Quirinus (Gast) - 18. Jul, 02:39

Der neue Faschismus und das Individuum von nebenan

Zitat: wenn die motivation bei der mehrzahl aller anti-rauch-leute in dem gedanken bestehen sollte, derart die volksgesundheit zu stärken, um mehr leistungsfähigkeit zu erzielen, würde ich dir zustimmen, dass der ganze kontext ein anderer - allerdings keinesfalls ein neuer - wäre. das nehme ich bisher aber nicht so wahr, auch wenn sich die bätzings und co. sehr wahrscheinlich eben in diesem kontext herumtreiben. aber der asthmatiker von nebenan eben größtenteils nicht.

Ja, der Asthmatiker von nebenan möchte nur frei atmen können, so wie der Pollenallergiker von nebenan nur möchte, daß sein Nachbar die Birke in seinem Garten fällt und der Knoblauchhasser von nebenan nur möchte, daß mein Essensgeruch nicht mehr durchs Fenster in seine Küche zieht. Fast alle Menschen sind ganz ganz lieb, aber fast alle reagieren auf die eine oder andere Art und Weise allergisch auf die Verhältnisse, unter denen zu leben und zu arbeiten wir gezwungen sind. Der wachsenden Aggressivität und sichtbaren psychischen Verwahrlosung in der sog. Unterschicht entspricht die passive Aggressivität in der sog. Mittel- und Oberschicht. Man haut dem mißliebigen Nachbarn nicht die Faust in die Fresse, sondern überzieht ihn mit Beschwerdebriefen und hetzt ihm schließlich einen Anwalt auf den Hals, weil man sich wodurch auch immer gesundheitlich beeinträchtigt fühlt und seine Kinder schützen will. Zuerst haben die Grünen erkannt, daß man unter diesen passiv-aggressiven Leuten gut auf Stimmenfang gehen kann; dann hat die SPD nachgezogen und sich als Gesundheitspartei zu etablieren versucht, bis schließlich ausnahmslos alle anderen bürgerlichen Parteien bis hin zu den Linken ihnen gefolgt sind. Inzwischen läßt sich jede noch so autoritäre Maßnahme mit dem Schutze der GESUNDHEIT und der KINDER rechtfertigen - und das wiederum ruft immer mehr Fanatiker und Fundamentalisten auf den Plan - so auch z.B. einen gewissen Klaus Miehling, der in einem dickleibigen Buche und diversen Schriften fast alles Übel unserer Gesellschaft (speziell die Kriminalität) auf die Rockmusik in all ihren Spielarten zurückführt und drastische Maßnahmen fordert, analog zum Nichtraucherschutz, auf den er sich immer wieder beruft, - bis hin zum Verbot ausnahmslos aller ihm nicht genehmen Musikrichtigungen. Damit wiederum macht er sich zum Sprachrohr sehr vieler Leute, die tatsächlich unter erheblichen Lärmbelästigungen zu leiden haben, aber auch zum Sprachrohr der Evangelikalen, die ja inzwischen auch hier regen Zulauf haben und denen er offenbar angehört: was aber einen Philosophen wie Ludger Lütkehaus nicht daran gehindert hat, das Geleitwort zu seinem Buch zu schreiben und diesen Fanatiker (der immerhin ein promovierter und teilweise auch sehr verdienstvoller Musikwissenschaftler ist) damit als Kenner der Materie aufzuwerten. Den Medien wiederum ist es sehr recht, solche Exoten zu Interviews oder Talkshows einzuladen und damit wiederum andere Fanatiker zu ermuntern, ihren Partikalurinteressen Gehör zu verschaffen. Und das ist ein eminent wichtiger Bestandteil des Bodens, auf dem der neue Faschismus gedeiht. Der alte wollte den 'Starken' dienen, der neue macht sich quer durch die Parteien und die gesamte Medienlandschaft zum Sprachrohr der Allergiker aus der bürgerlichen Mittelschicht. Was sich hier zusammenbraut, wohl ohne daß die meisten Beteiligten es auch nur ansatzweise ahnen, ist ungeheuerlich und läuft eben genau auf das von dir genannte Ziel hinaus: die sog. Volksgesundheit zu stärken, um mehr Leistungsfähigkeit zu erzielen, auch im Kampf der Christenheit gegen den islamischen Fundamentalismus.

Dr. Klaus Miehling - 24. Jul, 17:29

Wo ist der Faschismus wirklich?

