basis

Samstag, 12. November 2011

basis: traumageschichte(n) 7 - von triggern, dissoziationen und sekundären traumata

ein weiterer beitrag in dieser reihe, die sich zwar anders als vor jahren geplant entwickelt, aber nichtsdestotrotz mit der zeit alle relevanten thematischen aspekte zur sprache bringen sollte, auch um den preis von redundanz. und in diesem besonderen fall kann ich - leider - einmal mehr aus ureigensten erfahrungen schöpfen.

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ende letzter woche machte ein video aus den usa
schlagzeilen; und das wort "schlagzeilen" trifft es hier auf den punkt:

(...) "Eine 23-jährige Frau veröffentlichte im Internet ein aufsehenerregendes Video aus ihrer Kindheit, in dem sie von ihrem Vater minutenlang mit einem Gürtel misshandelt wird. (...)

Die 23-Jährige erzählte dem TV-Sender NBC, regelmäßig von ihrem Vater verprügelt worden zu sein. In der Sendung "Today" schilderte die junge Frau, wie sie mit sechzehn Jahren eine Kamera auf einer Kommode versteckt hatte und die Schläge ihres Vaters damit später aufgezeichnet wurden. Das Video zeigt, wie der Richter seine schreiende Tochter schlägt, weil sie illegal Musik aus dem Internet geladen hatte. Auch die Mutter ist zu sehen, wie sie die Tochter einmal schlägt und sie anschreit, die Schläge "wie eine erwachsene Frau zu ertragen". (...)


das originalvideo wurde auf yt schon vor ein paar tagen gesperrt, nachdem es ca. zweimillionen mal aufgerufen wurde. eine vielzahl anderer yt-accounts hat das jedoch übernommen, und wer sich das unbedingt ansehen will (es gibt durchaus gründe dafür), kann es mit ein wenig recherche auch finden. aber VORSICHT! warum, dazu gleich mehr.

es gäbe zu diesem video eine ganze menge zu sagen; in diesem rahmen möchte ich jedoch nur darauf hinweisen, dass es primär in den usa selbst für eine menge öffentlicher debatten gesorgt hat, und das finde ich gerade in diesen zeiten, in denen parallel durch das occupy-movement erstmals seit jahrzehnten eine öffentliche diskussion über die soziökonomische lage großer teile der us-bevölkerung in gang gekommen ist, bemerkenswert. ist doch diese genannte lage selbst über viele ecken mit der allgemeinen gewaltgeschichte der usa verknüpft, welche sich passend zum äußeren imperialismus bspw. im inneren auch dadurch ausdrückt, dass...

"...Anders als in den meisten europäischen Ländern die Prügelstrafe in Haushalten in allen 50 US-Bundesstaaten erlaubt (ist)."

der inhalt des videos ist übrigens unbestritten authentisch; das haben sowohl der prügelnde vater - ausgerechnet ein familienrichter, der in dieser funktion auch in vielen fällen von gewalt gegen kinder geurteilt hat -, als auch die mutter, die sich inzwischen von diesem mann losgesagt hat, bestätigt. ehemals den schein nach aussen als "fromme, anständige christliche familie" in texas wahrend, ist dieses bild für diese leute mit der veröffentlichung seitens der tochter nun endgültig zusammengebrochen, und es macht nicht zuletzt auch einiges über die psychophysischen quellen von bewegungen wie der "tea party" deutlich, die diesen richter als paradigmatisch für einen in ihrer sicht "anständigen amerikaner" halten können (und in vielen us-foren, die diese geschichte diskutierten, liess sich die schnittmenge von prügelbefürwortern und -entschuldigern mit den christlich-fundamentalen extremisten von rechts immer wieder feststellen).

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so weit, so schlecht - ich bin über diese geschichte letzte woche während meiner normalen blogbetreffenden recherchen gestolpert, und habe dann auch begonnen, mir das video zu betrachten - stammleserInnen werden sich vielleicht an (von der brutalität und widerwärtigkeit der inhalte her) ähnliche filme in der vergangenheit erinnern, sei es die unbeachtete
sterbende frau in der notaufnahme eines psychiatrischen krankenhauses in new york vor ein paar jahren, oder auch einige szenen aus polizeirevieren an verschiedenen orten - stets kamen mir bei solchen anlässen mein eigenes "dickes fell" bzw. meine fähigkeiten zum objektivieren als nötiges werkzeug zu hilfe, um an solchen bildern nicht schlicht und einfach "irre zu werden".

und die letzteren eigenschaften setzte ich auch ohne weiteres nachdenken für das benannte video aus den usa voraus. ich begann also mit dem anschauen der knapp sieben minuten einsichten aus einer familiären hölle, bei denen nach etwas über einer minute die offene gewalt in bild und ton einsetzt.

und ich reagierte radikal anders als in der vergangenheit.

ich konnte sofort nach beginn des flehens und wimmerns des mädchens diese töne nicht mehr ertragen, und musste abbrechen. aber da war es bzw. etwas schon passiert - ich saß auf einmal da mit einem kloß im hals, aufsteigenden tränen und vor allem einem von einem auf den anderen moment krass veränderten körpergefühl, welches sich nur sehr schwer in worte fassen lässt - peripher neben mir stehend, trifft es nur zum teil, andererseits war das durchaus auch der fall.

erschwert wurde die ganze situation dadurch, dass das alles an einem öffentlichen ort - ein netzcafé - geschah, wodurch ich in meinen reaktionmöglichkeiten deutlich beschränkter reagieren konnte, als ich das im häuslichen rahmen hätte tun können.

ich saß dann so einige zeit rum, mit der deutlichen ahnung, dass ich mir selbst gerade keinen gefallen getan habe. dann bin ich los, noch einige dinge zu erledigen, die ich mir vorgenommen hatte. etwa eine stunde nach dieser geschichte trat dann etwas ein, was ich als "prä-grippe-gefühl" bezeichne - vielleicht kennen Sie das, wenn Sie einen oder zwei tage vor einer schweren erkältung oder gar einer grippe ein ganz bestimmtes körpergefühl verspüren; welches sich v.a. in der brust und durch eine unspezifische schwäche bemerkbar macht. dieser zustand jedenfalls hielt ca. zwei stunden an, und klang dann wieder ab. da hatte ich schon die befürchtung, ob ich mir etwa selbst mein immunsystem "abgeschossen" hatte - an meinem arbeitsplatz rannte die letzten wochen immer ca. ein viertel aller anwesenden mit erkältungssymptomen herum, und vor etwa twei wochen lag ich selbst ein paar tage flach. die zusammenhänge zwischen "psyche" und immunsystem jedenfalls sind in der einschlägigen forschung schon länger bekannt.

naja, jedenfalls bin ich dann in den stunden darauf viel unterwegs gewesen, hauptsächlich mit dem fahrrad. dabei musste ich ebenfalls feststellen, dass sich das fahren deutlich unsicherer als sonst anfühlte, was mich zu einer ungewohnten langsamkeit zwang. und ebenfalls war ich die ganze zeit unruhig, und in gedanken vorwiegend fahrig und zerstreut. nachdem ich alles erledigt hatte, was ich wollte, stand dann an, mich zu entscheiden - entweder (alleine) zurück in meine derzeitige wohnung, um dort auch alleine zu sein - oder aber jemanden besuchen, um diesen zustand überhaupt mal zu kommunizieren. ich entschied mich dann glücklicherweise für das letztere, wobei mir klar war, dass aufgrund der eigenarten dieses erlebens aus meinem umfeld nur begrenzt menschen in frage kamen - dass ich da am nachmittag sozusagen von traumatischem material "kontaminiert" worden bin, war mir zu diesem zeitpunkt schon irgendwie klar, wenngleich ich mir auch über die genaue art & weise dieses einflusses selbst noch keinen reim machen konnte.

ich bin dann meine beste und älteste freundin besuchen gegangen, die selbst mit vielfältigsten traumafolgen umgehen muss und wo ich mit recht annehmen konnte, dass ihr solche zustände wie der , in dem ich mich befand, weder fremd noch unverständlich - "komisch" erscheinen würden. dort lag ich dann einfach nur eine ganze zeit auf dem boden herum, wollte nichts sagen, nichts essen oder trinken, und spürte eine tiefe und durch meine sonstigen tagesaktivitäten nicht erklärliche erschöpfung.

dann kamen erstmal, und durchaus befreiend, viele tränen - und einige zeit später dann erzählte ich ihr die oben geschilderten ereignisse, und irgendwann während dieses erzählens, und unter weiteren tränen, fing ich an, mich an lange zurückliegende ereignisse zu erinnern - nicht falsch verstehen bitte: was ich gleich schildere, habe ich "im bewusstsein" nie vergessen; eher kann ich mich daran beliebig erinnern, aber nur an die reinen fakten und nicht an die zugehörigen gefühle. das hebe ich deshalb heraus, weil es für das verständnis der ganzen geschichte ein wichtiger schlüssel ist.

es war in meiner kinderzeit - etwa ab dem alter von sieben an - so, dass ich über jahre ein zimmer wand an wand mit dem kinderzimmer der nachbarwohnung hatte. nebenan wohnte ein etwas jüngerer bube als ich mit seinen beiden eltern, der über jahre auch ein spielkamerad von mir gewesen ist. dieser junge nun wurde über eine lange zeit - das ging über ein paar jahre - regelmässig mehrmals in der woche abends im bett von seinem vater verprügelt, was mich aufgrund der dünnen wände in eine unfreiwillige zeugenschaft dieser erbärmlichkeit versetzte. ich weiß nicht, was dieser vater für motivationen oder gründe hatte - nach außen hin traten er und seine frau (die sich niemals für mich bemerkbar einmischte) zusammen mit dem sohn als völlig "normale" familie auf, wie das für eine deutsche mittelklassefamilie so üblich war bzw. ist.

ich weiß nicht, wie oft ich mir in jenen jahren das weinen, wimmern und flehen - "bitte papa, hör auf!" - und das geräusch von schlägen zusammen mit wütenden ausrufen des schlägers anhören musste. es geschah immer zu recht später stunde, wenn ich schon im dunkeln im bett lag. ich weiß auch nicht mehr, was ich damals gedacht oder gefühlt habe - es war in gewissem sinne halt irgendwie "normal", und war auch unter uns kindern niemals thema. wie früher schon angedeutet, hatte ich in meiner familie nicht primär mit derartiger körperlicher gewalt zu tun, sondern eher mit schweren kommunikationsstörungen, die auch dazu beitrugen, dass ich mit diesen erlebnissen nirgendwo hingehen konnte, und alleine drauf sitzen blieb.

das alles hatte ich wie gesagt niemals "vergessen", aber es war bis letzte woche eine seltsam blasse und irgendwie beiläufige erinnerung - bis sie mir bei der freundin unter tränen wieder präsenter wurde.

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später dann hatte ich das gefühl, soweit wieder handlungsfähig zu sein, dass ich alleine bleiben konnte und wollte - ich fuhr nach hause und legte mich ins bett, weil ich eigentlich nur noch das dringende bedürfnis nach schlaf verspürte. ich nehme an, viele leserInnen kennen das gefühl, schlafen zu wollen, aber aufgrund von innerer unruhe und herumjagenden gedanken nicht zu können. so verbrachte ich jedenfalls die ganze nacht, um einen wirklich miesen nächsten tag - das war der sonnabend - einzuleiten. ich mache das mal in geraffter form, weil sich der tag so am besten zusammenfassen lässt:
  • den ganzen tag ein gefühl völliger erschöpfung; selbst die paar meter zur toilette fühlten sich nach einem zehn-kilometer-marsch an
  • fast ständig ein gefühl, als ob rund um den kopf ein festes band liegen würde, welches von zeit zu zeit merkbar angezogen wird und für einen unangenehmen druck im kopf sorgte
  • hitze- und kältewallungen; den tag über maß ich verschiedentlich meine temperatur, und die pendelte im bereich "erhöht", d.h. so von ca. 37,4° bis 38°. am darauf folgenden morgen fiel sie dann auf etwa 35, 4°, um sich im laufe des tages mit 36,6° wieder auf einem level einzupendeln, welches ich für mich als durchschnitt ansehen würde
  • kein hunger/appetit und kein durst; ich musste mich zwingen, wenigstens auf einen halben liter flüssigkeit zu kommen
  • schwere konzentrationsschwierigkeiten; leseversuche scheiterten spätestens nach zwei seiten mit einem gefühl von leichtem schwindel und übelkeit. dazu die schon erwähnte fahrigkeit und zerstreutheit im denken
  • schlafen war immer noch nicht möglich, obwohl ich nichts lieber getan hätte. der angenehmste zustand diesen ganzen tag über war das einfache regungslose liegen mit geschlossenen augen
diese diversen symptome dauerten mit abnehmender tendenz noch bis zum montag abend an, wobei das gefühl der unsicherheit am längsten andauerte, und mich auch dazu brachte, meiner arbeit fernzubleiben - ich habe da u.a. mit verschiedenen elektrischen staplern zu tun. stattdessen ging ich zu meinem hausarzt, der sich das alles anhörte, von dem video auch schon gehört hatte, und dann selbst seine wertung abgab, die ich unausgesprochen für mich ebenfalls schon getroffen hatte:

ich war über ca. zweieinhalb tage mit einem sich v.a. körperlich manifestierenden dissoziativen zustand konfrontiert, eingeleitet durch einen trigger speziell in form der tonspur des benannten videos, der eine unverarbeitete sekundäre traumatisierung freilegte.

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das klingt jetzt hübsch technokratisch, was es auch ist - aber nichtsdestotrotz ist das eine korrekte objektivierung der beschriebenen zustände, deren ganze - subjektive - bedeutung und v.a. deren erleben darin allerdings zwangsläufig verlorengeht. aber ich schreibe das hier auch darum, weil sich daraus möglicherweise für andere mitlesende ein paar aha-effekte ergeben. und nicht zuletzt ist es eine gelegenheit, die angesprochenen begriffe auch für "laien" etwas mehr nachvollziehbar zu machen.

dissoziation: wie früher schon öfter dargelegt, im prinzip ein alltagsphänomen, welches in form von tagträumen zb. den meisten selbst bekannt ist. im mtraumakontext spielen die pathologischen formen der dissoziation allerdings eine herausragende rolle, näheres
hier und hier. "somatoforme" dissoziationen, d.h. solche, die sich primär oder zu großen teilen in einem veränderten körpergefühl und/oder gar "psychosomatischen" symptomen bemerkbar machen, sind noch nicht allzulange im blickfeld der psychotraumatologischen forschung. was ich da erlebt habe, ist einerseits völlig individuell von meinen ganz besonderen symptomen her, andererseits auch allgemeingültig von den dahinterstehenden prinzipien. ich finde im rückblick besonders die schwankungen der körpertemperatur interessant, kann diese doch als ausdruck von psychophysischer homöostase gesehen werden; d.h. ich selbst habe mich in form des körpers arg anstrengen müssen, um das durch durch die traumatische kontamination in trudeln geratene gleichgewicht wieder zu erlangen. sich körperlich ausdrückende dissoziationen können unglaublich vielfältige formewn annehmen, was einerseits ihre diagnose erschwert, andererseits auch primär organische erkrankungen schwerer erkennbar machen kann.

trigger: englisch für auslöser, und wie in meinem fall können das relative kleinigkeiten sein - bestimmte töne, geräusche, auch gerüche oder der anblick bestimmter gegenstände. ein trigger im traumakontext bedeutet letztlich einen schlüssel, mit dem abgespaltene neuronale netzwerke, die nicht der normalen informationsverarbeitung im gehirn zugänglich sind, teile oder alles von ihren inhalten schlagartig ins wachbewusstsein abgeben, es sozusagen überfluten. ein trigger ist ein schlüssel zur "eingefrorenen zeit" der traumatischen situation.

sekundäres trauma: ein begriff, der bis heute vor allem im bereich
helfender berufe wie psychotherapie, rettungswesen und feuerwehr, darüber hinaus aber auch bei polizei und militär, eine hauptrolle spielt. es geht schlicht um das miterlebenmüssen eines traumatischen einflusses auf und bei andere(n); und auch dafür ist meine geschichte ein treffendes beispiel: ich wurde ja nicht selbst verprügelt in jenen momenten, war aber absolut handlungsunfähig; d.h. konnte die situation nicht beeinflussen und auch nicht verlassen.

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so. für den moment habe ich dazu nicht mehr zu sagen. ich bin mit dem arzt übereingekommen, die ganze sache erstmal zu beobachten, speziell den aspekt der unsicherheit als grundgefühl. sollte diese nicht weiter abklingen - was sie glücklicherweise aber tut - , müsste ich mir ernsthaft überlegen, wieder therapeutische hilfe in anspruch zu nehmen. wobei das so ein fall wäre, der mir für
emdr sehr geeignet erscheint. aber mal sehen - ich bin jedenfalls immer noch überrascht, wie stark meine reaktionen jetzt ausgefallen sind, und diese stärke ist vielleicht ein indiz dafür, damit auf jeden fall zu arbeiten.

zum schluß noch ein danke an
grummel und w-day- und eine wirklich gute freundin da draussen!

Montag, 27. September 2010

basis: "gender trouble" (und einiges mehr) [1]

die inhaltliche und auch sonstige entwicklung in den kommentaren zum beitrag mehr körperkontakt! hat mich dazu bewogen, einmal einige meiner grundsätzlichen positionen hinsichtlich der angesprochenen themen bzw. die umstände deutlicher zu machen, aus denen heraus ich zu diesen positionen komme. da das gleichzeitig auch "historisch" gesehen einiges mit der inhaltlichen ausrichtung dieses blogs zu tun hat, veröffentliche ich das als basis-beitrag. fast schon überflüssig zu sagen, dass ich da teils ziemlich weit ausgreifen werde...

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und mit letzterem fange ich gleich mal an, und zwar in gestalt eines zeitsprungs. bekanntlich jährt sich am kommenden wochenende zum zwanzigsten male das datum des dritten oktobers in seiner funktion als neue "nationalfeiertag" - "einheit" und so. das privileg oder eher das unglück (wie man´s nimmt), diese feierei einer kollektiven halluzination namens "nation" auszurichten, hat in diesem jahr wieder einmal die hiesige beschauliche großstadt. nach 1994 das zweitemal, und ebenso wie damals wird es diverse
proteste gegen diesen überflüssigsten feiertag von allen und das, wofür er steht, geben. im gegensatz zum ersten male betrachte ich das aktuell mit einiger (sympathisierender) distanz, aber darum soll´s jetzt gerade nicht weiter gehen. jedenfalls haben einige emsige aktivistInnen zum aktuellen anlaß vieles an damaligen linken und linksradikalen/autonomen texten und materialien hervorgeholt, u.a. ein vierseitiges flugblatt mit dem titel am dritten oktober den backlash feiern? ohne uns! (das ganze ist beim einscannen sichtlich durcheinandergeraten; die dritte seite des pdf ist eigentlich die zweite und umgekehrt).

ich erwähne das deshalb, weil ich vor 16 jahren am text nicht ganz unwesentlich beteiligt gewesen bin - also sozusagen ein kleines "outing". ja, ganz recht, Ihr blogautor war vor langer zeit einmal mehrere jahre in einer jener gruppen, die zumindest hierzulande unter dem (übrigens unzutreffenden) sammelbegriff "männergruppen" tendenziell immer gerne zielpunkte für hohn und spott von mehr oder weniger ahnungslosen zeitgenossen - gewesen sind, weil bis auf einige ausnahmen sämtliche fraktionen von dem, was sich zwischen mitte der 1980er und mitte/ende der 90er jahre in bestenfalls selbstironischer art & weise als "männerbewegung" bezeichnet hat, inzwischen ihre aktivitäten entweder eingestellt oder faktisch unsichtbar gemacht haben (ausnahmen sind hierbei einige therapeutisch bis esoterisch orientierte und inhaltlich aus meiner sicht sehr fragwürdige gruppen und "professionelle" angebote).

warum ich hinsichtlich der bezeichnung "männergruppen" oben von "unzutreffend" geschrieben habe, begründet sich darin, dass damit eine unzulässige und real niemals vorhandene homogenität suggeriert wird (ähnlich bei der rede von "dem" feminismus). historischen tatsachen wird es eher gerecht, von teils völlig inkompatiblen ansätzen und praktiken auszugehen, und wir haben damals einen nicht gerade kleinen teil unserer zeit auch damit verbracht, uns mit männern aus dem eher "grün-alternativen" milieu heftig zu streiten, weil es dort maßgeblich therapeutisch-esoterische tendenzen gab, die darauf hinaufliefen, sich eine rechtfertigung alá "ich-will-so-bleiben-wie-ich-bin - du-darfst" zu konstruieren. das in faktisch demagogisch-diffamierender art und weise angewandte zerrbild des "softies" hatte den einzigen realistischen gehalt tatsächlich in dem genannten milieu, wobei dieses rollenkonstrukt ursprünglich noch aus der "ersten welle" von hauptsächlich selbsterfahrungstätigen männergruppen in den frühen 1970ern stammt, die sich durchaus als erster reflex auf die damals noch existierende feministische bewegung im westen und deren diskussionen verstehen lassen.

jedenfalls bin ich selbst irgendwann ende der 80er in die damals schon existierende gruppe gekommen und habe das als einen wichtigen teil meiner damaligen politischen arbeit begriffen. "wir" waren insgesamt recht langlebig, und das dürfte trotz einer gewissen personellen fluktuation auch zum einen damit zu tun haben, dass es trotzdem von beginn an auch eine überdauernde kontinuität bei den mitgliedern gab. zum anderen aber lag das auch daran, dass - im gegensatz zu vielen, nicht nur in der damaligen autonomen linken, verbreiteten mythen (wie sie bspw. auch
che drüben immer mal wieder gerne auspackt - stichworte "selbstkasteiung" und "moralin") - sich die konstanz vor allem über die eigenen motivationen und inhalte herstellte - ich persönlich war schon lange vorher im weitesten sinne antimilitaristisch aktiv gewesen, hatte u.a. beratung für kriegsdienstverweigerer gemacht, später selbst total (in diesem fall hieß das abbruch des "zivilen ersatzdienstes") verweigert und mich schon früh angefangen, für den nationalsozialismus zu interessieren und dabei gemerkt, dass ich besonders für die ausserordentliche destruktivität der nazis innerhalb der damals verbreiteten "klassisch" linken faschismustheorien keine befriedigenden antworten finden konnte, was mich in folge irgendwann zu theweleits "männerphantasien" brachte - ein augenöffner in der situation, der mich zu der zeit enorm prägte.

und so kam es, dass nicht nur ich in der gruppe von beginn an ziemlich selbstverständlich mit einem verständnis der begriffe wie patriarchat & sexismus arbeitete, welches auch entscheidend von unterschiedlichen feministischen ansätzen bestimmt war, aber ebenfalls von - hm, "männerspezifischen" (passt nicht ganz, aber mir fällt gerade nix anderes ein), d.h. unseren eigenen vielfältigen erfahrungen und ansichten definiert wurde. im oben vorgestellten flugblatt wird bspw. ganz gut deutlich, dass wir die begriffe patriarchat und sexismus keinesfalls etwa als synonyme verstanden / benutzt haben (was ansonsten durchaus breit auf und von allen seiten praktiziert wird), sondern dass das letztere (in strengem sinne die unterdrückung / diskriminierung aufgrund des biologischen geschlechts) zwar im ersteren enthalten ist, und zwar als ganzes, aber das sich das so nicht umgekehrt sagen lässt - ich mache es mir in diesem fall mal einfach und zitiere das entscheidende aus einem ein paar jahre alten beitrag aus einem telepolis-forum:

"(...), weil das bewußtsein über die unterschiede zwischen patriarchat (ein gesellschaftliches system, welches u.a. auf als "männlich" codierten
denk- und verhaltensweisen sowie den entsprechenden emotionalen
reaktionen beruht) einerseits und sexismus (als konkretes gewaltverhältnis bezogen auf ein soziales/biologisches geschlecht) andererseits allgemein nicht eben sonderlich ausgeprägt ist. im aktuellen patriarchat existieren frauen und männer als opfer UND täterInnen - zb. gegen andere männer/frauen, gegen kinder und alte - alle täterInnen bewegen sich jedoch in einem zutiefst mit den "werten" "klassischer männlichkeit" codierten und deformierten bezugsrahmen. sexismus ist davon nur ein teil, und bleibt bis auf weiteres aufgrund der gesellschaftlichen realitäten als konkrete benennung der männlichen gewalt gegen frauen vorbehalten." (...)


nun lässt sich als erstes anmerken, dass es "das" patriarchat ebenfalls als homogenes system so nicht gibt - weltweit lassen sich eher verschiedenste variationen beobachten, ob die extremformen wie islamistische patriarchate (zb. unter den taliban in afghanistan), die machistischen gesellschaften mittel- und südamerikas oder die historisch recht neue form, die wir hier seit ein paar jahrzehnten im westen beobachten können. zweitens wird aufmerksamen stammleserInnen wahrscheinlich schon aufgefallen sein, dass im zitat bereits das sichtbar ist, was ich hier im blog an verschiedensten beispielen als täter-opfer-dialektik (das militär als eine der "männlichsten" institutionen eignet sich dabei für die visualisierung des oben skizzierten patriarchatsbegriffes besonders, und eben nicht zufällig auch für die täter-opfer-dialektik) versucht habe aufzuzeigen. und drittens gibt es da den begriff "männlich codiert", und damit ist eine nur allzu bekannte ganze palette an attibuten assoziiert:

rationalität, vernunft, intellektualität, rhetorische brillanz, (selbst-)kontrolle, stärke, autonomie, beherrschtheit, coolness, überlegenheit, "kultur", "geistiges leben" etc.etc.

die als "weiblich" codierten gegenparts spare ich mir an dieser stelle. es stellt sich aber eigentlich sofort die frage, was denn nun genau an den obigen attributen das spezifisch "männliche" sein soll? und warum sie überhaupt mit einem geschlecht assoziiert sind. in der realität ist es durchaus so, dass erstens zweifelhaft ist, ob all diese attribute wirklich nur als positiv bezeichnet werden sollen, zweitens alles auch bei frauen vorhanden ist, und es sich drittens eindeutig um eigenschaften handelt, als deren quelle innerhalb der menschlichen psychophysischen struktur der
objektivistische modus verortet werden kann. zugespitzt: innerhalb dieser struktur ist der mann als objektives kulturwesen in einen binären gegensatz zur frau als subjektives naturwesen gestellt (in diese kategorie fallen wahrnehmungsmässig übrigens auch kinder, alte menschen, homosexuelle... alles, was nicht als "vollwertig männlich" empfunden wird im sinne der genannten attribute). ich glaube übrigens, dass diese grundlegende binäre spaltung selbst auf die tierwelt angewandt wird - bei betrachtung der enbleme und gerätenamen gerade beim militär, aber auch zb. bei rockerclubs wimmelt es nur so von stolzen adlern und falken, von tigern, pumas, panthern und leoparden, während der posende und aufmerksamkeitsheischende jungmann, der seinen kampfhund ausführt, nur schwer vorstellbar ist beim entenfüttern oder beim kuscheln mit einem kleinen kätzchen. die großen raubtiere sind es, die als "männlich" gelten - eher am rand und sozusagen eine stufe tiefer werden dann auch giftige wesen wie schlangen und skorpione als symbole der mannhaftigkeit benutzt, meiner beobachtung nach allerdings primär bei gangs aller art, die mit ihrer eigenen outlaw-version der männlichkeit arbeiten. die wiederum mit der gesellschaftlich akzeptierten mainstreamversion in ewiger konkurrenz steht (wobei es durchaus möglich ist, dass es sich bei der "outlaw"-variante um die eigentlich originäre version handelt, die dazu fließende grenzen zur offenen soziopathie aufweist).

