assoziation: taliban, maras, piraten etc. - der asymmetrische krieg des westens gegen die "untere milliarde" (2)
(zum ersten teil)
*
das auftreten von gangs - egal ob mit politischer und/oder religiöser ideologie - lässt sich durchaus als globales phänomen betrachten, und zwar als zwangsläufiges: erstens stellt die form der bande eine art rudimentäre basis der menschlichen sozialität dar, allerdings nur in situationen allgemeiner äußerer bedrohung und unsicherheit. zweitens lassen sich bandenstrukturen in allen gesellschaften mit traumatisch kontaminierter sozialstruktur nachweisen (ich verlinke das vorsichtshalber nochmal); und drittens lässt sich die these aufstellen, dass es sich bei den meist männlichen mitgliedern i.d.r. um jüngere und agile teile der so called "unteren milliarde" (vielleicht ließe sich auch von globalen prekariat sprechen), die im mehrfachen sinne des wortes ungebundener agieren und sich bewegen können als bspw. die millionen von frauen, kindern, alten und familienvätern, die sich in den elendszonen des planeten täglich um leben, essen, wasser und gesundheit so viele sorgen machen müssen, dass sie davon in so ziemlich allen lebensäußerungen determiniert sind.
viertens aber gehört der vorherige punkt schon ebenfalls zur these, dass es trotz aller kulturellen unterschiede und räumlichen entfernungen strukturelle gemeinsamkeiten zwischen diesen gangs gibt, die fünftens von den strategen der oberklasse regelmässig instrumentalisiert werden. zumindest der versuch ist belegbar, auch wenn solche versuche oftmals - wie in afghanistan - zum rohrkrepierer werden. sechstens scheint mir in allen fällen die klassische form der mafia als, wenn auch nicht bewusste, matrix zu fungieren. und siebtens ist mit der hinweis mit am wichtigsten, dass in allen drei fällen die letzte verantwortlichkeit für das entstehen der jeweiligen gangs durchaus deutlich in der mehrheitlich bisher tolerierten politik der westlichen "elliten" zu suchen ist.
um diese sieben punkte etwas näher zu beleuchten, folgen drei beispiele - mit den taliban befindet sich der westen bekanntlich im offenen, wenn auch asymmetrischen, krieg. die piraten von ostafrika (aber auch asien) werden dem gegenüber durch eine art militärischen polizeieinsatz bekämpft, während sich die maras inzwischen von mittelamerika aus über recht große teile der usa (besonders im südwesten) ausgebreitet haben, in der ganzen region zu einer echten bedrohung für viele geworden sind und in und von mehreren staaten vorwiegend polizeilich, in ansätzen aber auch bereits paramilitärisch, bekämpft werden.
*
auszüge aus einem interessanten text zur jüngeren (politischen) geschichte afghanistans:
(...) "An diesem Punkt der afghanischen Geschichte betraten die Taliban (...) die Bühne. Wie aus dem Nichts schien diese unbekannte, neue Miliz aufgetaucht zu sein. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, daß der pakistanische Militärgeheimdienst ISI am Aufbau der Taliban wesentlich beteiligt war: von Anfang an war die Miliz gut bewaffnet und verfügte über schwere Waffen, einschließlich Panzer und Flugzeuge. Auch die Spannungen zwischen Pakistan und der Regierung in Kabul legen diesen Schluß nahe. Später wurde dies mehrfach belegt, etwa durch die Festnahme von pakistanischen Offizieren in Mazhar-i-Sharif, in afghanischen Norden.
Die Taliban verfügten über drei entscheidende Vorteile: erstens waren die Mudschahedinparteien und ihre zerstrittene Regierung in der Bevölkerung weitgehend diskreditiert. Es hatte sich lange herumgesprochen, daß sie weder das Wohl des Landes, noch den Islam im Sinn hatten, sondern nur das eigene, und daß sie den Krieg verewigten. Zweitens waren die Bevölkerung und selbst viele Mudschahedin ausgesprochen kriegsmüde. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1988/89 und dem Sturz Nadschibullahs 1992 waren immer weniger Gründe für eine Fortsetzung des Krieges zu erkennen, aber der Krieg und das Leiden hörten nicht auf. Beide Punkte stellten die Taliban ins Zentrum ihrer politischen Arbeit. Drittens aber waren die Taliban eine neue, unverbrauchte Kraft, die für die Verbrechen, Korruption und den Krieg keine Verantwortung trugen. Sie waren die einzige Organisation mit Glaubwürdigkeit. Und schließlich war es ein großer Vorteil, daß die Taliban nicht nur ständig vom Islam redeten, sondern “islamische Studenten” waren - also als überparteilich, unabhängig von der Parteipolitik und selbstlos gelten konnten. In der Bevölkerung waren die Taliban durchaus beliebt, da sie disziplinierter und rücksichtsvoller auftraten. Sie genossen Respekt, während man den Parteien gegenüber vor allem Furcht, Opportunismus oder Zynismus spüren konnte. (...)
