notiz: krisennews und -gedanken (27)

"Jede Krise offenbart, wie krank eine Gesellschaft ist. Schonungslos, ganz ohne Skrupel entlarvt sie, was alles schiefgelaufen ist. Eigentlich müsste unsere Gesellschaft dieser Krise dankbar sein, bietet sie doch die unbezahlbare Erkenntnis: So geht es nicht weiter. So jedenfalls bitte nicht."

in diesem sinne:
  • deutschland: eine halbe milliarde aus dem "konjunkturpaket" für rüstungsindustrie & bundeswehr - für was genau eigentlich?
  • italien: eine gesellschaft auf dem weg in den faschismus?
  • frankreich / überseekolonien: generalstreik auf guadeloupe erfolgreich beendet; der nächste beginnt im indischen ozean
  • frankreich: gesichter der armut
  • türkei: kurzer situationsbericht - erste massenproteste auch dort zu vermelden
  • europa / global: die rassistischen und nationalistischen spaltungslinien werden deutlich sichtbar
  • in aller kürze: mexiko / skandinavien / ex-"hypo real estate"-vorstand redet sich um kopf und kragen / krise triggert "psychosomatische störungen bei kindern & jugendlichen"
*

die meldung ist schon ein paar tage alt und tauchte auch eher nur am rande auf: 500 millionen euro von den 50 milliarden aus dem "konjunkturpaket 2" sollen an die bundeswehr gehen, die hälfte davon für "infrastrukturmaßnahmen" wie kasernenrenovierungen u.ä.; die andere hälfte jedoch soll an die
waffenindustrie weitergereicht werden:

(...)"Für Aufregung sorgt aber die Tatsache, dass rund 250 Millionen Euro aus dem 50 Milliarden Euro umfassenden Konjunkturpaket für die Beschaffung von Waffen und Kriegsgerät ausgegeben werden sollen. Eine vorläufige Einkaufsliste des Verteidigungsministeriums umfasse 1000 Maschinenpistolen MP 7 der baden-württembergischen Waffenschmiede Heckler & Koch für drei Millionen Euro, 34 "Dingo 2"-Patrouillenfahrzeuge für 24,4 Millionen Euro, zehn bewaffnete Fennek-Spähwagen für 35 Millionen Euro sowie fünf Seafox-Unterwasserdrohnen zur Minenbekämpfung für 34 Millionen Euro."(...)

soweit so schlecht, wenn man wie ich davon ausgeht, dass es kaum eine überflüssigere, schädlichere und kriminellere branche gibt als die rüstungsindustrie. und sowieso klingt die vorgesehene summe im vergleich zu den inzwischen gewohnten billionenwerten ja schon lächerlich. trotzdem empfiehlt sich noch ein zweiter und genauerer blick auf das, was da - abgesehen von den unterwasserdrohnen - angeschafft werden soll. fangen wir mal mit der maschinenpistole
mp 7 an:

(...)"Mit der MP7 sollen Truppenteile ausgestattet werden, die im Regelfall in keine infanteristischen Kampfhandlungen verwickelt werden. Das sind beispielsweise Truppenteile wie die Versorger, Sanitäter, (Luft-)Fahrzeugbesatzungen oder Artilleristen. Entscheidend für die Entwicklung dieser Waffe war die Erkenntnis, dass insbesondere bei einem asymmetrischen Konflikt auch rückwärtige Truppen in Hinterhalte geraten und damit in Nahbereichsgefechte verwickelt werden. Diese Truppenteile benötigen dann aufgrund der weitverbreiteten Nutzung militärischer Schutzwesten zwar die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres, nicht aber dessen vergleichsweise große Reichweite. Für diesen Einsatzfall wurde für die Bundeswehr eine Waffe gefordert, die die Durchschlagskraft eines Sturmgewehres mit der Kompaktheit und geringen Masse einer Maschinenpistole vereint."(...)

und merken uns erstens, dass hier u.a. typische truppenteile der "etappe" im besonderen hinblick auf "asymmetrische konflikte" mit dieser waffe ausgestattet werden sollen. also durchaus auch truppen, die im klassischen sinne der infrastruktur der versorgung zugeordnet sind (und die in fällen von versorgungsengpässen der bevölkerung ebenfalls aktiv werden dürften). zweitens aber ist es interessant, wer diese waffe sonst noch gebraucht:

