notiz: widersprüche, rechtfertigungen, behauptungen - kleine auswahl zum luftangriff vom 4. september

so schnell kann ein thema ganz direkt treffende und traurige aktualität bekommen. ich halte die ganze geschichte nach den bisherigen informationen für sehr schwerwiegend und in ihren mittel- bis langfristigen konsequenzen für dieses land hier für unüberschaubar. weil sie nämlich meiner meinung nach einen zipfel der realitäten zeigt, mit denen wir es hier in den nächsten jahren und jahrzehnten zu tun bekommen werden. genaueres dazu aber in einem folgenden beitrag, jetzt soll´s erst mal darum gehen, mittels der schlagzeilen von heute und gestern einen eindruck zu bekommen. es ist einiges erstaunliche zu lesen, und ich will versuchen, mich weitgehend kommentarlos zu halten.

*


"Natürlich ist die Bundeswehr im Krieg" - gesammelte pressekommentare aus der brd von heute.

"Kein Krieg, sondern Stabilisierungseinsatz" - "«Das ist die völlig falsche Wortwahl, da Krieg Zerstörung bedeutet», sagte Jung. Die Bundeswehr befinde sich in Afghanistan in einem Stabilisierungseinsatz, das habe mit Krieg nichts zu tun."

realitätswahrnehmungen 1 - "Die Bundeswehr sprach von mehr als 50 getöteten Aufständischen, während afghanischen Stellen weit mehr Opfer zählten, darunter auch Zivilisten. Gouverneur Omar gab 72 Tote an, etwa 30 von ihnen seien als Extremisten identifiziert. Präsident Hamid Karsai sagte, es seien "rund 90 Menschen getötet oder verletzt" worden.

Die Bundeswehr verteidigte sich anschließend, sie habe die Örtlichkeit mit einer unbemannten Drohne ausgekundschaftet und dabei 67 Aufständische um die Tanklaster gesichtet. (...) Taliban und afghanische Polizei schilderten übereinstimmend, die Tanklastzüge seien bei der Kaperung in einem Flussbett steckengeblieben. Daraufhin hatten die Extremisten den Treibstoff abgelassen, um die Vehikel wieder flott zu bekommen. Afghanen aus dem nahem Dorf hätten sich an den Lastzügen eingestellt, um den begehrten Sprit aufzufangen. Dann schlug der Kampfjet zu."


realitätswahrnehmungen 2 - "Jung zufolge wurden ausschließlich 57 Aufständische getötet. Der US-General Stanley McChrystal, der den Ort des Angriffs besuchte hatte, betonte indes, unter den Verletzten seien auch Zivilisten. Der Oberkommandierende der US- und Nato-Truppen in Afghanistan sprach am Samstag bei Pressekonferenz in Kunduz von einem "ernsten Vorfall", der zeigen werde, ob die Nato zu Transparenz bereit."

realitätswahrnehmungen 3 - "Mit einer Drohne ortete die Bundeswehr ihren Standort. Sie waren in einem Flussbett steckengeblieben, allerdings nicht in Fahrtrichtung zum deutschen Camp. Deutsche Spähtrupps mit Panzerwagen des Typs "Fennek" meldeten, dass 67 Bewaffnete an den Tankwagen seien. Oberst Georg Klein, der Kommandeur des Lagers, habe sich nochmals beim zuständigen Zugführer vergewissert, dass keine Zivilisten in der Nähe seien und erst dann Luftunterstützung angefordert. F-15-Jagdbomber der US-Luftwaffe zerstörten die Tanker mit 250-Kilo-Bomben vom Typ GBU-38. Durch die Explosion starben nach Angaben der Bundeswehr 56 Gegner, 11 seien geflohen."

realitätswahrnehmungen 4 - "Laut FAZ vom 5.09., S. 2, berichtete ein Dorfältester des Ortes Omarkhel, nachts hätten Taliban heftig an ihre Türen geklopft und sie gezwungen, zwei in einer Furt zum angrenzenden Distrikt Char Darah, der weitgehend von Aufständischen kontrolliert wird, von ihnen gekaperte und dort steckengebliebene Tanklaster freizuschaufeln. Das sei trotz Schaufelns und Schiebens mißlungen. Anschließend hätten sie das Benzin abzapfen sollen.

"Die Nachricht von dem Gratistreibstoff habe sich im Dorf und auch im benachbarten Isarkhel verbreitet. Männer und Kinder seien mit Kanistern herbeigeeilt." Die Taliban seinen dann in einen Schußwechsel verwickelt worden und geflohen noch bevor die Tankwagen aus der Luft bombardiert wurden.

Ein anderer Bewohner aus Isarkhel berichtete, die Taliban hätten vorgehabt, die Fahrzeuge in Brand zu stecken und die Anwohner vorher aufgefordert, das Benzin anzuzapfen."


reaktionen 1 - "In der Europäischen Union wird scharfe Kritik an dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff in Afghanistan laut. Der französische Außenminister Bernard Kouchner nannte den Angriff mit mindestens 50 Toten am Samstag beim informellen EU-Außenministertreffen in der schwedischen Hauptstadt Stockholm einen "großen Fehler".

