archenoe - 10. Dez, 09:22

Garnierungen der Appetithäppchen I

Probleme:
1. Gehst du davon aus, dass alle Politiker, Geheimdienstler, Kapitalmanager und Mafiamitglieder eine gleiche "innere Verfassung" (Mentalität) haben, wenn du schreibst, dass du "keine wirklichen Unterschiede" erkennen kannst?
Ich könnte höchstens sagen, dass diese Personen in ähnlichen (!) Verhältnissen agieren.

Erst einmal eine grundsätzliche Bemerkung:
Das Missverständnis bzgl. Marx liegt oft darin, dass nicht gesehen wird, wie radikal Marx alles gesellschaftlich betrachtet, also als Verhältnis von wirklichen Menschen analysiert hat. In Begriffe wie Ware, Wert, Mehrwert, Kapital usw. sind die realen Verhältnisse, welche die Menschen in ihrem Handlungs- und (!) Bewusstseinszusammenhang generieren, eingeschrieben. Ware und Dienstleistung sind verwertbare Dinge und Tätigkeiten, in denen die gesamten Verhältnisse von Besitz/Nichtbesitz, Kapital/Lohnarbeit, Macht/Ohnmacht, Befehl/Gehorsam und die daraus und darin entstehenden Bewusstseinsformen und -inhalte versammelt sind. Möglicherweise ist in diesem Zusammenhang die Kritik an der angeblich mangelnden Berücksichtigung "des subjektiven Faktors" in der marxschen Philosophie und Kritik der politischen Ökonomie bereits ein derbes Missverständnis. Freilich konnte Marx noch nicht über (Er-)Kenntnisse der Wissenschaften des 20, Jhdts. verfügen, so dass hier Ergänzungen und Weiterungen notwendig sind (wie sie z.B. Holzkamp u.a. in der materialistischen Subjektpsychologie versucht haben). Die Grenzen der marxschen Erkenntnis und Darstellung werden z.B. im metaphorischen Fetischkapitel deutlich. Was aber ist, wenn man dies als Psychologie des gesellschaftlichen Verhältnisses von Menschen liest? Dann ist Ware und Warengesellschaft eben auch "Mentalität"! (Das sind selbstredend nur bruchstückhafte Andeutungen!)

Arno Gruens Verdikt "Das Selbst bleibt in jedem Fall verstümmelt" halte ich für hochgradig problematisch, weil er den Fixpunkt, die Setzung, das Axiom der angeblich natürlich vorhandenen Selbst-Möglichkeit (und nur unter der Voraussetzung, dass es so etwas Natürliches im Menschen gibt, kann seine Argumentation akzeptiert werden) nicht benennen und schon gar nicht nachweisen kann. Nebenbei, bei Marx ist das auch manchmal ein Problem, weil er dann doch ab und zu von irgendeinem unverrückbaren, unhintergehbaren, letztlich also doch natürlichen Zustand ausgeht, der angeblich durch die besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse beeinträchtigt wird. Solch einen "Zustand" gibt es aber meines Erachtens nicht. Es gibt Begrenzungen in den Möglichkeiten durch die psychophysische Ausstattung (also physikalische, biologische und wohl auch "mentale"), sicher, aber diese zu bestimmen überfordert uns bzgl. der "mentalen" bis jetzt völlig. Also spricht erst einmal nichts dagegen von völliger Gesellschaftlichkeit der menschlichen Möglichkeiten auszugehen. Aber auch hier wieder setzt bei vielen ein Missverständnis ein: Gesellschaftlichkeit heißt doch nicht, dass das Subjekt verschwindet, sondern bedeutet, dass die Subjekte gleichsam zur Gesellschaftlichkeit verdammt sind und nur so (über-)leben können. Radikal bis zu einem vorläufigen Ende gedacht heißt das: Nichts ist im Rahmen der psychophysischen Ausstattung unmöglich.

Was also heißt dann "verstümmelt"?

(Am Rande: Dass Gruen den Wechsel einer politischen Ideologie nicht zur Veränderung des "Selbst" rechnet, halte ich für grob fahrlässig, ja geradezu für scharlatanesk. Heißt ja nichts anderes als: Gedankeninhalte gehören nicht zum Selbst! Unfug, sorry! Vielleicht sollte man mal genauer hinschauen, ob die weiterhin Gewaltausübenden überhaupt die Ideologie gewechselt haben!? Und noch etwas: seltsame Verwendung des Ideologiebegriffes!)


Da setzt nun m.E. der schwierigste Gedankenprozess überhaupt ein. Wenn etwas als verstümmelt bezeichnet wird, muss eine Vorstellung (besser eigentlich noch: eine Definition) vom Ganzen, Unverletzten, "Gesunden" (?), Richtigen usw. vorhanden sein. Was aber ist das?
Oder auch: Was soll das sein?

Was es ist, kann niemand bestimmen. Meine Vermutung (s.o.): es ist naturwüchsig nicht existent!
Was es sein soll (und darf), ist zweifellos bestimmbar. Dann aber muss bestimmt werden, was und wer die Subjekte sein sollen/dürfen und damit nichts anderes als die Gesellschaft.