(...)*2005 entschied sich das britische Verteidigungsministerium für die MP7 als neue Dienstwaffe der Polizei des Verteidigungsministeriums.
* Die MP7 wurde als Dienstwaffe bei den Vereinten Nationen - Abteilung Sicherheit - eingeführt und ergänzt die Waffen G36K, MP5, Benelli Schrotflinte und die Glock 19.
* Die MP7 wurde bei südkoreanischen SWAT-Einheiten sowie diversen anderen Spezialeinheiten eingeführt.
* Die MP7 hat die Uzis bei der Eingreiftruppe der irischen Polizei ersetzt.
* In Malaysia wird in absehbarer Zeit die MP7 im Polizeidienst zum Einsatz kommen.
* Die MP7 wird seit 2007 bei den norwegischen Streitkräften als Nachfolgemodell der MP5 genutzt.
* Die MP7 wird von der deutschen Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei, der GSG 9 verwendet.
* Bei der Bundeswehr wird die MP7 von den KSK, den Feldjägern und den Medizinischen Verbänden verwendet. Mittelfristig wird bei der Bundeswehr die Uzi komplett durch die MP7 ersetzt werden.(...)


mir fällt dabei auf, dass neben militärischen sondereinheiten besonders militär- und sonstige polizeieinheiten damit ausgestattet sind bzw. werden. also gerade solche "sicherheitskräfte", die bevorzugt in
asymmetrischen konflikten eingesetzt werden (die soziale revolte in griechenland, besonders in ihren ausprägungen vom letzten dezember, lässt sich übrigens durchaus als eine vorstufe eines solchen konfliktes begreifen). beim "patrouillenfahrzeug" dingo 2 erfahren wir dann über einsatzgebiete und -eigenschaften:

(...)"Die Hauptaufgaben des ATF Dingo sind Konvoi- und Patrouillenfahrten auf halbwegs befestigtem Untergrund. Der Dingo ist hauptsächlich für Einsätze zu „Friedenserhaltenden Maßnahmen“ (Peace Support Operation) insbesondere in minengefährdeten Gebieten konzipiert. Hierbei bietet er durch seinen Aufbau einen in dieser Gewichtsklasse hervorragenden Minenschutz, ist aber aufgrund seiner relativ geringen Abmessungen auch noch in eng bebauten urbanen Gebieten einsetzbar."(...)

also wieder ein spezialfahrzeug für einsätze jenseits "klassischer" kriegsszenarien; und "auch noch in eng bebauten urbanen gebieten einsetzbar". für was genau aber?

(...)"Darüber hinaus wurden im Juli 2006 durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 78 Dingo 2 als Trägerplattform für ein neuartiges Bodenüberwachungsradar (BÜR) der Firma EADS bestellt. Das System soll Bewegungen am Boden und im bodennahen Luftraum zuverlässig orten und speziell auf die Erkennung asymmetrischer Bedrohungen ausgelegt sein. Bis Ende 2009 sollen zunächst zwei Systemdemonstratoren geliefert werden und ab 2012 ist die Serienlieferung der 78 BÜR-Systeme an die Heeresaufklärungstruppe geplant."(...)

wieder diese ominösen "asymmetrischen bedrohungen", die "erkannt" werden sollen. das leitet direkt über zum dritten posten der bestellung, und der ist bereits seit dem "g8"-gipfel von heiligendamm 2007
einschlägig bekannt -der spähpanzer fennek:

(...)"Im Zuge der Amtshilfe wurde dieses Fahrzeug auch für Polizeieinsätze in Deutschland angefordert – die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Praxis ist jedoch umstritten."(...)

sicher, erstmal dürfte dieses ganze zeug primär für den mehr als fragwürdigen krieg in afghanistan bestimmt sein - aber wie aus den obigen betrachtungen deutlich geworden sein sollte, ist der großteil der durch das "konjunkturpaket" finanzierten waffensysteme eben auch ohne großen aufwand umstandslos in anderen "asymmetrischen konflikten" einsetzbar. zum beispiel in und um große städte, in denen sich im zuge der krise verarmte bevölkerungsteile nicht mehr der staatlichen ordnung unterwerfen wollen. was ja ganz schnell zu "terrorismus" deklariert werden kann (und auch wird). die vielzitierten steuergelder werden also nicht nur für bankerboni benutzt werden. das gleichnis von den dummen kälbern und dem schlachter ist wörtlich zu nehmen.

