notiz: in der noch zu schreibenden gesamtgeschichte...
...der infantizidalen kulturellen bedingungen, unter denen bis heute weltweit diverse existenzielle probleme unserer spezies entstehen, werden die folgenden informationen ein weiteres puzzlestückchen darstellen - und dazu machen sie wieder einmal explizit die unrühmliche rolle religiöser institutionen deutlich:
Sie wurden geschlagen, erniedrigt und eingesperrt. Unter oft unvorstellbaren Bedingungen wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahre Hunderttausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen auf. "Wir waren Zwangsarbeiter", sagen sie heute. Ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. (...)
Rund 80 Prozent der Heime waren in konfessioneller Hand. Insbesondere die katholischen Frauen- und Männerorden führten jahrzehntelang zahlreiche Erziehungsanstalten. (...) Die alte Mönchsregel "Bete und arbeite" erlebte eine perverse Renaissance in diesen konfessionellen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik.
In der Diakonie Freistatt bei Diepholz, einer Zweigstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wurde sie brutal umgesetzt. Freistatt mit seiner Presstorfproduktion, mit seinen Schlossereien und Schmieden war als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräften ausnutzte. Wenn nicht gerade Choräle gesungen wurden, mussten die 14- bis 21-Jährigen im Sommer wie im Winter im Moor Torf stechen und pressen. (...)
Diese mussten nach ihrer Ergreifung den Torf in schweren "Kettenhosen" stechen, die nur Trippelschritte erlaubten. Selbst zum Kirchgang mussten die Jugendlichen die Beinschellen tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die inzwischen auf sechs Häuser angewachsene Diakonie Freistatt ständig überfüllt. In den fünfziger Jahren waren in Freistatt etwa 500 junge Männer eingesperrt. Damals war es noch üblich, dass Neuankömmlinge, die etwa aus anderen Heimen entwichen waren, aus Schikane anfangs auf dem Boden schlafen mussten.
Trotz des Verbots staatlicher Stellen, zu züchtigen oder als Strafmaßnahme die Haare abzuschneiden, prügelten die Erzieher in Freistatt, meist evangelische Diakone, munter weiter. 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover "die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel".(...)
und in der zeit zum gleichen thema:
"Ja, räumt der Mönch schließlich ein, man habe schon mal Störenfriede in einen »Besinnungsraum« gesteckt. »Aber nur kurz.« Besinnungsraum? Oder Bunker? Gerald Hartford erinnert sein Gegenüber daran, dass er viele Wochen in dieser Zelle, auf einer Holzpritsche ohne Matratze, in der Ecke ein Eimer für die Notdurft, zubringen musste. Der Jugendliche hatte vergeblich versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianerbrüder durch Flucht zu entkommen."
und dazu werden interessante details zu den lebensbedingungen nach dem zweiten weltkrieg in deutschland deutlich:
"In den Jahren nach 1945 zogen mehr als 100000 Kinder und Jugendliche bindungs-, heimat-, berufs- und arbeitslos durch Deutschland. Viele Familien waren zerrissen, weil die Väter erst nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Soziologische Studien kommen zu dem Urteil, dass nur zehn Prozent der Familien Ende der vierziger Jahre »heil« waren. Die Wohnungen waren häufig eng, eigene Zimmer hatten die wenigsten Kinder. Das Durchschnittseinkommen einer Familie betrug 1955 nur 280 Mark im Monat. Ein Kind ins Heim zu geben war eine vergleichsweise bequeme und billige Lösung."
wobei der krieg die traumatischen bedingungen in vielen fällen nicht primär ausgelöst, aber deutlich verschärft haben dürfte. unabhängig davon: das dokumentierte elend sollte gegen jede tendenz immun machen, den sog. "christlichen westen" irgendwie als "fortschrittlicher" zu halluzinieren als andere regionen des planeten - auch und gerade vor dem hintergrund des von fundamentalistInnen diverser coleur konstruierten "kulturkampfes". das "der westen" in bestimmten bereichen real ein mehr an freiheit zulässt - wenn auch unter ständigen rücknahmedrohungen - ist gerade nicht das verdienst derjenigen, die jetzt bestimmte soziale fortschritte, die bevorzugt von rechter und reaktionärer seite bis heute immer bekämpft worden sind, für ihre eigenen interessen instrumentalisieren und als waffe gegen den fundamentalistischen islamismus benutzen möchten. ganz im gegenteil: die weitaus meisten dieser fortschritte mussten (und müssen) gerade gegen diese fraktionen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
und dazu: besonders institutionalisierte religionen sind weniger "opium", als vielmehr und historisch nachweisbar in massenhafter dimension lebensverneinend, machthörig und tödlich.
