kontext 13: die macht des traumas

wie in der unten stehenden vorstellung des psychohistorischen ansatzes von deMause war auch in anderen beiträgen hier schon öfter die rede von psychotraumata, in der psychiatrischen diagnostik von heute als posttraumatische belastungsstörung (ptbs) oder posttraumatisches stresssyndrom (ptss) bekannt. nun ist bereits die geschichte (und auch die vorgeschichten) dieser diagnose, die v.a. auf politischen druck einerseits von verbänden us-amerikanischer vietnamveteranen , andererseits der feministischen bewegung mit ihrer thematisierung der folgen von gewalt gegen frauen und kinder erst vor ca. drei jahrzehnten in die dsm-klassifikation der us-amerikanischen psychiatrie aufgenommen wurde, ein lehrstück für sich (mehr dazu z.b. im buch "die narben der gewalt" von judith herman, siehe literaturliste). bis heute ist sie vieldiskutiert und im fluß; in letzter zeit wird v.a. ihre beschränkung auf extremereignisse (bzw. das, was als solches wahrgenommen wird) und ihre zu enge definition der möglichen traumafolgen kritisiert (mehr dazu z.b. in einem interview der aktuellen ausgabe von psychologie heute, leider bisher nicht online verfügbar). ebenso wird v.a. der zusammenhang mit verschiedenen persönlichkeitsstörungen wie borderline, der dissoziativen ps sowie in geringerem ausmaß auch der narzisstischen ps diskutiert. alle diese fragen verdienen eigentlich eigene beiträge, und zumindest einiges davon soll auch zuküftig hier im blog zu lesen sein.

bei den recherchen zum letzten beitrag jedoch ist mir wieder ein text unter die augen gekommen, der mich bereits beim ersten mal sehr beeindruckt hat, weil er imo gut nachvollziehbar deutlich macht, wie aktuelle konflikte und krisen sozusagen einem unsichtbaren drehbuch folgen, welches in den jeweiligen individuellen - und zusammengenommen dann auch kollektiven - erlebnissen der vergangenheit wurzelt. wegen der eigenart der traumatischen gedächtnisspuren in ihrer form als abgespaltene seperate neuronale netzwerke taucht auch öfter der begriff "eingefrorene zeit" auf, die dann in symptomen wie z.b. flashbacks wieder "auftaut" und die aktuelle raum-zeit-wahrnehmung der betroffenen im extremfall völlig überlagern kann. wie dieser und womöglich auch andere mechanismen einfluß auf aktuelle krisen und konflikte wie z.b. den israelisch-palästinensischen haben, ja diese durch die beteiligten psychophysischen prozesse primär überhaupt erst mit ihren destruktiv-gewalttätigen "lösungsversuchen" möglich machen, wird durch u.a. die arbeiten und ansätze des israelischen psychologen dan bar-on deutlich. auszüge:

(...) "Überlebende des Holocaust sind meist schwer traumatisiert. Das Verschweigen der erlittenen Erniedrigungen ist auch eine Strategie der Rückkehr in ein normales Leben. Im Israel der fünfziger und sechziger Jahre, einer Nation der Starken und Siegreichen, war für eine ausführliche Würdigung dieses Leids der Opfer, außerhalb der offiziellen Gedenkrituale, kein Raum. Auch für die Nazitäter war das Verschweigen ihrer Taten und das Verleugnen der Verantwortung für den Massenmord eine Grundbedingung dafür, in bürgerlicher Normalität weiterzuleben. Auch im Land der Täter war das Verdrängen Teil der offiziellen Kultur: Erst Anfang der 60iger Jahre, fast zwei Jahrzehnte nach Kriegsende, wurde durch den Frankfurter Auschwitzprozess mit der öffentlichen Aufarbeitung des Holocaust begonnen. So hatte z. B. Hertha F., die 1992 in Wuppertal mit dabei war, erst im Alter von 20 Jahren durch die Verhaftung ihres Vaters und den anschließenden Prozess davon erfahren, dass als er SS-Offizier an Massenmorden in der Ukraine beteiligt war. Die Erkenntnis, einen Massenmörder zum Vater zu haben, bestimmte ihr weiteres Leben.

