assoziation: "2011 - Das Jahr, das keine Gnade kennt"

nein, der obige titel stammt nicht von mir, sondern aus der headline des heute auf deutsch erschienenen neuesten geab - stammleserInnen werden sich aus vergangenen krisennews an dieses bulletin erinnern. die autoren von leap2020 sind damit konsequenter- und, wie ich denke, auch realistischerweise in der doomer-fraktion gelandet. ironischerweise kommt dieser hochwissenschaftlich daherkommende think tank in anderen worten zu einem ähnlichen ergebnis bei der allgemeinen situationsbeurteilung wie das unsichtbare komitee:

"Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation. Dort ist es, wo man Partei ergreifen muss."

und das geab:

"Seit September 2008 ist allen klar, dass diese Krise in der Tat umfassend und global ist. Dennoch haben sich die USA und in ihrem Windschatten ihre westlichen Verbündeten damit zufrieden gegeben, an den Symptomen herumzudoktern und die Risse des Systems zu übertünchen. So blieb verborgen, wie weitgehend die Ursachen der Krise die Grundlagen des gegenwärtigen internationalen Systems zerstört haben. 2011 wird nach unserer Auffassung das Jahr sein, in dem die staatlichen Maßnahmen, die nur die oberflächlichen Folgen der Krise beheben konnten, ihre Wirkung verlieren. Dann wird die Krise wieder ihre volle Kraft entfalten können, und offensichtlich werden, wie weit der Zerfall der Welt – und öffentlichen Ordnung in den letzten Jahren fortschreiten konnte.

Daher gehen wir gehen davon aus, dass 2011 geprägt sein wird von einer Reihe brutaler Schocks, die die unzureichenden Schutzmechanismen gegen die Krise, die seit 2008 eingerichtet wurden, zerschlagen werden. Diese Schocks werden nach und nach die Fundamente wegbrechen, auf denen seit Jahren die Dollarmauer ruht. Nur die Länder, Gebietskörperschaften, Organisationen und Privatpersonen, die in den letzten drei Jahren die Schlussfolgerungen aus der Krise gezogen haben und die Konzeptionen, Ziele, Werte und Gewohnheiten der Welt von Gestern abgelegt haben, werden dieses Jahr unbeschadet überstehen. Die anderen werden in einer Abfolge von finanziellen, währungspolitischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Problemen, mit denen das Jahr 2011 uns konfrontieren wird, beträchtlichen Schaden erleiden." (...)

"Das internationale System ist inzwischen in einem so jämmerlichen Zustand, dass es in jeder Art von Katastrophe größeren Ausmaßes zusammenbrechen kann" (...)


kann und hoffentlich endlich auch wird, wie ich ausdrücklich hinzufüge, wobei ich den blick der leap-leute noch für zu beschränkt halte - wir haben es mitnichten "nur" mit einer wirtschaftskrise zu tun.

*

ich habe mich die letzten wochen rar gemacht hier und zwar hauptsächlich deshalb, weil mir einiges schlicht die sprache verschlagen hatte. etliches aus dem vergangenen jahr verlangt nach aktualisierungen und tieferer betrachtung - der öl-gau vom golf ist keineswegs geschichte, sondern hat sozusagen nur ein fortgeschrittenes stadium erreicht, im dezember gab´s die riots von schülerInnen und studentInnen in london und rom, ominöse pakete belebten das gespenst des bombenwerfenden anarchisten, wikileaks brachte wöchentlich neues geahntes und dann letztlich bestätigtes über das treiben verschiedener "eliten" (aber wo zum teufel bleibt das angekündigte bankleak?) . dann kam der jahreswechsel, tote vögel stürzten plötzlich an vielen orten vom himmel und millionen fische trieben kieloben, die verwendung von industriefetten in der menschlichen "nahrung"smittelproduktion wurde publik und in arizona fielen schüsse. dabei hatte ich mich gerade angefangen, näher mit dem massensterben bei unseren tierischen mitgeschöpfen zu beschäftigen, weil da einige durchaus interessante dinge durchschimmern, nicht zuletzt lässt sich dabei etwas über menschliche wahrnehmungsarten lernen.

