kontext 28: mehr zu autismus, empathie, spiegelneuronen und quasiautistischen zuständen

so, wie vor ein paar wochen angekündigt, möchte ich mich nochmals genauer den ergebnissen einer studie widmen, die sich speziell mit dem verhältnis von autismus und empathie beschäftigt - und dabei zu ergebnissen gekommen ist, die u.a. einigen der hier im blog behandelten thesen grundsätzlich widersprechen. wichtig und interessant genug also, um genau hinzuschauen.

(...)"Psychologen schreiben vermehrt über Gemeinsamkeiten zwischen Autisten und Psychopathen, die sie angeblich gefunden haben. J. Arturo Silva konstatiert „eine Assoziation zwischen der Psychopathologie des autistischen Spektrums und dem Verhalten von Serienmördern“. Pierre Flor-Henry schreibt: „Asperger-Syndrom und Psychopathie … teilen sich einige Charakteristika, insbesondere die völlige Abwesenheit jeglicher menschlicher Empathie.“

von den genannten konnte ich bisher keine deutschsprachigen übersetzungen ausfindig machen; hier gibt es eine art zusammenfassung einiger thesen von silva in englisch zu lesen. denen u.a. zu entnehmen ist, dass er bspw. zwei der bekanntesten attentäter der neueren us-amerikanischen geschichte als asperger-verdächtig ansieht. im deutschsprachigen raum lässt sich die these von der verbindung zwischen (asperger-)autismus, empathielosigkeit und psycho- bzw. soziopathischem verhalten in modifizierter form zb. bei j. erik mertz finden.

"Empathie ist die Fähigkeit, Gedanken, Motive und Gefühle anderer Menschen zu erkennen und mit angemessenen Emotionen darauf zu reagieren. Also unser Einfühlungsvermögen. Eine für das Zusammenleben sehr wichtige Eigenschaft: Auf der Empathie basieren Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Wir helfen anderen in schwierigen Situationen, weil wir ihre Not und ihr Leid selbst spüren. Wer solches Mit-Leid nicht empfindet, ist tatsächlich – das belegen Untersuchungen – oft ein Psychopath. Auch Autisten wirken oft teilnahmslos, wenn sie andere in Not sehen. Mit dieser scheinbaren Parallele argumentieren einige Psychologen, um sie mit Gewalttätern und Mördern in eine Ecke zu stellen. Doch besitzen Autisten, nur weil sie nicht helfen, tatsächlich kein Mitgefühl?"

wie im weiteren verlauf dieses beitrags noch zu sehen sein wird, verdichtet sich in letzter zeit die vermutung, dass die sog. spiegelneurone im menschlichen gehirn eine sehr wichtige rolle für die menschliche empathiefähigkeit spielen - und in diesem zusammenhang liegen bereits studien vor, die sich mit dem funktionieren bzw. nichtfunktionieren der spiegelsysteme bei autismus beschäftigen:

(...)"Bei Autisten funktionieren die Gehirnschaltungen, die Menschen ermöglichen die Aktionen anderer wahrzunehmen und zu verstehen, nicht auf die herkömmliche Art und Weise. Zu diesem Ergebnis ist eine Studie der University of California gekommen. Die EEGs von zehn Patienten mit Autismus wiesen eine Dysfunktion des Spiegelneuronensystems auf. Ihre Spiegelneuronen reagieren nur auf ihre eigenen Aktionen und nicht auf die anderer. Bei Spiegelneuronen handelt es sich um Gehirnzellen im prämotorischen Kortex."
(...)
Heute wird davon ausgegangen, dass das menschliche Spiegelneuronensystem nicht nur bei der Ausführung und Beobachtung von Bewegungen eine Rolle spielt, sondern auch bei höheren kognitiven Prozessen. Dazu gehören zum Beispiel die Sprache, die Fähigkeit andere zu imitieren oder von ihnen zu lernen, ihre Intentionen zu erkennen oder mit ihrem Schmerz zu fühlen. Autismus wird teilweise genau durch Defizite in diesen Bereichen charakterisiert. Frühere Studien legten daher nahe, dass ein dysfunktionales Spiegelneuronensystem die beobachteten Pathologien erklären könnte. Die aktuellen Forschungsergebnisse unterstützen diese Hypothesen in einem entscheidenden Ausmaß."


