notiz: zu wenig zeit zum - zeitunglesen
und wenn´s nur das wäre...ab mitte der woche wird sich das glücklicherweise wieder ändern, und dann plane ich hier - aber dazu später mehr.
"zeitung", bzw. diverse online-versionen verschiedener blätter, sind aber das angemessene stichwort - natürlich gehen mir nicht nur viele interessante artikel und news und durch die lappen, weil ein einigermaßen repräsentativer überblick zu einem oder mehreren themenbereichen eigentlich nur in einem entsprechenden beruflichen kontext möglich ist ( so jedenfalls meine eigene erfahrung), sondern selbst dann, wenn ich im kontext dieses blog immer wieder mal gezielter recherchiere, ist es meistens rein vom umfang her unmöglich, alles anfallende so zu behandeln, wie ich es mir eigentlich wünschen würde. ein teil kann ich hier durchaus bearbeiten (einige beispiele dafür finden sich z.b. in den beiträgen der letzten zwei wochen), aber andere - und imo ebenso interessante und wichtige informationen - bleiben schlicht und einfach liegen. was mich ebenso schlicht und einfach stört und unzufrieden macht, aber es wird mir wohl vorläufig nichts anderes übrigbleiben, als dem sich darin manifestierenden hang zum perfektionismus mal wieder den kampf anzusagen.und am besten fange ich auf der stelle damit an, denn es stört mich auch, wenn artikel (aus meiner sicht) wichtige themen aufgreifen und zu (aus meiner sicht) falschen oder sogar verheerenden schlüssen kommen. und trotzdem bzw. gerade deswegen möchte ich Ihnen die folgenden fundstücke nicht vorenthalten, wobei ich sehr wahrscheinlich bei gelegenheit die dort angesprochenen themen nochmals aufgreifen werde.
*
die pläne der französischen regierung zum sehr frühen screening von vermeintlichen oder tatsächlichen antisozialen persönlichkeiten wurden hier neulich schon mal vorgestellt. heute hat nun die faz dieses vorhaben mit einem seltsam ambivalenten grundtenor aufgegriffen: der artikel "Aggressive Embryos" wendet sich einerseits mehr oder weniger deutlich gegen die französischen pläne -
(...)"Ausdrücklich genannt wird dabei eine Studie des Institut national de la santé et de la recherche medicale (Inserm) aus dem letzten Herbst, bei deren Lektüre es einem kalt über den Rücken läuft. Ihr Titel lautet „Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen” und ist auf der Internetseite des Instituts abrufbar. Es geht darum, wie bereits im frühkindlichen Alter bis zu drei Jahren oder gar schon vorgeburtlich bei einem Embryo latente Gewaltbereitschaft diagnostiziert werden kann.
Risikofälle schon vom embryonalen Stadium an verfolgen
In eisigem Wissenschaftsjargon wird dort beschrieben, wie in diesem Frühstadium bei Mäusen und Ratten im Labor aggressive Veranlagungen festgestellt werden konnten. Der Bericht unterscheidet zwischen eigentlicher „Verhaltensstörung” (trouble des conduites) und „Störung aus Auflehnung” (trouble oppositionnel): Das sei zwar nicht ganz dasselbe, gehe aber oft zusammen, heißt es beim Inserm. Die Experten wollen sich aber nicht mit bloßen Forschungsergebnissen begnügen. Sie empfehlen in ihrer Studie, schon vom embryonalen Stadium an in besonderen Risikofällen - sehr junge Mütter, Eltern aus dem Drogenmilieu, kriminelle oder psychiatrische Vorbelastungen in der Familie - die Entwicklung eines Embryos oder eines Kleinkindes klinisch und psychologisch genau zu verfolgen.(...)"
um dann am ende mit dem evergreen vom (psychoanalytisch untermauerten) biest in uns allen aufzuwarten:
(...)"Diese Obsession für Normverhalten und Sicherheit, die nicht mehr mit Subjekten, sondern nur noch mit Bevölkerungssektoren rechne, sei jedoch sehr demokratisch, sagt der Psychoanalytiker Gerard Wajcman. In jedem von uns schlummere ein Biest, jeder sei potentiell gewalttätig, also gehe auch am besten jeder mit einem ständig aktualisierten klinischen Führungszeugnis durchs Leben.(...)"