Tatsächlich machten sie ernst mit “dem Islam”, wenn auch mit einer besonders rigiden und reaktionären Variante. Zuerst ließen die Taliban die Mohnfelder abbrennen und die Heroinlabors zerstören, da Drogen gegen den Islam verstießen. (Inzwischen haben sie den finanziellen Nutzen der Opiumproduktion erkannt und den Drogenexport wieder aufgenommen.) Sie einigten als drei Viertel des Landes unter ihrer Führung, womit die Zerstückelung Afghanistans zum Teil rückgängig gemacht und die Instabilität verringert wurde. Und in ihren Herrschaftsgebieten wurde tatsächlich der Krieg beendet - kein kleines Verdienst nach mehr als 1,5 Millionen Toten. Aber ihre Art des Islam hatte von Anfang an stark repressive Züge. Männer wurden gezwungen, sich Bärte wachsen zu lassen, Frauen verstärkt unterdrückt: Berufstätigkeit und Schulausbildung für Frauen sind verpönt und faktisch verboten. Das Tragen der burqa - ein Ganzkörperschleier - wird den Frauen aufgezwungen. Brutalste Bestrafungsformen und Willkür sind an der Tagesordnung. Was viele Afghanen zuerst als die letzte Hoffnung auf Frieden begrüßt hatten, entwickelte sich schnell zu einer terroristischen Gewaltherrschaft hinter religiösen Rechtfertigungsformeln. " (...)
es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der genannte pakistanische geheimdienst isi eine enge zusammenarbeit mit der us-amerikanischen cia pflegt. eine weitere quelle stellt zur zusammensetzung und soziologie der taliban fest:
(...) "Die Taliban stammten überwiegend aus den ländlichen Gebieten in Südostafghanistan und den Flüchtlingslagern in Nordpakistan. Die meisten waren junge Männer zwischen 15 und 30 Jahren, die im Krieg herangewachsen waren, viele als Waisenkinder.
Die Masse der Taliban sind Analphabeten. Sie verfügen lediglich über ein religiöses Basiswissen, das ihnen in religiösen Internaten (madrassa) beigebracht wurde." (...)
also kriegs- und waisenkinder, die zusätzlich zu diesem traumatischen background noch den spezifischen, in islamischen gesellschaften verbreiteten gewalttätigen methoden im umgang mit kindern ausgesetzt waren. die teils extrem brutalen taten der taliban haben ihren psychophyischen hintergrund mit sehr großer wahrscheinlichkeit in den traumatischen biographien ihrer mitglieder, gekoppelt mit gruppendynamischen prozessen und der kriegsobligatorischen verrohung.
*
aus nachvollziehbaren gründen hierzulande fast unbekannt sind die maras :
(...) "Es sind junge Menschen, die leiden, die uns hassen, die uns herausfordern. Sie erwecken die schlimmsten Albträume. Aber im Grunde sind sie der Ausdruck absoluter menschlicher Einsamkeit." So sprach der französisch-spanische Dokumentarfilmer Christian Poveda über die Maras - straff organisierte Jugendbanden, die Mittelamerika und Teile der USA seit Jahren mit brutalster Gewaltkriminalität terrorisieren. (...)
Die Maras haben sich für die armen Länder Mittelamerikas zum existentiellen Problem ausgeweitet. Sie kontrollieren ganze Landesteile, vergewaltigen, erpressen, morden und erledigen die Drecksarbeit für die Drogenhändler. El Salvador, Guatemala und Honduras haben mit die höchsten Mordraten der Welt.
Aber auch in Einwanderervierteln in US-Städten stellen die Maras ein gewaltiges Sicherheitsrisiko dar. Gefürchtet sind sie an der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko, wo sie Migranten überfallen. Auch in Madrid sind sie schon aufgetaucht. Das FBI stuft sie als "transnationale Super-Gangs" ein. Die US-Bundespolizei geht von 60.000 Maras aus, andere Quellen sprechen von 200.000.
Journalist Poveda sprach kürzlich in einem Interview mit der Los Angeles Times den USA eine direkte Mitverantwortung für die Existenz der Banden zu. Ihre Vorläufer entstanden in US-Vorstädten zu Zeiten der mittelamerikanischen Bürgerkriege der 80er Jahre, als Washington Diktatoren im Kampf gegen Guerilleros unterstützte. Mittelamerikaner flohen zu Hunderttausenden in die USA. Ihre Söhne schlossen sich zu Gangs zusammen, in Los Angeles entstand die berüchtigte Mara 18, benannt nach der 18. Straße.
Nach dem Friedensschluss in Mittelamerika begannen die US-Behörden, gefasste Bandenmitglieder, pandilleros, in ihre Herkunftsländer abzuschieben, wo sie weder Arbeit, Familie noch Halt fanden; und wenig Gegenwehr. Poveda sah in ihnen "die Antwort einer verlorenen Generation" auf die blutige Vergangenheit und die Aussichtslosigkeit ihrer Heimat." (...)
"Ihr Kennzeichen sind Tätowierungen, die Gesicht, Kopf und Körper bedecken und ein pervertiertes Wertesystem ausdrücken, in dem es darum geht, sich "Respekt" zu verschaffen - und zwar durch Gewalt. Tätowierte Tränen unter dem Auge stehen für Ermordete, für jeden Toten kommt eine hinzu.
Die meiste Gewalt fügen die Banden sich aber gegenseitig zu, Rivalin der Mara 18 ist die Mara Salvatrucha (ein abfälliges Wort für Salvadorianer), die auch Mara 13 heißt, weil sich männliche Neumitglieder einer 13-sekündigen Prügelorgie unterziehen müssen. Mädchen müssen Sex mit drei Bandenmitgliedern haben.
Aussteiger berichteten, sie seien zur Initiation gezwungen worden, den nächstbesten Passanten zu erstechen. Normalerweise verlässt man die Mara nur durch den eigenen Tod. Einzig radikale evangelikale Gruppen haben einen gewissen Erfolg dabei, Maras aus ihrem System zu brechen, in dem sie ihnen ein anderes, ebenso striktes entgegenhalten.
