assoziation: "menschen sterben, und ihr schweigt - scheiben klirren, und ihr schreit" - von erlaubten und verbotenen gewalten
die parole in der überschrift habe ich das erste mal auf demonstrationen während der - fast vergessenen - unruhigen und bewegten jahre 1980/81 gehört, genauer nach dem tod von klaus-jürgen rattay im damaligen westberlin (details sind im verlinkten beitrag zu finden). damals war´s nicht nur in westdeutschland unruhig, sondern ebenso in holland, großbritannien, italien, der schweiz... - hausbesetzungen, anschläge, straßenunruhen, anti-akw-proteste und die startbahn west in frankfurt prägten ebenso wie die revolution in nicaragua und der guerillakrieg in el salvador eine länderübergreifende bewegung, deren stärke in ihrer vielschichtigkeit lag, die aber gleichzeitig viele - v.a. kulturelle - momente einer klassischen jugendbewegung nicht überschreiten konnte.
trotz aller militanz gab es in dieser zeit nichts vergleichbares analog zu den aktuellen griechischen unruhen, und das mag auch daran liegen, dass die gesellschaftlichen verhältnisse heute trotz aller scheinbaren erstarrung wesentlich instabiler geworden sind. die parole jedoch finde ich nach wie vor sehr treffend in ihrer kenntlichmachung des primats der dingwelt und ihrer gleichzeitigen impliziten benennung der ungeheuren heuchelei, die noch stets jeden "krawall" in der (medialen) öffentlichkeit begleitet hat, und so natürlich auch die ereignisse in griechenland.
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diese heuchelei löst in mir immer noch die gleiche (v)erbitterung aus, die ich als jugendlicher damals gespürt habe - anklagende zeigefinger auf ausgebrannte autos, kaputte schaufensterscheiben und verwüstete bankfilialien auf der einen seite, schweigen, ignoranz, schulterzucken und zustimmende passivität auf der anderen im angesicht von millionenfachen tod und elend durch den hunger, die kriege, die ökologische verwüstung sowie die zerstörung sozialer beziehungen und traumatisierungen planetenweit, die von der "besten aller welten" in gestalt der westlich-industriellen "zivilisation" bis heute ungebremst zur erhaltung des eigenen status quo verursacht werden. der ordentliche normale bürger, der sich wie ein schaf bösartig blökend die abgrundtief verlogenen postulate und bewertungen der "eliten" zu eigen macht und sich aus allem heraushält, was seine eigene friedhofsruhe stören könnte - zb. die verprügelten kinder in der wohnung nebenan -, alles als kriminelles chaos empfindet, was seinen eigenen pervertierten lebensinn bedrohen könnte - zb. kratzer im autolack -, und alles als unverschämte zumutung, was seine als-ob-freiheit des ungehinderten konsums in frage stellt, ist nach wie vor eine erbärmliche und dümmliche karikatur des menschseins, die sich in wahnhafter verkennung der realität dazu noch erdreistet, sich selbst für einen, wenn nicht den gipfelpunkt der schöpfung zu halten und dumpf "polizei" brüllt, wenn sich die realität in handfesten formen in seine simulationen und die erbittert verteidigte trance zu drängen droht. um diese spezies zu betrachten, reicht momentan ein blick in viele online-foren.
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solche leute, deren funktion in vielerlei hinsicht mit der metapher des nützlichen idioten der herrschenden mafiösen strukturen auf den punkt gebracht werden kann, haben ebenso keinerlei legitimation sich über gegengewalt zu beschweren, wie die "eliten", die für sich ganz selbstverständlich in anspuch nehmen, gewalt je nach bedarf und abgesichert von den von ihnen geschaffenen apparaten, instanzen und gesetzen beliebig einzusetzen. diesem anspruch dienen die mechanismen der demokratiesimulationen ebenso wie die einschüchternde präsenz von militär, polizei, geheimdiensten, justiz und gefängnissen. nein, nicht der eindämmung der vielfältig vorhandenen antisozialen gewalt in den sozialen beziehungen dienen diese einrichtungen - das ist eher eine zweitrangige symptombekämpfung von phänomenen, die in einer grundsätzlich durch gewalt strukturierten gesellschaft zwanghaft ständig produziert (und bis zu bestimmten grenzen in kauf genommen) werden, sondern primär dienen sie einzig und alleine dem machterhalt und der absicherung der vorhandenen hierarchien, die von den herrschenden "eliten" als existenzielles elixier, als der für sie einzig zählende "lebenssinn" innerhalb des nur quantifizieren könnenden objektivistischen modus´ gebraucht werden. da sie die folgen ihrer gewalt zu großen teilen nicht wahrnehmen können, existieren diese folgen für sie in einem umfassenden sinne auch nicht. was dazu führt, dass gewalt ständig nur unter strategischen und taktischen gesichtspunkten gesehen werden kann.