*

die haarsträubenden verhältnisse in berlusconis italien mit der inneren militarisierung, den sog. "bürgerwehren" und v.a. einer rassistischen mobilisierung gegen roma waren in vergangenen news schon thema. nun kommt von einer gruppe aus italien ein
bericht, in dem eine jener vergewaltigungen genauer untersucht worden ist, welche die italienische regierung zum anlaß genommen hatte, um das land in richtung eines autoritären sicherheitsstaates mit faschistoiden zügen zu verwandeln. neben erkennbaren unstimmigkeiten der offiziellen version hinsichtlich der täter berichten sie v.a. über die folgen für das öffentliche klima:

(...)"Nach der Vergewaltigung im Caffarella-Park und der anschließenden Medienkampagne, die darauf abzielte, Roma und rumänische StaatsbürgerInnen zu kriminalisieren (ein Verstoß gegen die Gesetze, denen gemäß die Verantwortung für ein Verbrechen nur auf das Individuum fällt und nie auf eine ganze soziale oder ethnische Gruppe ausgedehnt werden darf) wurden Dutzende Angriffe auf Roma, RumänInnen und andere AusländerInnen verübt. Allein am 15. und 16. Februar wurden 18 Überfälle gemeldet. Am Abend des 15. führte in Rom eine rassistische "Patrouille" von rund 20 mit Knüppeln bewaffneten, maskierten Personen mehrere Angriffe auf fünf rumänische Roma durch, von denen sich zwei mit schweren Verletzungen im Krankenhaus befinden: auf einen Rumänen; eine junge Roma-Mutter mit ihrem kleinen Kind; zwei Roma-Jungen. Kurz darauf brach in einer Romasiedlung in Pisa ein Feuer aus und zerstörte zehn Behelfshütten, in denen eine Gruppe Roma lebte.

In Turin wurde ein 18-jähriger aus Peru von einer rassistischen Bande mit Metallstangen verprügelt. Drei Rumänen wurden in Sassari zusammengeschlagen. In Sesto San Giovanni (Mailand) verprügelte eine rassistische "Patrouille" mehrere Roma. In Sacrofano (Rom) schlug eine Bande von acht mit Knüppeln bewaffneten Rassisten drei rumänische Roma zusammen. In Ancona verprügelten rassistische Banden einen 19-jährigen Roma, dann einen 36-jährigen rumänischen Roma. Am 21. Februar warf eine Bande zwei Molotowcocktails in einen von Rumänen betriebenen Laden, wo sie explodierten. Abgesehen davon wurden Vorfälle von Beleidigungen, Bedrohungen und Schlägen aus Städten in ganz Italien gemeldet. In der Zwischenzeit nutzten die Behörden das Klima der Intoleranz, um weitere Roma-Siedlungen zu räumen (über 40 in Rom zwischen dem 15. und 16. Februar) und Verhaftungen von Roma und RumänInnen als Teil ihrer Operation "gegen Kleinkriminalität" durchzuführen.

In Pesaro tauchte ein Flugblatt auf mit der Parole: "Adolf Hitler hat uns gezeigt, dass es kein Verbrechen ist, Zigeuner zu verbrennen. 10, 100, 1000 Patrouillen." In der gleichen Stadt beleidigte das Personal der Caritas (der christlichen "karitativen" Organisation) einen Roma-Jungen mit rassistischen Ausdrücken, und einige Einheimische jagten zwei Roma-Frauen grundlos aus einem Einkaufszentrum."(...)


ein offenes bündnis zwischem rassistischen/faschistischen mob und regierung - und allerorten herrscht in der europäischen politik dazu schweigen. eine sehr beredtes schweigen ist das, wenn Sie mich fragen. eines, was unheilvolle schatten auf die nahe zukunft wirft. später noch mehr zum thema.

*

ein weiteres update zur situation auf den französischen antillen, speziell
guadeloupe:

"Auf der als „Überseebezirk“ (DOM, département d'outre-mer ) zu Frankreich gehörenden Karibikinsel Guadeloupe ist am heutigen Donnerstag früh der Generalstreik an seinem 44. Tag zu Ende gegangen.

