sansculotte - 11. Mai, 17:13

Zins und Geldschöpfung

Dochdoch. Die Zinsdynamik ist einer der ursächlichen Faktoren für die Krise. Allerdings ist sie "nur" ein - wenn auch das wichtigste - Instrument eines viel mächtigeren Prozesses: des Vorgangs der Geldschöpfung.

Das mystifizierende Geschwätz von Herrn Jorion erklärt hingegen überhaupt nichts. Der bringt nur die üblichen Stereotype und Leerfloskeln an den Mann/ die Frau. Ich will diese unsäglich dumme Propaganda wegen ihrer unerträglichen Plattheit ("Staaten haben mehr ausgegeben als sie hatten .." und so fort) und wegen der vorsätzlichen Verschleierung, die sie betreibt, nun gar nicht detailliert nachbetrachten. Das wäre schiere Vergeudung.

Zur Zinsdynamik empfehle ich die Publikationen und Bildmaterial von Bernd Senf.

Sicher, die Krise ist keine Folge „falscher“ Handlungen, sondern eine systemische, sie ist Konsequenz dessen, was im System des Kapitalismus angelegt ist. Doch auffälligerweise wurde dieses System genau so konzipiert, dass es letztendlich in einer Krise kulminiert, und unbestritten ist auch, dass eine Reihe von politischen Entscheidungen in den letzten Jahren den Weg in eben diese Krise geebnet haben. Die Ursachen für die gegenwärtige Krise sind im wesentlichen in zwei Systemvoraussetzungen zu verorten: zum einen in der Einrichtung eines Zins- und Zinseszinssystems, wobei die Option eines Schuldenerlasses (Sabbatjahr, Jubeljahr) nicht vorgesehen ist. Die bekannten Folgen sind Kapitalakkumulation, Schuldknechtschaft und die Verringerung des Geldflusses. Grundsätzlicher und zugleich weniger anerkannt ist die Tatsache, dass eine prinzipiell offene, exponentielle Dynamik (Zins) in einem begrenzten System (Ressourcen) nicht funktionieren kann.

Zum anderen - und dies wurde bei der Analyse des Kapitalismus bis heute hartnäckig übersehen - stehen wir vor der interessanten Frage, wie unser Geld eigentlich in die Welt kommt. Die Geldschöpfung ist der zentrale Angelpunkt dessen, was menschliches Wirtschaften eigentlich ausmacht. Denn Geld ermöglicht den Austausch von Gütern und Leistungen.

Deshalb ist es nicht unerheblich, danach zu fragen, was Geld eigentlich ist. Man könnte – wie die klassische Theorie vorschlägt – meinen, es sei ein Äquivalent von Leistungen und Gütern. Um es kurz zu machen: das ist es nicht. Nicht mehr. Seit die "Zentral"banken das Geldschöpfen besorgen, und dies mit gesetzlicher Zwangsgewalt, ist Geld lediglich ein gesetzlich verordneter Zahlungszwang für ein Schuldverhältnis, das uns von Anfang an aufgezwungen wird.

Der initialen Geldschöpfung der Notenbanken steht nämlich kein Realwert gegenüber! Dieser wird erst durch den Kauf von Staatsanleihen, d.h. durch die Leistungsverpflichtung der Steuerzahler PRO FUTURO "erschaffen"! Das heisst: die Besicherung des Zentralbankgeldes erfolgt durch die Verpflichtung des Staates, hinreichende Steuerleistung (+ Zins!) aufzubringen. Werterhaltend für das Geld ist lustigerweise die Zahlungsfähigkeit des Staates, einer der wenigen Vorgänge auf dieser Welt, bei dem der Zweck zu seiner eigenen Voraussetzung wird. Denn die Zahlungsfähigkeit des Staates ist letztlich durch die Steuereinnahmen(im Äquivalent Wert der Staatsanleihe + Zins) gesichert, die Steuerzahler können aber nicht mehr Geld aus ihrer Tasche lukrieren als eben schon ausgegebenes Zentralbankgeld, wodurch sie mit weiteren Leistungsversprechen für das neu emittierte Geld einstehen müssen, sich weiterhin verschulden und letztlich in einer nicht enden wollenden und nicht zu Ende zu bringenden (ad infinitum) Schuldknechtschaft landen.
(Zentralbankgeldschöpfung, mehr über diesen Vorgang, bei dem "Geld aus dem Nichts" erschaffen und dann gegen Zinsen an den Staat verliehen wird in Modern Money Mechanics, einem Papier der Chicagoer Federal Resreve)