aber auch der shooter von arizona bzw. das ganze setting seines attentats verdienen einen blick mehr - von der situation der psychiatrischen versorgung in den usa angefangen bis hin zu den thematischen dauerbrennern waffenkontrolle und rechts-religiös-fundamentalischer polit- mainstream sowie der frage, was eigentlich eine diagnose wie "paranoide schizophrenie" wirklich aussagt. ach! die - wie soll ich das nennen? ereignisdichte? komprimierung der ereignisse?, die ich im letzten jahr schon teils kaum noch erträglich fand, setzt sich einfach ungebrochen fort. ich werde als eine konsequenz hier zwangsläufig unaktueller werden (müssen).

*

und dann tauchte vergangenen freitag plötzlich und ausnahmsweise nicht in einem werbe- oder marketingkontext ein wort auf, das zu denen gehört, auf die das unsichtbare komitee nicht mehr warten will: revolution! sollten wir den titel erweitern? "das jahr, das für selbsterklärte "eliten" keine gnade kennt?" zu schön wär´s...

ich kann das unmöglich einschätzen, was da in allen details wirklich alles passiert, habe zu dem land auch kein spezielles wissen, möchte Ihnen jedoch ein paar links mitgeben, die für ein bißchen klärung sorgen können (zumindest für mich war das meiste ganz lehrreich):
a tunisian girl bloggt schon länger und wurde (?) bis vergangene woche in tunesien staatlicherseits geblockt. bei spreeblick schreibt ein in frankreich lebender mann aus tunesien von seinen eindrücken aus den vergangenen tagen. der u.a. für die "taz" schreibende journalist karim el-gawhary befindet sich seit heute in tunis und wird regelmässig über die aktuellen entwicklungen bloggen. das labournet bietet einen schwerpunkt, der zwar noch nicht ganz auf dem aktuellen stand der dinge ist, aber dafür schon mal interessante rückblicke auf ereignisse in den vergangenen jahren enthält, die für das verständnis der situation durchaus relevant sind.

ansonsten scheint dieses mal nicht nur die mediale öffentlichkeit im westen kalt erwischt worden zu sein - waren die unruhen in tunesien und auch algerien in den letzten wochen doch in den vergangenen wochen immer nur anlaß für oberflächliche und eine sozusagen streifende berichterstattung, so musste jetzt zwangsweise die eigene marschrichtung nicht unwesentlich geändert werden - und siehe da: tunesien hat sich als klassische marionettendiktatur von westlichen - speziell französisch-europäischen - gnaden entpuppt. wie es ein ziemlich pessimistischer
kommentar, nochmals aus der "taz", formuliert:

(...) "Und der Westen? Das salbungsvolle Geschwätz der europäischen und amerikanischen Politiker über die Etablierung von echter Demokratie, von Meinungs- und Pressefreiheit ist nichts als eine hohle Phrase. Weder in Algerien noch in Palästina hat der Westen demokratische Wahlergebnisse anerkannt, weil der Sieg an die Falschen ging. Und auch im finsteren Polizeistaat Tunesien hat sich die westliche Politik um demokratische Werte nicht gerade verdient gemacht. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Für die westliche Politik heißt das Zauberwort "Stabilität". Wer sie garantiert, findet den Beifall des Westens." (...)

zur widerwärtigen heuchelei des sog. westens gleich noch mehr. medial teils noch ganz informativ ist der
themenschwerpunkt im wiener "standard", ansonsten auch einzelne artikel wie jener über eine wiedergängerin der unsäglichen imelda marcos - oder war´s doch elena ceaucescu? - mit namen leila trabelsi. meist informativ sind auch die artikel auf telepolis, wo heute zb. nochmals sehr deutlich wird, wer da erstens in den letzten nächten wahllos geschossen und geplündert hat und zweitens, was für ein abgrundtief kriminell-asoziales pack bisher dieses land und die große bevölkerungsmehrheit ausgeplündert hat:

(...) "Aus dem letzten Krisentreffen der Führung zitiert der Regierungsberater eine Aussage von Ben Alis Sicherheitschef Ali Seriati (mittlerweile verhaftet), der, so heißt es, vorausgesehen habe, dass die Armee, "Söhne von Bastarden", sich mit der Bevölkerung verbrüdern würden. Weswegen man für den Fall des Falles Gegenmaßnahmen getroffen habe:

"Vielleicht müssen wir das Land verlassen, aber wir werden Tunis in Flammen aufgehen lassen: ich habe 800 Männer, die bereit sind, sich zu opfern. In zwei Wochen werden uns die selben Leute, die demonstrieren, auf Knien darum bitten, die Sache wieder in die Hand zu nehmen."


da steckt so nebenbei auch so das einzige rationale argument für wehrpflichtarmeen drin, was ich mir vorstellen kann.

*

der "offizielle" westen, speziell die alte kolonialmacht frankreich, wurde augenscheinlich genauso überrumpelt wie alle anderen - hatte noch vor knapp zwei wochen ein mitglied der regierung dem regime die unterstützung französischer aufstandsbekämpfungstruppen nahegelegt, so wurde vergangenen freitag in letzter minute die landung des diktators (warum der wohl zuerst paris ansteuern ließ...?) verweigert - offenbar hatte irgenjemand sarkozy auf die nicht unwesentliche tatsache hingewiesen, dass nach all der deutlichen französischen parteinahme der vergangenheit ein asyl für ben ali bei den ca. 600.000 exil-tunesiern in frankreich nicht auf große begeisterung stoßen würde - untertrieben ausgedrückt. aber in die theokratische und us-gestützte wüstendiktatur saudi-arabiens passen leute wie der eh besser. gleich und gleich gesellt sich gern.

ganz aktuell muss leider konstatiert werden, dass sich der anfängliche schock in vielen westlichen regierungen und ihren medien zu legen scheint und tendenzen einer einheitliche sprachregelung zu erkennen sind: ruhe und ordnung wieder herstellen und bewahren! die sog. übergangsregierung ist immer noch gefüllt von attrappen des alten regimes, und ganz offensichtlich muss in der systemlogik irgendjemand auf jeden fall führung übernehmen - eine revolution ist für die eh schon unheimlich und schwer verdaulich, ein west-gestützter und geduldeter diktator als "opfer" noch mehr. und dazu sind noch nicht mal islamisten oder wenigstens kommunisten als drahtzieher im hintergrund, um altbewährte reflexe ausrufen zu können. nein, es sind überhaupt keine "führungspersönlichkeiten" zu sehen - nur eine große, offensichtlich im allgemeinen gut ausgebildete, wütende und erbitterte menge vieler (aber nicht nur) junger menschen. sozialer aufruhr. für eine soziale revolution fehlt noch einiges. aber das hier ein menetekel zu sehen sein könnte, und zwar nicht nur für den maghreb und die arabische welt, sondern eines, was auch in ganz anderen weltecken für nachdenkliches interesse sorgen könnte - diese befürchtung ließ sich zwischen den zeilen der bisherigen kargen verschiedenen regierungsverlautbarungen westlicher staaten schon herauslesen bzw. -hören.

*

mich hatte die vergangenen tage eine - gefühlt sehr echte - grippe niedergestreckt, die am freitag so richtig losging. aber als ich da am späten abend nochmal die nachrichten betrachtete, fühlte ich trotz der krankheit wieder einmal die gleich hoffnungsvolle erregung, die ich bspw. vor vielen jahren bei der revolution in nicaragua oder dem aufstand der ezln in chiapas gespürt habe - endlich mal nachrichten, die nicht nur eine wiederkehr der täglichen alpträume verkünden, sondern ein wie kleines stückchen auch immer das fenster zu möglichen anderen realitäten aufmachen. pessimismus hin, realismus her - ich betrachte solche stunden, wenn ein tyrann fällt, als magisch im besten sinne und wünsche den menschen in tunesien wirklich alles erdenklich gute auf ihrem weiteren weg.