das meint der analytiker womöglich kritisch - ohne sich jedoch offensichtlich darüber im klaren zu sein oder es zugeben zu wollen, dass gerade die orthodoxe pa dieses bild von der "bestie", dem "tier" im menschen (psychoanalytisch als es bezeichnet) ordentlich gefördert und in einem gewissen sinn in den heute vorliegenden bildern davon auch erst konstruiert hat.
ich hatte es ja schon im ersten beitrag zum thema anklingen lassen, dass ich aus gründen, die hier im blog inzwischen zur genüge nachzulesen sind, dem grundgedanken einer frühen erkennung und auch prävention von schwerwiegenden beziehungskrankheiten nicht total verschlossen gegenüberstehe. ich möchte jedoch jede assoziation in richtung eugenik bzw. dem, was einmal auch psychiatrisch unter "rassenhygiene" verstanden worden ist, zurückweisen - mir geht es um die hier zur genüge dokumentierten fatalen individuellen und kollektiven folgen dieser beziehungskrankheiten, deren ursprung sich für mich hauptsächlich in den heutigen sozialen und teils unerträglichen bedingungen unseres lebens verorten lässt. das heißt dann auch, dass die erwähnte prävention für mich auch sachlich nur sinn macht, wenn gleichzeitig diese bedingungen zur disposition gestellt werden. von daher sage ich zu den ideen aus frankreich: eine im grunde richtungsweisende idee wird von den falschen leuten mit falschen begründungen zur falschen zeit in einem falschen kontext und mit zielsetzungen vertreten, die einer befreienden gesamtgesellschaftlichen wirkung konträr entgegenstehen. hier geht es um soziale selektion in einer kapitalistischen gesellschaft. und das ist nichts, was irgendjemand mit einem minimum an sozialer empathie unterstützen kann.
*
in der printausgabe der faz findet sich unter dem obigen artikel ein anderer, der - ohne das das weiter thematisiert wird - vielfältige inhaltliche berührungspunkte mit dem beitrag über frankreich aufweist. "Ungeborene Verbrecher" behandelt eine seit längerer zeit in den usa laufende diskussion darüber, ob es einen nachweislichen zusammenhang zwischen der legalisierung der abtreibung und dem rückgang der offiziellen kriminalitätsrate gibt:
(...)"Wesentliche Ursache für den Rückgang der Straftaten um rund dreißig Prozent und den Rückgang der Morde um sogar rund vierzig Prozent sei die Tatsache, daß der Oberste Gerichtshof 1973 ein Recht auf Abtreibung anerkannt habe. „Dies dürfte zur Verminderung der Gesamtkriminalität beigetragen haben”, legten die beiden Professoren in ihrem Aufsatz „The Impact of Legalized Abortion on Crime” dar, der im „Quarterly Journal of Economics” erschien. Rund 30 Milliarden Dollar im Jahr ließen sich dadurch einsparen.
Heikle ethnische Implikation
Wären unter den Menschen, die dank liberalem Abtreibungsrecht nicht geboren werden, überproportional viele geborene Verbrecher? Donohue und Levitt stützen sich auf Befunde, nach denen zum großen Teil Kinder abgetrieben werden, die sonst in instabilen und finanziell schlecht abgesicherten Familien aufwachsen würden - und damit in einem gesellschaftlichen Umfeld, das eng mit der Entwicklung kriminellen Verhaltens verbunden sei.
Heikel ist diese These unter anderem wegen ihrer ethnischen Implikationen: Denn sowohl der Anteil der verurteilten Straftäter als auch der Anteil von Frauen, die abtreiben lassen, ist unter Schwarzen besonders hoch. Wenn sich Levitts und Donohues Ansicht von der kriminalitätssenkenden Wirkung der Schwangerschaftsabbrüche durchsetze, würden sich noch mehr schwarze, sozial schwache Frauen für Abtreibungen entscheiden, mahnte damals zum Beispiel eine christliche Vereinigung.(...)"
