assoziation: "Wir brauchen einen Rausch" - wm-spezial (update)
"Es reicht langsam. Es gibt ein ukrainisches Sprichwort, das heißt: `Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.' Wir haben den Zustand, dass uns der Verstand verloren geht, bald erreicht.(...)"
(das stammt - erstaunlicherweise - von heiner geißler )
“Die Weltmeisterschaft ist von der Sorte Partydroge, die sich herrschende Koksnasen am liebsten einwerfen. In der Schnee- und Schampussphäre dröhnt man sich besonders gern völlig zu, glaubt man die Bevölkerung in betäubten Zustand gebracht.“
(quelle)
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so. da den unerfreulichen begleiterscheinungen eines sportlichen events in form von täglich anschwellendem und teils strunzdummen massenmedialem geblöke alá “wir-sind-jetzt-alle-deutschland-und-fühlen-uns-so-wahnsinnig-geil-dabei-und-wer-dabei-nicht-mitmacht-ist-ein-miesmacher“ sowie den symptomen einer größere bevölkerungsteile befallenen trance in form einer us-amerikanische ausmaße erreichenden optischen verschandelung des öffentlichen raumes mittels sog. nationalfarben nicht zu entgehen ist, gibt es nun doch ein wm-special - und ich werde mich bemühen, den beitrag so zu gestalten, das vielleicht auch diejenigen zum lesen animiert werden, die ansonsten auch außerhalb von wm-zeiten mit fußball nichts anfangen können - bei einem derart in der sozialen realität präsenten phänomen lohnt sich das genaue hinschauen.
aus der perspektive dieses blogs sind dabei zwei seiten besonders interessant: einmal die wiederspiegelung allgemein verobjektivierender / verdinglichender tendenzen im durchkapitalisierten profifußball, zum anderen der sog. "patriotismus" als begleiterscheinung der wm. dementsprechend wird es zwei teile geben, sonst wird es einfach zu lang. ich fange an mit dem geschäft fußball.
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1.
ich hatte es ja schon anklingen lassen, dass ich selbst durchaus ein gutes match zu schätzen weiß, mit vergnügen guten offensiv- und one-touch-fußball betrachte (wie er in den letzten jahren v.a. von werder bremen gespielt wird), und bspw. bei einem zinedine zidane in seinen besten zeiten durchaus künstlerische und ästhetische qualitäten wahrgenommen habe. als junge habe ich eine zeit selbst in einem verein gekickt, und es gab damals und auch noch in späteren jahren durchaus eine art fantum im klassischen sinne für mich, einerseits für den lokalen kleinstadtverein mit regelmäßigen stadionbesuchen, andererseits für einen lieblingsbundesligisten. im laufe der jahre veränderten sich die prioritäten, und fußball wurde phasenweise völlig unwichtig - auch bedingt durch eine intensive beschäftigung mit dem thema „mann(sein)“, welches für eine größere emotionale distanz zu den „klassischen“ begleiterscheinungen dieses in der vergangenheit eindeutig „männlich“ codierten sports sorgte (diese eindeutige codierung besteht imo heute nicht mehr in der form wie bspw. noch vor zwanzig jahren, zu diesem punkt später mehr).
2.
fußball kann in seinen besten momenten eine art von entertainment darstellen, die ich persönlich nutzen kann, um bspw. meinen kopf wieder freizubekommen - eine art auszeit, wenn die zumutungen dieser welt - besser: vieler ihrer menschen - mal wieder bis an den rand des erträglichen gegangen sind. eine spielerisch geregelte und körperbetonte form des auslebens von aggressivität, deren wichtigste funktion in der aktuellen realität u.a. darin besteht, eine art von emotionalem mehrwert zu schaffen - das gilt zwar auch für die spieler, aber auf eine etwas andere art und weise primär für das publikum.
damit ist die zwiespältigkeit des fußballs auch schon benannt: er dient einerseits zur ablenkung und kompensation, ist damit systemstabilisierend - und andererseits lässt sich ebenso eine art zivilisierende komponente - unter und mittels kapitalistischer bedingungen - finden, die klaus theweleit in seinem buch schön beschrieben hat:
“Fußball ist Krieg“ ist ein Satz, der Rinus Michels (ehemaliger trainer, anmerk. mo) zugeschrieben wird; zu Recht oder zu Unrecht. Als Autor der `Männerphantasien´, der sich zum „Körper des soldatischen Mannes“ geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als im Kern reiner Männersport, als Männerkampfsport, nicht unterm Gesichtspunkt „Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer“ betrachtet werden muss; als eine Art Militärersatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes . Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: „Ja, so ist es“. Um zur Bestätigung „Hab ich doch immer gesagt“ zu führen.
Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die „gewünschte Antwort“ habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. (...) Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im „Fußball alter Schule“ war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball. Der Torhüter Lars Leese („ronald reng“, anmerk. mo), der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in Der Traumhüter die Situation „Kabine“ nach einem Wochenendsieg mit den Worten: „Fußball ist eine Macho-Welt. Montagmorgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinness-Buch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen.“
Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heitiger Profivereine anschaue.
Es gibt andere Tendenzen und Entwicklungen auf den „artistischeren“ Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als „Krieg“ zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft. Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob ihnen dies bewusst ist oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball. Theo Stemmler schreibt in seiner „Kleinen Geschichte des Fußballspiels“ über „Kemari“, die japanische frühe Variante des Fußballs: „Es wird in spielerischem Ritual versucht, den Ball (= die Sonne) vor dem Herabfallen (= dem Untergehen) zu bewahren.“ Das hat van Gogh ähnlich gesehen, wenn er Sterne klar als rollende Bälle malt. Spiritualisierte Feuerbälle, die man rotierend in der Luft halten muss. Und: Man ist auf die gegnerische Mannschaft angewiesen, sonst gibt es kein Spiel. Krieg dagegen führen Staaten auch ganz gern gegen nicht vorhandene Gegentruppen.
Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die andere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball „brutal“: 22 durchtrainierte Körper ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußball-Ideologen gleich von Tanz und „Ballett“.
So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eins der bedeutensten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95% der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus. Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie: „Die andern können auch Fußball spielen“..“Es kann nicht zwei Sieger geben“...“Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus“ (naja, anmerk. mo) wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während „Krieg“ ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt. (...)
(klaus theweleit, „tor zur welt. fußball als realitätsmodell“; kiepenheuer & witsch; köln 2004; isbn 3-462-03393-X; s. 94 - 96)
im weiteren verlauf argumentiert theweleit u.a. auch mit dem interesse der vereine, ihr - und hier passt dieser scheußliche begriff besonders, darum führe ich ihn an - humankapital in form besonders teurer spieler vor verletzungen schützen zu wollen. vermutlich sehe nicht nur ich an dieser stelle einen z.zt. nicht auflösbaren widerspruch: der effekt dieses interesses besteht zwar in einer erhöhten fürsorge für die spieler - nicht umsonst werden schiedsrichter seit einigen jahren mehr dazu aufgefordert, allgemein die gesundheit der spieler, besonders aber die der „superstars“ zu schützen -, aber er entspringt eben nicht primär einer besonders humanen motivation, sondern einem profitinteresse: „verletztes kapital“, welches nur auf der bank sitzt oder sich im reha-zentrum aufhält, ist quasi totes kapital - und das können sich die proficlubs schlicht nicht leisten.
3.
der profifußball ist zu einem milliardengeschäft geworden, und in dieser hinsicht ein durchaus realitätstreues abbild und auch bestandteil der kapitalistischen globalisierung - vereine wie bspw. manchester united sind keine vereine mehr, sondern börsennotierte unternehmen, die eine weltweite "fan"schar
"Manchester United hat dieses Potential als erster Verein erkannt. Heute kommen von geschätzten 75 Millionen ManU-Anhängern weltweit allein 40 Millionen aus Asien und Australien. In 90 asiatischen Städten kaufen sie in MU-Megastores ein oder verfolgen in Red Cafés die Spiele ihres Vereins.(...)"
* (zur quelle dieses und folgender mit dem sternchen markierter zitate siehe das ende dieses beitrags)
mit dem produkt fußball plus merchandising, starkult und allem sonstigen drum und dran unterhalten müssen, wenn sie denn den primär wichtigen ökonomischen erfolg erreichen wollen. da sich aber im fußball eigentlich erfolge aufgrund des spielcharakters mit seiner potenziell impliziten unvorhersagbarkeit nicht so ohne weiteres planen lassen, boomt u.a. der markt für individuell hochklassige spieler, die zwar auch keinen sportlichen erfolg garantieren, aber doch die wahrscheinlichkeit dafür um einiges steigern können.
die suche (scouting) nach solchen spielern führt gerade in südamerika, afrika und auch osteuropa zu zahlreichen sog. "auswüchsen" (die in der realität natürlich systemimmanent produziert und bis auf die größten und offensichtlichsten exzesse auch toleriert werden):
"Der Fußballmarkt hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm globalisiert. Aufstrebende Ligen, wie die japanische, fordern genauso „Spielermaterial“ wie der europäische Markt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Luxusmigration von internationalen Top-Stars. In Deutschland sind heute selbst Dritt- und Viertligavereine international besetzt.
Auf der anderen Seite steht ein Heer von Fußballern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt. Ausgebildet auf einer der zahlreichen Fußballakademien in Afrika oder Südamerika, warten sie auf den internationalen Durchbruch. Allein in Brasilien, auf dem größten Fußballermarkt der Welt, sind es 30.000. In den letzten vier Jahren hat Brasilien 3087 Profifußballer in alle Welt exportiert.(...)"
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in einer ausgabe der welt vom mai letzten jahres war folgendes zu lesen (auszüge):
(...)"José Ferreirinha hatte eine andere Reaktion erwartet. Im Auftrag von Jose Mourinho, Trainer von Chelsea London, war er im März in das kleine Touristenstädtchen Santa Catarina an der portugiesischen Algarve-Küste gereist. Der Talentspäher sollte vor Ort die Familie Ponde dazu bewegen, daß ihm ihr zehn Jahre alter Sohn Cristian Ponde in die englische Hauptstadt folgt, um dort sein außergewöhnliches fußballerisches Talent weiter zu entwickeln. Doch der Filius des rumänischen Immigranten-Paares brach in Tränen aus, als man ihn über das Ansinnen des Besuchers unterrichtete. "Ich will aber für Sporting spielen", schluchzte Cristian.
