assoziation: history repeating ?!?
1967:
"sueddeutsche.de: Können Sie auch ein Beispiel nennen für die Eskalation am späteren Abend des 2. Juni?
Soukup: Kurz vor dem abendlichen Einsatz wurde den Polizisten per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt, dass ein Polizist getötet worden war durch einen Demonstranten. Das stimmte nicht, aber hat die Beamten irrsinnig aufgebracht. Selbst wenn die Meldung wahr gewesen wäre, hätte es diese Durchsage nicht geben dürfen – wenn man denn keine Eskalation will."
(quelle)
2007:
"+++ “Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten +++"
(die hintergründe dieser überschrift heute am späten vormittag im ticker des derzeitig völlig am staatstragenden rad drehenden "spiegel online" sowie die tatsächliche realität ausführlich beim spiegelfechter)
***
statt vieler worte diesmal nur das folgende - die schreibtischtäter in den redaktionen wird das nicht groß interessieren, aber dafür vielleicht all diejenigen - auch gerade jüngeren - die der illusion einer friedlichen und rechtsstaatlichen bundesrepublikanischen gesellschaft anhingen - zumindest bisher.
***
philipp müller, im alter von 21 jahren 1952 von der polizei in essen erschossen:
(...)"Eine Konferenz von Vertretern verschiedener Jugendorganisationen am 2. März 1952 in Darmstadt unter Leitung des dortigen Pfarrers Herbert Mochalski, eines engen Vertrauten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, rief zu einer »Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag« am 11. Mai 1952 in Essen auf. Der Aufruf fand bemerkenswert starken Widerhall. Trotz kurzfristigen Verbots der Demonstration am 9. Mai durch den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold (CDU), der zugleich Ministerpräsident war, nahmen etwa 30.000 Personen teil.
Beim Polizeieinsatz zeichnete sich durch besondere Brutalität der "Einsatzgruppe Wolter" und der "Einsatzgruppe Knobloch" aus. Polizeikommissar Knobloch erteilte den Schießbefehl auf die Demonstranten. Zwei Kugeln eines Polizisten trafen Philipp Müller in den Rücken, eine Kugel traf sein Herz tödlich. Durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden außerdem zwei weitere Teilnehmer der Friedenskarawane, der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und ein parteiloser Gewerkschafter aus Münster. Alle wurden von hinten getroffen."(...)
die staatliche version und die juristische reaktion:
(...)"Der eigentliche Grund [für das verbot, mo] war jedoch, dass die seit dem 26. Juni 1951 verbotene FDJ der Veranstalter war. Arnold Haumann, der die Genehmigung bei der Essener Stadtverwaltung beantragt hatte, galt nur als Strohmann. Trotz des Verbotes versammelten sich die Demonstranten gegen Mittag vor dem Eingang der Gruga. Als die Polizei die Versammlung auflösen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Demonstranten und Polizisten verletzt und der 21jährige Philipp Müller von einer Kugel tödlich getroffen wurde.(...)
Während KPD die Polizei als "Mörder" anprangerte, wies die Polizei darauf hin, dass die Demonstranten nicht nur Steine geworfen, sondern auch von Schusswaffen Gebrauch gemacht hätten. Das Dortmunder Landgericht bestätigte schließlich mit seinem Urteil gegen elf Demonstranten am 20. Oktober 1952, dass die Polizeibeamten in Notwehr gehandelt hätten."
*
benno ohnesorg, im alter von 27 jahren 1967 vom polizisten karl-heinz kurras in berlin erschossen:
(...)"Greiftrupps verfolgten diejenigen, die aus dem Kessel entkamen, bis in Nebenstraßen und Häusereingänge hinein, um „Rädelsführer“ festzunehmen. Dies nannte die Polizei „Füchse jagen“. Zu einem solchen Trupp in Zivilkleidung gehörte Karl-Heinz Kurras von der Abteilung I der Politischen Polizei. Er galt als bester Schütze seiner Einheit und war an diesem Abend unter die Demonstranten gemischt gewesen.
Ohnesorg beobachtete, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann - Hartmut R. - in einen Häuserinnenhof in der Krummen Straße Nr. 66/67 (300 Meter von der Oper entfernt, heute Schillerstraße 29) zerrten. Er trennte sich an der Kreuzung Krumme Straße/Schillerstraße von seiner Frau und folgte mit weiteren Demonstranten dem Mann, um zu sehen, was ihm geschah, und gegebenenfalls zu helfen.
Dabei wurden etwa zehn Personen im Hinterhof von mindestens zehn zivilen und uniformierten Polizisten gestellt. Diese begannen auf sie einzuschlagen. Der Student Götz F. wurde am Boden liegend von drei Beamten verprügelt und getreten. Ein Demonstrant warf einen Taschenschirm auf einen Polizeibeamten, um ihn abzulenken. Dieser nahm den Schirm auf und schlug damit weiter. Die übrigen Studenten versuchten den Innenhof wieder zu verlassen.
Ohnesorg stand wenige Meter entfernt an einer Teppichstange und beobachtete die Szene. Nach anderen Augenzeugen gehörte er selbst zu denen, die der Greiftrupp zuvor aus der Menge herausgegriffen und in den Hof gebracht hatte. Nach Aussage des Demonstranten Reinhard B., der die Szene auf einer Mülltonne stehend beobachtete, trieb die Polizei dann alle Umstehenden hinaus; nur Ohnesorg habe sich noch im Hof befunden und zwischen geparkten PKW zu fliehen versucht, worauf Polizisten ihm den Weg abgeschnitten hätten. Erika S. sah, dass drei Polizisten um Ohnesorg herumstanden und ihn verprügelten, worauf er seine Hände halb erhoben habe. Sie habe dies als Zeichen der Ergebung und Beschwichtigung gedeutet. Der beteiligte Polizeibeamte Horst Geier sagte zunächst aus, Ohnesorg sei von drei Beamten im Griff gehalten worden. Nach weiteren Aussagen habe er sich mit letzter Kraft loszureißen versucht:[13]
...doch in der Nähe stehende Demonstranten hörten noch den entsetzten Ausruf: 'Bitte, bitte, nicht schießen!'
Andere hörten nur den Ruf „nicht schießen“.
In diesem Moment, etwa 20:30 Uhr, fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Der Musikstudent Frank Krüger sagte später aus:[14]
Und dann habe ich das Mündungsfeuer der Pistole gesehen. Das Mündungsfeuer war ungefähr in Kopfhöhe. Im nächsten Moment lag der Student am Boden und rührte sich nicht.
Andere Zeugen bestätigten, sie hätten Mündungsfeuer in etwa 140-150 cm Höhe über dem Boden gesehen und Ohnesorg fallen gesehen. Einige hörten einen Wortwechsel zwischen dem Polizeibeamten Horst Geiger und Kurras:
Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen? - Die ist mir losgegangen.
Ein Tonband, aufgenommen von dem Toningenieur Rainer Bosch vom Süddeutschen Rundfunk, dokumentiert ein Schussgeräusch und gleich darauf einsetzende „Mörder, Mörder!“-Rufe in der Krummen Straße. Zudem ist darauf der Befehl einer männlichen Stimme hörbar:
Kurras, gleich nach hinten! Los, schnell weg!
Mehrere Journalisten - Uwe Dannenbaum, Bernard Larsson, Jürgen Hentschel - fotografierten die Vorgänge im Hof unmittelbar vor und nach dem Schuss. Die Polizisten - darunter der herbeigeeilte Einsatzleiter - versuchten, sie abzudrängen, und brachten Kurras ins Polizeipräsidium."(...)
mediale, staatliche und juristische reaktionen finden sich gesammelt im verlinkten wiki-artikel:
(...)"Auch die Berliner Bildzeitung berichtete am Folgetag, es habe einen Toten gegeben. Abgebildet wurde daneben ein blutender Polizist. Von einem Messerangriff war nichts zu lesen, ebenso wenig von einem Todesschuss. Der Kommentar lautete:
Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.