Zunächst muss ich Sie enttäuschen: Ich bin kein Evangelikaler, sondern Agnostiker.
Das nächste wird Sie freuen: Zu einer Talkshow bin ich noch nicht eingeladen worden. Aber vielleicht kommt das noch.
Da Sie mich in die Nähe des Faschismus setzen, hier ein Zitat des Rocksängers Cat Stevens: „Ich glaube ganz fest an die Idee des Faschismus. Hitler war der erste Rock-Star. Er hat ein ganzes Land in Szene gesetzt." Millionen Jugendliche laufen ihren Gewaltmusik-Idolen nach und lernen von ihnen Rebellion, Kriminalität, Gewalt, rücksichtslosen Hedonismus. "Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen" (wikipedia, Art. "Faschismustheorie"). Das sehe ich z.B. im Heavy Metal und im Rap, aber bestimmt nicht bei Menschen, die mit friedlichen Mitteln vor gesundheitlichen und moralischen Gefahren warnen.
Metallerin (Gast) - 25. Jul, 10:44

Werter Herr Miehling (wenn Sie's denn wirklich sind, was aber eigentlich auch egal ist), das ist ja mal der allergrößte Schwachsinn, den Sie hier verbreiten! Nicht, dass ich so was in der Art nicht auch schon auf fanatischen christlichen Internetseiten gelesen hätte, aber nun gut.
So, der böse Heavy Metal ist also schuld an der weitverbreiteten Gewalt in unserer Gesellschaft. Wie gut, dass ich nun endlich weiß, warum meine Eltern gewalttätig waren...
Ich selbst höre u.a. Metal, auch schon mal der härteren Gangart (Eisregen, Sie können ja mal googeln) und wissen Sie was? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ich schon längst Amok gelaufen wäre, wenn ich diese Musik NICHT hören könnte - denn sie dient wunderbar dem Abbau angestauter Aggressionen in der PHANTASIE, die durch jahrelang REAL erlebte Gewalt in Kindheit und Jugend entstanden sind!
monoma - 25. Jul, 16:48

wow herr miehling...

...das nenn´ich ja mal großes kino - auf Ihrer homepage findet sich auf der seite schriftenverzeichnis unter punkt 3 eine fulminante sammlung Ihrer abneigungen gegen so ziemlich wirklich jede art populärer musik, die das letzte jahrhundert so hervorgebracht hat - einschließlich country, wie ich einigen texte entnehme. und Sie schreiben da so dinge wie das folgende, hier am beispiel techno:

"Hinzu kommt, daß die hedonistische Ideologie, die mit allen Arten von Pop- und Rockmusik und mit Techno ganz besonders verbunden ist, in den Hörern ein Weltbild verankert, in welchem es vor allem auf „Spaß haben” ankommt,
in welchem moralische Werte wie Ehrlichkeit, Pflicht und Verantwortung keinerlei Rolle spielen, in welchem der Konsum legaler und illegaler Drogen sowie sexuelle Befriedigung wichtiger sind als Leistungen in Schule und Beruf: „Tu, was Du willst. [...] Nutze alle Mittel”, so lautet das vom Herausgeber des Techno-Magazins Frontpage Jürgen Laarmann formulierte Credo der Technoszene. Christa Zöller weist darauf hin, daß diese Botschaft auffallende
Ähnlichkeit mit dem vom Satanisten Aleister CROWLEY formulierten „Gesetz von Thelema” aufweist."


und zum jazz heisst es u.a.:

"Somit dürfte es vor allem die hedonistische Ideologie sein, die in den Hörern von Jazz wie auch anderer Unterhaltungsmusik ein Weltbild verankert, in welchem es vor allem auf „Spaß haben” ankommt, in welchem moralische Werte wie Ehrlichkeit, Pflicht und Verantwortung keinerlei Rolle spielen, in welchem der Konsum legaler und illegaler Drogen sowie sexuelle Befriedigung wichtiger sind als Leistungen in Schule und Beruf."

ach, hatten wir das nicht eben... ah, das schreiben Sie bei allen von Ihnen beäugten musiken so hin. na dann.

Ihre ganze sog. kritik klingt wie das klassische "bildungs"bürgerliche genöle von rechts - drogen, sex und hedonismus stellen da den untergang des abendlandes dar. kombiniert mit einer ordentlichen portion rassismus, denn repetitive musiken stellen einen wichtigen teil vieler außereuropäischen kulturen dar, die lt. Ihrer logik allesamt auf dem pfad der verderbnis wandeln müssen.

was waren übrigens noch die bevorzugten musiken im nationalsozialismus? "volksmusik", märsche und wagner dürften in punkto von erzeugung bzw. untermalung gewalttätiger zustände bis heute in diesem kontext ungeschlagen sein. ebenfalls würde ich mich an Ihrer stelle mal genauer mit der geschichte der psychoaktiven substanzen beschäftigen, insbesondere heroin, kokain und der amphetamine (speed) - wer die wann und zu welchen zwecken entwickelte - könnte sein, dass Sie da die feststellung machen müssen, dass das durchaus von leuten gemacht wurde, die "leistungen in schule und beruf" genau so geschätzt haben wie Sie.

