notiz: krisennews spezial - good morning usa!

da ich z.zt. viel zu viel (lohn)-arbeite, entsprechend erschöpft bin und auch noch technische probleme mit der netzverbindung in form von längeren ausfällen habe, wieder nur etwas relativ kurzes. aber da das gleich folgende in den deutschsprachigen medien - ich kenne bis jetzt nur drei ausnahmen, von denen zwei gleich zu sehen sind - schlicht nicht existiert, will ich das blog einmal mehr als infomultiplikator nutzen. danke übrigens für alle kommentare - die lese ich durchaus und beziehe weitere anregungen daraus, auch, wenn ich momentan nicht sichtbar reagiere.

was die afrikanischen und arabischen aufstände betrifft, mehr in den nächsten tagen. es passiert so derart viel, in positiver wie auch in verdammt negativer - stichwort counterinsurgency - hinsicht, dass es schwer ist, noch auf einem einigermaßen aktuellen stand zu bleiben. wer auch nur halbwegs englisch versteht, kann sich im gesamten europäischen raum momentan am besten beim britischen
guardian informieren - neben al jazeera kenne ich keine weitere quelle, die so umfassend und aktuell berichtet. englischprachige nordafrikanische und arabische blogs mal ausgenommen.

*

ich hatte ja mal in den letzten beiträgen die sich u.a. mit dem ägyptischen aufstand beschäftigen, davon geschrieben, dass nach meinem eindruck dieses ereignis nicht nur regional, sondern weltweit ausstrahlen würde, und dazu vermerkt, dass das auch für die usa gilt. nun gibt es seit ein paar tagen aus dem bundesstaat
wisconsin meldungen und noch mehr töne, die mich die augenbrauen hochziehen lassen haben.

es geht schlicht um die möglichkeit - ich betone momentan dieses wort -, dass die derzeitigen szenen aus der hauptstadt madison den beginn eines, oder besser gesagt, einer reihe von gesellschaftlichen großkonflikten in den usa darstellen, die sich unmittelbar aus der wirtschaftskrise sowie den weltweit schwelenden elitären legitimationskrisen ergeben. das wird dazu ergänzt mit einer reihe von us-amerikanischen besonderheiten wie bspw. der marginalen rolle von gewerkschaften sowie der präsenz von extrem reaktionären bewegungen mit totalitär kapitalistischer und christlich fundamentalistischer ideologie wie der sog. "tea party", die sich in solchen konflikten unvermeidlich auf der anderen seite der barrikaden positionieren.


worum geht`s?

"Bis zu 30.000 Teilnehmer an täglichen Demonstrationen, ein besetztes Kapitol in der Hauptstadt Madison und Abgeordnete, die in einen Nachbarbundesstaat „fliehen“: Der US-Bundestaat Wisconsin erlebt derzeit mehr als turbulente Tage. Beamte machen gegen das Sparpaket von Gouverneur Scott Walker mobil. Doch gleichzeitig ist der Arbeitskampf der erste große Showdown zwischen Republikanern und Gewerkschaften.

Walker (...) will durchsetzen, dass die rund 175.000 Beamten des Landes einen Teil ihrer Pensions- und Gesundheitsversicherungsbeiträge selbst bezahlen. Lohneinbußen von rund sieben Prozent wären die Folge.

Walker spricht von einem Defizit von 137 Millionen Dollar, das er bekämpfen muss. Kritiker werfen ihm hingegen vor, dass er gleichzeitig 140 Millionen in neue umstrittene Initiativen wie die Förderung von privater Gesundheitsvorsorge steckt."


letzteres ist durchaus interessant - schaut man sich einmal die derzeitige
lage der us-bundesstaaten innerhalb der fortgeschrittenen phase der globalen wirtschafts- und finanzkrise an, so fällt auf, dass wisconsin zwar bereits echte probleme mit den folgelasten der durch die banken und ihren lobbys eingeleitenen, aber letztlich durch die systemischen strukturen kapitalistischer ökonomien unvermeidlichen krise hat, aber sich noch nicht in so einem desolaten zustand wie bspw. californien oder illinois befindet. wie überall anders auch, versuchen die kapitalistischen jünger auch in wisconsin, die krisenfolgen von ihren finanziers und "leistungsträgern" nach unten abzuwälzen und statt dessen ihr gescheitertes - nicht für sie, aber gesamtgesellschaftlich - system weiter auszubauen und zu erweitern. privatisierungen allerorten und "mehr markt!" und "eigenverantwortung" werden unverdrossen weiter als heilsrezepte verkauft. soweit also kein unterschied zum hiesigen trauerspiel.

ein unterschied zwischen den meisten europäischen staaten und den usa gibt es jedoch hinsichtlich der rolle von gewerkschaften: in westeuropa können die meisten großen gewerkschaften als simulation von arbeiterInneninteressensverbänden gelten, eingelullt in phrasen wie "sozialpartnerschaft" und mit führungen, die sich längst auf die eine oder andere art kräftig mit ihren angeblichen gegenparts auf kapitalistischer seite arrangiert haben. in den usa hingegen favorisieren so ziemlich alle rechten strömungen den offenen kampf gegen einen so "unamerikanischen" gedanken wie den an gewerkschaftliche vertretungen:

"Doch gleichzeitig hat der Gouverneur noch einen ganz anderen Plan: Seit Monaten schießen sich die Republikaner in den ganzen USA auf Gewerkschaften ein, die sie für den nur langsamen Aufschwung nach der Krise verantwortlich machen. Von Gewerkschaftsverboten für öffentlich Bedienstete ist etwa die Rede, und etliche Bundesstaaten mit republikanischen Gouverneuren planen bereits Maßnahmen.

