notiz: mütter, flüchtlinge, ängste
die taz kam heute zum internationalen frauentag mit einem special zum thema "mütter" heraus, welches mich bewogen hat, mir ausnahmsweise mal wieder die print-ausgabe zuzulegen - nunja, ich habe zwar noch längst nicht alles gelesen, aber es ist schon auffällig, wie sehr diese zeitung auf die von ihr (wahrscheinlich zu recht) vermutete klientel in form der gehobenen weißen deutschen mittelschicht mit "bewußtsein" zugeschnitten ist - in diesem speziellen fall heute auf 30 - 50jährige frauen aus eben dieser schicht mit einer art...hm, primär auf ökonomische und soziale teilhabe orientierten mittelklassefeminismus, der sich redlich bemüht, die skandalösen bis tödlichen strukturellen zustände der gesellschaft, von der diese teilhabe eingefordert wird, nicht allzusehr in den blick geraten zu lassen.
trotzdem kann ich einen artikel besonders empfehlen - countdown einer mutter
thematisiert sowohl das kulturelle konstrukt "mutterliebe" als auch die folgen, die gestörte mutter-kind-beziehungen nach sich ziehen - wenn das auch in imo unzureichender form geschieht, ist das immerhin medial mal ein anfang.
"Mutterliebe wird hoch gehängt. Hormone, die bei der Geburt ausgeschüttet werden, machen es den Müttern leicht, sich jahrelang Aufgaben zuzumuten, auf die man sonst lieber verzichtete. "Monatelang keinen erholsamen Schlaf, mindestens 3.000 Mal Windeln wechseln, seinen Körper zur Tränke machen, am Geschrei die Bedürfnisse des Kindes erkennen: Hunger, Langeweile, Angst, Müdigkeit, Schmerz", sagt eine andere Mutter, sie hat eine Dreijährige. Sie liebe ihr Kind trotzdem.
Mutterliebe ist ein idealisiertes Phänomen. "Mutterliebe, man nennt dich des Lebens Höchste! So wird denn jedem, wie schnell er auch stirbt, dennoch sein Höchstes zuteil." Dieses poetische Zitat stammt von Hebbel, 19. Jahrhundert.
Was aber, wenn "Mutterliebe" ihre Doppelbödigkeit offenbart? Was, wenn die Bedürfnisse des Kindes zu einer Zumutung werden? "Jede Mutter hasst ihr Kind irgendwann", sagt eine junge Frau, deren Vierjähriger alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie kommt gerade aus einer Erziehungsberatungsstelle. Ob sie Genaueres erzählen wolle? "Nein."
das scheint mir eine selbstverständlichkeit zu sein, dass sowohl die schwangerschaft an sich als auch die folgenden jahre immer wieder von negativen gefühlen gegenüber dem kind begleitet sein dürften - anderes zu erwarten, wäre schlicht unmenschlich. es kommt aber dabei auf das maß an - situationsbedingte ablehnung vor dem hintergrund einer grundsätzlich liebevollen einstellung ist etwas, mit dem sowohl ein embryo als auch ein kind nicht nur fertigwerden dürfte, sondern vielleicht sogar als "entwicklungshilfe" beim eigenen wachstum benötigt. ganz anders sieht es hingegen bei einer überwiegenden und dauernden ablehnung bis hin zum offenen hass aus - da können solche szenarien entstehen, wie sie hier bis zum überdruß unter dem stichwort infantizid dokumentiert worden sind.
"Warum gibt es heute viele Menschen, die sagen, meine Mutter hat mich nicht geliebt, und kaum Mütter, die sagen, dass es tatsächlich so war? Verständlich wird diese Unsicherheit, wenn das gesellschaftliche Bild der Frau berücksichtigt wird: Mit der Entwicklung hin zur Kleinfamilie ist die Mutter in Deutschland kinderliebend in der Verantwortung, trotz aller Versuche, dies auch auf den Vater zu verteilen. Religiöse, kulturelle und historische Bilder lasten schwer auf ihr.
In der Fachliteratur wird selten von "Mutterliebe" gesprochen, sagt Herma Michelsen. Es sei ein poetischer und mystisch aufgeladener Begriff. Im Vordergrund der Forschung steht die Mutter-Kind-Bindung oder auch Mutter-Kind-Interaktion. Die Ausrichtung der Forschung argumentiert aus der Sicht des Kindes. Ist die Beziehung zur Mutter nicht intakt, ist die Entwicklung des Kindes gefährdet. Seine Schwierigkeiten als Erwachsener führt die Psychologie gern auf emotionale Brüche zwischen ihm und der Mutter zurück."
wobei es eben für letzteres auch einen haufen indizien gibt.
