assoziation: eine antwort an "scardanelli"

da der kommentar von "scardanelli" neulich zum letzten beitrag anläßlich des "autistic pride day" etliches interessante enthält und deutlich macht, gebe ich meine antwort mal wieder in form eines eigenen beitrags - das halte ich für übersichtlicher.

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"1. Der jW-Artikel umfasst etwa 6000 Zeichen, die "Assoziationen" dieses Bloggers haben die dreifache Länge, und selbst philosophisch gebildete Leser wie ich haben einige Mühe, zu verstehen, worum es geht. Der Blogger täte gut daran, einmal einen knappen Zeitungsartikel für ein breiteres Publikum zu schreiben. Dann wüsste er, dass für blanke "Assoziationen", etwa Spekulationen über einen Zusammenhang zwischen Newtons Autismus und seinem Weltbild, darin kein Platz bleibt."

liebe/r scardanelli, Sie beginnen Ihre kritik mit einem doch sehr eigenartigen einstieg - ich habe jedenfalls auch zukünftig nicht vor, mich bei der kommentierung von fremdartikeln an formalen eigenheiten von diesen zu orientieren statt am inhalt. und dazu würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal genauer mit dem sinn der rubrik "assoziation" in diesem blog zu beschäftigen - dazu gibt´s hier zu beginn mehr zu lesen.

"2. Der Blogger dagegen ordnet die jW in der Schublade "Traditionsmarxismus" ein und führt das Fehlen einer Betrachtung über den von ihm gemutmaßten Zusammenhang bei Newton auf diese Zugehörigkeit zurück. Das ist wirklich in jeder Hinsicht Unsinn. Erstens ist das Feuilleton der jW, dessen Redakteur diese Wissenschafts-Seite gestaltet hat, nicht in "traditionsmarxistischer" Hand. Auch der Autor des zitierten Artikels dürfte kaum der Kategorie "Traditionsmarxismus" zuzuordnen sein. (Er nimmt sich auch nicht in "sympathisierender neulinker Tradition" der Forderungen von AutistInnen an, sondern er ist selbst Asperger-Autist.)"

danke für die letzte information, die ich eigentlich als angabe zum autor sowohl in der jungen welt als auch in der analyse & kritik erwartet hätte, wo eine etwas längere variation des jw-textes veröffentlicht wurde. die bezeichnung "traditionsmarxistisch" diente im übrigen als generelle aussage zur "jungen welt", ohne ein bestimmtes ressort oder autorInnen konkret zu meinen. an dieser stelle kann ich übrigens auch meinen eindruck von Ihnen, "scardanelli", genauer äußern: Sie legen bisher sowohl formalistische kriterien als auch ein relativ wortwörtliches verständnis bei Ihrem kommentar an den tag - und erfüllen damit ironischerweise selbst in sehr allgemeiner weise einige asperger-eigenschaften.

"Zweitens sind unter Menschen mit Autismus Weltbilder aller Art anzutreffen. Deshalb entbehrt die Behauptung eines Zusammenhangs von Newtons wissenschaftlichem Denken mit seiner autistischen Persönlichkeit jeder Grundlage. Die autistische Persönlichkeit kann Menschen die Kraft geben, sich "ihres Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen" (Kant). Mit Physik oder mit einem mechanistischen Weltbild hat sie dagegen an sich nichts zu tun."

nun, auf die - mir durchaus plausibel erscheinende - idee, bezgl. newton diesen zusammenhang zu vermuten, sind lange vor mir bereits andere leute gekommen - vielleicht lesen Sie sich einmal, falls Sie es noch nicht getan haben, diesen beitrag durch. denn da stehen einige meiner meinung nach durchaus ernstzunehmende argumente für den genannten zusammenhang.

zum anderen aber: wenn Sie bei newton so argumentieren, dann verstehe ich Ihr schweigen zu den vom autor in der jw genannten anderen beispielen von "genialen persönlichkeiten" mit vermutetem autistischen hintergrund nicht so recht. sollten Sie dann nicht auch die gleiche aussage bezgl. michelangelo, einstein, bill gates & co. treffen? wenn beliebige kulturelle bzw. wissenschaftliche produktionen "nichts" mit einer autistischen persönlichkeit zu tun haben sollten, wäre es dann aus Ihrer perspektive nicht nötig, den autor zu kritisieren, der diesen zusammenhang selbst explizit herleitet (und u.a. genau damit als begründung für die "neurologische vielfalt" argumentiert)?

meine eigene meinung zum zusammenhang zwischen (immer auch gesellschaftlich bedingter) psychophysischer struktur eines menschen und seinen/ihren weltbildern, produktionen etc. lässt sich an vielen stellen im blog nachvollziehen und steht - wie Sie es sich sicher denken können - der Ihrigen konträr entgegen.

"3. So sind auch die Mutmaßungen des Bloggers über einen Zusammenhang zwischen "Kapitalismus als verdinglichender Megamaschine" und Autismus als "objektivistischer", "objektfixierter" und "verdinglichender" Wahrnehmung nichts weiter als eine Luftnummer eines second-hand-adornitischen Ideologiekritikers."

ein rhetorisch fulminanter satz, der sich inhaltlich jedoch als fragwürdig erweist...

"Wir wissen doch gar nicht, ob Autismus heute wirklich häufiger ist als früher. Er wird bloß häufiger erkannt."

...weil ich annehme, dass Sie selbst bereits von der auffälligen ballung (asperger-)autistischer diagnosen in it-zentren wie dem silicon valley gehört haben (die übrigens auch an einem britischen standort der high-tech-industrie, nämlich rund um cambrigde, zu verzeichnen ist)? es ist durchaus mehr als eine "luftnummer", hier die manifesten auswirkungen einer den modernen kapitalismus absolut prägenden branche zu vermuten. ich sehe darin eher die spitze des eisbergs, weil sich gerade in der it-branche und ihren produkten wesentliche strukturelle eigenschaften des kapitalismus mit am deutlichsten manifestieren: abstraktion, virtualisierung, beschleunigung, ortlosigkeit, binäre logik u.a. - alles eigenschaften, die der verdinglichung von menschen (bzw. überhaupt allem lebendigen) notwendig zugrunde liegen bzw. voraus gehen. und zumindest für den it-bereich kann Ihre obige aussage als nicht zutreffend bezeichnet werden.