aber zurück zur frage, wieso diese genannten - und im kern völlig willkürlich erscheinenden - zuschreibungen überhaupt existieren. ist´s eher ein ausdruck von ideologie, sind´s nur alles soziale konstruktionen, wie es besonders seit den 90ern in den postmodernen gender-diskursen heisst? oder gibt es dafür eine reale, und damit ist auch körperlich-materiell gemeint, basis?

ich gehe ja nun bekanntlich aus (für mich selbst) guten gründen davon aus, dass so ziemlich alle relevanten aspekte unserer auch sozialen existenz geprägt, motiviert, geformt und ausgestaltet werden durch unsere materielle körperlichkeit, ihre spezifischen (biologischen) funktionsgesetze, ihre bedürfnisse und auch ihre grenzen sowie - meist in form von krankheiten - ihre immanenten möglichkeiten von fehlfunktionen und defekten. und immer dann, wenn irgendwo derart auffällige binäre spaltungen wie beschrieben auftreten (und gar als "natürlich" wahrgenommen werden), bietet das modell des objektivistischen modus dafür einen der plausibelsten erklärungsansätze, die mir bis jetzt bekannt sind. und konkret auf die obigen fragen gemünzt zitiere ich nochmal aus meinem älteren
amok-artikel:

"konstruierte identitäten, die bis heute den kern der gesellschaftlichen geschlechterstereotypen bilden, sind beliebig austausch- und natürlich auch dekonstruierbar - aber das eigentliche problem versteckt sich eher dahinter: konstruierte identitäten bilden primär krücken für diejenigen, die aufgrund psychophysischer schäden die (körperlichen) grundlagen ihrer eigenen authentischen identität entweder nicht (mehr) wahrnehmen oder aber deren grundlagen erst gar nicht entwickeln konnten. aus dieser perspektive wird deutlich, dass bspw. sebastian b. eine sehr martialische, sehr reduzierte und sehr klassische "männliche" identität eher wie ein kleidungsstück genutzt hat, um die sichtbare tatsache der unfähigkeit zum eigenen authentischen sein quasi zu maskieren. und in diesem punkt unterscheidet er sich keinesfalls von millionen menschen, die sich mit derartigen konstruktionen ebenfalls durchs leben schlagen."

das obige sollte nicht allzuschwer verständlich sein - ausgehend von der jahrhundertealten traumatischen matrix, gehörten und gehören bis heute vielfältige übergriffe bzw. verschiedenste gewaltformen zur üblichen erfahrung fast jedes kindes. das führt zu mehr oder weniger schweren schäden in den körperlich basierten selbst- und fremdwahrnehmungsfähigkeiten, was u.a. wiederum elementare gefühle der angst und unsicherheit mit sich bringt. zur kompensation dieser wahrnehmungsschäden - um überhaupt etwas orientierung zu gewinnen -, und um die existenzielle unsicherheit in einer als feindlich und kalt-fremdartig erlebten welt abzumildern, springt in verschiedenen variationen und intensitäten (im extremfall bereits
pränatal) dann der objektivistische modus ein, wird in der psychophysischen struktur dominant und generiert in dieser position all jene katastrophalen effekte, die nicht nur geschichtsbücher, sondern auch knäste und psychiatrien füllen.

in den fängen des traumas gibt es nicht allzuviele möglichkeiten: unbegriffen und ohne unterstützung bleibt man ein opfer, welches allerdings unter bestimmten bedingungen eine - hm, besondere art der eigenen homöostase erreichen kann, eine fragile pseudostabilität, die durch ausagieren kraft beziehen kann - nicht durch die auflösung des traumas (eine der schmerzhaftesten arbeiten, denen sich menschen unterziehen können). an diesem punkt wird die benannte täter-opfer-dialektik wirksam. und die kann viele facetten haben: eine der wahrscheinlichsten wichtigsten in dem zusammenhang besteht in der konstruktion von mit macht assoziierten pseudo/als-ob-identitäten. so wie oben im beispiel geschildert; "beliebt" und verbreitet sind aber vor allem die kollektiven varianten dieses trauerspiels - "nationale identität" gehört da ebenso hinein wie eben auch das, was wir uns angewohnt haben, unter "mann" und "frau" als quasi natürlich zu betrachten.

in diesem sinne - und nur in diesem - haben die konstruktivisten also recht, übersehen jedoch gleichzeitig die grundlage der objektivistisch produzierten konstruktionen - die basale schädigung der subjekte - , und ziehen ihre fatalen und desaströsen falschen schlüsse, von denen der schlimmste darin liegt, dass es überhaupt keine authentischen identitäten geben würde. aber zu speziell diesem punkt habe ich schon an anderen stellen hier ausgiebig geschrieben.

ich erinnere mich gerade vage an ein bundesweites treffen verschiedener linker und anarchistischer männergruppen, bei dem es in einer veranstaltung zum thema "faschistische männer" zu einer sehr kontroversen diskussion zwischen denjenigen, die kurz gesagt besonders mit foucault - "soziale konstruktion" - argumentierten, und mir und anderen kam, die dabei starke bauchschmerzen hatten. ich konnte den grund für letzteres sehr lange nicht genau festmachen, habe aber damals schon intuitiv für eine argumentation plädiert, die eher an wilhelm reich orientiert war - oder besser gesagt: an der reichschen untermauerung der sicht, dass beim konstruktivistischen ansatz die phänomene der körperlichen ebene und das, was sie repräsentieren (und die sind gerade bei faschistischen männern ganz gut zu sehen, angefangen von ihrer gangart und bewegungsweise) zu sehr unter den tisch fallen, und etwas ganz entscheidendes übersehen wird.

die schlußfolgerungen für mich aus dem ganzen lauten jedenfalls ungefähr so, dass tatsächlich die heute verbreiteten geschlechtlichen identitäten plus die weitaus meisten (nicht unbedingt alle) damit verbundenen zuschreibungen und angeblichen eigenschaften tatsächlich konstrukte in dem sinne darstellen, wie sie auch bspw. von den dekonstruktivistischen feministischen ansätzen der letzten jahrzehnte dargestellt wird. dissens gibt es aber an dem punkt, wo darüber hinausgehend behauptet wird, es gäbe keinerlei authentische männlich- oder weiblichkeit. diese fehlwahrnehmung verdankt sich eher der existenz der traumatischen matrix, aufgrund derer wir bis heute keinerlei realistische vorstellung (höchstens fragmentarische ahnungen) haben können, wie menschen unter sozial nicht pathologischen bedingungen sein könnten. ich glaube, männer und frauen, die sich in ihren körpern wirklich leben, spüren und wohlfühlen können, werden sich in recht unerwarteten weisen voneinander unterscheiden - aber letzteres heisst eben keinesfalls automatisch, daraus unterschiedliche wertigkeiten abzuleiten, wie es bislang die gewohnte praxis darstellt. das ist ein typisches symptom einer pathologischen sozialität.

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tja, ich habe ja eingangs gesagt, dass ich sehr weit ausholen werde - aber das alles gehört für mich tatsächlich zu denjenigen grundlagen, auf denen ich dann im zweiten oder auch dritten teil konkret auf die ursprüngliche diskussion eingehen werde. als nächstes folgen noch eine fortsetzung zum obigen sowie speziell zum thema sexualisierte gewalt einige worte zu meinem persönlichen background diesbezüglich. wird aber alles vermutlich ein paar tage dauern.

Montag, 22. Juni 2009

basis: traumageschichte(n) 6 - kriegstraumata - nachbemerkungen zum symposium...

...welches am 20. juni in bremen stattgefunden hat. und es war durchaus eine interessante veranstaltung, die einiges an stoff zum weiterdenken geboten hat.

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ich bin etwas zu spät gekommen und mitten in die erste hälfte des vortrags zur militärpsychiatrie im ersten weltkrieg, "maschinengewehre hinter der front" geraten. mit diesem thema hatte ich mich u.a. auch beruflich in der vergangenheit schon etwas ausführlicher beschäftigt und dachte daher im vorfeld, dass sich dabei zumindest für mich keine grundsätzlich neuen aspekte ergeben würden. das aber war, vor allem im zusammenhang mit den nachfolgenden beiträgen, letztlich eine fehleinschätzung.

die mir bis dahin unbekannte referentin, maria hermes, die gerade an einer dissertation zum thema schreibt, arbeitete vor dem hintergrund des allgemeinen vorgehens der (deutschen) militärpsychiater einige punkte heraus, die mir besonders hervorhebenswert erscheinen: erstens spielten die "minderwertigkeitskomplexe" der psychiatrie damals auch bei der behandlung der
"kriegszitterer" eine ähnlich unheilvolle rolle wie in der zivilen psychiatrie, und zwar in dem sinne, dass das streben der psychiater nach "wissenschaftlicher anerkennung" seitens der anderen und "anerkannteren" medizinischen disziplinen auch hier zu einem abstrusen biologismus hinsichtlich des krankheitsverständnisses, der diagnosenstellung und bei den behandlungsmethoden führte. besonders die zeitgenössische neurologie grenzte sich in einer heute nicht mehr vorstellbaren form von der psychiatrie ab, was hermes anhand von zitaten einiger prominenter damaliger neurologen gut deutlich machte, in denen die herablassende geringschätzung von "nur psychischen" störungen (= ohne im damaligen sinne nachweisbare organische grundlage) und der entsprechende umgang mit den patientInnen deutlich wurde.

das oben erwähnte führte dann bei den militärpsychiatern dazu, solche theoriemodelle zu entwickeln wie jenes, welches die symptome der traumatisierten als folge einer art "gehirnerschütterung" sowie der körpervermittelten erschütterung des nervensystems durch die wucht des artilleriefeuers in den grabenkämpfen bzw. die dadurch bewirkten erschütterungen des erdbodens deutete. aus damaliger sicht sehr passend, standen soldaten mit traumasymptomen doch schon grundsätzlich unter dem verdacht der (erbbedingten) "konstitutionellen schwäche", also einer grundsätzlichen minderwertigkeit, die konsequent zu ende gedacht alleine dafür verantwortlich gemacht wurde, dass soldaten auf das kriegsgrauen nicht mit unbeeindruckter ignoranz, gelassenheit und "tapferkeit" reagierten, sondern letztlich zutiefst menschlich.

diese unterstellte "minderwertigkeit" führte dann schnell auch zum grundsätzlichen verdacht der simulierten symptome (aus "feigheit"), was sich dann in den behandlungsmethoden entsprechend wiederspiegelte: zwangsbehandlungen mit elektrischen strömen (damit ist übrigens nicht die "elektrokrampftherapie" gemeint, die erst 1938 entwickelt wurde) in form von wiederholten serien von ungefilterten elektroschocks; die damals in den psychiatrischen anstalten üblichen dauerbäder (und zwar nicht nur mit körperwarmen, sondern auch eiswasser); verschiedene arten der
deprivation sowie die bildung von speziellen "bettnässerkompanien", in denen die betroffenen durch "frontnahe behandlung" sowie entsprechenden einsätzen "geheilt" werden sollten. andere behandlungsmethoden wie hypnotische und suggestive sowie die bettbehandlung und obligatorische arbeitstherapie muten vor diesem hintergrund dann schon regelrecht mild und human an.

bezeichnend auch die ebenfalls von der militärpsychiatrie geprägte bezeichnung
"kriegshysteriker" in der nicht nur implizit das urteil "weibischer schwäche" untergebracht wurde (und interessanterweise mit dem wort "hysterie" das zweite mal in der psychiatriegeschichte traumatisierte stigmatisiert wurden; siehe dazu den blogbeitrag zur geschichte der hysterie).

hermes untermauerte ihren beitrag durch etliche zitate aus dem bestand entsprechender krankenakten des altarchivs des klinikums bremen-ost, welches in seiner inzwischen über hundertjährigen geschichte während des wk1 auch als armeelazarett fungierte. und die mir ebenfalls teils gut bekannten akten belegen durch ihre inhalte durchaus selbst die in einer (für damalige verhältnisse) "reformorientierten" heil- und pflegeanstalt dieses neben der späteren nazi-"euthanasie"-aktion
"T4" brutalste kapitel der (deutschen) psychiatriegeschichte. abschließend wurde ebenfalls nochmals deutlich gemacht, dass sich hier die damalige psychiatrische ideologie passend mit den interessen der späteren führungsschichten in der weimarer republik traf: liessen sich doch auf basis der vorher stattgefundenen psychiatrischen einordnung der traumatisierten deren mögliche entschädigungsansprüche an den deutschen staat mittels des diagnostischen konstrukts der "rentenneurose" abschmettern, die andernfalls, so jedenfalls ein diskussionsbeitrag aus dem publikum, die damalige deutsche rentenversicherung in den bankrott getrieben hätten (und dazu bei anerkennung der ansprüche und der implizit darin enthaltenen wertung des krieges auch das öffentlich verbreitete bild vom krieg als "vaterländischer notwendigkeit und ehrenvoller aufgabe" beschädigt hätten.)

*

die bereits im ersten vortrag anklingenden "besonderheiten" des ersten weltkriegs vor allem in den militärischen formen des
graben- und stellungskrieges - im folgenden ein bild von der westfront, an der britische sanitäter einen verletzten bergen; beachten Sie vor allem den bodenlosen matsch -

britische sanitaeter bergen einen verletzten im ersten weltkrieg aus dem matsch - vermutlich in belgien

bildeten auch einen schwerpunkt beim referat des sozialpsychologen
gerhard vinnai , der sich mit der genese von hitlers antisemitismus aufgrund dessen traumatischer erfahrungen in diesem krieg (so die these) beschäftigten. hier mache ich´s mir einfach, zumal eine variante des vortrags online als pdf einsehbar ist, und zwar hier. es war im übrigen auch tatsächlich das gleiche thema, welches ich in der ankündigung zum symposium bereits als mir bekannt erwähnt hatte, und so konnte ich nun bei grundsätzlicher "vertrautheit" mit den thesen nochmal anders zuhören als beim ersten mal vor ein paar jahren. und in der nachfolgenden diskussion einige inhaltliche fragen loswerden. die erste davon bezog sich auf vinnais aussage, dass der kriegsbeginn für hitler einen echten biographischen bruch mit seinem bisherigen leben, vor allem dessen "wiener jahren", geprägt von obdach- und perspektivlosigkeit, bedeutet hätten, und ihn vor allem aus der rolle des sonderlichen außenseiters befreit hätte. dazu gibt es allerdings nun durchaus widersprüchliche informationen in der rechts in der literaturliste enthaltenen und primär mögliche relevante psychopathologische züge thematisierenden hitlerbiographie von matussek & marbach (mehr zu den thesen dieses buches hier), die hitler auch in seiner kriegszeit unter den "kameraden" eine außenseiterposition attestieren, welche sich vor allem aus der hochnäsigen verachtung hitlers gegenüber eigenheiten des frontlebens wie bspw. die rolle des alkohols sowie den endlos ausgesponnenen "weibergeschichten" unter den soldaten ergeben hätte. ich finde diese herleitung durchaus nachvollziehbar, leider gab es darauf keine wirkliche antwort vinnais oder auch aus dem publikum.

meine zweite frage bezog sich bereits auf die "männerphantasien" von klaus theweleit (siehe dazu ebenfalls die literaturliste), dem ja ebenfalls die auffällige verwendung von matsch-, sumpf-, schlamm und ähnlichen metaphern in vielen texten/romanen von soldatischen männern (und gerade denjenigen, die sich direkt nach dem krieg in den konterrevolutionären freikorps zusammenfanden und später die kerntruppen der nazibewegung bildeten) aufgefallen ist. theweleit hat mittels seines spezifisch psychoanalytischen zugangs allerdings ausdrücklich die entwicklung der psychophysischen struktur bei diesen männern, als deren markanten ausdruck er die beschriebene metaphernwelt ansieht, nicht im krieg verortet, sondern in den "normalen" erziehungsbedingungen der deutschen militärdiktatur (und so lässt sich die monarchie durchaus bezeichnen) in kindheit & jugend dieser männer vor dem krieg in kombination mit dem späteren berüchtigten deutschen militärischen (vorkriegs-)drill während ihrer rekrutenausbildung.

meine frage bezog sich nun darauf, wie vinnai den einfluss dieser - bekannt brutalen - erziehungsmethoden nicht nur bei hitler, sondern auch den soldaten bzw. späteren nazis bewertet. die antwort darauf entsprach im kern meiner eigenen heutigen position, sinngemäß: die traumatischen wirkungen des krieges dürften nicht gegen die wahrscheinlich vorhandenen traumatischen schäden aus der kindheit "ausgespielt" werden; und ebenfalls habe theweleit die kriegsfolgen (ebenfalls sinngemäß) in ihrer bedeutung eher unterschätzt. es folgte eine kurze diskussion darüber, ob nicht ein weiterer zugang auch über den "mutterkult" der nazis erfolgen könne, und zwar derart, dass für die soldaten im krieg unter feuer der erdboden, in den sie sich oft genug regelrecht vergraben mussten, nicht auch so etwas wie die "schützende mutter" (erde) dargestellt hätte, und diese verbindung ebenfalls eine rolle spielen würde. das lässt sich aus einer (klassisch) psychoanalytischen perspektive vermutlich noch vertiefen; ich möchte mich jedoch eines kommentars dazu enthalten.

(an dieser stelle möchte ich übrigens auch um verständnis dafür bitten, dass ich mich bei der darstellung von diskussionsbeiträgen hauptsächlich auf meine eigenen beschränke; es kamen schlicht zu viele aspekte zur sprache, die ich trotz erstellung von notizen während der veranstaltung dabei nicht berücksichtigen konnte.)

nach diesem zweiten beitrag jedenfalls tauchte bei mir im kopf das erstemal eine these auf, die ich wie folgt umreissen könnte: wo liegen eigentlich die unterschiede zwischen denjenigen, die in und nach dem krieg primär mit den (heute bekannten) posttraumatischen symptomen reagierten und auch daran litten, und denen, die aus dem krieg offensichtlich brutalisiert - v.a. die späteren nazis - herauskamen? liegt eine mögliche antwort etwa darin, ob jemand bereits mit deutlich traumatischen schäden und/oder gar antisozialen bis soziopathischen zügen in den krieg gezogen ist, wo sich letzterer dann wie eine art trigger auswirkte, und zwar einer mit verstärkungseffekt? das kommt mir jedenfalls wie eine sehr untersuchungswerte frage vor, zu der mir bislang nichts bekannt ist.

*

nach einer längeren pause kam dann der beitrag, auf den ich im vorfeld besonders gespannt gewesen bin: der - ja, militärpsychiater
karl-heinz biesold, leitender arzt auch der psychotraumatologischen abteilung des bundeswehrkrankenhauses hamburg, referierte zu posttraumatischen störungen nach auslandseinsätzen der bundeswehr bzw. ihrer armeeinternen behandlung.

biesold betrat dabei das podium bereits mit einem (ironischen) ausdruck seiner erwartung, bei dieser veranstaltung "zerfleischt" zu werden - vermutlich hinsichtlich seiner profession als militärpsychiater -, und machte damit bei einem teil des publikums gleich auch mal pluspunkte. desweiteren stellte er sich als rhetorisch gewandter redner heraus, was ich allerdings bei seiner position (u.a. als öffentlicher repräsentant der bw) auch nicht besonders überraschend fand. nichtsdestotrotz: der vortrag war durchaus interessant, und eher als eine art in einem abgegrenzten rahmen herumspringende erzählung gehalten, unterlegt von diversen statistiken zum anschauen an der wand.

er begann zunächst mit einer zusammenfassenden darstellung aller auslandseinsätze der bw seit den 1990er jahren, incl. der sog. "humanitären" wie in kambodscha u.a., und machte in dem zusammenhang auch deutlich, dass selbst bei diesen einsätzen - wie auch bei solchen primär nach naturkatastrophen - bereits ptbs-fälle zu verzeichnen waren. die psychotraumatologische abteilung existiert im krankenhaus seit 1994, ist also durchaus als "produkt" der seitdem ständig zunehmenden auslandseinsätze zu betrachten. was mir auffällig erschien, war der eindruck, dass in dieser abteilung mit einem sehr streng an die jeweils aktuellen definitionen der diagnostischen kataloge icd-10 und dsm-IV angelehnten modell der ptbs gearbeitet wird, also weitergehende und meiner meinung nach realitätsgerechtere diagnostische modelle wie bspw. das der
komplexen ptbs nach judith herman auch nicht bei praktischen schwierigkeiten berücksichtigt zu werden scheint. ebenfalls interessant fand ich die betonung der zusammenarbeit zwischen bundeswehr und zivilen kliniken mit traumaschwerpunkt einerseits sowie die entsprechende zusammenarbeit mit der psychotraumatologischen forschung insgesamt andererseits - mir scheint, dass biesold das sehr bewusst als abgrenzendes moment zur historischen deutschen militärpsychiatrie ansieht (die sich damals strikt gegen alle einmischungen aus der zivilpsychiatrie offensichtlich verwahrt hat, was auch aus ihrem selbstverständnis als teil des (elitären) militärs heraus erklärbar sein dürfte).

gleichfalls fand ich die aussage bemerkenswert, dass als hauptsächliche methode der traumabehandlung
EMDR eingesetzt wird, mit folgenden ergebnissen: ca. ein drittel aller behandelten ist danach wieder voll "funktions- und dienstfähig", ein weiteres drittel mit einschränkungen, und das letzte drittel verlässt entweder die armee generell (und damit auch die behandlung) oder aber reagiert nicht auf die therapeutischen interventionen (die letzteren aussagen muss ich allerdings aufgrund fehlender sicherheit bei der rekonstruktion der informationen mit einem fragezeichen versehen). aber in bezug auf emdr betrachte ich das als weiteren beleg dafür, dass es sich bei dieser technik - dieser aspekt wurde sowohl von biesold als auch weiteren diskutanten später nochmal betont; emdr lässt sich nur innerhalb verschiedener therapeutischer kontexte einsetzen und nicht "für sich" - tatsächlich um eine hoffnungsvolle möglichkeit handelt, mit posttraumatischen störungen umzugehen.

desweiteren stellte biesold ein modell verschiedener stressoren - zur einschätzung potenziell traumatischer belastungen - vor, mit dem dort gearbeitet wird. er unterscheidet dabei zwischen "operationellen" und "besonderen" stressoren; zu den ersteren zählen bspw. solche umstände wie kontakt mit einer neuen und unbekannten kultur, die trennung von gewohnten sozialen umfeld und ähnliche umstände. die "besonderen" stressoren ergeben sich bspw. aus ständiger kasernierung sowie offen kriegerischen, also gewaltvollen handlungen, situationen und erlebnissen. bemerkenswert war dabei in diesem zusammenhang das, was biesold als "neues dilemma" bezeichnete: im gegensatz zu den letzten großen kriegen unter deutscher beteiligung, die jeweils offiziell und öffentlich als absolut "notwendig", "gerecht" u.ä, gekennzeichnet und mehrheitlich auch so empfunden wurden, stellt sich gerade beim größten laufenden bw-einsatz, nämlich dem in afghanistan, offensichtlich bei vielen beteiligten die sinnfrage, d.h. die frage "wofür bin ich / sind wir eigentlich hier?" das ist vermutlich nicht nur aus meiner sicht eine absolut berechtigte frage, deren existenz aber lt. biesolds ausführungen die wahrscheinlichkeit für das auftreten einer ptbs deutlich erhöhen kann, was ich wiederum beim nachdenken nicht so erstaunlich finde. gleichfalls finde ich das absolut keinen grund, auf diese frage zu verzichten.


bundeswehrfahrzeug in afghanistan


in diesem zusammenhang kam die sprache auch auf die immer wieder durch diverse umfragen belegte ablehnung des deutschen isaf-einsatzes von rund zwei drittel der hiesigen bevölkerung, die zu einem nicht geringen teil zu der erwähnten sinnfrage bei den beteiligten beizutragen scheint. biesold hat dabei selbst erfahrungen mit einsätzen nicht nur in afghanistan, sondern auch im kosovo und hat vor diesem hintergrund deutlich die "humanitären" aspekte und die hilfe für die jeweilige bevölkerung vor ort hervorgehoben, konnte jedoch seine skepsis bezgl. der weiteren entwicklung des afghanistan-einsatzes nicht ganz verbergen. was auch daran liegen könnte, dass zum einen die zahl der ptbs-betroffenen gerade in afghanistan ständig steigt, sich zum anderen aber auch der ganze charakter des ursprünglich als "humanitär" bezeichneten einsatzes mehr und mehr in richtung eines deutlichen kriegseinsatzes bewegt - lt. biesold werden die deutschen truppen inzwischen wöchentlich in gefechte verwickelt und müssen bei jeder bewegung ausserhalb ihrer camps mit der möglichkeit von anschlägen rechnen - "spezielle stressoren".

das folgende ist wieder mit dem hinweis auf eine gewisse unsicherheit bei meiner persönlichen rekonstruktion zu lesen: laut entsprechender statistiken sowohl aus dem irak- als auch dem afghanistan-krieg auf seiten der beteiligten westlichen truppen scheint hervorzugehen, dass sich überhaupt nur jeweils 23 bis 40% der betroffenen soldaten mit ptbs-symptomen freiwillig in behandlung begeben. dabei steht als hauptgrund bei denen, die auf eine behandlung verzichten, für ca. 65% das folgende im focus:

"ich will nicht als weichei gelten"

das spricht bände sowohl über die einstellung zu "psychischen" störungen insgesamt, und nochmals speziell beim militär. ebenfalls aber sagt es auch etwas über die - trotz zunehmender zahl von frauen in diversen armeen - immer noch vorhandenen mythen über "männlichkeit" aus, was bei dieser tendenziell und besonders strukturell immer noch erzpatriarchalen institution aber auch kein wunder ist. biesold bemühte sich dazu sehr, aus seiner sicht falsche vorstellungen über die mögliche aggressivität von traumatisierten soldaten abzuwehren, führte diese auf die traumaspezifische ständige anspannung des nervensystems zurück, verschwieg dabei aber nicht die möglichen negativen konsequenzen für familien und soziale umfelder der betroffenen. trotzdem fand ich diese aussagen selbst bei berücksichtigung eines möglichen motives, stigmatisierungen entgegenzuwirken, zu beschönigend, zumal nicht erst seit dem vietnamkrieg durchaus bekannt ist, wie gerade traumatisierte soldaten ihre traumata in grausamen taten quasi
re-inszenieren können - mehr zu dieser täter-opfer-dialektik auch hier.

die behandlungsbedürftigkeit - und das ergänzt in gewisser hinsicht die vorherigen aussagen - steigt nach biesolds angaben im gegensatz zu früheren kriegen bei den aktuellen besonders nach den einsätzen drastisch an. die gründe dafür sind mir zumindest weiter unklar. ja, und eine mir ganz neue information zur geschichte der kriegstraumata - oder auch der zugehörigen "vertuschungsdiagnosen" - gab´s nebenbei bei einer auflistung der zugehörigen spezifischen symptome vieler kriege, hinter denen sich nach heutigem wissenstand jeweils (post-)traumastörungen verbergen, auch noch: das
"da-costa-syndrom, hinter dem sich undefinierte herzbeschwerden befinden, erfüllt nicht nur in der beschreibung wesentliche kennzeichen einer pseudo-diagnose analog der "vegetativen dystonie", sondern war historisch offensichtlich die erste breiter verzeichnete (post-)traumatische erscheinung während eines krieges, und zwar während des amerikanischen bürgerkrieges. finde ich eine interessante information, die möglicherweise auch eine neue bewertung der entwicklung der us-gesellschaft nach dem bürgerkrieg nahelegt.

ich wollte dann bei der anschließenden diskussion die gelegenheit auch nutzen, wenigstens eine meiner ganz zentralen fragen loszuwerden, die ich einem militärpsychiater immer schon stellen wollte: nämlich die, ob er keinen widerspruch zwischen seiner rolle sehen würde, als mediziner traumabehandlung innerhalb einer institution zu betreiben, zu deren impliziten aufgaben es letztlich auch immer gehört, traumatische zustände bei gegnerischen soldaten und häufiger noch bei zivilbevölkerungen zu erzeugen. ich bezeichnete diese frage ausdrücklich als "persönlich", und bekam die folgende antwort (sinngemäß): nein, er sehe diesen widerspruch nicht, sondern betrachte es als normale aufgabe einer institution, die ihre angehörigen in "hochrisikosituationen" schicken würde, auch für diese zu sorgen. mit einem (etwas gezwungenem lächeln) kam immerhin noch die anmerkung, dass es sich bei dieser position vielleicht aber auch um den ausdruck eines "gelungenen verdrängungsprozesses" handeln könnte...

eine weitere frage hatte ich vorher schon gestellt: und zwar vor dem hintergrund der beobachtung, dass bspw. sowohl im vietnamkrieg als auch während des kriegs in afghanistan zwischen sowjetischer roter armee und islamistischen fundamentalisten jeweils die nutzung von diversen drogen - in vietnam heroin (erst danach kam heroin in den usa überhaupt erst so richtig "auf den markt") und cannabis; bei der roten armee wurde im "opiumanbauland nr.1" ebenfalls heroin zu einem schweren problem - auch (analog der nutzung bei vielen junkies mit traumatischer biographie) als ausdruck der versuchten selbstmedikation traumatischer symptome betrachtet werden kann, zielte meine frage auf entsprechende beobachtungen beim aktuellen afghanistaneinsatz der bundeswehr, zumal der opiumanbau dort weiterhin boomt. biesold verneinte das überraschend deutlich, wobei mir beim nachdenken in den sinn kam, dass das tatsächlich der realität entsprechen könnte - das benannte problem dürfte militärstrategen in aller welt spätestens seit den erwähnten kriegen durchaus bewusst sein, und ich kann mir gut vorstellen, dass heutige armeen bei einer erhöhten präsenz von drogen sehr schnell in ihrem sinne durchgreifen.

