basis: was macht einen *echten* psychopathen vermutlich aus?

trotz der in der einführung zum thema angesprochenen schwer belasteten historie des begriffs psychopath - die heute darunter verstandene realität existiert imo unbezweifelbar für sich - und deshalb jetzt zur frage der überschrift.

*

viele leserInnen hier werden wahrscheinlich ihr bild des psychopathen zu einem großen teil durch produktionen der popkultur - wie zb. die fiktive figur des hannibal lecter aus dem film "das schweigen der lämmer" - bezogen haben: ein überdurchschnittlich intelligenter, emotional kalter, rücksichtsloser und berechnender mensch. lecter ist dabei durchaus als eine zwar überzeichnete, jedoch annäherend realitätsnahe psychopathische figur entworfen worden - so sind sowohl das fiktive trauma in seiner biographie als auch die hier beschriebene eigenschaft

"Bei der Durchführung des EKGs greift er dort eine Krankenschwester an und isst deren Zunge, ohne dass seine Herzfrequenz jemals über 85 Schläge pro Minute (Ruhepuls) steigt."

durchaus in realen psychopathischen biographien wiederzufinden, gerade die letztere besonderheit - das erwähnte trauma jedoch kann, muss aber nicht vorhanden sein.

ein mörderischer "super-verbrecher" wie lecter jedoch ist - zum glück - in der realität weiter eher eine ausnahme, wobei sich viele serienmörder durchaus als psychopathen begreifen lassen. ein beispiel für das weiter verbreitete nichtmörderische wirken von psychopathen ließ sich vor einigen monaten in etlichen medien finden:

"Falscher Fürst foppt den Bundestag

Als falscher Fürst hinterging er die Düsseldorfer High Society, als vermeintlicher Praktikant ging er im Bundestag ein und aus: Ein 21-jähriger Betrüger soll sich monatelang ungehindert Zutritt zu diversen Abgeordnetenbüros erschlichen haben.
(...)
Zunächst habe der vorbestrafte Betrüger Anfang des Jahres ein Praktikum beim heutigen Wehrbeauftragten des Bundestags, Reinhold Robbe, begonnen, hieß es in dem Bericht. Als der Polizeidienst des Bundestages auf die früheren Verurteilungen des Mannes hingewiesen hatte, sei er allerdings nach wenigen Tagen entlassen worden. Dem Blatt zufolge erlangte der 21-Jährige wegen seines sicheren Auftretens auch danach noch Zugang zu den Abgeordnetenbüros.

Mehrfach habe der Hochstapler darauf verwiesen, ein Neffe von Rudolf Seiters zu sein. Als vorgeblicher Praktikant von Wolfgang Thierse habe er auf zahlreichen Abendveranstaltungen Kontakte zu Verbänden und Botschaften geknüpft.
(...)
In Düsseldorf hatte sich der Betrüger als "Jörg Alexander Fürst zu Sayn-Wittgenstein zu Berleburg" das Vertrauen der High Society erschwindelt. Er war laut Polizei an seinem 21. Geburtstag festgenommen worden, als er unbezahlte Lieferungen von einer Postfiliale abholen wollte. In seiner Wohnung fanden die Ermittler unbezahlte Waren im Wert von 15.000 Euro, darunter Luxuskleidung und Plasmabildschirme. Den Düsseldorfer Ermittlern zufolge war der Mann zuvor auch als falscher Arzt und falscher Polizeibeamter in Berlin aufgefallen."


hier spricht vieles dafür, einen psychopathischen hintergrund anzunehmen: das "sichere auftreten" in unzähligen fakes bzw. "als-ob"-simulationen ist ein wesentliches indiz dafür. gleichzeitig aber macht das zielsichere bewegen des mannes in lauter kreisen, die als "gesellschaftliche eliten" angesehen werden, auch etwas anderes deutlich: nämlich erstens die anfälligkeit innerhalb dieser kreise für simulationen und fakes, was zweitens auch ein hinweis darauf sein dürfte, dass es mit authentischen menschlichen beziehungen dort nicht mehr so weit her sein dürfte bzw. beziehungssimulationen weit verbreitet sind - was das agieren von psychopathen enorm erleichtert bzw. sie am wirkungsvollsten vor der "enttarnung" schützt. der bereich der (überzeugenden) hochstapler, trickdiebe und betrüger jedenfalls darf als ein bevorzugter tummelplatz von menschen mit einer störung dieses kalibers angesehen werden.

