Faroer (Gast) - 8. Aug, 23:24

Die heulende Familie

Ein paar Kleinigkeiten mögen hier von mir angemerkt werden:

Marx war eben kein Ökonom - seine Werttheorie war ein Vorschlag gegen die herrschenden Geldalchemievorstellungen - sondern er war Philosph. Seine Hauptfrage war die Entfremdung, dieses "Irr da oben, wirr da unten". Da er nun auch über Ökonomie einiges wusste, meinte er, dass die Heilige Familie was ganz unheiliges sei, ein Zweckverband unter ökonomischen Zwängen.
Zum hier und heute: Sarkastisch ausgedrückt ist es für eine Frau ökonomisch machbar, dass,vor die Wahl gestellt, sich freitäglich prügeln zu lassen und zu wenig Geld zum Leben vom Göttergatten zu kriegen oder selbst zu arbeiten und mit gleich wenig Geld auszukommen und auf die Prügel zu verzichten ja klar, wofür Frau sich entscheidet. Ok, ok, etwas Mottenkistenbilderwelt aber in der Tendenz ja wohl erkennbar: Die gigantische (ein anderes Diminutiv fällt mir bei bestem Willen nicht ein) Produktivitätssteigerung HAT zur Folge, dass "Leben" (==Lebensunterhalt) billiger geworden ist. Das heisst: Die "Familie" als ökonomischer (!) Zwangsverband wird obsolet. Ich weiss dass diese Vorstellung unvorstellbar erscheint und viele Familienvorstellungen im Kern, nämlich der Existenzberechtigun dieser Vorstellungen, trifft (Ein kleiner Hinweis darauf, dass Familie ja nicht mehr so wichtig sein kann, sind diverse Erbschaftssteuervorstellungen und -Diskussionen).
Jedenfalls sind wir in der idiotischen Lage - nicht erst seit gestern - dass der immense Reichtum, den wir produzieren, nur Mangelvorstellungen generiert und kein Bewusstsein über die von uns geschaffen Reichtümer vorherrscht. Entfremdung eben.

Faroer

monoma - 9. Aug, 13:11

ein wichtiger aspekt...

...den du da ansprichst. tatsächlich hat die durchkapitalisierung auch mit ein paar herrschaftsrelikten der letzten jahrhunderte schluß gemacht bzw. doch einige - materielle - bedingungen dafür geschaffen (und ich vermute, darauf beziehen sich im weitesten sinne auch die sog. antideutschen bei ihrer neuentdeckten liebe für kapital und bürgerlich-kapitalistischen staat).

allerdings ist auch zu fragen, was die konsequenzen dieser imo nicht beabsichtigten - hm, modernisierung sind? den klassisch patriarchalen familienverband hat sie zwar weitgehend zu einem auslaufmodell gemacht, aber erstens sind die folgen dessen jahrhundertelanger gewalttätiger präsens noch lange nicht abgearbeitet, und zweitens hat er eine art von pseudostabilität geliefert (in dieser funktion imo zu vergleichen etwa mit einigen "realsozialistischen" diktaturen). das macht sicher den raum für neue, potenziell freiere entwicklungen frei - aber eben nur dann, wenn dieser raum von menschen mit den entsprechenden inneren strukturen auch genutzt werden kann. ansonsten werden das die meisten doch eher als angstmachend und destabilisierend empfinden, und sich u.u. neue käfige suchen, die zumindest "sicherheit" versprechen zu scheinen (imo sind derartige prozsse in den letzten zwei jahrzehnten verschäft zu beobachten, u.a. sind für mich die verschiedenen fundamentalismen dafür ein symptom).

und im übrigen ist die mogelpackung "individuelle freiheit", mit der die westlichen gesellschaften so gerne hausieren gehen, ein rein abstraktes ding, in der eine perverse und wahnsinige vorstellung des "ich" die hauptrolle spielt - ein "ich", dass sich imo hauptsächlich als identitätskonstruktion des objektivistischen modus begreifen lässt. und dieser modus - das kann aus meiner sicht nicht oft genug wiederholt werden - ist in seiner wirkung im bereich sozialer beziehungen, wenn er da in einer dominanten position auftritt, nur als hochgradig a-sozial denkbar. was denn auch durch einen blick in die realität jeden tag bestätigt wird.

von daher also ist auch die erwähnte auflösung der klassischen familie, so sehr sie in vielen fällen real befreiend sein mag (was gerade für frauen eine hauptrolle spielt), doch eine sehr ambivalente geschichte - erst recht dann, wenn keine wahrhaft lebens- und menschenangemessenen alternativen sichtbar zu sein scheinen.
Faroer (Gast) - 10. Aug, 00:41

