Lemmy Caution (Gast) - 17. Dez, 00:54

was mich letztlich zum unreinen, seit neuerem dem Web-Pazifismus verpflichtet fühlenden (no more flame wars) Liberalen macht, ist einfach der Gedanke, dass du den weltweiten Volksaufstand siehst, weil du ihn sehen willst.
Natürlich wird es Modifikationen geben.
Echt schockierend find ich den Madoff-Fall. Da startet ein Mann mit dieser 48-jährigen Karriere an der Wall Street ein Pyramidenspiel, das offenbar 50 Mrd $ an faulen Verbindlichkeiten hinterläßt.
Ist ungefähr so als hätte Bismarck 1885 - gelangweilt über sein Koalitions-System oder warum auch immer - einen 4 Fronten-Krieg mit Rußland, England, Österreich Ungarn und Frankreich gestartet.
Vielleicht nehmen diese Leute auch so viel Koks wie Linda Ron. Ich weiß nicht. Aber es impliziert den starken Verdacht, dass dieser Finanzmarkt auf Dauer gefährlich für die Seele der Beteiligten war.

monoma - 17. Dez, 07:31

nö...

"...ist einfach der Gedanke, dass du den weltweiten Volksaufstand siehst, weil du ihn sehen willst. "

...den sehe ich bisher nicht - was ich aber sehe, sind zunehmend eine zahl von ländern (einige europäische, aber auch china, japan u.a.), in denen der druck kontinuierlich zu steigen scheint.

ich halte es da eher mitfranz schandl:

"Der grösste Kredit, auf dem das Kapital gegenwärtig seine Herrschaft errichtet, ist weder seine ökonomische noch seine militärische Kraft. Es sind vielmehr die sich beharrlich reproduzierenden Fiktionen und Halluzinationen der Alltagscharaktere."

und denke, dass ab jetzt der wettlauf zwischen realität einerseits und den benannten fiktionen andererseits ansteht. und wer da auf dauer den kürzeren zieht, ist für mich allerdings klar.
Lemmy Caution (Gast) - 17. Dez, 11:00

Fragt sich nur in welche Richtung da revoltiert wird.
Richtet sich der griechische Aufstand gegen den Kapitalismus als solches oder gegen spezifische griechische Elemente.
Ist er reformatorisch oder revolutionär?
Es mag konservativ klingen, aber bei mir stellt sich der Eindruck ein, dass jeder Versuch eines expliziten extremen "volkspartizipatorischen" Ausbrechens aus dem System seine eigene leyenda negra (Schwarze Legende) nach Art der Rolle Haitis in der karibischen Welt im 19. Jhdt. generiert, indem sich unter der Fasade der schönen Worte die bekannte Kombination aus autoritären Strukturen und Mißwirtschaft herausbildet. Kuba. Venezuela. Bolivien. Ecuador. Thailand.
Oder was ist denn aus den anarcho-nahen Tendenzen in Folge der tiefen aber kurzen argentinischen Krise 2001/02 geworden?
Zur Zeit können sich imnsho entweder traditionell demokratisch-kapitalistische (Westeuorpa, USA, Teile Asiens und Lateinamerikas) oder autoritär-kapitalistische (China, Rußland) Modelle stabilisieren, die jeweils mit sozialdemokratischen Elementen verknüpft werden können.
monoma - 19. Dez, 15:09

ausbrechen

"Es mag konservativ klingen, aber bei mir stellt sich der Eindruck ein, dass jeder Versuch eines expliziten extremen "volkspartizipatorischen" Ausbrechens aus dem System seine eigene leyenda negra (Schwarze Legende) nach Art der Rolle Haitis in der karibischen Welt im 19. Jhdt. generiert, indem sich unter der Fasade der schönen Worte die bekannte Kombination aus autoritären Strukturen und Mißwirtschaft herausbildet."

"konservativ" liest sich für mich in diesem kontext wie ein synonym für misstrauisch. hm? was die autoritären strukturen betrifft, so finde deren entstehung weitgehend verständlich, was auch impliziert, dass es da möglichkeiten der auflösung gibt, zumindest auf dauer. wie zb. ein qualiativ veränderter umgang mit kindern.

das die voraussetzungen für solche entwicklungen aber möglichst bald, also heute, gelegt werden müssen, impliziert für mich einen eiertanz, der u.a. auch beinhaltet, an allen möglichen ecken und enden machtfragen zu stellen. und wenn´s in form von aufständen ist. damit wird zumindest die möglichkeit denkbar, endlich die nötigen räume zu schaffen, um die nötigen langfristigen veränderungen überhaupt in gang bringen zu können.

und was heißt "mißwirtschaft"? wenn grundbedürfnisse bezgl. nahrung, wohnraum, gesundheit etc. befriedigt werden und darüber hinaus ein niedriges niveau von nachhaltigem konsum existiert, würde ich das als völlig ausreichend erachten. die westliche warenwelt ist ein katastrophaler historischer irrläufer, der sich imo zu nicht geringen teilen aus kompensationsversuchen geschädigter menschen speist.

"Zur Zeit können sich imnsho entweder traditionell demokratisch-kapitalistische (Westeuorpa, USA, Teile Asiens und Lateinamerikas) oder autoritär-kapitalistische (China, Rußland) Modelle stabilisieren, die jeweils mit sozialdemokratischen Elementen verknüpft werden können."

"traditionelle demokratiesimulierende würde es besser treffen. aber tendenziell sehe ich aktuell eher eine phase von repressiver elendsverwaltung anrollen.
Lemmy Caution (Gast) - 20. Dez, 21:52

Du findest die Entstehung der autoritären Strukturen verständlich und auf Dauer kann man das dann auflösen?
Zu Ende gedacht bedeutet das für mich, dass du lieber in einer Diktatur als in einer repräsentativen, rechtsstaatlichen Demokratie leben würdest.
Vor dem Aufstand sind an allen Ecken und Enden Machtfragen zu stellen. Nach dem Aufstand sind autoritäre Strukturen verständlich. Sie können dann langfristig aufgelöst werden.
die westliche warenwelt ist ein katastrophaler historischer irrläufer, der sich imo zu nicht geringen teilen aus kompensationsversuchen geschädigter menschen speist.
Halte ich auch für eine extrem romantische Vorstellung. Wie sah denn das Leben in der vor-Warenweltzeit aus? Ich denke, du unterschätzt da etwas die Härte der Lebensumstände.
monoma - 20. Dez, 23:34

Du findest die Entstehung der autoritären Strukturen verständlich und auf Dauer kann man das dann auflösen?

ganz recht, das ist ein mittel- und langfristiges projekt. für das allerdings erst mal eine menge des heute existierenden mülls an gesellschaftlich destruktiven strukturen zur seite geräumt werden muss.

Zu Ende gedacht bedeutet das für mich, dass du lieber in einer Diktatur als in einer repräsentativen, rechtsstaatlichen Demokratie leben würdest.

wie kommst du zu diesem schluß? für mich nicht nachvollziehbar. zweitens: die repräsentativ rechtsstaatliche demokratiesimulation kenne ich seit jahrzehnten zur genüge, und für das ständige beharren auf einem sog. kleineren übel ist mir das leben denn doch zu schade.

Nach dem Aufstand sind autoritäre Strukturen verständlich.

wo habe ich das geschrieben? ich denke allerdings tatsächlich, dass in gesellschaftlichen bereichen wie bspw. gerade dem umgang mit kindern kollektiv entwickelte strukturen vorhanden sein müssen, die notfall korrigierend eingreifen können. das aber wäre weltenweit von der heutigen elendsverwaltung auch in diesen bereichen - die dann im extrem zu toten kindern in kühltruhen führt - entfernt.

und was die herrschenden antisozialen angeht, so wird denen mit formen von repression zu begegnen sein, die sich ebenfalls von den heutigen praktiken eben dieser antisozialen unterscheiden - soweit möglich.

und zu deinen restlichen anmerkungen: könnte es sein, dass du zu denjenigen (irgendwie) linken gehörst, die sich prinzipiell in der herrschenden erbärmlichkeit eingerichtet haben? wie hälst du´s zb. mit den tausenden von toten an der eu-südgrenze, wie mit den millionen hungertoten durch unser famoses ökonomisches system weltweit?

die seit dem ende von wk2 existierende westliche konsumwelt war eine absolute historische ausnahme, die ich aufgrund ihrer erkennbar destruktiven wirkung nicht nur in der menschlichen welt für eine historische verirrung sondergleichen halte. und es ist letztlich wirklich eine hoffnung, wenn sie jetzt den verdienten weg zur geschichtlichen müllhalde antreten sollte. und das muss nicht gleichbedeutend mit massenelend sein, sondern eher heisst das: alles geht auch eine nummer kleiner, langsamer, und vor allem - gerechter.
Wednesday - 21. Dez, 10:29

Subtile Hölle

> denjenigen (irgendwie) linken gehörst, die sich prinzipiell in der
> herrschenden erbärmlichkeit eingerichtet haben? wie hälst du´s zb.
> mit den tausenden von toten an der eu-südgrenze, wie mit den millionen
> hungertoten durch unser famoses ökonomisches system weltweit?