*

soweit meine ganz persönlichen schwerpunkte einer veranstaltung, die ich als sehr informativ bezeichnen würde. vieles aus den diskussionen fällt hier leider, wie schon erwähnt, unter den tisch - trotzdem hoffe ich, dass Sie jetzt einen brauchbaren eindruck bekommen haben.

noch eine anmerkung: während der beitrag beim schreiben immer länger wurde, habe ich mich spontan entschlossen, ihn entgegen meiner ursprünglichen absicht zu einem basis-beitrag zu machen. das liegt einfach daran, dass er jetzt rund um das thema kriegstrauma so viele hinweise und hintergründe enthält, dass ein weiterer entsprechender beitrag aus meiner sicht unnötig viele wiederholungen aufweisen würde. den anspruch nach völliger inhaltlicher abdeckung eines themas habe ich einerseits eh nicht, andererseits könnte ich ihn in diesem rahmen hier auch unmöglich erfüllen. informationen, die bestenfalls zu eigener weiterbildung ermuntern, sollten jedenfalls genügend vorhanden sein. ebenfalls ein eindruck von der vorhandenen vielschichtigkeit des themas, was auch die relevanz für (nicht nur) unsere historische und aktuelle gesellschaftliche entwicklung betrifft.

und noch ein ps: das thema der kriegstraumata innerhalb von "zivilbevölkerungen" (ein wort, welches ich immer etwas seltsam finde) bleibt natürlich auf der agenda kommender beiträge. speziell für deutschland habe ich diesen bereich allerdings schon früher bearbeitet, siehe den link oben im text zur "vegetativen dystonie".

Mittwoch, 25. Februar 2009

basis: traumageschichte(n) 5 - tradierte traumata - eine mail

die im folgenden (mit einverständnis) dokumentierte mail stammt von einer frau, die sich seit jahren mit dem existenziellen erbe auseinandersetzen muss, als kind in eine familie hereingeboren worden zu sein, in der die erwachsenen eltern unbegriffen und unaufgearbeitet ihre eigenen schäden aus ns-zeit, weltkrieg und nicht zuletzt auch der "ganz normalen erziehung" an ihr ausagiert haben. als kind erlebte sie innerhalb der familie emotionale vernachlässigung, körperliche gewalt und sexualisierte gewalt.

mit welcher dynamik und mit welchen (gesamtgesellschaftlichen) folgen tradierte traumata wirken, macht der folgende text eindrucksvoll deutlich, der sich auch als vertiefung und ergänzung zum beitrag der traumareihe bezgl. der "sehr deutschen" pseudodiagnose
vegetative dystonie lesen lässt. die erwähnte gesprächspartnerin der frau ist eine fachärztin für psychiatrie & neurologie.


Hallo ....

ich hatte heute nacht schlimme Albträume. wenn du weiter liest, wirst du auch verstehen, warum. Ich möchte dir etwas von dem Gespräch mit Frau M.erzählen, weil es mich so sehr beschäftigt. Kann sein, dass ich es noch nicht so gut ausdrücken kann, weil es noch so sehr in mir wogt.

Vieles darin wird dir vertraut sein, aber vielleicht gibt es auch durch meine Art, Hintergründe verstehen zu wollen und Zusammenhänge herzustellen, doch noch das eine oder andere neue für dich.

Im Gespräch gestern ging es unter anderem um die Generation unserer Eltern, die ihre eigenen, nicht aufgearbeiteten Traumata an uns, ihre Kinder weiter gegeben haben. Meine Geschichte ist zwar individuell, aber sie ist, was die Ursachen dafür und deren Folgen angeht, kein Einzelfall.

Sie sagte, dass unsere Eltern, die als Kinder im 2. Weltkrieg aufgewachsen sind, von ihren Eltern, deren Väter zum grossen Teil als Soldaten am 1. Weltkrieg teilgenommen haben (manche sogar an beiden Kriegen), gelernt haben, unglaublich viel auszuhalten und die eigenen Gefühle nicht zu spüren. Das wurde unseren Eltern durch ihre Eltern "beigebracht". Die Erziehung unserer Eltern durch ihre Eltern war eine brutale Erziehung.

Für die Eltern unserer Eltern war es überlebenswichtig, nichts zu spüren, sonst wären sie an dem, was sie erlebt haben, verrückt geworden. Weil vieles so schlimm war, dass man damit nicht einfach weiter leben kann. Und die Eltern unserer Eltern haben die im Krieg erlebten Grausamkeiten nicht aufgearbeitet, sondern sie haben die erlebte Gewalt an ihre Kinder - unsere Eltern - weiter gegeben, um sich selbst emotional zu entlasten. Durch die Art ihrer Erziehung, in ihrem eigenen autoritären Verhalten, in den brutalen Strafen, in der emotionalen Vernachlässigung ihrer Kinder haben sie die eigene erlebte Gewalt weiter gegeben.

Auch unsere Eltern haben wie ihre Eltern einen Krieg erlebt - als Kinder, sie wuchsen darin auf. Sie haben von ihren Eltern Gewalt durch die Erziehung erlebt (siehe vorheriger Abschnitt). Und auch sie wurden so erzogen, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel auszuhalten. Zusätzlich zu dieser Erziehung haben sie den 2. Weltkrieg als Kinder erlebt, mit allem Furchtbaren und allen Entbehrungen. Diesen haben sie erlebt mit dem in sie durch die Erziehung eingehämmerten: Du sollst nichts spüren. Du musst aushalten.

Und unsere Eltern haben die durch ihre Eltern erlebten Grausamkeiten nie aufgearbeitet und verarbeitet. Sie haben es genau so gemacht wie ihre Eltern: sie haben die erlebte Gewalt an uns weiter gegeben, um sich emotional selbst zu entlasten (was natürlich eine Pseudoentlastung ist, denn ohne Aufarbeitung kann man diese erlebte Gewalt nicht überwinden).

Unsere Eltern haben dann kräftig am Wirtschaftswunder mitgearbeitet. So mussten sie sich nicht auf ihre eigenen Gefühle konzentrieren, die Verletzungen spüren. So haben sie weggeschoben, was notwendig gewesen wäre: die Auf- und Verarbeitung ihrer Vergangenheit. Unsere Eltern hätten die Chance gehabt, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten - auch später noch. Aber die meisten konnten es nicht - und wollten es auch nicht. So haben sie ihren Müll an uns weiter gegeben.

Frau M. sagte, dieser Sadismus, mit dem viele unserer Großeltern ihre Kinder traumatisiert haben - durch die Erziehung beeinflusst von den unverarbeiteten Kriegserlebnissen - sei unvergleichlich. Diesen Sadismus haben auch viele unserer Eltern an uns weiter gegeben / uns zugefügt. Auch heute gibt es noch Traumatisierungen bspw. durch emotionale Vernachlässigung, aber diesen ganz speziellen Sadismus der beiden Kriegsgenerationen gibt es darin so nicht mehr.

Sie sagte: Wenn jemand im Krieg war und das nicht verarbeitet hat, gibt er das als unglaublichen Sadismus weiter. Auch als Kind im Krieg aufgewachsen zu sein und Schlimmes erlebt zu haben, erzeugt Sadismus. Aber wenn jemand selbst als Soldat im Krieg war, bei Gewalttaten zugesehen hat und an Gewalttaten beteiligt war, ist das noch viel schlimmer. Das ist meine Erfahrung hier in der Praxis - die am schlimmsten Traumatisierten sind die Menschen, die solche Eltern haben.

Sie sagte auch: Wenn man das eigene Trauma nicht aufarbeitet und irgendwann verarbeitet, gibt man es weiter.

Nach all dem, was ich gestern im Gespräch erfahren habe, denke ich jetzt:

Unsere Eltern konnten und wollten auch später - in "Friedenszeiten" ihre Gefühle nicht fühlen. Sie haben uns den ganzen Rotz weiter gegeben:

- Die Haltung: Es ist gut, möglichst nichts zu fühlen, möglichst viel aushalten zu können.
Was für eine lebensfeindliche Haltung!!!!!!!!!
- Sie haben an uns die Gewalt weiter gegeben, die sie selbst erlebt haben - als Kinder ihrer autoritären, oft
sehr brutalen Eltern.

Ihre Erziehung bestand darin, dass aus ihnen "brave" Kinder gemacht wurden = Kinder, die keine unbequemen Fragen stellten, Kinder, die aufgefordert waren, taub, blind, stumm und lahm zu sein! In einem solchen Sinne erzogen wuchsen sie im Faschismus auf, erlebten ihn unhinterfragt, waren Teil darin, angepasst, waren "mucksmäuschenstill".

- Als solche fügig gemachten, angepassten, verängstigten Kinder erlebten sie dann auch den Krieg - mit
seinen Gräueltaten und Entbehrungen.

Unsere Eltern haben nichts von ihrer eigenen Vergangenheit aufgearbeitet und verarbeitet - dafür hätten sie all die vielen verleugneten und verdrängten, unglaublich schmerzhaften Gefühle fühlen müssen. So sieht die Bearbeitung eines Traumas aus, anders kann es nicht verarbeitet werden. Schwerstarbeit, ich weiss es!

Unsere Eltern sind diesem schwierigen, schmerzvollen Prozess ausgewichen. Sie haben uns ähnlich erzogen, wie ihre Eltern sie erzogen haben. Sie haben uns ihre eigenen Deformationen weiter gegeben, aufgedrückt. Mit den kämpfen wir jetzt! Diese versuchen wir jetzt aufzulösen! Um aus der Gewaltspirale auszusteigen, um erlebte Traumata, um erlebte Zerstörung nicht mehr weiter zu leben und nicht mehr weiter zu geben. Was für ein Erbe!!!!!!!!!

Und was mich aufregt: Ich habe meine Mutter SIEBZEHN! Jahre lang aktive Angebote gemacht, sich mit den Gewaltstrukturen in unserer Familie, einschliesslich ihrer eigenen an uns weiter gegebenen Gewalt, auseinander zu setzen. Sie hat sich geweigert! Sie hat alles beschwichtigt und bagatellisiert! Sie hat sich nichts vorzuwerfen! Sie ist über alle Kritik erhaben! Kinder haben ihre Eltern nicht zu kritisieren - Punkt!
Das macht mich fassungslos!

Ich sehe mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Ich bin entsetzt! Ich könnte schreien! Das ist unsere Gesellschaft!!!!!!! Und diese Auf- und Verarbeitungsprozesse dauern so lang! Ich erlebe es ja an mir. Und anders kann sich nichts ändern! Sonst wird es immer nur eine Wiederholung geben - in neuen Gewändern. Ist das nicht wahnsinnig???????

Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die RAF, mit der ich als Jugendliche sympathisierte, weil sie sich gegen all das wehrte, was ich damals gefühlt, aber unbegriffen mit meinen Eltern in Verbindung brachte. Frau M. sagte: Die RAF hat versucht, die Geschichte der deutschen Kontinuität zu brechen - aber mit der gleichen Methodik. Sie haben mit der gleichen Brutalität gehandelt, wie sie sie selbst erfahren haben - als Kinder kriegstraumatisierter, sadistischer Eltern. Sie haben versucht, einen Bruch zu machen - die Ideologie war eine andere, aber das Vorgehen darin war genau so gewalttätig und brutal. Sie hätten ihre eigene Geschichte aufarbeiten müssen, mit der Gefühlsverleugnung und -verdrängung brechen müssen! So haben sie etwas davon weiter gegeben, was sie selbst erleben mussten. Die Geschichte der RAF war kein Bruch, sie war eine Fortsetzung. Nur die Ideologie war eine andere.


*

ich möchte dazu nur zwei anmerkungen machen: erstens glaube ich, dass sowohl die wahrscheinlichkeit als auch die zeitliche dauer für und von heilungsprozessen ganz anders aussehen würde, wenn es eine breite und spürbare gesellschaftlich positive resonanz und auch akzeptanz für die elementare wichtigkeit dieser arbeit gäbe.

und zweitens sehe ich den aspekt hinsichtlich der raf ähnlich, halte diesen jedoch als alleinigen hintergrund für zu eindimensional, weil gerade die ersten aktionen der raf mit bezug auf den vietnamkrieg etwas waren, was sich im historischen rückblick sehr wohl als begründet und allgemein menschlich legitimiert betrachten lässt - ohne den spezifisch deutschen hintergrund der raf, der auch in der
kommandoerklärung zu einem ihrer ersten anschläge auf das us-hauptquartier in stuttgart 1972 zum ausdruck kommt, zu vergessen.

tatsächlich war diese institution eine entscheidende koordinierungsstelle für die bombardements, die sich als verbrechen betrachten lassen. und ist eben deshalb auch für den wunsch, dieses verbrechen wirkungsvoll zu stören, die passende anlaufstelle gewesen - immer vor dem hintergrund, dass weder die regierung noch die bevölkerung der damaligen brd willens gewesen ist, hier wirkungsvoll einzugreifen.

tatsächlich aber sind auch die gezogenen vergleiche mit auschwitz und dresden ausdruck einer nicht begriffenen inneren verwirrung seitens der guerilla, die hier gleich mit ihrem beginn ihren psychohistorischen hintergrund deutlich machte. und in diesem verlauf auch noch täter und opfer gleich setzt. nichtsdestotrotz hatten diese vietnambezogenen aktionen der raf einen charakter, der sich primär durch die damalige aktuelle situation entschlüsseln lässt - auch, wenn sie zumindest in hinsicht auf die inneren motivationen der akteure teilweise auf der matrix von ns-zeit und weltkrieg stattgefunden haben.

dazu sollte man sich dann auch einmal die herkunft vieler der ersten aktivistInnen anschauen, die sich der raf anschlossen: einige kamen aus dem
sozialistischen patientenkollektiv heidelberg und waren als - hm, patientInnen mit verschiedenen psychiatrischen diagnosen durchaus repräsentativ für das gesammelte psychophysische elend, das in der alten brd unter dem deckmäntelchen von wohlstand & ordnung jahrzehntelang unter den teppich biederer bürgerlichkeit gekehrt wurde. einige andere kamen aus solchen heimen, in denen kinder & jugendliche mit extrem repressiven und traumatischen methoden direkt aus der "schwarzen pädagogik" bis weit in die 1970er jahre hinein traktiert wurden. der wunsch nach dem bruch und "zurückschlagen" ist von daher durchaus verständlich.

ich möchte aber hier ausdrücklich keine raf-debatte, jedenfalls im ideologisch-politischen sinne, anstoßen - das thema steht in der überschrift, und die raf und ihre geschichte sind dabei - wie sich an der mail erkennen lässt, nicht nur aus meiner perspektive - zwar ein sehr spektakulärer, aber keinesfalls der einzige punkt.

Sonntag, 22. Februar 2009

basis: zum "institutionellen autismus" der wirtschaftswissenschaften aus sicht der postautistischen ökonomie

die derzeitige ökonomische krise ist auch eine krise der bisher dominierenden strömungen der orthodoxen wissenschaftlichen ökonomie, deren prognosefähigkeiten nicht nur grundsätzlich angezweifelt werden müssen, sondern die auch während der laufenden krise mehrheitlich wie das kaninchen vor der schlange erstarrt ist und offensichtlich mit der immer breiter werdenden kluft zwischen ihren modellen und simulationen einerseits sowie der realität andererseits nicht mehr so recht klar kommt.

irgendwann im jahr 2005, als dieses blog schon einige zeit existierte, wurde ich zufällig auf die website des
arbeitskreis postautistische ökonomie aufmerksam, und angesichts dieses begriffs natürlich sofort sehr neugierig. worum geht es denn da?

"Alles begann sehr unspektakulär im Juni 2000 an der Sorbonne in Paris. In einer Petition Autisme-Économie protestierte eine kleine Gruppe von Wirtschaftsstudierenden gegen „autistische Wissenschaft“ im Internet. (etwas unglücklich fomuliert, sie protestierten "im internet gegen...", anmerk. mo) Die unkontrollierte Anwendung der Mathematik und formaler Modelle dürften nicht Selbstzweck sein. Sie forderten Wissenschaft statt Szientismus, Pluralismus statt neoklassischem Monotheismus, empirischen Realismus statt deduktiver Abstraktionen und riefen ihre Professoren auf, die Ökonomik aus ihrem autistischen und sozial unverantwortlichen Zustand zu retten (...). Die Protestierenden forderten eine Économie Post-Autiste (Autisme-Économicie 2001)."


(geschichte des arbeitskreises)

auf der alten webpräsenz des deutschen ablegers des ak (noch zu erreichen über den link rechts in der sidebar) fanden sich in einem grundsatzpapier zur einleitung die markanten sätze:

"Das Menschenbild des Homo Oeconomicus ist autistisch: Die sozialen und kooperativen Wesenszüge des Menschen bestimmen ebenfalls sein Handeln."

das fand ich natürlich schon damals alles äusserst spannend, zumal ich, von einer anderen, eher kritisch psychiatrisch-psychologischen seite her kommend, die beziehungskrankheiten und ihren aus meiner sicht vorhandenen strukturell oder funktionell autistischen kern sowie ihre zusammenhänge mit der gesellschaftsformation, in der sie sich entwickeln, für das blog zum leitthema gewählt hatte. und nicht nur deshalb fand ich sowohl den begriff als auch die dahinterstehenden inhalte der postautistischen kritik bemerkenswert, schienen hier doch menschen aus einem ganz anderen bereich für diesen ähnliche beobachtungen und gedanken gemacht zu haben.

es war dabei zu erwarten und auch notwendig, dass innerhalb der postautistischen strömung zur nutzung des wortes autismus bis heute diskussionen stattfinden, vielleicht inhaltlich denen ähnlich, die ich hier im blog schon an einigen stellen mit offiziell als autistisch diagnostizierten leuten zu meinem verständnis von autismus hatte. bisher wird der begriff bekanntlich sowohl hier als auch bei paecon weiter verwendet, und wie ich finde, aus durchaus berechtigten gründen.

in den inzwischen international agierenden paecon-gruppen kursiert speziell zum thema des vergleichs zwischen klinischem und institutionellem autismus schon seit längerem ein thesenpapier des us-amerikanischen ökonomen
james devine, der das nicht nur hinsichtlich seiner kenntnis der eigenen zunft formulierte, sondern auch als vater eines autistischen sohnes aus ganz eigener erfahrung verständnis von der klinischen seite des autismus besitzt - wobei ich allerdings betonen möchte, der "offiziell" anerkannten. wie ich erst vor kurzem erfreut feststellte, gibt es dieses papier - Psychologischer Autismus, institutioneller Autismus und die Ökonomik - inzwischen auch in deutscher übersetzung. und daraus möchte ich im folgenden ein paar grundlegende dinge zitieren und kommentieren, wobei ich mich dabei auf die punkte konzentrieren möchte, zu denen ich andere ansichten habe - implizit beziehe ich mich dabei vor allem auf diejenigen, die ich im basisbeitrag autismus beschrieben habe.

zunächst zu divines sicht auf den klinischen autismus:

(...)"Als ein in Psychologie interessierter Laie habe ich, beruhend auf Forschung anderer und Gesprächen mit anderen Eltern autistischer oder teilweise autistischer Kinder, ein grundlegendes Verständnis von Autismus erworben. Eine „autistische Erkrankung“ besteht in der Störung sozialer Kommunikation und in Entwicklungsstörungen, die sich in „eingeschränkten, sich wiederholenden und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen und Aktivitäten“ zeigen. In meiner Interpretation sind diese Symptome das Ergebnis eines organischen (neurobiologischen) Problems bei der Sinneswahrnehmung, welches das genaue Gegenteil von Taubheit ist. Anstatt zu wenig zu hören, hört eine autistische Person wahrscheinlich zu viel, da sie unfähig ist Lärm, also Unwichtiges, herauszufiltern. Sie ist nicht in der Lage, die empfangene Information nach Wichtigkeit zu ordnen und sie so verständlich zu machen. Die externen Reize, die von den meisten als normal empfunden werden, scheinen für autistische Personen ein dauerndes Sperrfeuer von Geräuschen zu sein, ähnlich denen, die an der Tafel quietschende Kreide erzeugt. Nicht überraschend, dass sich eine autistische Person die Ohren zuhält, um diesem sinnlosen Missklang zu entgehen. Leider tritt dieses Übermaß an Information bei autistischen Personen nicht nur bei Geräuschen, sondern auch bei allen anderen Sinneswahrnehmungen (Sehen, Schmecken, Riechen, Tasten) und bei internen Empfindungen auf."(...)

ich habe das thema der - aus meiner sicht bei einigen autismus-formen bzw. betroffenen - durchaus vorhandenen reizüberflutung mit der folge des abschottens der jeweils betroffenen wahrnehmungsbereiche hier bisher nur am rande erwähnt; speziell in der wahrscheinlichkeit, dass sich hier auch die diagnostischen schnittstellen zum aufmerksamkeitsdefizit(hyperaktivitäts)syndrom ad(h)s finden lassen. für die individuellen und kollektiven implikationen von autistischen zuständen ist es aus meiner sicht erstmal nachrangig, aus welchem grund sich jemand im autistischen spektrum - und das definiere ich weiter als die offizielle sichtweise - befindet, da es im endeffekt zu ähnlichen konsequenzen führt, ob eine reizüberflutung oder aber eine grundsätzliche störung der (selbst-)wahrnehmungsfähigkeiten überhaupt in der form vorliegt, dass sich diese fähigkeiten aus diversen gründen gar nicht oder nur sehr unvollständig entwickeln konnten. die reizüberflutung mag dabei durchaus ein möglicher ausdruck / eine folge der zuletzt genannten konstellation sein.

(...)"Einige Personen, aber längst nicht alle, kompensieren ihre Verarbeitungsprobleme in einem Bereich mit außerordentlichen Fähigkeiten in einem anderen, wie z.B. der Rainman aus dem gleichnamigen Kinofilm. Es gibt außerdem Abstufungen darin, wie stark eine Person von den neurobiologischen Problemen betroffen ist – und darin, wie viele emotionale und intellektuelle Fähigkeiten sie besitzt, um diesen Einschränkungen entgegen zu wirken. Deswegen sprechen Wissenschaftler von dem „autistischen Spektrum“, das Kontinuum vom extremen Autismus, über den high-functioning autism, das Asperger Syndrom, den Borderline Autismus (AS), bis hin zu der bei Professoren, Buchhaltern und Computerspezialisten so verbreiteten Einzelgängermentalität.

Personen aus dem autistischen Spektrum neigen dazu, sich von der Außenwelt zu isolieren, haben Probleme bei der Kommunikation mit anderen, verharren in sich wiederholenden Bewegungen, beharren auf Gleichheit, Wiederholung und Routine und behandeln andere scheinbar als Objekte."(...)


der begriff "borderline autismus" dürfte hier nicht für die art bzw. das modell von simulationsfähigem autismus stehen, wie es von j. erik mertz entwickelt wurde und für mich eine grundlage bildet, sondern eher als beschreibend im wortwörtlichen sinne für die asperger-variante - in den grenzgebieten zwischen schon autistisch und noch vorhandener psychophysischer gesundheit. so jedenfall verstehe ich den satz. das wort "scheinbar" jedoch würde ich vor dem hintergrund solcher
forschungen streichen - diese wahrnehmungsmässige verwandlung von lebendigem in unbelebtes stellt für mich einen höchst problematischen kern der ganzen geschichte dar.

(...)"Menschen mit Autismus haben es sehr schwer damit, nicht nur innerhalb ihrer eigenen Welt zu leben, unabhängig davon, wie freundlich die soziale Umgebung ist.

