sansculotte - 12. Jan, 04:04

Wenn nun diese Veröffentlichungen,

Wohlgethans Buch und die Interviews, nicht ausreichen, eine Massenbewegung zur Beendigung der deutschen Kriegsteilnahme in Afghanistan zu initiieren, dann ist für mich wirklich Hopfen und Malz verloren. Dann steht für mich fest, dass die Abstumpfung schon ein Ausmaß erreicht hat, das nicht mehr korrigierbar ist.

Es waren ähnliche Erzählungen und Berichte amerikanischer GIs, die die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg angestoßen haben. Nun denn ...

monoma - 13. Jan, 12:17

hm. ich weiß nicht...

...ob ich ausgerechnet diese geschichte (auslandseinsätze der bw) bzw. die reaktion oder nichtreaktion darauf als eine art maß für die allgemeine abstumpfung ansehen würde. es gibt ähnliche gewaltverhältnisse hier vor der haustür; und mir fällt gerade auch ein, dass ich bei den pogromen anfang der 1990er irgendwann gedacht habe, dass die damaligen reaktionen sehr krass das versagen hinsichtlich der ns-aufarbeitung gezeigt haben - es hätte andernfalls nie, aber auch niemals zu solchen taten kommen können, wenn der ns tatsächlich begriffen worden wäre.

afghanistan ist weit, und anhand der berichterstattung der letzten tage lässt sich auch schon sehen, wie seitens der institutionen "vorgebaut" wird - incl. unglaubwürdigmachung.

den vergleich mit vietnam halte ich übrigens in jeder hinsicht - und zwar auch in bezug auf den irak - für unangemessen. ganz kurz: 1. bisher zeigt ein historischer rückblick, dass massenbewegungen (auch progressiver art) immer eine starke schwarz-weiß-wahrnehmung zu ihrer entstehung benötigen, einen einigermaßen klaren gut-böse-gegensatz bzw. entsprechende symbolik. das fällt imo sowohl in afghanistan als auch im irak komplett weg, wo es sich als fast unmöglich herausstellt, nicht hinsichtlich der motive der handelnden zu differenzieren, wenn man nicht irgendwelche beliebigen konstrukte aufstellen möchte.

2. vietnam war damals auch ein symbol - und vielleicht die absolute zuspitzung - für eine weltweite auseinandersetzung auf mehreren ebenen (nationale befreiungsbewegungen im trikont, kulturell stark wirksame jugendbewegung im gesamten westen vs. politisch-kulturelle dominanz der usa) , deren hintergründe und dynamik heute so überhaupt nicht mehr existieren. und ich würde sagen, auch nicht mehr existieren könnten.

3. ich würde die prognose wagen, dass sich sozialer widerstand heute und zukünftig größtenteils nicht mehr in den formen abspielen wird, wie wir sie aus dem vergangenen jahrhundert gewöhnt sind. zu den gründen mehr ein andermal, habe gerade nicht die nötige ruhe. aber aus diesem grund möchte ich deinem pessimismus auch nicht zustimmen - auch, wenn die situation allgemein natürlich be...... ist.
sansculotte - 13. Jan, 22:54

Ähnliche Gewaltverhältnisse, die gibt es,

weniger aber gleichartige Gewalttaten. Das entscheidende Element dessen, was Wohlgethan erzählt, ist doch, dass hier Kinder vorsätzlich (bewusst) und systematisch (in großer Zahl) in Tod oder Invalidität geschickt werden.

Die Moralforschung zeigt uns, dass Menschen Situationen danach moralisch bewerten, ob eine bewusst in Gang gesetzte Handlung vorliegt oder ob etwas "nur" in Kauf genommen wird. Das macht evolutionär auch Sinn, weil bewusst eingeleitete Aktionen auf jeden Fall unterlassen werden können, Unterlassungen aber oft aus Not oder einer Zwangslage geschehen. Es ist verwerflicher, wenn ich selbst eine gewalttätige Handlung initiiere als wenn ich sie - aus welchen Gründen immer - geschehen lasse.

http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/209/94115/

Die Soldaten, die die Kinder aufs Minenfeld schicken, tun das ganz bewusst. Wenn sich jemand darüber empört, ist das also ein - nein, kein Maß, aber - Indikator für das Funktionieren des moralischen Systems.

Der Psychologe Marc Hauser hat auch gezeigt, dass vor allem bestimmte Hirnläsionen (z.B. Verletzung des präfrontalen Cortex) dieses biologisch-moralische System außer Kraft setzen. Solcherart organisch beeinträchtigte Personen beurteilen Handlungen genauso utilitaristisch wie Wohlgethan es in seiner Reaktion in dem Interview getan hat: die Aktionen seien schließlich zu etwas gut gewesen, es sei keine zweckfreie Grausamkeit gewesen, sondern Selbstschutz.

Ich kann nachvollziehen, dass sich Soldaten im Krieg oder kriegsähnlichen Situationen ähnlich wie Gehirngeschädigte verhalten. Das ist die Wirkung des Krieges. Ich tu mir aber schwer damit, Leute in zivilen Verhältnissen gleichermaßen zu entschuldigen. Angesichts des oben Ausgeführten würde ich sie als "abgestumpft" bezeichnen, obwohl ich weiß, dass diese "Erklärung" ganz gewiss zu kurz greift.