"Außerdem, was die ideologiekritischen Kategorien des Bloggers angeht: "Verdinglichung und verdinglichtes Denken haben auch die Bedingungen einer Welt ohne Mangel geschaffen" (Adorno).

in anderen worten hat das ja temple grandin formuliert, die ich in meinem ursprungsbeitrag zitiert habe. ich habe da allerdings auch noch einiges angemerkt, was ich an dieser stelle in anderen worten nochmal so formulieren könnte: "die welt ohne mangel" ist bisher erstens nur für eine kleine (und auch in der verteidigung ihrer privilegien zunehmend extremistischer werdende) minderheit aller menschen realität; zweitens ist in solchen aussagen auch immer eine mehr oder weniger große blindheit gegenüber den potenziell katastrophalen folgen verdinglichender wahrnehmung enthalten - wir haben zwar eine welt mit autos, handys, intimspray und der auswahl unter 20 waschmitteln - aber gleichzeitig eine welt, in der "auschwitz" als synonym für die auf die (traumatische) spitze getriebene verdinglichung weiterhin nachdrücklich gültig ist. die eine seite der medaille ist nicht zu trennen von der anderen, und ich frage mich immer wieder mal, ob die "errungenschaften" der technischen "zivilisation" inzwischen nicht primär zur kompensation ihrer zunehmend offensichtlicher werdenden mörderischen folgen/seiten genutzt werden.

"4. Natürlich ist die im postfordistischen Kapitalismus dauernd verlangte "Teamfähigkeit" und "Flexibilität" von Grund auf fremdbestimmt, das bringt der Blogger völlig richtig auf den Punkt. Aber das steht doch gar nicht im Gegensatz zu dem, was in dem Artikel gesagt wird."

nein? hat der jw-autor in seinem text nicht gerade diese behaupteten eigenschaften - und zwar ohne ihren simulativen charakter zu hinterfragen - als argument dafür gebracht, dass sich (asperger-)autistische menschen eben nicht in diesen strukturen bewegen können? das thema der simulation ist an dieser stelle entscheidend, und ich habe ja selbst darauf hingewiesen, dass der asperger-variante des autismus bisher weitgehende simulationsunfähigkeit attestiert wird. wenn Sie sich hingegen die im ursprünglichen blogbeitrag zum thema simulation verlinkten älteren blogartikel hier angeschaut haben, haben Sie vielleicht auch festgestellt, dass ich mich hier auf einige theoretische ansätze beziehe, die die existenz von simulationsfähigen autismusvarianten - mit fließenden grenzen gerade zum asperger-syndrom - nahe legen. und vor diesem hintergrund ist die behauptete ausschließende wirkung von bspw. simulierter "teamfähigkeit" für "aspies" nicht besonders überzeugend, und ebenso nicht bei einer näheren betrachtung der verhältnisse in der it-branche.

"Die Frage ist allerdings, ob es nicht auch in einer nicht mehr kapitalistischen, auf der Selbstorganisation der ProduzentInnen beruhenden Gesellschaft ein Recht auf Partizipation in einem Einzelgänger-Modus geben sollte."

nun, damit rennen Sie bei mir offene türen ein - und das sage ich vor dem hintergrund ganz eigener erfahrungen. allerdings halte ich den ausdruck "einzelgänger-modus" für eine nicht unwesentliche beschönigung von schweren wahrnehmungsbe- und einschränkungen, deren psychophysisch pathologische struktur ich nicht hinter phrasen wie "neurologische vielfalt" u.ä. versteckt sehen möchte. das bedürfnis nach zweitweiligem alleinesein halte ich innerhalb einer authentischen subjektivität für völlig normal - ebenso wie das bedürfnis nach kollektivität, die auf funktionierenden beziehungsfähigkeiten beruht. und gerade die sind im gesamten autistischen spektrum eben nicht bzw. nur sehr eingeschränkt bzw. verändert vorhanden - der "einzelgänger-modus" beruht hier letztlich nicht auf einem zeitweiligen authentischen bedürfnis oder einer freien entscheidung, sondern stellt eine art zwangsweiser existenzweise dar, deren hypothetische dominanz für die menschliche spezies - jedenfalls so, wie wir ihre positiv sozialen fähigkeiten leider nur in ansätzen kennen - das aus bedeuten würde. unter anderem aus diesem grund sehe ich geschichten wie den "autistic pride" sehr skeptisch.

"5. Die in dem Blog evozierte Vorstellung vom autistischen Programmierer, der an der Technik an sich seine helle Freude findet und sich nicht darum schert, was mit dem Resultat seiner gründlichen Arbeit angerichtet wird, ist ein Klischee, das mit der Realität von AutistInnen sehr wenig zu tun hat. "Aspies" sind sehr häufig zugleich hochsensible Persönlichkeiten, denen man wirklich nicht unterstellen sollte, sie wären scharf auf technische Selbstbefriedigung ohne Rücksicht auf die Folgen."

das mag für "klassische" asperger ja weitgehend zutreffen; aber wie sieht es mit dem "versteckten" autismus innerhalb von forschung und wissenschaft aus? ich halte es aus meiner perspektive eben nicht für zulässig, das sozusagen "reine" autistische spektrum als irgendwie bizarre besonderheit am rande der menschlichen möglichkeiten zu bestaunen - ich halte eine wahrnehmung für zutreffender, die die klassischen autismus-varianten (bzw. ihre wesentlichen eigenheiten) als paradigmatisch auch für mögliche psychophysische zustände aller menschen begreift - in verschiedenen variationen, anteilen und kombinationen. zu diesem ansatz trägt übrigens auch meine ganz persönliche erfahrung mit entsprechenden zuständen bei mir und anderen bei.