Es überrascht deshalb nicht, dass eine autistische Mutter, die ich kenne, ihren zwei autistischen Kindern erklären musste, dass es „da draußen“ etwas gibt, das sich „Gesellschaft“ nennt, mit Normen und Sitten, die sie lernen und befolgen müssen. Menschen aus dem autistischen Spektrum erleben Baroness Thatchers Hypothese, wonach es so etwas wie Gesellschaft nicht gibt, sondern nur Individuen, als selbstverständlich."


ach ja, die thatcher - "There is no such thing as society, only individual men and women and their families" - auch, wenn im originalzitat vor society noch "free" gestanden haben mag, ändert das aus meiner sicht wenig an der tatsächlichen aussage, die sich, wie devine deutlich macht, tatsächlich als ausdruck strukturell autistischer wahrnehmung begreifen lässt. und in der überlieferten form zum kernbestand neoliberaler ideologie gehört. und das "lernen und befolgen müssen" sozialer regeln wird bei simulationsfähigen autistischen menschen wie bspw. temple grandin zu einer art theaterspiel, dazu mehr im oben verlinkten basisbeitrag autismus.

aufgrund des sich hier implizit bereits andeutenden, aber von devine nicht weiter verfolgten problems der simulation bei strukturell autistischen zuständen kommt er aus meiner sicht bei seinen nächsten ausführungen - und wir begeben uns jetzt in das gebiet der ökonomischen wissenschaften - auch zu einem fehlschluss:

"Dass orthodoxe Ökonomen a priori mit der Hypothese von Thatcher einverstanden sind – beispielsweise das verbindliche Einverständnis mit dem methodischen Individualismus – legt den Schluss nahe, dass der Homo oeconomicus (HO) aus dem Textbuch autistisch ist. Zum Beispiel haben autistische Personen, wie der HO, häufig Präferenzen, die kaum von ihrer sozialen Umgebung beeinflusst sind (oder zumindest für frustrierte Eltern oder Partner so scheinen). Aber es gibt entscheidende Unterschiede. Erstens sind Probleme bei der Informationsverarbeitung, anders als bei normalen Personen und beim HO, entscheidend für Autismus, wie bei Herbert Simons bounded rationality. Zweitens haben Menschen mit Autismus, anders als der HO, aber wie normale Menschen auch, ein Bewusstsein, werden von mentalen und emotionalen Konflikten zerrissen und wünschen sich sozialen Kontakt zu anderen Personen, wenn sie dazu in der Lage sind."

und in einer fußnote zum abschnitt heißt es:

"Abgesehen davon, dass dem HO ein Bewusstsein fehlt ist er nicht sozio- oder psychopathisch, denn eine Person mit asozialem Charakter benutzt die Gesellschaft meist für ihre eigennützigen Ziele. Das verdeutlicht, dass es ein Verständnis von Gesellschaft gibt, das weder der HO noch eine autistische Person besitzt."

hier sehe ich gleich mehrere punkte grundlegend anders: erstens ist das konstrukt des HO (ich bleibe mal bei dieser abkürzung) tatsächlich auf eine mechanistische art der instrumentellen rationalität sowie die behauptung eines "natürlichen" und extrem egozentrischen eigennutzens gebaut, wobei letzterer dann im angeblichen zusammenspiel bzw. der konkurrenz mit den eigennützigen anderen für eine optimale leistungsentfaltung sorgen soll. dabei ist jedes verständnis für sinn und notwendigkeit sozialer beziehungen, ja überhaupt die wahrnehmung der eigenen untrennbaren eingewobenheit in die menschliche gesellschaft, extrem reduziert bis nicht vorhanden. das aber beschreibt wesentliche merkmale des klinischen soziopathen, der gerade letzteres aufgrund gestörter und/oder nicht vorhandener entsprechender wahrnehmungsfähigkeiten tatsächlich nicht als realität erkennen kann - aber aufgrund seiner psychophysischen ausstattung kompensatorisch soziales verhalten simulieren, so tun als ob, kann. das lässt sich zweitens durchaus als "problem der informationsverarbeitung" sehen. und drittens besitzt der soziopath tatsächlich eine art von verständnis der gesellschaft, die aber in ihrem wesen auf ein objektivistisches und konstruktivistisches "verständnis", also letztlich auf ein konstrukt bzw. eine simulation hinausläuft. und das hat mit einem authentischen verständnis der gesellschaft bzw. der sozialen beziehungen, die eine gesellschaft eigentlich ausmachen, nichts zu tun. der soziopath simuliert die gesellschaftlichen regeln für sich aus einem anpassungsdruck heraus, um über die runden zu kommen und nicht auffällig zu werden (wenn er denn eine gewisse intelligenz besitzt, die ihm den qualitativen unterschied zwischen ihm und anderen menschen deutlich macht).

die unterschiede zum "klassischen" autismus sehe ich einerseits im grad der fähigkeit zur simulation, die bei soziopathen tatsächlich extrem ausgeprägt sein können. andererseits sind die, wie fragmentarisch auch immer ausgebildeten, wünsche nach sozialität bei autisten ein weiterer, wenn nicht sogar der entscheidende, unterschied, an dem sich die soziopathie vom "offiziellen" autistischen spektrum trennt. von daher ist die abwehr von als autistisch diagnostizierten auf den vergleich mit der soziopathie zwar einerseits verständlich und auch berechtigt, wenn man nur auf der eben skizzierten ebene vergleicht. gehe ich aber - wofür es in meinen augen gute gründe gibt - auf eine andere ebene, so erscheint auch die simulationsfähige, aber komplett beziehungsunfähige soziopathie als ein strukturell autistisches phänomen, wobei der autismus hier eben als synonym für für weitgehende bis totale beziehungsunfähigkeit steht. die sich daneben funktionell wenn nicht aus den gleichen, dann doch aus sehr ähnlichen gründen wie bei "klassischen" autisten entwickeln dürfte - auch, wenn sich der soziopath später ganz anders entwickelt und auch in der gesellschaft ganz andere rollen einnehmen kann. dazu auch:
als-ob-persönlichkeiten - leben als totale simulation.

kurz: das problem der einordnung des konstrukts "homo oeconomicus" als autistisch oder nicht ergibt sich ebenso wie die frage nach der soziopathischen qualität dieses konstrukts nur dann, wenn es weder einen begriff von strukturellem autismus noch einen von den fähigkeiten zur simulation im menschen gibt. mit den beiden begriffen hingegen ist die einordnung nicht nur möglich, sondern sogar zwingend.

"Statt autistisch zu sein, ist der HO eher roboterartig bzw. kybernetisch. Die Anwendung dieses eindimensionalen Menschenbildes in der Theorie passt zu einer Wissenschaft, die auch unter „institutionellem Autismus“ leidet (siehe unten). Jemand mit Autismus behandelt andere Menschen wahrscheinlich, als wenn sie Möbelstücke oder Automaten sind. Anders gesagt, vermisst die dominante Vorstellung von ökonomischen Wissenschaftlern eine „Theorie des Verstands/Geistes“. Das bedeutet, dass die, die den HO als theoretisches Modell verwenden, wie autistische Individuen auch, „nicht verstehen, dass andere Menschen ihre eigenen Pläne, Gedanken und Ansichten haben ... und Schwierigkeiten beim Verstehen von Überzeugungen, Haltungen und Emotionen anderer.“(...)

den ersten satz verstehe ich nicht als widerspruch, wenn ich mir klar mache, dass die für strukturelle autistische zustände kompensatorische instanz in uns allen, der objektivistische modus, durchaus ähnlich wie ein computer arbeitet - und gerade die teils autistischen savants mit ihren einzigartigen fähigkeiten wie fotografischem gedächtnis bzw. der verblüffenden informationsverarbeitung in einem einzigen beschränkten bereich bei gleichzeitig vorhandener weitgehender sozialer behinderung zeigen aus meiner sicht ganz gut funktion und arbeitsweise diese modus wie in einem kleinem fenster an.

aber inzwischen sind wir bei devines betrachtung der institutionellen autistischen tendenzen innerhalb seiner profession angelangt, und das finde ich ebenfalls durchaus aufschlußreich. ich überspringe dabei ein paar seiten, auf denen er weitere vergleiche sowohl zwischen vorherrschenden ökonomischen postulaten / methoden als auch den ökonomen persönlich und dem klinischen autismus vornimmt, weil ich hier grundsätzlich die verhältnisse - mit dem verweis auf das, was ich oben geschrieben habe - ähnlich sehe. in einem nächsten schritt macht devine ebenfalls berechtigt darauf aufmerksam, dass es womöglich - analog den diagnostischen unterscheidungen im klinischen autistischen spektrum - auch nichts schaden kann, die autistischen tendenzen in der ökonomik ebenfalls mit einem solchen raster zu betrachten:

(...)"Wie bei psychologischem Autismus auch, existiert ein Spektrum an Abstufungen. Der extreme Autismus, der zu einer Abschottung von der sozialen Umwelt führt, kann am deutlichsten in der spezifischen, hoch abstrakten und axiomatischen („Bourbakist“) Schule gesehen werden, gegen die die Studierenden protestierten. Weiter in Richtung Mitte des Spektrums findet sich mit der Betrachtung der Welt als ein Objekt der eigenen Lehrtätigkeit oder Machtausübung eine Herangehensweise (wie beim Asperger Syndrom), für die der Internationale Währungsfond (IWF) exemplarisch ist. Der IWF wendet die gleiche vorgefasste Vorstellung eines idealen Marktes (und die gleichen neoliberalen Politikmaßnahmen) auf jedes Land an. Am anderen Ende des Spektrums stehen all die Ökonomen, die für Regierungen, Unternehmen, Stiftungen und auch Gewerkschaften arbeiten. Die Tatsache, dass diese Institutionen der „realen Welt“ bereit sind, für diese Ökonomen zu bezahlen, zeigt, dass die soziale Vernetzung der Ökonomen für ihre Aufgabe ausreicht. Sie mögen zwar abstrakte Mathematik oder Ökonometrie verwenden, aber es wäre verleumderisch ihnen das autistische Etikett anzuhängen.

Dass es Abstufungen im Autismus gibt, heißt aber nicht, dass der wissenschaftliche Betrieb selbst weniger autistisch sei. Die autistische Ökonomik der „Bourbakists“ und ihrer angloamerikanischen Gegenstücke oder des IWF’s und ähnlicher Organisationen stellen den am meisten privilegierten Teil des Berufsstandes dar, dem „junge geschäftstüchtige Ökonomen auf der Karriereleiter“ gerne nacheifern möchten. Deswegen werden die „großen Namen“ der ökonomischen Institutionen, wie der Fachzeitschriften, Universitäten, Berufsorganisationen und Lehrbücher, von autistischen Tendenzen dominiert.(...)"


nun, an den punkt, den iwf als ein institutionelles äquivalent zu einer asperger-person zu betrachten, bin ich bisher nicht gekommen - andererseits hat das durchaus was für sich, wenn ich mir die kernthese des films "the corporation" in erinnerung rufe, in der anhand des besonderen juristischen status von us-konzernen als juristische personen diese sich den vergleich anhand der üblichen diagnostischen kriterien für soziopathen gefallen lassen müssen, und dabei dann auch als solche klassifiziert werden (das das auch eine menge über das zugrundeliegende ökonomische - kapitalistische - und politische, demokratiesimulierende system aussagt, deutet der film leider nur implizit an).

ich kann aber beim obigen spektrum, das divine skizziert, dem letzten teil nicht zustimmen. eine authentische "soziale vernetzung" der betreffenden ökonomen daran festzumachen, dass sie von diversen institutionen für ihre arbeit bezaht werden - hallo? wenn es darüber hinaus auch noch reale soziale persönliche kontakte und beziehungen gibt, ist das was anderes - aber gerade das benannte kriterium ist durchaus kein maßstab für das vorhandensein authentischer sozialität.

ich überspringe jetzt wieder einen weiteren teil, in dem sich divine speziell mit dem einfluss der mathematischen modelle sowie den internen hierarchischen strukturen im wissenschaftsbetrieb und ihren selektierenden mechanismen befasst, und komme zu einem anderen punkt:

(...)"Der institutionelle Autismus der Ökonomik muss in seinem sozialen Kontext betrachtet werden. Der ökonomische Wissenschaftsbetrieb kann nicht ohne seine Abgrenzung zu den anderen Sozialwissenschaften verstanden werden. Während des letzten Jahrhunderts hat sich die ökonomische Wissenschaft über die Abgrenzung zu anderen Wissenschaften definiert. Diese Tatsache hat, im Zusammenspiel mit ihrer selbstzufriedenen Anwendung der mathematischen Kunst, dazu geführt, dass Ökonomen über andere Disziplinen, insbesondere über die Sozialwissenschaften, spötteln (so wie sich die Hutmachergilde über die einfachen Arbeiter lustig machte) – oder sie versuchen die Sozialwissenschaften zu erobern, wie es Becker und seine Schule versucht. In jedem Fall geht der Fluss an Informationen von der Ökonomik zu anderen Fachgebieten und nicht umgekehrt. Dieses elitäre Denken im Stil des Asperger Syndroms führt dazu, dass der Berufsstand eine ganze Reihe an Fragen und Teilen der Gesellschaft von ihrer Analyse ausschließt. Damit werden die empirischen und theoretischen Informationen, die Ökonomen für ihre Arbeit zur Verfügung stehen, eingeschränkt, um Ordnung in die komplexe und konfuse Wirklichkeit zu bringen. Das ermöglicht Ökonomen an ihren geliebten Voraussetzungen, wie unrealistisch sie auch sein mögen, festzuhalten."(...)

das lässt sich auch als klassische komplexitätsreduktion betrachten, wie sie bei individuen sowohl beim normalen als auch pathologischen funktionieren des objektivistischen modus beobachtet werden kann. was nicht weiter verwunderlich ist, ist das doch eine der hauptaufgaben dieses werkzeugs: ordnung schaffen, um in der (scheinbar) geordneten welt überleben zu können.

ich finde ja die andockpunkte vom bereich der ökonomischen wissenschaften hin zu den beziehungskrankheiten und ihren gesellschaftlichen voraussetzungen, wie sie teils von devine, wenn auch unter etwas anderen prämissen, beschrieben werden, eigentlich augenfällig. dazu kommt noch ein aspekt, den ich hier nicht zitiere: es geht um den von ihm konstatierten neid der wissenschaftlichen ökonomie auf die "exakte" physik, die mit ihren jeweils wie in stein gemeisselten ergebnissen und ihrem anspruch an verifizierbarkeit eigentlich für die meisten wissenschaftlichen disziplinen als mehr oder weniger unausgesprochenes leitbild gilt. nun hat aber auch die physik ihre beziehungskranken leichen im keller; eine davon habe ich in der vergangenheit unter dem namen
isaac newton näher beschrieben, dessen leben und weltwahrnehmung in gewisser hinsicht als paradigmatisch für die westliche kultur angesehen werden kann. aus dieser perspektive kann der verfassung nicht nur der ökonomischen wissenschaft nicht nur nicht überraschen, sondern stellt sich als eine art fataler zwangsläufigkeit dar. ich erwähne das deshalb, weil mir der hinweis wichtig erscheint.

eine art fazit von devine:

(...)"Die Neoklassik kann durch das Festhalten an folgenden Prinzipien charakterisiert werden: (1) häufige Anwendung mathematischer Methoden, (2) Utilitarismus und methodologischer Individualismus, (3) Gleichgewicht, (4) Naturalismus und (5) Positivismus.18 Nicht zu vergessen, zeichnet sich das neoklassische Ideal dadurch aus, dass (6) alle menschlichen Handlungen als von Märkten organisierter Tausch gesehen werden, entweder als realer oder als modellhafter.

Im Sinne der vorherigen Diskussion spiegeln alle diese Punkte, zumindest in Teilen, die autistische Geisteshaltung der Ökonomen wider. Die zwei zuerst genannten Punkte wurden bereits diskutiert. Die weiter unten in der Liste stehende Fixierung auf gleichgewichtige Zustände scheint ein Symptom völlig autistischer Denkweisen zu sein, bedenkt man, dass wir in einer kapitalistischen Gesellschaft leben, in der endogene Veränderungen – manchmal sehr drastische, wie beispielsweise große Finanzkrisen – die Normalität darstellen. Damit in Zusammenhang steht Punkt (4), also die Ansicht, dass von Menschen erschaffene Institutionen wie Märkte, genauso wie individuelle Präferenzen und Technologie, zu „Naturkräften“ reduziert werden können. Dabei wird die Komplexität und Künstlichkeit von menschlichen Institutionen abstrahiert oder vergessen. Der Positivismus, also die Überzeugung, dass eine wertfreie Forschung erreichbares Ideal sei, dass der Beobachter von dem System, dessen Teilnehmer er ist, nicht beeinflusst würde und dass ernsthafte philosophische Reflexion unnötig sei, stimmt ebenfalls mit generellen autistischen Verhaltensmustern überein.

Die Betonung von Märkten und Tausch – im Gegensatz zu anderen menschlichen Institutionen wie Tradition, demokratische Kooperation und Hierarchie – sind eindeutig Teil der Welt, in der Ökonomen leben und lernen. Auch wenn die neoklassische Vorstellung von Tausch und Märkten übermäßig vereinfacht, idealisiert, formalisiert, statisch und individualisiert ist (alles Symptome autistischer Verhaltensweisen), gibt uns die Tatsache, dass auch Ökonomen von realweltlichen Problemen berührt werden, einen Hoffnungsschimmer."(...)


naja, was den letzten satz anbelangt, so sehe ich bei betrachtung der aktuellen reaktionen von diversen ökonomen diesen schimmer bisher nicht. sie sind nicht nur von der realität "berührt" worden, eher ist die realität wie ein riesiger meteorit in all ihre luftschlösser eingeschlagen. dabei könnte die ökonomik durchaus ihren beitrag zu einer sozialeren und emanzipativen entwicklung der menschlichen welt leisten - was sieht divine für heilmittel?

(...)"Wie kann nun der ökonomische Wissenschaftsbetrieb von seinem institutionellen Autismus geheilt werden? Es wird wohl keinen überraschen, dass es keine einfache Lösung gibt. Die Beharrlichkeit autistischer Symptome (wie sie von den französischen Studierenden beschrieben wurden) hat seinen Grund in der Hierarchie und dem Konkurrenzmechanismus, der den Aufstieg regelt. Dieser Autismus wird durch die Verweigerung der gleichberechtigten Kooperation mit anderen sozialen Wissenschaften noch unterstützt bzw. verstärkt. Zusätzlich zu Bemühungen, unnötige Hierarchie und Konkurrenz loszuwerden, können Außenseiter und Abweichler den Berufsstand eventuell in seiner Entwicklung vorantreiben und so den Solipsismus verringern. Diese Anstrengungen werden vielleicht durch den Lauf der Dinge unterstützt, so wie beispielsweise der Schock durch die Große Depression den Berufsstand ein Stück von der Neoklassischen Ökonomik zu Keynes verschoben hat. Auf jeden Fall muss die Bemühung, den Berufsstand in eine aktive Auseinandersetzung mit der Realität einzubinden, im Mittelpunkt stehen.

Aber solche Kritik aus empirischer Sicht reicht nicht aus. Genauso wie eine autistische Person Hilfe braucht, um die Realität zu verstehen, braucht es eine Theorie, um eine andere abzulösen. In den meisten Fällen bedeutet das nichts anderes, als dass wir eine der Neoklassik überlegene Theorie benötigen, die die empirisch ermittelte Realität besser versteht und erklären kann. Diese Theorie wäre sich der Grenzen der sinnvollen Anwendung mathematischer Methoden bewusst, würde die Heterogenität der Wirklichkeit umfassen, würde ein tieferes Verständnis der Psychologie beinhalten, würde die Ökonomik als pfadabhängige Entwicklung begreifen, institutionelle Aspekte untersuchen, den Anspruch auf eine ungerechtfertigte wissenschaftliche Objektivität aufgeben und es vermeiden, alle Aktivität auf den Tausch zu reduzieren. Dazu müsste sie von anderen sozialen Wissenschaften dazulernen."(...)


also mit anderen worten: weitgehende interdisziplinarität, eigene bescheidenheit bezgl. des wissenschaftlichen anspruchs sowie ein ordentlicher schuß wissen um das menschliche psychophysische funktionieren in kombination mit einer internen grundsätzlichen neustrukturierung. und da das forderungen sind, die aus meiner sicht auch an viele andere gesellschaftlich relevante wissenschaften zu stellen wären, würde ich vorschlagen, diese punkte einfach mal als eine der nötigen konsequenzen festzuhalten, die gesellschaftlich als lehre aus der aktuellen systemkrise zu ziehen sind.

Freitag, 31. Oktober 2008

basis: wie das system auf einem soziopathischen menschenbild beruht (2)

(zum ersten teil)

*

der eine oder die andere mag sich ja über die thesen am ende des ersten teils gewundert haben, darum dazu ebenso noch ein nachtrag wie auch zu einer frage, die mich außerhalb des blogs zum text erreicht hat.

"privateigentum" ist eine halluzination, die sich nur mittels gewalt materialisieren lässt.

was angemerkt werden sollte: es handelt sich dabei um eine kollektive halluzination, die strukturell meiner meinung nach ähnlich funktioniert wie die beiden anderen großen virtuellen gebilde. die bis heute in der westlichen welt eine systemtragende rolle spielen. gemeint ist "gott" (als synonym für die hier verbreiteten monotheistischen religionen), und zum anderen die "nation". eine ausführlichere diskussion bezgl. der halluzinatorischen aspekte der letzteren ist
hier nachzulesen; ebenfalls sind in den arbeiten von klaus theweleit ein paar aufschlußreiche hinweise verstreut (wie zb. die anthropologische beobachtung, dass die mitglieder bestimmter stämme in tropischen regionen die verletzung ihrer (virtuellen) "territorialen" gebietsgrenzen umstandslos als verletzung ihrer realen körpergrenzen wahrnehmen und entsprechend reagieren. ich kann das gerade nicht weiter ausführen, ebensowenig wie eine genauere betrachtung der halluzination "gott". interessierte seien dazu bspw. auf die arbeiten von lloyd deMause verwiesen.

zum begriff der pathologischen ich-struktur kam dann eine frage, die sinngemäß die befürchtung enthielt, ob ich irgendwann einmal das "ich" generell pathologisieren würde.

generell auf absehbare zeit jedenfalls nicht ;-)

aber im ernst, die heute dominierenden ich-strukturen (nicht nur) in den westlichen gesellschaften haben sich aus meiner sicht in einem wechselseitigen prozeß von anpassung (nach innen) und beeinflussung (nach außen) mindestens zu einem großen teil per selektion entwickelt, und wenn dieser prozeß in einem strukturell destruktiven gesellschaftlichen umfeld stattfindet, dann ist die antwort auf die frage nicht schwer zu geben, wie diese ich-struktur(-en) dann aussehen werden. und für diese art der (anscheinend) stinknormalen, weil gewöhnten "ichs" bevorzuge ich schon das attribut pathologisch, weil ich sie als (zwangsläufiges) produkt pathologischer sozialstrukturen ansehe. andere historische epochen kannten auch zumindest teilweise ihre eigenen und qualitativ anderen ich-strukturen, womit noch nichts über die jeweils eigene pathologie derselben gesagt wäre.

und ja, zumindest fiktiv kann ich mir auch eine psychophysische menschliche struktur vorstellen, in der eine ich-struktur nach heutigem verständnis nur noch eine sehr begrenzte und nachrangige rolle spielen würde. aber das ist ein anderes thema.

*

weiter im freitagstext (den link dazu gibt´s im ersten teil):

(...)"Der Mensch ist für den Kapitalismus also wie geschaffen. All seine Bestrebungen sind "ökonomischer" Natur, wenn auch mit biologischem Endziel. So ließe sich letztlich alles, was der Mensch tut, irgendwie in die Sprache der Biologie oder der Wirtschaftswissenschaft übersetzen. Wie Menschen auch immer handeln: ob sie sich lieben, Gedichte schreiben oder ein Kind adoptieren; - immer verfolgen sie das Ziel einer eigensüchtigen Nutzensmaximierung. Eine Mutter "investiert" ihre Mutterliebe als "Anlagekapital" in einen Sohn, um dadurch eine "Dividende" in Form ihres Reproduktionserfolgs und vielleicht ihrer Altersversorgung einzufahren."(...)

ist es wirklich nötig zu erwähnen, dass die erste reaktion auf leute, die derartiges ernsthaft vertreten, nur darin bestehen kann, ihre wahrnehmungsfähigkeiten genau unter die lupe zu nehmen? denn da liegt die eigentliche quelle eines solchen menschenbildes, welches die in dieser reduzierten wahrnehmung befindlichen für bare münze nehmen müssen, weshalb auch eine argumentative wiederlegung faktisch unmöglich ist. denn hier geht es um eine art von wissen, die nur mit voll vorhandener subjektivität (incl. den entsprechenden wahrnehmungsfähigkeiten) als realität vorhanden sein kann. liebe ist - in der vollen subjektiven bedeutung - etwas zweckfreies, d.h. eben nicht objektivierbar. und genau diese zweckfreiheit ist etwas, für dessen wahrnehmung der objektivistische modus weder geeignet noch vorgesehen ist - er hat eine recht gut eingrenzbare sonderfunktion in der menschlichen struktur, ist dafür auch bestens ausgerüstet und hat deswegen den im ersten teil erwähnten werkzeugcharakter. aber in einer pathologisch bedingten monopolfunktion bezgl. der wahrnehmung eines menschen produziert er unabwendbar diverse arten von teils krass realitätswidrigen konstrukten und als-ob-zuständen, zu denen dann auch solche ansichten wie im obigen zitat zu rechnen sind - objektivistische logik. und da diese logik eben bis heute den wichtigsten baustein für die westlichen (natur-)wissenschaften darstellt, überrascht die bereitwillige unterstützung solcher konstrukte aus dieser ecke kein stück. die gleiche reduktion ist am werk. aber es gibt erfreulicherweise anzeichen, dass eben diese objektivistische logik sich selbst mittels ihrer eigenen, objektivistisch ermittelten ergebnisse zu widerlegen beginnt:

(...)"Neuerdings ist dieses Menschenbild jedoch ausgerechnet in die naturwissenschaftliche Kritik geraten. Alles schien so schön zusammenzupassen: die Evolutionsbiologie mit den Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften und diese wiederum mit den realen Anforderungen der neoliberal interpretierten Ökonomie. Neuere Erkenntnisse der Genetik und Neurobiologie weisen nun darauf hin, dass auch das Gegenteil der dort aufgestellten Behauptungen richtig sein könnte. Es handelt sich um die Rolle der so genannten "reward systems", der Motivations- oder Belohnungssysteme im menschlichen Gehirn.

Bei Menschen wie bei allen Säugetieren wird nämlich, wenn sie angenehme Erfahrungen machen, der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet, der ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit erzeugt und den Organismus in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft versetzt."(...)


das sich hier durch die hintertür dann doch wieder per "belohnungssysteme" eine objektivistisch und ökonomisch verseuchte begrifflichkeit einschleicht, ist zwar ärgerlich, mag aber für den moment als symptom der vorhandenen wissenschaftlichen selbst- und fremdwahrnehmung stehenbleiben. eine tatsächlich subjektorientierte und -bezogene wissenschaft wird ihre eigenen begrifflichkeiten entwickeln, die inhaltlich meiner vermutung nach in vielen fällen sogar treffender sein wird.

"Wann aber erfolgt eine solche körpereigene Belohnung? Geschieht es, wenn wir im "struggle for life" unsere egoistischen Ziele gegen andere durchsetzen konnten?(...)

Das mag gelegentlich der Fall sein. Doch zu einer Aussage über die Natur des Menschen reicht es aufgrund dieser neueren Forschungsergebnisse nicht aus. Regelhaft und mit großer Sicherheit sind wir dagegen glücklich, wenn wir eine gute und befriedigende Beziehung zu anderen Menschen aufbauen konnten, wenn wir erfolgreich eine soziale Bindung eingegangen sind. Der Freiburger Mediziner und Genetiker Joachim Bauer sieht den Kern aller Motivation darauf gerichtet, "zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben. Wir sind - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen."(...)


und mit dem letzten satz sollte man unsere straßen, häuser, schulen, unis, behörden u.a. vollplakatieren. ich finde es immer sehr bedauerlich, dass sich gerade die linke in all ihren variationen den in diesem satz komprimierten und geradezu revolutionären erkenntnissen der neuroforschung (und auch der genforschung, die erst kürzlich die interaktionen von genen mit den sozialen bedingungen entdeckt hat) bis heute komplett verweigert, obwohl sich darin nichts weniger als die tatsache ausdrückt, dass den herrschenden strukturen & ideologischen grundlagen des systems damit ihre bisherige wissenschaftliche bemäntelung entrissen wird. für marxisten bedeutet das zb., dass sich hier eine materiell-körperlich begründete und wissenschaftlich fundierte basis für einen freiheitlichen kommunismus entwickeln und begründen lässt. und für eher anarchistisch angehauchte (wie mich) wird damit das bisherige völlig pervertierte menschenbild hierarchischer gesellschaften vom kopf auf die füße gestellt, mit den gleichen optionen wie gerade geschrieben.

"Neben Dopamin und gewissen körpereigenen Opioiden ist dafür ein bedeutsamer "Wohlfühlbotenstoff" verantwortlich, das Oxytozin."(...)


mehr zum oxytocin auch
hier. es ist vor dem hintergrund der aktuellen forschung ebenfalls ganz beruhigend zu wissen, dass sich erste ansätze, solches wissen in irgendeiner form zur stabilisierung des kapitalismus einzusetzen, vorläufig zerschlagen haben:

(...)"Investoren mit einer Oxytocin-Zufuhr gaben ihren Partnern deutlich mehr Geld. Wie es scheint, steuert das Hormon, ob wir einem Menschen vertrauen oder nicht.

