assoziation: "der psychotische kosmos" - metaphern und ihre realität*
"Treblinka - hier endet der polnische Pädagoge Korczak mit seinen Kindern - beginnt als drittes Vernichtungslager im Juli 1942. Erster Lagerkommandant ist Dr. Irmfried Eberl, der den Gashahn schon in Brandenburg und Bernburg betätigt hat. Eberl, der Ende August oder Anfang September wegen Unfähigkeit entlassen wird, schreibt am 30. Juli an seine Frau, in Treblinka habe ein Tempo eingesetzt, `das geradezu atemberaubend ist. Wenn ich vier Teile hätte und der Tag 100 Stunden, dann würde das wahrscheinlich auch noch nicht ganz reichen.´
Sein Nachfolger wird Franz Stangl, unter Christian Wirth Büroorganisator, Ortspolizist und Standesbeamter in Hartheim (...). Als Stangl in Treblinka eintrifft, findet er Hunderte von verwesenden Leichen neben den Bahnschienen und einen Zug mit meist toten, aber auch noch lebenden Juden auf dem Bahnhof. Eberl ist mit dem Töten nicht mehr nachgekommen, sind an einem einzigen Tag doch manchmal bis zu 20.000 Menschen zu töten. Stangl: `Am Abend, so sagten sie, ließ Eberl nackte Jüdinnen auf dem Tisch tanzen. Ekelhaft - es war alles ekelhaft.´ Er, der eine Zeitlang sogar seine Familie nachkommen läßt, ist da `menschlicher´: Stangl läßt in den Gang zu den Gaskammern (`Schlauch´genannt) Kübel aufstellen, weil den Frauen in ihrer Todesangst der Kot abgeht.
In Treblinka frieren im Winter die auf ihre Vergasung wartenden Menschen mit den Füßen am Boden fest, und im Sommer scheint nie die Sonne, weil sie von der Wolke aus dem Krematoriums-Schornstein verdunkelt wird. Stangl (...) pflegt im weißen Reitanzug die ankommenden Transporte hoch zu Roß in Empfang zu nehmen, läßt überall Blumen pflanzen, errichtet einen kleinen Zoo und bringt es fertig, nach der Tötung eines Transportes von fünf- bis sechstausend Menschen seine Mittagspause zu halten. (...)
Die ehemaligen Euthanasie-Helfer zeigen, was sie während ihrer Euthanasie-Tätigkeit an Verrohung erfahren haben. Willi Mentz, der in Grafeneck die Kühe gemolken und die Schweine gehütet und danach in Hadamar die Zentralheizung bedient hat, bekommt in Treblinka den Spitznamen `Frankenstein´. Weil das Erschießen seine typische Tätigkeit ist, wird er auch schlicht der `Schießer´ genannt. Franz Rum dagegen hat in der Berliner Zentrale (der "t4", anmerk. mo) die einlaufenden Meldebögen fotokopiert. Da er die auftretenden Dämpfe nicht vertrug, treibt er nun in Treblinka die Opfer mit der Peitsche in die Gaskammer. August Miete, der in der Grafenecker Landwirtschaft begann und im Hadamarer Krematorium verrohte, spricht Häftlinge ohne jede Erregung an, erklärt ihnen, daß sie zu gut oder zu schlecht aussähen, daß sie zuviel nachdächten oder zu faul seien - und erschießt sie. Er trägt den Spitznamen `Todesengel´ (nach dem Krieg wurde er Geschäftsführer einer Spar- und Darlehensgenossenschaft in Westfalen). Gustav Münzberger (...), ein Handwerker der Anstalt Sonnenstein , entwickelt in Treblinka seine eigene Form von `Humanität´. Im Gerichtsurteil heißt es:
`Er mußte dafür sorgen, daß in größter Eile möglichst viele zur Vergasung bestimmte Männer, Frauen und Kinder, die im Schlauch auf ihren Tod warteten, in die Gaskammern gepreßt wurden, so daß die einzelnen Kammern bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt wurden...
Kinder, die im allgemeinen Gedränge von ihren Müttern getrennt wurden, ließ er durch die Ukrainer über die Köpfe der Erwachsenen hinweg in die Gaskammer werfen, damit diese möglichst rationell ausgenutzt wurden und die Abfertigung so schnell wie möglich ging. (...)
Wenn er auf eine möglichst letzte Ausnutzung der Gaskammern bestanden habe, so sei das auch im Interesse der wartenden Juden geschehen; denn je schneller die Vergasungen erfogt seien, umso kürzer seien die Leiden und Ängste der noch nicht vergasten Juden gewesen. Diese hätten insbesondere während des strengen Frostes im Winter sein Mitleid erregt, da sie nackt und frierend bei mitunter 20 Grad Kälte im Schlauch auf ihre Abfertigung hätten warten müssen. Er habe sich dann besonders eifrig für eine schnelle und rationelle Füllung der Gaskammern eingesetzt, um den nackten Menschen den Aufenthalt in der schneidenden Kälte zu verkürzen.´"
(ernst klee, "`euthanasie´ im ns-staat´; siehe literaturliste, s. 377/378)
*
"Und so blickt die Welt immer wieder fasziniert und entsetzt auf das eine oder andere von Stacheldraht umzäunte Karree, in dem man eine Eisenbahnrampe, zahlreiche säuberlich aneinander gereihte Baracken und ein Krematorium mit großem Schornstein ausmachen kann, man starrt auf dieses seltsame Gebilde und denkt an den seltsamen Zweck, dem diese Anlage gewidmet war. Während man also diese Gesamtskulptur betrachtet und vergeblich mit historischen Kategorien zu entschlüsseln sucht, betreibt man in Wirklichkeit Psychopathologie, die sich hier zwar in historischen Formen manifestiert, letztlichendlich aber nicht in historischen Kategorien auflösen lässt.