behalten Sie das obige bitte im hinterkopf, wenn Sie sich die weitere argumentation zur vermuteten empathiefähigkeit von autistischen menschen ansehen - ich zitiere weiter aus dem ursprünglichen artikel:

"In den 1980ern teilte man Empathie noch in zwei Bereiche: kognitive Empathie, nämlich die Fähigkeit, mental in die Haut eines anderen zu schlüpfen, und affektive Empathie, nämlich die emotionale Reaktion auf einen beobachteten Gemütszustand. Letzteres entspricht dem, was man unter Mitgefühl versteht."

und an dieser stelle habe ich das erstemal schwer gestutzt: diese zweiteilung scheint mir keinesfalls sachlich gerechtfertigt zu sein - "kognitive empathie" klingt eher nach einem widerspruch in sich selbst, wenn ich nämlich empathie als den umfassenden (!) prozeß begreife, mittels dem das zwischenmenschliche mitfühlen bzw. -"schwingen" überhaupt erst möglich wird. das wörtchen "kognitiv" in seiner klassischen bedeutung reduziert diesen prozeß meiner meinung nach alleine auf die "mentale" rekonstruktion bzw. simulation von empathie - und eben das ist keinesfalls als empathie im vollen sinne des wortes anzusehen. auch diese art von simulation ist bereits thema von studien bezgl. des autismus geworden, und die daraus gezogenen schlüsse habe ich hier auszugsweise zitiert (in der mitte des beitrags):

"Mitgefühl als "mentale Arithmetik"

Eine Londoner Wissenschaftlerin hat drei Gehirnregionen identifiziert, die bei gesunden Menschen vermutlich für das Einfühlungsvermögen zuständig sind, berichtet das Wissenschaftsmagazin "New Scientist". Autisten dagegen versuchen sich mit Hirnregionen des reinen Verstandes in andere Menschen einzufühlen, sagte Francesca Happe auf der Konferenz der Britischen Psychologischen Gesellschaft in Glasgow."

Bei den gesunden Versuchspersonen stellten die Forscher in drei Hirnregionen eine erhöhte Aktivität fest. Die autistischen Probanden dagegen nutzten ganz andere Gehirnbereiche, um die Aufgaben zu lösen. "Es scheint, dass sie dazu eher den reinen Verstand als die soziale Intelligenz nutzten", erklärt Happe."


"sich mit logik einfühlen" wäre vielleicht tatsächlich die treffende beschreibung von "kognitiver empathie" - nur würde das, wie gesagt, imo eine vollständigkeit der empathischen fähigkeit implizieren, die ich an der stelle nicht erkennen kann - und die ich nach dem bisherigen wissensstand auch nicht für begründbar halte. wieder zurück zum ausgangsartikel:

„Die empathischen Kapazitäten beim Asperger-Syndrom sind zwar zunehmend in den Fokus der Forschung gerückt, doch niemand hat bisher versucht, zwischen diesen Punkten zu unterscheiden“, erklärt Kimberley Rogers. Die Untersuchungen konzentrierten sich fast ausschließlich auf den kognitiven Aspekt. Dabei gibt es seit über zwanzig Jahren ein Verfahren, das beide Komponenten mit 28 Fragen misst: den vom Sozialpsychologen Mark H. Davis entwickelten interpersonellen Reaktivitätsindex (IRI).

Im Center for Brain Health an der NYU beantworteten 21 Erwachsene mit Asperger-Syndrom diese Fragen. Ging es um die kognitive Empathie, schnitten sie tatsächlich schlechter ab als die 23 zum Vergleich herangezogenen „normalen“ Testpersonen. Bei den Fragen zur affektiven Empathie hingegen offenbarten sich keine Unterschiede. Im Gegenteil, emotionsgeladene Situationen versetzten Asperger-Probanden oft stärker in inneren Aufruhr als die psychisch unauffälligen Teilnehmer."


das hier erwähnte schlechtere ergebnis bei der "kognitiven empathie" wäre meiner meinung nach viel eher als indiz für eine abgrenzung vom (asperger-)autismus zum soziopathischen spektrum zu werten; zumindest könnte das darauf hindeuten, dass die oben erwähnten besonderheiten beim "einfühlen" seitens autistischer menschen funktionell und/oder strukturell tatsächlich anders aussehen als die entsprechende besonderheit des "kognitiv empathischen" vermögens bei soziopathen. aber vielleicht ergibt sich die verwirrung auch durch das testverfahren selbst:

"Allerdings hat der IRI eine große Schwäche: Ob die Testpersonen etwa „oft ein Gefühl der Sorge für Leute empfinden, die wenig Glück im Leben haben“, schätzen sie selbst auf einer Skala ein. Es besteht die Gefahr, dass sie so antworten, wie es ihnen sozial erwünscht scheint. Also entwickelten die Forscher ein Verfahren, das sich an konkreten Situationen orientiert, in denen Menschen üblicherweise empathisch reagieren. Die Probanden bekommen Fotos gezeigt, etwa ein weinendes Kind vor einem abgebrannten Haus. Zunächst sollen sie sagen, wie sich das Kind fühlt – es wird also die kognitive Empathie geprüft. Die passende Antwort lautet „elend, kläglich“, und die bekommen die Teilnehmer auch mitgeteilt, bevor es mit den Fragen zur affektiven Empathie weitergeht: Wie sehr wühlt Sie das Bild auf? Fühlen Sie sich selbst beim Betrachten elend?"

und hier kann ich dann nur noch mit dem kopf schütteln: wie sich erstens die erwähnten antworten nach sozialer erwünschtheit dadurch verhindern lassen sollen, indem fotos gezeigt werden, erschließt sich zumindest mir keinesfalls. und zweitens: wenn dazu noch die passenden antworten - die (in diesem fall berechtigt) "sozial erwünschten" - vor dem eigentlichen test mitgeteilt werden - was kann dann tatsächlich berechtigt aus den ergebnissen gefolgert werden?

"17 Probanden mit Asperger-Syndrom durchliefen den Test und bestätigten, was sich zuvor angedeutet hatte: Mitgefühl und Anteilnahme waren bei ihnen ebenso ausgeprägt wie bei jedem anderen. Schwer fällt ihnen dagegen, zu erkennen, was in jemanden vor sich geht. Denn sie können die sozialen Zeichen, die unser Inneres nach außen tragen – also Gesten, Gesichtsausdruck, Tonfall – schlechter „lesen“. Dass Menschen mit autistischen Störungen oft teilnahmslos wirken, liegt also sehr wahrscheinlich daran. Mit Unfähigkeit zu Mitgefühl hat es nichts zu tun."

die letzten aussagen bzgl. des "schlechter lesen" sind imo berechtigt, und auch hier finde ich, dass diese eigenschaften des als solchen definierten autismus eher eine abgrenzung zur klassischen soziopathie nahelegen (weil soziopathen dieses "lesen" i.d.r. besser beherrschen - mit der wichtigen einschränkung der angstwahrnehmung bei sich selbst und bei anderen). was hingegen die folgerung betrifft, dass die empathiefähigkeit genauso "ausgeprägt wie bei jedem anderen" ist, habe ich nicht nur aufgrund der eigenarten der testsituation so meine zweifel. das klassisch autistische spektrum mag sich gerade durch die weitgehende simulative unfähigkeit der betroffenen von der klassischen psycho-/soziopathie unterscheiden. aber gerade bei aspergerautistischen menschen lässt sich imo begründet von einer gewissen simulativen fähigkeit ausgehen - lesen Sie dazu zb. nochmals die aussagen von temple grandin im basisartikel autismus 1. davon ausgehend und berücksichtigend, dass die "richtigen" antworten beim test quasi vorgegeben waren, ließe sich hier eher von einem groben schnitzer der beteiligten forscherInnen reden. so stellt sich zumindest für mich die situation dar, und ich bin gespannt auf Ihre interpretationen des testrahmens.

