für die ungestörte abwicklung der geschäfte wenigstens auf simulationen von sozialem verhalten angewiesen.

wenn es sich anders verhalten würde und bspw. tatsächlich empathie(un)fähigkeiten im täglichen leben thematisiert werden würde, wäre ich der letzte, der daran herumnörgeln würde - es wäre dann im gegenteil eine art von sozialem großversuch, der in ganz vielen bereichen gewaltige - und zur abwechslung einmal tendenziell positive - konsequenzen haben könnte. aber erstmal finde ich es berechtigt, sehr mißtrauisch zu bleiben.
Kandinsky (Gast) - 27. Jan, 15:59

Ergänzung

Hallo Mo :)

dem können wir ja gleich einen weiteren Artikel hinzufügen, der einem vom Glauben abfallen läßt, wenn der letzte Absatz gelsen wird.

Telepolis
Schulfach: Anleitung zum Glücklichsein
Link: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24491/1.html

Zitat, aus dem Kontext gerissen:
"Kritiker warnen weniger vor der staatlichen Beeinflussung der Persönlichkeit von Schülern, sondern fürchten, wie der Soziologe Frank Furedi von der Kent University, der ein kritisches Buch über die Therapiekultur geschrieben hat, dass mit der "therapeutischen Erziehung" der Erwerb von Wissen zu kurz kommen könne. Die Lehrer würden das Unterrichten aufgeben und lieber über Gefühle sprechen, was die Schüler vermutlich lieber haben würden, als die Anstrengung auf sich zu nehmen, sich Mathematik anzueignen: "Das Erlernen, sich selbst zu schätzen, hat keine positive Folgen. .. Je mehr wir über Selbstschätzung in Schulen sprechen, desto mehr werden Kinder verstrickt in ihre Gefühle und desto eher werden sie emotionale Probleme haben."

Soso, Selbstschätzung, oder besser Selbstachtung hat also für diese Narren keinerlei positive Folgen. Daher plädieren sie lieber für das Erlernen von Mathematik, was zur Verdinglichung der Person natürlich sehr viel nützlicher ist und erscheint, als das fundamental wichtigere Erlernen von Gefühlen.

Gefühle sind ja gleichbedeutend mit Werterkennung. Das scheint also eher eine refelxartige Reaktion neoliberaler Dummköpfe zu sein, die hier ganz richtig erkennen, das Gefühle und damit Erkennen von wichtigen und tragfähigen Werten als ein dumpfe Gefahr erkannt wird.

Gruss,
Kandinsky

monoma - 27. Jan, 16:06

hallo,

da hatten wir spontan offensichtlich den gleichen lesestoff ;-)

ja, eine interessante geschichte - es wäre vermutlich aufschlußreich zu wissen, wer letztlich für die benannten konzepte wirklich verantwortlich ist. und noch wichtiger, wie die entsprechende praxis aussehen soll.

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