Ich halte u.a. auch dieses nicht aus: daß man mir oder sonstjemandem den Tod tausender o. millionen Menschen vorwirft, allein weil ich oder derjemand nicht zu den Toten gehört und im zum Teil reichen Europa lebt. Damit stopft man jedem das Maul, das ist erbärmliche Vorgehensweise. Es erinnert mich übrigens an Pfaffengeschwätz.
"Eingerichtet" haben wir alle uns _zwangsläufig_ irgendwie. Und weil wir gerade dabei sind: Du kitzelst keine Revolte (zur Revolution aufzustacheln schaffst Du mit diesem Blog nicht) hervor, indem Du immer wieder schreibst: "es ist an der Zeit, es ist an der Zeit, wie fühlen sie sich, na, fühlen sie sich schuldig? Ja, schuldig bist du, und du, jeder, alle"...
Die christliche sadomasochistische Kultur hinterlässt Spuren wie Tretminen, auch in ihren Ungläubigen.

Ciao
W.
monoma - 21. Dez, 13:34

gar nicht subtil

"Ich halte u.a. auch dieses nicht aus: daß man mir oder sonstjemandem den Tod tausender o. millionen Menschen vorwirft, allein weil ich oder derjemand nicht zu den Toten gehört und im zum Teil reichen Europa lebt. Damit stopft man jedem das Maul, das ist erbärmliche Vorgehensweise."

erstens habe ich das ausdrücklich als provokation gegenüber jemandem geschrieben, der allen ernstens damit ankommt, in der sog. "repräsentativen parlamentarischen demokratie" etwas positives zu sehen wollen.

zweitens: es geht nicht um vorwürfe, sondern um die - in meinen augen - tatsächlich vorhandene realität, dass wir in jeder sekunde innerhalb dieses systems zur mittäterschaft genötigt werden und uns in diversen abstufungen - die ich auch relevant finde - dazu nötigen lassen, teils sogar mit behagen. das ist strukturell übrigens kein stück verschieden vom vorgehen der mafia gegenüber ihren mitgliedern. zuckerbrot und peitsche.

und klar haben wir uns irgendwie eingerichtet - bloß sehe ich auch da abstufungen, die bspw. vom reinen salonmarxismus (der belegbar auch zur folge haben kann, sich unter berufung auf die kapitalimmanenten zwänge ohne jeglichen skrupel mit an der börse zu tummeln) bis hin zu einer haltung der unbedingten inneren opposition, die an möglichst vielen stellen und in vielen momenten ihre äußeren ausdrücke findet.

darum steht die frage der verantwortlichkeit (nicht schuld) tatsächlich zur debatte. und ich halte tatsächlich schlechte gefühle, die sich aus der eigenen wahrnehmung meiner rolle in dem ganzen müllhaufen hier ergeben, für ein stück potenziellen treibstoff, wenn ich denn diese gefühle in erkenntnis, besseres verständnis und handlungen transformieren kann (und dazu muss ich sie übrigens erstmal von all dem biographisch und erziehungebedingten trennen, sonst kommt es zu kaum überschaubaren verwicklungen - das ist etwas, was die christliche kirchen imo eher nicht anstreben, weil sie mit auf den kindlichen schuldgefühlen basieren).

und ja, ich ärgere mich jeden tag und werde auch wütend und fühle mich verantwortlich, wenn ich mich dazu gezwungen sehe, einen rudimentären konsum zu praktizieren, von dessen produkten ich ihre herstellungsgeschichte kenne. und diesen ärger und diese wut gilt es zu transformieren. mit grundsätzlichen schuldgefühlen, so wie von dir unterstellt, hat das eben eher nichts zu tun - die würden zu einer massiven infragestellung meiner ganzen person führen, und das in einem tatsächlich destruktiven sinne. das propagiere und praktiziere ich nicht.

was ich dagegen kritisiere, sind linke, denen selbst dieser völlig situationsangemessene ärger und das infragestellen der eigenen rolle als zumutung erscheinen.
Wednesday - 21. Dez, 16:45

> erstens habe ich das ausdrücklich als provokation gegenüber jemandem
> geschrieben, der allen ernstens damit ankommt, in der sog. "repräsentativen
> parlamentarischen demokratie" etwas positives zu sehen wollen.