diese auseinandersetzung möchte ich in zukunft auf jeden fall nochmals aufgreifen - stichwort pränatales geschehen. für den moment nur soviel: als ich davon das erstemal gehört habe, erschien mir das augenblicklich einleuchtend - es existieren aus mehreren europäischen staaten langzeitstudien zum schicksal sog. ungewollter kinder, wobei das wort "ungewollt" sehr oft auch als synonym für ungeliebt zu lesen ist. ist es so überraschend zu erfahren, dass die betreffenden studien mehr oder weniger alle die gleichen ergebnisse dokumentieren? das nämlich diese kinder teils bereits sehr früh nach den aktuellen gesellschaftlichen kriterien in verschiedenster hinsicht auffällig oder das werden, was justiziell als "kriminell" bezeichnet wird? ich würde schon sagen, dass etliche dieser eigentlich als zutiefst unglücklich zu begreifenden menschen diese empathische wahrnehmung durch ihr teils krasses antisoziales verhalten stark relativieren. das sollte aber nicht die frage nach der letztlichen verantwortlichkeit vom tisch wischen, deren möglichst korrekte beantwortung in meinen augen ungeheuer wichtig ist. purer sprengstoff, weil es hier letztlich um existenzielle fragen im kontext mütterbilder - vorstellungen von kindheit - mutter-kindverhältnisse und deren soziale einbindung geht. die abtreibungsfrage ist davon nur ein teil, allerdings bereits für sich auch schon so brisant, dass jede äusserung egal welcher richtung dazu sofort ordentlich polarisiert. ich glaube allerdings, dass ein sich verbreitendes wissen um die existenzielle wichtigkeit der pränatalen phase für das menschliche leben einiges davon aufheben kann. ein projekt für die nahe zukunft hier im blog.
*
ebenso wie eine ausführliche beschäftigung mit dem begriff trauma, und spezieller mit der geschichte und den politisch-sozialen implikationen der diagnose posttraumatische belastungsstörung. dieses diagnostische modell wie auch der traumabegriff spielen hier im blog immer wieder eine starke und meist untergründige rolle, ohne dass sie bisher direkt angesprochen worden wären - wobei gerade die geschichte der ptbs-diagnose eine deutlich politische ist, und leider auch und gerade von der "linken" mehrheitlich völlig in ihren konsequenzen unterschätzt wird. auch das ein zukunftsprojekt hier, wobei ich für eine frühere diskussion an anderen orten etliches material sozusagen fertig vorrätig habe, bisher aber noch nicht zu einer nötigen überarbeitung gekommen bin. für den moment möchte ich nur auf einen teilberich des themas hinweisen, dessen dimensionen allerdings schon wieder beachtlich sind - kriegstraumata, migration und asylgesetzgebung - und ein beleg dafür, dass sich nicht alle heutigen angehörigen der psychiatrischen medizin der unheilvollen tradition ihrer disziplin zurechnen lassen - ein artikel im "deutschen ärzteblatt" thematisiert ein ekelhaftes gerichtsurteil - gegen einen psychiater (gefunden übrigens beim stöbern im blog von che):
"Ein Berliner Arzt wurde verurteilt, weil er Flüchtlingen ohne angemessene Untersuchung Kriegstraumata attestiert haben soll. Die Verteidigung sieht den Prozess politisch motiviert.
(...)
Zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilte der Richter den Arzt Dr. B., wenn auch zur Bewährung. Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau, die auch Ärztin ist, sprach er frei.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Berliner Psychiater in den Neunzigerjahren bei etlichen Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne ausreichende Untersuchungen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) attestiert hat. Diese Zeugnisse dienten den Migranten zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Bei Frau B. konnte das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, ob sich die Allgemeinärztin ebenfalls eines Vergehens schuldig gemacht hat.(..)"
wer von Ihnen auch nur ein bisschen über traumata im kriegskontext, staatlichen rassismus sowie die gnadenlose asylpolitik des deutschen staates informiert ist, kann sich zu diesem urteil selbst einen reim machen. ich werde dieses spezielle thema im zukünftigen schwerpunkt "trauma/ptbs" nochmal genauer beleuchten.
*
da ich hier wieder mal am ankündigen bin (ist manchmal ja auch schon schiefgegangen, aber an dieser stelle kann ich mich dann auch andlich mal bei meinen leserInnen für Ihre geduld bedanken): ich hoffe, bis zum ende der woche hier den basisbeitrag zum thema "als-ob"-persönlichkeiten online gestellt zu haben. und ich kann Ihnen ein thema versprechen, was Ihnen vermutlich genauso viel zu knabbern geben wird wie mir.
edit am 14.04: der mensch denkt...und alles mögliche kommt dazwischen, so z.b. gerade eine schwerere erkältung, die mir die lust am schreiben gründlich vermiest. ein großteil des beitrags ist bereits fertig, aber er schlägt sozusagen nach allen seiten hin aus, und ich habe immer wieder schwierigkeiten, ihn einzufangen. und nun schluß mit der metaphernreiterei. wenn alles klappt, sollte er am nächsten wochenende erscheinen.