*
edit am 20.02.: bei spon findet morgen ein chat mit zwei ehemaligen heimkindern statt - im artikel dazu findet sich ganz am ende ein zitat, welches geradezu paradigmatisch für eine mögliche und weit verbreitete folge von psychotraumatisierungen stehen kann:
"Mit dem Verstand sagt er sich dann: "Mensch, ich hab doch was erreicht." Aber es nützt nichts. "Es bleibt immer das Gefühl, als Mensch nichts wert zu sein. Dieses Gefühl sagt mir immer: Versteck dich, verkriech dich in eine Ecke, wo dich niemand sieht."
es ist keinesfalls übertrieben, folgendes als these aufzustellen: bei diesem gefühl handelt es sich um eine tragende säule innerhalb von machthierarchien - menschen in einem solchen zustand (eine folge der verdinglichung letztlich, die die thematisierte gewalt im kern ausmacht) sind erstens leicht manipulierbar; zweitens weitgehend unfähig dazu, eigene interessen zu erkennen/zu vertreten; drittens innerhalb von kollektiven strukturen (keine schein- oder zwangskollektive) weitgehend "funktionsunfähig", da diese eine voll entwickelte subjektivität voraussetzen; viertens aber - unter ganz bestimmten bedingungen - auch fähig zu extrem destruktiven bzw. antisozialen verhaltensweisen, was letztlich kein wunder ist - stichworte sind hier einmal re-inszenierungen, aber auch eine art von rache, die nicht mit den verbreiteten klischees über rache verwechselt werden darf.
alle gerade genannten eigenschaften sind geradezu prädestiniert dafür, im interesse von machtstrukturen instrumentalisiert zu werden.
Sie wurden geschlagen, erniedrigt und eingesperrt. Unter oft unvorstellbaren Bedingungen wuchsen in den fünfziger und sechziger Jahre Hunderttausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen auf. "Wir waren Zwangsarbeiter", sagen sie heute. Ein dunkles Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte. (...)
Rund 80 Prozent der Heime waren in konfessioneller Hand. Insbesondere die katholischen Frauen- und Männerorden führten jahrzehntelang zahlreiche Erziehungsanstalten. (...) Die alte Mönchsregel "Bete und arbeite" erlebte eine perverse Renaissance in diesen konfessionellen Erziehungsheimen der jungen Bundesrepublik.
In der Diakonie Freistatt bei Diepholz, einer Zweigstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, wurde sie brutal umgesetzt. Freistatt mit seiner Presstorfproduktion, mit seinen Schlossereien und Schmieden war als reiner Wirtschaftsbetrieb konzipiert, der die billigen Arbeitskräften ausnutzte. Wenn nicht gerade Choräle gesungen wurden, mussten die 14- bis 21-Jährigen im Sommer wie im Winter im Moor Torf stechen und pressen. (...)
Diese mussten nach ihrer Ergreifung den Torf in schweren "Kettenhosen" stechen, die nur Trippelschritte erlaubten. Selbst zum Kirchgang mussten die Jugendlichen die Beinschellen tragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die inzwischen auf sechs Häuser angewachsene Diakonie Freistatt ständig überfüllt. In den fünfziger Jahren waren in Freistatt etwa 500 junge Männer eingesperrt. Damals war es noch üblich, dass Neuankömmlinge, die etwa aus anderen Heimen entwichen waren, aus Schikane anfangs auf dem Boden schlafen mussten.
Trotz des Verbots staatlicher Stellen, zu züchtigen oder als Strafmaßnahme die Haare abzuschneiden, prügelten die Erzieher in Freistatt, meist evangelische Diakone, munter weiter. 1960 beanstandete das Landesjugendamt Hannover "die Verwendung von Forkenstielen, Torflatten, Pantoffeln und Besenstielen als Züchtigungsmittel".(...)
und in der zeit zum gleichen thema:
"Ja, räumt der Mönch schließlich ein, man habe schon mal Störenfriede in einen »Besinnungsraum« gesteckt. »Aber nur kurz.« Besinnungsraum? Oder Bunker? Gerald Hartford erinnert sein Gegenüber daran, dass er viele Wochen in dieser Zelle, auf einer Holzpritsche ohne Matratze, in der Ecke ein Eimer für die Notdurft, zubringen musste. Der Jugendliche hatte vergeblich versucht, dem Arbeitszwang, den ständigen Schlägen und Demütigungen der Salvatorianerbrüder durch Flucht zu entkommen."