Die Eine-Million-Euro-Frage: Würde es nun die Wirtschaft ankurbeln, wenn alle Deutschen täglich Oxytocin schnüffelten? So weit wollen sich die Forscher noch nicht aus dem Fenster lehnen. »Wir wissen nicht mal, wie lange das Hormon wirkt. Ein paar Minuten? Eine halbe Stunde?«, bremst der Kalifornier Paul Zak. Unklar sei auch, wie stark das Hormon die Entscheidung des Gehirns beeinflusse. »Sprechen triftige Gründe dagegen, einem Menschen zu vertrauen, wird uns das Oxytocin jedenfalls kaum umstimmen«, vermutet Zak."(...)


was einem produkt wie
liquid trust hoffentlich auch weiterhin ein nischendasein bescheren wird.

weiter im artikel:

(...)"Damit geraten einige Grundannahmen des soziobiologischen und neoliberalen Menschenbildes ins Straucheln. "Definitiv falsch", so Bauer, sei die Annahme, dass Gene gegeneinander konkurrieren. Die bedeutende amerikanische Biologin Lynn Margulis ist der Meinung, Begriffe wie "Konkurrenz" und "Überlebenskampf" seien menschliche Konstruktionen, die aus dem Wirtschaftsleben von außen in die Biologie hineingetragen werden. Die Biologie kenne kein Erfolgsdenken wie es die Wirtschaft beherrscht. Und während die Soziobiologen den Altruismus als eine raffinierte Variante des Egoismus ansehen, behauptet dieser neuere Ansatz umgekehrt, der Egoismus sei, recht verstanden, eine Form des Altruismus, stehe jedenfalls nicht im Gegensatz dazu. Was zunächst egoistisch zu sein scheint, so auch Aggressivität, sei in der Regel darauf gerichtet, auf Umwegen zum eigentlichen Ziel unseres Strebens zu gelangen: die Ausschüttung der ersehnten Botenstoffe - eine Belohnung, die dann eintritt, wenn Beziehungen gelingen und Menschen kooperativ sind."(...)

ich teile die aussagen über den egoismus, wobei das wort inzwischen einen solch negativen klang hat, das ich eher "individualität" bevorzuge, in die ein gesunder egoismus eingebettet ist. davon zu trennen wäre deutlich der egozentrismus, den ich als bezeichnung besser für all das geeignet halte, was normalerweise unter egoismus an destruktivität gesammelt wird. ansonsten finde ich es erfreulich, dass auch der konstruktivistische charakter vieler ideologischer systemstützender aussagen offensichtlich zum thema wird.

*

und dem fazit des ganzen kann ich nur freudig zustimmen:

(...)"Von Hayeks Vorschlag, die Idee der sozialen Gerechtigkeit als Atavismus anzusehen, könnte unter Berücksichtigung der neueren biologischen Forschung sogar umgedreht werden: Sofern die "spontane Ordnung" einer neoliberal interpretierten Marktwirtschaft den Menschen Schwierigkeiten macht, liegt das nicht daran, dass die Menschen an überholten Vorstellungen festhalten. Umgekehrt ließe sich eine Wirtschaftsordnung als "atavistisch" deuten, die auf Prinzipien baut, die noch nie mit der menschlichen Natur harmonierten."(...)

yo!

*

ich habe mich jetzt kürzer gefasst, als ich ursprünglich vorhatte und kann mir vorstellen, dass es einigen leserInnen immer noch unklar sein wird, warum ich diese überschrift für die beiträge gewählt habe. betrachten Sie´s als eine art eigenständige einleitung für den text, an dem ich jetzt schon lange sitze - ein beitrag, der sich speziell mit dem wesen und der rolle der soziopathie in und für die heutige westliche gesellschaft befassen wird. spätestens dann wird die these der überschrift voll verständlich sein.

Freitag, 17. Oktober 2008

basis: auf den punkt gebracht! wie das system auf einem soziopathischen menschenbild beruht (1)

nach all dem sedierenden medienschrott dieser tage endlich ein artikel, der ans eingemachte geht:

"Angesagt wäre eine Humanisierung, beginnend damit, dass der Mensch das negative Bild von sich selbst durch ein positives ersetzt."

die nächsten tage werde ich mehr zeit haben und mich dann ausführlich mit diesem wichtigen beitrag beschäftigen. auch mit der these, dass das selbstbild der handelnden und herrschenden völlig korrekt ist - und gleichzeitig dem rest der menschheit als projektion übergestülpt wird.

*

so, dann steigen wir doch gleich mal ein:

(...)"Bereits von seiner biologischen Anlage her ist der Mensch also ein Tier, das sich grundsätzlich nach dem ökonomischen Prinzip ausrichtet. Sein Gehirn kann als eine Art "Rechner" angesehen werden, der den eigennützigen Vorteil erkennt und die Wege zu dessen Durchsetzung ermittelt. Bekanntlich kann es dabei recht brutal zugehen. Denn das "schmutzige Geschäft der Evolution", so der amerikanische Evolutionspsychologe David Buss, habe dazu geführt, dass wir auch den Mord nicht scheuen, um einen Reproduktionsvorteil wahrzunehmen. "Wir alle sind die Nachkommen einer langen Linie von Mördern und Totschlägern. Mord steckt in uns."(...)

bereits diese zusammenfassenden aussagen, in denen komprimiert das menschenbild bestimmter soziobiologenund genetiker, aber auch von ökonomen (das da oben ist gleichfalls das auf den kern gebrachte konstrukt des "homo oeconomicus") und gewissen politischen strömungen auf den punkt gebracht wird, lassen bei auch nur rudimentärer kenntnis der bisher bekannten psychophysischen menschlichen funktionsgesetze erkennen, was der vermutliche hintergrund solcher wahrnehmung ist:

der vergleich mit dem tier ist zwar meiner meinung nach sachlich nicht komplett falsch (wir tragen evolutionsgeschichtlich ein tierisches erbe in uns), wird allerdings in dem obigen kontext zwangsweise zu einer assoziation mit einer bestimmten spezies unter den tieren führen: den raubtieren. bezeichnenderweise hat von denjenigen, die sich dieser metapher bedienen, i.d.r. niemand zb. irgendwelche sanften pflanzenfresser im sinn.

das eingeführte "ökonomische prinzip" ist im hinblick auf tiere nichts weiter als ein völlig arroganter anthropozentrismus, der sich quasi automatisch in einer erkenntnismässig bevorzugten position wähnt ("krone der schöpfung") und aus dieser position heraus glaubt, die eigenen (verzerrten) erkenntnisse als totales setzen zu können. die erwähnte verzerrung liegt dabei z.t. auch darin begründet, dass das wort ökonomisch in der fraglichen weltsicht letztlich nur als synonym für "eigennutz" verstanden wird.

das gehirn ist bei weitem nicht mit einem "rechner" zu vergleichen, sondern ist primär ein körperorgan, welches mit anderen körperorganen in ständiger interaktion steht und dabei zwar in gewissem sinne koordinierende funktionen erfüllt, aber deshalb nicht in einer wie auch immer geformten hierarchischen konstruktion gedacht werden darf - schon deshalb nicht, weil es keineswegs das einzige neuronale zentrum ist, welches existiert - stichwort
enterisches nervensystem.

das kopfhirn ist untrennbar mit den sinnlichen wahrnehmungen des gesamten körpers verbunden und zu seinem gesunden funktionieren - auch und gerade hinsichtlich der sog. rationalen vernunft - bspw. auf propriozeptive, kinästhetische und allgemein emotionale wahrnehmungen als basis des vernunftsprozesses angewiesen.

bei dem erwähnten "rechner" handelt es sich also keinesfalls um "das" gehirn "an sich", sondern um eine begrenzte funktion für speziell - und in diesem fall liegt das kritisierte modell vermutlich richtig - bedrohliche und potenziell traumatische situationen, und zwar prä-, peri- und postnatal. also tatsächlich ein überlebensmechanismus, der funktional selbstverständlich auf eigennutz gepolt ist (und es für die erfüllung seiner funktion auch sein muss). in diesem blog wird diese funktion auch als
objektivistischer modus bezeichnet - ein spezifischer wahrnehmungszustand, in dem zugunsten einer extrem beschleunigten und extrem reduzierten situativen wahrnehmung v.a. die sonst prägenden körperwahrnehmungen und damit assoziierte emotionen quasi "abgeschaltet" werden, bis das bedrohliche problem für das subjekt gelöst ist. ich habe im verlinkten beitrag in elf punkten die meiner meinung nach entscheidenden merkmale des objektivistischen modus zusammengefasst - bitte lesen Sie´s nochmal, weil es für das verständnis meiner weiteren ausführungen wichtig ist.

wenn der objektivistische modus aus was für gründen auch immer innerhalb eines menschen auf dauer "geschaltet" ist und sich in einer wahrnehmungsmässigen monopolposition befindet, so lässt sich das aus vielen guten gründen als pathologisch, d.h. in ernstem sinne krankheitswertig, begreifen. betroffen ist in diesem falle immer die körperbasierte subjektivität eines menschen; die entsprechenden symptome lassen sich allgemein unter der rubrik beziehungskrankheiten erfassen. extreme beispiele, bei denen dieser modus fast materiell greifbar wird, sind zb. die kleine gruppe der autistischen
savants (der erste teil des beitrags), aber ebenfalls - und gesellschaftlich relevanter - diejenigen, die sich als soziopathen begreifen lassen, und bei denen sich auch signifikante neurophysiologische veränderungen finden - fatale veränderungen, die u.a. eine fast völlig ausfallende angstwahrnehmung sowie empathieunfähigkeit mit sich bringen. beides übrigens zustände, die im falle des falles einen mord aus "überlebensgründen" tatsächlich leichter machen. wenn der objektivistische modus allerdings pathologisch das geschehen beherrscht, so werden ständig situationen als bedrohlich interpretiert, die real gar nicht bedrohlich sind - das ist der hintergrund für latent und manifest paranoide wahrnehmungszustände, wie sie in konstrukten des "ständigen konkurrenzkampfes", "aller gegen alle", und dem angeblichen "gesetz des dschungels" deutlich ausgedrückt werden - alles angeblich "natürliche" bedingungen, die letztlich auch der kapitalistischen ökonomie ideologisch zugrundeliegen. und auch der "evolutionären sicht", die da lautet: "Wir alle sind die Nachkommen einer langen Linie von Mördern und Totschlägern. Mord steckt in uns."

das ist historisch betrachtet leider noch nicht mal falsch - einerseits. andererseits unterschlägt eine derartige sichtweise die tatsache, dass die mörder und totschläger nicht vom himmel gefallen sind, sondern primär das resultat kollektiver und individueller pathologischer sozialstrukturen sind. das lässt sich u.a. durch die psychotraumatologie verifizieren. und damit wird die ganze geschichte veränderbar und bleibt keinesfalls als angeblich unverrückbare natürliche konstante in stein gemeisselt auf alle ewigkeit bestehen. denkfaulheit bzw. -unwilligkeit ist neben allem anderen ebenfalls etwas, was sich sozialdarwinisten und kapitalismusprediger als kritik gefallen lassen müssen.

(...)"Warum gibt es angesichts dieses negativen Menschenbildes aber dennoch so etwas wie Selbstlosigkeit, Liebe und zwischenmenschliche Solidarität? Weshalb helfen sich Menschen gegenseitig, weshalb opfern sie sich sogar in gewissen Situationen für einander auf? Die Antwort der Soziobiologie lautet: Sie tun es aus Eigennutz. Altruismus ist eine raffinierte Form von Egoismus, Selbstlosigkeit im eigentlichen Sinne gebe es nicht.

Dabei stellt sich freilich eine moralische Frage. Sollen wir uns aufgrund dieser genetischen Programmierung möglichst skrupellos und egoistisch benehmen und notfalls auch zum Mord schreiten, falls es uns auf Grund unserer Berechnungen nützlich zu sein scheint? Nein, so lautet die Antwort, Menschen hätten durchaus die Möglichkeit, sich moralisch zu verhalten und nicht unbedingt wie Chicago-Gangster - aber irgendwie natürlich sei es doch."(...)


wuah, wieder mal die moral - dazu
zitiere ich mal selbst:

"moral wird in gesellschaften immer dann gefordert, wenn die selbstregulationsfunktionen individuell und kollektiv bereits so geschädigt sind, dass ein konstruiertes soziales korsett - und nichts anderes stellt eine aufgepfropfte moral dar - als handlungsleitend eingesetzt werden soll."

dementsprechend wirkungslos stellen sich moralische postulate in der realität dar, weil sie schlicht keine verankerung in der psychophysischen struktur eines menschen - die das handeln bestimmt - besitzen. darum erzeugt der nachsatz des obigen absatzes aus dem "freitag" - "aber irgendwie natürlich sei es (sich zu verhalten wie ein verbrecher) doch" - auch sofort eine atmosphärische zwiespältigkeit derart, dass viele menschen dem mit einiger wahrscheinlichkeit klammheimlich zustimmen. was aber lediglich ein indiz unserer kollektiven verkorksheit darstellt.

ganz großes kino ist natürlich die behauptung, altruismus sei nichts weiter als getarnter egoismus - dementsprechend sind also menschen, die ihre kraft, zeit, materiellen ressourcen und vielleicht gar ihr leben für andere einsetzen, die größten egoisten. solche grotesken fehlwahrnehmungen und -schlüsse ergeben sich aus dem funktionsgemäßen diesbezgl. blinden flecken des objektivistischen modus, der die zutiefst subjektiven handlungsmotivationen aus liebe und empathie heraus schlicht nicht wahrnehmen kann, weil er dafür überhaupt nicht gedacht und "gebaut" ist. wer ernsthaft diese these des "getarnten egoismus" vertritt, befindet sich strukturell in der gleichen situation wie ein farbenblinder, der unbedingt ein gemälde von bspw. franz marc interpretieren möchte - es geht einfach nicht, weil entscheidende informationen fehlen bzw. verzerrt wahrgenommen werden.

eine einschränkung möchte ich dabei machen, weil ich mir eine situation vorstellen kann, in der diese these tatsächlich im weitesten sinne zutrifft - j. e. mertz hat das in folgenden worten ausgedrückt:

"Es sind hier, um es einmal ganz unmißverständlich auszudrücken, ausschließlich situative Zufälle, nämlich die günstigen Gelegenheiten oder externalen Kontrollmechanismen der jeweiligen historischen Situation, die aus ein und derselben Als-Ob-Person beispielsweise einen weithin respektierten Moraltheologen oder einen begnadeten Folterer machen. Bei entsprechender Intelligenz und persönlichem Geschick ist auch ein völlig reibungsloser Wechsel von einem zum anderen möglich."(...)

(das ganze zitat sowie die quelle befinden sich
hier im text)

anders: simulativ geschickte soziopathen (als-ob-persönlichkeiten) können vorgeben, aus liebe und empathie heraus zu handeln, wenn es ihrem situativ gültigen objektivistischen kosten-nutzen-kalkül als vorteilhaft erscheint. das ist der einzige fall, in dem die gleichung "egoismus" (wobei ich mich frage, ob sich das noch als egoismus bezeichnen lässt) = (simulierter) "altruismus" aufgeht - und nicht zufällig stammt dieser einzige fall aus der (zugespitzt) soziopathischen (über-)lebenswelt.

weiter im artikel:

"In den meisten Kulturen, nicht zuletzt in der christlich geprägten, sind Altruismus, Solidarität und soziale Gerechtigkeit seit Jahrtausenden tief verankerte Leitwerte. Ihnen wurde keineswegs immer entsprochen, aber man war der Auffassung, der Mensch sei zumindest seinem Wesen nach fähig, solchen Werten nachzueifern.(...)

Der verstorbene neoliberale Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek hat derartige Ideen, sofern sie auf Wirtschaft und Politik übertragen werden, - insbesondere die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit - als "Atavismen" kritisiert. Atavismen sind entwicklungsgeschichtliche Überbleibsel aus einer früheren Epoche der biologischen oder kulturellen Evolution. Vor Jahrtausenden haben die Menschen in kleinen Horden, Sippen und Familienverbänden gelebt. Damals sei der Gedanke eines bewusst betriebenen sozialen Ausgleichs, etwa die Verteilung der Jagdbeute unter Gleichheitsgesichtspunkten, für das Überleben noch sinnvoll gewesen. Unterdessen habe sich aber ganz ohne Lenkung und Planung der Menschen eine "spontane Ordnung" herausgebildet: die freie kapitalistische Marktwirtschaft. In ihr sei das Streben nach sozialer Gerechtigkeit schädlich, denn es verhindere den wirtschaftlichen Gesamterfolg, der nur durch eigennützige Individuen und rationale Nutzenkalkulierer vorangetrieben werden könne."(...)


die ideen von
hayek lassen sich komprimieren im folgenden...

"...Zitat aus einem Interview, das von Hayek in Chile gab, um seinen Freund Milton Friedman zu unterstützen, der vom Diktator Pinochet beauftragt worden war, den Neoliberalismus eins zu eins umzusetzen:

`Eine freie Gesellschaft benötigt moralische Bestimmungen, die sich letztendlich darauf zusammenfassen lassen, dass sie Leben erhalten: nicht die Erhaltung aller Leben, weil es notwendig sein kann, individuelles Leben zu opfern, um eine größere Zahl von anderen Leben zu erhalten. Deshalb sind die eigentlichen wirklichen moralischen Regeln diejenigen, die zum *Lebenskalkül* führen: das Privateigentum und der Vertrag."


das ist ein auszug aus einem interview in der chilenischen zeitung "el mercurio" vom 19. april 1981, zitiert nach dem buch
Solidarisch Mensch werden, s.35. die autoren merken dazu auf seite 36 an:

(...)"Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Aussage im Blick auf die Wirklichkeit mit einer impliziten Lüge beginnt. Im ersten Satz ist nämlich die Aussage enthalten, dass es in dieser Welt nicht genug für alle zum Leben gibt und darum ein Lebenskalkül nötig ist, das entscheidet, wer leben darf und wer geopfert werden muss."(...)

und sie widersprechen dieser lüge mit dem hinweis auf viele empirische studien darüber, dass bspw. der welthunger nicht ein problem des realen mangels an, sondern der verteilung von nahrung ist. dazu ließe sich hinzufügen, dass beim (über-)fälligen verzicht der bevölkerungen der westlichen welt global gesehen nicht nur die nötige grundversorgung aller menschen hinsichtlich nahrung, gesundheit und wohnen absolut gewährleistet wäre, sondern auch ein - wenn auch insgesamt bescheidener ausfallend als heute, was aber ebenfalls wünschenswert ist - allgemeiner wohlstand möglich wäre.

jetzt aber zu ihrer hauptkritik:

"Dann aber folgt die Ungeheuerlichkeit: Nur diejenigen Menschen, die über Privateigentum und Vertragsfähigkeit verfügen - also auch die, die ihre Arbeitskraft verkaufen können - haben ein Recht auf Leben. Alle anderen können prinzipiell geopfert werden. Denn Privateigentum und Vertrag sind die Grundelemente des kapitalistischen Marktes, der total gilt und dem man sich religiös demütig unterwerfen muss, wie von Hayek an anderer Stelle sagt. Hier sagt er: Diese Totalität des Marktes, dem individuelles Leben geopfert werden muss, ist die einzige Moral. Es geht hier wohlgemerkt nicht um das persönliche Gebrauchseigentum, das jeder Mensch zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse braucht, sondern um das Eigentum, das zwecks Reichtumsvermehrung in den Markt eingebracht wird. Hier zeigt sich, dass (...) der fundamentalistische Neoliberalismus letztlich zynischen Charakter hat: Um der Reichtumsvermehrung der Eigentümer willen sollen andere Menschen - in Wirklichkeit die Mehrheit der Weltbevölkerung - geopfert werden."(...)

bemerkenswert ist hier nicht nur die durchschimmernde quasireligiöse stellung, die der totale markt und die totale privatisierung von allem und jedem in dieser gedanklichen geisterbahn des von hayek einnehmen; bemerkenswert ist aus meiner perspektive v.a. wieder der deutlich sichtbare objektivismus, wie er sich in der totalitären form des konstrukts "privateigentum" ausdrückt. erstens ist das bei betrachtung aller bisher existierenden kulturen auf dem planeten keinesfalls etwas "natürliches", schon gar nicht, wenn es sich um zb. um wasser, wälder und land handelt, dessen inbesitznahme als "privateigentum" vor allem bei vielen indigenen kulturen sinnbildlich zu verständnislosem kopfschütteln führen würde bzw. geführt hat. zweitens aber: wie ich in der vergangenheit hier schon umrissen habe, liegt meiner meinung nach die eigentliche basis der konstruktion von "privateigentum" in der pathologischen ich-struktur, die wir uns in der westlichen welt als "normal" zu betrachten angewöhnt haben - eine ego-struktur, die sich vor allem in der wahrnehmungsmässigenspaltung zwischen kopf & körper ausdrückt. genauer: ein virtuelles "ich", welches den kopf bewohnt, redet von "seinem" körper als besitz - und begreift nicht, dass es lediglich eine funktion dieses körpers darstellt, die ursprünglich einmal zum überleben unter traumatischen lebenumständen gedacht war (zum spezifischen wahnsinn der westlichen "zivilisation" mehr
hier.)

niemand kann real irgendetwas - und schon gar nicht irgendwen - "besitzen". wir "besitzen" real noch nicht mal "unseren" körper - oder haben Sie etwa untermietverträge zb. mit all den bakterien abgeschlossen, die uns - nein, eben nicht besiedeln, sondern aus denen wir auch bestehen, und ohne deren arbeit zb. bei der verdauung wir überhaupt nicht lebensfähig wären? besitzen Sie diese bakterien? wer "besitzt" einen baum, einen berg, einen see, einen ozean...? real niemand - oder aber: wir alle, aber auch wirklich alle - incl. tiere und pflanzen.

es wäre schon ein erheblicher fortschritt, wenn wir vom "besitz" zum begriff der "zeitweiligen in-pflege-nahme" kommen würden - das würde das anrecht des bauern bspw., der mittels seiner arbeit dazu beiträgt, nahrung zu erzeugen, auf eine auch materielle anerkennung dieser arbeit (die aber eben nur ein teil des gesamten prozesses der nahrungserzeugung darstellt) keinesfalls schmälern. aber es würde uns dabei helfen, von der objektivistischen konstruktion "privateigentum" wegzukommen.

nochmals zusammengefasst: die dem kapitalismus zugrundeliegende totalität der vorstellung des "privateigentums" ist primär ein ausdruck einer schweren psychophysischen störung, einer pathologischen inneren struktur mit fließenden grenzen zu dem, was hier schon öfter als realitätstüchtige psychose bezeichnet wurde. noch kürzer:

"privateigentum" ist eine halluzination, die sich nur mittels gewalt materialisieren lässt.

*

zur
fortsetzung

Sonntag, 15. Juni 2008

basis: über das mögliche wesen und die neurophysiologischen grundlagen der paranoia (update)

so, da die paranoia in vielen der letzten beiträge hier und den alltäglichen schnüffelnews aus staat und wirtschaft ständig präsent ist, nehme ich das zum anlaß, diesen lange in der warteschleife hängenden beitrag jetzt einfach fertigzustellen. und dabei werde ich versuchen, den neulich hier geäusserten vorsatz auch entsprechend umzusetzen:

"...wo u.a. auch deutlich werden soll, dass die paranoia zwangsweise eine getreue begleiterin all derjenigen ist, die ihr als-ob-leben ganz oder teilweise im objektivistischen modus fristen (müssen)."

also, treten wir ein in die (virtuellen) welten der angst und des misstrauens.

*

eine der besten mir bis dato bekannten einführungen in diese welten liefert der us-amerikanische psychiater und forensische gutachter roland k. siegel in seinem buch
Der Schatten in meinem Kopf - Geschichten aus der Welt des Wahnsinns

Siegel - Schattencover

siegel beschreibt darin wirklich drastische fälle aus seiner gutachterlichen praxis, die sich hauptsächlich, aber nicht nur, um kokaininduzierte paranoide zustände drehen. was dabei so besonders ist: er versucht als gutachter in einer recht unorthodoxen art & weise, sich in die erlebniswelten seiner "klienten" so weit wie möglich hineinzuversetzen, d.h. er konstruiert sich so weitgehend realitätsgetreu wie möglich simulationen derjenigen umstände und situationen, von denen die betroffenen als bedeutungsvoll berichten und in denen sie in ihre offen paranoiden phasen eingetreten sind. seine teils sarkastische sprache und seine dialoge mit einem befreundeten - und sehr orthodox ausgerichteten - psychoanalytiker über verschiedene fälle machen das buch sehr lesenswert, ebenso die blinden flecke, die in seiner wahrnehmung und auch der des freundes deutlich werden - vom womöglich neuen blick auf das "hippe" kokain und seine folgen bei chronischem gebrauch nicht zu reden.

zunächst aber die erwähnte einführung:

(...)"Im Lexikon werden Sie Paranoia nicht finden. Das Wort ist wohl da, nicht aber das Gefühl. Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und bezeichnete ursprünglich einen gequälten Geist. Aber gequält wovon? Die Definition sagt: von der Einbildung, daß man von jemandem verfolgt wird. Doch wenn du unter Paranoia leidest (also paranoid oder ein Paranoiker bist), dann weißt du, daß all das keineswegs nur Einbildung ist. Die Leute verfolgen und quälen dich wirklich. Wer sind diese Leute? Warum verfolgen sie dich? Was wollen sie von dir? Das Lexikon bietet hier nur wenige Hinweise.

Du bist das Ziel einer weitverzweigten Verschwörung geworden, die wie ein unsichtbares Netz den ganzen Erdball umspannt. Sie steckt in Telefondrähten und Zeitungen, womöglich auch in Lexika. Sie quillt aus Radios und Fernsehgeräten. Sie schleicht sich ein in die Herzen und Köpfe deiner Verwandten und Freunde. Sie greift nach dir. Es kann viele Gründe geben, weshalb man gerade dich ausgewählt hat. Die Leute beneiden dich. Schließlich bist du klüger und besser als die anderen. Sie sind hinter deinem Wissen her, hinter deinem Job, vielleicht auch hinter deinem Ehegatten. Das Lexikon sagt, viele Paranoiker empfänden sich als grandios und allmächtig, aber das Lexikon hat keine Ahnung. Du besitzt tatsächlich außergewöhnliche Fähigkeiten als Wissenschaftler, Erfinder, Liebhaber oder Prophet.

Deshalb bist du ja so anziehend, so anregend, so beneidenswert. Es gibt nichts im Leben, das du nicht erreichen könntest. Du ziehst die Aufmerksamkeit der Präsidentengattin auf dich. Sie verliebt sich in dich. Natürlich kann sie dir unmöglich eine offene Liebeserklärung machen, aber sie zeigt dir heimlich ihre Liebe indirekt auf vielerlei Weise. Ihr Mann erfährt von ihren heimlichen Gefühlen und geht zum Angriff über. Er schickt dir das FBI, den Geheimdienst und schließlich die Mafia auf den Hals. Du wehrst dich mit Strafanzeigen gegen die Regierung und die Telefongesellschaft.

Dein Chef beschwert sich, du seist in deiner Arbeit nicht mehr bei der Sache. Du kündigst und verklagst ihn. Er hat dich nie anständig behandelt, jetzt soll er dafür bezahlen. Fragt dich deine Frau, ob etwas nicht in Ordnung ist, reichst du die Scheidung ein. Der Hund und die Katze sehen dich immer merkwürdiger an. Du kannst ihnen nicht mehr vertrauen. Zu Hause bist du nicht mehr sicher, also ziehst du aus. Du übernachtest in Motels, jede Nacht in einem anderen, damit deine Feinde die Spur verlieren. Du verkriechst dich unter einer Decke, die du mit Stanniolpapier überziehst, um dich vor den sterilisierenden Strahlen zu schützen, mit denen sie dir auf den Leib rücken. Und du wartest. Du hast Zeit, über das ganze Geschehen der Vergangenheit nachzudenken und nach geheimen Bedeutungen zu suchen, die dicht unter der Oberfläche verborgen liegen.