"6. Natürlich ist simulierendes Verhalten in gewissem Maße eine notwendige Bedingung von Humanität. Natürlich bin ich freundlich zu anderen, auch wenn ich eigentlich gerade depressiv oder schlecht gelaunt bin - denn dafür können die anderen nichts."

so? ohne jede einschränkung? ich würde ja eher dazu tendieren, innerhalb von nahen sozialen beziehungen meinen jeweiligen zustand kenntlich zu machen, um erstens dadurch für andere transparenter zu werden (mit der möglichkeit eines größeren verständnis -> neue handlungs-/umgangsoptionen); zweitens meinen zustand u.u. dadurch auch selbst verändern zu können; und drittens der anstrengung von permanenter simulation zu entkommen. Ihre oben zitierte vorgehensweise hat eigentlich nur berechtigung im sog. öffentlichen raum; und selbst da würde ich an etlichen stellen eine möglichkeit der vermittlung eigener authentischer zustände begrüßenswert empfinden (letzteres hat übrigens nix mit der simulierten "offenheit" von exhibitionistischen talkshows oder dergleichen zu tun).

"Natürlich ist keine entwickelte Subjektivität möglich ohne Vermittlung und Entäußerung. Ein Asperger-Syndrom ist nun eben nicht einfach die permanente und totale Abwesenheit von Simulations- und Vermittlungsfähigkeit. Aspies sind genauso lern- und entwicklungsfähig wie andere Menschen (manchmal sogar mehr als andere), bloß läuft die Entwicklung bei ihnen anders ab. Wenn Aspie-Kinder sich besonders für Gegenstände wie Waschmaschinen interessieren, heißt das noch lange nicht, dass sie das lebenslang tun. Es ist doch überhaupt nicht wahr, dass Aspies keine soziale Kompetenz besäßen. Sie erwerben sie anders, in der Regel später als NTs und dadurch auch bewusster."

Sie verschleiern hier schlicht den qualitativen unterschied zwischen authentischer und simulierter sozialer kompetenz. wenn "aspies" ersteres als strukturelle eigenart ihrer persönlichkeit aufweisen würden - gäbe es sie nicht als "aspies". die "bewusstere erwerbung" beruht ja gerade darauf, dass sie den objektistischen modus ihrer wahrnehmung besonders schulen und trainieren müssen, um überhaupt ein leidlich realitätsfähiges simulatives niveau zu erreichen. das das letztere dann u.u. auch "NTs" beeindrucken kann, dürfte eher mit einer mehr oder weniger großen schädigung der eigenen authentischen fähigkeiten bei diesen zusammenhängen (was dann, nebenbei gesagt, auch zu solch grotesken verhaltensweisen führt wie denen, die alleine aus pr- und imagegründen konstruierte und simulierte "soziale kompetenz" großer konzerne für bare münze zu nehmen).

"Das kann enorme Stärken mit sich führen, z.B. sogar ein starkes soziales Engagement."

meinen Sie damit auch solche leute wie bill gates?

"Den Gerechtigkeitssinn von Aspies mit dem Formalismus der Justiz in Verbindung zu bringen, ist wieder einmal eine der oben bereits kritisierten, völlig willkürlichen und unbegründeten "Assoziationen"."

suchen Sie einmal im index oder der recherche nach beiträgen, die sich hier genauer mit verschiedenen justiziellen urteilen beschäftigen. dann werden Sie vielleicht nachvollziehen können, das von "völlig willkürlich und unbegründet" keine rede sein kann.

"7. Für den Autistic Pride engagierte Aspies verlangen nicht, dass alle Menschen autistisch werden sollen. Sie erkennen die Fähigkeiten von NTs an und verlangen nur, dass diese reziprok ebenso verfahren. Insofern ist jede Überlegung darüber, wie eine nur aus AutistInnen bestehende Menschheit aussähe, völlig unsinnig."

"Bei autistischen Personen ist inzwischen eine starke Tendenz, zu sagen, die Welt sollte sich ihnen anpassen." (zitat temple grandin; quelle hier enthalten).

das sagte grandin über ihre mitbetroffenen. und bei sowas werde ich einfach hellhörig, weil es erstens angesichts verschiedener, mit autismus in zusammenhang gebrachter eigenschaften und besonderer fähigkeiten, die zweitens zumindest teilweise eine schnittmenge mit favorisierten strukturellen eigenschaften der heutigen kapitalistischen gesellschaft aufweisen, wohl nicht so abwegig ist anzunehmen, dass sich drittens autistische betroffene vor diesem hintergrund daran machen könnten, ihren eigenen zustand entsprechend umzudefinieren - eine dekonstruktion der behinderung hin zu einer konstruktion von normalität. warum sie damit gar nicht mal so unrecht haben, hatte ich im ausgangsbeitrag versucht zu skizzieren. aber das bedeutet keinesfalls, die gründe und v.a. die implikationen eines solchen projektes kritiklos hinzunehmen.

"8. Wirkliche Gleichheit wäre die Freiheit, ohne Angst verschieden sein zu können (Adorno)."

ja. und? nochmal: ich rede hier nicht von einer bloßen "verschiedenheit". ich habe absolut nichts dagegen - im gegenteil - für wie auch immer psychophysisch geschädigte menschen alles notwendige zu tun bzw. bereitzustellen, was deren leben erleichtern kann. ich habe allerdings etwas dagegen, real vorhandene einschränkungen und behinderungen - aus welchen gründen auch immer - quasi zu de-konstruieren (und dieses vorhaben würde ich Ihnen unterstellen). autismus stellt eine qualitative und ernsthafte beschädigung ganz elementarer menschlicher sozialer fähigkeiten dar - mit der betonung auf beschädigung!