"Wer den Selbstläufer "Mutterliebe" jedoch in Zweifel zieht, lenkt den Blick weg vom Wohl des Kindes hin auf das der Mutter. Auch sie hat eine Geschichte. Mütter, die sich als Kinder selbst ungeliebt fühlten, hätten größere Probleme, ihre Kinder anzunehmen. "Mühelos kann man den Kindern nur das geben, was man selbst bekommen hat. Alles andere muss man sich erarbeiten", bestätigt Herma Michelsen. Frauen, die in Situationen seien wie Bianca Pohl, übernehmen zweifellos die Verantwortung für das Kind. "Die Freude stellt sich aber nur langsam ein."
Die Konsequenzen gestörter Mutter-Kind-Beziehungen sind, so geht aus der psychologischen Forschung hervor, vielschichtig. Sie reichen klassenübergreifend von Depression bis zu Gewalt. Auf beiden Seiten, der des Kindes und der Mutter. Geht es ums Kind, wird bei der Mutter gern die Schuld gesucht, geht es um sie, ist sie selbst schuld."
genau das beschriebene ist ja eben der zentrale und fatale prozeß der ständigen wiederholung/re-inszenierung traumatischer erlebnisse von müttern, die ihre kinder/töchter traumatisieren, die wiederum... ich habe hier schon früher geschrieben, dass die moralische kategorie "schuld" hier unbrauchbar und schädlich ist - verantwortlichkeit passt schon besser, wobei diese gelernt werden muss - und genau die bedingungen nicht nur dafür zu schaffen, sondern auch die notwendigen materiellen sicherungen für mütter und kinder und familien bzw. kinderbetreuende kollektive ist eine gesamtgesellschaftliche aufgabe - und zwar nicht im interesse irgendwelcher "nationaler" oder ökonomischer belange, sondern aus ganz elementaren menschlichen gründen - wozu u.a. gehört, die generationenalte spirale der gewalt endlich an einem ganz entscheidenden punkt stoppen zu können.
"Über die Konsequenz nicht erbrachter gesellschaftlicher Kinder- und Mutterliebe aber spricht niemand. Dies mag erklären, warum der einfache Weg, der Ehrlichkeit in die Mutter-Kind-Problematik brächte, ein Tabu ist. Denn wären die erlebten Defizite der Mütter öffentlich thematisierbar, würde deutlich, wie allein gelassen sie bleiben."
allerdings. neue leserInnen hier seien auf das themenvertiefende buch von lloyd deMause verwiesen.
*
zum thema im weitesten sinne gehört auch dieses: fragen zu und folgen von leihmutterschaft und reproduktionsmedizin, in einem kurzen, imo recht informativen text zusammengefasst:
"Die Beziehungsaufnahme zwischen Mutter und Kind, das Bonding, das intrauterin beginnt, kann zur extremen Problemerfahrung werden, wenn das Kind nach der Geburt hergegeben werden soll."
in absehbarer zeit möchte ich hier einmal einen basisartikel zum thema "pränatale phase" veröffentlichen - dann werden möglicherweise einige thesen des obigen textes auch besser verständlich sein.
* * *
ansonsten: erinnern Sie sich noch...? ist nur ein paar monate her - und heute findet sich diese meldung irgendwo klein am rand - ob sie es überhaupt in anderen medien über die wahrnehmungsschwelle geschafft hat, ist mir nicht bekannt.
"Auf dem Weg von Mauretanien zu den Kanaren sind am Wochenende 45 Flüchtlinge ertrunken. Zwei mit insgesamt 84 Afrikanern besetzte Fischerboote seien im Atlantik gekentert, berichtete die El País gestern. Gestern drohte erneut ein Flüchtlingsboot mit 40 Passagieren zu kentern."
schlimm? eigentlich eher ein völlig unerträglicher tatbestand - aber schauen Sie sich das folgende an:
"Nach Angaben des Roten Halbmonds kamen in den vergangenen vier Monaten 1.200 bis 1.300 Menschen beim Fluchtversuch auf spanisches Territorium ums Leben."
die älteren leserInnen hier können sich vielleicht folgendes ausmalen: was wäre in diesem land losgewesen, wenn es ähnliche zahlen in einem ähnlichen zeitraum auch nur einmal an der ehemaligen grenze zur ddr gegeben hätte? eben. die von unseren westlichen gesellschaften immer wie ein popanz vor sich hergetragenen bekenntnisse zu "menschenrechten" sind nicht das papier wert, auf denen sie geschrieben werden. unter menschen werden ganz offensichtlich nur bestimmte menschen verstanden - und die sind immer noch reich und weißhäutig.