Walker ist nun der Erste, der sie in Gesetzesform gießen ließ: Sein Entwurf sieht vor, das Recht der Beamten auf Lohnverhandlungen abzuschaffen – mit Ausnahme von Polizei und Feuerwehr, die er bewusst nicht gegen sich aufbringen wollte." (...)


eine art testfall also, der in den usa augenscheinlich von vielen betroffenen und interessierten auch so verstanden wird, und demnach auch reaktionen auslöst, die für das land
bemerkenswert sind:

(...) "Täglich kommen größere Demonstrationen zu dem Gebäude, in dem die beiden gesetzgebenden Kammern, das oberste Gerichtes und der Gouverneur vom Bundesstaat Wisconsin ihren Sitz haben. Am Montag waren es 2.000 Menschen; am Dienstag schon 5.000; am Mittwoch 15.000; und heute – am Donnerstag – zwischen 25- und 30.000.

Sie schwenken Transparente mit Aufschriften wie: “We – the people”. “Gerechtigkeit für die Mittelschicht”. “Verhandeln, statt diktieren”. Und: “Hände weg vom Arbeitsrecht”. Viele schwenken Fahnen. Sowohl die us-amerikanische, als auch die ägyptische. Gelegentlich hält ein Demonstrant ein Schild hoch, auf dem steht: “Aufrecht gehen, wie ein Ägypter.”

Es sind die größten sozialen Demonstrationen, die Wisconsin seit den 60er Jahren erlebt." (...)


walker wird auf etlichen schildern auch neben mubarak gezeigt, und selbst wenn man solche analogien sachlich als unpassend betrachtet, so scheint mir doch tatsache zu sein, dass das fanal vom tahrir-platz tatsächlich weltweit als beispiel innerhalb aller möglichen gesellschaftlichen konflikte begriffen wird. auch am gestrigen freitag waren zwischen 25 - und 30.000 menschen in madison auf den beinen. öl ins feuer goss walker noch zusätzlich, als er den demonstrantInnen vor ein paar tagen den einsatz der nationalgarde androhte. unter anderem das führte dann auch dazu, dass etliche schulen in der stadt seit tagen geschlossen sind, weil sich lehrkräfte und schülerInnen kollektiv krank melden, um sich dann den demos anzuschliessen. die übrigens keineswegs, wie in der ersten zitierten meldung vom orf die überschrift suggeriert, als "beamtendemos" zu bezeichnen sind. es sind auch eben viele schülerInnen und studentInnen auf den straßen, zusätzlich zu allen möglichen berufsgruppen wie etwa feuerwehrleute, die ja beim "sparprogramm" ausgenommen sind, aber aus solidarität trotzdem mitdemonstrieren.

apropos solidarität: in ohio gibt es ein ganz ähnliches szenario, auch dort will der bundesstaat gegen die gewerkschaftliche organisierung der staatlich bediensteten vorgehen. und auch dort kam es inzwischen zu ersten größeren demonstrationen vor dem landesparlament. eine solikundgebung wird auch aus new york city vermeldet, wo die ausgangslage ebenfalls ähnlich ist.

(...) "Auch DemokratInnen und GewerkschafterInnen betrachten das Kräftemessen von Wisconsin als Grossereignis. Beide haben Spitzenleute nach Madison geschickt. Manche sprechen von einem "Ground Zero” für die Gewerkschaftsbewegung der USA." (...)

und die bedeutung dieser auseinandersetzung ist auch der gegenseite bewußt: für den heutigen samstag haben "tea party"-gruppen aus dem gesamten bundesstaat zu einer gegendemonstration in madison aufgerufen. aktuelle updates, nicht nur zu diesem aspekt, bietet bspw. die
huffington post.

*

wenn sich diese auseinandersetzung tatsächlich in der erahnbaren dimension ausweiten sollte - und obama höchstpersönlich hat sich ja schon öffentlich geäussert - , dann werden er und seine administration neben den rasanten entwicklungen in nordafrika und dem nahen und mittleren osten in kürze auch mit einem innenpolitischen thema konfrontiert sein, bei dem sie in ihrer position nur verlieren können, weil sie gezwungen sein werden, auch dort mit gespaltener zunge zu sprechen. ich kann mich nur wiederholen: es sind interessante zeiten.
Nörgler (Gast) - 22. Feb, 22:35

Die Null-Berichterstattung in allen hiesigen Medien ist gespenstisch.

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