Ist man so weit vorgedrungen, geht es erst einmal um die so begründete Negation der bestehenden Menschenverhältnisse und dazu gehört eben auch - aber eben auf der Basis eines durch Gesellschaftskritik bestimmten "Vergleichspunktes" (wie soll es - zumindest grob skizziert - sein) - akzeptierbare "Mentalitäten" zu umreißen, also das erhoffte Subjektive als Negation des bestehenden Möglichen zu entwerfen. Hier nun müssen Begriffe her, die etwas Wünschenswertes zumindest umschreiben (was soll sonst Kritik?). Hier nun kommt keiner mehr um Festlegungen des Zieles seiner Kritik herum. Also: Negation des Bestehenden auf Basis eines groben Gesellschafts- und Subjektentwurfs. Bei diesem groben Entwurf müssen solch schwierige Grundsatzentscheidungen getroffen werden, wie und auf welchen materiellen und immateriellen Grundlagen z.B. das Verhältnis von gesellschaftlicher Gleichheit und individueller Freiheit generiert werden soll (wobei "individuelle Freiheit" selbstredend gesellschaftlich verstanden werden muss, sonst muss man sich mit den permissiven Trolls herumschlagen und erst einmal klären, dass zum Verhaltensrepertoire in einer erstrebenswerten Gesellschaft z.B. das Töten von Menschen nicht gehört).

Ein Hinweis noch: Was soll die Berücksichtigung des menschlichen Gehirns und Nervensystems bzgl. des sozialen Lebens anderes bringen als die Möglichkeitsgrenzen im physikalischen und biologischen Sinn abzustecken? Oder vermutest du da "Inhalte", gleichsam "physiologische Meinungen"?

jana (Gast) - 10. Dez, 13:24

das natürliche selbst...?

...oder dergleichen würde ich eher als "den raum der selbstwerdung" bezeichnen...
ein real natürlicher raum zur selbst-entfaltung ....

selbst-entfaltung heißt hierbei für mich "kultivieren" im "alten" sinne, im aufnehmen , verinnerlichen,vergleichen mit eigenem und aussortieren wieder ...

dieser raum ist nicht mehr gegeben.
aber es wird vorgegauckelt,er seie da, für alle menschen möglich.
aber er ist nichteinmal merh priviligierten menschen möglich, ob wirtschaftlich priviligiert oder per arbeitsleben in der wissenschaft,kunst oder..oder...
das ökonomische prinzip läßt keine zeit,auch keinen raum somit zur selbst-entfaltung...
das verstümmelte selbst empfind ich eher als verstümmelten raum zur entfaltung des selbst.

http://socio.ch/sim/kri17.htm

@ st. simmels "die krisis der Kultur" - im netze gefunden ...

"inhalte gleichsam physiologischer meinungen"
hmm,ich würd sagen im sinne neurologischer verschaltungen schon ...
könnte man sicher der biologie zuordnen, doch da die frage nach "inhalten" gestellt wird...
Ja!
die neurologischen Schaltungen im Hirn produzieren Inhalte und eben so begrenzte inhalte nur,wie eben auf grund der verschaltungen im nervensystem sie einzig möglich sind.
so führt ein schräg geschaltetes,bspw rein auf "überleben" unter menschen ausgerichtetes nervensystem zu ganz anderen inhalten als ein auf "leben" ausgerichtetes system...
angst ist körperlich spürbar und warnsignale zum schutz sind sozusagen körperlich eingebrannt.
so ist schon der körper allein wie "psychisch krank" bzw "deformiert" betrachtbar, da oftmals ohne psychische begründung (scheinbar) allein der körper zur "flucht" , zur "abschottung" , zu panic , zu egalwas rät,bzw er rät nicht dazu,er reagiert einfach so.
ist also das leben auf effiziens ausgerichtet unbewußt, das selbst, der eigene wille und auch das gespür,was urpersönlich gebraucht wird verschüttet,scheinbar nicht existent, so signalisiert der körper allein schon : krank , wenn es eine zeit der ruhe gäbe bspw. die menschen werden panisch,ängstlich, sind bemüht,das rasen fortzusetzen,da die ruhe sich wie totsein anfühlen muß.
der hohe aktivitätspegel muß aufrechterhalten werden,auch körperlich,da sonst der körper "fehlfunktioniert" ...
so werden die leuts doch ausgerechnet im urlaub krank...
so werden sie depressiv,wenn sie ihre arbeitsplätze verlieren...
so wird halb manisch in jeglicher ruhepause im leben gekurbelt,was das zeug hält...
und setzt sich der mensch nach der reizüberflutung, die ja auch körperliche spuren hinterläßt in der produktion allermöglicher stoffe,um diese reizüberflutung "auszuhalten", einer reizarmut aus oder wird einer solchen ausgesetzt, sei es in der normal ohne "verheizen" benötigten reizfülle auch nur, so überkompensiert der körper...
abermals krankwerden und rasende suche nach steigerung der reize...

ka, ob dat jetzt zu "trivial" geschrieben ist...

ich schicks mal ab...

lg
jana

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