Du hast es zielsicher auf den Punkt gebracht und noch dazu wunderbar formuliert. Danke, ich wollte jeden einzelnen Satz unterschreiben.
Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass das Verständnis von Macht als Selbstzweck sich noch ein wenig erhellt, wenn man berücksichtigt, wie überwältigend die Erfahrung von Ohnmacht während einer traumatischen Erfahrung ist. Nach der Stresstheorie von Lazarus und Folkman (1984) ist nicht nur die Bewertung des Stressors als negativ und bedrohlich ausschlaggebend für die Entwicklung einer posttraumatischen Störung. Die traumatisierte Person stellt darüber hinaus in einem zweiten Bewertungsprozess ("secondary appraisal") fest, dass ihre (natürlichen) Bewältigungsstrategien nicht ausreichen, um mit dem Ereignis erfolgreich umgehen zu können. Ich unterstelle nach deMause -eine genauere Analyse dort- , dass in unserem westlichen Erziehungsstil traumatisierende Elemente gang und gäbe sind (die durch die "Alltäglichkeit" dieser Erfahrungen im Hintergrund der Wahrnehmbarkeit verschwinden). Eine Verschärfung des Effekts dieser Traumatisierungen ergibt sich aber noch dadurch, dass dem kindlichen Opfer der Rückgriff auf seine natürlichen Stress- und Schutzreaktionen, namentlich fight-or-flight, oft als "ungehörig", "trotzig" oder einfach nur "lästig" untersagt und verboten wird. Die Erfahrung der Hilflosigkeit und Ohnmacht ist dadurch eine verdoppelte und so umfassend, dass sie von der emotionalen Verletzung bis in die kognitive Bewertung der eigenen Person reicht: das Kind sieht sich selbst als "Versager", als unfähig, die Situation zu meistern, als "feige" oder einfach "nicht klug genug". Was es gelernt hat, ist eine "Furchtstruktur" (Foa, 1989), die es zu vermeiden gilt. So wird es aus Selbstschutz im späteren Leben alles tun, um diese Erfahrung der Ohnmacht zu vermeiden, und das erklärt, warum Macht so erstrebenswert ist. (Anzumerken ist, dass ich hier keineswegs einer "laissez-faire" das Wort rede, die darin besteht, das Kind unbeachtet "austoben zu lassen". Das ist ebenso Vernachlässigung. Nach meiner bescheidenenen Erfahrung reicht es oft aus, sich Zeit und das Kind ernst zu nehmen - dazu später mal mehr).
Ansonsten müsste ich mich damit begnügen, aus deiner Analyse einzelne Textpassagen noch einmal hervorzuheben, weil sie mir so elementar erscheinen. Wie z.B die Frage,
" was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr[...] fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen [...verkürzt...] aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird."
mit freundlichen Grüßen,
s
wednesday (Gast) - 7. Dez, 09:36
Westlicher Erziehungsstil
Mich stört die Betonung auf "westlichen" Erziehungsstil. Das Kind unterdrückende Erziehung ist kein allein westliches Phänomen. Wo das Patriarchat herrscht, wird in seinem Sinne "erzogen", und die gewalttätige Unterdrückung kindlicher Bedürfnisse betrifft Junge wie Mädchen.
Das zum einen. Zum anderen muß diese Unterdrückung nicht unbedingt dazu führen, daß ein so mißhandeltes Kind Macht ansstrebt; es kann sich durchaus mehr oder weniger großes Mißtrauen gegenüber Macht und Autoritätsgläubigkeit entwickeln. Solche Kinder entwickeln aber anscheinend gerne eine stark ausgeprägte Sozialphobie.
Gruß,
W.
sansculotte (Gast) - 7. Dez, 10:06
Re: westlicher Erziehungsstil
Hallo Wednesday,
Du hast natürlich recht, dass gewalttätige Erziehung nicht auf "den Westen" beschränkt ist. Ich hatte das deswegen hervorgehoben, weil "unser" Gesellschaftsmodell gerne als vorbildhaft und manchmal sogar höchstentwickeltes betrachtet wird. Mir ist allerdings die Verortung der Macht allein bei den Männern, im Patriarchat also, auch ein wenig zu simpel. Es gibt mE vielerlei Arten weiblicher Kollaboration, die sich nicht nur mit diesen "patriarchalischen" Machtverhältnissen einverstanden erklären, sondern sie darüberhinaus noch festigen.
Zum zweiten: die Tatsache, dass ein bestimmtes Verhältnis zur Macht aus einer bestimmten traumatischen Entwicklung herleitbar ist, schließt selbstverständlich nicht aus, dass diese Geschichte der Traumatisierung nicht auch noch weitere, vordergründig konträr erscheinende Folgen hat. Ich denke, dass Sozialphobien und extreme Schüchternheit geradezu typische Folgen von Traumatisierung sind. Andere reagieren aber eben extrem antiphobisch, d.h. mit dem typischen ohnmachtvorbeugenden Aktionismus, der gefühlstaub für seine Folgen und Konsequenzen bleibt, ja bleiben muss, und darauf wollte ich hinweisen.
Es ist leider ein immer wieder auftauchendes Mißverständnis, daß mit dem patriarchalem System "die Männer" gemeint werden. Es ist unbestreitbar, daß es den Mann gibt, der sich dem widersetzt, wie es die Frau gibt, die sich darin eingerichtet hat, aus der Not eine Tugend macht; die Problematik hierarchisches Denken und Machtmißbrauch betrifft alle Menschen.
Wenn ich vom patriarchalen System spreche, dann tatsächlich von dem anonymen System, in welchem die Unterdrückung und Ausbeutung beider Geschlechter und dem Kind sowie Natur allgemein regelrecht erzwungen wird.
Firefox kommt mit twoday nicht so gut zurecht, scheint mir. Und die Antwortfunktion ist hier sehr gewöhungsbedürftig.
Was soll ich noch sagen, mo?
Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass das Verständnis von Macht als Selbstzweck sich noch ein wenig erhellt, wenn man berücksichtigt, wie überwältigend die Erfahrung von Ohnmacht während einer traumatischen Erfahrung ist. Nach der Stresstheorie von Lazarus und Folkman (1984) ist nicht nur die Bewertung des Stressors als negativ und bedrohlich ausschlaggebend für die Entwicklung einer posttraumatischen Störung. Die traumatisierte Person stellt darüber hinaus in einem zweiten Bewertungsprozess ("secondary appraisal") fest, dass ihre (natürlichen) Bewältigungsstrategien nicht ausreichen, um mit dem Ereignis erfolgreich umgehen zu können. Ich unterstelle nach deMause -eine genauere Analyse dort- , dass in unserem westlichen Erziehungsstil traumatisierende Elemente gang und gäbe sind (die durch die "Alltäglichkeit" dieser Erfahrungen im Hintergrund der Wahrnehmbarkeit verschwinden). Eine Verschärfung des Effekts dieser Traumatisierungen ergibt sich aber noch dadurch, dass dem kindlichen Opfer der Rückgriff auf seine natürlichen Stress- und Schutzreaktionen, namentlich fight-or-flight, oft als "ungehörig", "trotzig" oder einfach nur "lästig" untersagt und verboten wird. Die Erfahrung der Hilflosigkeit und Ohnmacht ist dadurch eine verdoppelte und so umfassend, dass sie von der emotionalen Verletzung bis in die kognitive Bewertung der eigenen Person reicht: das Kind sieht sich selbst als "Versager", als unfähig, die Situation zu meistern, als "feige" oder einfach "nicht klug genug". Was es gelernt hat, ist eine "Furchtstruktur" (Foa, 1989), die es zu vermeiden gilt. So wird es aus Selbstschutz im späteren Leben alles tun, um diese Erfahrung der Ohnmacht zu vermeiden, und das erklärt, warum Macht so erstrebenswert ist. (Anzumerken ist, dass ich hier keineswegs einer "laissez-faire" das Wort rede, die darin besteht, das Kind unbeachtet "austoben zu lassen". Das ist ebenso Vernachlässigung. Nach meiner bescheidenenen Erfahrung reicht es oft aus, sich Zeit und das Kind ernst zu nehmen - dazu später mal mehr).
Ansonsten müsste ich mich damit begnügen, aus deiner Analyse einzelne Textpassagen noch einmal hervorzuheben, weil sie mir so elementar erscheinen. Wie z.B die Frage,
" was diejenigen motiviert und antreibt, die diese machtverhältnisse ständig neu erschaffen, reproduzieren, brauchen, verteidigen, tolerieren und auch ignorieren. wie mit stillem gehorsam gegenüber einem unausgesprochenem kollektiven verbot bleiben viele angeblich linke kritiken an dieser stelle stehen und begnügen sich mit nichterkärungen und mythen aus dem kollektiven bestand der bürgerlichen gesellschaft: das "der mensch an sich" schlecht sei, "böse", egoistisch, zu machtmißbrauch neige und deswegen streng kontrolliert gehöre und dergleichen mehr[...] fragen z.b. nach den tatsächlichen ursachen für das spezielle verhalten derjenigen, die in meiner wahrnehmung als bösartig erscheinen [...verkürzt...] aber würde bereits eine qualität von selbst(körper)gefühl und -bewußtsein voraussetzen, die gerade durch die herrschenden verhältnisse nicht nur nicht gefördert, sondern geradezu verhindert wird."
mit freundlichen Grüßen,
s
Westlicher Erziehungsstil
Das zum einen. Zum anderen muß diese Unterdrückung nicht unbedingt dazu führen, daß ein so mißhandeltes Kind Macht ansstrebt; es kann sich durchaus mehr oder weniger großes Mißtrauen gegenüber Macht und Autoritätsgläubigkeit entwickeln. Solche Kinder entwickeln aber anscheinend gerne eine stark ausgeprägte Sozialphobie.
Gruß,
W.
Re: westlicher Erziehungsstil
Du hast natürlich recht, dass gewalttätige Erziehung nicht auf "den Westen" beschränkt ist. Ich hatte das deswegen hervorgehoben, weil "unser" Gesellschaftsmodell gerne als vorbildhaft und manchmal sogar höchstentwickeltes betrachtet wird. Mir ist allerdings die Verortung der Macht allein bei den Männern, im Patriarchat also, auch ein wenig zu simpel. Es gibt mE vielerlei Arten weiblicher Kollaboration, die sich nicht nur mit diesen "patriarchalischen" Machtverhältnissen einverstanden erklären, sondern sie darüberhinaus noch festigen.
Zum zweiten: die Tatsache, dass ein bestimmtes Verhältnis zur Macht aus einer bestimmten traumatischen Entwicklung herleitbar ist, schließt selbstverständlich nicht aus, dass diese Geschichte der Traumatisierung nicht auch noch weitere, vordergründig konträr erscheinende Folgen hat. Ich denke, dass Sozialphobien und extreme Schüchternheit geradezu typische Folgen von Traumatisierung sind. Andere reagieren aber eben extrem antiphobisch, d.h. mit dem typischen ohnmachtvorbeugenden Aktionismus, der gefühlstaub für seine Folgen und Konsequenzen bleibt, ja bleiben muss, und darauf wollte ich hinweisen.
Gruß, s
Hallo sansculotte!
Wenn ich vom patriarchalen System spreche, dann tatsächlich von dem anonymen System, in welchem die Unterdrückung und Ausbeutung beider Geschlechter und dem Kind sowie Natur allgemein regelrecht erzwungen wird.
Firefox kommt mit twoday nicht so gut zurecht, scheint mir. Und die Antwortfunktion ist hier sehr gewöhungsbedürftig.
Gruß,
W.