Ich kann es L.C. nicht verübeln; ähnlich wie ich die Wut eines Arbeitskollegen diesem nicht verübeln kann, der mir schon mehrmals gesagt hat, er wünsche sich, gewisse "Verantwortliche" würden aufgeknüpft. Weder das eine noch das andere sind mir auch nur ansatzweise erstrebenswerte Ziele, aber sicher wünschen sich viele Hunderttausende im Moment eher eine "sog. repräsent. parlam. Demokratie" als jene Herrschaftsform, in der sie zur Zeit zu leben und verrecken gezwungen sind, daher kann ich den positiven Aspekt erkennen, wenn ich mir selbst auch nur die Herrschaftslosigkeit wünsche.

L.C. sollte sich selber dazu äussern - denn ich neige dazu, erst mal das "Gute" im Menschen sehen zu wollen und kann ihn/sie durchaus falsch interpretieren.

Aber es geht mir um _Deine_ Art der Kommunikation: Du appellierst gegenüber Persönlichkeiten, die Deine Aufklärungsversuche (ich weiß nicht, wie Du Deine Arbeit hier nennen willst) nicht von Grund auf kennen und (ggf. noch nicht) nachvollziehen können, stets an deren Schuldgefühle, solange Du wie oben geschehen, im Rahmen einer Provokation argumentierst. Du weisst, daß wir uns, einer Situation gegenüberstehend, unbewusst an ähnliche Erfahrungen erinnern und prompt nach dem alten Muster reagieren: und das kann eine durchaus dumme, selbstgefällige oder panische Reaktion sein.
Diese hässlichen Strukturen müssen wir _alle_ überwinden. (Aus diesem Grund habe ich jetzt eine kleine Ewigkeit für diesen kurzen Kommentar gebracht, hi hi.)

Nur kurz zu christlicher Ideologie: im Prinzip enthebt sie den Einzelnen der Verantwortlichkeit, solange er bedingungslos der kirchlichen/göttlichen Instanz gehorcht. Das hat weiterhin seine Auswirkungen auch in den unterschiedlichen Demokratieformen, und die Erkenntnis, daß jegliche hierarchische Struktur menschenverachtend und zerstörerisch ist, wird noch lange Zeit benötigen, in mehr als in das Bewusstsein einer Handvoll Anarchisten zu dringen.

> was ich dagegen kritisiere, sind linke, denen selbst dieser völlig
> situationsangemessene ärger und das infragestellen der eigenen rolle als
> zumutung erscheinen.

Es ist eine Zumutung, Dich in die Position zu erheben, einem Menschen, der die "repräsentative parlamentarische demokratie etwas positives sehen" will, die Verantwortlichkeit von Millionen von sterbenden und toten Menschen anzulasten, indem Du ihn fragst, wie er es mit den Hungertoten halten, ganz als ob Du Gleichgültigkeit voraussetzt. Was denkst Du denn, was man Dir da antworten kann? Als Mensch, nichts! Da gibt es keine passenden Worte.

Ciao
W-Day
Lemmy Caution (Gast) - 22. Dez, 10:45

Ich find auch nicht, dass uns die zahlreichen Toten angelastet werden können.
Berücksichtige bitte auch, dass der letzte Wachstumszyklus vor allem auf dem sogenannten "Tri-Kontinent" und Osteuropa stattfand und die jetzige Krise bislang schwerpunktmässig in den USA.
Das globale Wirtschaftssystem hat sicher eine Menge Schwächen. Bin selbst ein großer Anhänger von Stiglitz. Aber es ermöglicht schon Gruppen aus ehemaligen Entwicklungsländern einen Aufstieg in eine Mittelschicht, die übrigens in ihren eigenen Ländern auch sowas wie soziales Gewissen entwickelt. Das wiederum kann zu einer Verbreiterung der zu kleinen begünstigten Gruppen führen. Es muß sogar, sonst gibts irgendwann Bürgerkrieg.
Bezüglich der Herstellungsgeschichte. Was passiert denn bitte in Ländern, die sich antagonistisch zum globalisierten Modell verhalten?
Die chinesischen Wanderarbeiter ziehen ja FREIWILLIG aus ihrer dörflichen Subsistenz in die global-kapitalistische Extraktionsmaschine.
demon driver - 22. Dez, 13:46