Verdrängen und Verschweigen machen auf die Dauer krank, physisch und psychisch, was immer die kulturellen Ursachen und die gesellschaftlichen Kontexte dieser Sprachlosigkeit sind. Einer strukturellen Ähnlichkeit der Leiden von Täterkindern und Opferkindern in ihren Auswirkungen auf das Individuum war Dan Bar-On auf die Spur gekommen, nachdem er in den siebziger und achtziger Jahren in seiner therapeutischen Praxis mit den traumatisierten Holocaustopfern gearbeitet hatte, die an Spätfolgen litten. Er begann sich zu fragen, wie es wohl den Kindern der Täter ergangen sei. Da sich bisher noch niemand dafür interessiert hatte, macht Dan Bar-On dies zu seinem Forschungsthema.

Als Angehöriger einer Nation, die ihre Entstehung aus dem Holocaust definierte, war er niemals „unabhängiger Wissenschaftler" oder „objektiver Beobachter", sondern aufgrund seiner Biografie, stets als Beteiligter und Betroffener in den Forschungsprozess involviert. (...)"

"Dass der Holocaust bei den Nachkommen von Tätern und Opfern immer präsent ist, sei unvermeidlich, resümiert Dan Bar-On seine Untersuchung. Doch der negative Einfluss auf das Leben kann durch den bewussten Verarbeitungsprozess, der im TRT-Dialog stattfindet, vermindert werden. Die Folgen werden weniger bedrohlich und selbstzerstörerisch, denn durch den Dialog wird es allen Betroffenen möglich auf eine erträgliche Art damit zu leben.

Auf ihrem sechsten Treffen 1997 beschloss die TRT-Gruppe, ihrer Arbeit eine neue Qualität zu geben: Sie wollten die eigenen positiven, als heilsam erlebten Erfahrungen mit der dialogischen Aufarbeitung des eigenen Traumas, das Teil eines kollektiven Traumas ist, an Menschen weitergeben, die in aktuellen Konflikten leben. Die Hamburger Körber-Stiftung unterstützte diesen Schritt. So trafen sich im Frühsommer 1998 in Hamburg Mitglieder der TRT-Gruppe mit eingeladenen Multiplikatoren aus Ländern die jahrzehntelange Konflikte erlebt hatten: Katholiken und Protestanten aus Nordirland, Farbige und Weiße Südafrikaner und sowie Palästinenser und Israelis. Dabei erlebten die Beteiligten, welchen Unterschied es macht, ob der Dialog über einen historischen oder gegenwärtigen Konflikt geführt wird. Miriam K. erinnert sich, wie sie unbedingt an der Südafrikagruppe teilnehmen wollte, dann aber begriff, dass sie sich dem israelisch-palästinensischen Konflikt stellen musste. Das Anhören der palästinensischen Geschichten war für sie fast unerträglich: „Als der erste Palästinenser über sein Leben, seine Vergangenheit, seine aktuelle und schmerzhafte Realität in der West Bank sprach, stellte ich fest, dass ich in der Defensive war und mich peinlich berührt, geschockt und verärgert fühlte. Es fiel mir sehr schwer zu glauben, es handele sich keineswegs um eine Ausnahme und deshalb sei es unfair, so zu tun, als sei es die >Normalität< für Palästinenser. Natürlich traute ich mich nicht, diese Gedanken zu äußern."

