demon driver (Gast) - 7. Dez, 17:36

Subjekt und Gesellschaft, Machtideologie und Wert

Mo, Deinen Einschätzungen folge ich sehr weitgehend - ich möchte nur ein paar Gedanken zu "Papier" bringen, die mir dazu gekommen sind, auch was die bisherigen Kommentare betrifft.

Vor allem jedoch ein Abschnitt von Gruen stört mich. Wenn er schreibt, "wo die Ideologie der Macht gilt, wird das Selbst von seinem inneren Kern und damit auch von den Wurzeln seiner historischen Erfahrung abgeschnitten - unabhängig von der speziellen Färbung dieser Ideologie und der jeweiligen Organisation der Produktionsmittel", dann scheint mir darin mindestens ein Denkfehler zu liegen. Wenn er unter "spezieller Färbung" tatsächlich die ganze Palette von Rot bis Braun subsumieren wollte, dann wäre der Satz in dieser Pauschalität falsch, denn ob irgendwo "die Ideologie der Macht" herrscht, wird von dieser Färbung maßgeblich beeinflusst, und von der Organisation der Produktionsmittel auch. Dass dennoch auch unter eher egalitären, weniger machtbezogenen "Ideologiefärbungen" und unter Verhältnissen vergesellschafteter Produktionsmittel eine "Ideologie der Macht" entstehen kann, bleibt davon unberührt.

Auch Deinen Ansatz, die Konzepte der Subjektivität und Objektivität gegeneinander auszuspielen, kann ich in einem ersten Versuch jedenfalls noch nicht nachvollziehen. Ich folge weitgehend Deinen Feststellungen zu "Konstruktionen von Objektivität" und "Herabsetzung von Subjektivität" - dennoch lässt sich allein die Gesellschaft, geschweige denn sowas wie eine Gesamtheit von Realität, m.E. nicht aus der Subjektivitätsbetrachtung heraus erfassen.

Kritik käme von mir dann auch noch zum "Therapie"-Ansatz in der bereits stattgefundenen Diskussion. Wieso sollte sich ein machtideologisch geprägter Mensch innerhalb eines machtideologisch geprägten Systems "therapieren" lassen? Um die Chancen zu minimieren, in der existierenden Gesellschaftsform nach deren Maßstäben "erfolgreich" zu sein? Nein, ich denke, und da dürfte ja im Prinzip auch gar keine große Uneinigkeit herrschen, das Ich kann sich ebensowenig unabhängig von der Gesellschaftsform (einschließlich der Organisation der Produktionsmittel, welche die gesellschaftlichen Machtstrukturen entscheidend konstituiert) emanzipieren, wie sich eine Gesellschaftsform unabhängig von der Subjektivität ihrer Angehörigen emanzipieren kann. Ohne die Perspektive humanerer gesellschaftlicher Rahmenbedingungen nützt meiner bescheidenen Meinung nach keine "wirkliche" Therapie was - da hielte ich die gängige "Therapie", die mir das geistig einigermaßen gesunde Überleben innerhalb der real existierenden Zumutungen erleichtert (nach Möglichkeit jedoch, ohne mir das Bewusstsein über deren Existenz und Qualität zu verschleiern), fast noch für "sinnvoller".

Eine kleine Schlussbemerkung noch - auch die Wertkritik beschäftigt sich, z.B. in Kurzens "Schwarzbuch Kapitalismus", in aller Ausführlichkeit mit den Greueln diverser und auch staatssozialistischer Machtstrukturen. Kurz zeigt dabei sehr anschaulich, dass hier die Verwertung der menschlichen Arbeitskraft in fordistischem Maßstab, welche ihrerseits ihre Vorbilder und Anleihen in den autoritären Hierarchien des Militarismus und der maschinenmäßigen Kriegsführung des ersten Weltkriegs hatte und fand, in beiden Lagern zu ähnlichen Bedingungen führte. Neben der "Machtideologie" als Ursache für gesellschaftliche und menschliche Fehlentwicklungen scheint mir die Erkenntnis, dass in sämtlichen "modernen" Gesellschaftsformen einschließlich der diversen Staatssozialismen bis zum heutigen demokratischen Kapitalismus der gesellschaftliche Wert des Individuums immer nur dadurch konstituiert wurde, welche abstrakte "Arbeit" er zu vollbringen imstande ist, als zentrales und immer wiederkehrendes Element, ohne dessen Überwindung ein Fortschritt für unsere Lebensverhältnisse kaum erreichbar sein wird.