"Uns" als Individuen können sie nicht ohne weiteres angelastet werden, dem Wirtschafts- und Weltbetriebssystem dagegen müssen sie angelastet werden. Und ein bisschen kann ich die Einstellung verstehen, dass sich mitschuldig macht, wer sich nicht dagegen auflehnt. Die Frage ist nur, wie soll eine solche Auflehnung aussehen, wenn sie nicht verpuffen und gleichzeitig denen, die sich da auflehnen, durch die zwangsläufige Sanktionierung nicht nur das bisschen bürgerliche Existenz, was sie haben, sondern auch jeglichen künftigen revolutionären Handlungsspielraum nehmen soll.

Dafür, das herrschende Weltbetriebssystem kategorisch abzulehnen, gibt es triftige Gründe.

Der erste ist ein prinzipieller, alter, nämlich das Problem, dass der Normalbürger auf ewig den Machthierarchien und "Sachzwängen" von Wirtschaft und der ihr unterstehenden Staatsgewalt untergeordnet bleibt, der Ausbeutung durch jene, die sich kraft ihrer Vermögen Produktionsmittel verschaffen können, und dass die mehr oder weniger einzige Freiheit, die ihm bleibt, die Freiheit zum Konsum ist.

Der zweite ist die Tatsache, dass dieses Wirtschaftssystem aufgrund seiner in ihm angelegten, notwendigen Weiterentwicklung in Form von Modernisierung selbst bei Wachstum immer weniger in der Lage ist, den Menschen noch "Wohlstand" zu verschaffen, selbst im kapitalistischen Sinn nicht mehr, in dem Sinn, wenigstens durch lebenslanges Knechten in die Lage versetzt zu werden, sich zum Trost unnütze Dinge kaufen zu können; weitergehende Erläuterung dieser Zusammenhänge kann die Lektüre z.B. der Veröffentlichungen von Robert Kurz (z.B. auf www.exit-online.org) verschaffen, der in Monomas Text erwähnt ist. Die Krise ist eine globale, sie ist eine Krise der kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise, und die Finanzmarktkrise ist lediglich ein äußerliches Symptom davon.

Und deswegen sind im 21. Jahrhundert auch alle Wachstumsbetrachtungen hinfällig geworden. Wachstum nützt nur noch den Eliten. Selbst die sensationellen zweistelligen Wachstumsraten in China haben der breiten Bevölkerung keinen Nutzen gebracht, keine Linderung für die unsäglichen Zustände außerhalb der wenigen großen Städte, sondern nur eine neue Schicht reicher Profiteure geschaffen, während die Arbeitslosenquote – darunter ein hoher Akademikeranteil – von einem im Vergleich zum industrialisierten Westen schon extremen Niveau ausgehend eher weiter steigt als fällt. Wäre es anders gewesen, wäre es wohl gar nicht passiert. Und anzunehmen, dass die chinesischen Wanderarbeiter irgendetwas anderes in die brutale, unmenschliche Sklaverei der chinesischen Industrie triebe als die nackte Not auf dem Land, ist purer Zynismus.

Grüße
d. d.

[Edit 22. Dez, 17:12: Orthographie]
Wednesday - 22. Dez, 18:07

@Lemmy

> Die chinesischen Wanderarbeiter ziehen ja FREIWILLIG aus ihrer dörflichen
> Subsistenz in die global-kapitalistische Extraktionsmaschine.

Ich las "Exekutionsmaschine". :-D

Von Freiwilligkeit kann nicht die Rede sein; sie sind gezwungen, aus ihrer dörflichen Existenz zu verschwinden, ähnlich wie im Laufe der Industrialisierung der mitteleuropäische Bauer gezwungen worden war, aufgrund von Entrechtung, Entwaffnung sowie Landraub durch Adel und Kirche in Dienst zu treten und später in die Fabriken zu fliehen.