"9. Die autistische Seinsweise ist nicht antisozial. Sie ist auf andere Weise sozial als die neurologisch typische."

etwas polemik gefällig? nach dieser logik ist letztlich auch ein soziopath nur "anders sozial".

"10. Was der Blogger gegen Ende als Konzept von Geschichte skizziert, ist nicht schlecht. Ärgerlich ist nur, dass er sein "Wissen" über Autismus, das er munter zu allen möglichen und unmöglichen "Assoziationen" verrührt, anscheinend aus auf veralteten Theorien beruhenden populärwissenschaftlichen Magazinen hat. In diesem Text ist jedenfalls nicht erkennbar, dass der Blogger irgendwelche reale Erfahrung mit autistischen Menschen hätte."

wenn Sie sich nochmals die mühe machen würden, im index nach den verschiedenen beiträgen zum autistischen spektrum zu recherchieren, wäre Ihnen Ihre polemik mit den "populärwissenschaftlichen magazinen" vermutlich selbst peinlich. dann aber: was sollen denn die nicht "veralteten theorien" darstellen? etwa der ausschließliche bezug auf irgendwelche gene (wahlweise auch umweltgifte und impfungen, wobei letzteres inzwischen als widerlegt gilt)? zur rolle der gene lesen Sie bspw. einmal joachim bauer - das könnte Ihnen dabei helfen, eine nicht dissoziierende wahrnehmungsposition bei dieser frage einzunehmen (ob irgendwelche gene nämlich bei autistischen menschen nicht oder anders fuktionieren, ist definitv keine antwort zur frage nach der entstehung). dazu wäre es einmal auch interessant, sich genauer die rolle der selbsthilfebewegung, und da besonders die betroffenen eltern, anzuschauen - nicht nur hier, sondern auch durch die erfahrungen mit eltern von "schizophrenen", liegt nämlich der eindruck nahe, dass bevorzugt erklärungsmodelle gefördert werden, die bei derartigen zuständen besonders unpersönliche - und damit eltern/familien und letztlich die gesellschaft entlastende - ursachen für schwere psychophysische einschränkungen annehmen. "die gene" stellen da heute den absoluten favoriten dar, obwohl eben das nach den jüngsten forschungen kaum mehr haltbar ist.

diese verhaltensweise betroffener eltern besonders von als schizophren diagnostizierten, mit dem daraus folgenden teils enormen druck auf involvierte medizinerInnen, dürfte einen nicht unerheblichen anteil daran haben, dass sich innerhalb der psychiatrie nach der phase der besonders die dysfunktionalen sozialen verhältnisse thematisierenden psychiatrischen strömungen (laing u.a.) der späten 1960er und 70er jahre seit den 80ern wieder mehrheitlich eine eher reduktionistische und im schlechten sinne biologistische sichtweise auf schizophrene phänomene durchgesetzt hat. und wenn ich mir die teils rigorose abwehr betroffener eltern von autistInnen gegenüber jedem ansatz anschaue, der auch nur entfernt eine mögliche beteiligung seitens betroffener familien / eltern in betracht zieht, so fällt die parallelität des verhaltens mit dem eben skizzierten bezgl. schizophrenie krass ins auge. von sich als "links" verstehenden medien wie der "jungen welt" und auch der "a & k" würde ich mir bei solchen fragen einfach mehr erwarten - und nicht nur lediglich eine wiedergabe weitgehender selbstbeweihräucherung betroffener - was in diesem fall aus meiner perspektive umso mehr zutrifft, als das selbstbetroffenheit des autors beim thema nicht erwähnt wurde.

und ob ich selbst erfahrungen mit autistischen menschen habe? aus dem kontext von kliniken, kindergärten etc. nicht. ansonsten: mehr, als mir manchmal lieb ist.
guru - 27. Jun, 04:03

Der Apfelkuchen

Es geht nicht um Dekonstruktivismus oder philosophische Debatten.
Es stößt mir doch sehr bitter auf, mit welcher Selbstherrlichkeit hier mit Begriffen wie "betroffen" und "gestört" und "behindert" um sich geworfen wird. Man wird mit Schizophrenen verglichen und immer wieder mal in die Schublade psychopathologischer Abweichungen gesteckt .

Autismus ist keine psychophysische Abweichung. Einen Text von einem Aspie nicht als einen Text von einem Aspie zu erkennen zeigt, dass keine signifikante Abweichung vorliegen kann. Oder keine Sozialkompetenz beim Leser.
Dieser Autor ist auch kein Betroffener - werden diese von autistic pride abgelehnten Begriffe eigentlich absichtlich verwendet, um Autisten zu beleidigen?
Wenn die Schwarzen nicht "Neger" genannt werden wollen ist das zu respektieren und fertig!

Man kann nicht alles immer nur aus seinem eigenen Tunnelblick heraus betrachten. Da wird von "verstecktem" Autismus gesprochen. Wer soll das sein?
Irgendwo auf dem Spektrum gibt es Leute, die schlau genug sind und gleichzeitig sozialkompetent genug sind und gleichzeitig gewissenlos genug sind, um echte Fieslinge werden zu können? Wieviele sind das? 0,2% der Bevölkerung?
Was hat das mit Autismus zu tun? Warum werden hier nicht endlich zwei Sachen voneinander getrennt, der "Autismus" als die Persönlichkeitsveränderung des Individuums im Kapitalismus und das Asperger Syndrom, anstatt Zusammenhänge zu stiften, wo keine sind?

Meine Sozialkontakte, meine Gefühle und meine Kommunikation sind übrigens keine Simulationen "menschlicher" Eigenschaften, die von einem Roboter nachgeahmt werden. Ich bin ein Mensch und ich lerne solche Dinge eben langsamer als andere. Dafür habe ich andere Dinge eher gelernt.
Eine "Beschädigung" ganz elementarer menschlicher sozialer Fähigkeiten liegt definitiv vor, wenn jemand sein Gegenüber nicht als gleichwertigen Menschen anerkennt und stattdessen Pathologisierungen über seinen Text wie Streusel auf dem Apfelkuchen verteilt.

