guru - 26. Jun, 23:53

Anmerkungen eines Erbsenzählers

Die "autistische Zustände" des Kapitalismus, die Entfremdung des Arbeiters vom Werk seiner Hände, ist eine Entwicklung, unter der Autisten genauso zu leiden haben, auch wenn man ihnen nachsagt, dass sie sich besser spezialisieren können. Ein Rädchen im Getriebe zu sein ist nicht das, was Autisten zufriedenstellt. Man ist doch in seinem Fachgebiet um einen gewissen Überblick bemüht und man ist kein guter Teamplayer.
Wenn man in diesem Zusammenhang von "Genies" spricht, muss man bemerken, dass es tatsächlich einen höheren Anteil von Hochbegabten unter Autisten gibt. Diese Menschen haben aber meist nichts davon, denn umso genialer ein Autist ist, desto wahrscheinlicher ist er ein Sozialidiot. Intelligenz ist bei Autisten ungleichmäßig verteilt. Neid und Missgunst sind da fehl am Platze.
Es ist eine Tragödie, dass Autisten kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, dass man sie unterschätzt und pathologisiert, dass sie ihre Talente nicht entfalten können, dass sie als Sonderlinge belächelt, ausgegrenzt und nicht ernst genommen werden. Dieser Artikel trägt auch dazu bei, ein falsches und verzerrtes Bild von Autismus zu verbreiten.

Warum die Hauptfigur ausgerechnet ein Autist sein muss, liegt zum Beispiel darin begründet, dass es keine Asperger- Autisten ohne Mobbing- Erfahrung gibt.
Teilweise sind die Formen des Mobbing sehr extrem und Vorgänge wie die im Film "Ben X" gezeigten gehören leider zum Erfahrungsschatz der meisten Asperger- Autisten. Auch der soziale Rückzug hängt mehr damit zusammen als mit dem Autismus an sich.
Computer und Videogames erzeugen keinen Autismus, sondern Autisten ziehen sich gern zurück und verwenden Kommunikationsformen, die frei von nonverbalen Kennzeichnungen sind. (Diese virtuelle Realität hat mit den Anforderungen am Arbeitsplatz nichts zu tun, wo Flexibilität, Spontanität, Sozialkompetenz und Teamgeist gefragt sind. Eigenschaften, die zu simulieren Autisten sehr viel Stress bereitet, wenn nicht gar unmöglich ist.)
Das alles hat mit Bildungsbürgerromantik leider wenig zu tun.

Das Asperger Syndrom ist tatsächlich genetisch bedingt und wird vererbt. (Lokalisiert angeblich auf 1q21-22, 3p14-24 und 13q31-33/ ohne Gewähr) Heil- oder therapierbar ist es nicht. Zum einen, weil es sich um eine neurologische Variante und nicht um eine Krankheit oder Behinderung handelt - ist es eine Behinderung, wegen seines Andersseins diskriminiert zu werden? - und zum anderen weil viele Autisten nicht geheilt, sondern respektiert werden möchten.
Natürlich ist auch die Genforschung mit Vorsicht zu betrachten, aber im Moment scheint es uns wichtiger, darauf aufmerksam zu machen, dass Psychopharmaka bei nichtpsychotischen Kindern keine außer Nebenwirkungen haben und man davon ablassen sollte, wenn man sich nicht das eigene Kind zum Pflegefall medizieren will.

Autisten in die Nähe von psychopathologischen historischen Gestalten zu rücken ist völlig daneben. Das ist Diskriminierung vom Feinsten. Es gibt überall verantwortungslose und sich ethisch korrekt verhaltende Menschen. Unter Autisten, unter Schwulen, unter Japanern, was auch immer.
Mal davon abgesehen: Autismus ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern einfach eine andere Hardware mit Vorteilen und Nachteilen. Autisten sind nicht pathologisch, es sei denn, sie haben Schnupfen oder Darmkrebs.
Es gibt auch Menschen, die wirklich eine Psychose haben und sich trotzdem nicht als krank verstehen, auch diese Menschen werden von dem Artikel angegriffen und diskriminiert.

Wie dem auch sei:
Es ist nicht nötig, uns als geborene Psychopathen hinzustellen, wir haben andere Probleme. Autisten haben in ihrem Alltag gegen genügend Vorurteile anzukämpfen: Gefühllosigkeit, Egoismus, Sturheit, Pedanterie, Arroganz, usw. Nur weil Nichtautisten genausowenig fähig sind, unsere Gefühle zu erkennen wie wir die ihren.
Man benutzt "autistisch" um alle möglichen negativen Dinge zu bezeichnen. Sogar für den Kapitalismus müssen wir nomenklaturisch herhalten.
Bei Claudia Roth für die Rechtsblindheit. Mal sehen, was noch alles kommt.
Autismus ist kein Schimpfwort, wir würden es gern korrekt verwenden, weil wir hier die sprachpedantischen Korinthenkacker mit dem Recht, sich selbst zu bezeichnen, sind.

Gruß, Guru

Wednesday (Gast) - 27. Jun, 08:07

>Mal davon abgesehen: Autismus ist keine Persönlichkeitsstörung,
> sondern einfach eine andere Hardware mit Vorteilen und Nachteilen.