"zeitung", bzw. diverse online-versionen verschiedener blätter, sind aber das angemessene stichwort - natürlich gehen mir nicht nur viele interessante artikel und news und durch die lappen, weil ein einigermaßen repräsentativer überblick zu einem oder mehreren themenbereichen eigentlich nur in einem entsprechenden beruflichen kontext möglich ist ( so jedenfalls meine eigene erfahrung), sondern selbst dann, wenn ich im kontext dieses blog immer wieder mal gezielter recherchiere, ist es meistens rein vom umfang her unmöglich, alles anfallende so zu behandeln, wie ich es mir eigentlich wünschen würde. ein teil kann ich hier durchaus bearbeiten (einige beispiele dafür finden sich z.b. in den beiträgen der letzten zwei wochen), aber andere - und imo ebenso interessante und wichtige informationen - bleiben schlicht und einfach liegen. was mich ebenso schlicht und einfach stört und unzufrieden macht, aber es wird mir wohl vorläufig nichts anderes übrigbleiben, als dem sich darin manifestierenden hang zum perfektionismus mal wieder den kampf anzusagen.und am besten fange ich auf der stelle damit an, denn es stört mich auch, wenn artikel (aus meiner sicht) wichtige themen aufgreifen und zu (aus meiner sicht) falschen oder sogar verheerenden schlüssen kommen. und trotzdem bzw. gerade deswegen möchte ich Ihnen die folgenden fundstücke nicht vorenthalten, wobei ich sehr wahrscheinlich bei gelegenheit die dort angesprochenen themen nochmals aufgreifen werde.
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die pläne der französischen regierung zum sehr frühen screening von vermeintlichen oder tatsächlichen antisozialen persönlichkeiten wurden hier neulich schon mal vorgestellt. heute hat nun die faz dieses vorhaben mit einem seltsam ambivalenten grundtenor aufgegriffen: der artikel "Aggressive Embryos" wendet sich einerseits mehr oder weniger deutlich gegen die französischen pläne -
(...)"Ausdrücklich genannt wird dabei eine Studie des Institut national de la santé et de la recherche medicale (Inserm) aus dem letzten Herbst, bei deren Lektüre es einem kalt über den Rücken läuft. Ihr Titel lautet „Verhaltensstörung bei Kindern und Jugendlichen” und ist auf der Internetseite des Instituts abrufbar. Es geht darum, wie bereits im frühkindlichen Alter bis zu drei Jahren oder gar schon vorgeburtlich bei einem Embryo latente Gewaltbereitschaft diagnostiziert werden kann.
Risikofälle schon vom embryonalen Stadium an verfolgen
In eisigem Wissenschaftsjargon wird dort beschrieben, wie in diesem Frühstadium bei Mäusen und Ratten im Labor aggressive Veranlagungen festgestellt werden konnten. Der Bericht unterscheidet zwischen eigentlicher „Verhaltensstörung” (trouble des conduites) und „Störung aus Auflehnung” (trouble oppositionnel): Das sei zwar nicht ganz dasselbe, gehe aber oft zusammen, heißt es beim Inserm. Die Experten wollen sich aber nicht mit bloßen Forschungsergebnissen begnügen. Sie empfehlen in ihrer Studie, schon vom embryonalen Stadium an in besonderen Risikofällen - sehr junge Mütter, Eltern aus dem Drogenmilieu, kriminelle oder psychiatrische Vorbelastungen in der Familie - die Entwicklung eines Embryos oder eines Kleinkindes klinisch und psychologisch genau zu verfolgen.(...)"
um dann am ende mit dem evergreen vom (psychoanalytisch untermauerten) biest in uns allen aufzuwarten:
(...)"Diese Obsession für Normverhalten und Sicherheit, die nicht mehr mit Subjekten, sondern nur noch mit Bevölkerungssektoren rechne, sei jedoch sehr demokratisch, sagt der Psychoanalytiker Gerard Wajcman. In jedem von uns schlummere ein Biest, jeder sei potentiell gewalttätig, also gehe auch am besten jeder mit einem ständig aktualisierten klinischen Führungszeugnis durchs Leben.(...)"
das meint der analytiker womöglich kritisch - ohne sich jedoch offensichtlich darüber im klaren zu sein oder es zugeben zu wollen, dass gerade die orthodoxe pa dieses bild von der "bestie", dem "tier" im menschen (psychoanalytisch als es bezeichnet) ordentlich gefördert und in einem gewissen sinn in den heute vorliegenden bildern davon auch erst konstruiert hat.