Schließlich bekam Cristian seinen Willen. Das zehnjährige Talent darf künftig für seinen Lieblingsverein in Lissabon kicken. José Ferreirinha reiste unverrichteter Dinge ab - ein seltenes Erlebnis für den Scout des derzeitigen Krösus im europäischen Fußball.
Ob in Lissabon, Barcelona oder London - die Jagd auf die jüngsten Fußballtalente läuft aggressiv wie nie. Woche für Woche werden neue "Wunderkinder" entdeckt, sie und ihre Familien in Versuchung geführt und schließlich von Großvereinen unter Vertrag genommen und so oft entwurzelt.
Vor wenigen Tagen verpflichtete der FC Valencia den elfjährigen Nikon Jevtic, der von seinem Berater Karl-Heinz Förster auch dem VfB Stuttgart angeboten worden war. Der FC Barcelona angelte sich den zwölfjährigen Argentinier Erik Lamela, den auch Arsenal London und AC Mailand umworben hatten. Das jüngste Objekt der Begierde auf dem internationalen Kinder-Fußballmarkt ist Jean Carlos Chera, ein neunjähriger Fußballer aus Südbrasilien. Manchester United und der FC Porto hatten die Fühler nach dem Knirps ausgestreckt, die Eltern entschieden sich schließlich für den heimischen FC Santos.
"Wir leben in einem neuen Zeitalter", sagt der sportliche Leiter von Bayer Leverkusen, Michael Reschke. "Der Markt ist aggressiver geworden." Im vergangenen Jahr war das zwölfjährige Talent Dennis Krol von Leverkusen nach Barcelona gewechselt. Wenige Wochen später sprachen die Scouts der Katalanen bei einem Turnier in Spanien weitere Spieler an. Künftig verzichtet der Werksklub auf Reisen der Nachwuchsteams nach Spanien."(...)
"Das ist doch Piraterie", klagte Jose Maria Aguilar, Präsident von River Plate Buenos Aires, die erfolgreichen Abwerbungsversuche des FC Barcelona im Fall Lamela an. Der katalanische Spitzenklub lockte die Eltern des argentinischen "Jahrhunderttalents" mit der Aussicht auf gutdotierte Jobs und die Geschwister mit Studienplätzen über den Atlantik. Darüber hinaus erhält der 41 Kilogramm leichte Maradona-Fan ein Jahresgehalt in Höhe von 120 000 Euro. Das spanische Sportblatt "As" geht in Zusammenhang noch einen Schritt weiter und beschrieb solche Transfers als eine "Art von fußballerischer Pädophilie".
Das Seelenheil der Kinder spielt dabei auch für die Eltern oft nur eine Nebenrolle. So versuchte ein Taxifahrer aus Frankfurt vor kurzem den FC Bayern mit dem Talent seines 15 Jahre alten Jungen zu erpressen. Er wollte seinen Sohn nur ziehen lassen, wenn ihm der deutsche Rekordmeister eine gutbezahlte Stellung besorgen würde. Bayern München lehnte mit einem Hinweis auf die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland ab und wünschte Vater und Sohn viel Glück.
Ein noch bedenklicherer Auswuchs der neuen Entwicklung ist bei Nikon Jevtic zu beobachten. Der Knirps wurde an den Bedürfnissen des Marktes geformt. Vor sechs Jahren entdeckte Vater Jevtic, ein wohlhabender Immobilienkaufmann aus Serbien mit Wohnsitz in Großbritannien, das Talent seines Sohnes und entschied, den Jungen zum Fußballstar zu machen. Der ältere Bruder übernahm das Fußballtraining, zwei Mal täglich, die Schwester unterrichtete ihn - eine Schule besucht Nikon bis heute nicht. Vor zwei Jahren zog die Familie nach Österreich, der Vater brachte seinen Sohn in der Fußballakademie von Austria Wien unter. Wie einst Brasiliens Fußballegende Pelé soll Nikon mit 16, so der Wunsch des Vaters, sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft geben - pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land. Mit dem Wechsel nach Valencia sind diese Pläne vorerst vom Tisch. Die Vermarktung des Sohnes hat Vorrang. Statt des sperrigen Jevtics firmiert der Clan ab sofort unter dem Namen "El Maestro".
"Er ist wie ein Fußballer, der im Labor gezüchtet wird. Dies ist ein Experiment, das für die Entwicklung des Jungen große Risiken birgt", kritisiert der spanische Sportpsychologe José Carrascosa die Verpflichtung Nikon Jevtics. Auch der deutsche Sportsoziologe Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist skeptisch. "Das eigentliche Leistungstraining beginnt erst mit 15 Jahren." Die Entwicklung davor sei für die spätere Entwicklung weniger ausschlaggebend. "Am Ende entscheidet sogar weniger das Talent als die Persönlichkeit über den Erfolg eines Spielers", so Buschmann. "Ich kann nur warnen, für die Kinder zu viel Geld zu investieren."(...)
unter dem vielversprechenden titel "dem kinderhandel den kampf ansagen" wurden seitens des weltfußballverbandes fifa neue transferregeln eingeführt, die sich jedoch bei genauer ansicht als papiertiger entpuppen:
(...)"Der Status der Spieler wird neu definiert als Amateur oder Berufsspieler (bisher: Nicht-Amateur). Mit dem neuen Reglement sagt die FIFA dem "Kinderhandel" im Fußball den Kampf an, "Kidsnapping", wie es ein FIFA-Funktionär nannte, soll unterbunden werden. Grundsätzlich dürfen Spieler künftig erst ab dem 18. Lebensjahr international transferiert werden. Es gibt aber drei Ausnahmen, die Umgehungen befürchten lassen.
Spieler unter 18 Jahren können international den Verein wechseln, wenn "die Eltern des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben, Wohnsitz im Land des neuen Vereins nehmen". Innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) dürfen Spieler schon ab dem 16. Lebensjahr wechseln, wenn der Verein unter anderem eine schulische Ausbildung garantiert oder der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt wohnt und der Verein des benachbarten Verbandes höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze ansässig ist."(...)
(aus einem artikel des kicker vom april 2005)
kurz: wie bei anderen massenwirksamen (tv-)sportarten auch finden sich hier alle erscheinungen wieder, die auf einen tiefgreifenden einfluß verobjektivierender wahrnehmung hindeuten - und zwar bei allen beteiligten: funktionäre, spieler, zuschauerInnen.
4.
weitere aspekte der kapitalisierung seien hier nur kurz angerissen:
wie schon oben erwähnt, sind die großen clubs heute von ihrem selbstverständnis her profitorientierte unternehmen, die sich mit den besonderen unwägbarkeiten des fußballsports herumschlagen. das hindert jedoch millionen- und milliardenschwere unternehmer nicht daran, in der hoffnung auf neue profitquellen ins geschäft einzusteigen - der us-amerikaner malcolm glazer bei manchester united bspw.:
(...)"Bei jedem Heimspiel im ehrwürdigen Stadion am Old Trafford wird der pausbäckige Unternehmer mit dem roten Bart von den Fans verflucht. Glazer-Puppen am Galgen gehören fast schon zum Standardrepertoire. Doch unbeirrt von den Protesten der United-Fans hat Glazer beharrlich an der Übernahme des börsennotierten Klubs gearbeitet.
Seit März 2003 erkaufte sich Glazer einen Anteil von 28 Prozent der Aktien. Nach langem Tauziehen sicherte sich der Milliardär am Donnerstag weitere 29 Prozent, die er den irischen Unternehmern John Magnier und John Paul MacManus abkaufte. Damit hält er die Mehrheit und bietet für die übrigen Aktien. Der Gesamtwert seiner Offerte: 790 Mio. £.
Die Anhänger des mehrfachen englischen Meisters und Europapokalsiegers fürchten jedoch, dass Glazer sie ausbeuten wird. Wie das geht, hat er in Florida gezeigt. Glazer kaufte die abgetakelte American-Football-Mannschaft Tampa Bay Buccaneers. Zur Finanzierung des Deals wurden die Kartenpreise drastisch erhöht und das Merchandising-Potenzial ausgeschlachtet."(...)
oder aber beim fc chelsea (london):
(...)"Roman Abramowitsch begann seine Karriere 1987 mit dem Verkauf von Gummienten. Bald wandte er
sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zu: dem Öl. Heute wird sein Vermögen auf 18,2 Milliarden Dollar geschätzt. Wie vielen russischen Neureichen haftet Abramowitsch der Ruch dubioser Geschäftsgebaren an. Seine guten Beziehungen zum Kreml und sein Gouverneursamt in der russischen Provinz Tschukotka sicherten ihm freie Hand in der Wirtschaft. Doch die Gefahr, letztendlich so zu enden wie Michael Chodorchowski, schien groß. Nach und nach verkaufte Abramowitsch seine Beteiligungen in Russland, im Herbst 2005 schließlich auch seine Firma Sibneft. Käufer war der halbstaatliche Konzern Gazprom. Mittlerweile hat er sich als Unternehmer de facto aus Russland zurückgezogen. Der Abschied war lange vorbereitet. Sein Faustpfand für eine Aufenthaltsgenehmigung in England war der FC Chelsea.
Wie bei seinen anderen Unternehmungen bleiben auch die Umstände seines finanziellen Fußballengagements im Dunkeln. „Sind es Waffen? Sind es Drogen? Ist es Öl aus dem Meer?“ lautet ein Schlachtruf der Chelsea-Fans. Und sie geben auch gleich die Antwort: „Stellt keine Fragen!“ 2003 erwarb Abramowitsch die Aktienmehrheit des kurz vor dem Bankrott stehenden Klubs. 215 Millionen Euro kostete ihn das. 158 Millionen Euro investierte er noch im selben Jahr in international hochkarätige Spieler. „FC Chelski“ nannten Spötter fortan den Verein. Und der dient seinem Besitzer als Lebensversicherung. Durch sein Engagement baute er England peu a peu zu seinem sicheren Rückzugsgebiet aus.(...)"