Am nächsten Tag hieß es:
Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawallradikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer...Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten."(...)
(wie es sich gleicht! mo)
(...)"Nach dem Polizeibericht, der sich ausschließlich auf Aussagen der anwesenden Polizisten stützte, soll Kurras in Notwehr geschossen haben. Dieser gab in den Folgetagen drei verschiedene Versionen des Tathergangs an, die nur im ersten Punkt übereinstimmten: Er habe sich von den Demonstranten bedroht gefühlt, daraufhin seine Waffe gezogen und entsichert.
* Dann habe er einen oder zwei Warnschüsse abgegeben, von denen einer als Querschläger Ohnesorg getroffen habe.
* Im Handgemenge sei seine Waffe versehentlich losgegangen.
* Zwei Männer mit „blitzenden Messern“ hätten ihn, als er am Boden lag, angegriffen, und er habe sich durch Gebrauch der Schusswaffe schützen wollen. Diese Version vertrat er vor den Behörden unwidersprochen monatelang in der Presse und später auch in seinem Prozess."(...)
(...)"Der Todesschütze Karl-Heinz Kurras blieb zunächst im Dienst. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingeleitet. Vor Gericht sagte er aus, er sei in dem Hinterhof von „zwei jungen Männern mit blitzenden Messer“ bedroht worden. Darauf habe er aus seiner Dienstpistole einen Warnschuss abgegeben. Dann sei er „brutal niedergeschlagen“ worden. Dabei habe sich „durch das Zerren und Ziehen der verhängnisvolle zweite Schuss gelöst“, der Ohnesorg traf.
Keiner von 83 Zeugen - auch keienr der beteiligten Kollegen von Kurras - hörte einen Warnschuss, sah Messer, ein Handgemenge und Kurras am Boden liegen. Keiner der Festgenommenen hatte Messer oder andere Waffen bei sich. Das tödliche Geschoss war ebenso wie ein zweites Projektil unauffindbar. Auch das Schädelstück, das die Kugel durchschlagen hatte, blieb verschwunden. Eine Spurensicherung am Tatort hatte nicht stattgefunden; das Pistolenmagazin von Kurras war sofort ausgetauscht worden. Zudem stellte der Richter fest, Ohnesorg habe selbst am Boden gelegen und sei wahrscheinlich sogar noch nach dem Todesschuss verprügelt worden.
Doch die 14. Große Strafkammer des Landgerichts Moabit sprach Kurras am 21. November 1967 frei. In der Urteilsbegründung hieß es, das Gericht habe „keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung oder eine beabsichtigte Körperverletzung durch einen gezielten Schuß“ gefunden. Es sei „nicht widerlegbar, dass er sich in einer lebensbedrohlichen Lage glaubte“. Die Reaktion auf eine subjektiv angenommene Bedrohung nannte das Gericht „putative Notwehr“ und schuf damit einen bis dahin unbekannten Rechtsbegriff."(...)
*
olaf ritzmann, im alter von 16 jahren 1980 in hamburg im rahmen eines polizeieinsatzes nach einer demonstration gegen franz-josef strauß vor die s-bahn getrieben:
(...)"Sehr geehrte ‚Spiegel‘-Redaktion! Beiliegend schicke ich Ihnen einen ‚Offenen Brief an den Innensenator‘, den ich schrieb, nachdem mich die Nachricht vom Tode Olaf Ritzmanns, des mittelbaren Opfers des Polizeieinsatzes vom 25.8.1980 auf dem S-Bahnhof Sternschanze, erreichte und erschütterte.
Nach meiner Überzeugung kann der Polizeieinsatz gegen die auf dem Heimweg befindlichen Strauß-Gegner einzig den Zweck eines ‚Rachefeldzuges‘ verfolgt haben, denn die Angegriffenen – ihre Kundgebung war längst beendet – standen friedlich wartend auf dem Bahnsteig (es wurde auch während des Einsatzes niemand verhaftet). Die tatsächlich geworfenen Steine dienten lediglich als Abwehr der Polizisten, die, indem sie mit Gummiknüppeln auf ihre Schilde schlugen, einen furchterregenden Lärm machten, wobei sie keilförmig gegen die Menschen vorrückten. Dieser Lärm und die Tränengasgranaten, die in die Menge geworfen wurden, waren der Grund für die Panik, die Olaf Ritzmann und viele andere – vom Gas fast blind – auf die Gleise trieb; auf dieser ziellosen Flucht ereignete sich dann in einiger Entfernung vom Bahnsteig der schwere, tödliche Unfall.
Da ich der Meinung bin, daß die Polizei ein solches Verhalten vorhersehen mußte, sie aber trotzdem so brutal vorging, ja sogar den anderen Ausgang des überfüllten Bahnhofes abriegelte, muß ich der Polizei bzw. der Einsatzleitung die Schuld für Olaf Ritzmanns Tod geben.
Deshalb schrieb ich den ‚Offenen Brief‘ mit der Bitte um lückenlose Aufklärung und Bestrafung der schuldigen Beamten. Da der ‚Spiegel‘ für seine faire, objektive Berichterstattung, aber auch für seine kritische Haltung der Staatsmacht gegenüber bekannt ist, bitte ich Sie um den Abdruck des ‚Offenen Briefes‘. Es muß auch einmal die andere Seite gehört werden."
(Leserbrief an den "Spiegel")
mediale, staatliche/justizielle version und reaktionen:
""Die Polizei, die bisher immer nur von einem Einsatz im Sternschanzen-Bahnhof sprach, der um 21.40 begann, bestätigte dem Abendblatt gestern nun doch einen zweiten Einsatz am gleichen Ort."
(Hamburger Abendblatt, 5.9.1980)
"Vier Tage wurde Olaf Ritzmann noch künstlich am Leben gehalten. Erst am Freitag vorletzter Woche durfte der 16jährige Tischlerlehrling sterben. Gehirntot aber war er schon am Montag davor, als er von einem Zug der Hamburger S-Bahn erfaßt und auf die Gleise geschleudert wurde. Auf einen Wink der Polizei hatten die Ärzte das kurze Leben des jungen Mannes noch um ein paar Tage verlängert. Man wollte vermeiden, daß es im Anschluß an die blutigen Auseinandersetzungen nach einer Anti-Strauß-Demonstration auch noch zum Märtyrer-Mythos komme."
(Die Zeit, 12.9.1980)
"Die Anwendung von Tränengasgranaten wird ausdrücklich für den gesamten Demonstrationseinsatz bestritten. [...] Nach Darstellung der Polizei hatte Olaf R. zusammen mit anderen Jugendlichen den Bahnsteig verlassen und war auf den Gleisen bis zu einer Eisenbahnbrücke gegangen. Von dort seien Polizeibeamte, die sich unterhalb der Brücke im Einsatz befanden, mit Steinen beworfen worden. Als die Polizei nicht auf die Brücke gekommen sei, hätten sich die Jugendlichen auf den Rückweg zum Bahnsteig gemacht. Dabei sei Olaf R. von dem Zug, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, angefahren worden. Erst danach sei ein Gruppe Bahnpolizei und später Schutzpolizei auf den Bahnsteig gekommen."
(taz, 1.9.1980)
"Der Hamburger Staatsanwalt Klein hat am 11. April 1983 das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Tod von Olaf Ritzmann abgeschlossen. Der Tod des 16jährigen Tischlerlehrlings, der bei der Anti-Strauß-Demonstration am 25. August 1980 am S-Bahnof Sternschanze von einer Bahn überfahren wurde, bleibt danach ungesühnt. Klein kam nach fast dreijähriger Ermittlung zu dem Ergebnis, daß ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz im Bahnhofsgebäude und dem Tod des Jungen nicht besteht. ‚Die gegen Polizeibeamte in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe sind unbegründet, zumindest aber nicht nachweisbar‘, schlußfolgerte der Staatsanwalt."