Historisch sind zweifellos die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die diese psychopathologische Manifestation ermöglicht haben. Es ist jedoch eine absolut ahistorische, zeitlos ewige psychopathologische Universalie, die hier ein historisches Symptom produziert. Und das mit dem Symptom ist wortwörtlich, buchstäblich gemeint: Ich kann keinen einzigen vernünftigen Grund finden, warum psychisch kranke Personen ihre Krankheit nicht im Medium des gesellschaftlich historischen Geschehens artikulieren und realisieren (materialisieren) sollten, sei´s als Kunstwerk, exakte Wissenschaft, politisches Projekt oder eben als Menschentötungsfabrik. (...)
Das Symptom wird auf der Bühne der Geschichte und mit geschichtlichen Mitteln aufgeführt. Es stimmt einfach nicht, dass der Wahnsinn immer nur am wahnsinnigen Menschen haften bleibt und ausschließlich in den dafür zuständigen Institutionen verwaltet und unter Verschluß gehalten werden könnte. Das ist allenfalls eine beruhigende Mystifikation. Die große und weltmächtige Seite des Wahnsinns wird weitgehend ignoriert, man tut so, als gäbe es diese Seite nicht, man will nichts davon wissen und nichts damit zu tun haben. Man hält dem Wahnsinn sozusagen die gesellschaftliche Bühne frei, bis zum nächsten Auftritt."
(j. e. mertz, "borderline..." literaturliste, s.201/202)
*mit dem "psychotischen kosmos" wird in der literatur zur shoa an einigen stellen das geschehen in den bzw. das ganze system der deutschen kz bezeichnet.
ich bin übrigens der meinung, dass die nazis bestimmte macht- und herrschaftsstrukturen mitsamt ihren pathologischen grundlagen nur besonders deutlich und kenntlich realisiert haben - ihre eigentlichen erschaffer jedoch waren sie nicht (bis auf die besondere eigenart der industriellen massenvernichtung - aber auch die hat imo eine basis, die nicht erst auf einmal mit den nazis in der welt war. und die auch nicht nach der militärischen zerschlagung des ns verschwunden ist).
Sein Nachfolger wird Franz Stangl, unter Christian Wirth Büroorganisator, Ortspolizist und Standesbeamter in Hartheim (...). Als Stangl in Treblinka eintrifft, findet er Hunderte von verwesenden Leichen neben den Bahnschienen und einen Zug mit meist toten, aber auch noch lebenden Juden auf dem Bahnhof. Eberl ist mit dem Töten nicht mehr nachgekommen, sind an einem einzigen Tag doch manchmal bis zu 20.000 Menschen zu töten. Stangl: `Am Abend, so sagten sie, ließ Eberl nackte Jüdinnen auf dem Tisch tanzen. Ekelhaft - es war alles ekelhaft.´ Er, der eine Zeitlang sogar seine Familie nachkommen läßt, ist da `menschlicher´: Stangl läßt in den Gang zu den Gaskammern (`Schlauch´genannt) Kübel aufstellen, weil den Frauen in ihrer Todesangst der Kot abgeht.
In Treblinka frieren im Winter die auf ihre Vergasung wartenden Menschen mit den Füßen am Boden fest, und im Sommer scheint nie die Sonne, weil sie von der Wolke aus dem Krematoriums-Schornstein verdunkelt wird. Stangl (...) pflegt im weißen Reitanzug die ankommenden Transporte hoch zu Roß in Empfang zu nehmen, läßt überall Blumen pflanzen, errichtet einen kleinen Zoo und bringt es fertig, nach der Tötung eines Transportes von fünf- bis sechstausend Menschen seine Mittagspause zu halten. (...)