*

zur situation in anderen ländern der region gibt es anderswo schon genügend zu lesen, aber ein interessanter
kommentar aus einem spon-forum zur situation in algerien verdient nähere betrachtung (auszug):

"El Watan berichtet heute über zwei interessante Ereignisse:

1. sei Obamas wichtigster Antiterror-Berater, ein hochrangiger CIA-Beamter, in Algier eingetroffen

2. riegelt die Regierung seit letzter Nacht Städte ab, verbietet Sport- und Kulturveranstaltungen, stört Internet- und Mobilfunknutzung.

Das zeigt, weshalb die G20 Tunesien relativ wenig interessiert: die Aufmerksamkeit gilt Algerien, oder viel mehr seinen Petroreserven. Ausser Öl und Gas gibt's auch jede Menge Bärtige, aktive Terroristen (AQMI) und milliardenschwere Generäle, die ihre Pfründe verteidigen werden. Geht jetzt noch das Volk auf die Strasse, wird's kompliziert..."(...)


wir können nur mal wieder ahnen, was jetzt in vielen ministeriumszimmern und -fluren diverser staaten wirklich los ist - klar mehr jedenfalls, als es die spärlichen äusserungen vieler "staatsführungen" vermuten lassen. das irgendjemand von denen die - auch womöglich unvollendete - revolution in tunesien als positiv wahrnehmen kann, besitzt ungefähr die gleiche unmöglichkeit wie diejenige, von einem soziopathen empathie einzufordern. eher gilt hier etwas, was einmal mehr das unsichtbare komitee schön formuliert hat:

"Es bedeutet, aufs Neue das leicht erschreckte Zittern in der Stimme unserer Regierenden zu hören, das sie nie verlässt. Denn regieren war niemals etwas anderes als mit tausend Listen den Moment, wo die Menge sie aufhängen wird, zu verschieben, und jeder Akt des Regierens ist nichts als die Weise, die Kontrolle über die Bevölkerung nicht zu verlieren."

wie wahr.

*

btw: die letzten kommentare weiter unten, die sich mit dem "kommenden aufstand" beschäftigen, habe ich schon gelesen. und ich habe dazu eine sehr andere meinung, wobei sich das geschehen in tunesien gerade auch in dieser hinsicht anbietet, um das deutlich zu machen. aber dazu in den kommenden tagen mehr.
hf - 18. Jan, 03:42

Hi monoma

mich würde - ich weiß, passt jetzt nicht ganz hierher, zumindest direkt nicht - Deine Meinung hierzu interessieren: http://kritikundkunst.wordpress.com/2011/01/18/alice-millers-sohn-wurde-geschlagen-alles-klar-nichts-ist-klar/

lg

monoma - 18. Jan, 20:52

habe Dir gerade drüben ein kommentar geschickt, der aber spurlos verschwunden scheint - oder moderierst Du?

zur sicherheit hier nochmal:

hi,

zu Deiner frage bei mir drüben, wie ich das alles finde: erstmal danke für das interview, das habe ich damals nicht mitbekommen.

ich finde daran allerdings nicht wirklich etwas erstaunliches oder gar frappierendes (höchstens bezgl. der wiederholten illustration der destruktiven macht, die traumata entfalten können.)

für kriegstraumatisierte männer ist das beschriebene verhalten jedenfalls keinesfalls untypisch, im gegenteil. das a. miller mit dem - in der vergangenheit - zur verfügung stehenden "rüstzeug" der orthodoxen psychoanalyse ein derartiges kaliber weder überhaupt theoretisch begreifen geschweige denn auflösen konnte, und derart selbst in einer position der passiven hilflosigkeit blieb - jedenfalls bis zur trennung - , finde ich plausibel.

ihre arbeit wird dadurch in meinen augen weder tangiert noch gar entwertet, wobei eventuell durch eine solche geschichte etwas klarer wird, was ich auch bei lloyd deMause kritisiere: die alleinige focussierung auf kindliche traumata. beim letzteren hat das allerdings deutlich negativere konsequenzen, da das theoretische modell seiner psychohistorie dadurch die destruktiven effekte von traumatisierungen durch kriege, diktaturen, staatliche gewalt etc. nicht angemessen berücksichtigt.