Gruß, Guru

monoma - 27. Jun, 17:44

@guru - antwort 1

Es geht nicht um Dekonstruktivismus oder philosophische Debatten.

nicht primär, richtig. um den konstruktivismus als idee und seine folgen aber schon.

Es stößt mir doch sehr bitter auf, mit welcher Selbstherrlichkeit hier mit Begriffen wie "betroffen" und "gestört" und "behindert" um sich geworfen wird. Man wird mit Schizophrenen verglichen und immer wieder mal in die Schublade psychopathologischer Abweichungen gesteckt .

vielleicht ist Ihnen entgangen, dass ich selbst durchaus sehr eigene biographische erfahrungen mit psychiatrischen diagnosen und den impliziten vorurteilsstrukturen habe, die damit so einhergehen? und ja, trotz dieses potenzials bleibe ich dabei, was ich anderswo im blog schon mal ähnlich geschrieben habe: ich weigere mich, die tendenz mitzumachen, ganz offensichtliche einschränkungen der (sozialen) menschlichen fähigkeiten wegzukonstruieren und -definieren. als analogie: wenn jemand ohne beine oder arme geboren worden ist, ist es schlicht albern und eine perfide art der nichtauseinandersetzung, so zu tun, als ob der betreffende trotzdem alle gliedmaßen besitzen würde. alle möglichen hilfen, auch technischer und finanzieller art im alltag: überhaupt kein widerspruch dagegen, im gegenteil.

aber so zu tun, als ob "nur" die umwelt für die einschränkungen verantwortlich wäre, ist eine zu bequeme art und weise, die eigene auseinandersetzung mit dem eigenen leben zu vermeiden. will sagen: es gibt im skizzierten zustand erfahrungen und aktivitäten, die nicht oder nur sehr verfremdet nachzuvollziehen sind. und das ist ein erfahrungsmäßiger verlust, der vielleicht durch andere erfahrungen ansatzweise aufgewogen werden kann, aber trotzdem den benannten charakter nicht verlieren wird. und da wäre dann eher ein ehrliches betrauern angesagt, betrauern von lebensoptionen, die aufgrund des eigenen körperlichen zustands niemals umsetzbar sein werden. das wort "anderssein" ist dabei irreführend und suggeriert eine real nichtvorhandene gleichheit mit all jenen, deren körper vollständig vorhanden ist.

ich kann das durchaus auf die ebene "psychischer" störungen übertragen, und das wort brauche ich hier ganz bewußt - bspw. nicht kommunizieren zu können (aus dem eigenen psychophysischen zustand heraus) , und sei´s nur situativ, nehme ich durchaus als eine elementare und teils sehr schmerzhafte störung wahr. das beschönigende "anderssein" kommt mir nicht nur an solchen stellen wie ein hohn vor, der die realen schmerzen und verluste an lebensqualität mit eine konstrukt füllt, welches von vorne bis hinten alle kennzeichen einer lüge aufweist, die vielleicht "gut gemeint" sein mag, aber dennoch nichts anderes ist.

warum Sie ("man") sich mit schizophrenen vergleichen, bleibt Ihr geheimnis - der kontext, aus dem Sie sich das konstruieren, gibt so einen vergleich schlicht nicht her. vielleicht lesen Sie nochmal genauer nach.

Autismus ist keine psychophysische Abweichung. Einen Text von einem Aspie nicht als einen Text von einem Aspie zu erkennen zeigt, dass keine signifikante Abweichung vorliegen kann.

nein? sollte ich neuronale abweichung schreiben? das ist mir zu begrenzt. und die logik des zweiten satzes ist schlicht abenteuerlich - alle möglichen menschen mit allen möglichen eigenschaften schreiben texte, und es ist schlicht nicht möglich, von einem text auf diese eigenschaften zu schließen, wenn diese selbst nicht inhaltlich behandelt werden und der autor selbst einen deutlichen bezug auf seine person setzt. daraus dann solche schlüsse zu ziehen wie Sie oben, halte ich für völlig unbegründet.

Dieser Autor ist auch kein Betroffener - werden diese von autistic pride abgelehnten Begriffe eigentlich absichtlich verwendet, um Autisten zu beleidigen?

was "autistic pride" ablehnt oder nicht, ist mir an dieser stelle ziemlich egal. das wort ist - gleichgültig, in welchem zusammenhang - erstmal eine zustandsbeschreibung und dient dazu, eine bestimmte situation zu verdeutlichen. von armut betroffene, von kriegen betroffene, borderline-betroffene - in Ihrer logik also alles "diskriminierend". ahja. die "beleidigung" ist in diesem fall Ihr eigener film.

Man kann nicht alles immer nur aus seinem eigenen Tunnelblick heraus betrachten.

wenden Sie diesen trefflichen vorsatz eigentlich auch bei Ihnen selbst an?

Da wird von "verstecktem" Autismus gesprochen. Wer soll das sein?
Irgendwo auf dem Spektrum gibt es Leute, die schlau genug sind und gleichzeitig sozialkompetent genug sind und gleichzeitig gewissenlos genug sind, um echte Fieslinge werden zu können? Wieviele sind das? 0,2% der Bevölkerung?


so, jetzt kommen wir den interessanten fragen schon näher. wenn Sie sich einmal diesen beitrag durchlesen, könnte es Ihnen deutlicher werden, dass ich von einem modell ausgehe, in welchem das "offizielle" autistische spektrum als deutlichstes paradigma für bestimmte optionen des menschlichen lebens angesehen wird, die prinzipiell jedem menschen zugänglich und bekannt sind, und die ebenfalls unter bestimmten sozialen umständen gefördert oder gehemmt werden. ich kenne aus meiner eigenen geschichte ebenfalls zustände, die ich aus dieser sicht heute als autistisch begreife. und vielleicht begreifen Sie an dieser stelle endlich mal, dass es hier genau um derartige strukturelle oder funktionelle zustände geht, die ich als weitverbreitete phänomene wahrnehme - und ebenfalls als bedrohliche.

und davon betroffen sind sicherlich mehr als "0,2%", und gleichfalls sind die "echten fieslinge" eben nicht sozialkompetent, sondern kompetent im simulieren desselben - und um diese varianten von etwas, was ich als "simulationsfähigen autismus" begreife, geht es hier primär.