„Die längste Zeit wurde Autismus als Empathiestörung bezeichnet – in ebenso fälschlicher wie unverantwortlicher Weise“, kritisieren die New Yorker. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse dazu beitragen, Autisten den Platz im empathischen Spektrum zu geben, den sie verdienen.“ Der ist jedenfalls nicht auf der Seite von Psychopathen. Denn diese besitzen in der Regel eine sehr gute soziale Wahrnehmung. Zu erfassen, was in anderen vor sich geht, bereitet ihnen keinerlei Probleme. Charakteristisch ist vielmehr, dass sie diese Fähigkeit einsetzen, um ihre Opfer zu manipulieren. Psychopathen fehlt die affektive Empathie, sie empfinden also tatsächlich kein Mitleid."(...)

nein, die ergebnisse berechtigen aufgrund der eigenarten ihres zustandekommens und auch aufgrund der bisherigen erkenntnisse zum zusammenhang zwischen (gestörten) spiegelneuronen und autismus imo nicht dazu, eine solche aussage wie oben zu treffen. zweitens ist der ausdruck "gute soziale wahrnehmung" in bezug auf soziopathen aus meiner sicht einfach falsch - ich habe es in den beiträgen zur als-ob-persönlichkeit irgendwo so ausgedrückt: "sie sind zwar fähig, zu beobachten und das beobachtete auch objektiv korrekt zu beschreiben - aber sie werden davon nicht berührt" - und genau das ist kein ausdruck von "guter sozialer wahrnehmung", sondern eine schwere empathiestörung, die als "kognitive empathie" zu beschreiben lediglich falsche und u.u. gefährliche assoziationen aufruft (empathie lässt sich selbst als ein wahrnehmungsmodus begreifen, der nur in seiner vollen funktionsgestalt - wovon das mitfühlen einen untrennbaren teil darstellt - als vollständig anzusehen ist). eine schwere empathiestörung zudem, die vermutlich durch simulative fähigkeiten kompensiert und maskiert wird.

und gerade beim letzteren wären aus meiner sicht eher elementare unterschiede zwischen dem klassischen autistischen spektrum und der soziopathie festzustellen: die simulativen fähigkeiten sind viel deutlicher auf soziopathischer seite zu sehen. was aber die einschränkungen der empathiefähigkeiten betrifft, so würde ich bis auf weiteres bei beiden eher von quantitativen als qualitativen unterschieden ausgehen.

*

solche diskussionen wie die obigen mögen einigen leserInnen arg akademisch und in gewisser weise abgehoben erscheinen - aber aus meiner perspektive trifft solches aus gründen, die gleich näher beleuchtet werden, keinesfalls zu. die empathiefähigkeiten mitsamt ihren daraus folgenden handlungsoptionen stellen für das gesamte soziale leben eine unverzichtbare bedingung, eine grundlegende basis dar. und wenn hier psychophysische strukturelle und funktionelle schäden und defekte möglich sind, so ist es eine schlichte notwendigkeit, die art und weise dieser schäden und ihrer möglichen individuellen und kollektiven folgen so gut wie möglich zu verstehen. dies gilt umso mehr vor dem hintergrund extrem verbreiteter gewaltvorgänge in den aktuellen und historischen menschlichen gesellschaften.

das wort "autismuskritik" ist daher von mir nicht nur als metapher gemeint: eine begründbare erweiterung des autismusbegriffes halte ich sowohl für möglich als auch für nötig, gerade vor dem hintergrund von modellen und theoretischen hypothesen, die es nahelegen, zustände, die sich funktionell und/oder strukturell als autistisch auch bei nicht derart "offiziell" diagnostizierten menschen begreifen lassen, anders - und vermutlich zutreffender - zu verstehen, als es jetzt der fall ist. das die sich daraus ergebenden verbindungslinien bspw. zwischen dem autistischen spektrum und soziopathischen serienmördern für autistische betroffene keinesfalls angenehm sind, kann ich gut nachvollziehen. jedoch ist es imo einfach eine tatsache, dass nicht nur von dieser psychophysischen störung aus die genannten verbindungen zu teils extrem antisozialen verhaltensweisen existieren - borderline und narzißtische persönlichkeitsstörungen wären ein anderes beispiel.

das es leute geben könnte, die aus diesen verbindungen kurzschlüsse v.a. im handeln herstellen könnten, ist dabei ebenso unbestreitbar. aber das kann kein grund dafür sein, über diese verbindungen keinerlei worte mehr zu verlieren.

