notiz: "ignored to death" - eine tödliche verdinglichung im objektiv eingefroren
"wenn es wahr ist, dass sich eine gesellschaft in ihren totalen institutionen am deutlichsten kenntlich macht, so werden uns die zustände sowohl in der psychiatrie als auch in den (privatisierten) gefängnissen ein spiegelbild unserer inneren verfassung liefern, was zum schreiend davonlaufen - nicht nur sein wird, sondern bereits in teilen ist."
*
mit den obigen worten ist ein teil meines fazits ausgedrückt, welches ich vor längerer zeit in einem beitrag zum thema psychiatrie & privatisierung gezogen hatte, und dabei bin ich u.a. auch auf die zustände der psychiatrischen versorgung in new york eingegangen, die besonders seit der umstrukturierung der dortigen psychiatrie vor ein paar jahrzehnten mit dem wort "erbärmlich" nur unzureichend beschrieben sind, und umstandslos sowohl privatisierte als auch die öffentlichen betreiber von kliniken und heimen betreffen. eine institution der letzteren art ist nun vor einiger zeit mit einem - wieder mal - regelrecht sprachlos machenden vorfall in den focus der internationalen medienöffentlichkeit geraten:
"Sie war todkrank, sie war verwirrt, litt an Angstzuständen und benötigte dringend medizinische Hilfe. Die bekam sie nicht - und starb einen einsamen, elenden Tod. Die 49-jährige Esmin Green, eine gebürtige Jamaikanerin, war am Morgen des 18. Juni in die psychiatrische Notaufnahme des New Yorker Kings County Hospitals eingewiesen worden.(...)
Was sich dann ereignete, spricht jeder Mitmenschlichkeit ebenso Hohn wie dem Hippokratischen Eid.
Esmin Green sitzt volle 24 Stunden auf ihrem Plastikstuhl, ohne dass sich jemand für sie interessiert. Schließlich gleitet sie halb bewusstlos zu Boden, versucht sich noch eine Weile auf allen vieren zu halten und fällt dann auf den Bauch. Sie rutscht unter die Stuhlreihe und strampelt im Todeskampf verzweifelt mit den Beinen. Minutenlang windet sie sich auf dem Boden - unter den gleichgültigen Blicken von drei Mitpatienten. Schließlich stirbt Esmin Green."
"Krankenhaus- und Sicherheitspersonal inspiziert wiederholt das Wartezimmer, sieht die Leiche der Frau dort mit gespreizten Beinen liegen - und wendet sich gleichgültig ab. Einer der Angestellten rollt gemütlich auf einem Bürostuhl heran, guckt zu Esmin Green hinüber - und rollt gemütlich weiter. Ein weiterer Angestellter kommt, endlich alarmiert von einer Patientin, schiebt einen Stuhl hin und her und stößt die Tote dann mal an. Erst jetzt wird eine Ärztin alarmiert, die aber nur noch den Tod der Frau feststellen kann - der bereits vor 58 Minuten eingetreten war.
Als Nächstes fälscht das Klinikpersonal offenbar den Krankenbericht, um den Skandal zu vertuschen. Die Videoüberwachung zeigt, dass Green um 6.08 Uhr aufhörte, sich zu bewegen. Der Bericht wähnt sie um diese Zeit aber noch "auf und munter zum Waschraum gehend". Um 6.20 Uhr saß Esmin Green laut Bericht "ruhig im Warteraum" - zu diesem Zeitpunkt war die Patientin schon längst tot."(...)
(quelle)
*
in den einschlägigen foren, egal ob onlinepresse oder auch bei you tube, wo es inzwischen etliche filme gibt, die sich mit dieser geschichte beschäftigen, werden fragen gestellt und antworten gesucht, die von der hautfarbe der toten über die grundsätzlichen defizite des us-amerikanischen gesundheitssystems bis hin zur grundsätzlichen frage nach dem wert des menschlichen lebens innerhalb des kapitalismus variieren. all diese punkte lassen sich mit mehr oder weniger berechtigung zur erklärung des unsäglichen heranziehen; aber die für mich interessanteste frage lautet wieder einmal:
in welchen wahrnehmungszuständen befanden sich all diejenigen beteiligten, die in dieser geschichte als gleichgültige beobachterInnen - so gleichgültig wie die alles registrierende kamera - eines todeskampfes auffällig wurden?
(...)""Hier geht es um Mängel im menschlichen Charakter", sagte der Bioethiker Michael Shapiro. Es komme immer wieder vor, dass Menschen das Sterben anderer ungerührt mitansähen."(...)