*

das lässt sich aus der oben dem fiktiven lecter zugeschriebenen psychophysischen besonderheit folgen, die als eines der wesentlichen merkmale echter psychopathen gelten kann - auszüge aus einem empfehlenswerten radiomanuskript :

"Psychopathen neigen überhaupt nicht zu starken Empfindungen, vor allem verspüren sie nur sehr wenig Angst."

das ist ein ganz entscheidender punkt, der den betroffenen zumindest in vielen gesellschaftlich-sozialen situationen zu einem gewaltigen vorteil verhelfen dürfte - wer nur wenig bis gar keine ängste verspürt, kann logischerweise sehr überzeugend simulieren/schauspielern, gerade in echten situationen, die nicht auf einer bühne stattfinden - um überzeugend zu tricksen und zu faken, ist angstfreiheit eine wesentliche vorbedingung. diese besondere art angstfreiheit bei psychopathischen persönlichkeiten ist nicht nur objektivierbar bzw. messbar, zb. innerhalb von besonderen experimentiellen situationen:

"Bei jedem fünften gewalttätigen Mann verlangsamte sich der Herzschlag hingegen. Die Forscher erinnerte dieser Typ Mann an eine Giftschlange, die ruhig und konzentriert wirkt, bevor sie blitzschnell zubeißt. Deshalb nannten sie ihn Kobra - im Unterschied zum aggressiv aufgeputschten Typ „Pitbull“. Kobras regen sich nicht auf, sie setzen Gewalt gezielt ein, um die Frau unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht alle Kobras sind Psychopathen, aber etliche sehr wohl."

sondern lässt sich auch direkt als folge neurophysiologischer veränderungen ansehen:

"In den letzten Jahren haben Forscher nicht mehr nur Puls und Hautleitfähigkeit gemessen, sondern sich auch das Gehirn von Psychopathen angeschaut. Sie sind auf zahlreiche Auffälligkeiten gestoßen. Psychiater Müller-Isberner nennt eine:

O-Ton 6 - Rüdiger Müller-Isberner:
Wenn man sich, und das ist heute maschinell möglich, wenn man sich sozusagen Aktivitäten des lebenden Gehirnes anguckt, sieht man, dass es im Bereich des Vorderhirnes, also oberhalb unserer Augen im Frontalhirn ein Funktionsdefizit gibt. Das Frontalhirn ist von der Evolution her, von der Entwicklung der jüngste Teil unseres Gehirns. Unsere Funktionen im Frontalhirn, das sind auch die, die uns von den anderen Lebewesen, den anderen Tieren unterscheiden.

Sprecherin:
Psychopathen verfügen im Frontalhirn über elf Prozent weniger so genannte graue Masse, das ist ein Teil des Nervengewebes. Dies hat Adrian Raine mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie nachgewiesen, einem Verfahren, das Bilder des Gehirns erzeugen kann.

Das Frontalhirn sorgt dafür, dass wir im richtigen Moment handeln, aber auch dafür, dass wir manche Handlungsimpulse nicht ausführen. Was passieren kann, wenn es beschädigt wird, zeigen Fallstudien der Universität von Iowa. Eine Patientin war als Kleinkind von einem Auto überfahren worden. Sie schien sich innerhalb weniger Tage zu erholen. Doch bald erwies sie sich als praktisch unerziehbar. Sie reagierte weder auf mahnende Worte noch auf körperliche Strafen. Sie bestahl ihre Familie und andere Kinder. Sie log viel, hatte keine Freunde, lief von zuhause weg. Mit 18 bekam sie ungeplant ein Kind, das sie gefährlich vernachlässigte. Überhaupt schien sie unfähig zur Empathie zu sein. Kurz, sie zeigte viele psychopathische Züge. Ein Gehirnbild der inzwischen 20-jährigen verriet die Ursache der Störung: Ihr Frontalhirn war geschädigt."


neben der angstfreiheit taucht hier jetzt offen ausgesprochen ein zweites wesentliches merkmal auf: die unfähigkeit zur empathie, die unmittelbar mit der angstfreiheit zusammenhängt - denn wenn sich jemand erstens selbst keinen begriff von angst generell machen kann (bzw. sie nicht wahrnehmen kann, was auf das gleiche hinausläuft), dann kann diese person zwangsläufig auch nicht nachfühlen, wenn sie bei anderen ängste auslöst. spekulativ lässt sich annehmen, dass gerade die teile des gehirns geschädigt sind, in denen sich zumindest z.t. die erst seit kurzem bekannten spiegelneurone befinden, die nach weiteren forschungsergebnissen auch bei der möglichen autismus-genese eine rolle spielen. das in der einführung erwähnte begriffswirrwarr von der psychopathie über das autistische spektrum hin zu den persönlichkeitsstörungen und sogar in den bereich der psychotraumata könnte zu einem teil daraus entstehen, dass das spektrum der überlappungen von möglichen symptomen tatsächlich einen hinweis auf strukturelle innere verwandtschaften bei den betreffenden störungen darstellt - was keinesfalls heisst, dass die jeweils individuellen daraus folgenden lebens- und verhaltensweisen bei den betroffenen nicht extrem unterschiedlich sein können. aber diesem eindruck kann ich mich nach einer langen beschäftigung mit dem thema einfach nicht entziehen. ebensowenig dem gefühl, dass bei den weitaus meisten dieser störungsbilder bösartige soziale prozesse - gewalttätige prozesse - entscheidend an der entstehung beteiligt sind.

fortsetzung folgt.
monoma - 11. Sep, 15:13

zum "falschen fürst"...

...gibt es jetzt hier weitere informationen, u.a. zum prozeß und der gutachterlichen diagnose.

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