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oder aber ein bekanntes beispiel aus österreich:
(...)"Nachdem Red Bull Chef Didi Mateschitz den österreichischen Bundesligisten SV Austria Salzburg übernahm, wurde aus einem Abstiegskandidaten schnell ein Favorit auf den Meistertitel. Mateschitz holte neue Topspieler wie Lokvenc oder Zickler, Kurt Jara als Trainer und baute das Stadion aus. Somit sollten in Salzburg doch alle zufrieden sein, oder etwa nicht?
Eher nicht. Denn Mateschitz machte noch viel mehr als das. Als erstes änderte er den Klubnamen in Red Bull Salzburg. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. In einem seiner ersten Interviews nach der Übernahme meinte Mateschitz, dass er auf Tradition großen Wert lege und dass die Klubfarben (violett-weiß) nicht geändert werden. Dies wurde auch bei der ersten Generalversammlung bestätigt.
Bei der Präsentation der neuen Dressen erlebten die Fans der violetten Austria ihr blaues Wunder. Das neue Heimdress war rot-weiß, das Auswärtsdress blau-weiß! Nichts mehr übrig von dem Versprechen, die Klubfarben beizubehalten."(...)
wie schon in manchester kam es auch in salzburg zu einem - aus einer äußeren perspektive her - eigenartigen konflikt zwischen einem teil der fanszene, die sich als traditionalisten bezeichnen lässt, und der jeweiligen neuen clubführung: die umwandlung von klassischen fußballspielen in events, die der alten fanszene greulichen verachtung jeglicher vereinstradition (in salzburg auf die konsequente spitze mit neuem namen und neuen farben - denen von "red bull" - getrieben), die erhöhung der eintrittspreise und die umwandlung von steh- in sitzplätzen führte in manchester gar dazu, dass tausende von "traditionalistischen" fans nach dem scheitern aller abwehrversuche gegen glazer (die teils sogar einen militanten charakter bekamen), einen eigenen club gründeten, den fc united of manchester.
das bemerkenswerte engagement tausender von menschen für ihre freizeitbeschäftigung ist in meinen augen an einer völlig falschen stelle verschwendet - gerade, wenn man(n) sich die allgemeine sonstige gesellschaftliche apathie im angesicht des objektivistischen wahns (von dem die kapitalisierung von allem und jeden einen hauptteil darstellt) anschaut. aber die frage, was hier eigentlich so mobilisierend wirkt, ist durchaus nicht uninteressant - dazu mehr im zweiten teil zum "patriotismus", bei dem sich diese frage ebenfalls verschärft stellt.
- die erwähnten risiken des fußballs führten in den letzten jahren zu einer häufung sog. "skandale", deren kern regelmäßig in diversen manipulationsversuchen an den spielen besteht - großflächig gerade zu bestaunen in der höchsten italienischen spielklasse, der "seria a", bei der verschiedene funktionäre von sog. topclubs wie z.b. juventus turin offensichtlich mit erfolg die meisterschaft nicht nur eines jahres beeinflusst haben - im "vereinsinteresse", was sogar stimmt - weil das vereinsinteresse hier gleichzusetzen ist mit dem profit- und erfolgsinteresse. und hier ist dann auch eine schnittstelle gegeben, die auch in anderen wirtschaftszweigen mehr oder weniger offen zu sehen ist: hin zur organisierten kriminalität, die sich bei florierenden ökonomischen bereichen mit ermüdender penetranz mindestens als struktureller hintergrund finden lässt.
"Die Wettskandale, die 2005 und 2006 die Bundesliga erschütterten, haben der breiten Öffentlichkeit einen alternativen Nutzen des Volkssportes Fußball vor Augen geführt: Mit Fußballwetten lässt sich trefflich Geld verdienen – vor allem, wenn man das Spielergebnis schon vorher kennt. Hatte die Hoyzer-Affäre noch weitgehend lokalen Charakter, gibt es längst ein globales Wettphänomen. So hat die chinesische Wettmafia mittlerweile auch den europäischen Fußball für sich entdeckt. Spiele werden nicht mehr nur auf europäischen Fußballfeldern gewonnen, sondern auch in den Wettbüros in Hongkong und Macao. 2005 wurden in Asien unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze auf Fußballspiele in Belgien beobachtet – nicht selten auf Spiele mit sehr eigenwilliger Auslegung der Abseitsregel, fulminanten Eigentoren, lustigen Fehlgriffen der Torhüter oder absolut unberechtigten Elfmetern.
Offiziell verdiente Zheyun Ye sein Geld im Textilgeschäft, aber in Wirklichkeit kaufte er Fußballspiele. Besonders gerne tat er das in Belgien, denn dort hatte er relativ leichtes Spiel. Zwei Vereine standen auf der Gehaltsliste von Herrn Ye: La Louvière und Lierse SK. In zwei weiteren investierte er 375.000 Euro. Die Spieler verloren bei bestimmten Spielen offensichtlich mit so vielen Toren Unterschied, wie Herr Ye es von ihnen verlangte. Einige Spieler und der Trainer haben mittlerweile eingeräumt, von Ye gekauft worden zu sein. Nach Presseberichten wiesen 18 Spiele in Belgien Indizien von Schiebung auf. Auch beim Spiel von Vantaan Allianssi gegen Haka Valkeakoski in Finnland hatte Herr Ye seine Finger im Spiel. Für jeden eingesetzten Euro gab es bei einem richtigen Tipp 8700 Euro Gewinn.(...)"
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- das boomende geschäft mit sport- und besonders fußballwetten (auf das der deutsche staat momentan gerade seine hände legen möchte, um den hauptteil zu kassieren) manifestiert sich hier in der stadt z.b. in einer vielzahl innerhalb der letzten beiden jahre öffnenden privaten wettbüros, bei denen ich irgendwann mit dem zählen nicht mehr hinterherkam. alleine in der straße, in der ich mich gerade befinde, gibt es davon mittlerweile fünf. und trotzdem lässt sich dieses business nicht vergleichen mit den wirklichen global playern, die nicht nur im fußball tätig sind, und deren "legale geschäfte" alleine bereits in vielfältigen teilen als organisierte kriminalität zu begreifen sind.
das fängt bei den hauptsponsoren der wm, "coca-cola"
"Verfolgung von Gewerkschaften mit „Todesschwadronen“ in Abfüllfirmen, Ausbeutung und Kinderarbeit in der Orangenernte, rassistische Diskriminierung"
(hinzuzufügen wären noch ökologische verwüstungen in indien sowie etliche versuche politischer einflußnahmen in der vergangenheit, von der rolle im nationalsozialismus mal ganz abgesehen) und "mc donalds" an
"Kinderarbeit in England und in chinesischen Zulieferbetrieben, Ausbeutung und katastrophale Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben, exzessiver Fleischverbrauch mit negativen ökologischen und sozialen Folgen"
und hört bei den sportartikelherstellern wie "adidas" oder "nike"
"Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben"
noch lange nicht auf (die obigen zitate sind alle der seite markenfirmen.com entnommen - einfach mal auf die logos klicken).
"Im Prinzip sind die Produkte von Nike, Adidas oder Puma austauschbar: Sportbekleidung, die teilweise parallel in den gleichen Dritte-Welt-Sweatshops kostengünstig gefertigt wird. Doch auf dem Weg in die Sportläden der Welt erfahren die Produkte eine magische Wertsteigerung. Denn es geht nicht um einen Schuh oder eine schnöde Turnhose – es geht darum, diese Turnhose mit Persönlichkeit aufzuladen, der Marke also ein bestimmtes Image zu geben. Oft genug liefert die sogenannte Zweite oder Dritte Welt mittlerweile nicht mehr nur das eigentliche Produkt, sondern auch gleich noch das passende Image dazu.
So sicherte sich Nike 1996 bei seinem Einstieg in den Fußballmarkt für einen Preis von 200 Millionen Dollar für zehn Jahre gleich das attraktivste Image: Brasilien. Das steht für barfuss kickende Künstler von der Copa Cabana, das steht für spielerischen, ästhetischen, begeisternden Fußball – eben das Gegenteil des unterkühlten, taktischen europäischen Fußballs. Das ist zwar ein überholtes Klischee – aber die Marke Brasilien funktioniert weltweit. Genauso wie die Marke Kamerun."(...)
Im gleichen Jahr, in dem Nike Brasilien unter Vertrag nahm, kam es auch zu einer einzigartigen Symbiose der Tierwelt, und zwar zwischen Puma und den „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Die auf Lifestyle fokussierte Firma profitiert seitdem vom lebensfrohen Image Kameruns. Puma schneiderte den Spielern spezielle, feuchtigkeitsregulierende und schweißabsorbierende Trikots auf den Leib, wegen der afrikanischen Hitze. Diese Trikots kann man seitdem für 68 Euro im frostigen Deutschland erwerben, in Kamerun aber leider nicht, weil das durchschnittliche Monatseinkommen nur 35 Euro beträgt. Deshalb soll im Mutterland des Kamerun-Gefühls eine nichtfeuchtigkeitsregulierende, aber dafür billigere Baumwollvariante angeboten werden.
Zwar hat sich Kamerun nicht für die WM 2006 qualifiziert, aber Puma erweckt mittlerweile den Eindruck, Ausstatter eines ganzen Kontinents zu sein: „Proud supplier of African Football“ lautet der Werbespruch, und tatsächlich tragen vier der fünf teilnehmenden afrikanischen Teams bei der WM 2006 den Puma auf der Brust. Etablierte Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Tschechien, spielen in der Werbestrategie kaum eine Rolle. Puma setzt bewusst auf das Außenseiter-Image Afrikas, denn das entspricht genau dem Firmencredo. Puma sieht sich selbst als revolutionärer Herausforderer der etablierten Marken Nike und Adidas."(...)
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hier wird sehr schön eine durchaus perverse entwicklung deutlich, die auch in anderen ökonomischen bereichen zu beobachten ist: produktmarken, also bezeichnungen für dinge, werden mehr und mehr durch ihre koppelung mit menschlichen emotionen, sozialen zuständen und images (= konstruierten individuellen und kollektiven identitäten mit mehr oder weniger großem bezug zur realität) beworben und verkäuflich. da die manager der objektivierung durchaus nicht unintelligent sind, haben sie das entsprechende potenzial, welches gerade eine hoch emotionalisierte sportart wie der fußball diesbezgl. bietet, erkannt - und das bleibt natürlich nicht ohne die entsprechenden destruktiven folgen, die in diesem beitrag bereits grob skizziert wurden.