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aus diesen gründen habe ich neulich das folgende fazit gezogen:
"und das macht meiner meinung auch sog. gewaltdebatten, jedenfalls in ihrer bisherigen form, ziemlich überflüssig."
das möchte ich im folgenden präzisieren:
wie ebenfalls im letzten beitrag schon geschrieben, respektiere ich gewaltlosigkeit als persönliche maxime und als ausdruck tiefgreifender biographisch-persönlicher erfahrungen absolut (wenn sie denn nicht blind ist gegenüber der systemimmanenten und -produzierten gewalt), sehe jedoch ein grundsätzliches problem darin, wenn aus dieser haltung heraus versucht wird, in gesellschaftliche prozesse einzugreifen. das problem liegt dabei in der wahrnehmungsbedingten und - eigentlich - grundsätzlich sinnvollen annahme, das mein menschliches gegenüber grundsätzlich gleich "tickt" (funktioniert) wie ich selbst.
ohne diese jeden tag unzählige male benutzte hypothese, die eigentlich eine art von grundsätzlichem vertrauensvorschuß darstellt, wäre die soziale menschliche welt, wären beziehungen aller art zwar vielleicht nicht unmöglich, würden sich jedoch tiefgreifend anders und v.a. komplizierter gestalten als eh schon.
diese gerade umschriebene annahme lässt sich als teil unserer aller psychophysischen grundausstattung ansehen, und wenn ich "alle" schreibe, meine ich in diesem fall auch alle, selbst die soziopathischen zeitgenossen, die meiner meinung nach mit der gleichen hypothese operieren. aber genau in letzterem zeigt sich bereits das erwähnte problem.
gewaltlosigkeit als ethisch-moralisch leitende matrix hinter gesellschaftlich-politischem engagement kann nur funktionieren, wenn das angesprochene gegenüber - also im normalfall die herrschende macht - , die in der demonstrativ gewaltfreien position enthaltenen angebote von offenheit, beziehung, verzicht auf verletzung u.a. auch als solche wahrnehmen, sprich sich davon berühren lassen kann. die idee hinter aktionen wie unterschriftensammlungen, petitionen, öffentlichen appellen, kundgebungen und menschenketten etc. geht unausgesprochen eben von dieser der anderen seite unterstellten fähigkeit aus: mitmenschliche kritik ernst zu nehmen, sich davon berühren zu lassen und gegebenenfalls konsequenzen für das eigene handeln zu ziehen.
ich fürchte allerdings, genau wegen dieser unterstellung bleibt die gewaltfreie aktion bis heute so offenkundig wirkungslos (zu ein paar immer wieder angeführten anscheinenden ausnahmen komme ich noch).
denn die ernsthafte frage, die sich stellt: was ist denn, wenn mein gegenüber die stillschweigend unterstellte gleichheit bzw. die benannten fähigkeiten gar nicht oder nur in verzerrten formen aufweist?
was ist denn, wenn mein gegenüber zu denjenigen gehören sollte, die aufgrund unserer verfluchten jahrtausendealten "tradition" von vielfältigster antisozialer gewalt bereits die strukturen und symptome von einer oder mehreren der im blog thematisierten beziehungskrankheiten aufweist, zu deren merkmalen es gehört, die selbst- und fremdwahrnehmung quantitativ und qualitativ in richtung objektivismus zu verschieben? wenn ich es gar mit einem durch die traumatischen gesellschaftlichen verhältnisse erzeugten psychophysischen quasi-mutanten zu tun habe, wie er sich in gestalt der strukturellen soziopathen am deutlichsten manifestiert?
in diesem fall wird die oben beschriebene sinnvolle annahme zu einem hochgefährlichen wahrnehmungsmässigen rohrkrepierer, und zwar gleich doppelt: einmal bleibe ich in einer realitätswidrigen illusion hängen, die im schlimmsten fall zu völlig falschen einschätzungen der realität mit der implikation der eigenen vernichtung führen kann, zum anderen bleibt aber auch das gegenüber in seiner objektivistischen konstruktion hängen, welche funktionsbedingt meine postulierte gewaltlosigkeit nun seinerseits nur als strategische heuchelei wahrnimmt - "der tickt so wie ich auch". eine fatale art der kompletten nicht-kommunikation, in der intentionen und motive beidseitig real nicht nur völlig aneinander vorbeirauschen, sondern auch schlicht aufgrund der beidseitigen unhinterfragten hypothese nicht wahrgenommen werden können. und in dieser konstallation bleibt diejenige seite sieger, die die größeren machtmittel incl. der nötigen skrupellosigkeit für ihren einsatz besitzt.
