archenoe - 18. Okt, 20:29

Aggressive Borniertheit

Hi sansculotte,

du schreibst:
"'Überstrapazierung des Traumabegriffs'? Ooch, der Ärmste. Hoffentlich verkühlt er sich nicht auch noch. Das, was du hier betreibst, ist objektivistischer Hokuspokus. Eine gesellschaftliche Realität, die fast allgegenwärtig ist, kann gar nicht "überstrapaziert" werden."
Jeder Begriff kann überstrapaziert werden, eine "gesellschaftliche Realität" freilich nicht. Nur habe ich das auch nicht behauptet. "Objektivistischer Hokuspokus" deutet als Einwurf aug aggressive Ungeduld oder Borniertheit. Wie wäre es mit einem Argument?

Du schreibst:
"Mit anderen Worten: das genau Gegenteil des von Dir Beschriebenen ist der Fall. Die Traumadiagnose verdeckt nicht die Verhältnisse, sondern die Verhältnisse verunmöglichen den klaren Blick auf die notwendige Diagnose: dass hier Traumatisierung am Werk ist und von den Eliten -wenn auch nicht gänzlich bewusst- so aber doch systematisch betrieben wird, weil sie das Gros der Menschen handlungsunfähig macht."
Ich habe nicht behauptet, dass die Traumadiagnose die Verhältnisse verdeckt. Ich habe kritisch angefragt, ob angesichts der (auch von dir in ihrer negativen Wirkung nicht angezweifelten) Realität, die Beschäftigung mit Trauma nicht eine Art Umweg sein könnte.
Deine These, Traumatisierung werde von den Eliten (übrigens ein höchst ungenauer Begriff) zwar nicht bewusst, aber doch systematisch betrieben, um die Menschenmehrheit handlungsunfähig zu machen, ist einer Verschwörungsthese sehr nahe. Wenn wir von Extremtraumatisierung sprächen, gäbe ich dir Recht, weil der gezielte Einsatz von Folter z.B. tatsächlich Handlungsunfähigkeit erzeugen will. Wir sprechen aber doch, wenn ich das richtig verstehe, von widersprüchlichen Verhältnissen, in denen teils gezielte Traumatisierung vorkommt, zu größeren Teilen aber Traumatisierung eher als struktureller Horror auftritt. Oder nicht?

Du schreibst an einen anderen Schreiber:
"dass Du nämlich von Traumatherapie wenig bis keine Ahnung hast. Nur wer null Schimmer von dieser Sache hat, glaubt, dass es hier um "Einsichten" ginge oder um "Antworten", die "neue Wege aufzeigen". Das ist eine Terminologie, die aus der Zeit der Psychoanalyse stammt (also seit mindestens fünfzig Jahren obsolet ist)."
Du traust dich ja einiges. Das macht mir immer erst einmal Spaß. Nur, wie du es machst, ist doch ein wenig dreist. Die Psychoanalyse als "seit mindestens fünfzig Jahren obsolet" zu halten, ist, um das Mindeste zu sagen, umstritten. Ich sehe das, auch wenn du das anders siehst, z.B. nicht so.
Weiter schreibst du:
"Traumatherapie will nicht zu "Einsichten" führen, sondern die Menschen ihre Kompetenzen und Ressourcen, die sie aufgrund des Traumas nicht mehr in vollem Umfang nutzen können, wiedergewinnen lassen. Dazu gehört dann schon mehr als nur der verengte Blick auf (rein rationale) Einsichten und Antworten. Da der Mensch nicht nur aus seinen Kopfgeburten besteht, bezieht Traumatherapie alles Gefühle und den Körper mit ein. Dumm genug, das immer wieder erwähnen zu müssen - und dass das nicht schon längst selbstverständlich und Allgemeingut ist."
Warum diskriminierst du "Einsichten" als "rein rationale"? Ist dir klar, dass du nur deshalb auf diesem Begriff so herumhacken kannst, weil du ihn in diese verengte Ecke stellst? Können Einsichten nicht auch als psycho-physischer Prozess aufgefasst werden?
Dann kommst du überraschenderweise mit Begriffen wie "Kompetenzen und Ressourcen". Darin sind keine "gesamtkörperlichen" Einsichten eingeschlossen? Ich habe den Eindruck, dass du irgendeinen Frust auskotzt, den deine Vorposter nicht einschätzen können.
Schwierig auf dich zu antworten, weil du ein unergründlich hermetisches Wissen/Fühlen in Anschlag bringst, das angeblich anderen Grübeleien überlegen sein soll. Immerhin ist leicht erkennbar, dass es das nicht ist.
Also, was willst du? Willst du aggressiv borniert wirken? Wäre schade!

sansculotte (Gast) - 18. Okt, 22:05

Antwort an Schorsch oder Archenoe

oder to whom it may concern.