5.
über den hooliganismus - in und rund um den profifußball ein auslaufmodell, nicht hingegen in etlichen unterklassigen ligen - will ich nicht viele worte verlieren. das thema ist durchaus interessant, sollte jedoch nicht unbedingt im fußballkontext gesehen werden. eine der besten soziologischen reportagen, die ich jemals gelesen habe, macht das ganz gut deutlich. wie auch die tatsache, dass zwar etliche klischees über hooligans zutreffend sind, etliche andere wiederum nicht - so ist es z.b. kein "unterklassenphänomen", sondern es finden sich dabei auch akademiker (als extrem wäre die geschichte der festnahme eines mathematikers vor ein paar jahren zu nennen), ärzte, anwälte, polizisten...alles männer. und dieses klischee trifft nicht nur zu, sondern ist eine korrekte aussage über die entsprechende realität: hooliganismus ist ein explizit "männliches" phänomen. dazu eines mit suchtpotential. wie gesagt: wenn Sie einmal eine wirklich erstaunliche parallelwelt kennenlernen wollen, dann lesen Sie buford (und lassen Sie sich nicht vom zugegebenermaßen ziemlich bescheuerten titel abhalten) - er war in der ersten hälfte der 1980er jahre bis ca. 1990 hauptsächlich mit den damals sehr gefürchteten hools von manchester united unterwegs und hat aus den teils drastischen erlebnissen auch ein lesebuch zum thema massenpsychologie gemacht - ein thema, welches bis heute auffällig unterbelichtet ist (gustave le bon und andere "klassiker" in diesem bereich, auch elias canettis "masse und macht", sind imo eher als mehr oder weniger unterhaltsame intellektuelle essays zu verstehen (canetti) oder aber als ziemlich reaktionäres und elitäres geschwafel über "die massen" (le bon, nicht zufällig ein glühender bewunderer von mussolini). realistische analyseversuche der prozesse, die in (gewalttätigen) menschengruppen und -massen vor sich gehen, sind mir jedoch kaum bekannt (und buford versucht leider, seine teils sehr deutlichen und eindrucksvollen subjektiven erfahrungen in verhaltenspsychologischen ansätzen zu begreifen - meiner meinung nach ein fehler. aber das entwertet seine subjektiven beschreibungen keinesfalls).
6.
ein paar worte zum primär sportlichen aspekt der wm will ich mir nicht verkneifen. das beste spiel (von meinen ganz persönlichen eindrücken her) war für mich in der vorrunde: argentinien - elfenbeinküste. brilliante technik, schöne spielzüge, und eine in den entscheidenden momenten abgeklärte argentinische mannschaft. danach kommt erstmal eine weile lang gar nix, und das ist bezeichnend für diese wm - kein vergleich mit den spielen bei der europameisterschaft 2000, dort besonders von frankreich, portugal und den niederlanden. kein vergleich mit wm-klassikern wie dem spiel zwischen brasilien und frankreich 1986 (für mich eines der besten spiele aller zeiten). kurz: im großen und ganzen enttäuschend (besonders brasilien).
die hiesige mannschaft lässt mich dabei ziemlich kalt (nicht die unschönen begleitumstände, aber das ist ein anderes thema). eine der leichtesten vorrundengruppen (costa rica = fußballzwerg; eine im spiel dezimierte und bereits vor der wm zerstittene polnische mannschaft sowie ein b-team von ecuador) zu bestehen, ist imo keine besondere kunst. gegen argentinien und auch italien war sehr deutlich zu sehen, dass dieses team deutliche grenzen hat. und leider spielt portugal faktisch ohne sturm, sonst wären diese grenzen auch gestern wieder zu sehen gewesen.
ich hätte gern einen ronaldinho im anderen zustand gesehen, fühle mich aber durch die renaissance eines zidane durchaus entschädigt - ich würde mir sehr wünschen, dass einer der drei größten spieler aller zeiten heute abend sein letztes spiel angemessen krönen kann - nicht nur wg. seiner teils galaktischen spielweise, sondern auch deshalb, weil er ein sehr uneitler star ist - und dazu einen sehr begrüßenswerten umgang mit vereinnahmungsversuchen und nationalgedöns pflegt :
"So lieb und nett Zidane ist, weiß er seinen Standpunkt durchaus deutlich zu vertreten. Als Frankreichs Rechtsextremist Le Pen, Anführer des Front National (FN), die Auswahlspieler anging, vor Länderspielen gefälligst die "Marseillaise" mitzusingen, konterte Zidane, das er das mit Sicherheit nicht täte, nur um irgendjemandem einen Gefallen zu tun."
was er vermutlich auch heute abend nicht tun wird :-) und dazu ist seitens der französischen mannschaft auch noch einiges andere erwähnenswert - etwa die deutliche absage an den berüchtigten innenminister sarkozy:
"Dieser ist zwar der einzige wirkliche Fußballfan der Regierung, aber seinen Besuch lehnte die multikulturelle Nationalmannschaft ab. Spieler wie Thuram haben Sarkozy nicht verziehen, daß er angesichts der brennenden Autos die Banlieues mit einem Hochdruckreiniger der Marke „Kärcher“ säubern wollte."
undenkbar ein solcher schritt - bspw. schäuble vor die tür zu setzen - von all den "klinsis", "poldis" und "schweinis" (konsequente infantile regression übrigens - was für namen!).
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alles zum "patriotismus" (und seinen wirkungen bzw. nutznießern) dann im zweiten teil - u.a. mit einem kleinen quiz: welche nachrichten der letzten fünf wochen haben Sie nicht mitbekommen? - und einigen anmerkungen zum bedenklichen revival des begriffs "miesmacher", der in diesem land eine längere tradition besitzt...
(* da es aus mir unerklärlichen gründen schwierigkeiten gibt, links mit der .pdf-endung zu setzen, trage ich also die quelle vieler obiger zitate hier nach: http://www.bpb.de/files/BFAEAD.pdf )
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edit am 06.10.: eigentlich könnte ich den ganzen beitrag umbenennen und laufend updates veranstalten - in vielen ländern gibt es derzeit sog. skandale und informationen über genau die strukturen, die ich damals zur wm schon angesprochen hatte. die spektakulärsten entwicklungen finden z.zt. gerade in england statt:
(...)"Schnell bemerkte er, dass es nicht immer sauber zugeht in der Multimillionenbranche. "Manche Machenschaften haben mich an modernen Sklavenhandel erinnert", sagt auf dem Berge, "ich habe die schmutzige Seite des Geschäfts gesehen."(...)
aber auch in polen lässt sich nur allzu bekanntes beobachten:
(...)"Jedes Kind in Polen weiß, dass der Fußball hier korrupt ist", sagt Redakteur Tuzimek. Besonders in dieser Saison habe es verdächtig viele Fehlentscheidungen gegeben."(...)
und ein leider nur in der printausgabe der zeitschrift 11Freunde enthaltener artikel beschäftigt sich mit ähnlichen verhältnissen in griechenland.
zusätzlich ist nicht nur in d-land verschärft das thema rassismus beim fußball in den focus gerückt.
alles in allem verschärfen sich die zustände, die es mehr und mehr unerfreulicher machen, sich dem profifußball unkritisch und in der - naiven - hoffnung auf schöne und unbeschwerte spiele mit zeit und aufmerksamkeit zu widmen. die aktuellste meldung in diesem zusammenhang: der russische energiekonzern gasprom will sich medienmeldungen zufolge beim bundesligisten schalke 04 als hauptsponsor betätigen...
"Jürgen Roth, Experte für Wirtschaftskriminalität, nennt Gasprom ein "Selbstbereicherungssystem" mit "kriminellen Strukturen".(...)
tja. that´s business, so kann hier nur die zynische anerkennung der realität lauten. wobei das nicht auf akzeptanz hinauslaufen sollte und darf.
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den angekündigten zweiten teil des beitrags mit dem schwerpunkt "wm-patriotismus" möchte ich hiermit absagen. das thema wird aber zukünftig im allgemeinen kontext hier immer mal wieder behandelt werden.
(das stammt - erstaunlicherweise - von heiner geißler )
“Die Weltmeisterschaft ist von der Sorte Partydroge, die sich herrschende Koksnasen am liebsten einwerfen. In der Schnee- und Schampussphäre dröhnt man sich besonders gern völlig zu, glaubt man die Bevölkerung in betäubten Zustand gebracht.“
(quelle)
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so. da den unerfreulichen begleiterscheinungen eines sportlichen events in form von täglich anschwellendem und teils strunzdummen massenmedialem geblöke alá “wir-sind-jetzt-alle-deutschland-und-fühlen-uns-so-wahnsinnig-geil-dabei-und-wer-dabei-nicht-mitmacht-ist-ein-miesmacher“ sowie den symptomen einer größere bevölkerungsteile befallenen trance in form einer us-amerikanische ausmaße erreichenden optischen verschandelung des öffentlichen raumes mittels sog. nationalfarben nicht zu entgehen ist, gibt es nun doch ein wm-special - und ich werde mich bemühen, den beitrag so zu gestalten, das vielleicht auch diejenigen zum lesen animiert werden, die ansonsten auch außerhalb von wm-zeiten mit fußball nichts anfangen können - bei einem derart in der sozialen realität präsenten phänomen lohnt sich das genaue hinschauen.
aus der perspektive dieses blogs sind dabei zwei seiten besonders interessant: einmal die wiederspiegelung allgemein verobjektivierender / verdinglichender tendenzen im durchkapitalisierten profifußball, zum anderen der sog. "patriotismus" als begleiterscheinung der wm. dementsprechend wird es zwei teile geben, sonst wird es einfach zu lang. ich fange an mit dem geschäft fußball.