Was hat das mit Autismus zu tun? Warum werden hier nicht endlich zwei Sachen voneinander getrennt, der "Autismus" als die Persönlichkeitsveränderung des Individuums im Kapitalismus und das Asperger Syndrom, anstatt Zusammenhänge zu stiften, wo keine sind?

zur ersten frage zitiere ich einfach mal aus dem verlinkten beitrag:

"mit dem thema autismus hat das alles aus folgenden gründen etwas zu tun, weil...

"...nur hier, im Kontext des Autismus, der bei weitem wichtigste Faktor der gesamten Psychopathologie, und zwar als isoliertes Ereignis, etwas deutlicher als sonst in unser Blickfeld kommt: Bei diesem wichtigsten Faktor handelt es sich um jenen zentralen Erfahrungskomplex, der unter den Schlüsselbegriffen Bindung, (authentische) Beziehung, (lebendiger) Dialog, Verstehen, Empathie oder (mit Einschränkungen) Rapport abgehandelt wird. Dieser Beziehungsfaktor tritt beim Autismus insofern als isoliertes Ereignis hervor, weil er im Sinne eines Totaldefizits oder eines Totaldefekts vollständig entfällt."

(mertz, "borderline...", s. 98)


ich sehe bis heute keine sachlichen gründe, dieser beschreibung zu widersprechen. und damit sollte auch deutlicher werden, warum ich die antwort auf die zweite frage sehr anders sehe als Sie - da die menschlichen möglichkeiten des seins aufgrund unserer psychophysischen ausstattung begrenzt sind bzw. von letzterer in auseinandersetzung mit der umwelt geprägt/geformt werden, ist es nicht nur plausibel, sondern erscheint mir sogar sehr geboten, die deutlich erkennbaren individuellen prägungen vieler menschen im kapitalismus mit allen bekannten psychophysischen zuständen abzugleichen, um derart das wesen dieser prägungen besser verstehen zu können. und wie im oben genannten zitat deutlich, stellt sich die frage bei weit verbreiteten sozialen unfähigkeiten bzw. wahrnehmungsstörungen dann quasi von selbst, ob hier nicht prozesse ablaufen, die die - im weitesten sinne - autistischen optionen des menschlichen seins in sehr unguter art und weise triggern. und diese frage ist nötig und erlaubt, wie ich finde.

Meine Sozialkontakte, meine Gefühle und meine Kommunikation sind übrigens keine Simulationen "menschlicher" Eigenschaften, die von einem Roboter nachgeahmt werden. Ich bin ein Mensch und ich lerne solche Dinge eben langsamer als andere. Dafür habe ich andere Dinge eher gelernt.

"solche dinge" werden im regelfall eben nicht gelernt, höchstens ihre jeweiligen kulturellen formen und ausprägungen. die elementaren voraussetzungen dafür bestehen allerdings primär in funktionierenden wahrnehmungsfähigkeiten, und an dem punkt beisst sich die katze dann wieder in den schwanz.

*

ich habe momentan keine weitere zeit, um auf Ihre anderen kommentare so wie oben einzugehen, werde das jedoch aufgrund des bisherigen querlesens noch nachholen - neben Ihrer eigenartigen einschätzung, dass "die überbevölkerung" das größte aller probleme heute sei bis hin zur offensichtlichen verwechselung von soziopathie mit sozialer phobie gibt es noch etliche punkte, die ich kommentieren möchte.

mo
guru - 28. Jun, 06:44

Wahrnehmung

Dass Sie Erfahrungen mit psychiatrischen Diagnosen haben, tut mir sehr leid. Es scheint Ihrem Verstand ja nicht geschadet zu haben, nur dieser Blog ist recht unübersichtlich gestaltet und für Autisten nicht gerade nutzerfreundlich, daher habe ich noch nicht alles gelesen, was verfügbar ist.

Konstruktivismus ist eine interessante Theorie, radikaler auch, besonders aus wahrnehmungstheoretischer Sicht. Die Realität wird konstruiert und es werden Zusammenhänge hergestellt, wo manchmal gar keine sind. Und ich finde, das passiert hier.
Verdinglichung ist auch ein spannendes Thema. Einem Menschen Gefühle abzusprechen heißt, ihm Menschsein abzusprechen, Tiersein, Teil der Natur sein. Es heißt, ihn zu einem Objekt zu machen. Das ist Verdinglichung oder habe ich was falsch verstanden?

Grundlegende soziale Fähigkeiten – was versteht man darunter? Ich möchte wohl behaupten, dass ich über grundlegende soziale Fähigkeiten verfüge. Mitunter bin ich etwas zu direkt und man sollte mich nicht nach meiner Meinung fragen, wenn man sie nicht hören will, aber grundsätzlich bin ich ein sozial sehr engagierter und feinfühliger Mensch und selbst wenn ich dies nicht wäre, bliebe ich ein Mensch wie jeder andere. Oder anders, wenn ich das nicht wäre, wäre ich wie die meisten anderen.