Gegen 20 Uhr Ortszeit am Mittwoch Abend (in der Nacht von gestern auf heute nach mitteleuropäischer Zeit) unterzeichneten Elie Domata, der Sprecher des „Kollektivs gegen Ausbeutung“ LKP, und der Präfekt Nicolas Desforges - juristischer Repräsentant des französischen Zentralstaats auf Guadeloupe - eine Vereinbarung.(...)

Das Abkommen sieht die Erhöhung aller niedrigen Löhne (bis zum 1,4 fachen des französischen gesetzlichen Mindestlohns SMIC, welcher rund 1.000 Euro netto beträgt) um 200 Euro vor. Die Kosten für diese Lohnerhöhung um zweihundert Euro teilen sich zu unterschiedlichen Teilen auf die Arbeitgeber - zwischen fünfzig und 100 Euro -, und den Staat sowie die Sozialkassen (durch eine Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Abgaben, sowie durch eine Aufstockung der Löhne in Gestalt einer Art von Kombilohn) auf.

Der größte französische Arbeitgeberverband MEDEF hatte bis zuletzt die Unterschrift unter dieses Abkommen verweigert. Aber das „Kollektiv gegen Ausbeutung“ LKP (Liannay kont pwofitasyon) hat ihn zum Teil umgangen, indem es von Betrieb zu Betrieb zog und erheblichen Druck auf die einzelnen Unternehmen entfalten konnte. Beispielsweise unterzeichnen voraussichtlich alle wichtigen Baufirmen, die beim MEDEF organisiert sind, dennoch das Abkommen. „Der MEDEF vor Ort ist implodiert“, mit diesen Worten zitierten Medien am Donnerstag früh den LKP-Sprecher Elie Domata. Nunmehr rufen die Unterzeichner zur Wiederaufnahme der Arbeit auf, die freilich erst allmählich erfolgen kann, und die „Normalisierung“ wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Unterdessen fordert das LKP die Inselbevölkerung dazu auf, mobilisiert zu bleiben, und kämpft nunmehr für eine ‚extension' des errungenen Abkommens. ( ‚Extension': Ungefähres Äquivalent zur deutschen „Allgemeinverbindlich-Erklärung“ eines Tarifvertrags: Durch Beschluss des zuständigen Ministers wird ein Kollektivvertrag auch für solche Arbeitgeber, die oder deren Verbände es nicht unterzeichnet haben, mit zwingender Geltung ausgestattet.)"(...)


na, das lässt sich doch als zumindest kurzfristig wirksamer und nötiger - gegen die bitterste armut - erfolg betrachten. und so etwas wird, sehr zum mißvergnügen der französischen regierung, nicht nur auf martinique - wo der streik meines wissens noch läuft - und im französischen kernland, sondern auch tausende kilometer entfernt in einer ganz anderen ecke aufmerksam registriert und als handlungsanweisung begriffen:

(...)"Unterdessen fing am heutigen Donnerstag der Generalstreik auf der ebenfalls als „Überseebezirk“ zu Frankreich gehörenden Insel La Réunion (im Indischen Ozean, zwischen Madagaskar und der Insel Mauritius) an. Es geht um ähnliche Probleme wie auf den französischen Antillen - in der Karibik -, also um den Kampf gegen „das teure Leben“ ( contre la vie chère ). Der Arbeitskampf und gesellschaftliche Konflikt ist als Generalstreik, über dessen Verlängerung periodisch an der Basis abgestimmt wird ( grève général reconductible ), ausgerufen."

schöne umsetzung des spruches "global denken - lokal handeln", wie ich finde. die bisher vernachlässigten kolonieähnlichen anhängsel frankreichs bemühen sich jedenfalls nach kräften, die krise als chance für sich umzusetzen. und sind damit ein positives beispiel weit über frankreich hinaus.

*

wo sich die bevölkerung mitte märz erneut zu einem grève général versammeln wird, und angesichts der sich dort ebenso wie in anderen ländern zuspitzenden situation dürfte der charakter des kommenden streiks eine art blaupause dafür abgeben, was die nächsten monate zu erwarten ist - vorläufig lassen sich bereits die typischen anzeichen für um sich greifende
verarmung wahrnehmen:

"Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise sind die bewaffneten Raubüberfälle in Frankreich angestiegen. Gleichzeitig erleben Suppenküchen einen Ansturm. Doch viele der neuen Armen wollen ihre Not nicht zeigen.(...)