Die Regierungen haben versucht, mit harter Hand zu antworten, der frühere Präsident von Honduras, Ricardo Maduro, ließ das Militär gegen die Maras aufmarschieren, die seinen Sohn ermordet hatten. Gefüllt hat das jedoch nur die Gefängnisse, wahre Verbrechens-Hauptquartiere." (...)
btw: an der stelle möchte ich nochmals auf einen älteren beitrag und die diskussion rund um das thema tattoos, piercing etc. hinweisen.
die zitierte aussage des journalisten, dass die usa direkte mitverantwortung trügen, muss eher noch ausgeweitet werden: die - ebenfalls teils schwer traumatisierten - flüchtlinge aus den diktaturen centralamerikas sind direkt als opfer us-amerikanischer politik - die diese dikaturen installiert und getragen hat - zu begreifen. das vor jahrzehnten produzierte gewaltpotential kehrt nun als weitgehend ungerichtete verrohung ebenfalls in und gegen die us-bevölkerung zurück, aber auch gegen die bevölkerungen mittelamerikas. und auch hier bilden sich die gangs aus dem potential von kindern und jugendlichen mit traumatischem background - in den usa als latinos rassistisch ausgegrenzt, in ihren heimatländern mit der ökonomischen aussichtslosigkeit und der unverarbeiteten traumatischen geschichte konfrontiert.
*
etwas komplizierter ost der hintergrund der piraterie in somalia , wobei auch hier im kern kriegsverwüstungen eine rolle spielen:
(...) "Der Hauptgrund für die somalische Seeräuberei ist immer wieder schnell genannt: Seit dem Sturz des diktatorisch regierenden Siad Barre 1991 ist Somalia ohne funktionierende, im ganzen Land anerkannte Regierung. Seither bekämpfen sich Clans, politische und religiöse Organisationen sowie andere Interessengruppen.
Als Erklärung für das aktuelle Ausmaß der Piraterie gerade in Somalia kann das Fehlen einer staatlichen Ordnung allein aber nicht ausreichen. Denn die Zahl der Kaperungen hat dort erst 2006 – also 15 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs – leicht zugenommen, stieg dann 2007 deutlich und 2008 sprunghaft an. Und es handelte sich dabei nicht nur um eine zahlenmäßige Zunahme, sondern vor allem um eine qualitative, hinsichtlich der Größe und des Wertes der gekaperten Schiffe. Außerdem: Die meisten Piratenakte um das Horn von Afrika, schätzungsweise 80 Prozent, ereignen sich im Golf von Aden, nördlich von Puntland, das sich 1998 von Somalia getrennt hat und seither de facto ein eigener Staat ist. Die Verhältnisse dort sind aber, verglichen mit denen Somalias, relativ stabil und friedlich.
Ein entscheidender Faktor für die plötzliche Zunahme der Seeräuberei rund um Somalia ist wahrscheinlich in der Verfügbarkeit von Kapital zu sehen, das den Piraten beispielsweise die Anschaffung von neuen Schnellbooten ermöglichte, mit denen sie inzwischen auch über 200 Kilometer weit vor der Küste operieren können. Die Piraterie ist zu einem Geschäft geworden, in das exil-somalische Geschäftsleute in Kanada, Großbritannien, auf der arabischen Halbinsel und in Südasien investieren. Vielleicht besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem gleichzeitigen Rückgang der Piraterie in Südostasien, vor allem in der Straße von Malakka, und dem Aufschwung der Seeräuberei um das Horn von Afrika: daß nämlich verbrecherisches internationales Kapital ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden hat.
Von seiten entwicklungspolitischer und antikapitalistischer Gruppen wird auf den Zusammenhang zwischen der Piraterie und der Ruinierung der somalischen Fischer vor allem durch internationale Raubfischerei und die mafiamäßig organisierte »Entsorgung« aller Arten von Giftmüll in den Gewässern um Somalia hingewiesen.
Tatsächlich haben diese Faktoren, die aber auch schon Anfang der 90er Jahre vorhanden waren, bei der Entstehung der somalischen Seeräuberei eine wesentliche Rolle gespielt. Es begann den Berichten zufolge mit Notwehraktionen von Fischern gegen die aggressiv vorgehenden, Raubfischerei in den somalischen Gewässern betreibenden Fangschiffe aus vielen Ländern der Welt. Die wichtigsten »Piratennester« – Bossaso und Eyl in Puntland, Haradere und Hobyo in Somalia – sind ursprünglich Fischerstädtchen, die allerdings durch die Piraterie in den letzten Jahren einen Boom erlebt haben. Immer noch sind viele Piraten ehemalige Fischer, auch wenn sich ihre Stützpunkte inzwischen zu Magneten für Männer aus allen Teilen des Landes und aus unterschiedlichen Berufen entwickelt haben. Darunter viele frühere Angehörige der heute praktisch kaum noch existenten Küstenwacht und schlecht entlohnte Soldaten. So wurde im vergangenen Sommer gemeldet, daß sich 400 puntländische Soldaten mit ihren Fahrzeugen den Piraten in Eyl angeschlossen hatten, nachdem die Soldzahlungen ausgeblieben waren."
durch die spezifischen eigenarten vor ort haben sich die bewaffneten seeräubereien für viele marginalisierte somalis als im verhältnis recht bequeme art und weise herausgestellt, das eigene überleben in einer weitgehend zusammengebrochenen und ebenfalls kriegstraumatischen sozialstruktur sicherzustellen. die erwähnte involvierung von organisierter kriminalität ist vor dem hintergrund der besonderen beute - ganz frachtschiffe - ebenfalls nicht überraschend. eine vom westen jahrelang abgeschriebene und nur mit kurzzeitigen "militärischen interventionen" bedachte region, deren meeresressourcen - die nahrungsbasis mindestens für die küstenbevölkerung - dazu noch geplündert wurden und werden, bringt sich so wieder ins gedächtnis.