Plötzlich ist alles klar. Du siehst förmlich, wie das Netz sich langsam um dich zuzieht. Und du hörst die Stimmen, die sich gegen dich verschwören. Deine Haut reagiert mit Ausschlägen, dort, wo die Strahlen sie getroffen haben. Schwächere Naturen wären längst vor Angst gestorben. Aber du bist stark. Du weißt, wer deine Feinde sind und wo sie wohnen. Es ist Zeit, zu handeln.

Paranoide Episoden wie die oben geschilderte zeigen gewöhnlich eine schrittweise Entwicklung vom leisen Verdacht und Mißtrauen bis hin zu
massiven Wahnvorstellungen und voll ausgebildeten Halluzrnationen. Am Anfang mag nur das vage Gefühl stehen, daß die normale Welt ein wenig
von ihrer Normalität verloren hat. Langsam und kaum merklich schleicht sich ein Verdacht ein. Halluzinierte Bilder und Geräusche bestätigen diesen Verdacht. Gewöhnlich entwickelt sich dieser Zustand über Monate oder Jahre hinweg. Unter dem Einfluß bestimmter Drogen wie Kokain oder Metamphetamin kann sich der Verlauf auf wenige Stunden verkürzen. Doch ob mit oder ohne Drogen, die Paranoia ist dieselbe.

Wirklich erschreckend ist der Gedanke, daß wir alle die Wurzeln der Paranoia in uns tragen; und dieser Gedanke ist in der Tat geeignet, uns alle in einen vollentwickelten paranoiden Zustand zu versetzen. Der »paranoide Zug«, von dem der Philosoph Arthur Koestler spricht, ist untilgbarer Teil der menschlichen Natur Es wird wohl schon ein jeder einmal das beängstigende Gefühl gehabt haben, da draußen sei etwas, das auf ihn warte und es auf ihn abgesehen habe. Dunkelheit und Einsamkeit begünstigen das Aufkommen dieses Gefühls. Viele haben solche Erlebnisse, wenn sie nachts allein im Haus sind oder im Dunkeln eine unbekannte Straße entlanggehen. Andere mögen gelegentlich das unbestimmte Gefühl haben, ihr Lebensweg werde von Neidern bedroht, die sie beim Namen nennen können oder aber gar nicht kennen. Das Wesen, das wir alle fürchten, der Dämon Paranoia, ist nicht »da draußen«; er lauert im Dunkel unseres eigenen Gehirns.

Tief im Innern des Gehirns, unterhalb des »denkenden« Teils der Großhirnrinde, befinden sich eine Neuronengruppe und hormonproduzierende Strukturen, die wir das limbische System nennen: das neurophysiologische Versteck des Dämon Paranoia. Seit mehr als zweihundert Millionen Jahren begleitet es unsere Evolution. Dieses hufeisenförmige Areal wird gelegentlich auch das »Säugetiergehirn« genannt, weil es bei den Säugern am höchsten entwickelt ist. Ein Glück für uns, denn das limbische System ist maßgeblich an der Aufrechterhaltung wichtiger homöostatischer Prozesse wie der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt. Ohne das limbische System glichen wir den Kaltblütern, etwa den Reptilien, die einen Großteil ihrer Zeit darauf verwenden, zwischen Sonne und Schatten zu wechseln, um ihre Temperatur zu regulieren. Außerdem steuert das limbische System Reaktionen, die von großer Bedeutung für unser Uberleben sind, zum Beispiel die Schutzmechanismen des Kampfes oder der Flucht.

Ein wenig verkürzt könnte man das limbische System durch vier wichtige Überlebensfunktionen definieren: Fressen, Kampf, Flucht und Fortpflanzung. Die Schaltkreise im tiefer gelegenen Teil des limbischen Systems sind ständig damit beschäftigt, unser Überleben zu sichern. Die höher
gelegenen Teile haben etwas mit unseren Emotionen zu tun. Elektrische Erregung in den unteren Bereichen kann in den oberen Regionen Gefühle
auslösen. Spontan geschieht dies bei einem bestimmten Typus psychomotorisch-epileptischer Anfälle, die den Patienten ein unangenehmes Angstgefühl bereiten - ein rohes, primitives Gefühl, das tief aus dem Körper kommt. Vielleicht wird das limbische System deshalb gelegentlich auch das viszerale Gehirn genannt. Es fühlt. Wir können diese Gefühle nicht abschütteln. Dann übernehmen die »denkenden« Areale das Feld. Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich
verfolgt. Das Gehirn ist in die Fänge der Paranoia geraten.

Wenn der Dämon Paranoia Epileptiker befällt, verzerren sich ihre Züge vor Furcht und sie bewegen hastig und ausweichend Kopf und Augen.
Neurophysiologen haben Elektroden ins Gehirn solcher Patienten eingepflanzt und dabei festgestellt, daß in solchen Augenblicken starke elektrische Ströme das gesamte limbische System durchfluten. Dennoch gibt es keinen Beleg für die Annahme, neuropathologische Abnormitäten wie Epilepsie wären die Voraussetzung für paranoides Erleben. Tatsächlich können Neurologen mit elektrischer oder chemischer Stimulation solche Reaktionen auch bei normalen Personen auslösen. Die Forschung sagt uns etwas über die Hirnareale und die neurologischen Mechanismen der Paranoia. Und sie zeigt, daß wir alle dieselbe Grundausstattung geerbt haben. Der Dämon des limbischen Systems war schon unserer Begleiter, lange bevor wir zivilisierte Primaten wurden. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb das Gefühl Paranoia so uralt zu sein scheint. Es besaß enorme Bedeutung für unser Überleben. Als die ersten Menschen aus ihren Höhlen hervorkamen, lauerten allenthalben Gefahren auf sie. Unfälle, Krankheit und Gewalt führten bei den allermeisten zu einem frühen Tod. Die Paranoia wurde zu einem wichtigen Anpassungsmechanismus, der das Überleben sicherte. Und so wurde sie ein Teil von uns.

Hippokrates und andere griechische Ärzte hielten die Paranoia für eine Krankheit von derselben Art wie die Epilepsie. Als Paranoiker bezeichneten sie Menschen, die buchstäblich »daneben« oder nicht mehr bei Verstand waren. Noch heute halten die meisten Psychiater die Paranoia für eine Geisteskrankheit, auch wenn sie lieber von »Störungen« sprechen. Doch solche Charakterisierungen sind irreführend. Paranoid zu sein oder einen paranoiden Zug zu haben bedeutet nicht notwendigerweise, daß man krank ist und einer Behandlung bedarf. Ohne Zweifel gibt es hier ein Kontinuum, das von milden paranoiden Anwandlungen bis hin zu einem heftigen, psychotischen Bruch mit der Realität reicht. Es mag berechtigt sein, paranoide Psychotiker wie Hitler oder Stalin krank oder gestört zu nennen, doch für die vielen nichtpsychotischen Fälle, in denen der alltägliche Streß zu leichteren Formen paranoider Anwandlungen führt - also für die meisten von uns - wäre diese Kennzeichnung ungerecht. Immerhin gibt es wenigstens einen namhaften Vertreter der heutigen Psychiatrie, der mit Vorliebe sagt, Paranoia sei gelegentlich der beste Weg, mit dem Leben fertigzuwerden.

Das Wesen der Paranoia in all ihren Formen ist eine spezielle Denkweise. Und das wichtigste Merkmal paranoiden Denkens ist das Mißtrauen. Tatsächlich benutzen die meisten Menschen den Ausdruck paranoid zur Kennzeichnung eines übertrieben mißtrauischen Menschen. Doch das mißtrauische Denken eines Paranoikers ist mehr als normale Vorsicht oder bloßer Argwohn, wie das Wort paranoid sie impliziert. Die Dinge sind ihm buchstäblich suspekt, das heißt, sie nötigen ihn, hinter die Dinge zu schauen, unter der Oberfläche nachzusehen, alles einer genauen Prüfung zu unterziehen und nach Hinweisen zu suchen, die sein Mißtrauen und seinen Verdacht bestätigen. Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein.

Ein weiteres Merkmal paranoiden Denkens ist die Feindseligkeit. Der Paranoiker ist davon überzeugt, daß Teile seiner Umwelt finstere Absichten gegen ihn hegen. Und so entwickelt er ein defensives, auf ständige Abwehr programmiertes Verhältnis zur Welt. Sein Verhalten ist vielfach von Unwillen, Ärger und Feindseligkeit geprägt; dadurch provoziert er bei anderen jene Feindseligkeit, die nun ihrerseits seine ursprünglichen Befürchtungen bestätigt. In diesem Sinne ist der arme Paranoiker tatsächlich ein Verfolgter Aber es bleibt dabei, der wirkliche Feind ist der Dämon in ihm selbst. Mißtrauen und Feindseligkeit bereiten den Weg für eingebildete Wahrnehmungen. An diesem Punkt kann ein weiteres charakteristisches Merkmal paranoiden Denkens - die Projektion - ins Spiel kommen und dem Paranoiker Dinge vorgaukeln, die eines erstklassigen Zauberkünstlers würdig wären. Die Projektion ist ein unbewußter Abwehrmechanismus, durch den emotional unannehmbare Strebungen oder Spannungen abgewiesen und anderen zugeordnet (oder auf sie projiziert) werden. In der starren Ökonomie der reinen Überlebenstechniken ist dieses Vorgehen durchaus sinnvoll, denn vor einem bedrohlichen äußeren Feind kann man leichter fliehen als vor einem inneren. Die Projektion ist keineswegs immer anomal. Kinder greifen nach diesem Mittel, wenn sie sich in magische Phantasien flüchten, um mit der Welt fertigzuwerden. Und auch uns Erwachsenen ist sie nicht fremd, wenn wir andere für unsere Gefühle oder unser eigenes Versagen verantwortlich machen. Doch der Paranoiker geht einen Schritt weiter; er leugnet seine eigenen Gefühle und projiziert sie auf andere. So kann ein Paranoiker sagen: »Nicht ich hasse sie, vielmehr hassen sie mich und wollen mich zerstören.«(...)

(aus: siegel, ronald k. "der schatten in meinem kopf"; s.11 - 16; eichborn; frankfurt a.m. 1996; isbn 3-8218-1402-0)


soweit mir bekannt ist, wird die "reine" form der paranoia - also "für sich" stehend als paranoide persönlichkeitsstörung - als diagnose heute kaum vergeben; meist tritt sie als zusätzliches attribut, etwa bei der paranoiden schizophrenie, in erscheinung. wenn man sich aber mit den verschiedenen heutigen psychiatrischen diagnosen beschäftigt, wird deutlich, dass ihre wesentlichen zutaten - ängste, misstrauen, und vor allem die konstruktion entsprechend aussehender quasivirtueller welten - bei sehr vielen diagnostischen modellen implizit vorhanden sind. dann ist ebenfalls die erwähnte funktion des limbischen systems hinsichtlich flucht- und/oder kampfsituationen von bedeutung, gerade bezüglich (post-)traumatischer zustände. und am wichtigsten ist vielleicht die feststellung, dass es fließende übergänge zwischen real begründeten ängsten und paranoiden wahngebilden gibt - das ist eine situation, die für alle, die sich heute mit destruktiven gesellschaftlichen entwicklungen beschäftigen, sehr relevant ist - als beispiel sei hier nur der breite und bunte bereich diverser verschwörungstheorien genannt, bei dem sich mehr oder weniger große teile paranoiden denkens und fühlens ohne größere probleme finden lassen. gleichzeitig aber lässt sich ebenfalls hier auch der beleg für die oben erwähnte aussage finden, paranoia "sei bisweilen der beste weg, um mit dem leben fertig zu werden".
der "gladio"-komplex bspw. enthält so ziemlich alle zutaten für eine wüste verschwörungstheorie unter beteiligung diverser geheimdienste, faschisten, geheimlogen etc. sowie verschwundenen zeugen, dokumenten, vertuschungsaktionen und intrigen - aber das alles war bzw. ist in einem gewissen sinne immer noch realität.

andererseits ließe sich auch sagen, dass derartige projekte ausdruck hochgradiger paranoia bei ihren protagonisten darstellen - die paranoia steckt hier nicht nur im detail, sondern ist geradezu systembedingt und womöglich in einem gewissen ausmaß auch systemkonstituierend.

mich interessieren nun besonders funktion, auftreten und ausmaß der paranoia hinsichtlich dreier themenkomplexe, die hier im blog immer wieder von bedeutung sind - zunächst zum
trauma in all seinen möglichen erscheinungsformen.

das man-made-violence-traumatisierte menschen i.d.r. einen höheren grad von misstrauen und auch ängstlichkeit gegenüber anderen menschen aufweisen all jene, die das glück hatten, bisher von traumatischen erlebnissen verschont zu bleiben, ist ein banaler gedanke. weitergedacht bedeutet das aber auch, dass hier eine größere anfälligkeit für paranoides empfinden zu vermuten ist - die erfahrungen von feindseligkeit seitens der mitmenschlichen umwelt, die in dem oder den traumatischen erlebnissen eingefroren sind, sorgen sowohl für eine übersteigerte wachsamkeit gegenüber dieser umwelt generell, als auch für schnelles triggern der erwähnten flucht- oder kampffunktion, die als überlebensfunktion in uns "eingebaut" ist. wie das dann individuell aussieht, kann sehr verschieden sein - jedoch ist die relative soziale isolation, in der sich traumatierte menschen oftmals wiederfinden, auch ein ergebnis der aus dem oben skizzierten resultierenden verhaltensweisen sowie der reaktionen der umwelt auf die selbigen.

es ist eine der schwächen bei siegels beschreibungen, dass er für diesen aspekt der paranoia - die begleitung bzw. genese aus traumaindizierten störungen - praktisch blind ist, obwohl er an mehreren stellen faktisch genau diese tatsache beschreibt - so zb. dann, wenn er migranten als eine paranoiaanfällige gruppe skizziert, die aufgrund von feindseligkeit der umwelt - genauer wäre es, hier rassistische affekte und aktionen zu benennen - in diesen wahrnehmungsmodus gedrängt wird. ebenfalls führt er mehrere biographische beispiele seiner klienten auf, bei denen eine gewalttätige kindheit im hintergrund deutlich wird - mit diesem wissen werden die späteren paranoiden episoden anders und besser verständlich, als die (zu) sehr auf das gehirn starrende wahrnehmung siegels sowie die schon teils grotesk anmutenden psychoanalytischen konstrukte seines freundes sie erklären können. das buch ist auch ein schönes beispiel für neurologische bzw. psychoanalytische betriebsblindheit, besonders bezgl. der sozialen umstände, in denen die paranoia gedeihen kann.

aber zurück: wenn wir uns jetzt die indizien dafür in erinnerung rufen, die dafür sprechen, kollektive traumata in vielen gesellschaften als eine wichtige und "die normalität" strukturierende matrix im hintergrund als real zu begreifen, wird auch die mehr oder weniger stillschweigende beliebtheit des leninschen satzes "vertrauen ist gut, kontrolle ist besser" verständlich - das ist eigentlich ein satz, der zum verständnis der meisten psychophysischen störungen dienen könnte, bei denen die authentischen beziehungsfähigkeiten so geschädigt sind, dass sich die wahrnehmung hin zu den kompensatorischen und objektivistischen surrogaten bewegt.

das stichwort gerade führt zum zweiten thema, dem
objektivistischen modus der menschlichen wahrnehmung. siegels sätze oben

"Es kommt zu einer intellektuellen Fixierung auf die Angstanwandlungen im tiefer gelegenen System. Die Angst erzeugt eine Vorahnung und warnt vor drohenden Gefahren. Bedrängt von dieser tiefsitzenden Angst sucht der Verstand nach Erklärungen. Er gelangt zu dem Schluß, daß irgend etwas dich verfolgt."

sowie

"Das erfordert größte Aufmerksamkeit, ein Höchstmaß an Wachsamkeit und eine Hypersensibilität für jedes noch so kleine Detail. Der Paranoiker verbeißt sich in diese Details, bläht ihre Bedeutung auf und baut sie dann in ein logisch-systematisches Muster ein. Während er seine Umwelt absucht, revidiert er das Muster unablässig, um dessen Glaubwürdigkeit abzusichern. Der Paranoiker wird rigide und unflexibel. Er ist auf jede erdenkliche Bedrohung gefaßt. Mehr als alles andere fürchtet er, die Kontrolle oder seine persönliche Autonomie zu verlieren. Er muß ständig auf der Hut vor äußeren Mächten oder Autoritäten sein."

enthalten aus meiner perspektive bereits viel von den im verlinkten beitrag beschriebenen funktionsprinzipien des objektivistischen modus. in kürze:

sinneswahrnehmungen werden von einem - aus welchen gründen auch immer - materiell geschädigten wahrnehmungssystem erfasst und (fehl-)interpretiert, wobei für die fehlinterpretationen dann bereits die kompensatorisch einspringenden objektivierenden-abstrahierenden und vor allem konstruktivistisch tätigen funktionen in uns verantwortlich sind. da wir bei der paranoia von übersteigerten ängsten und misstrauen reden, ergibt sich das beschriebene aller wahrscheinlichkeit immer dann, wenn unklarheiten und ungewißheiten bezgl. bedrohlicher lebensumstände von menschen wahrgenommen werden, die das nötige weltvertrauen bzw. die nötigen positiven beziehungserfahrungen nicht oder nur unvollständig vermittelt bekommen und erfahren haben. das leben bietet bekanntlich ständig mehr oder weniger undurchschaubare momente, die aber mit korrekt funktionierenden wahrnehmungsoptionen und dem nötigen grundvertrauen durchaus toleriert werden können - wenn aber beides nicht oder nur rudimentär vorhanden ist, steigt die wahrscheinlichkeit für paranoide zustände rapide an, bedingt durch unsere neurophysiologische ausstattung und deren funktionsgesetze (soweit sie bisher erkennbar sind).

vor dem hintergrund der these von vergangenen und aktuellen kollektiven traumata verwundert dann auch die beliebtheit von verschwörungstheorien oder gar blanken wahnkonstrukten wie dem antisemitismus der nazis nicht mehr: korrekt funktionierende und ganzheitliche wahrnehmungsfähigkeiten dürften ebenso wie das benannte grundvertrauen immer noch nur bei einer minderheit aller bisher lebenden menschen realität (gewesen) sein - und die suche nach schuldigen und ursachen für die eigenen ängste und begründungen für das eigene misstrauen sind dann am befriedigsten, wenn personalisierte antworten gegeben werden können - konkrete übeltäter, bei denen dann auch noch die erwähnte projektion ins spiel kommt.

und genau aus diesen gründen gehe ich von dem aus, was ich anfangs zitiert hatte: für all jene, die sich dominant und funktionell und strukturell in einem objektivistischen wahrnehmungsmodus befinden, ist eine latente oder auch manifeste paranoia eine treue begleiterin. dieser umstand lässt sich auch als eine weitere motivation dafür begreifen, machtpositionen anzustreben: sie bieten sowohl (scheinbare) sicherheiten als auch die möglichkeiten, weitgehende kontrolle auszuüben, und derart das scheinbar bedrohliche außen in den griff zu bekommen. wie so etwas dann konkret auf den kontrollaspekt bezogen aussehen kann, lässt sich momentan tag für tag in den nachrichten betrachten.

mit authentischer sozialität hat das alles natürlich mal wieder nix zu tun, sondern eher mit einem weiteren aspekt, anhand dessen sich die diagnose einer tiefgreifenden gesellschaftlich-sozialen pathologie stellen lässt.

ein besonders gefährliches problem ergibt sich bei der paranoia aus der figur des verfolgenden verfolgten (als mertz-leserIn werden Sie sich vielleicht an sein modell der kontrolle-gegenkontrolle erinnern). siegel beschreibt diese konstellation in seinen ersten absätzen sehr detailliert, aber in etwas abgewandelter form könnte bspw. auch ein schäuble in dieser kategorie begriffen werden - die paranoid verzerrten ängste werden durch gegenmaßnahmen scheinbar gelindert, die leider nur den effekt haben, in aller regel nun bei anderen massive ängste und auch misstrauen auszulösen, was dann beim paranoiden die eigenen befürchtungen wieder verstärkt und weitere gegenkontrolle provoziert - im extrem ergibt sich ein immer enger werdender loop, der sich dann womöglich erst in extrem gewalttätigen aktionen selbst zeitweise lahmlegt.

zum dritten punkt: wie sieht es mit den - neurophysiologisch bedingten - angstfreien
soziopathen aus? sie agieren ja ebenfalls konstruktivistisch (und zwar als dauerzustand bzw. grundsätzliche seinsweise). aber lässt sich bei denen eine paranoia konstatieren? ich würde eher von einer als-ob-paranoia sprechen - der kontrollmodus ist zwar ständig aktiviert, und ebenso sind die fehlenden empathiefähigkeiten und die dadurch faktisch nicht vorhandene fähigkeit zum vertrauen eine vorbedingung zur paranoiden misstrauen - aber als im herkömmlichen sinne paranoid lassen sie sich vermutlich eher nicht begreifen, und zwar eben aus dem grund der nicht wahrgenommenen angst. vielleicht könnte man es so ausdrücken: sie sind eher ein beleg dafür, dass sich der objektivistische modus tatsächlich in jedem von uns findet, und uns im falle einer paranoiden wahrnehmung unter umständen auch in einen quasi soziopathischen menschen verwandeln könnte. die vielen parallelen zwischen dem paranoiden modus und dem objektivistischen modus lassen sich am einfachsten so interpretieren, das funktionsmäßig beides eng zusammengehört, bzw. die paranoia in ihrem wesen zu großen teilen vom objektivistischen modus geprägt wird. dazu kommt bei den soziopathen ebenfalls die unheilvolle fähigkeit, bei anderen massive ängste und misstrauen auslösen zu können, aber im gegensatz zum "normalen" paranoiker" ohne entsprechende eigene erfahrungen.

und wenn ich mir das so betrachte, komme ich zu dem schluß, dass vermutlich nicht alles, was wie paranoia aussieht, auch im klassischen (psychiatrisch-neurologischen) sinne paranoia ist.

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und an diesem punkt möchte ich Sie in Ihrer möglichen verwirrung erstmal alleine lassen. ich schreibe wieder mal an einem öffentlichen ort, was den unbestreitbaren nachteil hat, dass sich die eigenen gedanken eher komprimiert aufdrängen, und vermutlich werde ich noch die eine oder andere anmerkung bzw. korrektur nachzureichen haben, wenn ich den text noch mehrmals gelesen habe. aber für den moment finde ich, das das obige vorläufig genügend stoff zum nachdenken bietet.

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edit am 16.06.: schon geändert habe ich oben den - jetzt korrekten - begriff des "verfolgenden verfolgten", wo vorher "verfolgenden verfolgers" stand, was nicht nur doppelt gemoppelt war, sondern auch inhaltlich richtiger quatsch.

dann: das problem, das die gruppe der "echten" soziopathen zwar viele eigenschaften des paranoiden modus´ aufweist, jedoch die - laut definition - eigentlich wichtigste, nämlich die gesteigerte angst, nicht wahrnehmen kann, beschäftigt mich gerade immer wieder. und bisher komme ich zu dem ergebnis, dass es sich hier womöglich um ein weiteres beispiel dafür handelt, was passiert, wenn psychiatrische diagnosenmodelle umstandslos und ohne rücksicht auf qualitative neurophysiologische unterschiede als global gültig gesetzt werden. ähnlich wie bei den früher beschriebenen möglichkeiten für pränatale traumata, die es "offiziell" nicht gibt und die mit einiger wahrscheinlichkeit die persönlichkeitsstruktur qualitativ ganz anders prägen als postnatale traumata, kann es hier gut sein, dass sehr unterschiedliche psychophysische störungen ähnliche symptome hervorbringen, die dann unzulässigerweise unter einen hut gepackt werden. ich finde es aber für mich momentan gerade bei diesem thema hier immer noch schwierig zu begreifen, wie etwas, das so aussieht als ob, doch etwas sehr anderes ist. von daher muss ich meine eingangs erwähnte these, das der objektivistische modus immer auch mit der paranoia einhergeht, relativieren - für die strukturellen soziopathen müsste das eher so lauten, das sie auch immer einige symptome der paranoia aufweisen, v.a. diejenigen, die mit starken kontrollambitionen daherkommen.

und zum vorläufigen schluß noch ein wort zum nur nebensächlich erwähnten drogenthema: ich halte - bis auf sehr seltene ausnahmen - drogen nicht ursächlich verantwortlich für irgendwelche psychophysischen störungen. allerdings haben kokain und auch die amphetamine durchaus das zeug dazu, paranoide zustände zu triggern und extrem zu verstärken. und das ist hinsichtlich der beliebtheit dieser stoffe gerade auch in kreisen, die sich selbst als elitäre verstehen, ein durchaus relevanter aspekt.

Montag, 19. März 2007

basis: traumageschichte(n) 4 - über die pränatale phase (und einiges zur propriozeptiven wahrnehmung)

"Das menschliche Leben beginnt in der Gebärmutter. Dies bedeutet, das menschliche Dasein einschließlich des persönlichen, psychischen und Beziehungslebens beginnt vollständig vor der Geburt. Das Fundament unserer grundlegenden Gefühle von Sicherheit und Vertrauen wird während dieser Periode gelegt. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Gesellschaft werdende Eltern darin unterstützt, ihrem Kind die für seine Entwicklung erforderliche Liebe zu geben. Das Elternsein beginnt ab dem Bewusstwerden des Kinderwunsches, spätestens aber zum Zeitpunkt der Empfängnis. Dies ist der Ausgangspunkt der Beziehung der Eltern mit ihrem Kind.

Die wissenschaftliche Beobachtung hat den Nachweis einer das vorgeburtliche und das nachgeburtliche Leben überspannenden Kontinuität der Entwicklung erbracht. Diese frühen Erfahrungen beeinflussen ganzheitlich die Entwicklung des heranwachsenden Kindes. Die Grundstrukturen unseres Zentralnervensystems werden durch die Interaktion unserer Gene mit den frühen Entwicklungsfaktoren ausgestaltet. Das Band zwischen den Eltern und dem Kind in der Gebärmutter ist einer dieser Faktoren. Es bildet die Grundlage für die Entstehung späterer Bindungen. Von den Eltern nicht zu bewältigender Stress kann schädigende Auswirkungen auf das Kind haben. Folglich können ungeborene Kinder auf viele Arten geschädigt werden und jede Anstrengung sollte unternommen werden, um ihnen eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen. Die Grundwerte einer Gesellschaft werden an das Kind durch seine Erfahrungen in der frühesten Lebensphase weitergegeben"

(aus der einleitung der wiener resolution 2001 der "Internationalen Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)"


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mit dem obigen zitat möchte ich einen weiteren beitrag in der basisreihe zum thema trauma einleiten, dieses mal zu einem aspekt, der mich persönlich seit dem moment, in dem ich mich das erste mal mit dem thema der pränatalen menschlichen entwicklungsphase beschäftigt habe, intensiv beschäftigt und auch fasziniert. nach meinen eigenen erfahrungen ist das wissen, welches im folgenden skizziert wird, den meisten menschen kaum bis gar nicht bekannt - und damit ist auch keinerlei bewußtsein über die teils dramatischen individuellen und kollektiven konsequenzen möglich, die sich aus der realität von pränatalen (die perinatalen lasse ich hier außen vor, da der abschnitt der geburt einen eigenen bereich bildet) traumatisierungen ergeben können. ich glaube inzwischen, dass wir alle in unserem leben bereits vielfach und auf diversen ebenen mit den erwähnten konsequenzen konfrontiert worden sind. und nicht zuletzt liegen in diesem wissen auch mögliche schlüssel zu einem erweiterten verständnis unserer jeweils eigenen biographie verborgen.

das einleitende zitat bringt dabei die meisten wesentlichen aspekte schon ganz gut auf den punkt. einen überblick zu den dort erwähnten wissenschaftlichen beobachtungen hat lloyd deMause in seinem "emotionalen leben der nationen" (siehe literaturliste, oder auch hier) veröffentlicht, aus dem ich im folgenden kommentierend zitiere (die zitate stammen dabei aus den seiten 56 bis 59 des buches). einige vermutlich vielen leserInnen nicht geläufige medizinische begriffe habe ich zur erklärung verlinkt.

