Lemmy Caution - 14. Sep, 16:48

Hm. Seh diese mittelamerikanische Gewalt ein wenig anders.
Gewalt durch Kinder ist wohl eher ein gesamt-lateinamerikanisches Phänomen.
Du hast in Chile auch mehrfach beim Schußwaffen-Raubüberfall auffällig gewordene 14-jährige.
Soziologen erklären das ein wenig anders.
Es hat sich - vermutlich auch in Mittelamerika - im Rahmen der sich deutlich höheren rechtsstaatlichen Normen verpflichtet fühlenden Demokratien entwickelt. Sicher in Venezuela und vermutlich auch in Bolivien konnte es sich auch unter nicht so repressiven sozialistischen Regierungen entwickelt. Eine brutale Militärdiktatur oder der kubanische Polizeiaparat kann das Problem vermutlich wirksam eindämmen, ohne damit die tieferen Ursachen zu beseitigen. Ein schmutziger Krieg gegen Kriminelle kann natürlich mit einem halbwegs humanitären Gesellschaftsbild nicht in Einklang gebracht werden. Eine saubere Polizeiarbeit erscheint angesichts der Lebensperspektiven - gerade auch im Vergleich zu den Kindern des mittelständischen Nachbarviertels - kaum erfolgversprechend.

Die Eltern und Großeltern der Kinder besassen als "roto chileno" noch Furcht und Respekt vor der offiziellen Gesellschaft. Die hat abgenommen, da sie teilweise aber eben nur teilweise brüchiger werden. Ein Getto-Kind kann heute seine Ausgeschlossenheit-von-der-offiziellen-Gesellschaft affirmativ ausleben. Schliesslich hat sich ja die früher einmal hermetisch abgeschlossene Oberschicht gegenüber gewisse Elemente der Unterschichtskultur selbst geöffnet (Tätowierungen, Frisuren, Drogenkonsum, etc.). Und mit Gangsta Rap gibts sogar einen Anknüpfungspunkt in der ersten Welt.
Diese Affirmation ist natürlich völlig legitim. Sie wirft Fragen auf, die vorher einfach nicht gestellt wurden. Etwa dass das Leben auf der Rasierklinge angesichts der Lebensaussichten für die Unterschicht in Schwellen/Entwicklungsländern möglicherweise eine rationale Wahl darstellt. Lieber jung und heftig sterben, als ewig für die anderen den Bückling zu machen, ohne eine realistische Chance zu besitzen, um aus dem Kreislauf herauszukommen.

Nur kann dieser Konflikt halt nicht durch uns sondern in diesen Gesellschaften selbst gelöst werden.
Dieser andere Planet ist zumindest in Chile nicht mal unbedingt maschistisch. Eine erkennbar eher zur unteren Mittelschicht zugehörige Freundinn wurde neulich in Santiago Centro von einer Gruppe von 15-jährigen überfallen, die eine weibliche 18-jährige Anführerin hatten. Nachdem das Thema einer Gesichtsnarbe für die Freundinn von den antisozialen Elementen erstmal per demokratische Abstimmung fallen gelassen wurde, gaben ihr die männlichen Mitglieder einen Kuß und nahmen ihre Jacke, die Stiefel und das wenige Geld mit, dass sie bei sich trug.

errorking - 14. Sep, 18:31

on the cutting edge

eine atemberaubende, fast tragikomische geschichte aus chile....
gestern wurde in münchen /solln auch ein junges pärchen von jungen ausgeraubt, der beschützende passant erschlagen(wir kennen die genauere geschichte aus den news).
ich seh das also nicht erdteilspezifisch. das problem ist: durch diese neocon /arm-reich /der stärkere gewinnt/gehorche!- angstgesellschaft überall werden die wahren menschlichen werte nicht mehr erkannt, empathie gibts gar nicht mehr.
in armen ländern fällt naturgemäss die gewalt stärker aus...wenn wir in europa mehr amut hätten, gäbs auch mehr gewalt. das heisst aber jetzt nicht, dass wir uns hier beim gierkapitalismus bedanken sollen, denn das ende ist noch nicht gegessen....
da hat david icke recht (auch wenn ich seine krokodiltheorie für einen publicitygag halte): die menschen wissen nicht mehr, wozu sie hier auf der welt sind.
monoma - 15. Sep, 18:31

?

