kontext 36: kriegstraumata bei der bundeswehr
die junge welt kommt heute mit einem schwerpunkt zum thema, der neben einem allgemeinen überblick zur situation in der bundeswehr besonders die hier schon öfter erwähnte täter-opfer-dialektik bei den folgen von man-made-violence in den focus rückt:
(...)"684 Bundeswehrsoldaten sind bislang wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt worden. Das teilte die Bundesregierung im Februar dem Bundestagsabgeordneten Gert Winkelmeier mit. Das sind rund ein Prozent derjenigen, die zwischen 1996 und 2005 im Auslandseinsatz waren. Der Bundeswehrpsychiater Karl-Heinz Bisold geht aber von weit höheren Zahlen aus. Im Deutschen Ärzteblatt (Nr. 41/2006) schätzte er den Anteil behandlungsbedürftiger Soldaten nach Auslandseinsätzen »auf zwei bis fünf Prozent«. Das Problem sei, so Biesold, »daß die Soldaten sich nicht eingestehen wollen, daß sie krank sind«, aus Furcht, von den Kameraden verachtet zu werden.
Auch fünf Prozent dürften noch untertrieben sein. Eine US-Untersuchung mit GIs, die den Vietnamkrieg führten, aus dem Jahr 1992 ermittelte, daß rund 15 Prozent von PTBS betroffen waren, bei Soldaten mit »hoher Gefechtsintensität« sogar über 38 Prozent. Von den Irak-Rückkehrern leidet nach einer Studie des »Walter Reed Army Institute of Research« aus dem Jahr 2004 knapp jeder achte US-Soldat an der psychischen Störung."(...)
zur situation in den usa siehe auch hier - "benutzt und weggeworfen".
(...)"Und doch, die Bundeswehr sieht sich veranlaßt, das Problem auch selbst zu thematisieren. Im Vordergrund steht Abhärtung: den Soldaten werden Techniken zum Streßmanagement und »realitätsnahe« Einsatzvorbereitungen vermittelt, wie z.B. simulierte Geiselnahmen. Daß manche Ausbilder dabei über die Stränge schlagen, hat sich gezeigt, als Rekruten im Ausbildungslager Coesfeld im Jahr 2004 mehrfach mißhandelt wurden."(...)
mit potenziell traumatischen mitteln auf ein trauma angeblich vorbereiten: das ist wirklich eine irre logik. und eine logik, so wäre zu ergänzen, die einen wahren kreislauf des irrsinns produziert:
(...)"Der Luftwaffenpsychologe Bernd Willkomm schrieb in der Bundeswehrzeitschrift Y im Dezember 2006: »Je länger dann ein Auslandseinsatz dauert, umso mehr kann es bei den Soldaten … zur Absenkung von Hemmschwellen führen.« Damit erklärt der Psychologe auch, daß sich Soldaten in Afghanistan mit Skeletteilen in Pose gesetzt haben. Es habe sich dabei »mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte passive Aggressivitätshandlung« gehandelt. »Aktive« Handlungen, wäre zu ergänzen, haben US-Soldaten im Folterknast Abu Ghraib im besetzten Irak vorgeführt. Deswegen geht das Thema auch Antimilitaristen an. Traumatisierte Soldaten sind latent aggressiv. Und sie traumatisieren Zivilisten, die ihrerseits ihre Aggressionen weitertragen und zu Tätern werden können."(...)
*
die letztgenannte fatale dynamik wird auch in einem interview mit der ärztin veronika engl thematisiert:
(...)"Sind Posttraumatische Belastungsstörungen ein typisches Soldatenproblem?
Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten und Zivilisten. Ausschlaggebend ist, daß jemand Gewalt erlebt, entweder gegen sich selbst oder gegen jemanden in der unmittelbaren Umgebung. Als Zivilist erleben Sie eher eng umgrenzte Ereignisse, etwa einen Autounfall. Soldaten dagegen sind in einer dauerhaft traumatisierenden Situation. Man spricht hier von einer multiplen bzw. seriellen Traumatisierung. Dadurchsteigt das Risiko, in der Folge an einerTraumafolgestörung zu erkranken, wenn die Erfahrungen nicht fachgerecht behandelt und verarbeitet werden können.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil betroffener Soldaten?