Beste Grüße,
d. d.

sansculotte (Gast) - 7. Dez, 23:57

@demon driver

Hallo demon driver,

nice to meet you, kurz ein Wort zur Kritik am "Therapie"-Ansatz . Ich nehme einmal an, dass niemand naiv daran festhält, dass Therapie ein probates Mittel zur Ablösung der herrschenden Eliten darstellen könnte. Auch eine Umformung der bestehenden Verhältnisse ist durch Therapie nicht zu erwarten. Die Funktion der Therapieangebote sollte eigentlich in einer Entlastung für diejenigen bestehen, die unnötigem und zusätzlichem Leidensdruck durch psychophysische (und/oder mentale/kognitive) Beschwerden, Beeinträchtigungen oder Behinderungen ausgesetzt sind. Diese Angebote sollten niederschwellig genug sein, um von jedem, etwa von dem, der Schwierigkeiten hat außer Haus zu gehen, genauso wie dem, der "nur" ein allgemeines Unbehagen empfindet, wahrgenommen werden zu können. Und sie sollten effizient genug sein, um jeden in die Lage zu versetzen, wieder handlungsfähig zu sein. (Anm.: habe aus Faulhei..äh Ökonomiegründen durchgängig die männliche Personalform verwendet, gilt natürlich ebso. für: jede, die...).

So ist das eigentliche Ziel der Therapie, jede/n zu gesellschaftlichem und politischem Handeln zu ermächtigen und somit ist auch die Funktion dieses Angebots klar umrissen. Es ist ein Baustein von mehreren (ein weiterer wäre etwa die vorgeschlagene Einrichtung von Elternberatungszentren, die dazu beitragen könnte, allein durch Information verdeckte strukturelle oder habituelle Gewalt zu verhindern). Das Problem der Machtmenschen allerdings, die sich in ihren Machtstrukturen eingebunkert haben, diese gleichzeitig verfestigen und von ihnen gestützt werden, wird damit klarerweise (noch) nicht berührt.

Zu Robert Kurz fällt mir noch auf, dass gerade die Verwertung menschlicher Arbeitskraft in fordistischem Maßstab mit dem hier diskutierten Konzept der Objektivität oder besser: Objektivierung trefflich erklärt werden kann. Denn es bedarf schon einer Bereitschaft zur und eines Konzepts der Verdinglichung und Instrumentalisierung von Menschen, um diese Fließbandlogik und Reduzierung des Menschen auf die abstrakte Arbeitskraft konsequent zu behaupten und durchzusetzen. Das Konzept der Verdinglichung ist wiederum nicht auf die kognitive Ebene beschränkt, sondern beginnt mit einer Form der Alexithymie, mit einem grundsätzlichem gefühlsmäßigen Unvermögen, das auf "sachlicher Ebene" durch dementsprechend entstellte Als-ob-Simulationen kompensiert wird.

Viele Grüße, s

@morgaine: möchte dir vorerst nur mitteilen, dass ich nachvollziehen kann und verstehe, wovon du berichtest. Bin im Moment ratlos und etwas zu verzweifelt, eine Antwort geben zu können.
demon driver (Gast) - 8. Dez, 09:31

@sansculotte: Danke für die Erläuterungen, nach diesen und nach einer kleinen Denkhilfe von Seiten Wednesdays an anderem Ort kann ich dem Ansatz dann doch gut folgen. Die hier besprochene Thematik berührt wohl auch wieder einmal das vielbeschworene Verhältnis zwischen Sein und Bewusstsein. Wenn man davon ausgeht, dass beide sich gegenseitig bedingen, dass es da eben keine "Einbahnstraße" in einer der beiden Richtungen gibt, dann entspräche das der Annahme, dass weder eine Therapie des von den Strukturen deformierten Menschen das System ändert, noch eine Änderung des Systems (auch keine "wirklich" revolutionäre) die Deformation des individuellen Menschen aufhebt, und dass man zur Überwindung der herrschenden Verhältnisse wohl an beiden Enden ansetzen muss. Insbesondere werden sich dabei solche "revolutionäre" Organisationsformen immer als hinderlich erweisen, deren Struktur Machtmenschen in Schlüsselpositionen bringt.