*
zusammenfassend lässt sich folgendes sagen:
solidarität? nun, mit den gangs begründet sicher nicht - eher mit den einzelnen menschen darin. wobei auch nicht vergessen werden darf, dass extrem antisoziale strukturen eines solchen kalibers (die sich auch als realitische widerspiegelung ihrer erschaffer und gegenparts begreifen lassen, vorläufig (nicht) mehr mit üblichen politischen und sozialen maßnahmen erreichbar sind. um diese strukturen aufzulösen bzw. überhaupt die bedingungen dafür zu schaffen, sind grundlegende veränderungen unabdingbar. kurz skizziert würde mir da einfallen:
aber die alternative ist langfristig nur ein übles gemisch aus "brazil", "1984", "gattaca", "mad max" und "rambo". und bekanntlich hat die realität die eigenart, jeden filmplot um längen zu schlagen. und selbst die höchsten mauern und hochgerüstete kampfeinheiten werden selbst zum preis von wahrhaften massenmorden nicht verhindern können, dass am ende der totalitäre kapitalismus schlicht von der "unteren milliarde" überrannt werden wird. nur wird dann der verlust existenzieller menschlicher sozialer fähigkeiten der normalfall sein. und wer eine solche welt nicht will, muss sich jetzt und hier gedanken machen. und handeln.
*
das auftreten von gangs - egal ob mit politischer und/oder religiöser ideologie - lässt sich durchaus als globales phänomen betrachten, und zwar als zwangsläufiges: erstens stellt die form der bande eine art rudimentäre basis der menschlichen sozialität dar, allerdings nur in situationen allgemeiner äußerer bedrohung und unsicherheit. zweitens lassen sich bandenstrukturen in allen gesellschaften mit traumatisch kontaminierter sozialstruktur nachweisen (ich verlinke das vorsichtshalber nochmal); und drittens lässt sich die these aufstellen, dass es sich bei den meist männlichen mitgliedern i.d.r. um jüngere und agile teile der so called "unteren milliarde" (vielleicht ließe sich auch von globalen prekariat sprechen), die im mehrfachen sinne des wortes ungebundener agieren und sich bewegen können als bspw. die millionen von frauen, kindern, alten und familienvätern, die sich in den elendszonen des planeten täglich um leben, essen, wasser und gesundheit so viele sorgen machen müssen, dass sie davon in so ziemlich allen lebensäußerungen determiniert sind.
viertens aber gehört der vorherige punkt schon ebenfalls zur these, dass es trotz aller kulturellen unterschiede und räumlichen entfernungen strukturelle gemeinsamkeiten zwischen diesen gangs gibt, die fünftens von den strategen der oberklasse regelmässig instrumentalisiert werden. zumindest der versuch ist belegbar, auch wenn solche versuche oftmals - wie in afghanistan - zum rohrkrepierer werden. sechstens scheint mir in allen fällen die klassische form der mafia als, wenn auch nicht bewusste, matrix zu fungieren. und siebtens ist mit der hinweis mit am wichtigsten, dass in allen drei fällen die letzte verantwortlichkeit für das entstehen der jeweiligen gangs durchaus deutlich in der mehrheitlich bisher tolerierten politik der westlichen "elliten" zu suchen ist.
um diese sieben punkte etwas näher zu beleuchten, folgen drei beispiele - mit den taliban befindet sich der westen bekanntlich im offenen, wenn auch asymmetrischen, krieg. die piraten von ostafrika (aber auch asien) werden dem gegenüber durch eine art militärischen polizeieinsatz bekämpft, während sich die maras inzwischen von mittelamerika aus über recht große teile der usa (besonders im südwesten) ausgebreitet haben, in der ganzen region zu einer echten bedrohung für viele geworden sind und in und von mehreren staaten vorwiegend polizeilich, in ansätzen aber auch bereits paramilitärisch, bekämpft werden.
*
auszüge aus einem interessanten text zur jüngeren (politischen) geschichte afghanistans:
(...) "An diesem Punkt der afghanischen Geschichte betraten die Taliban (...) die Bühne. Wie aus dem Nichts schien diese unbekannte, neue Miliz aufgetaucht zu sein. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, daß der pakistanische Militärgeheimdienst ISI am Aufbau der Taliban wesentlich beteiligt war: von Anfang an war die Miliz gut bewaffnet und verfügte über schwere Waffen, einschließlich Panzer und Flugzeuge. Auch die Spannungen zwischen Pakistan und der Regierung in Kabul legen diesen Schluß nahe. Später wurde dies mehrfach belegt, etwa durch die Festnahme von pakistanischen Offizieren in Mazhar-i-Sharif, in afghanischen Norden.
Die Taliban verfügten über drei entscheidende Vorteile: erstens waren die Mudschahedinparteien und ihre zerstrittene Regierung in der Bevölkerung weitgehend diskreditiert. Es hatte sich lange herumgesprochen, daß sie weder das Wohl des Landes, noch den Islam im Sinn hatten, sondern nur das eigene, und daß sie den Krieg verewigten. Zweitens waren die Bevölkerung und selbst viele Mudschahedin ausgesprochen kriegsmüde. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1988/89 und dem Sturz Nadschibullahs 1992 waren immer weniger Gründe für eine Fortsetzung des Krieges zu erkennen, aber der Krieg und das Leiden hörten nicht auf. Beide Punkte stellten die Taliban ins Zentrum ihrer politischen Arbeit. Drittens aber waren die Taliban eine neue, unverbrauchte Kraft, die für die Verbrechen, Korruption und den Krieg keine Verantwortung trugen. Sie waren die einzige Organisation mit Glaubwürdigkeit. Und schließlich war es ein großer Vorteil, daß die Taliban nicht nur ständig vom Islam redeten, sondern “islamische Studenten” waren - also als überparteilich, unabhängig von der Parteipolitik und selbstlos gelten konnten. In der Bevölkerung waren die Taliban durchaus beliebt, da sie disziplinierter und rücksichtsvoller auftraten. Sie genossen Respekt, während man den Parteien gegenüber vor allem Furcht, Opportunismus oder Zynismus spüren konnte. (...)