Den muß man nicht schätzen. Es gibt umfangreiche Forschungen dazu, und man weiß, daß rund 20 Prozent der Soldaten, die in kriegerischen Einsätzen Gewalt erleben, später an PTBS leiden. Das Risiko steigt mit der Einsatzdauer und der Intensität der Gewalt.
Das Weißbuch der Bundeswehr sieht vor, daß ab 2010 bis zu 14000 Soldaten gleichzeitig im Auslandseinsatz stehen …
Man muß davon ausgehen, daß von diesen 14000 Soldaten, soweit sie direkte Bedrohung erfahren, rund 20 Prozent behandlungsbedürftig werden. Wenn die Behandlung unterbleibt, heißt das: Viele Soldaten werden unter irreversiblen Störungen leiden, nicht mehr arbeitsfähig sein, gegen sich selbst und andere gewalttätig – das wären unermeßliche soziale Kosten."(...)
in diese "sozialen kosten" muss dann auch eine art der allgemeinen gesellschaftlichen verrohung miteinbezogen werden, für die derart traumatisierte soldaten quasi als multiplikatoren wirken können - ein drastisches beispiel aus den usa.
(...)"Wie ist der Stand der PTBS-Forschung in Deutschland?
Deutschland war lange ein Nachzügler. Im Ersten Weltkrieg sprach man hierzulande noch von der »Zitterneurose« und begegnete den Soldaten mit ungeheurem Zwang. In der englischen Armee war PTBS schon damals als Krankheitsbild anerkannt. Erst in den letzten 20 bis 25 Jahren hat sich die deutsche Medizin intensiv des Themas angenommen. Den Anstoß gab vor allem die feministische Theorie und Psychotherapie. Die psychotherapeutische Behandlung nach häuslichen Gewalttraumata ist, wie schon gesagt, nicht grundverschieden von der Behandlung bei kriegsgenerierten Störungen.
Hat das eine überhaupt mit dem anderen zu tun?
Allerdings. Der Staat schickt Männer und Frauen in den Krieg, die traumatisiert werden und andere traumatisieren. Soldaten und Zivilisten, die hinterher unter Störungen leiden, richten Aggressionen gegen sich selbst oder, und das betrifft einen bedeutenden Teil der Kriegsopfer, gegen andere Menschen. Gerade Männer neigen viel eher dazu, die Aggressionen, die sie erleiden mußten, nach außen zu wenden.
Soldaten sind also Täter und Opfer zugleich?
Zumindest aus medizinischer Sicht. Der sogenannte »Krieg gegen Terror« ist nichts anderes als Terror durch Krieg. Wir Menschen sind nun mal nicht dafür geschaffen, anderen Gewalt anzutun und Gewalt zu erleben – es macht uns krank. Wer eine PTBS entwickelt, droht selbst zum Täter zu werden – sei es gegen sich selbst oder gegen andere, sei es in einer Terrorgruppe, einer Armee oder, was meistens der Fall ist, er droht zum Täter gegen Frauen oder Kinder zu werden. Dafür fehlt in der Politik leider jegliche Einsicht."
diesen aussagen bleibt wenig hinzuzufügen, mit einer ausnahme: es könnte durchaus sein, dass die "politik" (synonym für das treiben von am eigenen machterhalt interessierten "eliten") durchaus mehr (instrumentalisierende) einsicht in die beschriebene täter-opfer-dialektik besitzt, als es zunächst den anschein hat. traumatisierte menschen jedenfalls machen in den seltensten fällen revolutionen, eher im gegenteil: ihre traumainduzierten ängste und ihre misstrauen haben pathologische effekte auf alle authentische sozialität, machen sie prinzipiell lenk-. kontrollier- und ausrechenbar. und die kollateralschäden stören diese "eliten" wie üblich kein stück.