Oder zu verhungern.
monoma - 22. Dez, 21:50

ich fasse mal...

...meine spontanen gedanken zu den weiteren antworten besonders @lemmy c. kurz zusammen:

- "parlamentarische repräsentative demokratie": ich nenne das nicht ohne grund immer wieder simulation, zum warum steht hier einiges grundsätzliche; zum anderen bin ich ehrlich erstaunt, wenn irgendjemand an dieser nachweisbar korrupten, lobbygesteuerten und vor allem ihre eigenen hehren prämissen ständig mißachtenden veranstaltung (das krasseste beispiel ist dabei für mich in gewisser hinsicht immer noch "gladio", da wurde gleich mehrfach gegen essentials nicht nur der brd-verfassung verstoßen) noch irgendetwas gutes zu finden scheint. und wenn zur abgrenzung gegen noch schlechteres gleich die offene diktatur beschworen wird, scheint mir das eher das einzige (!) argument zu sein, das noch eine gewisse ernsthaftigkeit für sich in anspuch nehmen kann.

- "Ich find auch nicht, dass uns die zahlreichen Toten angelastet werden können."

so etwas bringt mich wirklich auf die palme - nur am beispiel der eu-südgrenzen:

- die "eliten" schotten dort die grenzen in (angeblich) unser aller namen ab, berufen sich auf ihre demokratische legitimation. die europäischen bevölkerungen befinden sich dort in einer klaren mittäterschaft.

- die grenzbefestigungen werden durch die steuern finanziert, die wir alle (zwangsweise) zahlen.

- die fluchtgründe werden in afrika zu einem großen teil durch die gleichfalls von den hiesigen bevölkerungen "legitimierte" politik sowie das gleichfalls vertretene ökonomische system der eu und einzelner europäischer staaten selbst produziert (stichwort fischfang, ähnlich verhält sich z.t. mit dem "piratenproblem" vor somalia)

und wir halten alle mehr oder weniger zu den tausenden von wasserleichen die schnauze. aus welchen gründen? ohnmacht und machtlosigkeitsgefühle, gut. aber sobald ignoranz, desinteresse und gar zustimmende passivität mit ins spiel kommen - und das halte ich für realistisch, das breiteren teilen zu unterstellen - habe ich keine schwierigkeiten damit, dieses verhalten strukturell nicht anders zu bewerten als das verhalten großer teile der deutschen bevölkerung im faschismus. und das nenne ich ausdrücklich erbärmlich. allgemeinere und andere beispiele sind, wenn man sie denn sehen will, zur genüge vorhanden.

- zu deinem stichwort "letzter wachstumszyklus": vielleicht schaust du dir nochmal die meldung über die selbstmorde indischer kleinbauern oben im beitrag an, oder vielleicht auch den beitrag im blog über die suizide von hartz-IV-empfängerInnen - das war der letzte "wachstumszyklus", wobei ich mich auch frage, wie irgendjemand etwas an dem heute benutzten wachstumsbegriff (der ein exponentielles wachstum meint) vor dem hintergrund des rohstoff- und ökologischen desasters irgendetwas gutes sehen kann. hallo, china zb. kann nicht den gleichen irrweg des westens in sachen wachstum gehen, sonst können wir nämlich auf den planeten nen dicken aufkleber "vorsicht sondermüll" pappen, und dann war´s das.

und das heisst in konsequenz (und vor allem aus gründen der gerechtigkeit) für uns hier: verzicht. wobei ich noch nicht mal glaube, dass das leben unbedingt schwieriger und schlechter werden muss - ganz im gegenteil.

@w-day: zum thema der christlichen und überhaupt schuld mehr morgen.
sansculotte - 22. Dez, 22:16

Grundgütiger!

Die chinesischen Wanderarbeiter ziehen ja FREIWILLIG aus ihrer dörflichen Subsistenz in die global-kapitalistische Extraktionsmaschine.

Bitte sagt mir, dass das nicht ernst gemeint ist. Egal, es wäre dann mindestens ebenso zynisch. ExtraktionsMASCHINE, ganz recht.

Was passiert denn bitte in Ländern, die sich antagonistisch zum globalisierten Modell verhalten?