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"Es hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles in unserem Wissen über den Fötus geändert, seitdem Pioniere erste Forschungen in der perinatalen Psychologie betrieben haben. Neurobiologen erzielten überraschende Fortschritte im Verständnis darüber, wie sich das Gehirn im Mutterleib entwickelt, die Experimentalpsychologie fand viel über fötales Lernen heraus, Kinderärzte verbanden alle möglichen späteren Probleme mit fötaler Not, und ein Psychoanalytiker begann sogar damit, tausende Stunden von Ultraschallbeobachtungen einzelner Föten mit deren Problemen während der Kindheit in ihrer Therapie zu vergleichen. Es gibt mittlerweile tausende Bücher und Beiträge zu diesem Thema, und es gibt zwei internationale Gesellschaften zu prä- und perinataler Psychologie mit ihren jeweils eigenen Journalen."(...)

und wenn Sie selbst einmal darüber recherchieren, wie und was der medizinische mainstream noch vor hundert jahren über die (un)fähigkeiten von neugeborenen - und erst recht den föten - dachte, z.b. den unheilvollen mythos der angeblichen schmerzunempfindlichkeit von babys, der eine teils entsprechend rücksichtslose und potenziell traumatische behandlung derselben zur folge hatte, werden Sie vermutlich eine ahnung davon bekommen können, wie dieses wissen uns zu einer geradezu revolutionär neuen betrachtungsweise unserer allerersten lebensphasen zwingen wird - denn weitere ignoranz wäre hier, wie in vielen anderen bereichen auch, schlicht suizidal.

"Biologen dachten, Föten hätten eine unfertige Myelinisierung der Neuronen und könnten daher keine Erinnerungen haben. Diese Vorstellung wurde widerlegt. Vielmehr fand man heraus, dass der Fötus, weit davon entfernt, ein nicht fühlendes Wesen zu sein, äußerst fein auf seine Umgebung reagiert, und dass unsere ersten Gefühle in unserem frühen emotionalen Gedächtnissystem abgespeichert werden, das im Zentrum der Amygdala liegt, dem zentralen Angstsystem, ganz im Unterschied zum Deklarativen (Expliziten) Gedächtnissystem im Zentrum des Hippocampus, dem Zentrum des Bewusstseins, welches erst spät in der Kindheit voll funktionsfähig wird.

Das fötale Nervensystem ist gegen Ende des ersten Trimesters so gut entwickelt, dass es auf die Berührung der Handfläche mit einem feinen Haar mit Zugreifen, der Lippen mit Saugen, und der Augenlider mit Blinzeln reagiert. Der Fötus hüpft, wenn von der Nadel der Fruchtwasseruntersuchung berührt, und wendet sich vom Licht ab, wenn der Arzt ein hell leuchtendes Fötoskop einführt. Im zweiten Trimester kann der Fötus nicht nur sehen und hören, sondern tastet auch aktiv, fühlt, erkundet und lernt von seiner Umgebung, schwimmt im einen Moment friedlich, dann wieder heftig tretend, schlägt Saltos, uriniert, ergreift seine Nabelschnur, wenn er sich ängstigt, strampelt und tritt gegen die Plazenta, veranstaltet kleine Boxspiele mit seinem Pendant, wenn es Zwillinge sind, und reagiert auf Berührungen oder Stimmen durch den Unterleib der Mutter. Jeder Fötus entwickelt seine eigenen Aktivitätsmuster, sodass Ultraschalltechniker rasch lernen, jeden Fötus als eigene Persönlichkeit zu erkennen."(...)


ich hatte früher an anderen stellen hier schon geschrieben, dass sich die taktile und v.a. auch die propriozeptive wahrnehmung als eine ganz grundlegende basis des späteren, körperlich fundierten identitäts- und selbstgefühls als erste wahrnehmungsmodi des menschen entwickeln - das lässt sich inzwischen präzisieren:

(...)"Der Embryo nimmt schon ab der 12. Schwangerschaftswoche seine Umgebung über Berührung wahr. Auch das Kleinkind macht über Berührungen seine ersten Erfahrungen, über positive Berührung kann vor allem auch die Entwicklung gefördert werden"(...)

und aus einer weiteren quelle:

(...)"Auch Berührungen werden zum Teil über das propriozeptive System wahrgenommen. Festere Berührungen - wie bei manchen Massagetechniken oder Druck, wie beim Shiatsu oder in der Akupressur - regen auch die Propriozeption an. Außerdem spielt Propriozeption eine wichtige Rolle bei aktivem Berühren und Ertasten (...).

Die Propriozeption spielt eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers, bei der Entwicklung eines Körperbildes oder Körperschemas. Sie vermittelt uns unsere Stellung im Raum und ist insofern zentral für die Beziehung zur Außenwelt. Welch eine einschneidende Bedeutung Störung oder gar Ausfall propriozeptiver Wahrnehmung für einen Menschen haben, wird sehr eindrücklich von (Oliver) Sacks (...) beschrieben:

`Sie - die Patientin - hat mit ihrer Eigenwahrnehmung auch die grundlegende, organische Verankerung der Identität verloren - jedenfalls die der körperlichen Identität´"(...)


(wenn Ihnen das nächstemal also ein konstruktivistisch argumentierender mitmensch wiedermal einreden möchte, dass das beharren auf authentizität und authentischer - d.h. körperlich basierter - identität in der postmoderne doch ein hoffnungslos rückständiger anachronismus sei - fragen Sie einmal zurück, wie´s denn so mit der propriozeptiven wahrnehmung bei dem/der betreffenden ausschaut...).

ich schweife gerade anscheinend etwas vom "eigentlichen" thema ab, aber dieser aspekt erscheint mir so interessant und bedeutsam, dass ich ihn weiter vertiefen möchte - immer vor dem hintergrund der heute bekannten und möglichen pränatalen schädigungen, auch und gerade durch psychosoziale, d.h. gesellschaftliche einflüsse. ich vermute aus verschiedenen gründen, darunter z.t. auch eigenen erfahrungen, bekanntlich enge zusammenhänge mit den denjenigen psychiatrischen diagnosen, bei denen ein gestörtes identitätsgefühl sowie ein oppositionelles und problematisches verhältnis zum "eigenen" körper eine große rolle spielen - wie zb. bei borderline und auch dem autistischen spektrum. darum jetzt nochmal etwas mehr informationen zu vermutlich genau der patientin, die oben im zitat von o. sacks schon erwähnt worden ist - aus einer weiteren quelle:

(...)"Es gibt jedoch auch komplette Verluste der undifferenzierten somatischen Hintergrundempfindung, auf der die eben genannte Form innerer Aufmerksamkeit überhaupt erst operieren kann. Ein scharf umgrenzter Ausfall der Propriozeption führt zum Ausfall des Körpergefühls, desjenigen Teils unseres phänomenalen Selbstmodells, der uns subjektiv als der sicherste und gewisseste überhaupt erscheint. Oliver Sacks beschreibt den seltenen Fall einer sehr selektiven sensorischen Polyneuropathie, der ausschließlich propriozeptive Nervenfasern betraf.

`Aber am Tag der Operation hatte sich Christinas Zustand weiter verschlechtert. Sie konnte nur stehen, wenn sie dabei auf ihre Füße sah. Ihre Hände „machten sich selbständig“, und sie konnte nur etwas festhalten, wenn sie sie im Auge behielt. Wenn sie etwas in die Hand nehmen oder etwas in den Mund stecken wollte, griff sie daneben oder schoß über ihr Ziel hinaus, als sei sie nicht mehr in der Lage, ihre Bewegungen zu steuern und zu koordinieren.

Zudem konnte sie kaum aufrecht sitzen - ihr Körper „gab nach“. Ihr Gesicht war seltsam ausdruckslos und schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und sogar ihre Stimmlage hatte sich verändert.

„Es ist irgend etwas Furchtbares passiert“, stieß sie mit einer geisterhaft dünnen Stimme hervor. „Ich spüre meinen Körper nicht. Ich fühle mich wie verhext - als wäre ich körperlos.“
...
Christina hörte genau zu, mit einer Aufmerksamkeit, die nur die Verzweiflung hervorbringt.

„Ich muß also“, sagte sie langsam, „mein Sehvermögen, meine Augen in all den Situationen einsetzen, in denen ich mich bis jetzt auf meine - wie haben sie das genannt? - Eigenwahrnehmung verlassen konnte. Ich habe schon bemerkt“, fügte sie nachdenklich hinzu, „daß ich meine Arme . Ich meine, sie seien hier, aber in Wirklichkeit sind sie dort. Diese ist also wie das Auge des Körpers - das, womit der Körper sich selbst wahrnimmt -, und wenn sie, wie bei mir, weg ist, dann ist es, als sei der Körper blind. Mein Körper kann sich selbst nicht , weil er seine Augen verloren hat, stimmt's? Also muß ich ihn jetzt sehen und diese Augen ersetzen. Hab ich das richtig verstanden?“

Sacks berichtet über den weiteren Verlauf der Erkrankung:

`Unmittelbar nach dem Zusammenbruch ihrer Eigenwahrnehmung und noch etwa einen Monat später war Christina so schlaff und hilflos wie eine Puppe. Sie konnte sich nicht einmal selbst aufsetzen. Aber schon drei Monate später stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß sie sehr gut sitzen konnte - zu gut vielleicht, zu graziös, wie eine Tänzerin, die mitten in einer Bewegung innegehalten hat. Und bald merkte ich, daß dies tatsächlich eine Pose war, die sie, sei es bewußt oder automatisch, einnahm und aufrecht erhielt, eine gezwungene oder schauspielerhafte Positur, die das Fehlen einer echten, natürlichen Haltung ausgleichen sollte. Da die Natur versagt hatte, behalf sie sich mit einem „Kunstgriff“, aber das Gekünstelte ihrer Haltung orientierte sich an der Natur und wurde ihr bald zur „zweiten Natur“.


es klingt schlicht und einfach verblüffend: eine art als-ob-sitzen also? haben wir hier vielleicht in einem eng umgrenzten bereich ein sehr nachdrückliches beispiel dafür, wie wahrnehmungsausfälle von anderen funktionen kompensiert werden, und zwar mittels mehr oder weniger gelungener - simulationen des authentischen?

"Mit jeder Woche wurde das normale, unbewußte Feedback der Eigenwahrnehmung immer mehr von einer ebenso unbewußten Rückmeldung durch visuelle Wahrnehmung, einen visuellen Automatismus und zunehmend integriertere und flüssigere Reflexabläufe ersetzt. Fand bei ihr eine grundlegende Entwicklung statt? Erhielt möglicherweise das visuelle Modell des Körpers, das Körperbild des Gehirns - das gewöhnlich recht schwach (und bei von Geburt an Blinden überhaupt nicht) ausgeprägt und normalerweise dem propriozeptiven Körperschema untergeordnet ist - jetzt, da dieses propriozeptive Körperschema verlorengegangen war, infolge von Kompensation und Substitution in zunehmendem, ungewöhnlichem Maße Gewicht?...´

Die Grenzen des Selbstmodells sind die Grenzen des phänomenalen Selbst. An dem Beispiel der „körperlosen Frau“ wird zudem deutlich, was es bedeutet, daß das Selbstmodell ein multimodales Modell ist: Es kann um einzelne Modalitäten depriviert werden, aber in manchen Situationen den Verlust von Informationsquellen über eine Verstärkung anderer Kanäle funktional kompensieren. Fällt durch einen Defekt auf der „Hardware-Ebene“ ein bestimmtes sensorisches Modul aus, bleibt der entsprechende phänomenale Verlust jedoch für die Dauer der Störung bestehen. Das Selbstmodell wird um einen bestimmten qualitativen Aspekt ärmer, obwohl die Steuerfunktion in manchen Situationen dadurch rehabilitiert werden kann, daß auf den Informationsfluß aus den verbliebenen Sinnesmodulen verstärkt zugegriffen wird. Die Psychologie des Systems kann sich dabei jedoch tiefgreifend verändern (!!! mo). In dem tragischen Fall, den ich hier als Beispiel anführe, wurde das phänomenale Loch im subjektiven Erlebnisraum zu einem bleibenden Verlust.

`...Infolge des noch immer bestehenden Verlustes der Eigenwahrnehmung hat sie das Gefühl, ihr Körper sei tot, nicht wirklich, gehöre nicht zu ihr - sie ist unfähig, eine Verbindung zwischen ihm und sich selbst herzustellen. Es fehlen ihr die Worte, um diesen Zustand zu beschreiben. Sie muß auf Analogien zurückgreifen, die sich auf andere Sinnesorgane beziehen: „Es ist, als sei mein Körper sich selbst gegenüber blind und taub...Er hat kein Gefühl für sich selbst.“...

...“Es ist, als hätte man mir etwas entfernt, etwas aus meinem Zentrum. Das macht man doch mit Fröschen, stimmt's? Man entfernt ihnen das Rückenmark, man höhlt sie aus...Genau das ist es: Ich bin ausgehöhlt, wie ein Frosch...Kommen Sie, meine Herrschaften, treten Sie ein, sehen Sie Chris, das erste ausgehöhlte menschliche Wesen. Sie hat keine Eigenwahrnehmung, kein Gefühl für sich selbst - Chris, die ausgehöhlte Frau, die Frau ohne Körper!“ Sie bricht in ein haltloses, fast hysterisches Lachen aus. Ich beruhige sie, während ich denke: Hat sie vielleicht recht?´(...)


es ist nicht allzu abwegig anzunehmen, dass ein oder mehrere gleichartige prozesse bzgl. dieser elementaren wahrnehmungsebenen im zusammenspiel mit weiteren einflüssen auch eine große rolle bei der ätiologie von autistischen störungen im weitesten sinne eine rolle spielen - schauen Sie sich nochmal die selbstbeschreibungen betroffener bezgl. ihrer körperwahrnehmung im basisbeitrag autismus an.

dazu scheint mir ein weiterer aspekt auffällig zu sein: sowohl christina als auch die zitierten autistischen menschen berichten einhellig darüber, dass sie ihren visuellen sinn als primäres werkzeug zur korrektur ihrer bewegungsabläufe benutzen. ist Ihnen der gedanke geläufig, dass die westliche zivilisation eine ungeheuer visuelle kultur darstellt, und zwar im einseitigsten sinne, mit entsprechender ständiger überforderung unserer sehorgane unter starker vernachlässigung der meisten anderen sinne? es ist nur eine gerade entstandene assoziation meinerseits, aber die permanente kulturelle überbetonung des sehens könnte durchaus einige überraschende hintergründe besitzen.

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zurück zur pränatalen phase, und da jetzt zu den fakten, die deMause über Emotionale Reaktionen auf fötalen Stress gesammelt hat:

(...)"Zusätzlich zu dem, was wir über die verheerenden Folgen durch die Einwirkung von Drogen und Alkohol auf den Fötus wissen, besitzen wir jetzt bedeutende Belege dafür, wie maternaler Stress und andere Gefühle auf den Fötus übertragen werden. Der Fötus, so fand man heraus, reagiert sensibel auf eine große Anzahl von maternalen Emotionen, zusätzlich zu jeglicher Droge, die die Mutter einnimmt, oder physischen Traumata, welche die Mutter erleidet.

Wenn die Mutter Angst verspürt, werden ihre erhöhte Herzfrequenz, ihr schreckhaftes Sprechen und die Änderungen der Neurotransmitterniveaus unmittelbar an den Fötus weitergeleitet, und ihrem Herzjagen folgt binnen Sekunden das des Fötus; wenn sie Angst hat, kann der Fötus innerhalb von 50 Sekunden unter Sauerstoffunterversorgung leiden. Bei schwangeren Affen, durch simulierte Angriffe gestresst, wurde die Blutversorgung zur Gebärmutter derart beeinträchtigt, dass die Föten schwere Erstickungserscheinungen aufwiesen.

Auch Veränderungen der Niveaus von Adrenalin, Epinephrinplasma und Norepinephrin, hohe Konzentration von Hydroxycorticosteroiden, Hyperventilation und viele andere Folgen maternaler Angst kennt man als direkt den menschlichen Fötus beeinflussend. Zahlreiche andere Studien dokumentieren sensorische, hormonelle und biochemische Mechanismen, durch die der Fötus mit den Gefühlen der Mutter und der Außenwelt kommuniziert. An Babyaffen sah man, dass sie nach der Geburt hyperaktiv waren und höhere Konzentrationen des Stresshormons Cortisol aufwiesen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft experimentell gestresst worden war."


(einer der vermittlungswege, mittels derer der psychophysische zustand der mutter auf den embryo weitergegeben wird, besteht in den sog. neuropeptiden, von denen besonders das oxytocin in letzter zeit etwas bekannter geworden ist und bei der mutter-kind-beziehung eine herausragende rolle zu spielen scheint.)

"Es zeigte sich, dass maternale Stress- und Angstzustände niedrige Geburtsgewichte, höhere Geburten­sterb­lich­keit, Atemwegsinfektionen, Asthma und eine verminderte Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten verursachen. Eine Studie über 120 ungewollte schwedische Babies zeigte, dass diese aggressiver waren, von Altersgenossen stärker abgelehnt wurden, niedrigere akademische Leistungen erbrachten, hyperaktiv waren und eine dreimal höhere Kriminalisierungsrate aufwiesen als Babies, die »gewollt waren«.

Ultraschallstudien erkennen die fötale Not klar, wenn der Fötus sich in Schmerzen während der Hypoxämie und anderen Zuständen herumwirft und um sich tritt. Eine Mutter, deren Ehemann ihr gerade verbal Gewalt angedroht hatte, kam in eine Arztpraxis mit einem, was auch für sie schmerzhaft war, sich derartig heftig herumwerfenden und um sich tretenden Fötus, dessen Herzschlagfrequenz erhöht war und über Stunden blieb. Das gleiche wilde Sichherumwerfen von Föten konnte bei Müttern beobachtet werden, deren Partner plötzlich verstarben. Maternale Angst kann tatsächlich den Tod des Fötus verursachen. Ehezwietracht korreliert »mit fast 100-prozentiger Sicherheit... mit Kindersterblichkeit in Form von schlechter Gesundheit, neurologischer Dysfunktion, zurückgebliebener Entwicklung und Verhaltensstörungen«.

Margaret Fries leitete eine über 40 Jahre dauernde Langzeitstudie, die bei den Untersuchten lebenslang konstant bleibende emotionale Muster vorhersagt, so man diese mit der Einstellung zum Fötus während der Schwangerschaft verbunden sieht. Maternaler emotionaler Stress, Ablehnung des Fötus und fötale Not sind in verschiedenen Studien statistisch mit Frühgeburten, niedrigen Geburtsgewichten, höherer Unausgewogenheit von Neurotransmittern, stärkerem infantilen Klammern, höherer Kindheits­psycho­pathologie, häufigerer physischer Erkrankung, höherer Rate an Schizophrenie, niedrigeren Intelligenzquotienten in der Kindheit, größerem Misserfolg in der Schule, höherer Kriminalität, einer größeren Neigung zum Suchtmittelkonsum im Erwachsenenalter, der Ausübung von Gewaltdelikten und der Begehung von Selbstmord in Verbindung gebracht worden.

Der Anstieg sozialer Gewalt durch prä- und perinatale Umstände wurde von einer wichtigen dänischen Studie bestätigt, die zeigt, dass Buben von Müttern, die diese nicht haben wollten (25 Prozent der schwangeren Mütter geben zu, ihre Babys nicht zu wollen) und die auch Komplikationen bei der Geburt erleben, mit viermal höherer Wahrscheinlichkeit als Jugendliche gewalttätige kriminelle Taten verüben als Kontrollgruppen. Amerikanische Studien zeigen ähnlich höhere Kriminalität bei maternaler Ablehnung während der Schwangerschaft."(...)


und die in den letzten absätzen genannten fakten werden auch durch eine sozusagen andersherum gedrehte sichtweise unterstützt:

(...)"Die Neunzigerjahre bescherten den Amerikanern eine glückliche Überraschung. Eine Gesellschaft, die vom Gedanken an die Kriminalität regelrecht besessen ist, durfte plötzlich einen dramatischen Rückgang der Verbrechen erleben. Kein Experte hatte ihn vorausgesagt, mancher das Gegenteil prophezeit. Für den Rückgang wurden viele Gründe genannt: Neue Polizeistrategien, schärfere Haftstrafen (die die Zahl der Gefangenen auf 2 Millionen Ende 2000 erhöhten!), das Ende des Crack-Drogenbooms, der Wirtschaftsaufschwung, strengere Waffenkontrollen, die Alterung der Bevölkerung.

Die Ökonomen Steven Levitt und John Donohue überraschten die Öffentlichkeit gegen Ende des Jahrzehnts mit einer völlig neuen Erklärung. Die bisher genannten Gründen ließen sie kaum gelten. Einen Wirtschaftsaufschwung etwa gab es auch in den 1960ern - damals stieg die Gewaltkriminalität. Die gefeierte "Zero Tolerance"-Strategie der Polizei wurde nur in New York eingeführt - die Kriminalität sank überall. New York profitierte eher davon, dass einfach viele Polizisten eingestellt wurden. Diese Aufstockung und der Verfall des Kokainpreises, der das Geschäft der Crack-Dealer zerstörte, haben vielleicht ein Viertel des Rückgangs der Kriminalität in den USA bewirkt, die schärferen Haftstrafen ein weiteres Drittel, schätzt Levitt.

Weit wichtiger sei aber etwas gewesen, das kaum je erwähnt wurde: die Legalisierung der Abtreibung durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs am 22. Januar 1973. Dies habe die Zahl der ungewollten Geburten drastisch gesenkt. Da ungewollte Kinder statistisch gesehen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kriminell würden, seien fortan viele potenzielle Straftäter gar nicht erst auf die Welt gekommen. Das aber habe sich erst ab dem Moment auswirken können, als die ersten nach 1973 geborenen Jahrgänge in die späten Teenagerjahre kamen - also ab Anfang der 1990er."(...)


diese aussage, nach der ungewollte kinder also in der größten gefahr sind, später antisoziales verhalten zu entwickeln (und dazu unter vielfältigsten weiteren beeinträchtigungen leiden) ist nach dem heutigen wissenstand ganz gut untermauert. und vor allem: ist eine solche entwicklung nicht eigentlich auch sehr logisch in dem sinne, dass menschen, die bereits im mutterleib überwiegend ablehnung erfahren haben, die sich in ihrer psychophysischen struktur über die oben skizzierten mechanismen in diverser art und weise materiell eingeschrieben hat, dieser welt gar nicht anders begegnen können als nun mit ablehnung ihrerseits?

*

soviel also erstmal zur einführung in ein gleichermaßen bedrückendes wie auch faszinierendes thema, welches hier noch öfter zur sprache kommen wird. mir ging es vor allem darum, dass Sie die möglichkeit bekommen, eine ahnung von der komplexität und den konsequenzen zu bekommen, die mit der pränatalen phase - und all dem, was dort schiefgehen kann - verbunden sind. ich hoffe, dass das einigermaßen gelungen ist. für diejenigen, die sich vertiefend mit einigen aspekten des themas beschäftigen möchten, gibt es hier noch einen text des neurowissenschaftlers gerald hüther, der u.a. speziell auf die pränatale hirnentwicklung sowie die wichtigkeit von beziehungen für das gehirn eingeht.

den teil zur propriozeption hatte ich ursprünglich gar nicht vorgesehen, aber beim abschließenden lesen fand ich, dass er dann doch ganz gut hierher passt - denn mögliche schädigungen bis hin zum totalen ausfall dieser wahrnehmungsebenen können sehr wahrscheinlich bereits pränatal auftreten, und zwar aufgrund der sehr materiellen wirkungen auf den embryo seitens müttern, die aus was für gründen auch immer nicht in der lage sind, die eigentlich grundsätzliche vorhandene beziehungsebene zum embryo wahrzunehmen - oder das nur sehr eingeschränkt können, sich in einem überwiegenden (!) zustand der ablehnung befinden und/oder selbst in einer verdinglichenden wahrnehmung feststecken, die wiederum - und das ist eine persönliche hypothese - einiges mit dem ausfall der erwähnten wahrnehmungsebenen zu tun haben dürfte.

es geht hier aber keinesfalls - wie ich an anderen stellen schon oft betont habe - um mütterbashing oder schuldzuweisungen. die bedingungen für schwangere und kinder grundlegend zu verbessern, ist eine gesamtgesellschaftliche und hochpolitische aufgabe, die weitergedacht einiges an fundamentalen änderungen der derzeitigen lebensumstände überhaupt erfordern wird. da diese grundsätzlich lebensfeindlich und dingorientiert sind, sind die beschriebenen - in vielfältigster form als traumatisch zu begreifenden - destruktiven phänomene der pränatalen phase nicht verwunderlich. was aber potenzielle mütter, und auch väter, dringend entwickeln müssen, ist ein entsprechendes verantwortungsgefühl, zu dem auch gehört, dass bei erkannten störungen und defiziten der eigenen wahrnehmung bzw. im eigenen umgang mit sich selbst kinderwünsche vor der veränderung der genannten zustände erstmal zurückstehen sollten - im interesse des kindes genauso wie letztlich im interesse der gesamten gesellschaft. aber auch dieses verantwortungsgefühl setzt fundamentale individuelle und kollektive veränderungen voraus, so dass sich die katze letztlich in den eigenen schwanz beißt. was hier, genauso wie in vielen anderen bereichen, nötig ist, wäre mit dem wort "revolution" durchaus unzureichend beschrieben. wir werden letztlich nicht um eine ungeheuer tiefgreifende veränderung unseres gesamten lebens herumkommen, die diesmal - und historisch überhaupt das erstemal - mit einer ebenso tiefgreifenden veränderung unserer allgemein verkorksten psychophysischen struktur parallel zu gehen hat, ja letztere überhaupt erst zur voraussetzung haben kann.

Montag, 8. Januar 2007

basis: traumageschichte(n) 3 - die vegetative dystonie oder: "deutsche kennen keinen schmerz"

eine vorbemerkung: ich hätte im zusammenhang mit den historischen diagnosen im traumakontext gerne eine entsprechend chronologische reihenfolge eingehalten - deshalb waren nach der gerade thematisierten hysterie eigentlich die beiträge zur neurasthenie und der rentenneurose geplant, letztere vor allem als militärpsychiatrisches werkzeug nach dem ersten weltkrieg. inzwischen sind mir aber neue materialien bekannt geworden, die sowohl die neurasthenie in einen engen zusammenhang mit der rentenneurose stellen, als auch die eingrenzung von letzterer auf das militär sowie die 1920er jahre als nicht sachlich gerechtfertigt erscheinen lassen. die rentenneurose hatte augenscheinlich bereits vor dem weltkrieg - und da im zivilen leben - eine bedeutung auch und gerade hinsichtlich des oberthemas gesellschaft und psychotraumata, die eine grundsätzliche überarbeitung der fragmentarisch vorhandenen beiträge nötig macht. von daher verschiebe ich die nun, hoffe auf Ihr verständnis und ziehe dafür die keinesfalls weniger interessante "vegetative dystonie" vor.

***

wobei ich diese verschiebung vor allem wegen der nun noch nicht vorhandenen vergleichsmöglichkeiten gerade zwischen den symptome der neurasthenie und der vegetativen dystonie etwas schade finde - aber ich komme bei der neurasthenie nochmal drauf zurück.

was macht aber nun die "vegetative dystonie" eigentlich aus?