*
in der traumareihe wird es zukünftig übrigens auch noch einen beitrag zur geschichte der kriegstraumata geben.
(...)"684 Bundeswehrsoldaten sind bislang wegen Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) behandelt worden. Das teilte die Bundesregierung im Februar dem Bundestagsabgeordneten Gert Winkelmeier mit. Das sind rund ein Prozent derjenigen, die zwischen 1996 und 2005 im Auslandseinsatz waren. Der Bundeswehrpsychiater Karl-Heinz Bisold geht aber von weit höheren Zahlen aus. Im Deutschen Ärzteblatt (Nr. 41/2006) schätzte er den Anteil behandlungsbedürftiger Soldaten nach Auslandseinsätzen »auf zwei bis fünf Prozent«. Das Problem sei, so Biesold, »daß die Soldaten sich nicht eingestehen wollen, daß sie krank sind«, aus Furcht, von den Kameraden verachtet zu werden.
Auch fünf Prozent dürften noch untertrieben sein. Eine US-Untersuchung mit GIs, die den Vietnamkrieg führten, aus dem Jahr 1992 ermittelte, daß rund 15 Prozent von PTBS betroffen waren, bei Soldaten mit »hoher Gefechtsintensität« sogar über 38 Prozent. Von den Irak-Rückkehrern leidet nach einer Studie des »Walter Reed Army Institute of Research« aus dem Jahr 2004 knapp jeder achte US-Soldat an der psychischen Störung."(...)
zur situation in den usa siehe auch hier - "benutzt und weggeworfen".
(...)"Und doch, die Bundeswehr sieht sich veranlaßt, das Problem auch selbst zu thematisieren. Im Vordergrund steht Abhärtung: den Soldaten werden Techniken zum Streßmanagement und »realitätsnahe« Einsatzvorbereitungen vermittelt, wie z.B. simulierte Geiselnahmen. Daß manche Ausbilder dabei über die Stränge schlagen, hat sich gezeigt, als Rekruten im Ausbildungslager Coesfeld im Jahr 2004 mehrfach mißhandelt wurden."(...)
mit potenziell traumatischen mitteln auf ein trauma angeblich vorbereiten: das ist wirklich eine irre logik. und eine logik, so wäre zu ergänzen, die einen wahren kreislauf des irrsinns produziert:
(...)"Der Luftwaffenpsychologe Bernd Willkomm schrieb in der Bundeswehrzeitschrift Y im Dezember 2006: »Je länger dann ein Auslandseinsatz dauert, umso mehr kann es bei den Soldaten … zur Absenkung von Hemmschwellen führen.« Damit erklärt der Psychologe auch, daß sich Soldaten in Afghanistan mit Skeletteilen in Pose gesetzt haben. Es habe sich dabei »mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine sogenannte passive Aggressivitätshandlung« gehandelt. »Aktive« Handlungen, wäre zu ergänzen, haben US-Soldaten im Folterknast Abu Ghraib im besetzten Irak vorgeführt. Deswegen geht das Thema auch Antimilitaristen an. Traumatisierte Soldaten sind latent aggressiv. Und sie traumatisieren Zivilisten, die ihrerseits ihre Aggressionen weitertragen und zu Tätern werden können."(...)
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die letztgenannte fatale dynamik wird auch in einem interview mit der ärztin veronika engl thematisiert:
(...)"Sind Posttraumatische Belastungsstörungen ein typisches Soldatenproblem?
Aus medizinischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten und Zivilisten. Ausschlaggebend ist, daß jemand Gewalt erlebt, entweder gegen sich selbst oder gegen jemanden in der unmittelbaren Umgebung. Als Zivilist erleben Sie eher eng umgrenzte Ereignisse, etwa einen Autounfall. Soldaten dagegen sind in einer dauerhaft traumatisierenden Situation. Man spricht hier von einer multiplen bzw. seriellen Traumatisierung. Dadurchsteigt das Risiko, in der Folge an einerTraumafolgestörung zu erkranken, wenn die Erfahrungen nicht fachgerecht behandelt und verarbeitet werden können.