(quelle)
"mängel im menschlichen charakter" - eine aussage, die letztlich alles und nichts meinen kann.
"Entmenschlichung?
Was wir Menschen uns gegenseitig antun, ist Gegenstand von Überlieferungen seit Anbeginn der Zeichensetzung. Was wir Menschen uns gegenseitig nicht mehr antun, beschäftigt zunehmend Soziologen, Politiker und alle, die sich generell für das Miteinander interessieren.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei deren Abwesenheit. Ob Leute in der U-Bahn verprügelt werden, Unfallopfer in der Öffentlichkeit unversorgt bleiben oder eine Frau vor den Augen mehrerer Zeugen vergewaltigt wird: Die Bereitschaft, persönlich einzugreifen und zu helfen, scheint dramatisch abzunehmen. Vielleicht - so fragt der Skeptiker genereller Befindlichkeitsanlaysen in mir - wird diese attestierte Teilnahmslosigkeit durch den Ausbau der Überwachungs- und Schnüffelsysteme aber auch nur etwas sichtbarer.
Angst ist dabei wahrscheinlich noch immer der häufigste Grund des bewussten Wegschauens."(...)
(quelle)
der letzte satz mit der angst als begründung lässt sich dabei höchstens mit situationen in verbindung bringen, in denen es um akut ausagierte formen von gewalt geht, und die aktive intervention auch ein mehr oder weniger großes persönliches risiko beinhaltet. wobei in zeiten der allseits vorhandenen handys eigentlich auch die zeit verkürzt sein müsste, in der wirkungsvolle erste hilfe von entsprechenden institutionen angefordert werden kann.
die situation in der notaufnahme eines krankenhauses jedoch sollte eine derartige erklärungsvariante von vorneherein ausschließen. wenn man sich das video so betrachtet, entsteht weniger ein eindruck von angst als eher einer von verbreiteter apathie - auf seiten der beobachterInnen - und agonie bei der späteren toten. egal ob bei den anderen, vermutlich als patientInnen, wartenden oder beim beteiligten klinikpersonal: die in der ecke liegende frau hatte in all den qualvollen stunden offensichtlich nicht mehr wahrnehmungsmässige bedeutung als ein sonstiges beliebiges ding in dem wartezimmer.
nun lässt sich eine derartige gleichgültigkeit beim klientel, welches in einer psychiatrischen notaufnahme auf selbige wartet, nun nochmals in mehr variationen erklären - zumindest als möglichkeit - als beim personal: der einfluß von psychoaktiven ("legalen" und "illegalen") stoffen bspw. kann ebenso eine rolle spielen wie durch psychophysische extremzustände induzierte wahrnehmungstunnel, die durchaus einbußen zb. in der eigenen empathiefähigkeit mit sich bringen können.
genau diese fähigkeit aber ist bis zur ununterscheidbarkeit beim eigentlich zuständigen klinikpersonal gleichfalls nicht zu erkennen - was dann auch nebenbei die frage aufwirft, wo eigentlich die unterschiede zwischen beiden gruppen liegen, aber das ist zugegebenermaßen schon polemik.
was bis hierher auf dem tisch liegt, ist aber der starke verdacht, dass all diejenigen, die in den verschiedenen momenten in all den stunden diese frau nicht als leidendes mitgeschöpf wahrgenommen haben, sich in diesen momenten bezgl. ihrer wahrnehmungsfähigkeiten dem status der rein beobachtenden kamera angeglichen haben: ungerührt, gleichgültig, mitleidlos und im negativsten sinne mechanisch (darin übrigens auch ähnlich denjenigen jugendlichen, die beim "happy slapping" sowohl zuschlagen als auch darum bemüht sind, möglichst "gute" filmsequenzen in ihren kameras festzuhalten).
und das sich die beteiligten seitens des personals dann hinterher noch bemüht haben, die beweise für ihr nicht-tun zu entsorgen und zu vertuschen, macht deutlich, dass sie irgendwo gewußt haben, dass ihr verhalten in jenen stunden durchaus von vielen anderen als antisoziale aktion übelsten grades begriffen werden kann - wobei eine aktion durch unterlassen ebenso eine aktion bleibt.
die den medien zu entnehmenden maßnahmen der vorläufigen suspendierung und vollen kündigung der involvierten mitarbeiterInnen jedenfalls mögen zwar mal wieder spontane gefühle nach gerechtigkeit und sühne befriedigen, gesellschaftlich sinnvoller wäre meiner meinung nach allerdings, alle beteiligten genauestens nach den zuständen zu befragen, in denen sie sich zu dieser zeit befunden haben. das könnte nun wahrlich mal zur abwechslung erhellendes und auch der prävention dienendes zu tage befördern.
nachtrag: ich habe inzwischen ein anderes video, aber mit dem gleichen thema, ausgewählt, welches mehr von den vorgängen im warteraum zeigt.