eine bisher im blog immer wieder nur angerissene these besteht in der aussage, dass wir alle sozusagen ein gesundes autistisches potenzial in gestalt unseres objektivistischen werkzeugs in uns tragen, welches aber unter bestimmten bedingungen krankheitswertig "entgleisen" kann und im monopolmodus bspw. für ein auch als solches erkennbares autistisches störungsbild sorgt. von letzterem bild bis hin zu einem gesunden gleichgewicht sind dabei vermutlich viele "mischungen" denkbar, in denen betroffene zb. in entscheidenden wahrnehmungsfähigkeiten funktionell in einen quasiautistischen status rutschen können. letztere these wird aus meiner sicht von einer relativ neuen studie untermauert, bei der es um gestörte empathische fähigkeiten und spiegelneurone bei "normalen" menschen geht:

(...)"Die Wissenschaftler konnten nun erstmals nachweisen, dass auch die Aktivität der Spiegelneuronen und somit das Empathie-Niveau von gesunden Menschen Unterschiede zeigen können. Die Studienergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht."(...)

"Spiegelneuronen werden beim Verrichten von Handlungen aktiviert, aber auch, wenn man Aktivitäten von anderen Personen beobachtet", erklärt Keysers gegenüber pressetext. In ihrer aktuellen Studie konnten die Forscher zudem erstmals nachweisen, dass es auch "auditive Spiegelneuronen" gibt, die beim Hören eines bestimmten Geräusches aktiviert werden. Ein gutes Beispiel, an dem sich dies zeigen lasse, sei die Getränke-Werbung, wobei man nur das Öffnen einer Dose, das Zischen des Getränkes und ein zufriedenes 'Aaaah' hört. "Man hört nicht nur die Aktion, sondern man fühlt es in sich - das eigene Gehirn fängt an, genau so zu funktionieren wie das Gehirn derjenigen, denen man zuhört", so Keysers.

Die neuen Erkenntnisse seien das Ergebnis einer langen Reihe von Experimenten. So zeigte sich bei Experimenten mit Affen, dass viele Neurone sowohl beim Knacken von Erdnüssen sowie bei der rein akustischen Wahrnehmung dieses spezifischen Knirschens aktiviert wurden. Im neuesten Experiment wurde untersucht, ob dieses Phänomen auch auf Menschen zutrifft. "Wir haben sowohl für Mundaktionen, wie etwa Knirschen, als auch für Handaktionen, beispielsweise das Zerreißen von Papier, erforscht, ob die Aktivitäten im Gehirn sich überlappen, wenn man die Handlungen selber verrichtet oder wenn man nur zuhört", so Keysers. Das haben die Forscher untersucht, indem sie die Gehirnaktivität von 16 Probanden beim Abspielen von verschiedenen Geräuschen in einem Scanner observierten. Es gab tatsächlich eine Überlappung und zwar in der bilateralen temporalen Gyrus sowie in der oberen temporalen Sulcus.

Bei den Experimenten stellte sich weiterhin heraus, dass Menschen mit einem großen Einfühlungsvermögen auch eine höhere Spiegelneuronenaktivität vorweisen."(...)


diese ergebnisse halte ich für sehr bemerkenswert, lassen sie doch verschiedene schlüsse bzw. fragen zu: erstens - wie oben schon erwähnt - können offensichtlich auch nicht als autistisch bezeichnete menschen autistische funktionseinschränkungen aufweisen; zweitens stellt sich die frage, wodurch diese beeinträchtigungen des spiegelsystems jeweils zustandekommen (das wäre einmal eine frage speziell an die psychotraumatologie, weil sich der verdacht äußern lässt, dass gewaltverhältnisse verschiedenster art mitverantwortlich sein können); drittens aber: sind diese defizite reversibel? und wenn ja, auf welche art und weise? viertens: wäre das funktionieren des spiegelsystems nicht vielleicht zukünftig als vorbedingung dafür zu setzen, dass jemand in gesellschaftliche autoritätspositionen gelangen kann? (zumindest solange, wie eine mehrheit unter uns offensichtlich nicht von hierarchischen systemen lassen kann).

ist empathie also für grundsätzlich - in relation zu den herrschenden sozialen bedingungen gesetzt - gesunde menschen am ende sowohl ver- als auch erlernbar? letzteres könnte erfreuliche perspektiven hinsichtlich nötiger gesellschaftlicher veränderungen eröffnen.