Gibt's denn sowas? Und komm mir jetzt bitte nicht mit Nordkorea, das ist reinster Stamokap.
Lemmy Caution (Gast) - 23. Dez, 08:35

Seh das halt pragmatisch. Sofern die Emotionen aus gutgeheizten Wohnungen mit ordentlich Essen im Kühlschrank weiter eskalieren, werde ich nicht mehr diskutieren. Es ist sinnlos.

Ich insistiere darauf, dass die chinesischen Wanderarbeiter freiwillig das Land verlassen.
Ihnen wird kein Land geraubt.
Ohne die Integration Chinas in die Weltwirtschaft hätten sie die Option nicht.
Sie besitzen jetzt dies Option. Sie tun es.
Wir können uns die Härten der landwirtschaftlichen Subsistenz nicht vorstellen.
Zu glauben, Sie wären in den 70ern auf dem Land glücklicher gewesen, ist aus meiner Sicht NOCH zynischer.
Diese ganze Debatte ist zwangsläufig zynisch, da eine bestimmte Art der Armut ausserhalb unserer Vorstellungskraft liegt.
Was passiert denn bitte in Ländern, die sich antagonistisch zum globalisierten Modell verhalten?

Gibt's denn sowas? Und komm mir jetzt bitte nicht mit Nordkorea, das ist reinster Stamokap.
Genau. Es gibt sie nicht. In gewisser Weise versuchen es Venezuela, Bolivien und Ecuador. Nur zeichnen sich da - gerade im Zuge fallender Rohstoffpreise - zunehmend autoritäre und die Möglichkeit von bürgerkriegsnahen Strukturen ab.

Trotz der Selbstmorde indischer Landwirte ist die indische Regierung demokratisch legitimiert.
monoma - 23. Dez, 16:35

"pragmatismus" vs. "emotionen"

ach ja, woher kommt mir das bloß bekannt vor?

"die sog. objektive (objektivierende, objektivistische) position wird als alleinige "rationale, vernünftige und sachliche" position bezeichnet - "ernsthaft" ist dabei noch eine steigerung - und dieses vorgehen zwingt zum unausgesprochenen schluß, dass alle anderen möglichen positionen also "irrational, unvernünftig, unsachlich und unernst" sind.(...)

die behauptung des "pragmatismus" hatte ich damals tatsächlich vergessen. dazu glaube ich, dass du kaum beurteilen kannst, wie voll die kühlschränke und wie warm die behausungen tatsächlich sind. und das schreibe ich zb. als working poor, dem dabei seine privilegien im vergleich mit der situation vieler menschen im trikont durchaus schmerzhaft jeden tag bewusst sind. bloß weigere ich mich, die ganze situation fatalistisch hinzunehmen.

zu den wanderarbeitern in china kommt noch ein nachschlag in den nächsten krisennews.

und das hier...

Trotz der Selbstmorde indischer Landwirte ist die indische Regierung demokratisch legitimiert.

...ist ja bei näherer betrachtung wohl mit das vernichtendste fazit, welches sich für deine bevorzugte systemsimulation finden lässt. aber das dir das nicht auffällt, wundert mich nicht.
monoma - 23. Dez, 16:41

@w-day

nochmal das thema schuld: ich kann deinem eindruck tatsächlich nicht folgen, d.h. das ich nicht sehe, wo ich in der von dir behaupteten weise vorgehen würde - es sei denn, du würdest zeilen wie zb. diese :

"es ist gleichfalls völlig naiv anzunehmen, dass sich ein "zivilisierter" kapitalismus irgendwie anders verhalten würde - er kann es aufgrund seiner strukturellen, primär objektivistischen und damit latent antisozialen, herkunft einfach nicht. das sei vor allem jenen gesagt, die sich die relative ruhe des mit der alten brd assoziierten "rheinischen kapitalismus" zurückwünschen und das für ein praktikables modell halten. sorry, aber Ihr kaffee, mein softdrink, unsere kleidung und unsere energie waren damals bereits genauso blutbespritzt und mit leichengeruch getränkt wie heute. da gibt es keine ausnahmen. lediglich der schein musste aufgrund der historischen umstände besser gewahrt werden als heute."

als versuch werten, schuldgefühle quasi zu implementieren. ich bleibe dabei, dass es sich dabei um eine realistische aussage über unsere aller verstrickung handelt, die ja gerade aktuell mit dazu beiträgt, die ganze sitution zu einem eiertanz zu machen.

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