Der Westen könne die Lage nur normalisieren, wenn er mit der afghanischen Bevölkerung zusammenarbeite "und sie nicht bombardiert, nicht nur bombardiert". Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sprach von einer nicht hinnehmbaren Katastrophe. "Es ist schwer zu verstehen und zu akzeptieren, warum so schnell Bomben geworfen wurden", sagte er.

Asselborn ergänzte: "Es muss doch auch in der Nato Regeln geben. Und darum bin ich natürlich dafür, dass die Sache genau untersucht wird." Sein Fazit: Diese Aktion hätte nicht stattfinden dürfen."


reaktionen 2 - "Die Staatsanwaltschaft Potsdam wird gegen den verantwortlichen Bundeswehroffizier möglicherweise ein Ermittlungsverfahren einleiten. "Wir prüfen einen Anfangsverdacht wegen eines eventuellen Tötungsdelikts", sagte Behördenchef Heinrich Junker der "Bild am Sonntag". Der Ausgang sei offen. In Potsdam ist der Sitz des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, dem die Auslandseinsätze der Truppe unterstehen.

Im Zentralkrankenhaus von Kundus besuchten amerikanische und deutsche Offiziere zivile Opfer des Angriffs und deren Angehörige. "Wir bedauern den Tod von Menschen und drücken allen Ihren Dorfbewohnern unser Beileid aus", sagte US-Konteradmiral Greg Smith."


reaktionen 3 - "Auch die Vereinten Nationen werden den Vorfall überprüfen. Sie schauten sich den Ort des Angriffs an und trafen Überlebende in einem Krankenhaus in Kundus. Zwei verwundete Dorfbewohner berichteten den Rechercheuren, dass sie nicht direkt bei den Tanklastern standen, sondern aus einiger Entfernung alles beobachteten, als die Bomben fielen. Beide wurden durch Splitter verwundet.

Die Nato wisse noch nicht, wie viele Zivilisten bei der Explosion vor Ort gewesen seien, sagte ein Nato-Sprecher. "Unglücklicherweise können wir nicht in alle Dörfer der Umgebung gehen." Die Organisation zweifelt aber nicht daran, dass Zivilisten starben. Fraglich bleibt, ob die Angaben afghanischer Quellen, die von bis zu 100 toten Zivilisten sprechen, übertrieben sind. Eine genaue Opferzahl wird es wohl nie geben, da viele der Tote durch die Wucht der Detonation und den brennenden Treibstoff völlig entstellt wurden. Viele Toten sollen bereits in einem Massengrab bestattet worden sein. Ein Mitarbeiter der Deutschen Presse-Agentur dpa, der am Samstag zwei der Dörfer in Char Darah besuchte, hatte dort 60 frische Gräber gezählt."


***

kurz zusammengefasst also ergibt sich aus all dem das folgende: selbst die kriegsobligatorische propaganda von taliban einerseits und isaf/bundeswehr andererseits berücksichtigt, so sind die behauptungen des deutschen verteidigungsministeriums mit jung an der spitze, dass "es keinerlei zivile opfer gegeben habe", eine in der form selten dreiste und unverschämte lüge. dagegen stehen nicht nur so ziemlich alle bekannten quellen aus afghanistan selbst, sondern auch die nato/isaf selbst u.a. in form eines us-generals. die hektischen bemühungen um schadensbegrenzung seitens der isaf in afghanistan unterstreichen dieses fazit nur.

weitere schlußfolgerungen, die sich aus all dem zwangsläufig eigentlich ergeben müssen, möchte ich an dieser stelle nicht ausführen. es ist jetzt nur noch interessant zu beobachten, wie lange die bundeswehr unter dem druck der kritik selbst der "alliierten" bei ihrer lüge bleibt - und wie sich dann alle herauszureden versuchen werden (die behauptung eines mit den tank-lkws geplanten selbstmordattentates weist bereits eine erste richtung in der hinsicht).
monoma - 6. Sep, 14:32

mittlerweile 125 tote...

...davon mindestens zwei dutzend zivilisten, so die ersten ergebnisse der nato. währenddessen bleibt jung bei seinen ursprünglichen behauptungen, und das verteidigungsministerium führt die isaf als zeugen gegen die nato an... wahrlich ein wirre welt ist´s geworden. die inzwischen nicht mehr abzuleugnende internationale prügel (auch wenn die protagonisten selbst viel und reichlich dreck am stecken haben) für diese in deutscher verantwortung gelaufene bomberei scheint jung mit der methode des aussitzens in der wagenburg beantworten zu wollen.

monoma - 7. Sep, 22:42

rawa.org

ein ganz wichtiger link noch, den man vor allem all denjenigen um die ohren hauen muss, die ständig von der wichtigkeit des nato-einsatzes "für die frauen dort" fabulieren (die den gleichen leuten dann bspw. in saudi-arabien völlig egal sind).

Revolutionary Association of the Women of Afghanistan

dort wird auch eine aktuelle chronik der laufenden ereignisse im land geführt (auf der startseite etwas herunterscrollen), die sich gut mit der hiesigen berichterstattung abgleichen lässt.

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