Ich beobachte, fällt mir dabei ein, zurzeit mit einem gewissen Interesse - nicht bezüglich ihres emanzipatorischen Potentials, da habe ich, obwohl Mitglied, keine Illusionen - die Bemühungen der rheinland-pfälzischen Landesverbände von Linkspartei/PDS und WASG um den gemeinsamen Antritt zur Landtagswahl einerseits und um die geplante spätere Fusion andererseits. Bei der Linkspartei/PDS zumindest scheint man die Gefährlichkeit von Machtstrukturen wenigstens halbbewusst zu ahnen; es gibt da eine äußerst ausgeprägte Abneigung gegenüber allen Festlegungen und Personalentscheidungen, die nicht zuvor von einer breiten Basis diskutiert und basisdemokratisch legitimiert wurden. Dass es trotzdem immer wieder eher "durchsetzungsfähige" Typen in entsprechende Positionen schaffen, liegt in der Natur der Veranstaltung. Zurzeit gibt es gerade Diskussionen um einen, den die Basis kraft Abstimmung eigentlich nicht so weit "oben" sehen wollte, der es aber mit Hilfe der WASG, die zur Wahl die Liste stellt und für die PDS öffnet, und seinen Verbindungen zu dieser dann beinahe doch noch auf einen der vorderen Listenplätze geschafft hätte. Es wird in der Auseinandersetzung jedoch nicht immer deutlich, ob eine konkrete Kritik aus der allgemeinen Ablehnung eigenmächtiger Durchsetzung von Machtansprüchen herrührt, oder vielleicht doch gerade einem rein machtmäßigen Konkurrenzdenken entspringt...

Zu Kurz: Dieser Aspekt der "Objektivierung" zieht sich eigentlich auch wie ein roter Faden durch das "Schwarzbuch", und er verortet ja einen wesentlichen ideologischen Ursprung für die späteren Formen von Industrialisierung und für die fortgesetzte Entmenschlichung der Arbeits- und Produktionsprozesse in einem "Benthamschen", utilitaristischen Liberalismus.

Erneute Grüße,
d. d.
jana (Gast) - 8. Dez, 15:34

Ein besoffener Blixa Bargeld hat mal in nem Interview gesagt in etwa : Die Utopie ist nun an ihren ursprünglichen Platz zurückgekehrt, irgendwodorthin,wo sie sozusagen unumsetzbar bleibt,somit ewig das vorschwebende,anzustrebende,was nie erreicht werden kann,da es nunmal ein Ideal ist ...

Es erleichtert ungemein, ein Ideal von Gesellschaft und sozialem Umgang miteinander im Hirn sich entwickeln zu spüren und dennoch nicht starr vor Entsetzen über das "Ist" zu verbleiben,da die Schere zwischen Ideal und Ist dermaßen auseinanderklafft,daß es in den Pessimismus im Rundumschlag bzw die andre Richtung : In eine andre Form von Gewalt führt...

Ich kann und ich muß niemanden zu irgendwas zwingen !
Ich erlebe die Verhältnisse,sehe,wie Kinder krankwerden an Verhältnissen, sehe mich,sehe auch meine Tochter , sehe,was in der Schule läuft,was unter den Kindern läuft usw usf...

Und ich habe eine sich kristallisierende Utopie im Hirn,ein Ideal immer mehr,dem ich sicherlich nicht gerecht werden kann,aus meinen Vorbedingungen,auch psychophysisch, aus meinem heranwachsen,aus x und aus y....

ABER ;-)
Stück für Stück , bin ich überzeugt ist viel machbar, nicht durch Druck,nicht über Belehrungen,nur übers Erstaunen und Irritieren und über Verwunderung,wie auch über eine gute Form von Neid.