*
zum schluß noch ein lesetipp bei telepolis: soziale angst heißt das thema, und auch das zugehörige forum ist zu empfehlen - bei tp bekanntlich nicht immer die regel.
trotzdem kann ich einen artikel besonders empfehlen - countdown einer mutter
thematisiert sowohl das kulturelle konstrukt "mutterliebe" als auch die folgen, die gestörte mutter-kind-beziehungen nach sich ziehen - wenn das auch in imo unzureichender form geschieht, ist das immerhin medial mal ein anfang.
"Mutterliebe wird hoch gehängt. Hormone, die bei der Geburt ausgeschüttet werden, machen es den Müttern leicht, sich jahrelang Aufgaben zuzumuten, auf die man sonst lieber verzichtete. "Monatelang keinen erholsamen Schlaf, mindestens 3.000 Mal Windeln wechseln, seinen Körper zur Tränke machen, am Geschrei die Bedürfnisse des Kindes erkennen: Hunger, Langeweile, Angst, Müdigkeit, Schmerz", sagt eine andere Mutter, sie hat eine Dreijährige. Sie liebe ihr Kind trotzdem.
Mutterliebe ist ein idealisiertes Phänomen. "Mutterliebe, man nennt dich des Lebens Höchste! So wird denn jedem, wie schnell er auch stirbt, dennoch sein Höchstes zuteil." Dieses poetische Zitat stammt von Hebbel, 19. Jahrhundert.
Was aber, wenn "Mutterliebe" ihre Doppelbödigkeit offenbart? Was, wenn die Bedürfnisse des Kindes zu einer Zumutung werden? "Jede Mutter hasst ihr Kind irgendwann", sagt eine junge Frau, deren Vierjähriger alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie kommt gerade aus einer Erziehungsberatungsstelle. Ob sie Genaueres erzählen wolle? "Nein."
das scheint mir eine selbstverständlichkeit zu sein, dass sowohl die schwangerschaft an sich als auch die folgenden jahre immer wieder von negativen gefühlen gegenüber dem kind begleitet sein dürften - anderes zu erwarten, wäre schlicht unmenschlich. es kommt aber dabei auf das maß an - situationsbedingte ablehnung vor dem hintergrund einer grundsätzlich liebevollen einstellung ist etwas, mit dem sowohl ein embryo als auch ein kind nicht nur fertigwerden dürfte, sondern vielleicht sogar als "entwicklungshilfe" beim eigenen wachstum benötigt. ganz anders sieht es hingegen bei einer überwiegenden und dauernden ablehnung bis hin zum offenen hass aus - da können solche szenarien entstehen, wie sie hier bis zum überdruß unter dem stichwort infantizid dokumentiert worden sind.
"Warum gibt es heute viele Menschen, die sagen, meine Mutter hat mich nicht geliebt, und kaum Mütter, die sagen, dass es tatsächlich so war? Verständlich wird diese Unsicherheit, wenn das gesellschaftliche Bild der Frau berücksichtigt wird: Mit der Entwicklung hin zur Kleinfamilie ist die Mutter in Deutschland kinderliebend in der Verantwortung, trotz aller Versuche, dies auch auf den Vater zu verteilen. Religiöse, kulturelle und historische Bilder lasten schwer auf ihr.
In der Fachliteratur wird selten von "Mutterliebe" gesprochen, sagt Herma Michelsen. Es sei ein poetischer und mystisch aufgeladener Begriff. Im Vordergrund der Forschung steht die Mutter-Kind-Bindung oder auch Mutter-Kind-Interaktion. Die Ausrichtung der Forschung argumentiert aus der Sicht des Kindes. Ist die Beziehung zur Mutter nicht intakt, ist die Entwicklung des Kindes gefährdet. Seine Schwierigkeiten als Erwachsener führt die Psychologie gern auf emotionale Brüche zwischen ihm und der Mutter zurück."
wobei es eben für letzteres auch einen haufen indizien gibt.