Die ehemaligen Euthanasie-Helfer zeigen, was sie während ihrer Euthanasie-Tätigkeit an Verrohung erfahren haben. Willi Mentz, der in Grafeneck die Kühe gemolken und die Schweine gehütet und danach in Hadamar die Zentralheizung bedient hat, bekommt in Treblinka den Spitznamen `Frankenstein´. Weil das Erschießen seine typische Tätigkeit ist, wird er auch schlicht der `Schießer´ genannt. Franz Rum dagegen hat in der Berliner Zentrale (der "t4", anmerk. mo) die einlaufenden Meldebögen fotokopiert. Da er die auftretenden Dämpfe nicht vertrug, treibt er nun in Treblinka die Opfer mit der Peitsche in die Gaskammer. August Miete, der in der Grafenecker Landwirtschaft begann und im Hadamarer Krematorium verrohte, spricht Häftlinge ohne jede Erregung an, erklärt ihnen, daß sie zu gut oder zu schlecht aussähen, daß sie zuviel nachdächten oder zu faul seien - und erschießt sie. Er trägt den Spitznamen `Todesengel´ (nach dem Krieg wurde er Geschäftsführer einer Spar- und Darlehensgenossenschaft in Westfalen). Gustav Münzberger (...), ein Handwerker der Anstalt Sonnenstein , entwickelt in Treblinka seine eigene Form von `Humanität´. Im Gerichtsurteil heißt es:
`Er mußte dafür sorgen, daß in größter Eile möglichst viele zur Vergasung bestimmte Männer, Frauen und Kinder, die im Schlauch auf ihren Tod warteten, in die Gaskammern gepreßt wurden, so daß die einzelnen Kammern bis zum letzten Quadratzentimeter ausgenutzt wurden...
Kinder, die im allgemeinen Gedränge von ihren Müttern getrennt wurden, ließ er durch die Ukrainer über die Köpfe der Erwachsenen hinweg in die Gaskammer werfen, damit diese möglichst rationell ausgenutzt wurden und die Abfertigung so schnell wie möglich ging. (...)
Wenn er auf eine möglichst letzte Ausnutzung der Gaskammern bestanden habe, so sei das auch im Interesse der wartenden Juden geschehen; denn je schneller die Vergasungen erfogt seien, umso kürzer seien die Leiden und Ängste der noch nicht vergasten Juden gewesen. Diese hätten insbesondere während des strengen Frostes im Winter sein Mitleid erregt, da sie nackt und frierend bei mitunter 20 Grad Kälte im Schlauch auf ihre Abfertigung hätten warten müssen. Er habe sich dann besonders eifrig für eine schnelle und rationelle Füllung der Gaskammern eingesetzt, um den nackten Menschen den Aufenthalt in der schneidenden Kälte zu verkürzen.´"
(ernst klee, "`euthanasie´ im ns-staat´; siehe literaturliste, s. 377/378)
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"Und so blickt die Welt immer wieder fasziniert und entsetzt auf das eine oder andere von Stacheldraht umzäunte Karree, in dem man eine Eisenbahnrampe, zahlreiche säuberlich aneinander gereihte Baracken und ein Krematorium mit großem Schornstein ausmachen kann, man starrt auf dieses seltsame Gebilde und denkt an den seltsamen Zweck, dem diese Anlage gewidmet war. Während man also diese Gesamtskulptur betrachtet und vergeblich mit historischen Kategorien zu entschlüsseln sucht, betreibt man in Wirklichkeit Psychopathologie, die sich hier zwar in historischen Formen manifestiert, letztlichendlich aber nicht in historischen Kategorien auflösen lässt.
Historisch sind zweifellos die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die diese psychopathologische Manifestation ermöglicht haben. Es ist jedoch eine absolut ahistorische, zeitlos ewige psychopathologische Universalie, die hier ein historisches Symptom produziert. Und das mit dem Symptom ist wortwörtlich, buchstäblich gemeint: Ich kann keinen einzigen vernünftigen Grund finden, warum psychisch kranke Personen ihre Krankheit nicht im Medium des gesellschaftlich historischen Geschehens artikulieren und realisieren (materialisieren) sollten, sei´s als Kunstwerk, exakte Wissenschaft, politisches Projekt oder eben als Menschentötungsfabrik. (...)
Das Symptom wird auf der Bühne der Geschichte und mit geschichtlichen Mitteln aufgeführt. Es stimmt einfach nicht, dass der Wahnsinn immer nur am wahnsinnigen Menschen haften bleibt und ausschließlich in den dafür zuständigen Institutionen verwaltet und unter Verschluß gehalten werden könnte. Das ist allenfalls eine beruhigende Mystifikation. Die große und weltmächtige Seite des Wahnsinns wird weitgehend ignoriert, man tut so, als gäbe es diese Seite nicht, man will nichts davon wissen und nichts damit zu tun haben. Man hält dem Wahnsinn sozusagen die gesellschaftliche Bühne frei, bis zum nächsten Auftritt."
(j. e. mertz, "borderline..." literaturliste, s.201/202)
*mit dem "psychotischen kosmos" wird in der literatur zur shoa an einigen stellen das geschehen in den bzw. das ganze system der deutschen kz bezeichnet.
ich bin übrigens der meinung, dass die nazis bestimmte macht- und herrschaftsstrukturen mitsamt ihren pathologischen grundlagen nur besonders deutlich und kenntlich realisiert haben - ihre eigentlichen erschaffer jedoch waren sie nicht (bis auf die besondere eigenart der industriellen massenvernichtung - aber auch die hat imo eine basis, die nicht erst auf einmal mit den nazis in der welt war. und die auch nicht nach der militärischen zerschlagung des ns verschwunden ist).
monoma - 18. Mär, 14:44