notiz: vom krieg und seinen folgen

als ergänzende information zu diesem beitrag lässt sich der folgende artikel lesen:

(...)"Bei annähernd einem Drittel der US-Soldaten, die nach ihrer Rückkehr aus dem Irak oder Afghanistan zwischen 2001 und 2005 die Hilfe des amerikanischen Ministeriums für Kriegsveteranen in Anspruch nahmen, wurden psychologische oder psycho-soziale Krankheiten diagnostiziert.(...) Die Forscher hatten die Daten von mehr als 100.000 Kriegsheimkehrern ausgewertet. 32.010 von ihnen (31 Prozent) litten demnach unter Geisteskrankheiten oder psycho-sozialen Problemen, beim größten Teil war die psychische Gesundheit nachhaltig gestört. Mehr als die Hälfte der Erkrankten litt sogar unter zwei oder mehr Störungen. Am weitesten verbreitet seien posttraumatische Stresssyndrome, heißt es in dem Bericht.(...)

Wenig überrascht zeigte sich dann auch der frühere Senator Max Cleland, selbst ein Veteran, der im Vietnam-Krieg schwer verletzt wurde und lange unter Depressionen litt. "Das ist der Preis des Krieges", sagte der Demokrat aus Georgia. "Man kann nicht junge Amerikaner in den Irak und nach Afghanistan schicken ... und erwarten, dass sie nach Hause kommen und einfach so weiterleben, als wäre nichts geschehen. Sie kommen traumatisiert nach Hause." Und weiter: "Wenn man sich nicht sofort mit den emotionalen Folgen des Krieges beschäftigt, kann es auf dem schnellsten Wege in die Hölle gehen."(...)


das eine sind die sichtbaren und inzwischen auch "offiziell" anerkannten psychophysischen - und eben nicht "rein psychologischen" (die gibt es nicht) - folgen von kriegen generell. das andere sind einige fragen in diesem zusammenhang:

was ist mit den in der genannten studie nicht erfassten bzw. nicht medizinisch "auffällig" gewordenen soldaten? mir geht es immer mehr so, dass ich (post)traumatische reaktionen auf solche absoluten gewaltereignisse wie kriege eigentlich eine sehr normale reaktion finde. und ich frage mich, ob die derart betroffenen nicht eher eine - hm, in realtion gesehen gesunde reaktion zeigen als diejenigen, die das gemetzel anscheinend reaktionslos erlebt haben. und weiter als "dienst- und kriegsfähig" gelten.

was ist übrigens mit der bevölkerung der kriegsversehrten länder, die im gegensatz zu der - wenn auch äußerst mangelhaften und primär an militärischen interessen orientierten - medizinischen versorgung der us-veteranen größtenteils mit den eigenen kriegsbedingten traumata alleine gelassen wird (was für die spätere "friedenszeit" eine enorme belastung darstellen wird - auch das eine geschichtliche lektion, die wir bis heute mehrheitlich nicht sehen wollen)?

und wieso werden nicht aus der erkenntnis, die der zitierte senator formuliert hat, öffentliche konsequenzen gezogen? z.b. diejenige, dass kriege generell totalitär destruktive und auch suizidale projekte darstellen, die auf eine tiefgreifende pathologie kriegführender gesellschaften hinweisen, und zwar relativ unabhängig von der jeweiligen herrschaftsform oder ideologie? und die die weitaus meisten involvierten menschen nicht nur tödlich bedrohen, sondern auch logischerweise das individuelle und kollektive menschliche leben bis an und zum zusammenbruch bringt? das es historische situationen zu geben scheint, in denen kriegsmäßige gewalt - wie etwa im zweiten weltkrieg - zur verhinderung noch größerer destruktivität und auch zum eigenen selbstschutz unvermeidbar erscheint, stellt dabei keine relativierung des obigen dar, weil es dabei schon immer nur um versuchte notdürftige korrekturen von gesellschaftlichen zuständen geht und ging, die schon lange vorher eine bösartige entwicklung genommen hatten.

die normalität, mit der unsere spezies sich seit jahrhunderten mit dem gegenseitigen niedermetzeln abfindet, ist das problem - eine "normalität", die genauso krank ist wie unsere alltägliche praxis der selbst- und fremdverdinglichung - wobei die letztgenannten zustände in kriegen ihren krassesten ausdruck finden.

