assoziation: von bleiernen zeiten und ihrem dahinschmelzen (5)

da es bitter nötig ist - die berichterstattung hierzulande ist unter aller sau und dazu mit dem quatsch der wahlsimulation gefüllt - ein paar anmerkungen zu den gegenwärtigen ereignissen, die wirklich interessant sind. da ich immer noch technikprobleme habe und nicht weiß, wie lange die leitung hält, wird´s eher ein kurzer überblick.

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libyien: unglaublich - es könnte bereits in dieser nacht so weit sein, dass das regime von gaddafi geschichte wird. die nachrichten aus dem land klingen böse, sind voller gerüchte und teils einfach wirr, aber ein paar dinge können zur stunde durchaus als fakt gelten (quelle ist u.a. der britische guardian):
  • die städte im osten des landes, speziell bengasi, sind weitgehend nicht mehr unter kontrolle des regimes
  • es gibt - leider ist das relativ sicher - hunderte von toten aufgrund einsatzes von schusswaffen bis hin zu maschinengewehren
  • teile der armee haben sich ebenso wie einige wichtige beduinenstämme dem aufstand angeschlossen, und es kam / kommt zu kämpfen mit schweren waffen gegen regimeloyale einheiten sowie söldnern aus afrikanischen ländern
  • die libyschen botschafter in china, indien und bei der arabischen liga haben offiziell und unter protest gegen die massaker ihre posten niedergelegt; der letztere will sich nach eigenen worten "der revolution anschließen"
  • es gibt zunehmend mehr gerüchte in den letzten stunden, dass gaddafi selbst bereits das land verlassen hat
  • einer seiner söhne hat zwischenzeitlich eine rede im staatsfernsehen gehalten, die eine mixtur aus wilden verschwörungstheorien, drohungen und versprechungen darstellt. hat durchaus chancen, als abstrusität in die geschichtsbücher einzugehen
  • die auseinandersetzungen haben inzwischen recht sicher die hauptstadt tripolis erreicht
folgen: unabsehbar. libyien hatte ich persönlich ähnlich wie syrien und auch saudi-arabien als diejenigen regime erwartet, die aufgrund ihrer brutalität, ihrer ausgebauten repressionsapparate und im falle libyiens auch aufgrund ihres (noch) vorhandenen ölreichtums als letzte fallen würden, wenn überhaupt. viele intensive beziehungen zu europäischen ländern, speziell italien, aber auch zu deutschland, österreich, großbritannien - aus diesen ländern gab´s auch viel militär- und polizeihilfe. im gegenzug bezieht europa einen recht großen anteil libyschen öls. es wird auch sehr interessant sein, heute den ölpreis zu beobachten. neben den inzwischen zur gewohnheit werdenden peinvollen windungen der politischen "eliten" in europa...

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iran: zur stunde ebenfalls weitere massenproteste und konfrontationen mit den schergen des regimes, es soll tote und verletzte geben.

marokko: hat sich heute endgültig in die reihe der nachbarn eingereiht - aus allen größeren städten wurden demonstrationen vermeldet, meist friedlich und - noch - mit focus auf geforderte reformen.

bahrein, yemen, jordanien, dschibuti... : es geht überall weiter. inzwischen wurden - ebenfalls zu meiner persönlichen nicht geringen überraschung - auch proteste und auseinandersetzungen aus kuweit gemeldet, und dort von denjenigen initiiert, die sich in der miesesten sozialen position befinden - als arbeitskräfte ins land geholte beduinen aus anderen arabischen staaten, die weitgehend rechtlos gehalten werden. die polizei setzte tränengas und gummigeschosse ein. aus dem osten saudi-arabiens wurden proteste - schweigend und ohne parolen und transparente durchgeführte märsche - der dort ansässigen schiitischen minderheit vermeldet, die durch die ereignisse in bahrein mit motiviert sein dürften. zu letzterem auch das folgende video - achtung, triggergefahr wg. gewaltszenen:



ein verbündetes regime des "freien westens", stützpunkt der fünften us-flotte...

algerien: ähnliches szenario wie vergangenes wochenende, zumindest in algier - massenhaft polizei und versuch der erstickung jeglichen protestes, wobei aber gleichzeitig versucht wurde, das etwas "unauffälliger" zu handhaben. die beteiligung war etwas größer als letzten samstag, aber insgesamt scheint die opposition dort mobilisierungsprobleme zu haben, und ich verweise nochmal auf das interview zu algerien im
vierten teil dieser reihe.

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die im letzten beitrag thematisierten
proteste im us-bundesstaat wisconsin halten nicht nur an, sondern weiten sich aus - inzwischen wird für die nächste woche in mehr als zwanzig weiteren bundesstaaten zu solidaritätsdemonstrationen mobilisiert; oft genug betrifft das staaten, denen ähnliche konflikte wie geschildert direkt ins haus stehen. am samstag wuchs die beteiligung an der täglichen demo nochmals - 60. - 70.000 leute waren rund um das capitol in madison auf den strassen, während eine gegendemo der "tea party" nur einige tausend auf die beine brachte. der konflikt spielt inzwischen usa-weit eine große (mediale) rolle, und es wird immer wieder auf ägypten bezug genommen, erst recht, seitdem vor ein paar tagen dieses photo aus ägypten bekannt wurde... lesen Sie sich auch mal die kommentare unten drunter durch - herzerwärmend.