Tatsächlich machten sie ernst mit “dem Islam”, wenn auch mit einer besonders rigiden und reaktionären Variante. Zuerst ließen die Taliban die Mohnfelder abbrennen und die Heroinlabors zerstören, da Drogen gegen den Islam verstießen. (Inzwischen haben sie den finanziellen Nutzen der Opiumproduktion erkannt und den Drogenexport wieder aufgenommen.) Sie einigten als drei Viertel des Landes unter ihrer Führung, womit die Zerstückelung Afghanistans zum Teil rückgängig gemacht und die Instabilität verringert wurde. Und in ihren Herrschaftsgebieten wurde tatsächlich der Krieg beendet - kein kleines Verdienst nach mehr als 1,5 Millionen Toten. Aber ihre Art des Islam hatte von Anfang an stark repressive Züge. Männer wurden gezwungen, sich Bärte wachsen zu lassen, Frauen verstärkt unterdrückt: Berufstätigkeit und Schulausbildung für Frauen sind verpönt und faktisch verboten. Das Tragen der burqa - ein Ganzkörperschleier - wird den Frauen aufgezwungen. Brutalste Bestrafungsformen und Willkür sind an der Tagesordnung. Was viele Afghanen zuerst als die letzte Hoffnung auf Frieden begrüßt hatten, entwickelte sich schnell zu einer terroristischen Gewaltherrschaft hinter religiösen Rechtfertigungsformeln. " (...)
es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der genannte pakistanische geheimdienst isi eine enge zusammenarbeit mit der us-amerikanischen cia pflegt. eine weitere quelle stellt zur zusammensetzung und soziologie der taliban fest:
(...) "Die Taliban stammten überwiegend aus den ländlichen Gebieten in Südostafghanistan und den Flüchtlingslagern in Nordpakistan. Die meisten waren junge Männer zwischen 15 und 30 Jahren, die im Krieg herangewachsen waren, viele als Waisenkinder.
Die Masse der Taliban sind Analphabeten. Sie verfügen lediglich über ein religiöses Basiswissen, das ihnen in religiösen Internaten (madrassa) beigebracht wurde." (...)
also kriegs- und waisenkinder, die zusätzlich zu diesem traumatischen background noch den spezifischen, in islamischen gesellschaften verbreiteten gewalttätigen methoden im umgang mit kindern ausgesetzt waren. die teils extrem brutalen taten der taliban haben ihren psychophyischen hintergrund mit sehr großer wahrscheinlichkeit in den traumatischen biographien ihrer mitglieder, gekoppelt mit gruppendynamischen prozessen und der kriegsobligatorischen verrohung.
*
aus nachvollziehbaren gründen hierzulande fast unbekannt sind die maras :
(...) "Es sind junge Menschen, die leiden, die uns hassen, die uns herausfordern. Sie erwecken die schlimmsten Albträume. Aber im Grunde sind sie der Ausdruck absoluter menschlicher Einsamkeit." So sprach der französisch-spanische Dokumentarfilmer Christian Poveda über die Maras - straff organisierte Jugendbanden, die Mittelamerika und Teile der USA seit Jahren mit brutalster Gewaltkriminalität terrorisieren. (...)
Die Maras haben sich für die armen Länder Mittelamerikas zum existentiellen Problem ausgeweitet. Sie kontrollieren ganze Landesteile, vergewaltigen, erpressen, morden und erledigen die Drecksarbeit für die Drogenhändler. El Salvador, Guatemala und Honduras haben mit die höchsten Mordraten der Welt.
Aber auch in Einwanderervierteln in US-Städten stellen die Maras ein gewaltiges Sicherheitsrisiko dar. Gefürchtet sind sie an der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko, wo sie Migranten überfallen. Auch in Madrid sind sie schon aufgetaucht. Das FBI stuft sie als "transnationale Super-Gangs" ein. Die US-Bundespolizei geht von 60.000 Maras aus, andere Quellen sprechen von 200.000.
Journalist Poveda sprach kürzlich in einem Interview mit der Los Angeles Times den USA eine direkte Mitverantwortung für die Existenz der Banden zu. Ihre Vorläufer entstanden in US-Vorstädten zu Zeiten der mittelamerikanischen Bürgerkriege der 80er Jahre, als Washington Diktatoren im Kampf gegen Guerilleros unterstützte. Mittelamerikaner flohen zu Hunderttausenden in die USA. Ihre Söhne schlossen sich zu Gangs zusammen, in Los Angeles entstand die berüchtigte Mara 18, benannt nach der 18. Straße.
Nach dem Friedensschluss in Mittelamerika begannen die US-Behörden, gefasste Bandenmitglieder, pandilleros, in ihre Herkunftsländer abzuschieben, wo sie weder Arbeit, Familie noch Halt fanden; und wenig Gegenwehr. Poveda sah in ihnen "die Antwort einer verlorenen Generation" auf die blutige Vergangenheit und die Aussichtslosigkeit ihrer Heimat." (...)
"Ihr Kennzeichen sind Tätowierungen, die Gesicht, Kopf und Körper bedecken und ein pervertiertes Wertesystem ausdrücken, in dem es darum geht, sich "Respekt" zu verschaffen - und zwar durch Gewalt. Tätowierte Tränen unter dem Auge stehen für Ermordete, für jeden Toten kommt eine hinzu.
Die meiste Gewalt fügen die Banden sich aber gegenseitig zu, Rivalin der Mara 18 ist die Mara Salvatrucha (ein abfälliges Wort für Salvadorianer), die auch Mara 13 heißt, weil sich männliche Neumitglieder einer 13-sekündigen Prügelorgie unterziehen müssen. Mädchen müssen Sex mit drei Bandenmitgliedern haben.