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mit den obigen worten ist ein teil meines fazits ausgedrückt, welches ich vor längerer zeit in einem beitrag zum thema psychiatrie & privatisierung gezogen hatte, und dabei bin ich u.a. auch auf die zustände der psychiatrischen versorgung in new york eingegangen, die besonders seit der umstrukturierung der dortigen psychiatrie vor ein paar jahrzehnten mit dem wort "erbärmlich" nur unzureichend beschrieben sind, und umstandslos sowohl privatisierte als auch die öffentlichen betreiber von kliniken und heimen betreffen. eine institution der letzteren art ist nun vor einiger zeit mit einem - wieder mal - regelrecht sprachlos machenden vorfall in den focus der internationalen medienöffentlichkeit geraten:
"Sie war todkrank, sie war verwirrt, litt an Angstzuständen und benötigte dringend medizinische Hilfe. Die bekam sie nicht - und starb einen einsamen, elenden Tod. Die 49-jährige Esmin Green, eine gebürtige Jamaikanerin, war am Morgen des 18. Juni in die psychiatrische Notaufnahme des New Yorker Kings County Hospitals eingewiesen worden.(...)
Was sich dann ereignete, spricht jeder Mitmenschlichkeit ebenso Hohn wie dem Hippokratischen Eid.
Esmin Green sitzt volle 24 Stunden auf ihrem Plastikstuhl, ohne dass sich jemand für sie interessiert. Schließlich gleitet sie halb bewusstlos zu Boden, versucht sich noch eine Weile auf allen vieren zu halten und fällt dann auf den Bauch. Sie rutscht unter die Stuhlreihe und strampelt im Todeskampf verzweifelt mit den Beinen. Minutenlang windet sie sich auf dem Boden - unter den gleichgültigen Blicken von drei Mitpatienten. Schließlich stirbt Esmin Green."
"Krankenhaus- und Sicherheitspersonal inspiziert wiederholt das Wartezimmer, sieht die Leiche der Frau dort mit gespreizten Beinen liegen - und wendet sich gleichgültig ab. Einer der Angestellten rollt gemütlich auf einem Bürostuhl heran, guckt zu Esmin Green hinüber - und rollt gemütlich weiter. Ein weiterer Angestellter kommt, endlich alarmiert von einer Patientin, schiebt einen Stuhl hin und her und stößt die Tote dann mal an. Erst jetzt wird eine Ärztin alarmiert, die aber nur noch den Tod der Frau feststellen kann - der bereits vor 58 Minuten eingetreten war.
Als Nächstes fälscht das Klinikpersonal offenbar den Krankenbericht, um den Skandal zu vertuschen. Die Videoüberwachung zeigt, dass Green um 6.08 Uhr aufhörte, sich zu bewegen. Der Bericht wähnt sie um diese Zeit aber noch "auf und munter zum Waschraum gehend". Um 6.20 Uhr saß Esmin Green laut Bericht "ruhig im Warteraum" - zu diesem Zeitpunkt war die Patientin schon längst tot."(...)
(quelle)
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in den einschlägigen foren, egal ob onlinepresse oder auch bei you tube, wo es inzwischen etliche filme gibt, die sich mit dieser geschichte beschäftigen, werden fragen gestellt und antworten gesucht, die von der hautfarbe der toten über die grundsätzlichen defizite des us-amerikanischen gesundheitssystems bis hin zur grundsätzlichen frage nach dem wert des menschlichen lebens innerhalb des kapitalismus variieren. all diese punkte lassen sich mit mehr oder weniger berechtigung zur erklärung des unsäglichen heranziehen; aber die für mich interessanteste frage lautet wieder einmal:
in welchen wahrnehmungszuständen befanden sich all diejenigen beteiligten, die in dieser geschichte als gleichgültige beobachterInnen - so gleichgültig wie die alles registrierende kamera - eines todeskampfes auffällig wurden?
(...)""Hier geht es um Mängel im menschlichen Charakter", sagte der Bioethiker Michael Shapiro. Es komme immer wieder vor, dass Menschen das Sterben anderer ungerührt mitansähen."(...)
(quelle)
"mängel im menschlichen charakter" - eine aussage, die letztlich alles und nichts meinen kann.
"Entmenschlichung?