Deinen "restlichen" kontext verstehe ich gerade nicht ganz, aber ich weiß auch nicht, ob ich das muss ;-)

gruß
Peter (Gast) - 18. Jan, 20:53

GEAB

Das Geab war doch schon 2009 in der Doomer-Fraktion, oder? Die hatten den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung für den Sommer 2009 prophezeit, was aber letztlich dann doch nicht so ganz hingehauen hat. ;-)
monoma - 18. Jan, 21:28

naja...

...wie üblich alles definitionssache - eine "ordnung" dieses gemeinten kalibers - "teile, sogar größere, einer art weltsystem" - bricht nicht so zusammen wie bspw. eine fragile diktatorische sippschaft in einem peripheriestaat. sollten die leap-leute das so gemeint haben, war´s ein querschläger. für einzelbe regionen (der usa zb.!) bzw. staaten wie griechenland lässt sich das hingegen in maßen als erfüllt ansehen. die jetzige prognose ist allerdings von ausmaß und deutlichkeit her etwas, an das zumindest ich mich in der form nicht erinnern kann. und sie lassen sich selbst auch keinerlei hintertür mehr offen.

was ich unterschreiben würde: wir haben seit spätestens 2008 eine mehr und mehr erodierende struktur vor uns, was sich hierzulande bisher in den meist lautlos und untergründig verlaufenden legitimationskrisen - banken, "die politik", die kirchen nicht zu vergessen - tragender systemischer säulen äussert. jeder neue krisenschub macht das wackeln größer, aber das wahre ausmaß wird erst an einem beliebigen zukünftigen tag sichtbar werden. irgendwann kippt alles.
demon driver - 19. Jan, 19:40

"in jeder Art von Katastrophe größeren Ausmaßes zusammenbrechen"

"Das internationale System ist inzwischen in einem so jämmerlichen Zustand, dass es in jeder Art von Katastrophe größeren Ausmaßes zusammenbrechen kann" – zweifellos (ob das finale Ende tatsächlich schon 2011 hereinbricht oder doch erst später, das sei hier mal dahingestellt).

Auch an den Analysen und Herleitungen bei leap2020 gibt es wohl wenig auszusetzen – sie sagen nur, wie so vieles Richtige, was in dieser Richtung gesagt wird, auch nichts grundlegend Neues.

Ein Punkt allerdings stößt auf, nämlich der, wo sie sagen: "Nur die Länder, Gebietskörperschaften, Organisationen und Privatpersonen, die in den letzten drei Jahren die Schlussfolgerungen aus der Krise gezogen haben und die Konzeptionen, Ziele, Werte und Gewohnheiten der Welt von Gestern abgelegt haben, werden dieses Jahr unbeschadet überstehen."

Was soll das sein? Wie soll das gehen? Welche Schlussfolgerungen hätte man denn ziehen sollen, die einem als Privatperson, als Organisation, als Stadt oder Landkreis, aber auch als Land vor der weiteren Krisenverschärfung hätte bewahren können? Sagt denn leap2020 dazu etwas, außer dem, was die "Newropeans", die Partei des Thinktank-Gründers will, nämlich "mehr Demokratie" und Dezentralisierung in einem gesamteuropäischem Zusammenhang? Was schützt denn vor dem weiteren weltweiten Rückgang des Wertverwertungspotenzials? Irgendwas, das man tun könnte, ohne den Kapitalismus weltweit abzuschaffen? Selbst der lokale Totalausstieg ist ja keine Lösung, wenn nicht ein Großteil der Welt mitaussteigt, denn ohne den weltumspannenden Austausch von Gütern und Rohstoffen, der nach einem Ausstieg aus dem Verwertungszusammenhang sofort versperrt sein wird, bleibt einem Industriestaat nur noch Hunger.