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1.
ich hatte es ja schon anklingen lassen, dass ich selbst durchaus ein gutes match zu schätzen weiß, mit vergnügen guten offensiv- und one-touch-fußball betrachte (wie er in den letzten jahren v.a. von werder bremen gespielt wird), und bspw. bei einem zinedine zidane in seinen besten zeiten durchaus künstlerische und ästhetische qualitäten wahrgenommen habe. als junge habe ich eine zeit selbst in einem verein gekickt, und es gab damals und auch noch in späteren jahren durchaus eine art fantum im klassischen sinne für mich, einerseits für den lokalen kleinstadtverein mit regelmäßigen stadionbesuchen, andererseits für einen lieblingsbundesligisten. im laufe der jahre veränderten sich die prioritäten, und fußball wurde phasenweise völlig unwichtig - auch bedingt durch eine intensive beschäftigung mit dem thema „mann(sein)“, welches für eine größere emotionale distanz zu den „klassischen“ begleiterscheinungen dieses in der vergangenheit eindeutig „männlich“ codierten sports sorgte (diese eindeutige codierung besteht imo heute nicht mehr in der form wie bspw. noch vor zwanzig jahren, zu diesem punkt später mehr).
2.
fußball kann in seinen besten momenten eine art von entertainment darstellen, die ich persönlich nutzen kann, um bspw. meinen kopf wieder freizubekommen - eine art auszeit, wenn die zumutungen dieser welt - besser: vieler ihrer menschen - mal wieder bis an den rand des erträglichen gegangen sind. eine spielerisch geregelte und körperbetonte form des auslebens von aggressivität, deren wichtigste funktion in der aktuellen realität u.a. darin besteht, eine art von emotionalem mehrwert zu schaffen - das gilt zwar auch für die spieler, aber auf eine etwas andere art und weise primär für das publikum.
damit ist die zwiespältigkeit des fußballs auch schon benannt: er dient einerseits zur ablenkung und kompensation, ist damit systemstabilisierend - und andererseits lässt sich ebenso eine art zivilisierende komponente - unter und mittels kapitalistischer bedingungen - finden, die klaus theweleit in seinem buch schön beschrieben hat:
“Fußball ist Krieg“ ist ein Satz, der Rinus Michels (ehemaliger trainer, anmerk. mo) zugeschrieben wird; zu Recht oder zu Unrecht. Als Autor der `Männerphantasien´, der sich zum „Körper des soldatischen Mannes“ geäußert hat, bin ich oft gefragt worden, ob Fußball als im Kern reiner Männersport, als Männerkampfsport, nicht unterm Gesichtspunkt „Körperertüchtigung (verdeckt) soldatischer Männer“ betrachtet werden muss; als eine Art Militärersatz also, dessen unausgesprochenes Ziel immer auch die fortdauernde Militarisierung der Gesellschaft sei, zumindest auf der Ebene fortdauernden Konkurrenz- und Hahnenkampfgehabes . Die Antwort, die in der Regel von mir erwartet wurde, sollte lauten: „Ja, so ist es“. Um zur Bestätigung „Hab ich doch immer gesagt“ zu führen.
Ganz auszuschließen ist ein solcher Anteil am konkurrierenden Bolzgehabe in der Tat nicht. Die „gewünschte Antwort“ habe ich dennoch eher verweigert. Zwar hat es Trainer gegeben, die Fußball genau unter solchen Gesichtspunkten betrieben haben. (...) Ein militärischer oder zumindest martialischer Überhang besonders im „Fußball alter Schule“ war zweifellos gegeben. Und nicht nur im deutschen Fußball. Der Torhüter Lars Leese („ronald reng“, anmerk. mo), der eine Weile in England gespielt hat, beschreibt in Der Traumhüter die Situation „Kabine“ nach einem Wochenendsieg mit den Worten: „Fußball ist eine Macho-Welt. Montagmorgens bei uns in der Umkleidekabine hättest du das Guinness-Buch der Rekorde neu schreiben können: Jeder war der Größte, jeder hatte am Wochenende 125 Bier getrunken und 99 Frauen weggehauen.“
Das ist sicher eine Form von Krieg; aber eine Form, die heute nicht mehr an erster Stelle gefördert wird, wenn ich mir die Spiel- und Lebensbedingungen in den Fußballinternaten heitiger Profivereine anschaue.
Es gibt andere Tendenzen und Entwicklungen auf den „artistischeren“ Seiten des Spiels, die es nahe legen, Fußball nicht als „Krieg“ zu sehen. Um dies zu beschreiben, braucht man nicht einmal unbedingt die Selbstverständlichkeiten anzuführen, die Kriege von Spielen unterscheiden: den überwachten Kanon des Fair Play, die Anwesenheit von Schiedsrichtern, während der Terror des Krieges prinzipiell schiedsrichterlos läuft. Was tut Fußball? Er organisiert einen Kampf; Kämpfe um die Herrschaft über ein bestimmtes Stückchen Erde - also genau das, worum Staaten Kriege führen. Er gibt dazu allerdings beiden Parteien ein und dasselbe Spielgerät in die Arena, den Ball. Dieses Spielgerät darf nicht zerstört werden. Sonst wird das Spiel unterbrochen oder abgebrochen. Dies ist der entscheidende Schritt zur unkriegerischen Lösung des angesagten Kampfes. Beide Mannschaften kämpfen auch - ob ihnen dies bewusst ist oder nicht - für die Unversehrtheit des Balles. Am Grunde des Spiels liegt für alle ihre Liebe zum Ball. Theo Stemmler schreibt in seiner „Kleinen Geschichte des Fußballspiels“ über „Kemari“, die japanische frühe Variante des Fußballs: „Es wird in spielerischem Ritual versucht, den Ball (= die Sonne) vor dem Herabfallen (= dem Untergehen) zu bewahren.“ Das hat van Gogh ähnlich gesehen, wenn er Sterne klar als rollende Bälle malt. Spiritualisierte Feuerbälle, die man rotierend in der Luft halten muss. Und: Man ist auf die gegnerische Mannschaft angewiesen, sonst gibt es kein Spiel. Krieg dagegen führen Staaten auch ganz gern gegen nicht vorhandene Gegentruppen.
Wenn so die einen sagen, Fußball militarisiere, kann mit gleichem Recht geantwortet werden, Fußball zivilisiere kriegerische Potenziale. Als Kampfsport ist er in genau dieser Weise ambivalent und kann in seiner Ausübung sowohl in die eine wie in die andere Richtung angelegt werden. Von einem Standpunkt aus, der absolut pazifiertes Körperverhalten als Voraussetzung der Zivilisiertheit ansieht, ist Fußball „brutal“: 22 durchtrainierte Körper ochsen full power aufeinander los, um sich dieses Ding abzujagen. Wenn das zufällig fünf Minuten lang elegant aussieht, reden großspurige Fußball-Ideologen gleich von Tanz und „Ballett“.
So kann man - abschätzig - sprechen. Wer andererseits einen bestimmten Pegel körperlicher Gewalt in der Gesellschaft als gegeben annimmt, der seinen Ausdruck und seine Betätigungsfelder sucht, kann Fußball geradezu als eins der bedeutensten Mittel benennen, an der Zivilisierung dieser Gewaltpotenziale mitzuwirken. Exakter gesagt: 95% der Zuschauer in den Stadien bekämpfen Wochenende für Wochenende erfolgreich den eigenen Hooliganismus. Als Möglichkeit liegt er in ihnen wie in den manifesten Hooligans auch. Aber mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie: „Die andern können auch Fußball spielen“..“Es kann nicht zwei Sieger geben“...“Es geht nicht immer gerecht zu auf der Welt, aber meistens gleicht sich das aus“ (naja, anmerk. mo) wird das Kriegerische in Spielern wie Zuschauern ständig heruntergefahren. Während „Krieg“ ja heißt, so lange auf den Feind einzuschlagen oder einzuwirken, bis er sich nicht mehr rührt. (...)
(klaus theweleit, „tor zur welt. fußball als realitätsmodell“; kiepenheuer & witsch; köln 2004; isbn 3-462-03393-X; s. 94 - 96)
im weiteren verlauf argumentiert theweleit u.a. auch mit dem interesse der vereine, ihr - und hier passt dieser scheußliche begriff besonders, darum führe ich ihn an - humankapital in form besonders teurer spieler vor verletzungen schützen zu wollen. vermutlich sehe nicht nur ich an dieser stelle einen z.zt. nicht auflösbaren widerspruch: der effekt dieses interesses besteht zwar in einer erhöhten fürsorge für die spieler - nicht umsonst werden schiedsrichter seit einigen jahren mehr dazu aufgefordert, allgemein die gesundheit der spieler, besonders aber die der „superstars“ zu schützen -, aber er entspringt eben nicht primär einer besonders humanen motivation, sondern einem profitinteresse: „verletztes kapital“, welches nur auf der bank sitzt oder sich im reha-zentrum aufhält, ist quasi totes kapital - und das können sich die proficlubs schlicht nicht leisten.
3.
der profifußball ist zu einem milliardengeschäft geworden, und in dieser hinsicht ein durchaus realitätstreues abbild und auch bestandteil der kapitalistischen globalisierung - vereine wie bspw. manchester united sind keine vereine mehr, sondern börsennotierte unternehmen, die eine weltweite "fan"schar
"Manchester United hat dieses Potential als erster Verein erkannt. Heute kommen von geschätzten 75 Millionen ManU-Anhängern weltweit allein 40 Millionen aus Asien und Australien. In 90 asiatischen Städten kaufen sie in MU-Megastores ein oder verfolgen in Red Cafés die Spiele ihres Vereins.(...)"
* (zur quelle dieses und folgender mit dem sternchen markierter zitate siehe das ende dieses beitrags)
mit dem produkt fußball plus merchandising, starkult und allem sonstigen drum und dran unterhalten müssen, wenn sie denn den primär wichtigen ökonomischen erfolg erreichen wollen. da sich aber im fußball eigentlich erfolge aufgrund des spielcharakters mit seiner potenziell impliziten unvorhersagbarkeit nicht so ohne weiteres planen lassen, boomt u.a. der markt für individuell hochklassige spieler, die zwar auch keinen sportlichen erfolg garantieren, aber doch die wahrscheinlichkeit dafür um einiges steigern können.
die suche (scouting) nach solchen spielern führt gerade in südamerika, afrika und auch osteuropa zu zahlreichen sog. "auswüchsen" (die in der realität natürlich systemimmanent produziert und bis auf die größten und offensichtlichsten exzesse auch toleriert werden):
"Der Fußballmarkt hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren enorm globalisiert. Aufstrebende Ligen, wie die japanische, fordern genauso „Spielermaterial“ wie der europäische Markt. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Luxusmigration von internationalen Top-Stars. In Deutschland sind heute selbst Dritt- und Viertligavereine international besetzt.