Aussteiger berichteten, sie seien zur Initiation gezwungen worden, den nächstbesten Passanten zu erstechen. Normalerweise verlässt man die Mara nur durch den eigenen Tod. Einzig radikale evangelikale Gruppen haben einen gewissen Erfolg dabei, Maras aus ihrem System zu brechen, in dem sie ihnen ein anderes, ebenso striktes entgegenhalten.
Die Regierungen haben versucht, mit harter Hand zu antworten, der frühere Präsident von Honduras, Ricardo Maduro, ließ das Militär gegen die Maras aufmarschieren, die seinen Sohn ermordet hatten. Gefüllt hat das jedoch nur die Gefängnisse, wahre Verbrechens-Hauptquartiere." (...)
btw: an der stelle möchte ich nochmals auf einen älteren beitrag und die diskussion rund um das thema tattoos, piercing etc. hinweisen.
die zitierte aussage des journalisten, dass die usa direkte mitverantwortung trügen, muss eher noch ausgeweitet werden: die - ebenfalls teils schwer traumatisierten - flüchtlinge aus den diktaturen centralamerikas sind direkt als opfer us-amerikanischer politik - die diese dikaturen installiert und getragen hat - zu begreifen. das vor jahrzehnten produzierte gewaltpotential kehrt nun als weitgehend ungerichtete verrohung ebenfalls in und gegen die us-bevölkerung zurück, aber auch gegen die bevölkerungen mittelamerikas. und auch hier bilden sich die gangs aus dem potential von kindern und jugendlichen mit traumatischem background - in den usa als latinos rassistisch ausgegrenzt, in ihren heimatländern mit der ökonomischen aussichtslosigkeit und der unverarbeiteten traumatischen geschichte konfrontiert.
*
etwas komplizierter ost der hintergrund der piraterie in somalia , wobei auch hier im kern kriegsverwüstungen eine rolle spielen:
(...) "Der Hauptgrund für die somalische Seeräuberei ist immer wieder schnell genannt: Seit dem Sturz des diktatorisch regierenden Siad Barre 1991 ist Somalia ohne funktionierende, im ganzen Land anerkannte Regierung. Seither bekämpfen sich Clans, politische und religiöse Organisationen sowie andere Interessengruppen.
Als Erklärung für das aktuelle Ausmaß der Piraterie gerade in Somalia kann das Fehlen einer staatlichen Ordnung allein aber nicht ausreichen. Denn die Zahl der Kaperungen hat dort erst 2006 – also 15 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs – leicht zugenommen, stieg dann 2007 deutlich und 2008 sprunghaft an. Und es handelte sich dabei nicht nur um eine zahlenmäßige Zunahme, sondern vor allem um eine qualitative, hinsichtlich der Größe und des Wertes der gekaperten Schiffe. Außerdem: Die meisten Piratenakte um das Horn von Afrika, schätzungsweise 80 Prozent, ereignen sich im Golf von Aden, nördlich von Puntland, das sich 1998 von Somalia getrennt hat und seither de facto ein eigener Staat ist. Die Verhältnisse dort sind aber, verglichen mit denen Somalias, relativ stabil und friedlich.
Ein entscheidender Faktor für die plötzliche Zunahme der Seeräuberei rund um Somalia ist wahrscheinlich in der Verfügbarkeit von Kapital zu sehen, das den Piraten beispielsweise die Anschaffung von neuen Schnellbooten ermöglichte, mit denen sie inzwischen auch über 200 Kilometer weit vor der Küste operieren können. Die Piraterie ist zu einem Geschäft geworden, in das exil-somalische Geschäftsleute in Kanada, Großbritannien, auf der arabischen Halbinsel und in Südasien investieren. Vielleicht besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen dem gleichzeitigen Rückgang der Piraterie in Südostasien, vor allem in der Straße von Malakka, und dem Aufschwung der Seeräuberei um das Horn von Afrika: daß nämlich verbrecherisches internationales Kapital ein neues Betätigungsfeld gesucht und gefunden hat.
Von seiten entwicklungspolitischer und antikapitalistischer Gruppen wird auf den Zusammenhang zwischen der Piraterie und der Ruinierung der somalischen Fischer vor allem durch internationale Raubfischerei und die mafiamäßig organisierte »Entsorgung« aller Arten von Giftmüll in den Gewässern um Somalia hingewiesen.
Tatsächlich haben diese Faktoren, die aber auch schon Anfang der 90er Jahre vorhanden waren, bei der Entstehung der somalischen Seeräuberei eine wesentliche Rolle gespielt. Es begann den Berichten zufolge mit Notwehraktionen von Fischern gegen die aggressiv vorgehenden, Raubfischerei in den somalischen Gewässern betreibenden Fangschiffe aus vielen Ländern der Welt. Die wichtigsten »Piratennester« – Bossaso und Eyl in Puntland, Haradere und Hobyo in Somalia – sind ursprünglich Fischerstädtchen, die allerdings durch die Piraterie in den letzten Jahren einen Boom erlebt haben. Immer noch sind viele Piraten ehemalige Fischer, auch wenn sich ihre Stützpunkte inzwischen zu Magneten für Männer aus allen Teilen des Landes und aus unterschiedlichen Berufen entwickelt haben. Darunter viele frühere Angehörige der heute praktisch kaum noch existenten Küstenwacht und schlecht entlohnte Soldaten. So wurde im vergangenen Sommer gemeldet, daß sich 400 puntländische Soldaten mit ihren Fahrzeugen den Piraten in Eyl angeschlossen hatten, nachdem die Soldzahlungen ausgeblieben waren."
durch die spezifischen eigenarten vor ort haben sich die bewaffneten seeräubereien für viele marginalisierte somalis als im verhältnis recht bequeme art und weise herausgestellt, das eigene überleben in einer weitgehend zusammengebrochenen und ebenfalls kriegstraumatischen sozialstruktur sicherzustellen. die erwähnte involvierung von organisierter kriminalität ist vor dem hintergrund der besonderen beute - ganz frachtschiffe - ebenfalls nicht überraschend. eine vom westen jahrelang abgeschriebene und nur mit kurzzeitigen "militärischen interventionen" bedachte region, deren meeresressourcen - die nahrungsbasis mindestens für die küstenbevölkerung - dazu noch geplündert wurden und werden, bringt sich so wieder ins gedächtnis.