Und welche andere Perspektive soll es da geben? Ich sehe nur die, ob man vorher aussteigt oder den Zusammenbruch abwartet und weiter mitmacht – ein Großteil der Bevölkerung wird verhungern, ja verrecken (je durchindustrialisierter ein Land, desto größer der Bevölkerungsanteil, der verrecken wird), und der Rest wird sich gegenseitig niedermetzeln in einem blutigen Bürgerkrieg um die verbliebenen Ressourcen und Güter.

Und die Gewinner in diesem Krieg, die am Ende die künftige "Ordnung" bestimmen werden, werden ganz sicher keine Leute sein, denen man eine solche Aufgabe freiwillig auftragen würde, und es wird eine "Ordnung" sein, die den heute noch herrschenden Kapitalismus im Rückblick als Paradies auf Erden erscheinen lassen wird.

Weswegen mir, so verhasst mir das herrschende System ist, jede Verwendung des Wörtchens "hoffen" im Kontext seines möglicherweise jetzt irgendwie doch langsam mal imminenten Zusammenbruchs, höflich gesagt, gänzlich unbegreiflich ist.

Und deswegen sind auch die Vorschläge im "kommenden Aufstand" naiv und gefährlich, und ich halte sie für den Aufruf zu einem naiven und gefährlichen Aktionismus.

Zumal es doch weiterhin ganz einfach so ist: Es gibt bei all denen, die nach dem Aufstand rufen, nicht den Hauch einer auch nur etwas konkreteren Vorstellung, wie eine neue Ordnung nach dem Zusammenbruch der alten aussehen soll. Wer, der auch nur noch halb bei Sinnen und Bewusstsein wäre, könnte da ernsthaft mitmachen wollen?

Kurz noch zur taz: "Weder in Algerien noch in Palästina hat der Westen demokratische Wahlergebnisse anerkannt, weil der Sieg an die Falschen ging" – na, herzlichen Glückwunsch, ein Demokratieverständnis (allein diese kritiklose Bezugnahme auf "Demokratie" ist doch schon geradezu prototypische Heuchelei, bei der taz) ist also heuchlerisch, wenn man, egal wie es im eigenen Land vielleicht aussieht oder auch nicht, eine fremde Regierung nicht offiziell als Regierung anerkennen möchte, die aus der mordbrennenden Nachfolgeorganisation der (hier zufällig gerade thematisierten) Muslimbruderschaft besteht?

Entschuldige meine Deutlichkeit, aber solche Formen und Ansätze für den Umgang mit der Krise halte ich doch für sehr zweifelhaft.

monoma - 19. Jan, 20:47

@d.d.

meine antwort auf Deinen ganzen ersten teil würde sich mit größtenteils mit dem überschneiden, was ich begl. Eurer repliken zum "kommenden aufstand" noch schreiben werde, deshalb nur zu dem punkt des "taz"-kommentars. ich habe den deshalb zitiert, weil selbst ein sozialdemokratisch-liberales blatt wie das nicht um eine deutliche benennung der - allerdings obligatorischen - doppelzüngigkeit der "westlichen demokraten" herumkommt. jeder, aber absolut jeder noch so brutale hergelaufene diktator - übrigens reicht ein blick nach saudi-arabien, um das auch für islamische gelten lassen zu können - , der sich nahtlos in den kapitalistischen normalbetrieb einfügt und/oder sich aufgrund besonderer bedingungen (geopolitisch, ressourcen o.ä.) als instrumentelle marionette eignet, kann soviel menschen schlachten wie er will. resultat sind i.d.r. höchstens ein paar formelle "proteste" oder aber schlicht schweigen. und darum geht´s hinsichtlich der situation in ländern wie tunesien und anderen staaten.

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