Auf der anderen Seite steht ein Heer von Fußballern aus Ländern der Zweiten und Dritten Welt. Ausgebildet auf einer der zahlreichen Fußballakademien in Afrika oder Südamerika, warten sie auf den internationalen Durchbruch. Allein in Brasilien, auf dem größten Fußballermarkt der Welt, sind es 30.000. In den letzten vier Jahren hat Brasilien 3087 Profifußballer in alle Welt exportiert.(...)"
*
in einer ausgabe der welt vom mai letzten jahres war folgendes zu lesen (auszüge):
(...)"José Ferreirinha hatte eine andere Reaktion erwartet. Im Auftrag von Jose Mourinho, Trainer von Chelsea London, war er im März in das kleine Touristenstädtchen Santa Catarina an der portugiesischen Algarve-Küste gereist. Der Talentspäher sollte vor Ort die Familie Ponde dazu bewegen, daß ihm ihr zehn Jahre alter Sohn Cristian Ponde in die englische Hauptstadt folgt, um dort sein außergewöhnliches fußballerisches Talent weiter zu entwickeln. Doch der Filius des rumänischen Immigranten-Paares brach in Tränen aus, als man ihn über das Ansinnen des Besuchers unterrichtete. "Ich will aber für Sporting spielen", schluchzte Cristian.
Schließlich bekam Cristian seinen Willen. Das zehnjährige Talent darf künftig für seinen Lieblingsverein in Lissabon kicken. José Ferreirinha reiste unverrichteter Dinge ab - ein seltenes Erlebnis für den Scout des derzeitigen Krösus im europäischen Fußball.
Ob in Lissabon, Barcelona oder London - die Jagd auf die jüngsten Fußballtalente läuft aggressiv wie nie. Woche für Woche werden neue "Wunderkinder" entdeckt, sie und ihre Familien in Versuchung geführt und schließlich von Großvereinen unter Vertrag genommen und so oft entwurzelt.
Vor wenigen Tagen verpflichtete der FC Valencia den elfjährigen Nikon Jevtic, der von seinem Berater Karl-Heinz Förster auch dem VfB Stuttgart angeboten worden war. Der FC Barcelona angelte sich den zwölfjährigen Argentinier Erik Lamela, den auch Arsenal London und AC Mailand umworben hatten. Das jüngste Objekt der Begierde auf dem internationalen Kinder-Fußballmarkt ist Jean Carlos Chera, ein neunjähriger Fußballer aus Südbrasilien. Manchester United und der FC Porto hatten die Fühler nach dem Knirps ausgestreckt, die Eltern entschieden sich schließlich für den heimischen FC Santos.
"Wir leben in einem neuen Zeitalter", sagt der sportliche Leiter von Bayer Leverkusen, Michael Reschke. "Der Markt ist aggressiver geworden." Im vergangenen Jahr war das zwölfjährige Talent Dennis Krol von Leverkusen nach Barcelona gewechselt. Wenige Wochen später sprachen die Scouts der Katalanen bei einem Turnier in Spanien weitere Spieler an. Künftig verzichtet der Werksklub auf Reisen der Nachwuchsteams nach Spanien."(...)
"Das ist doch Piraterie", klagte Jose Maria Aguilar, Präsident von River Plate Buenos Aires, die erfolgreichen Abwerbungsversuche des FC Barcelona im Fall Lamela an. Der katalanische Spitzenklub lockte die Eltern des argentinischen "Jahrhunderttalents" mit der Aussicht auf gutdotierte Jobs und die Geschwister mit Studienplätzen über den Atlantik. Darüber hinaus erhält der 41 Kilogramm leichte Maradona-Fan ein Jahresgehalt in Höhe von 120 000 Euro. Das spanische Sportblatt "As" geht in Zusammenhang noch einen Schritt weiter und beschrieb solche Transfers als eine "Art von fußballerischer Pädophilie".
Das Seelenheil der Kinder spielt dabei auch für die Eltern oft nur eine Nebenrolle. So versuchte ein Taxifahrer aus Frankfurt vor kurzem den FC Bayern mit dem Talent seines 15 Jahre alten Jungen zu erpressen. Er wollte seinen Sohn nur ziehen lassen, wenn ihm der deutsche Rekordmeister eine gutbezahlte Stellung besorgen würde. Bayern München lehnte mit einem Hinweis auf die aktuelle Arbeitslosenquote in Deutschland ab und wünschte Vater und Sohn viel Glück.
Ein noch bedenklicherer Auswuchs der neuen Entwicklung ist bei Nikon Jevtic zu beobachten. Der Knirps wurde an den Bedürfnissen des Marktes geformt. Vor sechs Jahren entdeckte Vater Jevtic, ein wohlhabender Immobilienkaufmann aus Serbien mit Wohnsitz in Großbritannien, das Talent seines Sohnes und entschied, den Jungen zum Fußballstar zu machen. Der ältere Bruder übernahm das Fußballtraining, zwei Mal täglich, die Schwester unterrichtete ihn - eine Schule besucht Nikon bis heute nicht. Vor zwei Jahren zog die Familie nach Österreich, der Vater brachte seinen Sohn in der Fußballakademie von Austria Wien unter. Wie einst Brasiliens Fußballegende Pelé soll Nikon mit 16, so der Wunsch des Vaters, sein Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft geben - pünktlich zur Europameisterschaft im eigenen Land. Mit dem Wechsel nach Valencia sind diese Pläne vorerst vom Tisch. Die Vermarktung des Sohnes hat Vorrang. Statt des sperrigen Jevtics firmiert der Clan ab sofort unter dem Namen "El Maestro".
"Er ist wie ein Fußballer, der im Labor gezüchtet wird. Dies ist ein Experiment, das für die Entwicklung des Jungen große Risiken birgt", kritisiert der spanische Sportpsychologe José Carrascosa die Verpflichtung Nikon Jevtics. Auch der deutsche Sportsoziologe Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist skeptisch. "Das eigentliche Leistungstraining beginnt erst mit 15 Jahren." Die Entwicklung davor sei für die spätere Entwicklung weniger ausschlaggebend. "Am Ende entscheidet sogar weniger das Talent als die Persönlichkeit über den Erfolg eines Spielers", so Buschmann. "Ich kann nur warnen, für die Kinder zu viel Geld zu investieren."(...)
unter dem vielversprechenden titel "dem kinderhandel den kampf ansagen" wurden seitens des weltfußballverbandes fifa neue transferregeln eingeführt, die sich jedoch bei genauer ansicht als papiertiger entpuppen:
(...)"Der Status der Spieler wird neu definiert als Amateur oder Berufsspieler (bisher: Nicht-Amateur). Mit dem neuen Reglement sagt die FIFA dem "Kinderhandel" im Fußball den Kampf an, "Kidsnapping", wie es ein FIFA-Funktionär nannte, soll unterbunden werden. Grundsätzlich dürfen Spieler künftig erst ab dem 18. Lebensjahr international transferiert werden. Es gibt aber drei Ausnahmen, die Umgehungen befürchten lassen.
Spieler unter 18 Jahren können international den Verein wechseln, wenn "die Eltern des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fußballsport zu tun haben, Wohnsitz im Land des neuen Vereins nehmen". Innerhalb der EU und des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) dürfen Spieler schon ab dem 16. Lebensjahr wechseln, wenn der Verein unter anderem eine schulische Ausbildung garantiert oder der Spieler höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze entfernt wohnt und der Verein des benachbarten Verbandes höchstens 50 Kilometer von der Landesgrenze ansässig ist."(...)
(aus einem artikel des kicker vom april 2005)
kurz: wie bei anderen massenwirksamen (tv-)sportarten auch finden sich hier alle erscheinungen wieder, die auf einen tiefgreifenden einfluß verobjektivierender wahrnehmung hindeuten - und zwar bei allen beteiligten: funktionäre, spieler, zuschauerInnen.
4.
weitere aspekte der kapitalisierung seien hier nur kurz angerissen:
wie schon oben erwähnt, sind die großen clubs heute von ihrem selbstverständnis her profitorientierte unternehmen, die sich mit den besonderen unwägbarkeiten des fußballsports herumschlagen. das hindert jedoch millionen- und milliardenschwere unternehmer nicht daran, in der hoffnung auf neue profitquellen ins geschäft einzusteigen - der us-amerikaner malcolm glazer bei manchester united bspw.:
(...)"Bei jedem Heimspiel im ehrwürdigen Stadion am Old Trafford wird der pausbäckige Unternehmer mit dem roten Bart von den Fans verflucht. Glazer-Puppen am Galgen gehören fast schon zum Standardrepertoire. Doch unbeirrt von den Protesten der United-Fans hat Glazer beharrlich an der Übernahme des börsennotierten Klubs gearbeitet.
Seit März 2003 erkaufte sich Glazer einen Anteil von 28 Prozent der Aktien. Nach langem Tauziehen sicherte sich der Milliardär am Donnerstag weitere 29 Prozent, die er den irischen Unternehmern John Magnier und John Paul MacManus abkaufte. Damit hält er die Mehrheit und bietet für die übrigen Aktien. Der Gesamtwert seiner Offerte: 790 Mio. £.
Die Anhänger des mehrfachen englischen Meisters und Europapokalsiegers fürchten jedoch, dass Glazer sie ausbeuten wird. Wie das geht, hat er in Florida gezeigt. Glazer kaufte die abgetakelte American-Football-Mannschaft Tampa Bay Buccaneers. Zur Finanzierung des Deals wurden die Kartenpreise drastisch erhöht und das Merchandising-Potenzial ausgeschlachtet."(...)
oder aber beim fc chelsea (london):
(...)"Roman Abramowitsch begann seine Karriere 1987 mit dem Verkauf von Gummienten. Bald wandte er
sich einem lukrativeren Geschäftsfeld zu: dem Öl. Heute wird sein Vermögen auf 18,2 Milliarden Dollar geschätzt. Wie vielen russischen Neureichen haftet Abramowitsch der Ruch dubioser Geschäftsgebaren an. Seine guten Beziehungen zum Kreml und sein Gouverneursamt in der russischen Provinz Tschukotka sicherten ihm freie Hand in der Wirtschaft. Doch die Gefahr, letztendlich so zu enden wie Michael Chodorchowski, schien groß. Nach und nach verkaufte Abramowitsch seine Beteiligungen in Russland, im Herbst 2005 schließlich auch seine Firma Sibneft. Käufer war der halbstaatliche Konzern Gazprom. Mittlerweile hat er sich als Unternehmer de facto aus Russland zurückgezogen. Der Abschied war lange vorbereitet. Sein Faustpfand für eine Aufenthaltsgenehmigung in England war der FC Chelsea.