ich hatte es ja schon im ersten beitrag zum thema anklingen lassen, dass ich aus gründen, die hier im blog inzwischen zur genüge nachzulesen sind, dem grundgedanken einer frühen erkennung und auch prävention von schwerwiegenden beziehungskrankheiten nicht total verschlossen gegenüberstehe. ich möchte jedoch jede assoziation in richtung eugenik bzw. dem, was einmal auch psychiatrisch unter "rassenhygiene" verstanden worden ist, zurückweisen - mir geht es um die hier zur genüge dokumentierten fatalen individuellen und kollektiven folgen dieser beziehungskrankheiten, deren ursprung sich für mich hauptsächlich in den heutigen sozialen und teils unerträglichen bedingungen unseres lebens verorten lässt. das heißt dann auch, dass die erwähnte prävention für mich auch sachlich nur sinn macht, wenn gleichzeitig diese bedingungen zur disposition gestellt werden. von daher sage ich zu den ideen aus frankreich: eine im grunde richtungsweisende idee wird von den falschen leuten mit falschen begründungen zur falschen zeit in einem falschen kontext und mit zielsetzungen vertreten, die einer befreienden gesamtgesellschaftlichen wirkung konträr entgegenstehen. hier geht es um soziale selektion in einer kapitalistischen gesellschaft. und das ist nichts, was irgendjemand mit einem minimum an sozialer empathie unterstützen kann.
*
in der printausgabe der faz findet sich unter dem obigen artikel ein anderer, der - ohne das das weiter thematisiert wird - vielfältige inhaltliche berührungspunkte mit dem beitrag über frankreich aufweist. "Ungeborene Verbrecher" behandelt eine seit längerer zeit in den usa laufende diskussion darüber, ob es einen nachweislichen zusammenhang zwischen der legalisierung der abtreibung und dem rückgang der offiziellen kriminalitätsrate gibt:
(...)"Wesentliche Ursache für den Rückgang der Straftaten um rund dreißig Prozent und den Rückgang der Morde um sogar rund vierzig Prozent sei die Tatsache, daß der Oberste Gerichtshof 1973 ein Recht auf Abtreibung anerkannt habe. „Dies dürfte zur Verminderung der Gesamtkriminalität beigetragen haben”, legten die beiden Professoren in ihrem Aufsatz „The Impact of Legalized Abortion on Crime” dar, der im „Quarterly Journal of Economics” erschien. Rund 30 Milliarden Dollar im Jahr ließen sich dadurch einsparen.
Heikle ethnische Implikation
Wären unter den Menschen, die dank liberalem Abtreibungsrecht nicht geboren werden, überproportional viele geborene Verbrecher? Donohue und Levitt stützen sich auf Befunde, nach denen zum großen Teil Kinder abgetrieben werden, die sonst in instabilen und finanziell schlecht abgesicherten Familien aufwachsen würden - und damit in einem gesellschaftlichen Umfeld, das eng mit der Entwicklung kriminellen Verhaltens verbunden sei.
Heikel ist diese These unter anderem wegen ihrer ethnischen Implikationen: Denn sowohl der Anteil der verurteilten Straftäter als auch der Anteil von Frauen, die abtreiben lassen, ist unter Schwarzen besonders hoch. Wenn sich Levitts und Donohues Ansicht von der kriminalitätssenkenden Wirkung der Schwangerschaftsabbrüche durchsetze, würden sich noch mehr schwarze, sozial schwache Frauen für Abtreibungen entscheiden, mahnte damals zum Beispiel eine christliche Vereinigung.(...)"