Das Notenbank-Steuerzahler-System ist eine gigantische Umverteilungsmaschine. Der Mechanismus wird durch die multiple Geldschöpfung ergänzt: Die Notenbank vergibt Geld einerseits gegen Staatsanleihen und zum andern an Kreditbanken gegen Verzinsung. Die Kreditbanken dürfen das Notenbankgeld unter Abzug einer Mindestreserve weiterverleihen. Dabei kann man sich Geld als "Virus" vorstellen und den Kreditnehmer als "Zwischenwirt":

Kreditbank A erhält also 1000,- Euro Notenbankgeld und muss davon 2% Liquiditätsreserve einbehalten. Die übrigen 980,- Euro verleiht Bank A an den Kreditnehmer 1 (KN1). Der KN1 hat für die 980;- Euro bei einem Händler (nennen wir ihn KN2) Waren gekauft und zahlt somit die Ware ab. Der Händler KN2 zahlt seinerseits bei Kreditbank B die 980,- Euro als Einlage ein. Damit hat Bank B ein Guthaben von 980, Euro, von dem sie 2% als Liquiditätsreserve einbehalten muss. Den Rest, also 960,40 Euro, kann Bank B weiterkreditieren und somit an KN3 ausgeben. Das Spiel setzt sich fort, bis aus einer Anfangsemission von 1.000 Euro Zentralbankgeld 50.000 Euro Umlaufgeld entstanden ist. (Giralgeldschöpfung).

Die Kreditforderungen liegen bei der Notenbank (für Notenbankgeld) und bei den Kreditbanken (für Giralgeld). Die Eigentümer dieser Banken (die Zentralbanken sind im Eigentum von Mitgliedsbanken und sind keine staatlichen Institute; sie sind - wenn man so will - Privatkartelle ! siehe auch: Who owns the Federal Reserve?) haben also plötzlich Übertragungsrechte auf Sachwerte gegen Geld, das niemals sachwertgesichert war. Man könnte auch sagen: sie haben sich diese Eigentumsrechte arglistig erschlichen. Angelpunkt ist hier die Anerkenntnis ihres Geldes als gesetzliches Zahlungsmittel. Das ist der Trick und der Grund dafür, warum Gemeinwesen, Staaten, Kommunen und letztlich der Steuerzahler niemals aus der Schuldenfalle entkommen können.

Die Politik hat dafür die Rahmenbedingungen gesetzt, aber dies alles unter dem Diktat der Banken (zB. Basel II). Was wollen die Banken? Die Banken wollen Geld machen, mehr Geld und noch mehr Geld. Die Geldschöpfung der Banken funktioniert über Kredite, also haben politische Maßnahmen und Zentralbankenvorgaben die Kreditvergabe vereinfacht. Nebenbei hat man noch das Kreditrisiko über Ausfallsversicherungen gestreut (vermindert). Der munteren Geldschöpfung der Banken stand nun nichts mehr im Wege. Den Rahmen dafür haben politische Entscheidungsträger und die Zentralbanken geschaffen. Für die Investitionsmöglichkeiten waren zunächst Weltbank und IMF verantwortlich. Als aus den Schwellenländern nichts mehr abzupressen war und weil auch China mit seiner Barterwirtschaft ins Gehege kam, hat man sich aufs Ausplündern der eigenen Bevölkerungen (Immogeschäfte) verlegt.

Das Zentral(Noten)bank-System und das gesamte davon abhängige Bankenwesen (Geschäfts- und Investbanken) sind ein gigantisches Geldumverteilungssystem! Sie tauschen Spielgeld gegen Realwerte.

monoma - 14. Mai, 14:47

@sansculotte

danke für Deine inhaltlichen ergänzungen. zum interview ist von mit aus noch zu sagen, dass ich es durchaus erhellend finde, weil jorion für mich durchaus schlüssig ein paar zentrale mechanismen und auch grundlagen speziell der finazkrise erklärt. da mag - für ein "le monde"-redakteur nicht erstaunlich - dann auch ideologie mitschwingen, aber ich finde einige inhalte durchaus verständnisfördernd.

zins: meine bemerkung bezieht sich gar nicht mal primär aufs "rein" ökonomische - ich habe als finale basis des desasters für mich immer das konstrukt "eigentum" im sinn, und damit meine ich ganz kur, dass sich das "eigentum" im kapitalismus (sowohl produktions- als auch gebrauchseigentum, wobei das letztere nur sekundär ein problem darstellt) erst auf der basis einer bestimmten art der verdinglichten selbst- und fremdwahrnehmung überhaupt etablieren konnte (und natürlich seinerseits diese wahrnehmung rückkoppelnd prägt)
"ich" vs "mein körper" - das ist aus meiner perspektive die basis.

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