Zitat:
"Ich habe nicht behauptet, dass die Traumadiagnose die Verhältnisse verdeckt. Ich habe kritisch angefragt, ob angesichts der (auch von dir in ihrer negativen Wirkung nicht angezweifelten) Realität, die Beschäftigung mit Trauma nicht eine Art Umweg sein könnte."

Wieso ein Umweg? Die Beschäftigung mit Trauma zielt direkt auf das Wesentliche, nämlich auf die psychophysische Integrität jedes Einzelnen. Dass zu den traumatisierenden Bedingungen auch die ökonomischen Verhältnisse zählen, sollte endlich nicht mehr als Widerspruch zu einer ökonomischen Theorie der (Un)Gerechtigkeit, also etwa als Widerspruch zum Marxismus, sondern als fundamentale Ergänzung und logische Basis verstanden werden.

Zitat:
"Deine These, Traumatisierung werde von den Eliten (übrigens ein höchst ungenauer Begriff) zwar nicht bewusst, aber doch systematisch betrieben, um die Menschenmehrheit handlungsunfähig zu machen, ist einer Verschwörungsthese sehr nahe. "

Nein, weil eine "Verschwörung" eine bewusste Absprache voraussetzt. Das ist in dem Fall nicht gegeben. Die Handlungsweise der Eliten (ein nicht zufällig ungenauer Begriff) richtet sich lediglich nach den Handlungsoptionen, die sich ihnen eröffnen, im Kontext einer prinzipiell gewalttätigen Kultur, in der die Brutalität als Handlungsmuster immer wieder positiv verstärkt wird.

Zitat:
"Wenn wir von Extremtraumatisierung sprächen, gäbe ich dir Recht, weil der gezielte Einsatz von Folter z.B. tatsächlich Handlungsunfähigkeit erzeugen will. Wir sprechen aber doch, wenn ich das richtig verstehe, von widersprüchlichen Verhältnissen, in denen teils gezielte Traumatisierung vorkommt, zu größeren Teilen aber Traumatisierung eher als struktureller Horror auftritt. Oder nicht?"

Hmm, ich verstehe diesen strukturellen Horror als etwas, was einer Extremtraumatisierung sehr nahe kommt bzw. ihrem Vollzug den Weg ebnet.

Zitat:
"Du traust dich ja einiges. Das macht mir immer erst einmal Spaß. Nur, wie du es machst, ist doch ein wenig dreist. Die Psychoanalyse als "seit mindestens fünfzig Jahren obsolet" zu halten, ist, um das Mindeste zu sagen, umstritten. Ich sehe das, auch wenn du das anders siehst, z.B. nicht so."

Aha. Und warum nicht?

Zitat:
"Warum diskriminierst du "Einsichten" als "rein rationale"? Ist dir klar, dass du nur deshalb auf diesem Begriff so herumhacken kannst, weil du ihn in diese verengte Ecke stellst? Können Einsichten nicht auch als psycho-physischer Prozess aufgefasst werden?"

Natürlich, ja. Ich habe den Begriff der "Einsichten" allerdings lediglich konkretisiert, nicht diskriminiert. Für mich sind diese Einsichten nämlich nicht Selbstzweck, sondern lediglich ein Bestandteil der Gesundung, die eben im Wiedererlangen der persönlichen Ressourcen und Kompetenzen liegt.

Zitat:
"Dann kommst du überraschenderweise mit Begriffen wie "Kompetenzen und Ressourcen". Darin sind keine "gesamtkörperlichen" Einsichten eingeschlossen? "

Natürlich, auch. s.o.

Zum letzten Absatz, der in einer Ad-Hominem-Attacke mündet, werde ich natürlich nicht Stellung nehmen. Völlig überflüssig.

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