Die Menschen, die über diese grundlegenden sozialen Fähigkeiten in nur geringem Ausmaß verfügen, können auf die Gesellschaft nicht einwirken, weil sie nur in sehr wenigen Fällen Zugang zu Bildung oder einem selbstbestimmten Leben haben. Diese Menschen haben trotzdem Gefühle und eigene Gedanken, es gibt nur ein Kommunikationsproblem.
Das bedeutet Autismus. Umso autistischer man ist, desto weniger hat man Anteil an der Gesellschaft. Gesellschaftliche Prozesse werden von Autisten nicht gelenkt oder verursacht und gesellschaftliche Prozesse verursachen auch keine Autisten, keine Menschen mit Albinismus, kein Down- Syndrom und keine Homosexualität.
Unter den historischen Fieslingen und gewissenlosen Wissenschaftlern findet sich kein erhöhter Anteil von Autisten. Mir ist jedenfalls keine Studie bekannt, die das nahe legt.

Dass Autismus mit gewissen Problemen einhergeht, will ich gar nicht bezweifeln. Aber wenn man von Asperger Autismus spricht, hat man es selten mit hilflosen Personen zu tun und oft mit welchen, deren Probleme nicht vom Autismus sondern von den Anforderungen einer Umwelt verursacht werden, die für eine nichtautistische Mehrheit konzipiert ist.
Wir können nicht verlangen, dass sie perfekt auf unsere Minderheiten- Bedürfnisse zugeschnitten wird, aber wir möchten Barrieren entfernen, besonders die in den Köpfen.
Innerhalb der autistischen Community gibt es all diese Barrieren, die es sonst gibt, nicht.
Man trifft mitunter wildfremde Menschen und redet wie mit alten Freunden. Man kann sich öffnen, ohne Angst, dass einen jemand für komisch hält oder dass man ausgegrenzt oder verspottet wird und es noch nicht mal mitkriegt. Keine Fallen, keine Missverständnisse. Ein soziales Umfeld ohne Probleme.
Es ist ein anderes Kommunikationssystem, ein schnörkelloses und sehr präzises, das wunderbar funktioniert und mit dem alles ausgedrückt werden kann, was ausdrückbar ist.
Auch hochkomplexe Gefühlszustände, falls man darüber reden möchte.
Im Moment wird viel darüber gesprochen, da die Tendenz, Autisten Emotionen abzusprechen und sie als von uns simuliert darzustellen, immer stärker zu erkennen ist. Sei es in der erwähnten Fernsehserie oder hier. Auch der unterschwellige Vergleich von Autisten mit Faschisten oder gewissenlosen Mördern erfolgte an beiden Stellen.

„aber so zu tun, als ob "nur" die umwelt für die einschränkungen verantwortlich wäre, ist eine zu bequeme art und weise, die eigene auseinandersetzung mit dem eigenen leben zu vermeiden."

Finde ich auch, jeder soll bei sich selbst anfangen und auch seine Grenzen erkennen und akzeptieren.

" .. will sagen: es gibt im skizzierten zustand erfahrungen und aktivitäten, die nicht oder nur sehr verfremdet nachzuvollziehen sind. und das ist ein erfahrungsmäßiger verlust, der vielleicht durch andere erfahrungen ansatzweise aufgewogen werden kann, aber trotzdem den benannten charakter nicht verlieren wird. und da wäre dann eher ein ehrliches betrauern angesagt, betrauern von lebensoptionen, die aufgrund des eigenen körperlichen zustands niemals umsetzbar sein werden. das wort "anderssein" ist dabei irreführend und suggeriert eine real nichtvorhandene gleichheit mit all jenen, deren körper vollständig vorhanden ist.“

Ein Verlust von Erfahrungen ist es auch, mit Filtern durch die Welt zu laufen und viele wundervolle Details nicht wahrzunehmen. Sich Hochzeitstage nicht merken zu können und nicht zu wissen, was die eigene Frau anhatte, als man sie kennen lernte. Es wäre auch ein ehrliches Bedauern von Lebensoptionen angesagt, wenn man seine Freizeit in der Kneipe statt im Naturkundemuseum verbracht hat oder mit Kitesurfen statt mit historischen U- Bahn- Fahrplänen. Das muss doch jedem selbst überlassen bleiben.
Die Bemerkung mit dem vollständigen Körper macht keinen Sinn. Mir fehlt nichts.

Der Vergleich mit einer psychischen Störung hinkt. Menschen, die plötzlich der Sprache beraubt werden, leiden darunter, weil ihnen etwas fehlt, das sie sonst hatten.
Autistische Menschen, die anders kommunizieren, leiden natürlich auch. Besonders Smalltalk sorgt regelmäßig für Magenverstimmungen.
Kommunikationen mit Menschen, die sich nicht für mich interessieren, sondern für das Bild, das sie von mir haben wollen, fehlen mir aber wirklich nicht. Sie sind manchmal notwendig und da habe ich meine Probleme wie jeder, der halbwegs bei Trost ist. Und bestimmt ist es auch in Beziehungen ärgerlich, seine Gefühle nicht spontan ausdrücken zu können, aber da kann man ja irgendwo ein Gedicht abschreiben oder selbst eins erfinden oder Blumen kaufen. Man kann sich immer irgendwie ausdrücken, man kann es nur nicht besonders spontan.

„Neuronale Abweichung“ wäre akzeptabel. Wenn das Resultat des abweichenden Verarbeitungsprozesses nicht signifikant von den Resultaten der Masse der Verarbeitungsprozesse abweicht, kann man den Verarbeitungsprozess vernachlässigen, ihm scheint nichts auffallend Pathologisches anzuhaften.

„Betroffen“ ist negativ konnotiert und wird von vielen AP Aktivisten (aller möglichen Geschlechter) abgelehnt.