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griechenland: ja hallo, was macht dieses land hier? kann ich Ihnen sagen - persönlich hatte ich sowieso darauf gewettet, dass die aufständische / revolutionäre welle in nordafrika und nahost, wenn sie denn über´s mittelmeer schwappen sollte, sich zuerst in staaten wie italien und eben griechenland bemerkbar machen würde. nun ist für die kommende woche in griechenland der erste große
generalstreik dieses jahres geplant:

(...) "Während die Zahl der Arbeitslosen täglich wächst, die Besatzungsmacht aus Troika und der Junta des amerikanischen Präsidenten Papandreou einen brutalen Privatisierungskurs fährt, um die griechische Arbeitskraft auf chinesisches Niveau der Ausbeutung zu zwingen und aus dem Land ein totales Disneyland für Kreuzfahrt- und andere asozial reiche Touristen zu machen, wird erwartet, daß die seit Monaten anhaltenden Streiks und Kämpfe zur Manifestation zusammenkommen und es erneut Rekordzahlen an Teilnehmer_innen gibt.

Jetzt tauchen Diskussionen auf, wie die Massen sich besser sichtbar verteilen können, damit Presse und Staat schwieriger die Teilnehmerzahlen runterlügen können.

Außerdem gibt es die Idee anschliessend einfach auf dem zentralen Syntagmaplatz zu bleiben. Damit würde die "arabische" Revolution zurück über das Mittelmeer schwappen... " (...)


ein durchaus polemischer text, der aber die realität des landes unter den "spar"diktaten von iwf und eu nichtsdestotrotz erfasst. der interessante absatz ist der letztere; und
direkt aus athen stammt folgender, ins englische übersetzte diskussionsbeitrag - schluß:

(...) "Such a gathering can become the beginning of the fall of the regime, the fall of the Junta of Government-IMF-EU. If they fall, everything becomes possible – not in order for another government one to come… But precisely because it won’t be easy for another one to come and to have consensus to apply the same policies against the People.

The supranational elites and the local bosses won’t have any easy solutions to replace this government. The people will say “Everyone must go”, just like in Argentina. The ability of the people from below to overturn the order-receiving government of PASOK will be a victory of the global movement, it will be equivalent to the revolts in Tunisia, in Egypt and other Arab countries.
Let’s turn Syntagma into our own Tahrir Square." (...)


ich bin sehr gespannt, ob die griechische opposition das hinbekommt - ich drücke jedenfalls schon mal alle daumen.

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china: es sollte auf jeden fall erwähnt werden, dass es gestern in ca. sechzehn chinesischen großstädten zu demonstrationsversuchen "gegen korruption, armut, schlechte wohnungen und zuwenig nahrung" gekommen ist, zu denen explizit unter bezug auf die tunesische revolution mobilisiert wurde. es gab wohl eine ganze menge verhaftungen, aber bislang liegt nicht viel nachrichtenmaterial vor. oder ich hab´s noch nicht gesehen.


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2011 - das jahr, das keine gnade kennt- so hatte ich nicht nur einen älteren beitrag betitelt, sondern das war auch die überschrift für das vorletzte geab. inzwischen gibt es eine neue ausgabe, und ich habe in diesem bulletin selten derart viel impliziten hohn und spott für die "eliten" und ihre "experten" zwischen den zeilen gelesen. aber vielleicht haben die autoren auch allen grund dazu? auszug aus einer "geab"-ausgabe im juni 2008 (!):

(...) "Nach unserer Auffassung trägt die umfassende weltweite Krise bereits im jetzigen Stadium dazu bei, die pro-westlichen Regierungen in den arabischen Staaten zu schwächen : Hungeraufstände, religiöser Fanatismus (der von dem erstarkenden Iran, Syrien, der Hisbollah und Hamas geschürt wird), westliche Verbündete (Washington und die europäischen Staaten), die sich auf eine Politik beschränken, die sich ausschließlich an ihren Sicherheitsinteressen ausrichtet... In Ägypten geht die Herrschaft Mubaraks allmählich zu Ende, das Land befindet sich innenpolitisch in einer Sackgasse, und die Unfähigkeit der Regierung, den Menschen bessere soziale und wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, radikalisiert immer größere Teile der Bevölkerung. Nach unserer Auffassung wird das pro-westliche Regime Ägyptens unter den Schockwellen der Aufprallphase der umfassenden weltweiten Krise politisch zusammen brechen. Dessen Repressionsapparat wird es nicht vermögen, die sozialen Spannungen unter Kontrolle zu halten.

Dabei ist dieses Land die letzte Verteidigungslinie des Westens vor einem Maghreb, der ansonsten ungeschützt der Einflussnahme anti-amerikanischer Kräfte ausgesetzt ist, die im Mittleren Osten inzwischen dominieren. Wenn in Ägypten, wovon wir überzeugt sind, bis Anfang 2009 die politischen Verhältnisse instabil werden, werden auch sehr schnell Tunesien, Algerien und Marokko in den Strudel gerissen werden. Auf jeden Fall werden auch in diesen Staaten die sozialen Unruhen zunehmen, und zwar gerade zu einem Zeitpunkt, in dem ihr großer europäischer Partner selbst mit einer Wirtschaftsabschwächung zu kämpfen haben wird." (...)


na? war als prognose nicht sooo schlecht, würde ich mal sagen - lediglich das zeitliche eintreffen hat sich, wie wir jetzt ganz frisch wissen, anders gestaltet. und das wort "antiamerikanisch" würde ich in dieser form auch nicht verwenden wollen - die regimes, die jetzt in gefahr oder aber schon gefallen sind, lassen sich berechtigt als marionetten der usa und/oder der eu betrachten. das es jetzt für die westlichen "eliten" insgesamt unbequemer werden könnte, würde ich nicht als "antiamerikanisch" bezeichnen.

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