Wieder erzählte Miriam K. ihre Geschichte als Nachkommin von Holocaustopfern, doch diesmal erlebte sie, wie die eigene Opfer-Identität zu bröckeln begann: „Als der nächste Palästinenser sprach, wand ich mich. Schon wieder war es eine Geschichte über Verfolgung, Angst und unerträgliche Erniedrigung. Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Wie war das möglich? Je mehr ich hörte, desto mehr schauderte ich. Es war mir peinlich, Jüdin zu sein. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass meine jüdischen Mitmenschen diesen Leuten solchen Schmerz und solches Grauen zufügten. Ich wollte ihre Taten verteidigen, sie als ein Bedürfnis nach Sicherheit für Israels Bestreben, sich vor Terrorismus zu schützen, begründen. Aber ich konnte mich nicht einmal mich selbst davon überzeugen, dass diese Gründe gut genug waren. Ich war erschöpft und wünschte, ich wäre woanders."
(...)
"Ein Verständnis, das zunächst äußerst fragil war und durch die Frage einer Palästinenserin, die die Realität des Holocaustes in Frage zu stellen schien, wieder zu zerbrechen drohte. Martin Bormann wurde nun mit seiner Geschichte zum glaubwürdigen Zeitzeugen: „Die Palästinenser hörten ihm offensichtlich gebannt zu. Die ganze Situation war unwirklich: Juden versuchten, Palästinenser von der Bedeutung und Wahrheit des Holocaust zu überzeugen, während der Sohn eines berühmten Nazi-Täters die Fakten aufzählte." Mehr als ein Jahr nach dem Hamburger TRT-Dialog, reflektiert Miriam K. ihre Erfahrung so: „Noch einmal war meine Weltsicht erschüttert worden. Meiner Ansicht nach waren Juden immer die Opfer, aber diese Position kann ich nun nicht mehr aufrecherhalten. Der Workshop in Hamburg hat mich aus dieser Opferkategorie herauskatapultiert, und ich musste mir einen neuen Platz suchen. Ich bin unserer Konfliktgruppe für den Mut und die Offenheit, ihren Schmerz mitzuteilen, sehr dankbar. Sie ging mit unbequemen Tatsachen um und ließ neue Informationen an sich heraus, die für sie eine Herausforderung darstellten.(...)"


ähnliche prozesse im hintergrund, wie sie hier deutlich werden, können Sie getrost überall dort voraussetzen, wo es langjährige konflikte, kriege und diktaturen gibt bzw. gab. und die weitgehend hilflosen "lösungsversuche" der "offiziellen politik", die sich meistens in medienwirksamen gewaltmaßnahmen manifestieren, können natürlich nichts tatsächlich verbessern, sondern dienen eher - und diese erkenntnis verdanken wir u.a. deMause - den psychophysischen bedürfnissen des diese "politikerInnen" wählenden publikums, welches in seine ganz eigenen bewältigungsversuche verstrickt ist. was nicht ausschliesst, dass gewaltmaßnahmen im einen oder anderen fall auch rational angebracht sein können, um das ausagieren von extremer destruktivität überhaupt erst einmal als voraussetzung für alles andere zu unterbinden. das scheint jedoch bis heute regelmässig eher ein zufälliger nebeneffekt zu sein, der zudem in keinerlei relation zu den realen folgen kriegerischer gewalt und alleine schon deren drohung - "Oft fühle ich nichts, gar nichts" - steht, und kann von daher als behauptete motivation nicht ernstgenommen werden. manchmal werden die tatsächlichen motivationen, wie von deMause im falle der kriege gegen den irak untersucht, jedoch deutlich:

"Zwischen 1991 und 1998 starben laut UNICEF 500 000 irakische Kinder unter 5 Jahren. “Rechnet man die Erwachsenen noch hinzu”, so Halliday, “liegt die Zahl mit ziemlicher Sicherheit bei über einer Million”. 1996 wurde Madeleine Albright zum aktuellen Zeitgeschehen befragt. Die Sendung im amerikanischen Fernsehen hieß ‘60 Minutes’. Albright war damals US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Frage: “Wie wir hören, starben (im Irak) eine halbe Million Kinder... ist es den Preis wert?” Albrights Antwort: “Wir glauben, es ist den Preis wert.” Der Sender CBS weigert sich seither, die Aufzeichnung des Interviews freizugeben, und der (interviewende) Reporter ist zu keiner Diskussion bereit."

unsere schwierigkeit wird zunächst sein, so glaube ich aus meiner ganz persönlichen erfahrung, die pure realität derlei niederträchtiger bösartigkeit überhaupt ersteinmal wahrzunehmen , und zu realisieren, dass in unserer wahrnehmungssperre und verleugnung gleichzeitig informationen zu unseren ganz eigenen persönlichen geschichten gestaut sind, die wir lieber nicht so genau wissen möchten. darauf können sich unsere beherrscher bisher verlassen. noch...

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