Innenministerin Michèle Alliot-Marie hat sich bereits im Februar mit Vertretern des Einzelhandels und der Polizei getroffen, um sich mit ihnen zu beraten. Einen Zusammenhang mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise lehnt sie jedoch strikt ab.(...)

Doch die Ordnungshüter selber sehen das anders. Hinter vorgehaltener Hand machen sie die finanziellen Probleme, mit denen viele Franzosen jetzt zu kämpfen haben, für den Anstieg der Raubüberfälle verantwortlich. Denn die Krise hat in Frankreich inzwischen eine neue Schicht von Armen hervorgebracht. So sind auf den Märkten der Großstädte seit dem Herbst immer mehr Menschen zu sehen, die heruntergefallenes Obst und Gemüse einsammeln. "Letzte Woche habe ich einer etwa 40-jährigen Frau Nahrungsmittel gegeben, die gut gekleidet war", berichtet Yassim, der auf dem Markt von Barbès in Paris als Verkäufer arbeitet. Die Frau habe ihm erzählt, dass ihr Mann sie verlassen habe und dass sie jetzt nicht mehr wisse, wie sie ihre drei Kinder ernähren solle, da sie nur fünf Stunden pro Woche arbeite. Am Ende sei sie in Tränen ausgebrochen. Denn wie fast alle anderen neuen Armen, die auf den Märkten Abfälle sammeln, schämt sich die Frau dafür.

Viele dieser "glaneurs", wie die Abfallsammler auf Französisch in Erinnerung an die Leute heißen, die im Mittelalter die abgeernteten Felder nach übrig gelassenen Ähren absuchten, wollen ihre Armut nicht zugeben. Sie sammeln lieber die heruntergefallenen Reste ein, anstatt in einer Suppenküche für eine kostenlose Mahlzeit anzustehen. Denn damit, so eine aktuelle Studie, würden sie ihre Not auch anderen eingestehen.

Dennoch erleben die Suppenküchen in Frankreich seit Ausbruch der Krise einen nie gekannten Ansturm. So rechnen die 1986 von dem Komiker Coluche gegründeten Restos du Coeur für die aktuelle Wintersaison mit 780 000 bewirteten Personen. Ein Jahr zuvor waren es noch 700 000. (...)Unter den Neukunden befänden sich viele Selbstständige, aber auch allein stehende Bauern oder allein erziehende Eltern und Frauen mit mehreren Kindern."


die scham - ja, eine der wirksamsten waffen seitens der "eliten", in unseren perversen arbeitsfixierten "wertesystemen" verankert, vermittelt bereits in vielen familien, medial verbreitet und aufbereitet, kann sie ihre destruktive wirkung auf der traumatischen matrix im hintergrund der gesellschaften entfalten. mit dieser scham werden wir uns näher beschäftigen müssen. denn erst wenn die fällt, werden neue entwicklungen möglich werden. die armen in den westlichen ländern produzieren mittels ihres eigenen unsichtbarwerdens viel zu lange den schein mit, der bisher noch für "normalität" sorgt - sichtbare armut in massenhaften dimensionen würde den alltag sehr schnell zum kippen bringen.

*

die situation der
türkei in der krise war bisher hier noch kein thema, was eigentlich bei der ständigen potenziell brisanten innenpolitischen lage ein versäumnis ist - ein land mit leider stabilen nationalistischen tendenzen in großen bevölkerungsteilen, einer islamistischen bewegung, einer ständig zur einmischung bereiten armee sowie einem guerillakrieg in den kurdischen gebieten an den hacken bietet konflikt- und spaltungslinien ungeahnten ausmaßes an, die von der wirtschaftskrise zu einem katastrophalen feuer entfacht werden könnten - aber dafür war es bisher um dieses land erstaunlich ruhig:

(...)"Auch Cevdet Akcay, Chefökonom der Yapi Kredi Bankasi, ist der Meinung, diese Krise treffe die Türkei weniger hart als andere Volkswirtschaften.

Das sind erstaunliche Ansichten, wenn man berücksichtigt, daß die Türkei mit einem doppelten Defizit zu kämpfen hat und in hohem Maße von der Schiffbau-, Automobil- und Textilindustrie abhängt. Diese Branchen gerieten als erste in die Krise. Folgerichtig beklagt die Textilbranche eine Halbierung ihrer Aufträge, stockt der Schiffbau und registrierte die Automobilindustrie samt Zulieferern im Dezember 2008 gegenüber dem Vorjahresmonat einen Produktionsrückgang um 63 Prozent.(...)