und dazu werden interessante details zu den lebensbedingungen nach dem zweiten weltkrieg in deutschland deutlich:
"In den Jahren nach 1945 zogen mehr als 100000 Kinder und Jugendliche bindungs-, heimat-, berufs- und arbeitslos durch Deutschland. Viele Familien waren zerrissen, weil die Väter erst nach Jahren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten. Soziologische Studien kommen zu dem Urteil, dass nur zehn Prozent der Familien Ende der vierziger Jahre »heil« waren. Die Wohnungen waren häufig eng, eigene Zimmer hatten die wenigsten Kinder. Das Durchschnittseinkommen einer Familie betrug 1955 nur 280 Mark im Monat. Ein Kind ins Heim zu geben war eine vergleichsweise bequeme und billige Lösung."
wobei der krieg die traumatischen bedingungen in vielen fällen nicht primär ausgelöst, aber deutlich verschärft haben dürfte. unabhängig davon: das dokumentierte elend sollte gegen jede tendenz immun machen, den sog. "christlichen westen" irgendwie als "fortschrittlicher" zu halluzinieren als andere regionen des planeten - auch und gerade vor dem hintergrund des von fundamentalistInnen diverser coleur konstruierten "kulturkampfes". das "der westen" in bestimmten bereichen real ein mehr an freiheit zulässt - wenn auch unter ständigen rücknahmedrohungen - ist gerade nicht das verdienst derjenigen, die jetzt bestimmte soziale fortschritte, die bevorzugt von rechter und reaktionärer seite bis heute immer bekämpft worden sind, für ihre eigenen interessen instrumentalisieren und als waffe gegen den fundamentalistischen islamismus benutzen möchten. ganz im gegenteil: die weitaus meisten dieser fortschritte mussten (und müssen) gerade gegen diese fraktionen immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
und dazu: besonders institutionalisierte religionen sind weniger "opium", als vielmehr und historisch nachweisbar in massenhafter dimension lebensverneinend, machthörig und tödlich.
*
edit am 20.02.: bei spon findet morgen ein chat mit zwei ehemaligen heimkindern statt - im artikel dazu findet sich ganz am ende ein zitat, welches geradezu paradigmatisch für eine mögliche und weit verbreitete folge von psychotraumatisierungen stehen kann:
"Mit dem Verstand sagt er sich dann: "Mensch, ich hab doch was erreicht." Aber es nützt nichts. "Es bleibt immer das Gefühl, als Mensch nichts wert zu sein. Dieses Gefühl sagt mir immer: Versteck dich, verkriech dich in eine Ecke, wo dich niemand sieht."
es ist keinesfalls übertrieben, folgendes als these aufzustellen: bei diesem gefühl handelt es sich um eine tragende säule innerhalb von machthierarchien - menschen in einem solchen zustand (eine folge der verdinglichung letztlich, die die thematisierte gewalt im kern ausmacht) sind erstens leicht manipulierbar; zweitens weitgehend unfähig dazu, eigene interessen zu erkennen/zu vertreten; drittens innerhalb von kollektiven strukturen (keine schein- oder zwangskollektive) weitgehend "funktionsunfähig", da diese eine voll entwickelte subjektivität voraussetzen; viertens aber - unter ganz bestimmten bedingungen - auch fähig zu extrem destruktiven bzw. antisozialen verhaltensweisen, was letztlich kein wunder ist - stichworte sind hier einmal re-inszenierungen, aber auch eine art von rache, die nicht mit den verbreiteten klischees über rache verwechselt werden darf.
alle gerade genannten eigenschaften sind geradezu prädestiniert dafür, im interesse von machtstrukturen instrumentalisiert zu werden.
monoma - 12. Feb, 19:25
"Das gibt es doch überall."
"Die Mutter eines ehemaligen Schülers sieht das anders. Sie erstatte im letzten Jahr Anzeige wegen Körperverletzung. Man habe ihren Sohn geschlagen, getreten und im Keller eingesperrt. Zunächst tat die Schule dies als "Rachefeldzug" der Mutter ab. Ihr Sohn war kurz zuvor von der Schule geflogen, weil er "wiederholt störte und nicht diszipliniert genug war", so damals Rektor Udressy.
Dass es an der konservativen Ordensschule seit Jahren mehrere Beschwerden über Misshandlungen gab, räumte Udressy im vergangenen Jahr ein. Er spielte die Anschuldigungen jedoch herunter: "Das gibt es doch überall"."
...die mit dem wort erbärmlich nur unzureichend getroffen sind.