im übrigen bringen Sie - wie bei leuten Ihres schlages üblich - ursache(n) und wirkung(en) schwer durcheinander - der tatsächlich vorhandene psychophysische verfall vieler menschen im sog. zivilisierten westen spiegelt sich zwar in den jeweils aktuellen kulturellen strömungen (incl. musik) an vielen ecken wieder, liegt aber eher u.a. in genau der völlig sinnentleerten leistungsideologie begründet, die Sie da als nützlicher idiot des kapitals - denn in dessen interesse werden solche moralischen konstrukte aufgebaut - propagieren.

dazu empfehle ich mal einen blick auf die protagonistInnen der sog. klassischen literatur und auch der malerei - Sie werden stauen, was sich da alles an zuständen finden lässt, die auch psychiater interessieren könnten. nur liegt das nicht an den buchstaben und farben.
Dr. Klaus Miehling - 11. Aug, 12:49

an Metallerin:
Wie so viele unterstellen Sie mir Aussagen, die ich nie gemacht habe. Entweder lesen Sie meine Schriften nicht richtig, oder Sie urteilen nach dem, was andere über mich schreiben.
Selbstverständlich ist nicht jede Gewalt auf aggressive Musik und schon gar nicht alleine auf Heavy Metal zurückzuführen.
Dass aggressive Musik „dem Abbau angestauter Aggressionen" dient, ist wissenschaftlich eindeutig widerlegt. Da können Sie praktisch jeden Aggressionsforscher oder Medienwissenschaftler fragen. Vermutlich erleben Sie eine physische Erschöpfung und missdeuten das als Aggressionsabbau.

an Monoma:
Es entlarvt Ihre Argumentation als haltlos und bloß diffamierend, wenn Sie die Kritik an „repetitiven Musiken", die ich so generell übrigens nie geäußert habe, als Rassismus diffamieren. Denn dann müsste jede Kritik an irgendeiner kulturellen Sache rassistisch sein.
Im übrigen ist die Mordrate in außeuropäischen Kulturen, in deren Musik das rhythmische Element dominiert (das ist eher das Problem als die Repetitivität) außerordentlich hoch. Das ist eine Tatsache, kein Rassismus.
Zum alten Nazi-Argument: Damit Musik gewaltfördernd wirkt, muss sie bestimmte klangliche Eigenschaften besitzen, und wenn man es in gesellschaftlichen Dimensionen betrachtet, mu sie auch eine entsprechende Verbreitung haben. In den 30er Jahren war der Musikkonsum mit dem heutigen nicht zu vergleichen, und die Musik war weniger aggressiv. Gewalt gab es bekanntlich schon immer. Musik ist nur EIN Mittel, um die Gewaltbereitschaft zu erhöhen; aber HEUTE ist sie eines der effektivsten und wichtigsten.
Es geht doch nicht darum, wer wann welche Drogen zu welchen Zwecken entwickelt hat, sondern darum, wer sie zu welchen Zwecken anwendet!
Die „sinnentleerte Leistungsideologie" ist weitaus älter als die hochaggressive populäre Musik der letzten Jahrzehnte. Und es sind doch gerade die Gegner dieser Ideologie (wenn sie denn besteht), bei denen der „psychophysische Verfall" zu verzeichnen ist!
monoma - 12. Aug, 14:11

@ hr. miehling

"... wenn Sie die Kritik an „repetitiven Musiken", die ich so generell übrigens nie geäußert habe, als Rassismus diffamieren. Denn dann müsste jede Kritik an irgendeiner kulturellen Sache rassistisch sein."

ist Ihnen die tendenz der eigenen argumentation etwa unklar? wenn ich mir Ihre textsammlung, von der ich oben zwei beispiele verlinkt habe, anschaue und das in den kontext der von Ihnen offensichtlich bevorzugten und mehr oder weniger explizit als "wertvoll" verstandenen musik stelle, so ist das ergebnis unmißverständlich: Sie konstruieren einen "christlich-abendländisch-europäischen kulturraum" (der im übrigen ohne diverse wechselwirkungen mit außereuropäischen kulturen nie so existiert hat) und setzen dann eine klare hierarchie mit den benannten begründungen Ihrerseits. und das ist eine völlig willkürliche und implizit rassistische vorgehensweise, wie Sie im folgenden selbst belegen:

"Im übrigen ist die Mordrate in außeuropäischen Kulturen, in deren Musik das rhythmische Element dominiert (das ist eher das Problem als die Repetitivität) außerordentlich hoch. Das ist eine Tatsache, kein Rassismus."