"Wer den Selbstläufer "Mutterliebe" jedoch in Zweifel zieht, lenkt den Blick weg vom Wohl des Kindes hin auf das der Mutter. Auch sie hat eine Geschichte. Mütter, die sich als Kinder selbst ungeliebt fühlten, hätten größere Probleme, ihre Kinder anzunehmen. "Mühelos kann man den Kindern nur das geben, was man selbst bekommen hat. Alles andere muss man sich erarbeiten", bestätigt Herma Michelsen. Frauen, die in Situationen seien wie Bianca Pohl, übernehmen zweifellos die Verantwortung für das Kind. "Die Freude stellt sich aber nur langsam ein."
Die Konsequenzen gestörter Mutter-Kind-Beziehungen sind, so geht aus der psychologischen Forschung hervor, vielschichtig. Sie reichen klassenübergreifend von Depression bis zu Gewalt. Auf beiden Seiten, der des Kindes und der Mutter. Geht es ums Kind, wird bei der Mutter gern die Schuld gesucht, geht es um sie, ist sie selbst schuld."
genau das beschriebene ist ja eben der zentrale und fatale prozeß der ständigen wiederholung/re-inszenierung traumatischer erlebnisse von müttern, die ihre kinder/töchter traumatisieren, die wiederum... ich habe hier schon früher geschrieben, dass die moralische kategorie "schuld" hier unbrauchbar und schädlich ist - verantwortlichkeit passt schon besser, wobei diese gelernt werden muss - und genau die bedingungen nicht nur dafür zu schaffen, sondern auch die notwendigen materiellen sicherungen für mütter und kinder und familien bzw. kinderbetreuende kollektive ist eine gesamtgesellschaftliche aufgabe - und zwar nicht im interesse irgendwelcher "nationaler" oder ökonomischer belange, sondern aus ganz elementaren menschlichen gründen - wozu u.a. gehört, die generationenalte spirale der gewalt endlich an einem ganz entscheidenden punkt stoppen zu können.
"Über die Konsequenz nicht erbrachter gesellschaftlicher Kinder- und Mutterliebe aber spricht niemand. Dies mag erklären, warum der einfache Weg, der Ehrlichkeit in die Mutter-Kind-Problematik brächte, ein Tabu ist. Denn wären die erlebten Defizite der Mütter öffentlich thematisierbar, würde deutlich, wie allein gelassen sie bleiben."
allerdings. neue leserInnen hier seien auf das themenvertiefende buch von lloyd deMause verwiesen.
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zum thema im weitesten sinne gehört auch dieses: fragen zu und folgen von leihmutterschaft und reproduktionsmedizin, in einem kurzen, imo recht informativen text zusammengefasst:
"Die Beziehungsaufnahme zwischen Mutter und Kind, das Bonding, das intrauterin beginnt, kann zur extremen Problemerfahrung werden, wenn das Kind nach der Geburt hergegeben werden soll."
in absehbarer zeit möchte ich hier einmal einen basisartikel zum thema "pränatale phase" veröffentlichen - dann werden möglicherweise einige thesen des obigen textes auch besser verständlich sein.
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ansonsten: erinnern Sie sich noch...? ist nur ein paar monate her - und heute findet sich diese meldung irgendwo klein am rand - ob sie es überhaupt in anderen medien über die wahrnehmungsschwelle geschafft hat, ist mir nicht bekannt.
"Auf dem Weg von Mauretanien zu den Kanaren sind am Wochenende 45 Flüchtlinge ertrunken. Zwei mit insgesamt 84 Afrikanern besetzte Fischerboote seien im Atlantik gekentert, berichtete die El País gestern. Gestern drohte erneut ein Flüchtlingsboot mit 40 Passagieren zu kentern."
schlimm? eigentlich eher ein völlig unerträglicher tatbestand - aber schauen Sie sich das folgende an:
"Nach Angaben des Roten Halbmonds kamen in den vergangenen vier Monaten 1.200 bis 1.300 Menschen beim Fluchtversuch auf spanisches Territorium ums Leben."
die älteren leserInnen hier können sich vielleicht folgendes ausmalen: was wäre in diesem land losgewesen, wenn es ähnliche zahlen in einem ähnlichen zeitraum auch nur einmal an der ehemaligen grenze zur ddr gegeben hätte? eben. die von unseren westlichen gesellschaften immer wie ein popanz vor sich hergetragenen bekenntnisse zu "menschenrechten" sind nicht das papier wert, auf denen sie geschrieben werden. unter menschen werden ganz offensichtlich nur bestimmte menschen verstanden - und die sind immer noch reich und weißhäutig.
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zum schluß noch ein lesetipp bei telepolis: soziale angst heißt das thema, und auch das zugehörige forum ist zu empfehlen - bei tp bekanntlich nicht immer die regel.
monoma - 8. Mär, 22:04