combat artists - 19. Aug, 15:01

Die VerehrerInnen der Als-Ob-Herzen

Interessant wäre im Zusammenhang mit der Frage, welche Strukturen eine Als-Ob-Organisation auszeichnet, die Überlegung, inwieweit diese Strukturen nicht gerade auch die Erfolgsstrategie der Organisation ist. Und wie reagieren andere Als-Ob-Organisationen auf diese Erfolgsstrategien? Wer bedingt wen im Zusammenspiel aus schönem Schein und Sein?

Ein wahrlich anrührendes Zitat in einem Blog aus dem Roman einer bekannten Schriftstellerin brachte mich vor einigen Tagen dazu, dieses Buch zu kaufen, die KritikerInnen hatten sich seinerzeit vor lauter Lob förmlich überschlagen: "Ein kleines, weises Lehrbuch der Gefühle" oder "Ein wunderbarer Roman. Lesen Sie dieses Buch, es wird sie glücklich machen.", letzteres Zitat von der wohl bekanntesten Buchvorleserin Deutschlands.

Ich lese nun dieses Buch. Und frage mich wirklich ernsthaft, ob die Fähigkeit, eine Als-Ob-Persönlichkeit zu erkennen, denn so gering verbreitet ist in den medialen Schein.Welten. Oder ob nicht gar eine Als-Ob-Persönlichkeit sogar Voraussetzung für weithin sichtbares Wirken an diesen Orten ist. Die Dame im Roman mit dem Als-Ob-Herz stürzt Tochter und Enkeltochter in den Abgrund, spaltet das aber vollkommen ab bzw. ist unfähig zum Erkennen einer Kausalität zwischen ihrem Handeln und dem ihrer Angehörigen. Das Buch trieft vor herzallerliebsten Sätzen und wiederholter Bekundung der Aufopferung für die die Liebsten. Wie kann ein Buch mit derartigen Kritiken versehen werden? Wem gelingt es aus welchen Gründen, die Masken von den Als-Ob-Herzen zu reissen? Und wem gelingt es nicht? Dass die Tochter in diesem Roman eine kalte herzlose Feministin nach Aussage der Als-Ob-Mutter ist, die ihr Kind doch tatsächlich ohne Mann erziehen will, gibt dem Ganzen zusätzlich noch eine pikante politische Note.

Wer sich selbst ein Urteil bilden will:
Susanna Tamaro: Geh, wohin dein Herz dich trägt, Diogenes Verlag Zürich, 1998

kinomu - 19. Aug, 20:39

Klingt nach gefühlsduseligem, verlogenem Kitsch, der von den meisten Lesern unhinterfragt akzeptiert wird. Kann es sein, dass Menschen, die derartiger Lektüre wenig abgewinnen können, normalerweise Sätze wie "Lesen Sie dieses Buch, es wird sie glücklich machen" als Warnung verstehen?

Die Fähigkeit, "Als-Ob-Persönlichkeiten" zu erkennen, ist nicht weit verbreitet - andernfalls wären deren Glaubwürdigkeit und Erfolg stark eingeschränkt. Wodurch sie erreicht wird? Vielleicht durch leidvolle Erfahrung mit solchen Personen und hohe (soziale) Intelligenz?

Monster, die in süsser Sosse schwimmen.
combat artists - 20. Aug, 00:31

In der Tat. Ein "Glücklich machen" wäre nicht auf meiner Leseliste gelandet. Kochrezepte für Seelenbefindlichkeiten sind ein Teil dieser unsäglichen Verdinglichungskultur, ja, symboliseren sie geradezu. Der Mensch als Maschine, den es zu diagnostizieren, zu reparieren und zu funktionalisieren gilt. Da der Ratgebermarkt den Buch-Auslagen nach zu urteilen boomt, ist ein Ende dieser Verdinglichungskultur offenbar nicht abzusehen.

Du schaffst es! (Tschakka!) Funktioniere! Tue so, als ob! (Auch wenn du dein Produkt in Wirklichkeit zum Kotzen findest, lächle und verkaufe!) Die Fähigkeit des Erkennens dieser Als-Ob-Persönlichkeiten ist nicht nur nicht weit verbreitet. Diese Fähigkeit ist einerseits unerwünscht, andererseits wird sie herbeigesehnt im Sinne eines "Erkenne mich, so wie ich bin", welches gleichzeitig ein "Liebe mich, so wie ich bin" impliziert. Die Angst vor dem Erkennen des eigenen Gesichts überlagert jedoch diese Sehnsucht, das Pendel schwenkt hin und her zwischen Hinwendung und Abneigung gegenüber den Erkennenden, zwischen Angst und Offenheit, zwischen Hass und Liebe.
kinomu - 20. Aug, 14:24

Amen.
combat artists - 20. Aug, 16:57

Wörtlich hieß es:
"Sucht mich nicht und lebt Eure Zeit".
monoma - 22. Aug, 15:49

jein

guten tag, frau h.