"Folgende Symptome können Ausdruck einer Vegetativen Dystonie sein: Nervosität, Unruhe, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Schwindelgefühl, klimakterische Beschwerden, Kurzatmigkeit, flache Atmung, Kopfschmerzen, Verkrampfungen der Muskulatur (Wadenkrämpfe, Zehenkrämpfe, Muskelzittern, Muskelzucken), Herzbeschwerden (unregelmäßiger Schlag, Herzstolpern, Herzjagen, Herzschmerz, Beklemmungsgefühl in der Brust), Krämpfe in den Blutgefäßen (kalte Hände), Krämpfe im Magen, Magendrücken, im Darm und in der Blase, Verstopfung, Leber-Galle-Beschwerden (starke Blähungen), Verlust der sexuellen Lust.

Häufig findet sich ein diffuses Ineinanderfließen von körperlichen Beschwerden und rein seelisch empfundenen Symptomen wie Angst, Unruhe, Unlust. Viele leiden zudem unter mehreren Störungen/Beschwerden."


während die dystonie ein allgemeiner begriff für eine neurologische und muskuläre erkrankung ist, welche recht viele ausprägungen annehmen kann, stellt die vorsilbe "vegetative" davor einen klassischen fall einer diagnose dar, die zwar pompös klingt, jedoch inhaltlich eigentlich nichts zu bieten hat.

und wenn Sie sich auch nur ein klein wenig medizinisch interessieren, wird Ihnen die obige auflistung aus beschreibungen von diversesten und verschiedensten möglichen krankheiten und störungen vermutlich sehr bekannt vorkommen - die aufgezählten symptome sind tatsächlich derart unspezifisch und als indikatoren für alles mögliche zu sehen, dass es nicht selten hinsichtlich des modells der "vegetativen dystonie" zu solch harschen urteilen kommt:

Die im deutschen Sprachraum leider häufig verwendete, wissenschaftlich nicht anerkannte Diagnose einer sogenannte vegetativen Dystonie, hat nichts mit Dystonie gemein.

Das Wort "vegetativ" bezieht sich in der Medizin auf ein unwillkürliches Nervensystem, das solche Phänomene wie Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Verdauung regelt. Wenn leichtere oder schwer fassbare Unregelmäßigkeiten in diesem System auftreten, die nicht organisch erklärt werden können und somit schwer zu einer präzisen Diagnose zu zuordnen sind, greifen einige Ärzte den Begriff "vegetative Dystonie" auf, um eine Diagnose anzubieten. In der Regel verbirgt sich hinter dem Begriff eine Verlegenheitsdiagnose.

Vegetative Dystonie ist eine Verlegenheitsdiagnose!


und mehr gibt es zum medizinischen inhalt dieser diagnostischen konstruktion eigentlich nicht zu sagen.
(so ist sie denn in der neuesten ausgabe der deutschsprachigen icd-10 auch nicht mehr enthalten, während sie es meines wissens in einer der vorgängerversionen durchaus bis zur aufnahme geschafft hatte.)

interessant ist hierbei die tatsache, dass diese diagnose eigentlich nur in deutschland zur anwendung kam (bzw. in einzelfällen immer noch kommt) - in anderen ländern ist sie faktisch unbekannt!

ebenfalls interessant ist in meinen augen auch, dass sie besonders in den 1960er und 70er jahren ihre "blütephase" in d-land hatte. warum dieser geographische/zeitliche aspekt möglicherweise von bedeutung sein könnte, versuche ich gleich zu skizzieren.

von einem neurologen habe ich im netz noch folgendes gefunden /den link habe ich leider verschlampt):

Hinter einer solchen Zuordnung ("vegetative Dystonie") kann sich in der Praxis auch einmal eine depressive Erkrankung, eine Persönlichkeitsstörung oder Suchterkrankung verbergen.

yo - wenn man sich die symptome bewußt macht, die zu dieser "diagnose" führen können, ist das durchaus plausibel - allgemeine unruhe, verdauungsbeschwerden, schlechter schlaf - "...und überhaupt stimmt irgendetwas nicht." wenn derlei symptomen, die wie schon gesagt bei vielen krankhaften störungen auftreten können, keine organischen befunde zugeordnet werden konnten, war es früher also an der zeit, diese diagnose aus dem ärztlichen zauberkästchen zu holen - wenn auch niemandem damit geholfen wurde, so klang das doch "offiziell" genug, um den patientInnen das gefühl geben zu können, wirklich an einer krankheit zu leiden - und sich nicht etwa etwas einzubilden, oder gar irgendwie als "psycho" zu gelten, was früher gesellschaftlich noch stärker tabuisiert und mit ängsten besetzt war als heute - und selbst heute ist es diesbezgl. ja immer noch recht krass.

um meine eigene meinung dazu gleich vorwegzunehmen: ich denke, dass viele menschen mit dieser diagnose auch ernstlich krank waren - bloß litten sie tatsächlich an etwas, das einen entsetzlichen hintergrund und ursprung besaß.
richtig "klick" hat es in meinem kopf gemacht, als ich folgendes buch las, aus dem ich jetzt ein paar sätze zitiere:

"Neben meinem eigenen Erkenntnis- und Arbeitsprozeß über meine Identität als Mitläuferkind und Angehöriger der `zweiten Generation´ hat mich immer wieder die Frage beschäftigt: Kann ein Tätervolk in den Dimensionen der deutschen Verbrechen psychisch so `ungestraft´ davonkommen, wie es das vordergründige Erfolgs- und Verdrängungsbild der Deutschen in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg vermuten ließ ? (...)

Allmählich wurde mir aber deutlich, daß es eine Kluft gibt zwischen der öffentlichen politischen Bewältigung des Themas und dem untergründig schwelenden Leid in den Familien, das durch den öffentlichen Diskurs kaum berührt wurde.
Bereits in einer früheren Arbeit (...) hatte ich vermutet, daß die jahrzehntelang nach dem Krieg gestellte Diagnose `vegetative Dystonie´ ein Sammelbecken von Störungen enthielt, deren partiell ursächliche Verbindung zur NS-Geschichte niemand wissen wollte; (...)

(tilmann moser "dämonische figuren"; s.117/118)


damit hat moser meiner ansicht nach voll auf den punkt getroffen.
"vegetative dystonie" wurde mehrheitlich bei solchen menschen diagnostiziert, die während des nationalsozialismus und im zweiten weltkrieg noch kinder bzw. jugendliche waren, also genau die teile der deutschen bevölkerung, die hinsichtlich dieser zeit mit dem begriff "zweite generation" bezeichnet werden (die an ns und krieg beteiligten erwachsenen stellen die "erste" dar). und es waren mehrheitlich die angehörigen der "zweiten generation", die ab den späten 1950er jahren in die phase des "erwachsenseins" gelangten.

was hatten diese menschen in der regel während kindheit und jugend erlebt?
  • militärische niederschlagung und zusammenbruch einer der brutalsten diktaturen der menscheitsgeschichte
  • einen weltkrieg, der alle bis dato bekannten vorstellungen eines krieges hinsichtlich zerstörung und gewaltexzessen sprengte
  • bombenkrieg mit all seinen begleiterscheinungen ("kellerdasein")
  • ständige präsenz von tod und zerstörung in unvorstellbaren dimensionen
  • möglicherweise flucht und/oder vertreibung aus dem vertrauten umfeld
  • sehr wahrscheinlich verlust von verwandten/freunden/bekannten
  • hunger
  • die bis kriegsende anhaltende indoktrination durch das ns-regime
  • die materielle not, die kälte und den hunger der nachkriegsjahre
  • die existenz in ruinenlandschaften
  • die wahrnehmung, einer bevölkerung anzugehören, unter deren (schweigender) zustimmung oder ignoranz die fabrikmäßige vernichtung von millionen durchgeführt wurde - und der gegenüber deshalb auch nach dem krieg z.t. weltweit verachtung entgegenschlug
und speziell in vielen deutschen familien:
  • die wiederkehr von fremd gewordenen kriegsgefangenen oder im kz inhaftierten angehörigen
  • ns-täter, die sich nach der befreiung zu "opfern" machten und ihre vergangenheit nicht nur nach aussen hin (ver-)leugneten
  • ns-täter und mitläufer, die tatsächlich durch den krieg in irgendeiner form zu opfern wurden, und diese tatsache als einzige zulässige wahrehmung bei sich und kindern/angehörigen durchsetzten
  • familien, die krachend auseinanderflogen: zb. bei gleichzeitiger existenz von ns-tätern und -verfolgten in ein und der gleichen familie (was gar nicht so selten vorkam)
  • bei ns-opfern und auch zahllosen kriegsgeschädigten schweigen, sprachlosigkeit, kränkungen, wut, trauer...
und vor diesem hintergrund ständige lügen (als-ob-verhalten: als ob alles eine heile welt wäre...), kommunikationsverweigerung, unehrlichkeit, orientierungslosigkeit, ängste aller art, versteckspielen, zerrissenheiten aller art, moralisch-ethische verwirrung...all das in den phasen von kindheit und jugend, wo an sich ganz andere erfahrungen, wie zb. die des der-welt-vertrauen-könnens, an erster stelle stehen sollten - und ein ehrlicher austausch über die damit einhergehende verwirrung und orientierungslosigkeit hinsichtlich der eigenen persönlichkeit gefragt wäre, gerade in der phase der sog. pubertät.

und all das auch vor dem hintergrund der notwendigkeit, unbedingt funktionieren zu müssen - nämlich als arbeitskraft in irgendeiner art beim projekt "wiederaufbau" mit völliger fixierung auf die materiellen aspekte des lebens.

*

eigentlich sind die oben erwähnten konstellationen allesamt idealer nährboden für schwere und schwerste traumatisierungen in massenhaften dimensionen. moser hat mit seiner weiter oben erwähnten frage nach den psychischen folgen in der deutschen bevölkerung also völlig recht - wo waren diese folgen geblieben, die nach all den schrecken des krieges (und für eine minderheit auch durch den terror der nazis) eigentlich unausweichlich zu erwarten sind und waren (und die bei den überlebenden aus den kz ja auch z.t. registriert wurden, wenn auch hier mit erheblicher zeitlicher verzögerung)?

ich denke, es spielen hier viele einflüsse eine rolle, die teils auch in den historischen ereignissen (wie "kalter krieg", deutsche teilung u.a.) begründet liegen. ich kann und will hier nicht auf alles eingehen. aber meine eigene hypothese dazu ist folgende:

um (psychische) symptome auszubilden, ist ein gewisser teil an ungebundener psychopyhsischer energie notwendig. ebenfalls muß eine gewisse grundsätzliche befriedigung der elementarsten materiellen bedürfnisse, v.a. nach nahrung, vorhanden sein. dazu dürfen äußere bedrohungen nur eine bestimmte stärke und bedeutung in der eigenen wahrnehmung besitzen (dringen sie zu stark durch, können alleine dadurch symptome entstehen.)

ich beziehe mich dabei einerseits auf die beobachtung, dass bei der deutschen zivilbevölkerung während des krieges die zahl psychischer erkrankungen "neurotischer" art anscheinend tatsächlich drastisch abgenommen hat, andererseits während der letzten phase des bombenkrieges ebenso wirklich schwere psychiatrische zustandsbilder (leute "drehten durch") verstärkt auftraten.

das klingt nur auf den ersten blick unlogisch: das "leichtere" oder diffuse psychische symptome sich zurückbilden, hat in aussergewöhnlichen, länger anhaltenden und (lebens-)bedrohlichen situationen, die aber nicht als individuelles, sondern kollektives schicksal (wichtig!) wahrgenommen werden, einfach damit zu tun, dass so ziemlich alle persönlichen ressourcen zur bewältigung und zum handling dieser situation gebraucht werden und damit gebunden sind. ebenfalls werden in solchen zeiten (kriege und z.t. auch schwere naturkatastrophen) bestimmte belastende probleme und umstände, die in "normalen" zeiten individuell ein schweres gewicht besaßen, ziemlich unwichtig und belanglos - gerade dann, wenn es um einen permanenten materiellen existenzkampf, vielleicht sogar ums nackte überleben, geht (aus dieser konstellation entstammen vermutlich übrigens die bekannten redefiguren vor allem alter menschen, die sich über die "laschheit" der jeweiligen jugend auslassen: "macht ihr erstmal das durch, was wir durchgemacht haben" usw. usf. - dieses durchaus reaktionäre gerede besitzt im oben beschriebenen einen realen kern).

im krieg und auch noch in der nachkriegszeit scheint eine mehrheit der deutschen bevölkerung psychophysisch genau nach diesen oder ähnlichen mechanismen funktioniert zu haben, was angesichts der oben aufgeführten kriterien auch zu passen scheint. allerdings sind die ganzen belastungen teils wirklich unerträglicher art in dieser epoche damit nicht verschwunden - sie wurden natürlich von den menschen wahrgenommen und auch in irgendwelchen formen gespeichert. die frage bloß: wie machten sie sich bemerkbar? denn die auseinandersetzung mit tod, terror, schrecken, verlust, zerstörung, wut und trauer ist nichts, dem auszuweichen wir imstande sind - die auseinandersetzung damit gehört zu unserer grundausstattung .

aber sie läßt sich zumindest verdrängen, wenigstens zeitweise, und wenigstens auf andere ebenen. und daraus zu meiner eigentlichen hypothese:

1. das sog. "wirtschaftswunder" ist zu einem großen teil, primär psychophysisch gesehen, auf einer riesigen kollektiven verdrängungsleistung aufgebaut.

das durchaus nachvollziehbare bestreben, sich einigermaßen erträgliche materielle lebensumstände aufzubauen, schlug irgendwann in eine art des wirklich besinnungslosen konsums als selbstzweck um - konsum und materieller wohlstand als lebenssinn an sich, dazu ein begriff von arbeit als ebensolcher "wert" an sich (wobei das auf vorhandene alte und fatale tendenzen in der deutschen geschichte aufbaute). beides sind irrationale "bewältigungstechniken" für probleme, die sich bis heute zb. in der gestalt des "workoholic" einiger beliebtheit erfreuen. ebenfalls ist die fixierung auf das ansammeln von materiellen dingen als kompensation immer noch eine gebräuchliche strategie, um sich um entscheidende (und meistens schmerzhafte) dinge des lebens herumzumogeln

2. ich kann es zwar nicht statistisch belegen, halte es jedoch für einigermaßen wahrscheinlich:

genau in der phase, in der für eine mehrheit der damaligen bevölkerung erstmals wieder nach dem krieg einigermaßen erträgliche materielle lebensumstände hinsichtlich wohnen etc. bestanden, und in der die rationale arbeit an der verbesserung dieser bedingungen in einen irrationalen konsumismus umschlug - genau in dieser phase, ca. zu beginn der 1960er jahre, begann auch die karriere der "vegetativen dystonie". für wahrscheinlich halte ich es für deshalb, weil es eine - wie ich zumindest finde - einleuchtende logik hätte: nachdem eine gewisse normalität im alltagsleben wieder hergestellt war (auf den verschiedensten ebenen: die ruinenlandschaften verschwanden etc.) und ebenso individuell für die meisten leute eine "normale" struktur in ihrem leben vorhanden war, gab es jetzt wieder freiraum zum nachdenken, fühlen und erinnern.

ich bezweifle jedoch stark, dass das, was da an gefühlen und erinnerungen in dieser generation hochkam, wirklich von den meisten gewünscht war. verdrängung war weiter angesagt, und so suchten sich die unerträglichen erinnerungen , wie in derlei konstellationen nicht unüblich, trotzdem einen weg, um an die oberfläche zu kommen - die diffusen symptome "ohne organischen befund" sind eigentlich ein klassisch "psychosomatischer" ausdruck dafür. nicht verwunderlich in einer gesellschaft, die als erstes ihre ruhe haben wollte, von krieg, diktatur, eigener verantwortung und moralisch-ethischen fragen nichts wissen wollte - und derart auch von ihrem eigenen leiden nichts wissen konnte (das dabei wieder auch diverse äussere faktoren eine rolle spielten, ist wohl klar - aber das ändert nichts am befund).

wie sagte der weiter oben zitierte neurologe noch?

hinter dieser diagnose "vegetative dystonie" kann sich u.u. auch eine "depression, eine persönlichkeitsstörung oder suchterkrankung" verbergen. eben. aber genau zu und von diesen störungen gibt es auch etliche verbindungen zur posttraumatischen belastungsstörung, wie wir sie heute kennen.

und eine ptbs oder analoge traumasymptome wären eigentlich, wie schon gesagt, bei derartigen traumatisierungen in massenhaften dimensionen als störung bei vielen angehörigen der zweiten generation zu erwarten gewesen.

inzwischen wird das thema "die deutsche bevölkerung auch als opfer" angesprochen - sei es in der thematisierung des bombenkrieges, oder auch mittels der seit mitte der 1980er jahre stattfindenden beschäftigung mit den familien von nazitätern. ich finde das absolut notwendig, mit einem ganz wichtigen zusatz: solange diese auseinandersetzung nicht für die relativierung der deutschen verbrechen instrumentalisiert wird. es sind oberflächlich zwei verschiedene, allerdings letztlich komplex und untrennbar zusammenhängende ebenen: eine der politisch-historischen, und eine der eher psychohistorischen betrachtung. und auf der letzteren ist das thema der damaligen deutschen opfer des krieges und der daraus folgenden konsequenzen speziell für das gesellschaftliche leben in diesem land durchaus zu diskutieren. ich bin sogar der meinung, dass es zur prävention gegenüber ähnlichen entwicklungstendenzen wie vor dem ersten und zweiten weltkrieg unverzichtbar ist.

nochmal tilmann moser zum thema:

"Die ganze Bandbreite von Traumatisierung durch die Folgen von Politik und Krieg wird uns erst allmählich bewußt. Ebenso die Verletzungen durch die Gewalt zwischen den Geschlechtern wie die zwischen Eltern und Kindern. Zwischen diesen disparat erscheinenden Ebenen bestehen kausale, aber komplizierte Verbindungen."

auch damit hat er meiner meinung nach völlig recht. im rahmen dieser reihe wird es bei den transgenerationalen oder tradierten traumata um eine der inzwischen bekannten arten gehen, wie sich traumatische zustände, die aus einem der obn genannten bereiche stammen, von generation zu generation "fortpflanzen" können.

*

so. und jetzt in ganz eigener sache noch etwas zu meiner motivation, sich mit diesem thema - trauma - und überhaupt dem ganzen blog so zu beschäftigen:

ich bin selbst angehöriger der "dritten generation", und habe in meiner herkunftsfamilie (zu der ich den kontakt schon seit langer zeit völlig abgebrochen habe) selbst etliches von dem vorgefunden, was ich weiter oben beschreiben habe: eltern als kinder bombenkrieg und flucht ausgesetzt, beide großväter als täter in die nazi-diktatur involviert (einer davon, mein damaliger "lieblingsopa", war eine zeitlang als wachmann im kz auschwitz tätig - das habe ich erst lange nach seinem tod erfahren.)

etliches, was in der bis heute erschienenen literatur zu deutschen familien mit täter-opfer-erfahrungen beschrieben wird, hat mich im laufe der zeit dazu gebracht, meine eigene biographie nach solchen mustern, die sich strukturell durchaus ähneln, zu durchsuchen. und ich denke, dass ich dabei auch fündig geworden bin - ob es die absolute kommunikationsunfähigkeit in "meiner" familie war, das schweigen zu praktisch allen wirklich wichtigen themen, oder aber auch mein eigenes, bereits als kind erwachtes und mir lange unerklärliches interesse für diese geschichtliche epoche - faschismus und krieg - , welches sich vor allem durch emotionalen aufruhr bis heute kenntlich macht, wenn ich mit diesen themen in berührung komme - das zusammen mit anderen, eher subtilen dingen, die ich jetzt nicht weiter ausführen will, bringt mich selbst dazu, von meinem heutigen wissenstand zumindest einen relevanten teil meiner eigenen probleme in zusammenhang mit dieser familiengeschichte zu bringen. lösen muß ich diese probleme natürlich trotzdem selbst - aber mir hilft es zumindest intellektuell und auch emotional weiter, eine sehr wahrscheinliche quelle für sie geortet zu haben.

das vielleicht als anregung für Sie, selbst mal Ihre familiengeschichte(n) nach derlei zu durchforschen. das eine menge zeit ins land gegangen ist, spielt bei psychopsychischen prozessen solcher art keine rolle - die haben ihre eigene zeit. und die lange tabuisierung diverser themen in d-land lässt sich durchaus als eine art latenzzeit betrachten. bei den monströsen dimensionen der ereignisse eigentlich kein wunder, wie ich finde (und auch da stimme ich tilmann mosers entsprechnden aussagen in seinem oben verlinkten vortrag zu).

in unseren körpern und köpfen dürfte die gewalt des vergangenen jahrhunderts - welches mit recht als das mörderischste der geschichte benannt werden kann - noch lange nicht erledigt sein. umso beklemmender, dass wir als spezies anscheinend so lernresistent sind - selbst unter der prämisse, dass die auseinandersetzung mit eigenen traumatischen strukturen zu den mühevollsten und anspruchsvollsten arbeiten überhaupt gehört, die wir als menschen angehen können. und wir sind noch viel zuweit von der allgemeinen erkenntnis entfernt, dass diese arbeit schlicht unter dem aspekt der lebensfähigkeit der menschheit letztlich unverzichtbar und sehr dringlich ist.

*

warum die "vegetative dystonie" als ein spezifischer beitrag der psychiatrie in form einer konstruierten diagnose zu den skizzierten verdrängungsprozessen zu sehen ist, sollte aber jetzt insgesamt etwas klarer geworden sein.

*

im letzten jahr erhielt ich freundlicherweise (an dieser stelle dank an s.p.) das original eines artikels aus der printausgabe des spiegel nr. 49/2005, der durchaus zu den besseren dieses magazins gezählt werden kann. unter der überschrift "getrauert wurde nie" geht es auch um das thema dieses beitrags - und einige auszüge möchte ich im folgenden wiedergeben:

(...)"Dabei hatten Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung die Deutschen auch zu einem Volk von Traumatisierten gemacht: Etwa 1,7 Millionen tote Zivilisten, 5,3 Millionen tote Soldaten, über 11 Millionen in Kriegsgefangenschaft. Millionen Vermisste, Hunderttausende Frauen und Mädchen vergewaltigt, Männer verkrüppelt, Städte in Trümmern, Familien zerrissen. Jedes vierte Kind wuchs ohne Vater auf."(...)

ich finde, dass sich das durchaus einmal in ruhe wahrnehmen lassen sollte, ohne sofort in eine debatte über schuld und verantwortlichkeiten abzugleiten: unbestritten: die damalige deutsche bevölkerung hat in ihrer mehrheit mindestens den terror der nazis geduldet. aber dieses und die anderen bekannten fakten können im gegenzug keinesfalls zur relativierung der psychophysischen folgen - die den funktionsgesetzen unserer biologie, als ganzes verstanden, unterworfen sind bzw. ihren ausdruck darstellen - des szenarios am ende des krieges benutzt werden. das ist schlicht unangemessen und verhindert ein absolut notwendiges verständnis der dimensionen und konsequenzen, um die es hier geht.

(...)"Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder - die Ideale der Nazi-Erziehung halfen nun dabei, die Zähne zusammenzubeißen, zu schweigen, runterzuschlucken.(...)

Das größte Tabu blieben die seelischen Beschädigungen derer, die an der Front gekämpft hatten. Dabei waren in unzählige Familien Männer heimgekehrt, die wie in Eis gehüllt immer nur schwiegen oder als Gefangene ihrer Alpträume die Nächte durchschrien. Doch kaum einer gab zu, dass er die Bilder nicht loswurde von Menschen, die er getötet hatte, vom Elend des Schützengrabens. Wehe, einer hätte erzählt, dass er vor Angst in die Hose gemacht hätte."(...)


es gleicht sich monoton und trostlos, von land zu land und von krieg zu krieg - und einen gedanken speziell zur geschichte dieses landes: könnte es sein, dass wir bis heute der nazi-fiktion des quasi "von natur aus" schmerzfreien und harten "deutschen mannes" erliegen, indem wir bspw. die noch lebenden wehrmachtsangehörigen nur in der täterperspektive wahrnehmen (mit der sie selbst übrigens auch erfolgreich einer auseinandersetzung mit sich selbst aus dem wege gehen konnten)?

(...)Heute würde man sagen `posttraumatische Belastungsstörung´. Die Diagnose stammt aus der Zeit des Vietnam-Kriegs (was im übrigen nicht stimmt; die ptbs taucht 1980 das erstemal im dsm auf, anmerk. mo). Jder zweite US-Soldat wurde dort, zumindest zeitweise, zum seelischen Wrack. Amerikanische Militärpsychiater erkannten psychische Symptome aber schon im Zweiten Weltkrieg als Krankheit an, in weit über einer Million Fällen.

In der deutschen Wehrmacht dagegen galt es schnell als Ausdruck charakterlicher Minderwertigkeit, wenn einer durchdrehte. Half Ruhe im Lazarett nichts, wurden traumatisierte Soldaten mit Elektroschocks traktiert oder in "Feldsonderabteilungen" zum Minenräumen eingesetzt."(...)


die praktiken der militärpsychiatrie werden in dieser reihe noch genauer beleuchtet werden. ich möchte aber vor allem auf das zusammentreffen dieser traumatisierten männer - wandelnde denkmäler für die täter-opfer-dialektik - mit dem nachkriegsalltag eingehen:

(...)"Kaum war er wieder da, ging es los mit dem Drill", sagt die Tochter. "Er hat unser Haus zum Kasernenhof gemacht."

War das Kind unfolgsam, musste es die Hände über dem Kopf falten wie zu einer spitzen Tüte, auf dem Esstisch auf- und abgehen und unter Tränen singen: " Hier tanzt ein Bi-Ba-Butzemann."

Hörte der Vater aus dem Bad kein Wasserrauschen, riss er die Toilettentür auf: "Ein deutsches Kind ist ein sauberes Kind! Hundertmal aufschreiben: Nach dem Stuhlgang, vor dem Essen, Hände waschen nicht vergessen!" Weil sie den Satz nur 97-mal notierte, hieß es: "Antreten zum Latrineputzen. Mit der Zahnbürste! Und singen musste ich dabei."(...)


mit "sie" und "ich" ist hier die ehemalige radio-moderatorin monika jetter gemeint, deren sendungen auf ndr 2 mich in meiner kinder- und jugendzeit oft genug ob ihrer plapperhaftigkeit ziemlich genervt haben - dieser typische radio-frohsinn halt (der im übrigen die biographischen schattenseiten der moderatorin perfekt maskieren konnte - das finde ich von heute aus). sie hat jedenfalls ein buch zu ihrem vater geschrieben, welches sie inzwischen auf einigen kongressen zu kriegskindheiten vorstellte - und bei einem dieser kongresse...

"...brachen bei vielen Zuhörern die eigenen Erinnerungen hervor, an die Verrohung und Brutalität, die wie ein Schwelbrand unter der bonbonfarbenen Oberfläche des Wirtschaftswunders verborgen lagen. Eine Frau berichtete unter Tränen, dass ihr Vater sie gezwungen habe, wie eine Ente vor ihm herumzuwatscheln, wenn sie zu weinen anfing. Später erfuhr sie, dass der Entengang in der Wehrmacht zur Demütigung in der Rekrutenausbildung ingesetzt wurde."

*

ich breche an dieser stelle ab. es gäbe noch sehr, sehr viel an querverbindungen und verstecken beziehungen aufzuzeigen - aber das würde mich gerade völlig überfordern, und ich betrachte dieses blog an solchen punkten auch eher als eine art impulsgeber. das rechts verlinkte buch von sabine bode, die arbeiten von tilmann moser sowie der link zur "kriegskinder"-seite seien denjenigen empfohlen, die sich tiefer mit dem ganzen beschäftigen möchten.

kennen Sie übrigens den treffenden spruch "es ist deutsch in kaltland"? woher diese kälte kommt, ist nicht schwer zu verstehen - wenn man sich traut, genau wahrzunehmen.

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