Kraftfahrzeuge, Maschinen, Eisen und Stahl stellten mit insgesamt 30,8 Prozent die wichtigsten Ausfuhrgüter. Ein massiver Einbruch des Exports war deshalb unausweichlich. Im Dezember schrumpfte er im Vergleich zum Vorjahresmonat um 21, im Januar sogar um 26 Prozent. Parallel dazu gingen die Importe um 30 Prozent zurück. Als Reaktion darauf sind Kurzarbeit und Massenentlassungen an der Tagesordnung. Nachdem die offizielle Arbeitslosenrate 2007 bis auf 8,8 Prozent gefallen war, werden bereits für den Sommer zwischen 13 und 15 Prozent erwartet.

Angesichts der wirtschaftlichen Großwetterlage braut sich über Istanbul, Izmir und Ankara einiges zusammen. Zur allgemeinen Krise kommen die strukturellen Probleme einer abhängigen Ökonomie. Der Außenhandel ist chronisch defizitär, und dieses Defizit wächst ungebremst. Seit 2005 stieg es jährlich um rund zehn Milliarden von 43,3 auf derzeit 74 Milliarden US-Dollar. Die Brutto-Auslandsverschuldung erhöhte sich 2007 von 168,9 auf 247 Milliarden Dollar. Die Regierung von Tayyip Erdogan bemüht sich derzeit beim Internationalen Währungsfonds (IWF), bei dem sie bereits mit knapp 20 Milliarden Dollar in der Kreide steht, um einen neuen Kredit. Der Preis für die »Hilfe« des IWF ist die Verpflichtung zur beschleunigten Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Die islamische AKP machte sich als Regierungspartei hierbei zur eifrigen Erfüllungsgehilfin. Nachdem das Privatisierungsvolumen von 1985 bis 2002 acht Milliarden Dollar betragen hatte, belief sich der Ausverkauf öffentlichen Eigentums zwischen 2003 und 2008 auf 41,9 Milliarden."(...)


kurz: wie überall anders auch sind bereits alle zutaten für eine wirklich spürbare krise vorhanden und am wirken, und das hat bei den betroffenen trotz aller regierungsamtlicher schönrednerei erste reaktionen ausgelöst:

(...)"Die türkischen Gewerkschaften lassen sich von solchen Zukunftsversprechen bislang nicht einlullen. Im Gegenteil, am 15. Februar kam es zum ersten Mal seit Jahren wieder zu einer gemeinsamen Demonstration des eher sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaftsbundes Turk-Is mit den weiter links angesiedelten Bünden DISK und KESK. Motto: »Wir werden eure Krise nicht bezahlen! Für einen gemeinsamen Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut.« An der Aktion beteiligten sich 40000 Menschen. Bei einem Mindestlohn von 527 und einem Durchschnittsentgelt von 1670 Neuen Türkischen Lira (246 bzw. 780 Euro) ist die Bereitschaft, sich weiter einzuschränken, verständlicherweise begrenzt."

mit ihrer besonderen situation ist die türkei ein weiterer, potenziell höchst brisanter, krisenschauplatz, der genau beobachtet werden sollte.

*

zumal dort ähnliches im hinblick auf kurdische und auch armenische bevölkerungsteile zu befürchten ist, was anderswo von der krise schon überdeutlich sichtbar gemacht wird - der heutige lesetipp beschäftigt sich mit der faschistoiden
suche nach sündenböcken in der krise, die in einigen europäischen staaten bereits tödliche folgen hatte. der artikel ist bis dato die beste zusammenfassung zum thema und verdient breiteste aufmerksamkeit und auch verlinkung. letztlich geht es um die ersten keimzellen kriseninduzierter faschistischer potenzieller massenbewegungen, und da wäre jedes wegschauen und -ducken selbstmörderisch. auch, wenn´s verdammt erschreckend ist, was sich in dieser hinsicht schon tut.

*

in aller kürze - das krisentelegramm zum schluß + ein aufschlußreicher überblick zur situation in mexiko -
"la crisis" und die folgen in einem land, das zusehends im "drogenkrieg" destabilisiert wird + Wirtschaftskrise trifft skandinavische Länder mit Wucht infos aus einer region, von der bisher ebenfalls krisenmässig nicht viel zu hören war - aber es ist tatsächlich so, dass buchstäblich kein land der erde unberührt bleibt + ein neues synonym für dreistigkeit lautet georg funke - der ex-chef der zombiebank hre lässt über seinen anwalt u.a. verlauten: "Wir wehren uns gegen eine Vorverurteilung", sagte Kreuzer der Süddeutschen Zeitung. Es sei nicht in Ordnung, Funke zum Sündenbock zu machen. (...) Kreuzer behauptet, die Entwicklung bei den Banken seit dem Ausscheiden der früheren HRE-Vorstände zeige aber, dass diese Manager und andere Bankvorstände eher "Opfer der internationalen Finanzkrise" seien, als deren Verursacher." was die einen an scham zuviel haben, haben die anderen offensichtlich zu wenig. die bankster sind sich offenbar sehr sicher oder leiden an totalen wahrnehmungsstörungen, was die wirkungen ihrer unverschämtheiten in der öffentlichkeit betrifft. allerdings sind sie ja bisher auch noch immer damit durchgekommen - bisher + und wenn man dann direkt nach so einer meldung das folgende zur kenntnis nehmen muss - Durch Krise mehr psychosomatische Störungen - «Wir müssen nicht beunruhigt sein, dass die Kinder zu viel vor dem Computer sitzen, wir müssen uns um Armut kümmern», so der Ärztliche Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Hamburger Universitätsklinikum. Gerade im Zeichen der Krise seien Armut und soziale Herkunft «das Thema der Zukunft». So liege die Zahl der Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Jugendlichen in der untersten sozialen Schicht bei etwa 30 Prozent, in der obersten bei rund 16 Prozent. Die Zahl der psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter sei «schon jetzt dramatisch», sagte Schulte-Markwort. Er rechne mit einer Zunahme des Schweregrades der Störungen." - dann weiß man doch sofort wieder, warum das wörtchen schweinesystem durchaus seine berechtigung hat +
Lemmy "Pitiyankee" Caution (Gast) - 9. Mär, 17:14

naja. Aber die Türkei war ja ein Land, das in den letzten Jahr starke Wohlstandsgewinne erreicht hat.
Das gleiche gilt für die ganzen osteuropäischen Länder außer Ungarn.
Mit Unruhen gegen das System als solches ist dort nicht zu rechnen.

Mexiko tendiert zur Zeit wirklich in Richtung failed state. Aber weite Teile Südamerikas reagieren nach Jahren starken Wachstum auf den Fall der Rohstoffpreise stabil wie nie im 20. Jahrhundert.
Wachstumsprognose Chiles bleibt positiv (ok: 0.2%), genug Geld für stark sozial orientierte Konjunkturprogramme ist da. Brasiliens erwartetes Wachstum für 2009 ist von 1.5 auf 1.2% korrigiert worden. Nach unten, aber nach wie vor positiv. Präsident Alvaro Uribe erhält in Umfragen eine Zustimmung von 69%. Uruguay hält sich besser als das chavistischere Argentinien. Beide aber für diese Verhältnisse ok.
Gleichzeitig ist die Mordrate in Caracas noch höher als in Ciudad Juarez. Und Thugo Mucho Macho ist mittlerweile so hilflos in Hinblick auf die Inflation, dass er gegen die Buden des traditionellen Weizenfladen-Imbisses Arrepa wegen "Preistreiberei" vorgeht.

flusskiesel (Gast) - 14. Apr, 13:10

Maschinenpistolen

Hallo!
Danke für die interessanten Ausführungen.
Zu den Maschinenpistolen habe ich aber noch zwei Anmerkungen:
- Du übersiehst, dass die Polizeitruppen ja bereits jetzt Maschinenpistolen einsetzen. Die MP-7 ist halt eine modernere und sichere Waffe. Wenn man bedenkt, dass die Iren bis dato die Uzi eingesetzt haben - uiuiui.
- Auch ohne "asymmetrische Konflikte" wäre eine neue Verteidigungswaffe für die Bundeswehr notwendig* gewesen, da Sanitäter, Panzerbesatzungen usw. mit der MP2 (Uzi) oder der Pistole P1/P8 faktisch wehrlos sind.

* Nicht meiner Meinung nach, sondern nach der militärischen Binnenlogik der Bundeswehr.

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