"Du schaffst es! (Tschakka!) Funktioniere! Tue so, als ob! (Auch wenn du dein Produkt in Wirklichkeit zum Kotzen findest, lächle und verkaufe!) Die Fähigkeit des Erkennens dieser Als-Ob-Persönlichkeiten ist nicht nur nicht weit verbreitet. Diese Fähigkeit ist einerseits unerwünscht, andererseits wird sie herbeigesehnt im Sinne eines "Erkenne mich, so wie ich bin", welches gleichzeitig ein "Liebe mich, so wie ich bin" impliziert".

aus meiner sicht beschreiben Sie hier keine als-ob-persönlichkeiten im strengen sinne - bei denen besteht das leben NUR aus simulationen, und es ist fraglich, ob sich dahinter so etwas wie ein "echter kern", "selbst" o.a. verbirgt. diese menschen funktionieren auf einer ganz anderen ebene, und genau das ist nicht leicht zu verstehen.

imo korrekt ist die beobachtung, dass es aber auch viele menschen gibt, die in einem sekundären als-ob-modus funktionieren (müssen), weil unsere derzeitigen lebensverhältnisse dies fordern - und für diese treffen Ihre anmerkungen schon zu. simulationen werden im öffentlichen leben an vielen stellen gefordert, und es kann dabei durchaus passieren, dass sich jemand darin verliert (mit der option eben, sich auch wiederzufinden). trotzdem besteht ein unterschied zu dem, was helene deutsch mit dem begriff "als-ob" bezeichnet. denn da gibt es diese option aller wahrscheinlichkeit nicht (mehr).

mfg
mo
combat artists - 23. Aug, 13:38

Nun, der Umgang mit diesem Thema ist in verschiedenen Fachdisziplinen, so auch der Psychologie und Psychiatrie, die gerne ihre Lufhoheit anmelden, gekennzeichnet durch eine gewisse Hilflosigkeit, ja, sogar Furcht vor den Grenzen des eigenen Erkennens, was aber durchaus verständlich ist, berücksichtigt man dieses komplexe Gewirr aus individuellem Verhalten und systemischen Bedingungen.

Bis jetzt hat sich gezeigt, dass es nicht nur "nicht leicht" ist, dieses Phänomen zu verstehen. Es war den meisten nicht möglich. Und ich bezweifle, ob die Einnahme des Ratio-Cocktails es jemals ermöglichen wird. Zum Erkennen des Unterschieds zwischen Simulation und Verinnerlichung gehören Fähigkeiten, die nicht durch reine Wissensvermittlung antrainiert werden können, wenn sie nicht vorhanden sind.
Ein anderer Aspekt sind sicher die Lösungsansätze zur Verhinderung der Entstehung individueller und systemischer Als-Ob-Strukturen. Ich betrachte daher Ihre Versuche des Verstehens dieses Phänomens mit Interesse, sehe aber hier eher die meiner Fachrichtung entspringenden Ansätze der Politikwissenschaft oder der Soziologie. Trotzdem bin ich natürlich dankbar für jeden Hinweis aus anderen Fachgebieten. Vielleicht nennen Sie mir die Quelle der Als-Ob-Definition von Helene Deutsch?

Ich bin übrigens sehr gespannt darauf, warum Sie beispielsweise heute dem Feminismus gegenüber eher skeptisch sind, wie Sie es in einem Ihrer Kommentare hier schrieben.
monoma - 27. Aug, 21:51

also...

"Vielleicht nennen Sie mir die Quelle der Als-Ob-Definition von Helene Deutsch?"

der originalartikel (englisch) von ihr stammt von 1942 und dürfte über universitätsbibliotheken erhältlich sein. eine kommentierte zusammenfassung, auf die ich mich primär beziehe, liefert mertz in seinem borderline-buch (siehe literaturliste).

"Ich bin übrigens sehr gespannt darauf, warum Sie beispielsweise heute dem Feminismus gegenüber eher skeptisch sind, wie Sie es in einem Ihrer Kommentare hier schrieben."

das hat mich geärgert - ich habe geschrieben:

"(...) all die sog. (de-)konstruktivistischen ansätze in soziologie, philosophie, psychologie und auch im feminismus. ich stehe diesen ansätzen mittlerweile aus diversen gründen sehr skeptisch gegenüber."

http://autismuskritik.twoday.net/stories/911899/#comments

da steht ausdrücklich etwas von konstruktivistischen ansätzen, denen gegenüber ich skeptisch bin. und zwar nicht nur innerhalb bestimmter feministischer theorien, sondern eben auch in anderen bereichen.

"den" feminismus gibt es daneben imo sowieso nicht - oder sind für Sie bspw. spiritueller feminismus, lesbischer feminismus, der gleichstellungs-feminismus, die riot-grrrrls, afro-amerikanischer feminismus u.a. alle in einen topf zu schmeissen?

mo
combat artists - 29. Aug, 16:18

Nun, es gibt einen einfachen gemeinsamen Ansatz: Respekt und Achtung vor dem Leben der Frau. Wie gut wäre es, würden sich die VertreterInnen diverser feministischer Theorien manchmal daran erinnern. Ich bin seit vielen Jahren "Netzarbeiterin" und habe unter anderem mit jungen Männern politische Seminare durchgeführt. Das, was ich in beiden Bereichen an Backlash und indirekter oder offener Form von Missachtung, Erniedrigung und Hass auf Frauen erlebt habe, erschreckt mich sehr, auch wenn Organisationen teilweise bemüht waren, die Teilnehmer entsprechend darauf einzustimmen, nichts an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Natürlich sind auch sie nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, ein Satz, den ich immer wieder in Gesprächen hörte und so auch weitergeben möchte.

Die letzten 1 1/2 Jahre hier im Netz jedoch waren streckenweise für mich nahezu traumatisch, die Einnahme einer neutralen Beobachterposition nicht mehr möglich, denn um des besseren Erkennens und Verstehens willen habe ich mich auf eine Art "Experiment" eingelassen und verstehe jetzt noch besser, mit welchen Methoden streckenweise im Netz gearbeitet wird. Ich werde versuchen, diesen Stoff unter anderem in Romanform zu veröffentlichen. In diesem Zusammenhang bin ich Ihnen übrigens sehr dankbar für verschiedene Literaturempfehlungen und Beiträge hier in diesem Blog. Meine Skepsis gegenüber Kritik an feministischen Ansätzen ist vielleicht nun etwas deutlicher geworden, eine pauschale Kritik Ihrer Arbeit hingegen ist nicht meine Absicht. Im Gegenteil ...

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