Was wir Menschen uns gegenseitig antun, ist Gegenstand von Überlieferungen seit Anbeginn der Zeichensetzung. Was wir Menschen uns gegenseitig nicht mehr antun, beschäftigt zunehmend Soziologen, Politiker und alle, die sich generell für das Miteinander interessieren.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei deren Abwesenheit. Ob Leute in der U-Bahn verprügelt werden, Unfallopfer in der Öffentlichkeit unversorgt bleiben oder eine Frau vor den Augen mehrerer Zeugen vergewaltigt wird: Die Bereitschaft, persönlich einzugreifen und zu helfen, scheint dramatisch abzunehmen. Vielleicht - so fragt der Skeptiker genereller Befindlichkeitsanlaysen in mir - wird diese attestierte Teilnahmslosigkeit durch den Ausbau der Überwachungs- und Schnüffelsysteme aber auch nur etwas sichtbarer.
Angst ist dabei wahrscheinlich noch immer der häufigste Grund des bewussten Wegschauens."(...)
(quelle)
der letzte satz mit der angst als begründung lässt sich dabei höchstens mit situationen in verbindung bringen, in denen es um akut ausagierte formen von gewalt geht, und die aktive intervention auch ein mehr oder weniger großes persönliches risiko beinhaltet. wobei in zeiten der allseits vorhandenen handys eigentlich auch die zeit verkürzt sein müsste, in der wirkungsvolle erste hilfe von entsprechenden institutionen angefordert werden kann.
die situation in der notaufnahme eines krankenhauses jedoch sollte eine derartige erklärungsvariante von vorneherein ausschließen. wenn man sich das video so betrachtet, entsteht weniger ein eindruck von angst als eher einer von verbreiteter apathie - auf seiten der beobachterInnen - und agonie bei der späteren toten. egal ob bei den anderen, vermutlich als patientInnen, wartenden oder beim beteiligten klinikpersonal: die in der ecke liegende frau hatte in all den qualvollen stunden offensichtlich nicht mehr wahrnehmungsmässige bedeutung als ein sonstiges beliebiges ding in dem wartezimmer.
nun lässt sich eine derartige gleichgültigkeit beim klientel, welches in einer psychiatrischen notaufnahme auf selbige wartet, nun nochmals in mehr variationen erklären - zumindest als möglichkeit - als beim personal: der einfluß von psychoaktiven ("legalen" und "illegalen") stoffen bspw. kann ebenso eine rolle spielen wie durch psychophysische extremzustände induzierte wahrnehmungstunnel, die durchaus einbußen zb. in der eigenen empathiefähigkeit mit sich bringen können.
genau diese fähigkeit aber ist bis zur ununterscheidbarkeit beim eigentlich zuständigen klinikpersonal gleichfalls nicht zu erkennen - was dann auch nebenbei die frage aufwirft, wo eigentlich die unterschiede zwischen beiden gruppen liegen, aber das ist zugegebenermaßen schon polemik.
was bis hierher auf dem tisch liegt, ist aber der starke verdacht, dass all diejenigen, die in den verschiedenen momenten in all den stunden diese frau nicht als leidendes mitgeschöpf wahrgenommen haben, sich in diesen momenten bezgl. ihrer wahrnehmungsfähigkeiten dem status der rein beobachtenden kamera angeglichen haben: ungerührt, gleichgültig, mitleidlos und im negativsten sinne mechanisch (darin übrigens auch ähnlich denjenigen jugendlichen, die beim "happy slapping" sowohl zuschlagen als auch darum bemüht sind, möglichst "gute" filmsequenzen in ihren kameras festzuhalten).
und das sich die beteiligten seitens des personals dann hinterher noch bemüht haben, die beweise für ihr nicht-tun zu entsorgen und zu vertuschen, macht deutlich, dass sie irgendwo gewußt haben, dass ihr verhalten in jenen stunden durchaus von vielen anderen als antisoziale aktion übelsten grades begriffen werden kann - wobei eine aktion durch unterlassen ebenso eine aktion bleibt.
die den medien zu entnehmenden maßnahmen der vorläufigen suspendierung und vollen kündigung der involvierten mitarbeiterInnen jedenfalls mögen zwar mal wieder spontane gefühle nach gerechtigkeit und sühne befriedigen, gesellschaftlich sinnvoller wäre meiner meinung nach allerdings, alle beteiligten genauestens nach den zuständen zu befragen, in denen sie sich zu dieser zeit befunden haben. das könnte nun wahrlich mal zur abwechslung erhellendes und auch der prävention dienendes zu tage befördern.
nachtrag: ich habe inzwischen ein anderes video, aber mit dem gleichen thema, ausgewählt, welches mehr von den vorgängen im warteraum zeigt.
monoma - 11. Jul, 14:18