*

etwas konkreter möchte ich die obigen gedanken anhand eines textes machen, der sich vor einiger zeit in der "taz" mit dem thema armut in d-land beschäftigt hat. ein ziemlich lesenswerter text, der bei einer passage mein besonderes interesse geweckt hat:

(...)"Der eklatante Mangel an sozialer Empathie ist übrigens nicht neu, und er hat einen Grund. "Wir sind arm an Wissen über Armut", sagt Heiner Geißler. Diesen Befund erstellte der CDU-Politiker bereits 1976; damals war er Sozialminister in Rheinland-Pfalz.

Unsere Gesellschaft ist, was Armut betrifft, autistisch. Sie interessiert sich, wie viele Autisten, nur für Systeme. Sie diskutiert die "Agenda 2010", sie predigt den "Umbau des Sozialstaates", sie wägt den Vorteil von "Teilhabegerechtigkeit" gegenüber der "Verteilungsgerechtigkeit" ab, sie kennt tausende Statistiken über die deprimierende Lage auf dem Arbeitsmarkt. Sie spuckt Zahlen, Diagramme und Schaltpläne aus. Sie kann alles abstrahieren. Aber den Kontakt zu denen, die das betrifft, die damit klarkommen müssen, die darunter leiden, diesen Kontakt hat die Gesellschaft verloren. Sie ist unfähig, sich in die Lage armer Menschen hineinzuversetzen oder gar sie zu verstehen. Sie schildert stets eine völlig andere Welt, obwohl doch beide, die Mehrheitsgesellschaft und ihre Armen, in derselben Welt leben."(...)


mal abgesehen davon, dass das ein weiteres beispiel für die metaphorische nutzung des autismusbegriffs darstellt, wird in der obigen passage doch schon sichtbar, dass sich hier tatsächlich deutliche bezüge zu den gerade behandelten themen finden lassen. bezüge, die sich hier einmal primär auf kollektive wahrnehmungs(un-)fähigkeiten beziehen.

als "mangel an sozialer empathie" lässt sich der allgemeine umgang mit armut und v.a. mit armen schon bezeichnen; der angegebene grund "zuwenig wissen" hingegen überzeugt mich nicht. empathie ist eben keine primär kognitive angelegenheit - was sich beim thema armut u.a. daran sehen lässt, dass auch die vernünftigsten und logischten (kognitiven) vorschläge, die die katastrophalen gesellschaftlichen folgen weit verbreiteter armut berücksichtigen (was auch eine frage des wissens ist), ständig weitgehend ignoriert werden. armut wird zwar beobachtet, aber sie berührt eben viele nicht - und das kann tatsächlich viel mit empathiedefiziten zu tun haben; im konsequenten weiterdenken dann eben auch mit gestörten spiegelneuronen. ich finde das ein nachdrückliches beispiel dafür, was ich in diesem blog immer wieder versuche zu thematisieren: wie das, was so allgemein unter "politik" bzw. gesellschaftlichen bedingungen verstanden wird, eigentlich nicht verständlich ist ohne das wissen um die menschliche psychophysische struktur, ihre möglichen defekte und das entsprechende funktionieren - individuell, und bei weit verbreiteten individuellen eigenschaften dann eben auch kollektiv.

im weiteren zitat werden dazu viele typische produktionen des abstrahierenden objektivistischen modus benannt. und die monopolposition, die diese(r) statt der empathischen wahrnehmung einnehmen, lässt sich durchaus berechtigt als autistische struktur betrachten. ich frage mich wirklich, ob die autorInnen hier intuitiv etwas von den möglichen inneren dynamiken dieser gesellschaft ausgedrückt haben.
Krisenwiese (Gast) - 17. Mai, 03:27

Danke

Als Mutter eines 20-jährigen Asperger-Autisten danke ich Ihnen für diesen Text, der mir sehr viel von meiner Angst bezüglich der von Kinder- und Jugendlichen-Psychiatern vorausgesagten sozialen Entwicklung meines Sohnes genommen hat.
Dort hiess es nämlich eben auch, dass "aufgrund mangelnder Empathiefähigkeit eine eventuell spätere gewaltdelinquente Entwicklung unter strenger Beobachtung gehalten werden muss" - da war er 7 Jahre alt und er ist bis heute liebenswert und umgänglich, war in der Vergangenheit sehr oft Opfer, niemals Täter.....

Liebe Grüße

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