Wie bei seinen anderen Unternehmungen bleiben auch die Umstände seines finanziellen Fußballengagements im Dunkeln. „Sind es Waffen? Sind es Drogen? Ist es Öl aus dem Meer?“ lautet ein Schlachtruf der Chelsea-Fans. Und sie geben auch gleich die Antwort: „Stellt keine Fragen!“ 2003 erwarb Abramowitsch die Aktienmehrheit des kurz vor dem Bankrott stehenden Klubs. 215 Millionen Euro kostete ihn das. 158 Millionen Euro investierte er noch im selben Jahr in international hochkarätige Spieler. „FC Chelski“ nannten Spötter fortan den Verein. Und der dient seinem Besitzer als Lebensversicherung. Durch sein Engagement baute er England peu a peu zu seinem sicheren Rückzugsgebiet aus.(...)"
*
oder aber ein bekanntes beispiel aus österreich:
(...)"Nachdem Red Bull Chef Didi Mateschitz den österreichischen Bundesligisten SV Austria Salzburg übernahm, wurde aus einem Abstiegskandidaten schnell ein Favorit auf den Meistertitel. Mateschitz holte neue Topspieler wie Lokvenc oder Zickler, Kurt Jara als Trainer und baute das Stadion aus. Somit sollten in Salzburg doch alle zufrieden sein, oder etwa nicht?
Eher nicht. Denn Mateschitz machte noch viel mehr als das. Als erstes änderte er den Klubnamen in Red Bull Salzburg. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. In einem seiner ersten Interviews nach der Übernahme meinte Mateschitz, dass er auf Tradition großen Wert lege und dass die Klubfarben (violett-weiß) nicht geändert werden. Dies wurde auch bei der ersten Generalversammlung bestätigt.
Bei der Präsentation der neuen Dressen erlebten die Fans der violetten Austria ihr blaues Wunder. Das neue Heimdress war rot-weiß, das Auswärtsdress blau-weiß! Nichts mehr übrig von dem Versprechen, die Klubfarben beizubehalten."(...)
wie schon in manchester kam es auch in salzburg zu einem - aus einer äußeren perspektive her - eigenartigen konflikt zwischen einem teil der fanszene, die sich als traditionalisten bezeichnen lässt, und der jeweiligen neuen clubführung: die umwandlung von klassischen fußballspielen in events, die der alten fanszene greulichen verachtung jeglicher vereinstradition (in salzburg auf die konsequente spitze mit neuem namen und neuen farben - denen von "red bull" - getrieben), die erhöhung der eintrittspreise und die umwandlung von steh- in sitzplätzen führte in manchester gar dazu, dass tausende von "traditionalistischen" fans nach dem scheitern aller abwehrversuche gegen glazer (die teils sogar einen militanten charakter bekamen), einen eigenen club gründeten, den fc united of manchester.
das bemerkenswerte engagement tausender von menschen für ihre freizeitbeschäftigung ist in meinen augen an einer völlig falschen stelle verschwendet - gerade, wenn man(n) sich die allgemeine sonstige gesellschaftliche apathie im angesicht des objektivistischen wahns (von dem die kapitalisierung von allem und jeden einen hauptteil darstellt) anschaut. aber die frage, was hier eigentlich so mobilisierend wirkt, ist durchaus nicht uninteressant - dazu mehr im zweiten teil zum "patriotismus", bei dem sich diese frage ebenfalls verschärft stellt.
- die erwähnten risiken des fußballs führten in den letzten jahren zu einer häufung sog. "skandale", deren kern regelmäßig in diversen manipulationsversuchen an den spielen besteht - großflächig gerade zu bestaunen in der höchsten italienischen spielklasse, der "seria a", bei der verschiedene funktionäre von sog. topclubs wie z.b. juventus turin offensichtlich mit erfolg die meisterschaft nicht nur eines jahres beeinflusst haben - im "vereinsinteresse", was sogar stimmt - weil das vereinsinteresse hier gleichzusetzen ist mit dem profit- und erfolgsinteresse. und hier ist dann auch eine schnittstelle gegeben, die auch in anderen wirtschaftszweigen mehr oder weniger offen zu sehen ist: hin zur organisierten kriminalität, die sich bei florierenden ökonomischen bereichen mit ermüdender penetranz mindestens als struktureller hintergrund finden lässt.
"Die Wettskandale, die 2005 und 2006 die Bundesliga erschütterten, haben der breiten Öffentlichkeit einen alternativen Nutzen des Volkssportes Fußball vor Augen geführt: Mit Fußballwetten lässt sich trefflich Geld verdienen – vor allem, wenn man das Spielergebnis schon vorher kennt. Hatte die Hoyzer-Affäre noch weitgehend lokalen Charakter, gibt es längst ein globales Wettphänomen. So hat die chinesische Wettmafia mittlerweile auch den europäischen Fußball für sich entdeckt. Spiele werden nicht mehr nur auf europäischen Fußballfeldern gewonnen, sondern auch in den Wettbüros in Hongkong und Macao. 2005 wurden in Asien unverhältnismäßig hohe Wetteinsätze auf Fußballspiele in Belgien beobachtet – nicht selten auf Spiele mit sehr eigenwilliger Auslegung der Abseitsregel, fulminanten Eigentoren, lustigen Fehlgriffen der Torhüter oder absolut unberechtigten Elfmetern.
Offiziell verdiente Zheyun Ye sein Geld im Textilgeschäft, aber in Wirklichkeit kaufte er Fußballspiele. Besonders gerne tat er das in Belgien, denn dort hatte er relativ leichtes Spiel. Zwei Vereine standen auf der Gehaltsliste von Herrn Ye: La Louvière und Lierse SK. In zwei weiteren investierte er 375.000 Euro. Die Spieler verloren bei bestimmten Spielen offensichtlich mit so vielen Toren Unterschied, wie Herr Ye es von ihnen verlangte. Einige Spieler und der Trainer haben mittlerweile eingeräumt, von Ye gekauft worden zu sein. Nach Presseberichten wiesen 18 Spiele in Belgien Indizien von Schiebung auf. Auch beim Spiel von Vantaan Allianssi gegen Haka Valkeakoski in Finnland hatte Herr Ye seine Finger im Spiel. Für jeden eingesetzten Euro gab es bei einem richtigen Tipp 8700 Euro Gewinn.(...)"
*
- das boomende geschäft mit sport- und besonders fußballwetten (auf das der deutsche staat momentan gerade seine hände legen möchte, um den hauptteil zu kassieren) manifestiert sich hier in der stadt z.b. in einer vielzahl innerhalb der letzten beiden jahre öffnenden privaten wettbüros, bei denen ich irgendwann mit dem zählen nicht mehr hinterherkam. alleine in der straße, in der ich mich gerade befinde, gibt es davon mittlerweile fünf. und trotzdem lässt sich dieses business nicht vergleichen mit den wirklichen global playern, die nicht nur im fußball tätig sind, und deren "legale geschäfte" alleine bereits in vielfältigen teilen als organisierte kriminalität zu begreifen sind.
das fängt bei den hauptsponsoren der wm, "coca-cola"
"Verfolgung von Gewerkschaften mit „Todesschwadronen“ in Abfüllfirmen, Ausbeutung und Kinderarbeit in der Orangenernte, rassistische Diskriminierung"
(hinzuzufügen wären noch ökologische verwüstungen in indien sowie etliche versuche politischer einflußnahmen in der vergangenheit, von der rolle im nationalsozialismus mal ganz abgesehen) und "mc donalds" an
"Kinderarbeit in England und in chinesischen Zulieferbetrieben, Ausbeutung und katastrophale Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben, exzessiver Fleischverbrauch mit negativen ökologischen und sozialen Folgen"
und hört bei den sportartikelherstellern wie "adidas" oder "nike"
"Ausbeutung, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und andere Missstände in Zulieferbetrieben"
noch lange nicht auf (die obigen zitate sind alle der seite markenfirmen.com entnommen - einfach mal auf die logos klicken).
"Im Prinzip sind die Produkte von Nike, Adidas oder Puma austauschbar: Sportbekleidung, die teilweise parallel in den gleichen Dritte-Welt-Sweatshops kostengünstig gefertigt wird. Doch auf dem Weg in die Sportläden der Welt erfahren die Produkte eine magische Wertsteigerung. Denn es geht nicht um einen Schuh oder eine schnöde Turnhose – es geht darum, diese Turnhose mit Persönlichkeit aufzuladen, der Marke also ein bestimmtes Image zu geben. Oft genug liefert die sogenannte Zweite oder Dritte Welt mittlerweile nicht mehr nur das eigentliche Produkt, sondern auch gleich noch das passende Image dazu.
So sicherte sich Nike 1996 bei seinem Einstieg in den Fußballmarkt für einen Preis von 200 Millionen Dollar für zehn Jahre gleich das attraktivste Image: Brasilien. Das steht für barfuss kickende Künstler von der Copa Cabana, das steht für spielerischen, ästhetischen, begeisternden Fußball – eben das Gegenteil des unterkühlten, taktischen europäischen Fußballs. Das ist zwar ein überholtes Klischee – aber die Marke Brasilien funktioniert weltweit. Genauso wie die Marke Kamerun."(...)
Im gleichen Jahr, in dem Nike Brasilien unter Vertrag nahm, kam es auch zu einer einzigartigen Symbiose der Tierwelt, und zwar zwischen Puma und den „unzähmbaren Löwen“ aus Kamerun. Die auf Lifestyle fokussierte Firma profitiert seitdem vom lebensfrohen Image Kameruns. Puma schneiderte den Spielern spezielle, feuchtigkeitsregulierende und schweißabsorbierende Trikots auf den Leib, wegen der afrikanischen Hitze. Diese Trikots kann man seitdem für 68 Euro im frostigen Deutschland erwerben, in Kamerun aber leider nicht, weil das durchschnittliche Monatseinkommen nur 35 Euro beträgt. Deshalb soll im Mutterland des Kamerun-Gefühls eine nichtfeuchtigkeitsregulierende, aber dafür billigere Baumwollvariante angeboten werden.