"Es hat sich - vermutlich auch in Mittelamerika - im Rahmen der sich deutlich höheren rechtsstaatlichen Normen verpflichtet fühlenden Demokratien entwickelt."

was für demokratien sind denn damit gemeint? etwa die schwer korrupten regimes von mexico bis guatemala? (einzige relative ausnahme in der region dürfte costa rica sein). ich habe ausserdem doch hoffentlich deutlich genug geschrieben, dass es sich hier um die zwangsläufigen folgen innerhalb von durch (bürger-)krieg und diktaturen traumatisierten sozialstrukturen handelt. ähnliches ist auch in anderen weltregionen zu beobachten, deshalb auch kein widerspruch @ errorking

und meines wissens sind die maras ein spezielles phänomen der mittelamerikanischen region, auch wenn es strukturelle ähnlichkeiten bspw. mit den gangs der brasilianischen favelas gibt.
Lemmy Caution - 15. Sep, 22:58

Naja. Zumindest sind es weitgehend keine Militärdiktaturen mehr. Es gibt Verfassungen und in San Salvador wurde eine linke Regierung gewählt. Imho zwecklos da auf Details rumzureiten. Darum gings mir eigentlich nicht.
Sondern vielmehr darum, dass unter sich im kulturellen Bereich öffnenden Klassenschranken als Übernahme von (oberflächlichen) Moden aus den unteren Schichten unter oberen Mittelschicht und Oberschicht ein Kanal auftut, der die jungen Leute aus der Unterschicht darin bestärkt, eine weniger devote Haltung an den Tag zu legen. Das kann gewalttätige Konflikte zur Folge haben. Die gewalttätigen Mapuche in Chile sind in aller Regel die mit dem engsten Kontakt mit dem offiziellen Chile in Form von etwa Schulbildung.
Die kriminelle Gewalt in Chile hat unter der Demokratie sicher zugenommen. Das spricht gegen die These von deformierenden Militärdiktaturen als Ursache der Gewalt. Selbige wird von dortigen eher linken Soziologen und Publizisten als Ausdruck eines unbestimmten Protests einer marginalisierten Gruppe gesehen, die trotz allem Gerede von wegen Chancengleichheit und Demokratie, sich ihrer eigenen Chancenlosigkeit bewußt ist und sich halt nicht duckt sondern zuschlägt, ohne sich einen ideologischen Überbau zu konstruieren. Die offizielle Welt erlegt sich Schranken bezüglich des Ausmaßes der Repression auf. Selbst in Guatemala können die nicht mehr so losgehen wie noch in den 80ern. Da gibts halt sehr wohl Unterschiede zum Verhalten der Militärdiktaturen. Das kann bei aller Mittelknappheit eben auch zu mehr Sozialpolitik führen. Ob das ausreicht, ist natürlich eine andere Frage. Es setzt Klassengesellschaften, die irgendwie auch Demokratien sein wollen, unter Druck.
Schockierende Exzesse krimineller Gewalt gibts in der gesamten Region. In einem unterschiedlichen Ausmaß und von verschiedenen Niveaus.
errorking - 19. Sep, 10:56

BLIND?

warum is man immer so blind, zerstörerische aggressionen der menschen zu anderen zeiten und in anderen regionen gesondert zu beurteilen?
genauso wie wir nix mehr mit den menschen in nazideutschland zu tun haben wollen, wollen wir nix mit südamerika zu tun haben?
je nach politischen klima treten wie das amen im gebet sämtliche eigenschaften des menschen zu tage.
wie schon hier von vielen fachlich seriös ausgeführt,
sind politik ,wirtschaft und alle verantwortlichen hintermänner(frauen) in immensen masse für gewaltausbrüche im volk verantwortlich. diese sind natürlich auch nur menschen, die müssen jedoch in der heutigen globalisierten welt von der sozial -intellektuellen schicht auch im ausland beobachtet und besprochen werden, um die frechen krallen nicht zu lange werden zu lassen.
monoma - 20. Sep, 10:00

@lc

"Die kriminelle Gewalt in Chile hat unter der Demokratie sicher zugenommen. Das spricht gegen die These von deformierenden Militärdiktaturen als Ursache der Gewalt."

nein. ich habe hoffentlich deutlich genug im beitrag (und im ganzen blog sowieso) versucht klarzumachen, dass es sich hier um quasi tradierte traumata - kollektiv durch diktaturen / kriege; individuell durch die jeweils eigene sozialisationsgeschichte, in der sich natürlich jede menge spuren des kollektiven finden - handelt.

die "latenzzeit" der benannten kollektiven traumata ist lang bzw. kann sich über mehrere generationen erstrecken, die jeweils mit ganz eigenen ausdrücken des unverarbeiteten zu kämpfen haben.

und das es unter kapitalistischen demokratiesimulationen, die eher aus gleichgültigkeit "freiräume" dort lassen, wo es ihnen ungefährlich erscheint, zu einem sichtbareren ausagieren bzw. re-inszenierungen kommt, ist durchaus kein argument gegen die obige these - eher im gegenteil.

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