Dazu, was Du zu den Massenbewegungen sagst, stimme ich zu, aber die von Dir beschriebene Dynamik ( gut - böse) ist nun einmal Voraussetzung für die Effizienz einer Massenbewegung. Ob nun tatsächlich die offenen Massenaktionen Motor gesellschaftlichen Wandels sind - darüber kann man trefflich streiten. In unserem Fall wäre zumindest für das Erreichen des engeren Nahzieles - Abzug der deutschen Truppen - eine zeitlich beschränkte Massenaktion wünschenswert, denn ohne Widerstand, der eine kritische Masse [sic] erreicht, werden die "Entscheidungsträger" niemals "Handlungsbedarf" feststellen.

Ich denke nicht, dass puncto Irak eine allzu subtlie Differenzierungsfähigkeit gefragt ist. Zumindest was die Initiatoren des Krieges betrifft, liegen die Motive - gewinnbringende Geschäfte und Stützung des Dollars - klar auf der Hand. Eine Bestimmung, wer hier das Üble in die Welt gebracht hat, sollte nicht allzu schwierig sein.

Punkt 3 - ich würde die prognose wagen, dass sich sozialer widerstand heute und zukünftig größtenteils nicht mehr in den formen abspielen wird, wie wir sie aus dem vergangenen jahrhundert gewöhnt sind - Deines Kommentars interessiert mich sehr. Könntest Du das näher erläutern?

Nette Grüße, sansculotte
monoma - 14. Jan, 21:38

@sansculotte:

Ich kann nachvollziehen, dass sich Soldaten im Krieg oder kriegsähnlichen Situationen ähnlich wie Gehirngeschädigte verhalten. Das ist die Wirkung des Krieges. Ich tu mir aber schwer damit, Leute in zivilen Verhältnissen gleichermaßen zu entschuldigen. Angesichts des oben Ausgeführten würde ich sie als "abgestumpft" bezeichnen, obwohl ich weiß, dass diese "Erklärung" ganz gewiss zu kurz greift.

teils-teils, weil es doch in der traumaforschung auch nicht wenige stimmen gibt, die sagen, dass die wirkungen "ziviler" gewalt (zb. innerfamiliär, aber auch mobbing u.a.) in ihren psychophysischen folgen auf dauer sehr, sehr ähnlich denen sind, die auch in kriegen zu beobachten sind. und ist eine situation wie bspw. beim pogrom von rostock 1992, als es reines glück war, das sich dutzende vietnamesen (männer, frauen, kinder) im letzten moment noch aus dem brennenden haus retten konnten, nicht auch als kriegsähnlich zu betrachten? klar gingen die damaligen täterInnen nicht so ein risiko ein wie bspw. soldaten in einer kriegszone - aber mit den letzteren weisen sie imo die gleiche verdinglichende wahrnehmung auf, die sich hier eher auf die erwähnten "zivilen" kriegsvarianten zurückführen lässt. und um entschuldigung geht´s und ging es mir dabei noch nie - aber schon um ein verständnis.

Dazu, was Du zu den Massenbewegungen sagst, stimme ich zu, aber die von Dir beschriebene Dynamik ( gut - böse) ist nun einmal Voraussetzung für die Effizienz einer Massenbewegung. Ob nun tatsächlich die offenen Massenaktionen Motor gesellschaftlichen Wandels sind - darüber kann man trefflich streiten. In unserem Fall wäre zumindest für das Erreichen des engeren Nahzieles - Abzug der deutschen Truppen - eine zeitlich beschränkte Massenaktion wünschenswert, denn ohne Widerstand, der eine kritische Masse [sic] erreicht, werden die "Entscheidungsträger" niemals "Handlungsbedarf" feststellen.

ebenso teils zustimmung; wobei ich denke, dass sich grundsätzlich die beschriebene art der wahrnehmung als struktureller teil eben der verhältnisse ansehen lässt, die geändert werden müssen - und deshalb sind klassische massenbewegungen auch eher ein - dazu noch weitgehende berechenbarer - teil des problems. von der perfektionierung der aufstandsbekämpfung seiten der macht gar nicht zu reden.

aber klar: trotz dieser einschränkungen bleiben sie bis auf weiteres in begrenzten situationen eine option.

Ich denke nicht, dass puncto Irak eine allzu subtlie Differenzierungsfähigkeit gefragt ist. Zumindest was die Initiatoren des Krieges betrifft, liegen die Motive - gewinnbringende Geschäfte und Stützung des Dollars - klar auf der Hand. Eine Bestimmung, wer hier das Üble in die Welt gebracht hat, sollte nicht allzu schwierig sein.

auch hier wieder einschränkungen, die ich sehe: was die initiatoren (schon bei der saddam-diktatur) betrifft - d´accord. schwieriger wird es schon bei deren motiven: ich sehe da die ökonomie nur als eine ebene. und erst recht schwierig wird es dann beim sog. irakischen widerstand - wer kann von hier aus schon so diffrenzieren, wie´s notwendig wäre?

Punkt 3 - ich würde die prognose wagen, dass sich sozialer widerstand heute und zukünftig größtenteils nicht mehr in den formen abspielen wird, wie wir sie aus dem vergangenen jahrhundert gewöhnt sind - Deines Kommentars interessiert mich sehr. Könntest Du das näher erläutern?

hm. momentan nicht ausführlich, weil ich da eher meiner intuition vertraue - und die kann ich teils noch nicht in worte fassen. einen anfangsgedanken habe ich beim punkt der massenaktionen oben schon erwähnt. es geht mir einfach darum, dass sich viel zuviele widerstandsformen innerhalb der herrschenden logik bewegen, zumindest meiner meinung nach.

gruß zurück,
mo

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