Zwar hat sich Kamerun nicht für die WM 2006 qualifiziert, aber Puma erweckt mittlerweile den Eindruck, Ausstatter eines ganzen Kontinents zu sein: „Proud supplier of African Football“ lautet der Werbespruch, und tatsächlich tragen vier der fünf teilnehmenden afrikanischen Teams bei der WM 2006 den Puma auf der Brust. Etablierte Mannschaften, wie zum Beispiel Italien oder Tschechien, spielen in der Werbestrategie kaum eine Rolle. Puma setzt bewusst auf das Außenseiter-Image Afrikas, denn das entspricht genau dem Firmencredo. Puma sieht sich selbst als revolutionärer Herausforderer der etablierten Marken Nike und Adidas."(...)
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hier wird sehr schön eine durchaus perverse entwicklung deutlich, die auch in anderen ökonomischen bereichen zu beobachten ist: produktmarken, also bezeichnungen für dinge, werden mehr und mehr durch ihre koppelung mit menschlichen emotionen, sozialen zuständen und images (= konstruierten individuellen und kollektiven identitäten mit mehr oder weniger großem bezug zur realität) beworben und verkäuflich. da die manager der objektivierung durchaus nicht unintelligent sind, haben sie das entsprechende potenzial, welches gerade eine hoch emotionalisierte sportart wie der fußball diesbezgl. bietet, erkannt - und das bleibt natürlich nicht ohne die entsprechenden destruktiven folgen, die in diesem beitrag bereits grob skizziert wurden.
5.
über den hooliganismus - in und rund um den profifußball ein auslaufmodell, nicht hingegen in etlichen unterklassigen ligen - will ich nicht viele worte verlieren. das thema ist durchaus interessant, sollte jedoch nicht unbedingt im fußballkontext gesehen werden. eine der besten soziologischen reportagen, die ich jemals gelesen habe, macht das ganz gut deutlich. wie auch die tatsache, dass zwar etliche klischees über hooligans zutreffend sind, etliche andere wiederum nicht - so ist es z.b. kein "unterklassenphänomen", sondern es finden sich dabei auch akademiker (als extrem wäre die geschichte der festnahme eines mathematikers vor ein paar jahren zu nennen), ärzte, anwälte, polizisten...alles männer. und dieses klischee trifft nicht nur zu, sondern ist eine korrekte aussage über die entsprechende realität: hooliganismus ist ein explizit "männliches" phänomen. dazu eines mit suchtpotential. wie gesagt: wenn Sie einmal eine wirklich erstaunliche parallelwelt kennenlernen wollen, dann lesen Sie buford (und lassen Sie sich nicht vom zugegebenermaßen ziemlich bescheuerten titel abhalten) - er war in der ersten hälfte der 1980er jahre bis ca. 1990 hauptsächlich mit den damals sehr gefürchteten hools von manchester united unterwegs und hat aus den teils drastischen erlebnissen auch ein lesebuch zum thema massenpsychologie gemacht - ein thema, welches bis heute auffällig unterbelichtet ist (gustave le bon und andere "klassiker" in diesem bereich, auch elias canettis "masse und macht", sind imo eher als mehr oder weniger unterhaltsame intellektuelle essays zu verstehen (canetti) oder aber als ziemlich reaktionäres und elitäres geschwafel über "die massen" (le bon, nicht zufällig ein glühender bewunderer von mussolini). realistische analyseversuche der prozesse, die in (gewalttätigen) menschengruppen und -massen vor sich gehen, sind mir jedoch kaum bekannt (und buford versucht leider, seine teils sehr deutlichen und eindrucksvollen subjektiven erfahrungen in verhaltenspsychologischen ansätzen zu begreifen - meiner meinung nach ein fehler. aber das entwertet seine subjektiven beschreibungen keinesfalls).
6.
ein paar worte zum primär sportlichen aspekt der wm will ich mir nicht verkneifen. das beste spiel (von meinen ganz persönlichen eindrücken her) war für mich in der vorrunde: argentinien - elfenbeinküste. brilliante technik, schöne spielzüge, und eine in den entscheidenden momenten abgeklärte argentinische mannschaft. danach kommt erstmal eine weile lang gar nix, und das ist bezeichnend für diese wm - kein vergleich mit den spielen bei der europameisterschaft 2000, dort besonders von frankreich, portugal und den niederlanden. kein vergleich mit wm-klassikern wie dem spiel zwischen brasilien und frankreich 1986 (für mich eines der besten spiele aller zeiten). kurz: im großen und ganzen enttäuschend (besonders brasilien).
die hiesige mannschaft lässt mich dabei ziemlich kalt (nicht die unschönen begleitumstände, aber das ist ein anderes thema). eine der leichtesten vorrundengruppen (costa rica = fußballzwerg; eine im spiel dezimierte und bereits vor der wm zerstittene polnische mannschaft sowie ein b-team von ecuador) zu bestehen, ist imo keine besondere kunst. gegen argentinien und auch italien war sehr deutlich zu sehen, dass dieses team deutliche grenzen hat. und leider spielt portugal faktisch ohne sturm, sonst wären diese grenzen auch gestern wieder zu sehen gewesen.
ich hätte gern einen ronaldinho im anderen zustand gesehen, fühle mich aber durch die renaissance eines zidane durchaus entschädigt - ich würde mir sehr wünschen, dass einer der drei größten spieler aller zeiten heute abend sein letztes spiel angemessen krönen kann - nicht nur wg. seiner teils galaktischen spielweise, sondern auch deshalb, weil er ein sehr uneitler star ist - und dazu einen sehr begrüßenswerten umgang mit vereinnahmungsversuchen und nationalgedöns pflegt :
"So lieb und nett Zidane ist, weiß er seinen Standpunkt durchaus deutlich zu vertreten. Als Frankreichs Rechtsextremist Le Pen, Anführer des Front National (FN), die Auswahlspieler anging, vor Länderspielen gefälligst die "Marseillaise" mitzusingen, konterte Zidane, das er das mit Sicherheit nicht täte, nur um irgendjemandem einen Gefallen zu tun."
was er vermutlich auch heute abend nicht tun wird :-) und dazu ist seitens der französischen mannschaft auch noch einiges andere erwähnenswert - etwa die deutliche absage an den berüchtigten innenminister sarkozy:
"Dieser ist zwar der einzige wirkliche Fußballfan der Regierung, aber seinen Besuch lehnte die multikulturelle Nationalmannschaft ab. Spieler wie Thuram haben Sarkozy nicht verziehen, daß er angesichts der brennenden Autos die Banlieues mit einem Hochdruckreiniger der Marke „Kärcher“ säubern wollte."
undenkbar ein solcher schritt - bspw. schäuble vor die tür zu setzen - von all den "klinsis", "poldis" und "schweinis" (konsequente infantile regression übrigens - was für namen!).
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alles zum "patriotismus" (und seinen wirkungen bzw. nutznießern) dann im zweiten teil - u.a. mit einem kleinen quiz: welche nachrichten der letzten fünf wochen haben Sie nicht mitbekommen? - und einigen anmerkungen zum bedenklichen revival des begriffs "miesmacher", der in diesem land eine längere tradition besitzt...
(* da es aus mir unerklärlichen gründen schwierigkeiten gibt, links mit der .pdf-endung zu setzen, trage ich also die quelle vieler obiger zitate hier nach: http://www.bpb.de/files/BFAEAD.pdf )
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edit am 06.10.: eigentlich könnte ich den ganzen beitrag umbenennen und laufend updates veranstalten - in vielen ländern gibt es derzeit sog. skandale und informationen über genau die strukturen, die ich damals zur wm schon angesprochen hatte. die spektakulärsten entwicklungen finden z.zt. gerade in england statt:
(...)"Schnell bemerkte er, dass es nicht immer sauber zugeht in der Multimillionenbranche. "Manche Machenschaften haben mich an modernen Sklavenhandel erinnert", sagt auf dem Berge, "ich habe die schmutzige Seite des Geschäfts gesehen."(...)
aber auch in polen lässt sich nur allzu bekanntes beobachten:
(...)"Jedes Kind in Polen weiß, dass der Fußball hier korrupt ist", sagt Redakteur Tuzimek. Besonders in dieser Saison habe es verdächtig viele Fehlentscheidungen gegeben."(...)
und ein leider nur in der printausgabe der zeitschrift 11Freunde enthaltener artikel beschäftigt sich mit ähnlichen verhältnissen in griechenland.
zusätzlich ist nicht nur in d-land verschärft das thema rassismus beim fußball in den focus gerückt.
alles in allem verschärfen sich die zustände, die es mehr und mehr unerfreulicher machen, sich dem profifußball unkritisch und in der - naiven - hoffnung auf schöne und unbeschwerte spiele mit zeit und aufmerksamkeit zu widmen. die aktuellste meldung in diesem zusammenhang: der russische energiekonzern gasprom will sich medienmeldungen zufolge beim bundesligisten schalke 04 als hauptsponsor betätigen...
"Jürgen Roth, Experte für Wirtschaftskriminalität, nennt Gasprom ein "Selbstbereicherungssystem" mit "kriminellen Strukturen".(...)
tja. that´s business, so kann hier nur die zynische anerkennung der realität lauten. wobei das nicht auf akzeptanz hinauslaufen sollte und darf.
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den angekündigten zweiten teil des beitrags mit dem schwerpunkt "wm-patriotismus" möchte ich hiermit absagen. das thema wird aber zukünftig im allgemeinen kontext hier immer mal wieder behandelt werden.
monoma - 9. Jul, 14:22
sapperlot....
bill buford ist ein us-amerikanischer autor und journalist, den mensch auch nicht unbedingt kennen muss (publiziert hauptsächlich in großbritannien). wobei das erwähnte buch seine wirkung auch z.t. aus der recht großen und unbekümmerten distanz erzielt, die er als us-amerikaner dem "soccer" ursprünglich entgegenbrachte.
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der zweite teil wird noch etwas dauern, aber gleichzeitig eröffnet das auch die möglichkeit zu schauen, wie´s jetzt nach ende des events mit der beflaggung und den dazugehörigen diskursen weitergeht...