Den Grundsatz mit dem Tunnelblick wende ich bei mir selbst an, ich habe auch allen Grund dazu. Bedauerlicherweise scheint ein gedanklicher Standortwechsel nicht jedermanns Sache zu sein. Man kann natürlich eine Selbsthilfebewegung mittels philosophischer Argumente in die Nähe von Kapitalisten, historischen Schurken oder Psychopathen rücken.
Aber das diskriminiert eine Minderheit, die gegen genau die Vorurteile ankämpft, die so geschürt werden.
Darum handelt diese Debatte nicht von Dekonstruktivismus oder Konstruktivismus oder Marx. Es geht um das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und und um das Recht, sich selbst zu bezeichnen. Weiter geht es darum, dass diese Bezeichnung nicht abwertend gebraucht wird. Autisten möchten gern als Menschen mit Würde und auch mit Gefühlen betrachtet werden. Die Gehörlosen wollen nicht „taub“ genannt werden. Ob das jetzt Poststrukturalismus oder sonst was ist, ist da völlig egal, denn es geht um political corectness und Respekt gegenüber wem auch immer.

Mit dem versteckten Autismus werde ich mich morgen eingehender befassen, mir wäre es wirklich Recht, wenn es eine Übersicht aller Beiträge gäbe, thematisch geordnet.

„mit dem thema autismus hat das alles aus folgenden gründen etwas zu tun, weil...
"...nur hier, im Kontext des Autismus, der bei weitem wichtigste Faktor der gesamten Psychopathologie, und zwar als isoliertes Ereignis, etwas deutlicher als sonst in unser Blickfeld kommt: Bei diesem wichtigsten Faktor handelt es sich um jenen zentralen Erfahrungskomplex, der unter den Schlüsselbegriffen Bindung, (authentische) Beziehung, (lebendiger) Dialog, Verstehen, Empathie oder (mit Einschränkungen) Rapport abgehandelt wird. Dieser Beziehungsfaktor tritt beim Autismus insofern als isoliertes Ereignis hervor, weil er im Sinne eines Totaldefizits oder eines Totaldefekts vollständig entfällt. (mertz, "borderline...", s. 98)"

Herrje! Entschuldigung, aber das kann man nicht vertreten. Autismus wird nicht mehr zur Psychopathologie gerechnet und einen Totaldefekt haben nicht einmal Autisten, die gar nicht sprechen. Empathie, Bindung und authentische Beziehungen sind jedenfalls nach meiner Beobachtung sogar dort vorhanden. Es kommt wohl doch darauf an, wer einen Menschen von außen beurteilt.

„ich sehe bis heute keine sachlichen gründe, dieser beschreibung zu widersprechen.“

Ich sehe mehrere. Die Autismusforschung hat sich weiterentwickelt. Mertz ist kein Autismusspezialist. Er ist Psychologe. Das Zitat stammt aus einem Buch über Borderline.
Ich kann Ihnen Attwood empfehlen.

" "Meine Sozialkontakte, meine Gefühle und meine Kommunikation sind übrigens keine Simulationen "menschlicher" Eigenschaften, die von einem Roboter nachgeahmt werden. Ich bin ein Mensch und ich lerne solche Dinge eben langsamer als andere. Dafür habe ich andere Dinge eher gelernt." "

"solche dinge" werden im regelfall eben nicht gelernt, höchstens ihre jeweiligen kulturellen formen und ausprägungen. die elementaren voraussetzungen dafür bestehen allerdings primär in funktionierenden wahrnehmungsfähigkeiten, und an dem punkt beisst sich die katze dann wieder in den schwanz.“

Kommunikation wird erlernt. Verbale wie auch nonverbale. Gefühle hat jeder Mensch, sie zu kommunizieren wird erlernt (falls man nicht lacht oder schreit, das tun Autisten auch) und soziale Kontakte zu schließen kann ein Kind auch nicht einfach so. „höchstens ihre jeweiligen kulturellen formen und ausprägungen.“ Ist dabei ein sehr wichtiger Punkt. Genau darum geht es nämlich, um das autistische Unverständnis sozialen Erwartungen gegenüber beim Kontakte schließen. Man ist nämlich nicht der Mensch, der erwartet wurde. Auch von den Eltern nicht. Man ist falsch und erfährt nicht, warum.

Funktionierende Wahrnehmungsfähigkeiten hat auch jeder Mensch. Ohne irgendwelche Wahrnehmungsfähigkeiten hätte man vermutlich kein Bewusstsein. Es kommt darauf an, was man mit seiner Wahrnehmung fokussiert. Sogar Defizite der Sinnesorgane werden durch andere Sinnesorgane ausgeglichen, aber die Sinnesorgane sind ja bei den meisten Autisten intakt.
Es gibt in Deutschland übrigens genauso viele Blinde wie Autisten, die sind auch schlecht im Deuten von Gesichtsausdrücken, aber niemand stellt sie deshalb als gefühllos oder psychopathisch hin.
Ich für meinen Teil bin froh, dass meine Wahrnehmung sehr genau ist. Ich belästige andere Menschen nicht mit meiner schlechten Laune oder meinen Andeutungen. Ich muss mich nicht irrational verhalten, weil ich ständig Dinge in Gesagtes hineininterpretiere, die nicht gesagt wurden oder weil ich falsch zitiere.
Ich kann mir stundenlang die Fliege an der Wand angucken und finde es schade, wenn niemand die Freuden meiner Wahrnehmung mit mir teilen mag.

Die Überbevölkerung ist tatsächlich das größte Problem, Ackerbau und Viehzucht haben sie ermöglicht. Kriege, Hungersnöte, Aussterben von Tierarten, Epidemien, Müllberge und CO2 Ausstoß sind die Folge. Das ist ein Problem, das man dringend in den Griff bekommen muss. Nicht nur, weil es mich als Autisten stören würde, wenn in meiner Wohnung noch 17 Gurus wohnen würden.

Mit der Soziopathie haben Sie natürlich Recht. Das habe ich verwechselt. Tut mir leid, ich kann solche Diskussionen wegen meiner Berufstätigkeit als Guru nur übernächtigt führen und dann mangelt es mir an der Genauigkeit.
Klinisch ist es klar von AS abzugrenzen wie auch von Alexithymie. Was ich meinte ist sozialer Rückzug aufgrund einer Psychose.

Gruß, Guru

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