in welchen kulturen denn? dann: dass Sie jetzt rhythmen statt repetivität verdächtigen, ändert an der gesamtaussage kein stück, eher im gegenteil, weil beides tatsächlich nicht gleichzusetzen ist, aber rhythmische musik global noch stärker verbreitet ist. diesen fakt aber in direkten bezug zu den angeblich höheren mordraten zu stellen, ist geradezu unterirdisch - gehen Sie mal zu einem psychotraumatologen mit auslandserfahrungen und lassen Sie sich über gesellschaften erzählen, die teil jahrzehntelange innere und äußere kriege, diktaturen und immer wieder naturkatastrophen hinter sich haben (wer für die ersteren dazu letztlich in einer vielzahl der fälle verantwortlich ist, entnehmen Sie der europäischen kolonialgeschichte). es ist ein schlechter witz, die imperialistische (und religiös verbrämte) sog. "christlich-europäische" kultur als hort der fortschritts und des "guten" zu glorifizieren. Ihre "kultur", auf die Sie sich da immer beziehen, ist im kern nie etwas anderes gewesen als eine raub-, mord- und plünderungs"kultur", die sich dazu noch hinter vielfältigsten selbstentlastungskonstrukten wie dem geschwafel von "hochkultur", "zivilisation" und und letztlich dem "höherwertigen" nicht nur versteckt, sondern diese selbst erklärte "höherwertigkeit" auch noch als rechtfertigung zur unterwerfung all der primitiven barbaren da draussen benutzt (hat) - wozu auch thesen wie die Ihren zu rechnen sind.

"Damit Musik gewaltfördernd wirkt, muss sie bestimmte klangliche Eigenschaften besitzen, und wenn man es in gesellschaftlichen Dimensionen betrachtet, mu sie auch eine entsprechende Verbreitung haben. In den 30er Jahren war der Musikkonsum mit dem heutigen nicht zu vergleichen, und die Musik war weniger aggressiv."

letzteres ist eine durch nichts belegte behauptung, weil musik nicht per se aggressiv sein kann, sondern das immer vom gesamten kontext abhängt - wer unter welchen umständen wann was hört. die bombastischen töne einer wagneroper zb. werden auf die uniformierten volksgenossen im kontext von irgendwelchen parteiveranstaltungen uhnd totalitären losungen sehr wohl mehr gewaltfördernd gewirkt haben, als Sie es heute irgendwelchen heavy-metall-hörerInnen unterstellen. dazu: beschäftigen sich mal mit den gründen für die entwicklung und der verbreitung des volksempfängers - die nazis waren mit die ersten, die das potenzial der akustischen propaganda genutzt haben.

"Es geht doch nicht darum, wer wann welche Drogen zu welchen Zwecken entwickelt hat, sondern darum, wer sie zu welchen Zwecken anwendet!"

interessant - Sie finden es also offensichtlich weniger ein problem, "heroin" (von bayer vor und im wk1 entwickelt) sinnlos zerschossenen soldaten zwecks schmerzlinderung zu geben als die nutzung bei menschen, die das prnzipiell ähnlich zwecks betäubung vielfältiger innerer schmerzen nehmen? beschweren Sie sich ja nicht über doping und die chemische stimulierung der sog. leistungsfähigkeit - das würde Sie nämlich völlig unglaubwürdig machen.

und um eine entsprechende diskussion gleich abzuwürgen: nein, ich sehe den konsum psychoaktiver substanzen - wozu übrigens an erster stelle in Ihrer "kultur" der alkohol mit all seinen verheerenden folgen gehört - nicht unproblematisch, verabscheue aber die tiefe heuchelei dieser gesellschaft, die tag für tag zustände schafft, die sich für mehr und mehr menschen nur noch unter drogen aushalten lassen (incl. pschopharmaka), und die anschließend genau diese menschen noch willkürlich aufteilt in "legale" und "illegale" userInnen.

"Die „sinnentleerte Leistungsideologie" ist weitaus älter als die hochaggressive populäre Musik der letzten Jahrzehnte. Und es sind doch gerade die Gegner dieser Ideologie (wenn sie denn besteht), bei denen der „psychophysische Verfall" zu verzeichnen ist!"

zum ersteren: die musik spiegelt eher lediglich die eskalation dieser ideologie (populär als neoliberalismus bekannt) in den letzten beiden jahrzehnten.

und zum letzteren: völlig und total heruntergekommen (im sinne des gemeinten verfalls) sind ja wohl eher die selbsterklärten westlichen "eliten" in ihren schicken anzügen und kostümen, die sich mit fug und recht strukturell mit der klassischen mafia vergleichen lassen müssen. was nicht zuletzt durch die aktuelle krise einmal mehr belegt wird.

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