(taz, 2.5.1983)
*
klaus-jürgen rattay, im alter von 18 jahren 1981 während eines polizeieinsatzes nach der räumung mehrere besetzter häuser in berlin von einem bus überrollt:
(...)" Der neue CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker, mit Heinrich Lummer als Innensenator, beschließt, ein Exempel zu statuieren und acht Häuser räumen zu lassen. Den Besetzern wird ein Ultimatum gestellt, so dass alle Interessierten wissen, wann die Barrikaden brennen werden. Beide Seiten bereiten sich vor. Am Morgen des 22. September rückt die Polizei gleichzeitig in acht Häuser vor. Als die ersten Häuser geräumt sind, will sich Senator Lummer selbst ein Lagebild verschaffen. Durch die Hintertür wird er ins Haus Bülowstraße 89 geschleust, während vor dem Haus Demonstranten stehen, die von der Polizei in Schach gehalten werden. Es dauert nicht lange, bis die Nachricht von Lummers Anwesenheit die Straße erreicht. Drinnen gibt der Senator eine improvisierte Pressekonferenz, draußen versammeln sich Sympathisanten aus anderen besetzten Häusern und rufen „Lummer raus aus unserm Haus“. Ganz vorne dabei ist auch Klaus-Jürgen Rattay.
Lummer zeigt sich kurz auf einem Balkon, was die Wut der Menge weiter ansteigen lässt. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße ab. Dort geraten sie in den Verkehr. Rattay springt auf die Stoßstange eines Busses – die Polizei erklärt später, er habe die Windschutzscheibe einschlagen wollen, Augenzeugen sagen, er habe seine Arme ausgebreitet, um Stopp zu signalisieren. Der Busfahrer hält nicht. Rattay verliert den Halt, gerät unter den linken Vorderreifen. Er wird tödlich verletzt."(...)
staatliche/justizielle reaktionen 1:
"Berlin/Frankfurt (dpa, ap, ddp) - Nach den schweren Verwüstungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in Berlin zog die Berliner Polizei am Mittwoch eine erste Zwischenbilanz. Danach wurden über 100 Polizeibeamte verletzt, davon allein 50 bei den nächtlichen Krawallen im Anschluß an den Schweigemarsch, zu dem sich die Demonstranten nach dem Tod des 18jährigen Klaus-Jürgen Rattay formiert hatten. Rund 50 Personen seien bei Brandanschlägen und Plünderungen festgenommen worden. Insgesamt 143 Polizeifahrzeuge seien beschädigt worden. Über die Zahl der verwüsteten Scheiben und Geschäftsfassaden lagen keine genauen Angaben vor. Die Sachschäden dürften jedoch Millionenhöhe erreichen. Auch im Ausland, in Amsterdam, kam es im Zusammenhang mit den Berliner Vorfällen zu Ausschreitungen.
Bereits am Mittwochvormittag versammelten sich, wie schon am Abend zuvor, an der Unfallstelle in der Berliner Potsdamer Straße, wo am Vortage der an den Demonstrationen beteiligte Klaus-Jürgen Rattay von einem Bus überfahren worden war, wieder eine große Menschenmenge.
Über den Unfallhergang gibt es nach wie vor unterschiedliche Darstellungen. Polizeipräsident Hübner erklärte, es mehrten sich die Zeugenaussagen, die die von der Polizei gegebene Darstellung bestätigten. Danach sei Rattay nicht mit einer Gruppe von Demonstranten von Einsatzkräften der Polizei in die Potsdamer Straße getrieben worden, auf der reger Autoverkehr herrschte. Der junge Mann sei vielmehr auf die Stoßstange des Busses gesprungen und von dort abgerutscht. Die Vertreter von CDU, SPD und FDP hätten das Vorgehen der Polizei ausdrücklich anerkannt. Lediglich der Vertreter der Alternativen Liste (AL) habe sich der Zustimmung nicht angeschlossen.
Auf einer Pressekonferenz im Schöneberger Rathaus präsentierte die AL acht Augenzeugen, die die Version erhärteten, daß Rattay nicht den Linienbus mit Steinen angegriffen habe. Rattay habe sich vielmehr mit einer Gruppe von Demonstranten auf der Flucht vor der anrückenden Polizei befunden. Dabei sei er über eine Kreuzung gerannt, habe den Bus aber zu spät bemerkt und versucht ihn anzuhalten, indem er sich mit erhobenen Händen vor das Fahrzeug gestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine Steine gegen den Bus geworfen worden. Erst als Rattay von dem weiterfahrenden Bus erfaßt und 60 Meter mitgeschleift wurde, hätten einige Demonstranten versucht, durch Steinwürfe den Busfahrer auf das Geschehen aufmerksam zu machen.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Herrman, erklärte zu den Vorgängen, die Linie des Senats sei "angemessen und sachgerecht". Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund erklärte, es sei "endlich an der Zeit gewesen, der Eskalation der Gewalt Einhalt zu gebieten."(...)
reaktionen 2:
(...)"Er wisse bis heute nicht, warum und weshalb es zu dem Tod des 18-Jährigen gekommen sei, sagt der Potsdamer Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig. Der inzwischen 65-Jährige hat damals die Ermittlungen geleitet. "Das ist meine Vergangenheit", sagt Ludwig auf die Frage, was ihm zu dem Namen Rattay einfällt. Kripo und Staatsanwaltschaft hätten sich wirklich um Aufklärung der Todesumstände bemüht. "Es nicht geschafft zu haben, ist kein gutes Gefühl. Das können Sie mir glauben."
Das Problem ist: Es gibt zu viele Zeugen. Je mehr Menschen von der Polizei befragt werden, desto widersprüchlicher werden die Angaben. "Über 100 Zeugen - das ist ein unvorstellbares Ausmaß", sagt der 61-jährige Rechtsanwalt Wolfgang Meyer-Franck. Er hat die Familie des Toten rechtlich betreut. "Es ist wie immer im Leben: Jeder hat etwas anderes gesehen."
Aus den Zeugenaussagen kristallisieren sich zwei Versionen heraus. Der Gerichtsmediziner Schneider fasst sie in seinem Buch so zusammen: Demonstrationsteilnehmer sagen aus, Rattay sei zusammen mit anderen Demonstranten auf die viel befahrene Potsdamer Straße gedrängt worden. Der Fahrer des BVG-Busses sei "dann voll auf den auf der Kreuzung stehenden 18-Jährigen zugefahren".
Bei der anderen Version handelt es sich um die Polizeiversion, unter Berufung auf andere Zeugen: Demonstranten hätten den BVG-Bus mit Steinen beworfen. Dadurch sei die Frontscheibe und die Seitenscheibe der Fahrerkabine zerstört worden seien. In diesem Augenblick sei der mit einer Kapuze maskierte Rattay auf die Stoßstange des Busses geklettert und habe versucht, die Frontscheibe weiter zu demolieren. "Offensichtlich versuchte der Fahrer, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen", zitiert Schneider den Polizeibericht wörtlich. Dabei sei Rattay von der Stoßstange abgerutscht und vor ein Vorderrad geraten. Der Bus habe ihn 80 Meter weit mitgeschleift. Passanten hätten den Fahrer dann auf das Geschehen aufmerksam gemacht.
Hauptbeschuldigte in dem folgenden Ermittlungsfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge sind der Busfahrer und ein Einsatzleiter der Polizei. Dabei handelt es sich um jenen Beamten, der es versäumt hat, die Kreuzung sperren zu lassen, bevor er den Befehl zur Straßenräumung erteilte. Zweimal stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Beschuldigten ein. Zweimal legt Rechtsanwalt Meyer-Franck Beschwerde ein. Mit einem neuerlichen Verkehrssachverständigengutachten bewirkt Meyer-Franck, dass das Kammergericht eine mündliche Verhandlung zum Klageerzwingungsverfahren durchführen muss. Am Ende wird der Antrag aber doch abgelehnt. Die Begründung der Richter: Gegen die Beschuldigten bestehe zwar ein erheblicher Verdacht, die Beweise reichten aber nicht aus. "Dabei hat der Verkehrssachverständige in seinem Gutachten festgestellt, dass der Bus bei dem Aufprall mindestens 20 Stundenkilometer schnell gefahren ist", erzählt Meyer-Franck. "Die Straße war voller Menschen. Er ist einfach in die Menge reingefahren. In so einem Fall ist ein Bus ein Mordgerät." Das hätte der Fahrer wissen müssen, egal ob ihm die Richtung der Demonstration gepasst habe oder nicht. "Es ist traurig, dass die Rechtssprechung das nicht erkannt hat."(...)
*
günther sare, im alter von 36 jahren 1985 während einer demonstration gegen eine npd-veranstaltung in frankfurt von einem wasserwerfer überrollt (staatliche(justizielle reaktionen im folgenden enthalten):
(...)"Der 36jährige hatte am 25. September 1985 im Gallusviertel an einer Kundgebung und Blockade gegen eine Veranstaltung der NPD teilgenommen, die in dem überwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteil eine Versammlung durchführte.
Massive Polizeikräfte, zu denen auch Wasserwerfer gehörten, gingen in den Abendstunden dazu über, die Strassen von Gegendemonstranten zu räumen. Im Verlauf dieses Einsatzes geriet Günter Sare unter gezielten Wasserwerferbeschuss, versuchte zu fliehen, stürzte und wurde von einem zweiten Wasserwerfer überfahren.
Die Polizei verweigerte zuerst Demosanis und Ärzten die Hilfeleistung und vertrieb unter Schlagstockeinsatz weitere Hilfswillige. Ein Notarztwagen traf verspätet ein. Kurz darauf starb der Schwerverletzte.
Die Angehörigen Günter Sares, Mutter und Schwester, erhielten erst am folgenden Tag von einem Zivilbeamten mehr nebenbei offiziell Kenntnis vom Tod ihres Sohnes und Bruders. Unter Mühen gelang es ihnen, eine Zweitobduktion der Leiche durchzusetzen und dem Gutachter wurden wochenlang wichtige Untersuchungsergebnisse des hessischen Landeskriminalamtes vorenthalten.
Verschiedene Versionen über die Todesursache wurden umgehend in Umlauf gesetzt: So soll sich auf der Kreuzung, wo der Vorfall stattfand, eine Menschenansammlung befunden haben, die die Polizei attackierte. Dann hiess es, Günter Sare sei von einem Stein am Kopf getroffen worden, gestürzt und dann unter die Räder geraten. Als nächstes wurden Günter Sare ein Stein und später ein Rundholz angedichtet, das er auf den Wasserwerfer geschleudert haben soll. Die Meldungen dienten vor der Öffentlichkeit als Begründung, in den kommenden Tagen jegliche Protestversammlungen in der Frankfurter Innenstadt auseinanderzutreiben-, zeitweilig glich die Mainmetropole einer Polizeifestung.
Fast ein dreiviertel Jahr später legte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse vor: Danach war die Kreuzung im Gallusviertel hell erleuchtet und übersichtlich, und Günter Sare stand allein dort, als er unter gezielten Beschuss zweier Wasserwerfer geriet. Der Todeswasserwerfer stand nicht unter Bewurf und aus dem Inneren des Fahrzeugs boten sich beste Sichtverhältnisse.
Doch die beschuldigte Wasserwerferbesatzung will Günter Sare nicht gesehen haben, weder vor dem gezielten Wasserstrahl, noch, als der Getroffene zu entkommen versuchte. Alle fünf Besatzungsmitglieder hatten ihr Augenmerk angeblich gleichzeitig in eine andere Blickrichtung gelenkt.
Merkwürdig bleibt auch, dass die Tonaufzeichnungsanlage, die den Funkverkehr mit anderen Einsatzkräften aufnehmen soll, just in diesem Augenblick funktionsuntüchtig gewesen sein soll. Auch Videobilder der Dokumentationstrupps liegen nicht vor. Eine Erklärung steht ebenfalls aus für die Öffnung des Fahrtenschreibers unmittelbar vor und nach dem tödlichen Einsatz. "Dies legt den Verdacht der Beweismittelmanipulation nahe", schreibt Rechtsanwältin Waltraud Verleih, die die Angehörigen Günter Sares in einer Nebenklage vertritt, in einer Presseerklärung. "Nach diesem Ermittlungsergebnis hat das 26 Tonnen schwere Tatwerkzeug eine Geisterfahrt hinter sich gebracht", kommentiert die Anwältin.
Sie hat deshalb unter anderem Beschwerde dagegen eingelegt, dass die Ermittlungen gegen drei der fünf Besatzungsmitglieder des Todesfahrzeuges eingestellt wurden. Auch mit der Einstellung der Anzeige gegen die verantwortliche Frankfurter Polizeiführung will sich Waltraud Verleih nicht abfinden und kündigt an, die Verhandlung für eine umfassende Klärung des Tatgeschehens zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft selbst hat lediglich gegen den WaWe- Kommandanten und den Fahrer Anklage erhoben: wegen "fahrlässiger Tötung". Für ein vorsätzliches Handeln gäbe es keine Anhaltspunkte, erklärt die Anklagebehörde, mehr noch, der Vorwurf habe sich als "ausgesprochen absurd" herausgestellt."(...)
*
erna sielka, rentnerin (alter kann z.zt. von mir nicht festgestellt werden), 1986 während der auseinandersetzungen um die waa in wackersdorf während eines polizeieinsatzes durch einen herzinfarkt gestorben. zu dieser toten gibt es online anscheinend genauso wenig materialien wie zu
*
alois sonnleitner, im alter von 38 jahren ebenfalls 1986 an einem durch einen polizeilichen cs-gas-einsatz in wackersdorf ausgelösten asthmaanfall gestorben. für ergänzungen zu diesen beiden toten wäre ich sehr dankbar.
*
conny wessmann, im alter von 24 jahren 1989 während eines polizeieinsatzes gegen antifaschistische demonstrantInnen in göttingen auf einer vielbefahrenen straße von einem auto überrollt - ein langes interview als .pdf-file dazu.
justizielle reaktion:
(...)"Bei den offiziellen Untersuchungen wurde weder ein Verschulden von Polizeibeamten noch auf Seiten des Autofahrers festgestellt, der nicht mehr ausweichen konnte."(...)
***
falls Ihnen bei den staatlich-justiziellen reaktionen irgendwelche wiederkehrenden muster oder gar parallelen zu aktuellen ereignissen aufgefallen sind, können die nur an zeitweiligen wahrnehmungstrübungen liegen. schließlich ist das hier ein demokratischer rechtsstaat. wer das anders sieht, steht bereits hart am rande der verfassungsfeindlichkeit. und das will doch wirklich niemand. oder?
"sueddeutsche.de: Können Sie auch ein Beispiel nennen für die Eskalation am späteren Abend des 2. Juni?
Soukup: Kurz vor dem abendlichen Einsatz wurde den Polizisten per Lautsprecherdurchsage mitgeteilt, dass ein Polizist getötet worden war durch einen Demonstranten. Das stimmte nicht, aber hat die Beamten irrsinnig aufgebracht. Selbst wenn die Meldung wahr gewesen wäre, hätte es diese Durchsage nicht geben dürfen – wenn man denn keine Eskalation will."
(quelle)
2007:
"+++ “Clown’s Army” sprüht Gift gegen Polizisten +++"
(die hintergründe dieser überschrift heute am späten vormittag im ticker des derzeitig völlig am staatstragenden rad drehenden "spiegel online" sowie die tatsächliche realität ausführlich beim spiegelfechter)
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statt vieler worte diesmal nur das folgende - die schreibtischtäter in den redaktionen wird das nicht groß interessieren, aber dafür vielleicht all diejenigen - auch gerade jüngeren - die der illusion einer friedlichen und rechtsstaatlichen bundesrepublikanischen gesellschaft anhingen - zumindest bisher.
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philipp müller, im alter von 21 jahren 1952 von der polizei in essen erschossen:
(...)"Eine Konferenz von Vertretern verschiedener Jugendorganisationen am 2. März 1952 in Darmstadt unter Leitung des dortigen Pfarrers Herbert Mochalski, eines engen Vertrauten des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller, rief zu einer »Jugendkarawane gegen Wiederaufrüstung und Generalvertrag« am 11. Mai 1952 in Essen auf. Der Aufruf fand bemerkenswert starken Widerhall. Trotz kurzfristigen Verbots der Demonstration am 9. Mai durch den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold (CDU), der zugleich Ministerpräsident war, nahmen etwa 30.000 Personen teil.
Beim Polizeieinsatz zeichnete sich durch besondere Brutalität der "Einsatzgruppe Wolter" und der "Einsatzgruppe Knobloch" aus. Polizeikommissar Knobloch erteilte den Schießbefehl auf die Demonstranten. Zwei Kugeln eines Polizisten trafen Philipp Müller in den Rücken, eine Kugel traf sein Herz tödlich. Durch Polizeikugeln schwer verletzt wurden außerdem zwei weitere Teilnehmer der Friedenskarawane, der Sozialdemokrat Bernhard Schwarze aus Kassel und ein parteiloser Gewerkschafter aus Münster. Alle wurden von hinten getroffen."(...)
die staatliche version und die juristische reaktion:
(...)"Der eigentliche Grund [für das verbot, mo] war jedoch, dass die seit dem 26. Juni 1951 verbotene FDJ der Veranstalter war. Arnold Haumann, der die Genehmigung bei der Essener Stadtverwaltung beantragt hatte, galt nur als Strohmann. Trotz des Verbotes versammelten sich die Demonstranten gegen Mittag vor dem Eingang der Gruga. Als die Polizei die Versammlung auflösen wollte, kam es zu schweren Auseinandersetzungen, in deren Verlauf Demonstranten und Polizisten verletzt und der 21jährige Philipp Müller von einer Kugel tödlich getroffen wurde.(...)
Während KPD die Polizei als "Mörder" anprangerte, wies die Polizei darauf hin, dass die Demonstranten nicht nur Steine geworfen, sondern auch von Schusswaffen Gebrauch gemacht hätten. Das Dortmunder Landgericht bestätigte schließlich mit seinem Urteil gegen elf Demonstranten am 20. Oktober 1952, dass die Polizeibeamten in Notwehr gehandelt hätten."
*
benno ohnesorg, im alter von 27 jahren 1967 vom polizisten karl-heinz kurras in berlin erschossen:
(...)"Greiftrupps verfolgten diejenigen, die aus dem Kessel entkamen, bis in Nebenstraßen und Häusereingänge hinein, um „Rädelsführer“ festzunehmen. Dies nannte die Polizei „Füchse jagen“. Zu einem solchen Trupp in Zivilkleidung gehörte Karl-Heinz Kurras von der Abteilung I der Politischen Polizei. Er galt als bester Schütze seiner Einheit und war an diesem Abend unter die Demonstranten gemischt gewesen.
Ohnesorg beobachtete, wie mehrere Zivilbeamte einen Mann - Hartmut R. - in einen Häuserinnenhof in der Krummen Straße Nr. 66/67 (300 Meter von der Oper entfernt, heute Schillerstraße 29) zerrten. Er trennte sich an der Kreuzung Krumme Straße/Schillerstraße von seiner Frau und folgte mit weiteren Demonstranten dem Mann, um zu sehen, was ihm geschah, und gegebenenfalls zu helfen.
Dabei wurden etwa zehn Personen im Hinterhof von mindestens zehn zivilen und uniformierten Polizisten gestellt. Diese begannen auf sie einzuschlagen. Der Student Götz F. wurde am Boden liegend von drei Beamten verprügelt und getreten. Ein Demonstrant warf einen Taschenschirm auf einen Polizeibeamten, um ihn abzulenken. Dieser nahm den Schirm auf und schlug damit weiter. Die übrigen Studenten versuchten den Innenhof wieder zu verlassen.
Ohnesorg stand wenige Meter entfernt an einer Teppichstange und beobachtete die Szene. Nach anderen Augenzeugen gehörte er selbst zu denen, die der Greiftrupp zuvor aus der Menge herausgegriffen und in den Hof gebracht hatte. Nach Aussage des Demonstranten Reinhard B., der die Szene auf einer Mülltonne stehend beobachtete, trieb die Polizei dann alle Umstehenden hinaus; nur Ohnesorg habe sich noch im Hof befunden und zwischen geparkten PKW zu fliehen versucht, worauf Polizisten ihm den Weg abgeschnitten hätten. Erika S. sah, dass drei Polizisten um Ohnesorg herumstanden und ihn verprügelten, worauf er seine Hände halb erhoben habe. Sie habe dies als Zeichen der Ergebung und Beschwichtigung gedeutet. Der beteiligte Polizeibeamte Horst Geier sagte zunächst aus, Ohnesorg sei von drei Beamten im Griff gehalten worden. Nach weiteren Aussagen habe er sich mit letzter Kraft loszureißen versucht:[13]
...doch in der Nähe stehende Demonstranten hörten noch den entsetzten Ausruf: 'Bitte, bitte, nicht schießen!'
Andere hörten nur den Ruf „nicht schießen“.
In diesem Moment, etwa 20:30 Uhr, fiel ein Schuss, der Ohnesorg aus etwa eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf traf. Der Musikstudent Frank Krüger sagte später aus:[14]
Und dann habe ich das Mündungsfeuer der Pistole gesehen. Das Mündungsfeuer war ungefähr in Kopfhöhe. Im nächsten Moment lag der Student am Boden und rührte sich nicht.
Andere Zeugen bestätigten, sie hätten Mündungsfeuer in etwa 140-150 cm Höhe über dem Boden gesehen und Ohnesorg fallen gesehen. Einige hörten einen Wortwechsel zwischen dem Polizeibeamten Horst Geiger und Kurras:
Bist du denn wahnsinnig, hier zu schießen? - Die ist mir losgegangen.
Ein Tonband, aufgenommen von dem Toningenieur Rainer Bosch vom Süddeutschen Rundfunk, dokumentiert ein Schussgeräusch und gleich darauf einsetzende „Mörder, Mörder!“-Rufe in der Krummen Straße. Zudem ist darauf der Befehl einer männlichen Stimme hörbar:
Kurras, gleich nach hinten! Los, schnell weg!
Mehrere Journalisten - Uwe Dannenbaum, Bernard Larsson, Jürgen Hentschel - fotografierten die Vorgänge im Hof unmittelbar vor und nach dem Schuss. Die Polizisten - darunter der herbeigeeilte Einsatzleiter - versuchten, sie abzudrängen, und brachten Kurras ins Polizeipräsidium."(...)
mediale, staatliche und juristische reaktionen finden sich gesammelt im verlinkten wiki-artikel:
(...)"Auch die Berliner Bildzeitung berichtete am Folgetag, es habe einen Toten gegeben. Abgebildet wurde daneben ein blutender Polizist. Von einem Messerangriff war nichts zu lesen, ebenso wenig von einem Todesschuss. Der Kommentar lautete:
Hier hören der Spaß und der Kompromiss und die demokratische Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden.
Am nächsten Tag hieß es:
Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawallradikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer...Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten."(...)
(wie es sich gleicht! mo)
(...)"Nach dem Polizeibericht, der sich ausschließlich auf Aussagen der anwesenden Polizisten stützte, soll Kurras in Notwehr geschossen haben. Dieser gab in den Folgetagen drei verschiedene Versionen des Tathergangs an, die nur im ersten Punkt übereinstimmten: Er habe sich von den Demonstranten bedroht gefühlt, daraufhin seine Waffe gezogen und entsichert.
* Dann habe er einen oder zwei Warnschüsse abgegeben, von denen einer als Querschläger Ohnesorg getroffen habe.
* Im Handgemenge sei seine Waffe versehentlich losgegangen.
* Zwei Männer mit „blitzenden Messern“ hätten ihn, als er am Boden lag, angegriffen, und er habe sich durch Gebrauch der Schusswaffe schützen wollen. Diese Version vertrat er vor den Behörden unwidersprochen monatelang in der Presse und später auch in seinem Prozess."(...)
(...)"Der Todesschütze Karl-Heinz Kurras blieb zunächst im Dienst. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung eingeleitet. Vor Gericht sagte er aus, er sei in dem Hinterhof von „zwei jungen Männern mit blitzenden Messer“ bedroht worden. Darauf habe er aus seiner Dienstpistole einen Warnschuss abgegeben. Dann sei er „brutal niedergeschlagen“ worden. Dabei habe sich „durch das Zerren und Ziehen der verhängnisvolle zweite Schuss gelöst“, der Ohnesorg traf.
Keiner von 83 Zeugen - auch keienr der beteiligten Kollegen von Kurras - hörte einen Warnschuss, sah Messer, ein Handgemenge und Kurras am Boden liegen. Keiner der Festgenommenen hatte Messer oder andere Waffen bei sich. Das tödliche Geschoss war ebenso wie ein zweites Projektil unauffindbar. Auch das Schädelstück, das die Kugel durchschlagen hatte, blieb verschwunden. Eine Spurensicherung am Tatort hatte nicht stattgefunden; das Pistolenmagazin von Kurras war sofort ausgetauscht worden. Zudem stellte der Richter fest, Ohnesorg habe selbst am Boden gelegen und sei wahrscheinlich sogar noch nach dem Todesschuss verprügelt worden.
Doch die 14. Große Strafkammer des Landgerichts Moabit sprach Kurras am 21. November 1967 frei. In der Urteilsbegründung hieß es, das Gericht habe „keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Tötung oder eine beabsichtigte Körperverletzung durch einen gezielten Schuß“ gefunden. Es sei „nicht widerlegbar, dass er sich in einer lebensbedrohlichen Lage glaubte“. Die Reaktion auf eine subjektiv angenommene Bedrohung nannte das Gericht „putative Notwehr“ und schuf damit einen bis dahin unbekannten Rechtsbegriff."(...)
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olaf ritzmann, im alter von 16 jahren 1980 in hamburg im rahmen eines polizeieinsatzes nach einer demonstration gegen franz-josef strauß vor die s-bahn getrieben:
(...)"Sehr geehrte ‚Spiegel‘-Redaktion! Beiliegend schicke ich Ihnen einen ‚Offenen Brief an den Innensenator‘, den ich schrieb, nachdem mich die Nachricht vom Tode Olaf Ritzmanns, des mittelbaren Opfers des Polizeieinsatzes vom 25.8.1980 auf dem S-Bahnhof Sternschanze, erreichte und erschütterte.
Nach meiner Überzeugung kann der Polizeieinsatz gegen die auf dem Heimweg befindlichen Strauß-Gegner einzig den Zweck eines ‚Rachefeldzuges‘ verfolgt haben, denn die Angegriffenen – ihre Kundgebung war längst beendet – standen friedlich wartend auf dem Bahnsteig (es wurde auch während des Einsatzes niemand verhaftet). Die tatsächlich geworfenen Steine dienten lediglich als Abwehr der Polizisten, die, indem sie mit Gummiknüppeln auf ihre Schilde schlugen, einen furchterregenden Lärm machten, wobei sie keilförmig gegen die Menschen vorrückten. Dieser Lärm und die Tränengasgranaten, die in die Menge geworfen wurden, waren der Grund für die Panik, die Olaf Ritzmann und viele andere – vom Gas fast blind – auf die Gleise trieb; auf dieser ziellosen Flucht ereignete sich dann in einiger Entfernung vom Bahnsteig der schwere, tödliche Unfall.
Da ich der Meinung bin, daß die Polizei ein solches Verhalten vorhersehen mußte, sie aber trotzdem so brutal vorging, ja sogar den anderen Ausgang des überfüllten Bahnhofes abriegelte, muß ich der Polizei bzw. der Einsatzleitung die Schuld für Olaf Ritzmanns Tod geben.
Deshalb schrieb ich den ‚Offenen Brief‘ mit der Bitte um lückenlose Aufklärung und Bestrafung der schuldigen Beamten. Da der ‚Spiegel‘ für seine faire, objektive Berichterstattung, aber auch für seine kritische Haltung der Staatsmacht gegenüber bekannt ist, bitte ich Sie um den Abdruck des ‚Offenen Briefes‘. Es muß auch einmal die andere Seite gehört werden."
(Leserbrief an den "Spiegel")
mediale, staatliche/justizielle version und reaktionen:
""Die Polizei, die bisher immer nur von einem Einsatz im Sternschanzen-Bahnhof sprach, der um 21.40 begann, bestätigte dem Abendblatt gestern nun doch einen zweiten Einsatz am gleichen Ort."
(Hamburger Abendblatt, 5.9.1980)
"Vier Tage wurde Olaf Ritzmann noch künstlich am Leben gehalten. Erst am Freitag vorletzter Woche durfte der 16jährige Tischlerlehrling sterben. Gehirntot aber war er schon am Montag davor, als er von einem Zug der Hamburger S-Bahn erfaßt und auf die Gleise geschleudert wurde. Auf einen Wink der Polizei hatten die Ärzte das kurze Leben des jungen Mannes noch um ein paar Tage verlängert. Man wollte vermeiden, daß es im Anschluß an die blutigen Auseinandersetzungen nach einer Anti-Strauß-Demonstration auch noch zum Märtyrer-Mythos komme."
(Die Zeit, 12.9.1980)
"Die Anwendung von Tränengasgranaten wird ausdrücklich für den gesamten Demonstrationseinsatz bestritten. [...] Nach Darstellung der Polizei hatte Olaf R. zusammen mit anderen Jugendlichen den Bahnsteig verlassen und war auf den Gleisen bis zu einer Eisenbahnbrücke gegangen. Von dort seien Polizeibeamte, die sich unterhalb der Brücke im Einsatz befanden, mit Steinen beworfen worden. Als die Polizei nicht auf die Brücke gekommen sei, hätten sich die Jugendlichen auf den Rückweg zum Bahnsteig gemacht. Dabei sei Olaf R. von dem Zug, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte, angefahren worden. Erst danach sei ein Gruppe Bahnpolizei und später Schutzpolizei auf den Bahnsteig gekommen."
(taz, 1.9.1980)
"Der Hamburger Staatsanwalt Klein hat am 11. April 1983 das Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Tod von Olaf Ritzmann abgeschlossen. Der Tod des 16jährigen Tischlerlehrlings, der bei der Anti-Strauß-Demonstration am 25. August 1980 am S-Bahnof Sternschanze von einer Bahn überfahren wurde, bleibt danach ungesühnt. Klein kam nach fast dreijähriger Ermittlung zu dem Ergebnis, daß ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz im Bahnhofsgebäude und dem Tod des Jungen nicht besteht. ‚Die gegen Polizeibeamte in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe sind unbegründet, zumindest aber nicht nachweisbar‘, schlußfolgerte der Staatsanwalt."
(taz, 2.5.1983)
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klaus-jürgen rattay, im alter von 18 jahren 1981 während eines polizeieinsatzes nach der räumung mehrere besetzter häuser in berlin von einem bus überrollt:
(...)" Der neue CDU-Senat unter Richard von Weizsäcker, mit Heinrich Lummer als Innensenator, beschließt, ein Exempel zu statuieren und acht Häuser räumen zu lassen. Den Besetzern wird ein Ultimatum gestellt, so dass alle Interessierten wissen, wann die Barrikaden brennen werden. Beide Seiten bereiten sich vor. Am Morgen des 22. September rückt die Polizei gleichzeitig in acht Häuser vor. Als die ersten Häuser geräumt sind, will sich Senator Lummer selbst ein Lagebild verschaffen. Durch die Hintertür wird er ins Haus Bülowstraße 89 geschleust, während vor dem Haus Demonstranten stehen, die von der Polizei in Schach gehalten werden. Es dauert nicht lange, bis die Nachricht von Lummers Anwesenheit die Straße erreicht. Drinnen gibt der Senator eine improvisierte Pressekonferenz, draußen versammeln sich Sympathisanten aus anderen besetzten Häusern und rufen „Lummer raus aus unserm Haus“. Ganz vorne dabei ist auch Klaus-Jürgen Rattay.
Lummer zeigt sich kurz auf einem Balkon, was die Wut der Menge weiter ansteigen lässt. Die Polizei drängt die Demonstranten Richtung Potsdamer Straße ab. Dort geraten sie in den Verkehr. Rattay springt auf die Stoßstange eines Busses – die Polizei erklärt später, er habe die Windschutzscheibe einschlagen wollen, Augenzeugen sagen, er habe seine Arme ausgebreitet, um Stopp zu signalisieren. Der Busfahrer hält nicht. Rattay verliert den Halt, gerät unter den linken Vorderreifen. Er wird tödlich verletzt."(...)
staatliche/justizielle reaktionen 1:
"Berlin/Frankfurt (dpa, ap, ddp) - Nach den schweren Verwüstungen bei den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei in Berlin zog die Berliner Polizei am Mittwoch eine erste Zwischenbilanz. Danach wurden über 100 Polizeibeamte verletzt, davon allein 50 bei den nächtlichen Krawallen im Anschluß an den Schweigemarsch, zu dem sich die Demonstranten nach dem Tod des 18jährigen Klaus-Jürgen Rattay formiert hatten. Rund 50 Personen seien bei Brandanschlägen und Plünderungen festgenommen worden. Insgesamt 143 Polizeifahrzeuge seien beschädigt worden. Über die Zahl der verwüsteten Scheiben und Geschäftsfassaden lagen keine genauen Angaben vor. Die Sachschäden dürften jedoch Millionenhöhe erreichen. Auch im Ausland, in Amsterdam, kam es im Zusammenhang mit den Berliner Vorfällen zu Ausschreitungen.
Bereits am Mittwochvormittag versammelten sich, wie schon am Abend zuvor, an der Unfallstelle in der Berliner Potsdamer Straße, wo am Vortage der an den Demonstrationen beteiligte Klaus-Jürgen Rattay von einem Bus überfahren worden war, wieder eine große Menschenmenge.
Über den Unfallhergang gibt es nach wie vor unterschiedliche Darstellungen. Polizeipräsident Hübner erklärte, es mehrten sich die Zeugenaussagen, die die von der Polizei gegebene Darstellung bestätigten. Danach sei Rattay nicht mit einer Gruppe von Demonstranten von Einsatzkräften der Polizei in die Potsdamer Straße getrieben worden, auf der reger Autoverkehr herrschte. Der junge Mann sei vielmehr auf die Stoßstange des Busses gesprungen und von dort abgerutscht. Die Vertreter von CDU, SPD und FDP hätten das Vorgehen der Polizei ausdrücklich anerkannt. Lediglich der Vertreter der Alternativen Liste (AL) habe sich der Zustimmung nicht angeschlossen.
Auf einer Pressekonferenz im Schöneberger Rathaus präsentierte die AL acht Augenzeugen, die die Version erhärteten, daß Rattay nicht den Linienbus mit Steinen angegriffen habe. Rattay habe sich vielmehr mit einer Gruppe von Demonstranten auf der Flucht vor der anrückenden Polizei befunden. Dabei sei er über eine Kreuzung gerannt, habe den Bus aber zu spät bemerkt und versucht ihn anzuhalten, indem er sich mit erhobenen Händen vor das Fahrzeug gestellt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien noch keine Steine gegen den Bus geworfen worden. Erst als Rattay von dem weiterfahrenden Bus erfaßt und 60 Meter mitgeschleift wurde, hätten einige Demonstranten versucht, durch Steinwürfe den Busfahrer auf das Geschehen aufmerksam zu machen.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Herrman, erklärte zu den Vorgängen, die Linie des Senats sei "angemessen und sachgerecht". Die Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund erklärte, es sei "endlich an der Zeit gewesen, der Eskalation der Gewalt Einhalt zu gebieten."(...)
reaktionen 2:
(...)"Er wisse bis heute nicht, warum und weshalb es zu dem Tod des 18-Jährigen gekommen sei, sagt der Potsdamer Oberstaatsanwalt Wolf-Rüdiger Ludwig. Der inzwischen 65-Jährige hat damals die Ermittlungen geleitet. "Das ist meine Vergangenheit", sagt Ludwig auf die Frage, was ihm zu dem Namen Rattay einfällt. Kripo und Staatsanwaltschaft hätten sich wirklich um Aufklärung der Todesumstände bemüht. "Es nicht geschafft zu haben, ist kein gutes Gefühl. Das können Sie mir glauben."
Das Problem ist: Es gibt zu viele Zeugen. Je mehr Menschen von der Polizei befragt werden, desto widersprüchlicher werden die Angaben. "Über 100 Zeugen - das ist ein unvorstellbares Ausmaß", sagt der 61-jährige Rechtsanwalt Wolfgang Meyer-Franck. Er hat die Familie des Toten rechtlich betreut. "Es ist wie immer im Leben: Jeder hat etwas anderes gesehen."
Aus den Zeugenaussagen kristallisieren sich zwei Versionen heraus. Der Gerichtsmediziner Schneider fasst sie in seinem Buch so zusammen: Demonstrationsteilnehmer sagen aus, Rattay sei zusammen mit anderen Demonstranten auf die viel befahrene Potsdamer Straße gedrängt worden. Der Fahrer des BVG-Busses sei "dann voll auf den auf der Kreuzung stehenden 18-Jährigen zugefahren".
Bei der anderen Version handelt es sich um die Polizeiversion, unter Berufung auf andere Zeugen: Demonstranten hätten den BVG-Bus mit Steinen beworfen. Dadurch sei die Frontscheibe und die Seitenscheibe der Fahrerkabine zerstört worden seien. In diesem Augenblick sei der mit einer Kapuze maskierte Rattay auf die Stoßstange des Busses geklettert und habe versucht, die Frontscheibe weiter zu demolieren. "Offensichtlich versuchte der Fahrer, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen", zitiert Schneider den Polizeibericht wörtlich. Dabei sei Rattay von der Stoßstange abgerutscht und vor ein Vorderrad geraten. Der Bus habe ihn 80 Meter weit mitgeschleift. Passanten hätten den Fahrer dann auf das Geschehen aufmerksam gemacht.
Hauptbeschuldigte in dem folgenden Ermittlungsfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge sind der Busfahrer und ein Einsatzleiter der Polizei. Dabei handelt es sich um jenen Beamten, der es versäumt hat, die Kreuzung sperren zu lassen, bevor er den Befehl zur Straßenräumung erteilte. Zweimal stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die beiden Beschuldigten ein. Zweimal legt Rechtsanwalt Meyer-Franck Beschwerde ein. Mit einem neuerlichen Verkehrssachverständigengutachten bewirkt Meyer-Franck, dass das Kammergericht eine mündliche Verhandlung zum Klageerzwingungsverfahren durchführen muss. Am Ende wird der Antrag aber doch abgelehnt. Die Begründung der Richter: Gegen die Beschuldigten bestehe zwar ein erheblicher Verdacht, die Beweise reichten aber nicht aus. "Dabei hat der Verkehrssachverständige in seinem Gutachten festgestellt, dass der Bus bei dem Aufprall mindestens 20 Stundenkilometer schnell gefahren ist", erzählt Meyer-Franck. "Die Straße war voller Menschen. Er ist einfach in die Menge reingefahren. In so einem Fall ist ein Bus ein Mordgerät." Das hätte der Fahrer wissen müssen, egal ob ihm die Richtung der Demonstration gepasst habe oder nicht. "Es ist traurig, dass die Rechtssprechung das nicht erkannt hat."(...)
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günther sare, im alter von 36 jahren 1985 während einer demonstration gegen eine npd-veranstaltung in frankfurt von einem wasserwerfer überrollt (staatliche(justizielle reaktionen im folgenden enthalten):
(...)"Der 36jährige hatte am 25. September 1985 im Gallusviertel an einer Kundgebung und Blockade gegen eine Veranstaltung der NPD teilgenommen, die in dem überwiegend von Einwanderern bewohnten Stadtteil eine Versammlung durchführte.
Massive Polizeikräfte, zu denen auch Wasserwerfer gehörten, gingen in den Abendstunden dazu über, die Strassen von Gegendemonstranten zu räumen. Im Verlauf dieses Einsatzes geriet Günter Sare unter gezielten Wasserwerferbeschuss, versuchte zu fliehen, stürzte und wurde von einem zweiten Wasserwerfer überfahren.
Die Polizei verweigerte zuerst Demosanis und Ärzten die Hilfeleistung und vertrieb unter Schlagstockeinsatz weitere Hilfswillige. Ein Notarztwagen traf verspätet ein. Kurz darauf starb der Schwerverletzte.
Die Angehörigen Günter Sares, Mutter und Schwester, erhielten erst am folgenden Tag von einem Zivilbeamten mehr nebenbei offiziell Kenntnis vom Tod ihres Sohnes und Bruders. Unter Mühen gelang es ihnen, eine Zweitobduktion der Leiche durchzusetzen und dem Gutachter wurden wochenlang wichtige Untersuchungsergebnisse des hessischen Landeskriminalamtes vorenthalten.
Verschiedene Versionen über die Todesursache wurden umgehend in Umlauf gesetzt: So soll sich auf der Kreuzung, wo der Vorfall stattfand, eine Menschenansammlung befunden haben, die die Polizei attackierte. Dann hiess es, Günter Sare sei von einem Stein am Kopf getroffen worden, gestürzt und dann unter die Räder geraten. Als nächstes wurden Günter Sare ein Stein und später ein Rundholz angedichtet, das er auf den Wasserwerfer geschleudert haben soll. Die Meldungen dienten vor der Öffentlichkeit als Begründung, in den kommenden Tagen jegliche Protestversammlungen in der Frankfurter Innenstadt auseinanderzutreiben-, zeitweilig glich die Mainmetropole einer Polizeifestung.
Fast ein dreiviertel Jahr später legte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsergebnisse vor: Danach war die Kreuzung im Gallusviertel hell erleuchtet und übersichtlich, und Günter Sare stand allein dort, als er unter gezielten Beschuss zweier Wasserwerfer geriet. Der Todeswasserwerfer stand nicht unter Bewurf und aus dem Inneren des Fahrzeugs boten sich beste Sichtverhältnisse.
Doch die beschuldigte Wasserwerferbesatzung will Günter Sare nicht gesehen haben, weder vor dem gezielten Wasserstrahl, noch, als der Getroffene zu entkommen versuchte. Alle fünf Besatzungsmitglieder hatten ihr Augenmerk angeblich gleichzeitig in eine andere Blickrichtung gelenkt.
Merkwürdig bleibt auch, dass die Tonaufzeichnungsanlage, die den Funkverkehr mit anderen Einsatzkräften aufnehmen soll, just in diesem Augenblick funktionsuntüchtig gewesen sein soll. Auch Videobilder der Dokumentationstrupps liegen nicht vor. Eine Erklärung steht ebenfalls aus für die Öffnung des Fahrtenschreibers unmittelbar vor und nach dem tödlichen Einsatz. "Dies legt den Verdacht der Beweismittelmanipulation nahe", schreibt Rechtsanwältin Waltraud Verleih, die die Angehörigen Günter Sares in einer Nebenklage vertritt, in einer Presseerklärung. "Nach diesem Ermittlungsergebnis hat das 26 Tonnen schwere Tatwerkzeug eine Geisterfahrt hinter sich gebracht", kommentiert die Anwältin.
Sie hat deshalb unter anderem Beschwerde dagegen eingelegt, dass die Ermittlungen gegen drei der fünf Besatzungsmitglieder des Todesfahrzeuges eingestellt wurden. Auch mit der Einstellung der Anzeige gegen die verantwortliche Frankfurter Polizeiführung will sich Waltraud Verleih nicht abfinden und kündigt an, die Verhandlung für eine umfassende Klärung des Tatgeschehens zu nutzen. Die Staatsanwaltschaft selbst hat lediglich gegen den WaWe- Kommandanten und den Fahrer Anklage erhoben: wegen "fahrlässiger Tötung". Für ein vorsätzliches Handeln gäbe es keine Anhaltspunkte, erklärt die Anklagebehörde, mehr noch, der Vorwurf habe sich als "ausgesprochen absurd" herausgestellt."(...)
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erna sielka, rentnerin (alter kann z.zt. von mir nicht festgestellt werden), 1986 während der auseinandersetzungen um die waa in wackersdorf während eines polizeieinsatzes durch einen herzinfarkt gestorben. zu dieser toten gibt es online anscheinend genauso wenig materialien wie zu
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alois sonnleitner, im alter von 38 jahren ebenfalls 1986 an einem durch einen polizeilichen cs-gas-einsatz in wackersdorf ausgelösten asthmaanfall gestorben. für ergänzungen zu diesen beiden toten wäre ich sehr dankbar.
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conny wessmann, im alter von 24 jahren 1989 während eines polizeieinsatzes gegen antifaschistische demonstrantInnen in göttingen auf einer vielbefahrenen straße von einem auto überrollt - ein langes interview als .pdf-file dazu.
justizielle reaktion:
(...)"Bei den offiziellen Untersuchungen wurde weder ein Verschulden von Polizeibeamten noch auf Seiten des Autofahrers festgestellt, der nicht mehr ausweichen konnte."(...)
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falls Ihnen bei den staatlich-justiziellen reaktionen irgendwelche wiederkehrenden muster oder gar parallelen zu aktuellen ereignissen aufgefallen sind, können die nur an zeitweiligen wahrnehmungstrübungen liegen. schließlich ist das hier ein demokratischer rechtsstaat. wer das anders sieht, steht bereits hart am rande der verfassungsfeindlichkeit. und das will doch wirklich niemand. oder?
monoma - 5. Jun, 23:52
danke für die Übersicht. Der Link zum Conny Wessmann-Interview funktioniert nur, wenn man hinten die Session-ID "abschneidet", also http://www.nadir.org/nadir/periodika/aib/archiv/57/conny.pdf
Gruß, m.