Wie hoch schätzen Sie den Anteil betroffener Soldaten?
Den muß man nicht schätzen. Es gibt umfangreiche Forschungen dazu, und man weiß, daß rund 20 Prozent der Soldaten, die in kriegerischen Einsätzen Gewalt erleben, später an PTBS leiden. Das Risiko steigt mit der Einsatzdauer und der Intensität der Gewalt.
Das Weißbuch der Bundeswehr sieht vor, daß ab 2010 bis zu 14000 Soldaten gleichzeitig im Auslandseinsatz stehen …
Man muß davon ausgehen, daß von diesen 14000 Soldaten, soweit sie direkte Bedrohung erfahren, rund 20 Prozent behandlungsbedürftig werden. Wenn die Behandlung unterbleibt, heißt das: Viele Soldaten werden unter irreversiblen Störungen leiden, nicht mehr arbeitsfähig sein, gegen sich selbst und andere gewalttätig – das wären unermeßliche soziale Kosten."(...)
in diese "sozialen kosten" muss dann auch eine art der allgemeinen gesellschaftlichen verrohung miteinbezogen werden, für die derart traumatisierte soldaten quasi als multiplikatoren wirken können - ein drastisches beispiel aus den usa.
(...)"Wie ist der Stand der PTBS-Forschung in Deutschland?
Deutschland war lange ein Nachzügler. Im Ersten Weltkrieg sprach man hierzulande noch von der »Zitterneurose« und begegnete den Soldaten mit ungeheurem Zwang. In der englischen Armee war PTBS schon damals als Krankheitsbild anerkannt. Erst in den letzten 20 bis 25 Jahren hat sich die deutsche Medizin intensiv des Themas angenommen. Den Anstoß gab vor allem die feministische Theorie und Psychotherapie. Die psychotherapeutische Behandlung nach häuslichen Gewalttraumata ist, wie schon gesagt, nicht grundverschieden von der Behandlung bei kriegsgenerierten Störungen.
Hat das eine überhaupt mit dem anderen zu tun?
Allerdings. Der Staat schickt Männer und Frauen in den Krieg, die traumatisiert werden und andere traumatisieren. Soldaten und Zivilisten, die hinterher unter Störungen leiden, richten Aggressionen gegen sich selbst oder, und das betrifft einen bedeutenden Teil der Kriegsopfer, gegen andere Menschen. Gerade Männer neigen viel eher dazu, die Aggressionen, die sie erleiden mußten, nach außen zu wenden.
Soldaten sind also Täter und Opfer zugleich?
Zumindest aus medizinischer Sicht. Der sogenannte »Krieg gegen Terror« ist nichts anderes als Terror durch Krieg. Wir Menschen sind nun mal nicht dafür geschaffen, anderen Gewalt anzutun und Gewalt zu erleben – es macht uns krank. Wer eine PTBS entwickelt, droht selbst zum Täter zu werden – sei es gegen sich selbst oder gegen andere, sei es in einer Terrorgruppe, einer Armee oder, was meistens der Fall ist, er droht zum Täter gegen Frauen oder Kinder zu werden. Dafür fehlt in der Politik leider jegliche Einsicht."
diesen aussagen bleibt wenig hinzuzufügen, mit einer ausnahme: es könnte durchaus sein, dass die "politik" (synonym für das treiben von am eigenen machterhalt interessierten "eliten") durchaus mehr (instrumentalisierende) einsicht in die beschriebene täter-opfer-dialektik besitzt, als es zunächst den anschein hat. traumatisierte menschen jedenfalls machen in den seltensten fällen revolutionen, eher im gegenteil: ihre traumainduzierten ängste und ihre misstrauen haben pathologische effekte auf alle authentische sozialität, machen sie prinzipiell lenk-. kontrollier- und ausrechenbar. und die kollateralschäden stören diese "eliten" wie üblich kein stück.
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in der traumareihe wird es zukünftig übrigens auch noch einen beitrag zur geschichte der kriegstraumata geben.
monoma - 8. Okt, 13:46