Z.B. diese Wortwahl: "einfach andere Hardware", anderswo auch "andere Software", in Bezug auf Lebewesen, auf Menschen, zeigt die enorme Distanziertheit autistischer Zustände, die letztendlich zu direkter und indirekter Ermordung von zahllosen Menschen, Tieren und sonstigen Lebewesen führen. Das ist es, was in diesem Blog diskutiert wird; und nicht etwa die nötige Diskriminierung von Autisten.
guru - 27. Jun, 14:31

Am Thema vorbei gezählt

Zitat: "Z.B. diese Wortwahl: "einfach andere Hardware", anderswo auch "andere Software", in Bezug auf Lebewesen, auf Menschen, zeigt die enorme Distanziertheit autistischer Zustände, die letztendlich zu direkter und indirekter Ermordung von zahllosen Menschen, Tieren und sonstigen Lebewesen führen. Das ist es, was in diesem Blog diskutiert wird; und nicht etwa die nötige Diskriminierung von Autisten."

Das ist eine Metapher. Ein Bild. Das zeigt keineswegs Distanziertheit, die zur Ermordung von irgendwem führt. Wenn ich sage "Der steht da wie ein Stock." dann ist das auch eine Metapher und keine Distanziertheit, die zur Ermordung von irgendwem führt.
"Autistische Zustände" diskriminiert Autisten. Zu behaupten, wir seien distanzierte, gefühllose, mordende Produkte einer kaputten Gesellschaft ist Diskriminierung.
Das Gleichsetzen von einer mörderischen, Menschen undTiere und sonstige verachtenden Maschinerie mit Autisten ist Diskriminierung.
Wie oft muss ich mich noch wiederholen?

Ich finde es nicht korrekt, Menschen, die ihre Gefühle schlecht kommunizieren können und daher distanziert wirken, zu potentiellen Mördern zu machen.
Ich finde es nicht gut, sich eine Bevölkerungsgruppe auszusuchen, die darum kämpft, endlich als Menschen mit Gefühlen akzeptiert und respektiert zu werden und ausgerechnet diese Menschen in die Nähe des Faschismus zu rücken.

Nur weil es unter den Programmierern etwa 5-10% Aspies gibt, sind diese nicht verantwortlich für die IT- Industrie. Und die IT- Industrie ist nicht verantwortlich für die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit.
Auch Autisten überlegen sich sehr genau, für welche Firma sie arbeiten und für welche nicht. Das Bewusstsein für politische Zusammenhänge ist unter Aspies wesentlich verbreiteter als unter der "Normal"- Bevölkerung.
Hier wird ein Sündenbock gesucht.

Gruß, Guru
Wednesday (Gast) - 28. Jun, 10:18

> "Autistische Zustände" diskriminiert Autisten.

Sowenig wie die Aussage "wahnhafte Zustände" Wahn-Sinnige diskriminert.

> Wie oft muss ich mich noch wiederholen?

Hierzu fällt mir eine wahrhaftig diskriminierende Antwort ein.

Ich tipp die aber nicht rein; wozu die Gemüter erregen? Stattdessen geh ich jetzt ein paar Millionen Striche stricheln, die irgendwann ein exquisites Munster ergeben werden.

W.
guru - 28. Jun, 11:55

oder lieber Tassen zählen?

Ob sich wahnhafte Menschen von "wahnhaften Zuständen" diskriminiert fühlen, kommt auf den Einzelnen, vor allem aber auf den Kontext an. In dem von mir kritisierten Artikel geht es explizit um Asperger Autisten in den Medien, dann wird ein Zusammenhang zu "Autistischen Zuständen" in der Gesellschaft hergestellt und zum Schluss kommt ein Vergleich mit Hitler.

Gruß, Guru

Name

Url

Meine Eingaben merken?

Titel:

Text:


JCaptcha - du musst dieses Bild lesen können, um das Formular abschicken zu können
Neues Bild

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

US-Depeschen lesen

WikiLeaks

...und hier geht´s zum

Aktuelle Beiträge

Es geht ihm gut? Das...
Es geht ihm gut? Das ist die Hauptsache. Der Rest...
Grummel (Gast) - 23. Jan, 21:22
Im Sommer 2016 hat er...
Im Sommer 2016 hat er einen Vortrag gehalten, in Bremen...
W-Day (Gast) - 23. Jan, 14:49
Danke, dir /euch auch!
Danke, dir /euch auch!
Grummel - 9. Jan, 20:16
Wird er nicht. Warum...
Wird er nicht. Warum auch immer. Dir und wer sonst...
Wednesday - 2. Jan, 09:37
Ich bin da, ein Ping...
Ich bin da, ein Ping reicht ;) Monoma wird sich...
Grummel - 15. Sep, 16:50
Danke, Grummel. Das Netzwerk...
Danke, Grummel. Das Netzwerk bekommt immer grössere...
Wednesday - 13. Sep, 10:02
Leider nicht, hab ewig...
Leider nicht, hab ewig nix mehr gehört.
Grummel - 12. Sep, 20:17
Was ist mit monoma?
Weiss jemand was? Gruß Wednesday
monoma - 12. Sep, 14:48
Der Spiegel-Artikel im...
Den Spiegel-Artikel gibt's übrigens hier im Netz: http://www.spiegel.de/spie gel/spiegelspecial/d-45964 806.html
iromeister - 12. Jun, 12:45
Texte E.Mertz
Schönen guten Tag allerseits, ich bin seit geraumer...
Danfu - 2. Sep, 21:15

Suche

 

Status

Online seit 6833 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Besuch

Counter 2


assoziation
aufgewärmt
basis
definitionsfragen
gastbeiträge
in eigener sache
index
kontakt
kontext
lesen-sehen-hören
notizen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren