notiz: "Er ist schlicht und einfach nur böse..."

...sagt Sauerwein über seinen Mandanten.

"Er kann Gefühle anderer nicht nachempfinden."(...)

so der - ehemalige - pflichtverteidiger des serientäters ronny rieken. nun ist so eine öffentliche aussage eines anwalts über einen ex-mandanten schon etwas außergewöhnliches; im folgenden soll es jedoch eher um das gehen, was anhand dieser geschichte wiedereinmal deutlich sichtbar wird - die hilflosigkeit und auch blindheit - als eine form von ignoranz begriffen - großer teile nicht nur dieser gesellschaft dem sog. bösen gegenüber.

(...)"Ronny hat ein Doppelleben geführt und uns alle getäuscht."(...)

und so wie die aussage eines familienmitgliedes klingt´s wohlbekannt auch in
ähnlichen fällen - beim damaligen beispiel hatte ich u.a. den schluß gezogen:

(...)"auffällig sind für mich u.a. die fast schon als klischeé anzusehenden aussagen über das "vertrauenswürdige" und "nette" auftreten des täters (gerne in diesem kontext auch "normal" und "unauffällig") - wie sie z.b. häufiger ebenfalls nach sog. amokläufen oder auch "banalen" mordgeschichten zu hören und zu lesen sind. möglicherweise ist dabei ein kern von wahrheit, der aber imo eher etwas über die wahrnehmungsfähigkeiten derjenigen aussagt, die solche bemerkungen wie zitiert von sich geben. eine vorläufige hypothese dazu könnte vielleicht so aussehen, dass die betreffenden regelmässig ihre informationen über andere menschen primär aus a) äusserlichkeiten und b) "normgerechten verhalten" (...) ziehen - was in der folge auch als konsequenz hätte (und vermutlich regelmässig hat), dass z.b. ein durch und durch soziopathischer mensch sein verhalten nur den jeweils gültigen konventionen angleichen muss, um überall in seinem tun zuverlässig ignoriert zu werden. wie finden Sie diese vorstellung?"(...)

*

das stichwort ist gerade gefallen, und darum die frage: lässt sich rieken nicht nur als "gewöhnlicher" antisozialer, sondern als
soziopath begreifen? das talent zum simulieren sowie der oben zitierte eindruck des anwalts geben dafür einige indizien, aber der verdacht erhärtet sich erst bei der folgenden aussage riekens:

(...)"Letztendlich ging es mir nur darum, das zu tun, was ich will, die Macht zu demonstrieren, dass ich tun und lassen kann, was ich will, ohne dass mich einer aufhalten kann", sagt er selbst. "Ich glaube nicht, dass ich eine Bestie bin, ich bin eigentlich in gewisser Weise ein ganz normaler Mensch, der nur nicht die Kontrolle über sich hat", sagt Rieken über sich selbst."(...)

die selbstwahrnehmung als "normaler mensch" lässt sich so interpretieren, dass er sich tatsächlich mindestens den größten teil seines lebens in dem bewußtseinszustand befunden haben muss, der im zitat durchschimmert: macht demonstrieren und "tun und lassen, was ich will". diese art "normalität" ist keinesfalls allein die seinige, und spätestens an diesem punkt wird´s für die restliche gesellschaft ungemütlich - in einem früheren
kommentar zu einem prozeß gegen kindsmordende eltern hatte ich das bezgl. eines täters so ausgedrückt,...

(...)"...dass der angeklagte tatsächlich "nur" bestimmte (ideologische) grundsätze und (falsche) grundannahmen dieser gesellschaft konsequent "gelebt" bzw. angewendet hat: "der mensch ist prinzipiell egoistisch"; "man(n) muss seine ellenbogen einsetzen", "gut ist, was mir nützt" und dergleichen mehr. das ermordete kind wurde einfach als störendes und hinderliches ding auf dem weg zur jämmerlich reduzierten befriedigung wahrgenommen, und dementsprechend "behandelt" - was unterscheidet also das mörderische handeln dieser eltern eigentlich prinzipiell vom ebenso mörderischen handeln vieler staatlicher institutionen und großen unternehmen in dieser welt? in der rücksichtslosigkeit, kälte und vorgeschobenen behauptung "objektiver zwänge" sowie der völligen unterwerfung bzw. identitätskonstruktion unter und mittels herrschender ideologischer fragmente lassen sich für mich keine großen unterschiede feststellen."(...)

das ist der eine aspekt, der das "böse" wieder direkt an uns heranholt. der andere wird bei der weiteren lektüre des spon-artikels sichtbar:

(...)"In der Familie seiner Frau will niemand von Riekens grausamer Vergangenheit gewusst haben: Dass er seine zwei Jahre jüngere Schwester vergewaltigte, sie mit einem Gürtel mehrmals bis zur Bewusstlosigkeit würgte und dafür zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Wegen guter Führung wird er nach fast vier Jahren entlassen. Der Fall wird in den Akten unter "Familiensachen" abgeheftet, Rieken wird nicht als Sexualstraftäter registriert.

Auch weiß niemand, dass sein Vater im Gefängnis saß, weil er ein Mädchen vergewaltigte und sich an seinen eigenen Töchtern verging. Rechtsanwalt Sauerwein hat die Urteile im Strafverfahren gegen Riekens Vater studiert. Sein bestürzendes Fazit: "Ronny Rieken ging bei seinen Taten fast identisch wie sein Vater vor."(...)


ein völlig trostloser und extrem gewalttätiger familiärer hintergrund also, der einige rückschlüsse darauf zulässt, in welcher atmosphäre dieser mensch aufgewachsen ist (es wäre auch aufschlußreich, den umgang mit dem jungen rieken selbst zu kennen - was hat er da wie von seinem vater gelernt?) - eine atmosphäre, die bei alternativlosigkeit - und gekoppelt mit den unausgesprochenen ideologischen maximen dieser gesellschaft - durchaus als "normal" empfunden werden kann. dazu kommt die pseudobewältigung seitens der justiz, die einmal mehr die untauglichkeit ihrer mittel gegenüber solchen destruktiven antisozialen verhältnissen unter beweis stellt - eine wirksame isolierung ist bei solch kaputten menschen wie rieken durchaus angebracht, und zwar aus gesellschaftlichen selbstschutzinteressen heraus - aber eine "bestrafung" ist bei solchen persönlichkeiten und ihren taten regelmäßig mit dem eindruck von unangemessenheit und vor allem unwirksamkeit verbunden. eher ein placebo für die gesellschaft, das damit verabreicht wird. eine gesellschaft, die erstens ihre eigene produktion des "bösen" mittels destruktiver sozialer verhältnisse konsequent leugnet und zweitens auch mehrheitlich weiter kein bewußtsein dafür besitzt, wie verheerend menschen mit schwer geschädigter psychophysischer struktur tatsächlich agieren können.

und solange das so bleibt, wird es auch weiterhin die beliebte rede vom "schier unbegreiflichen" und quasi metaphysischen "bösen" geben - um sich selbst und die verhältnisse ja nicht ändern zu müssen.

(ps: zum unterschied zwischen verständnis und akzeptanz schreibe ich an dieser stelle nichts mehr).
monoma - 31. Okt, 23:21

weil´s gerade auffällt:

nur einen tag nach der obigen überschrift legt spon in einem anderen zusammenhang nach:

"Ich glaube ohnehin, dass jeder Mensch etwas Böses in sich birgt. Die meisten schaffen es nur, das unter Verschluss zu halten."

nein, keine verschwörungstheorie. aber es ist schon bezeichnend, dass in zeiten wie diesen derartiges zeug medial verbraten wird - natürlich immer, ohne auch nur den hauch einer frage in die richtung zu produzieren, wie denn eigentlich der kontext aussieht, in dem das böse auftritt und existiert.

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