Kein "Aspekt"

sondern eher Voraussetzung. Die eingeübte, erfahrene oder meinethalben tradierte Form mit - meist begrenzten oder mangelnden - Ressourcen umzugehen geraten in Konflikt mit den Möglichkeiten, die "Innovation", Fortschritt, bietet. Der erste, unglaubliche "Innovationsschub" war mit der Erfindung der Landwirtschaft verbunden, die die Grundlage aller Zivilisation, wie wir sie heute wahrnehmen, bietet. Die zweite wichtige "Erfindung" war die "Gleichheit" (==dadurch Dinglichkeit) aller Menschen, die durch die in diesem Ausmass nur durch die geographische Gegebenheit des Mittelmeeres möglich war: Erstens die Warenproduktion von Waren geringer Werdichte (Fernhandel war zu dieser Zeit nur mit Gütern hoher Wertdichte möglich, Weihrauch, Gewürze, Edelmetalle) und der Handel damit über das Mittelmeer, dann auch der erwähnte "Gleichheitsgedanke", denn auf See und vor Gott sind alle gleich, der auch ein Freihandelsgedanke war, dieser konnte klarerweise auf Handelsrouten über Land, die kontrollierbar waren, nicht entstehen, die Kontrollierbarkeit der Seewege, selbst der des Mittelmeeres, war da schon erheblich schwieriger bis unvorstellbar. Mein Standard-Tip: Thompson, The First Philosphers, dt. Die ersten Philosophen, Akademieverlag, war auch in der DäDäRäh im Giftschrank. Dann _den_ Spezialisten der Verdinglichung: Günther Anders, Die Antiquitiertheit des Menschen.

An die Zahnräder
Täglich steigt aus Automaten
immer schöneres Gerät.
Wir nur bleiben ungeraten,
uns nur schuf man obsolet.
Viel zu früh aus dunklem Grunde
vorgeformt und abgestellt,
stehn wir nun zu später Stunde
ungenau in dieser Welt.
Ach, im Umkreis des Genauen
ziemt uns kein erhobnes Haupt.
Dingen nur ist Selbstvertrauen,
nur Geräten Stolz erlaubt

Günther Anders.

mfg Faroer
kandinsky (Gast) - 10. Aug, 01:47

delegieren heißt das zauberwort

zitat:
"Jedenfalls sind wir in der idiotischen Lage - nicht erst seit gestern - dass der immense Reichtum, den wir produzieren, nur Mangelvorstellungen generiert und kein Bewusstsein über die von uns geschaffen Reichtümer vorherrscht. Entfremdung eben."

Diese "Mangelvorstellungen" werden delgiert, und zwar an die, die den reichtum schaffen...
und die, die delegieren, wissen schon warum und zu welchem zweck

wie wäre es mit sartre, camus und vor allen dingen nicolai hartmann und seine "ethik"
auf ca. 800 seiten handelt hartmann die wirklich wichtigen und wesentlichen dinge ab
husserl, scheler, jaspers, cassierer und nietzsche nicht zu vergessen....

ausser locke und russel kenne ich keinen ernstzunehmenden angelsächsischen philosophen

kandinsky
monoma - 11. Aug, 10:35

@faroer: ob es sich tatsächlich um eine "voraussetzung" handelt, wage ich zu bezweifeln. es ist wohl die alte "henne oder ei?"-frage, wenn es um die möglichen ursprünge von "eigentum" und kapitalismus geht. letzterer erzeugt sich sicherlich in einem gewissen sinne die ihm passenden menschen - aber andererseits konnte er sich imo nur auf der basis einer entsprechenden psychophysischen disposition überhaupt entwickeln, will sagen: die spaltung/dissoziation zwischen körper und geist/psyche mit der folge der entwicklung des westlichen standard-egos, welches sich als herrscher über "seinen" körper fühlt, ist imo die basis jeglichen begriffes von eigentum. und diese spaltung wird ganz primär durch gewalt erzeugt, auch in sehr subtilen formen. und genau an dieser stelle ist da für mich die psychohistorische betrachtungsweise mit ihrem verweis auf äußerst gewaltvolle formen des umgangs mit kindern in so ziemlich allen kulturen rund um den globus (und zwar schon in ferner vergangenheit) eher als mögliche erklärung einleuchtend.

@kandinsky: die von dir genannten autoren haben aus meiner sicht zwar durchaus ein paar mehr oder weniger brillante konstruktionen produziert, aber eben ihr objektivistisches werkzeug - mit dem sie konstruiert haben - faktisch nie selbst untersucht - dessen funktionsweise(n), und v.a. dessen stellung innerhalb der menschlichen subjektivität. ich fürchte, dass der großteil gerade der westlichen philosophie der letzten paar jahrhunderte mit diesem manko belastet ist.

das sie dabei auch immer wieder ein paar aspekte der realität zu fassen bekommen hat, liegt einfach daran, dass der objektivistische modus nichts aus sich selbst heraus schaffen kann, sondern als werkzeug auf material - d.h. in diesem fall sinnlich-körperlich basierte wahrnehmungen - angewiesen ist. die aber im falle der pathologischen dominanz dieses modus´ regelmäßig mehr oder weniger verzerrt sind. und dann mit ebenso unschöner regelmäßigkeit zu genauso verzerrten produkten (philosophischen gedankengebäuden, theoretischen konstruktionen etc.) führt.
che2001 - 5. Nov, 13:50

Ooooops!

" Im Schnitt haben die Amerikaner zwei Vertrauenspersonen. Im Jahr 1985 waren es noch drei."(...)" - Ich wüsste nicht auf Anhieb, wie viele Vertrauenspersonen ich so habe, aber auf zwei Dutzend käme ich. Eine solche Vereinsamung wie dort dargestellt wäre mir gar nicht vorstellbar.
mo (Gast) - 5. Nov, 17:33

@che:

wobei ich deine von dir beschriebene situation auch schon eine ausnahme finde, wenn ich mich so umschaue.

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