*
zusammenfassend lässt sich folgendes sagen:
- alle drei gangphänomene sind in einer stark geschädigten sozialstruktur entstanden
- bei allen drei spielt bei den jeweils aktiven eine traumatische matrix durch kriege, diktaturen sowie mehr oder weniger gewalttätige erziehungspraktiken eine rolle (in mittelamerika kommt noch das rollenbild des machismo hinzu)
- alle drei sind teils direkte (taliban), teils indirekte produkte westlicher "politik" (die sich ihre eingangs erwähnten "demokratischen und moralischen ideale" sonstwohin stecken kann)
- zwei (taliban, piraten) dienen bereits jetzt schon zur rechtfertigung globaler militäreinsätze. ich prophezeie hinsichtlich der maras in naher zukunft eine ähnliche entwicklung
solidarität? nun, mit den gangs begründet sicher nicht - eher mit den einzelnen menschen darin. wobei auch nicht vergessen werden darf, dass extrem antisoziale strukturen eines solchen kalibers (die sich auch als realitische widerspiegelung ihrer erschaffer und gegenparts begreifen lassen, vorläufig (nicht) mehr mit üblichen politischen und sozialen maßnahmen erreichbar sind. um diese strukturen aufzulösen bzw. überhaupt die bedingungen dafür zu schaffen, sind grundlegende veränderungen unabdingbar. kurz skizziert würde mir da einfallen:
- massive ökonomische unterstützung der betroffenen regionen
- stopp des waffenhandels
- aufbau eines massiven psychosozialen netzes mit dem schwerpunkt der antitraumatischen arbeit
- schaffung breiter bildungsmöglichkeiten
- rückhaltlose ehrliche ansprache seitens der verantwortlichen westlichen staaten über ihre fehler an die betroffenen menschen
- grenzziehung im sinne des verhindern des gewalttätigen ausagierens. der punkt wird vermutlich vielen nicht gefallen, impliziert er doch tatsächlich polizeiliche oder auch militärische interventionen, allerdings nur als reaktion, nicht für ökonomische interessen, und nur im zusammenspiel mit den anderen genannten maßnahmen, die parallel laufen müssen
aber die alternative ist langfristig nur ein übles gemisch aus "brazil", "1984", "gattaca", "mad max" und "rambo". und bekanntlich hat die realität die eigenart, jeden filmplot um längen zu schlagen. und selbst die höchsten mauern und hochgerüstete kampfeinheiten werden selbst zum preis von wahrhaften massenmorden nicht verhindern können, dass am ende der totalitäre kapitalismus schlicht von der "unteren milliarde" überrannt werden wird. nur wird dann der verlust existenzieller menschlicher sozialer fähigkeiten der normalfall sein. und wer eine solche welt nicht will, muss sich jetzt und hier gedanken machen. und handeln.
monoma - 7. Sep, 18:16
Gewalt durch Kinder ist wohl eher ein gesamt-lateinamerikanisches Phänomen.
Du hast in Chile auch mehrfach beim Schußwaffen-Raubüberfall auffällig gewordene 14-jährige.
Soziologen erklären das ein wenig anders.
Es hat sich - vermutlich auch in Mittelamerika - im Rahmen der sich deutlich höheren rechtsstaatlichen Normen verpflichtet fühlenden Demokratien entwickelt. Sicher in Venezuela und vermutlich auch in Bolivien konnte es sich auch unter nicht so repressiven sozialistischen Regierungen entwickelt. Eine brutale Militärdiktatur oder der kubanische Polizeiaparat kann das Problem vermutlich wirksam eindämmen, ohne damit die tieferen Ursachen zu beseitigen. Ein schmutziger Krieg gegen Kriminelle kann natürlich mit einem halbwegs humanitären Gesellschaftsbild nicht in Einklang gebracht werden. Eine saubere Polizeiarbeit erscheint angesichts der Lebensperspektiven - gerade auch im Vergleich zu den Kindern des mittelständischen Nachbarviertels - kaum erfolgversprechend.
Die Eltern und Großeltern der Kinder besassen als "roto chileno" noch Furcht und Respekt vor der offiziellen Gesellschaft. Die hat abgenommen, da sie teilweise aber eben nur teilweise brüchiger werden. Ein Getto-Kind kann heute seine Ausgeschlossenheit-von-der-offiziellen-Gesellschaft affirmativ ausleben. Schliesslich hat sich ja die früher einmal hermetisch abgeschlossene Oberschicht gegenüber gewisse Elemente der Unterschichtskultur selbst geöffnet (Tätowierungen, Frisuren, Drogenkonsum, etc.). Und mit Gangsta Rap gibts sogar einen Anknüpfungspunkt in der ersten Welt.
Diese Affirmation ist natürlich völlig legitim. Sie wirft Fragen auf, die vorher einfach nicht gestellt wurden. Etwa dass das Leben auf der Rasierklinge angesichts der Lebensaussichten für die Unterschicht in Schwellen/Entwicklungsländern möglicherweise eine rationale Wahl darstellt. Lieber jung und heftig sterben, als ewig für die anderen den Bückling zu machen, ohne eine realistische Chance zu besitzen, um aus dem Kreislauf herauszukommen.
