archenoe - 30. Dez, 17:45

Konzentration auf einige Banken/Firmen + Personifizierung

Deine grundsätzliche Einschätzung teile ich. Was mir jedoch an dem Tagesschau-Artikel nicht so passt, sind die Zuspitzungen auf einige Firmen und Banken sowie auf einige Personen. So geht heute leider Journalismus, so dass auch dieser Artikel - nur schwerer erkennbar - genau in die Strategie der "vierten Gewalt" passt, wie Du sie charakterisierst. Zwar ist es durchaus denkbar, dass zahlreiche Personen in den Banken/Firmen so konkretistisch denken und reagieren wie im Artikel beschrieben, also z.B. wirklich geschockt waren von den Lehmann-Leuten und ihrer Flucht aus dem Bankgebäude. Auch ist es möglich, dass es tatsächlich Engpässe bei Bargeldscheinen gegeben hat.
Nur: Wenn die Panik so weit fortgeschritten gewesen wäre, wie es der ARD-Börsenredaktionschef nahelegt, dann hätten auch die Merkelschen Beruhigungen nichts mehr genützt. Außerdem geht heute vieles über den bargeldlosen Zahlungsverkehr.
Schiefer aber wird die Geschichte, wenn im Artikel suggeriert wird, dass vorwiegend die Fehlleistung der US-Regierung für den Fast-GAU verantwortlich war, dass also die verpasste Rettung von Lehman alles halb so schlimm hätte werden lassen. Will sagen: Auch die Tagesschau will die fundamental-strukturelle Doppelkrise der in eine Überproduktionskrise einmündenden Profitratenkrise in der Produktions- und Dienstleistungswirtschaft sowie der sich als platzende Immobilien- und Kreditblase in einem weltweiten Defizitkreislauf zeigenden Finanzkrise noch nicht wahrhaben. Auch solche Pressemeldungen gehen von einer absichtsvoll falsch gewählten Reihenfolge des Krisenverlaufs aus. Nicht die Finanzkrise hat die Überproduktionskrise hervorgerufen, sondern die miesen Profitaussichten in der "Realwirtschaft"bei verschärftem internationalen Konkurrenzkampf haben das Kapital zunehmend in den Finanzbereich getrieben und dort zu dem kreditfinanzierten Defizitkreislauf geführt, der nun in der Finanzkrise die "Realwirtschaft" noch zusätzlich durch stockenden Kreditfluss bedroht. Tatsächlich haben die exorbitanten Gewinne in der Finanzwirtschaft über mehrere Jahrzehnte die kapitalistische Strukturkrise verzögert/überdeckt. Und jetzt crasht es doppelt, sich gegenseitig befeuernd, denn eigentlich müsste nun noch mehr Kapital in die Finanzwirtschaft als Ausweg aus der Profitklemme in der Realwirtschaft fließen. Das aber macht zur Zeit eben auch keinen Sinn.

Es wird einfach kaum in Publikationsmitteln seriös diskutiert. Ich suche immer noch Artikel oder Aufsätze, in denen mal Klartext über die Möglichkeiten der kapitalistischen Erneuerung gesprochen wird, denn diese Erneuerung soll doch offenkundig angestrebt werden ("Revolutionssituation ohne Revolutionäre").
Die Möglichkeiten sind ja schnell aufgezählt:
1. Krieg, aber bitte ein großer - aus zahlreihen Gründen momentan wenig wahrscheinlich.
2. Erschließung neuer Märkte - wo bitte soll das funktionieren?
3. Echte Produktinnovationen mit Multiplikatoreffekt (benötigter Wirkungsgrad wie die Dampfmaschine oder der Otto-Motor). Ist so etwas in Sicht? Nein. Ersatzinnovationen, wohin man auch schaut.
(Der galoppierende Schwachsinn wird ja an Politikerappellen deutlich: Leute kauft Autos! Diese Dinger mit dieser Motortechnik aus der Steinzeit des Kapitalismus? Man könnte ebenso fordern: Kauft mehr Sofas, Drittkühlschränke und Rasenmäher!)

Und nun?

monoma - 31. Dez, 14:02

den ganzen artikel...

hatte ich gar nicht als bezug genommen, und da teile ich deine inhaltliche kritik weitgehend. aber das hier sehe ich anders:

Nur: Wenn die Panik so weit fortgeschritten gewesen wäre, wie es der ARD-Börsenredaktionschef nahelegt, dann hätten auch die Merkelschen Beruhigungen nichts mehr genützt. Außerdem geht heute vieles über den bargeldlosen Zahlungsverkehr.

ich glaube, da gehst du hinsichtlich der beruhigungspillen zu rational vor - ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass viele leute das geglaubt haben, weil sie nicht zuletzt glauben wollten und wollen. ohne diese bereitschaft hätte bzw. würde dieses völlig zu nichts verpflichtende versprechen nicht bis heute wirken. und den bargeldlosen verkehr sehe ich im zusammenhang mit einem bank run als sekundär an; wobei es auch viele kontoverschiebungen gegeben haben dürfte, hin zu den angeblich sicheren banken wie sparkassen u.ä.

Und nun?

die eine-million-euro-frage...

ich befürchte, dass versucht wird, so lange wie möglich - und mit allen nur vorhandenen mitteln - die simulation eines funktionierenden betriebes aufrechtzuerhalten. ich denke, das dieser versuch bereits mittelfristig zum scheitern verurteilt ist. und ich hoffe, dass bis dahin kollektive und individuelle prozesse in gang gekommen sind, die die bereitschaft zur destruktion im angesicht des ja nur für systemprofiteure realen untergangs wirkungsvoll bremsen können, was auch die entwicklung tragfähiger alternativen impliziert.

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