*

im eingangs erwähnten blogbeitrag bin ich etwas ausführlicher auf die täter-opfer-dialektik bei traumatisierten soldaten eingegangen - und diese wird auch im folgenden wiedermal recht deutlich:

(...)"Zwei Dutzend britische Irak-Veteranen haben sich seit Beginn der Invasion im März 2003 das Leben genommen, mehr als tausend Heimkehrer leben auf der Straße, die Zahl der Soldaten mit posttraumatischen Störungen steigt rapide an.(...)

Die Organisation "Combat Stress" wird nach eigenen Angaben derzeit von Hilfe suchenden Veteranen überlaufen, die von den britischen Gesundheitsbehörden abgewiesen worden seien. Die Zahl der Traumapatienten habe sich in den vergangenen sechs Monaten verdoppelt, nachdem das überlastete britische Militär dazu übergangenen sei, Truppen ohne ausreichende Regenerationszeit wieder in die Kampfgebiete zu schicken.

Wohlfahrtsverbände, Militärexperten und Politiker schlagen Alarm. Sie werfen Premierminister Tony Blair vor, seine Pflicht zur Versorgung der Kriegsheimkehrer aus dem Irak und Afghanistan zu verletzen. Politiker und führende Köpfe aus Gesellschaft und Kultur haben nun einen offenen Brief an den Regierungschef verfasst, der heute im "Independent on Sunday" veröffentlicht wurde. Unter den Unterzeichnern sind der Dramatiker Harold Pinter, die Trägerin des alternativen Nobelpreises, Bianca Jagger, Sir Menzies Campbell, Chef der Liberal Democrats, und die Parlamentarier Peter Kilfoyle und Ben Wallace.

Sie rufen Blair dazu auf, den jungen Männern, die im Namen ihrer Heimat ihr Leben auf dem Schlachtfeld riskieren, auch nach ihrer Rückkehr die gerechte und faire Behandlung zu geben, die sie verdienen. Britische Soldaten würden derzeit nur unzureichend gegen posttraumatischen Stress behandelt. "Viele sind krank, arbeitslos, obdachlos oder sogar selbstmordgefährdet. Wir glauben, dass der militärische Vertrag gebrochen wurde, dass Sie die jungen Männer und Frauen, die ihren Befehl ausführen, vernachlässigt haben", heißt es in dem Schreiben."(...)


den "jungen frauen und männern", die von ihren "vertragspartnern" hintergangen worden sind (wie üblich, und wie in allen kriegen zuvor) wäre zu wünschen, dass sie daraus ihre konsequenzen ziehen - mit blick auf das eigene leben, aber auch auf das ihrer tatsächlichen und potenziellen opfer in den kriegszonen. dazu müsste dann auch gehören, ihren "vertragspartnern" endlich und langfristig den tödlichen gehorsam aufzukündigen. (das schreibe ich übrigens auch vor dem hintergrund meiner persönlichen biographie - einmal habe ich dabei die entsprechenden passagen dieses beitrages im kopf, zum anderen aber habe ich vor fast genau zwanzig jahren selbst den kriegs"dienst" totalverweigert, also auch die sog. "zivile" variante nach kurzer zeit und reiflicher überlegung nicht mehr weiter akzeptiert. meine begründung würde heute sicherlich inhaltlich anders ausfallen als damals in zeiten der sog. ost-west-konfrontation, aber die abneigung gegen staatliche zumutungen in form von zwangsdiensten zu militärischen zwecken hat sich über die jahrzehnte eher noch gesteigert. und den gehorsam gegenüber anmaßenden und soziopathischen "eliten" nicht nur in diesem bereich aufzukündigen, stellt eine der dringendsten notwendigkeiten dieser zeit dar.)

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