Nur kann dieser Konflikt halt nicht durch uns sondern in diesen Gesellschaften selbst gelöst werden.
Dieser andere Planet ist zumindest in Chile nicht mal unbedingt maschistisch. Eine erkennbar eher zur unteren Mittelschicht zugehörige Freundinn wurde neulich in Santiago Centro von einer Gruppe von 15-jährigen überfallen, die eine weibliche 18-jährige Anführerin hatten. Nachdem das Thema einer Gesichtsnarbe für die Freundinn von den antisozialen Elementen erstmal per demokratische Abstimmung fallen gelassen wurde, gaben ihr die männlichen Mitglieder einen Kuß und nahmen ihre Jacke, die Stiefel und das wenige Geld mit, dass sie bei sich trug.
on the cutting edge
gestern wurde in münchen /solln auch ein junges pärchen von jungen ausgeraubt, der beschützende passant erschlagen(wir kennen die genauere geschichte aus den news).
ich seh das also nicht erdteilspezifisch. das problem ist: durch diese neocon /arm-reich /der stärkere gewinnt/gehorche!- angstgesellschaft überall werden die wahren menschlichen werte nicht mehr erkannt, empathie gibts gar nicht mehr.
in armen ländern fällt naturgemäss die gewalt stärker aus...wenn wir in europa mehr amut hätten, gäbs auch mehr gewalt. das heisst aber jetzt nicht, dass wir uns hier beim gierkapitalismus bedanken sollen, denn das ende ist noch nicht gegessen....
da hat david icke recht (auch wenn ich seine krokodiltheorie für einen publicitygag halte): die menschen wissen nicht mehr, wozu sie hier auf der welt sind.
?
was für demokratien sind denn damit gemeint? etwa die schwer korrupten regimes von mexico bis guatemala? (einzige relative ausnahme in der region dürfte costa rica sein). ich habe ausserdem doch hoffentlich deutlich genug geschrieben, dass es sich hier um die zwangsläufigen folgen innerhalb von durch (bürger-)krieg und diktaturen traumatisierten sozialstrukturen handelt. ähnliches ist auch in anderen weltregionen zu beobachten, deshalb auch kein widerspruch @ errorking
und meines wissens sind die maras ein spezielles phänomen der mittelamerikanischen region, auch wenn es strukturelle ähnlichkeiten bspw. mit den gangs der brasilianischen favelas gibt.
Sondern vielmehr darum, dass unter sich im kulturellen Bereich öffnenden Klassenschranken als Übernahme von (oberflächlichen) Moden aus den unteren Schichten unter oberen Mittelschicht und Oberschicht ein Kanal auftut, der die jungen Leute aus der Unterschicht darin bestärkt, eine weniger devote Haltung an den Tag zu legen. Das kann gewalttätige Konflikte zur Folge haben. Die gewalttätigen Mapuche in Chile sind in aller Regel die mit dem engsten Kontakt mit dem offiziellen Chile in Form von etwa Schulbildung.
Die kriminelle Gewalt in Chile hat unter der Demokratie sicher zugenommen. Das spricht gegen die These von deformierenden Militärdiktaturen als Ursache der Gewalt. Selbige wird von dortigen eher linken Soziologen und Publizisten als Ausdruck eines unbestimmten Protests einer marginalisierten Gruppe gesehen, die trotz allem Gerede von wegen Chancengleichheit und Demokratie, sich ihrer eigenen Chancenlosigkeit bewußt ist und sich halt nicht duckt sondern zuschlägt, ohne sich einen ideologischen Überbau zu konstruieren. Die offizielle Welt erlegt sich Schranken bezüglich des Ausmaßes der Repression auf. Selbst in Guatemala können die nicht mehr so losgehen wie noch in den 80ern. Da gibts halt sehr wohl Unterschiede zum Verhalten der Militärdiktaturen. Das kann bei aller Mittelknappheit eben auch zu mehr Sozialpolitik führen. Ob das ausreicht, ist natürlich eine andere Frage. Es setzt Klassengesellschaften, die irgendwie auch Demokratien sein wollen, unter Druck.
Schockierende Exzesse krimineller Gewalt gibts in der gesamten Region. In einem unterschiedlichen Ausmaß und von verschiedenen Niveaus.
BLIND?
genauso wie wir nix mehr mit den menschen in nazideutschland zu tun haben wollen, wollen wir nix mit südamerika zu tun haben?
je nach politischen klima treten wie das amen im gebet sämtliche eigenschaften des menschen zu tage.
wie schon hier von vielen fachlich seriös ausgeführt,
sind politik ,wirtschaft und alle verantwortlichen hintermänner(frauen) in immensen masse für gewaltausbrüche im volk verantwortlich. diese sind natürlich auch nur menschen, die müssen jedoch in der heutigen globalisierten welt von der sozial -intellektuellen schicht auch im ausland beobachtet und besprochen werden, um die frechen krallen nicht zu lange werden zu lassen.
@lc
nein. ich habe hoffentlich deutlich genug im beitrag (und im ganzen blog sowieso) versucht klarzumachen, dass es sich hier um quasi tradierte traumata - kollektiv durch diktaturen / kriege; individuell durch die jeweils eigene sozialisationsgeschichte, in der sich natürlich jede menge spuren des kollektiven finden - handelt.
die "latenzzeit" der benannten kollektiven traumata ist lang bzw. kann sich über mehrere generationen erstrecken, die jeweils mit ganz eigenen ausdrücken des unverarbeiteten zu kämpfen haben.
und das es unter kapitalistischen demokratiesimulationen, die eher aus gleichgültigkeit "freiräume" dort lassen, wo es ihnen ungefährlich erscheint, zu einem sichtbareren ausagieren bzw. re-inszenierungen kommt, ist durchaus kein argument gegen die obige these - eher im gegenteil.