Wie beim Einzelnen : Von heut auf morgen,nur weil man was erkennt, geht NICHTS !!!!!
Und durch Reden und Diskutieren und Zusammenhänge aufzeigen ebensowenig...
Und über "Sich-das-Ideal-Als-Mäntelchen-Anziehen" auch nicht.
Alle Menschen haben ein Gespür für Echtheit und Schein .
Und ebenso haben eigendlich alle Menschen doch ein Bedürfnis nach Echtheit.
Und nochmal ebenso teilen die meisten Menschen eine Riesenangst, die, so zu sein,zu leben,wie sie sind, die vor Bewertungen von aus-ungefragt, die gen Verurteilungen usw usf...

Therapie kann dem Einzelnen das "Ich" geben, das "Ich-Sagen" und es kann dazu führen,daß man nun locker auch in Schwächen und kritikwürdigen Punkten sagt : Ja, ich..." ...und das verwundert,irritiert,eruegt Neid auch...nunja und die Reaktionen darauf sind auch nich unbedingt nett,denn es macht die Angst bewußt...

Man kann gen dem Einzelnen wie auch nicht gen einer größeren Anzahl an Menschen einfach sagen : Hey,kommt,echt,laßt die Angst sein!
DAS funktioniert nicht.
Aber eben, man kann sich leben und durch diese Art zu leben, haben Menschen die Wahl,sich zumindest schonmal einem menschen (ups,ja,vielleicht manschmal mir gegenüber,öhhm) angstfrei im Sinne der großen Angst zu zeigen,zu geben,nunja,eigendlich zu sein. Es isn schönes Gefühl,locker wo sein zu können,mit wem sein zu können,sich nicht hinter den Spielregeln der Gesellschaft bzw der Macht (im negativen sinne) zu verstecken....

Und ich denke,ganz utopisch,utopisierend *zwinkersmilie*... , daß dies einen Bedarf ,ein Bedürfnis danach weckt.
Und sinds nur genug Leuts immer mehr dann,die sich leben , so steigt der Bedarf,denk ich...huii,ja,klar,ich bin im ökonomischen Denken aufgewachsen,bitte um verzeihung...abermals *zwinkersmilie*...

Es geht in nem So-Sein auch mit Hilfe von Therapie darum,sich zu leben und eben auch im netten Nebeneffekt,andren ein Bedürfnis auf sich selbst zu wecken,was gar nicht wahrgenommen werden kann,wenn fast niemand um dich herum sich lebt...

Der Rahmen is nich toll,klar...aber ums nun gen Macht auszuweiten,könnte ein Bedürfnis sich entwickeln nach Macht übers eigene Leben...was nen finanziellen Rahmen sicherlich nicht völlig beiseite läßt,geht gar nicht,da man im großen Rahmen lebt,wo doch aber Wert-Verschiebungen stattfinden können...

Die Kinder, die sind am offensten dafür !
Und ohne ihnen einzutrichtern : Du mußt stark werden für diese grausige Umwelt, werden sie stark,weil sie in sich Stück für Stück die größte Sicherheit finden....

+
Zwecks Gewalt+Traumata...
geht zumindest der gängige Spruch und doch,ich empfinde ihn als richtig : Ein Kind,was sich anvertrauen kann, muß erlebte Gewalt in Reinszenierung und Leiden nicht im weiteren Leben leben ...
!!!!

Es darf nicht über Begutachtung laufen, die läuft (schief) schon genug : eltern gegenüber Eltern,Eletern gegenüber Lehrern,Lehrer gegenüber Eltern usw usf...
Es geht höchstens über : Dort sind meine Grenzen, dort setze ich Grenzen für mein Kind vor Ihnen, dort sind Ihre Grenzen,aha, wie kriegen wir das nun überein ?...
Die Vorwurfhaltung, die hier zum einen durchs Blog sich schleicht,sorry st. ... und auch so im Umfeld sich umtreibt,bringt gar nichts an Veränderung...
!!

so,roman,
lg
jana
(st. , nimm doch bitte : ich versprach dir nie einen rosengarten " auf in die lit.liste !!!...ahhh, shite-richtig!!!)

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