diese auseinandersetzung möchte ich in zukunft auf jeden fall nochmals aufgreifen - stichwort pränatales geschehen. für den moment nur soviel: als ich davon das erstemal gehört habe, erschien mir das augenblicklich einleuchtend - es existieren aus mehreren europäischen staaten langzeitstudien zum schicksal sog. ungewollter kinder, wobei das wort "ungewollt" sehr oft auch als synonym für ungeliebt zu lesen ist. ist es so überraschend zu erfahren, dass die betreffenden studien mehr oder weniger alle die gleichen ergebnisse dokumentieren? das nämlich diese kinder teils bereits sehr früh nach den aktuellen gesellschaftlichen kriterien in verschiedenster hinsicht auffällig oder das werden, was justiziell als "kriminell" bezeichnet wird? ich würde schon sagen, dass etliche dieser eigentlich als zutiefst unglücklich zu begreifenden menschen diese empathische wahrnehmung durch ihr teils krasses antisoziales verhalten stark relativieren. das sollte aber nicht die frage nach der letztlichen verantwortlichkeit vom tisch wischen, deren möglichst korrekte beantwortung in meinen augen ungeheuer wichtig ist. purer sprengstoff, weil es hier letztlich um existenzielle fragen im kontext mütterbilder - vorstellungen von kindheit - mutter-kindverhältnisse und deren soziale einbindung geht. die abtreibungsfrage ist davon nur ein teil, allerdings bereits für sich auch schon so brisant, dass jede äusserung egal welcher richtung dazu sofort ordentlich polarisiert. ich glaube allerdings, dass ein sich verbreitendes wissen um die existenzielle wichtigkeit der pränatalen phase für das menschliche leben einiges davon aufheben kann. ein projekt für die nahe zukunft hier im blog.
*
ebenso wie eine ausführliche beschäftigung mit dem begriff trauma, und spezieller mit der geschichte und den politisch-sozialen implikationen der diagnose posttraumatische belastungsstörung. dieses diagnostische modell wie auch der traumabegriff spielen hier im blog immer wieder eine starke und meist untergründige rolle, ohne dass sie bisher direkt angesprochen worden wären - wobei gerade die geschichte der ptbs-diagnose eine deutlich politische ist, und leider auch und gerade von der "linken" mehrheitlich völlig in ihren konsequenzen unterschätzt wird. auch das ein zukunftsprojekt hier, wobei ich für eine frühere diskussion an anderen orten etliches material sozusagen fertig vorrätig habe, bisher aber noch nicht zu einer nötigen überarbeitung gekommen bin. für den moment möchte ich nur auf einen teilberich des themas hinweisen, dessen dimensionen allerdings schon wieder beachtlich sind - kriegstraumata, migration und asylgesetzgebung - und ein beleg dafür, dass sich nicht alle heutigen angehörigen der psychiatrischen medizin der unheilvollen tradition ihrer disziplin zurechnen lassen - ein artikel im "deutschen ärzteblatt" thematisiert ein ekelhaftes gerichtsurteil - gegen einen psychiater (gefunden übrigens beim stöbern im blog von che):
"Ein Berliner Arzt wurde verurteilt, weil er Flüchtlingen ohne angemessene Untersuchung Kriegstraumata attestiert haben soll. Die Verteidigung sieht den Prozess politisch motiviert.
(...)
Zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilte der Richter den Arzt Dr. B., wenn auch zur Bewährung. Seine ebenfalls angeklagte Ehefrau, die auch Ärztin ist, sprach er frei.
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Berliner Psychiater in den Neunzigerjahren bei etlichen Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne ausreichende Untersuchungen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) attestiert hat. Diese Zeugnisse dienten den Migranten zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Bei Frau B. konnte das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, ob sich die Allgemeinärztin ebenfalls eines Vergehens schuldig gemacht hat.(..)"
wer von Ihnen auch nur ein bisschen über traumata im kriegskontext, staatlichen rassismus sowie die gnadenlose asylpolitik des deutschen staates informiert ist, kann sich zu diesem urteil selbst einen reim machen. ich werde dieses spezielle thema im zukünftigen schwerpunkt "trauma/ptbs" nochmal genauer beleuchten.
*
da ich hier wieder mal am ankündigen bin (ist manchmal ja auch schon schiefgegangen, aber an dieser stelle kann ich mich dann auch andlich mal bei meinen leserInnen für Ihre geduld bedanken): ich hoffe, bis zum ende der woche hier den basisbeitrag zum thema "als-ob"-persönlichkeiten online gestellt zu haben. und ich kann Ihnen ein thema versprechen, was Ihnen vermutlich genauso viel zu knabbern geben wird wie mir.
edit am 14.04: der mensch denkt...und alles mögliche kommt dazwischen, so z.b. gerade eine schwerere erkältung, die mir die lust am schreiben gründlich vermiest. ein großteil des beitrags ist bereits fertig, aber er schlägt sozusagen nach allen seiten hin aus, und ich habe immer wieder schwierigkeiten, ihn einzufangen. und nun schluß mit der metaphernreiterei. wenn alles klappt, sollte er am nächsten wochenende erscheinen.
monoma - 10. Apr, 23:36
Gute Besserung!
:-)
danke...
ps.: zwei wochen im bett? klingt mir eher nach ner echten grippe.