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der philosoph günther anders hat das obige in einem bemerkenswerten interview mit seinem fiktiven selbst in folgenden worten ausgedrückt (der genannte minister friedrich zimmermann war ende der 80ger jahre bundesinnenminister unter kohl und galt als csu-hardliner):
Anders fiktiv: Der (zimmermann) hat (...) die Unterscheidung zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit verwischt. Laut `Welt´ hat er nämlich gesagt: `Auch gewaltloser Widerstand ist Gewalt. Und zwar deshalb, weil er Widerstand ist.´
Anders: Kurz, Widerstand als solcher ist gewalttätig. Eine schöne Gleichung (...)
Anders: (...)Und um noch einmal auf das schändliche Wort von Zimmermann zurückzukommen, auf dieses entrechtende, höhnende, lieblose, undemokratische und unchristliche Wort `gewaltloser Widerstand ist Gewalt, weil Widerstand´ - dieses `Weil´ ist in der Tat das niederträchtigste Weil, das ich je gehört habe. Nicht nur seine diktatorische Mentalität bezeugt Zimmermann durch diese Formel, er prahlt mit ihr geradezu. Statt aus seinem hätte sie glatt aus dem bellenden Mund Hitlers kommen können. Sie ist ein um 50 Jahre verspätetes Echo.
Soweit, glauben Sie, sind wir beinahe?
Das ist keine Sache des Glaubens. Wer wie Zimmermann verkündet, gewaltloser Widerstand sei, weil Widerstand, Gewalt, der versagt jedem Widerspruch sein Recht und macht dadurch jede freie Meinungsäußerung, jede Kritik an Maßnahmen der herrschenden Macht zur strafwürdigen Anmaßung. Und das ist das Ende jeder Freiheit. So würde z.B. jede noch so freundlich angebrachte Warnung vor Kriegsspielzeug verdächtig werden, sie sei eine als `christlich´ oder als `gewaltlos´ getarnte Gewaltaktion gegen die sogenannten `freiheitlichen Werte´. Natürlich gibt es zuweilen - das läßt sich nicht abstreiten - Fälle, in denen Freundlichen, die sich für offiziell nicht Gebotenes oder gar für amtlich Verbotenes direkt einsetzen, gewisse vorübergehende Erfolge beschieden sind. Aber in den Augen der Zimmermänner stehen eben Erfolge eigentlich nur den Machtinhabern zu. Und eigentlich (aber natürlich unausgesprochenerweise) dürfen Erfolge ausschließlich durch Drohung mit Gewalt (die Macht und dadurch Legitimität beweist) durchgesetzt werden. Was die erhobene und zuschlagende Hand des Establishments kann (und deshalb angeblich darf und soll), das darf der streichelnden nicht gestattet sein.
In den Augen der Zimmermänner ist Güte, die einzugreifen sucht (was ihr zuweilen sogar glückt), nichts als ein Trick. Und Sanftheit nichts als getarnte Gewalt. Jedes Schaf gilt ihnen als Wolf im Schafspelz - echte Schafe gibt es aus der Perspektive der Mächtigen nicht, und das bedeutet natürlich auch: Echte Christen sind in den Augen derer, die nur die Gewalt und der auf Gewalt beruhenden Macht Legitimation zuerkennen, eo ipso Heuchler. Daß das von den Zimmermännern niemals zugegeben werden würde, gehört zum Wesen der Zimmermänner. Und das die sich als `gewaltlos´tarnenden Wölfe im Schafspelz von den rechtschaffenen Wölfen (die, weil sie Machteigentümer sind, auch legitim das Gewaltmonopol besitzen), nicht geduldet werden können, das versteht sich von selbst.(...)
(auszüge aus "die zuspitzung 1: vom ende des pazifimus" in "günther anders - gewalt ja oder nein. eine notwendige diskussion" hrsg. manfred bissinger; münchen 1987; knaur; isbn 3-426-03893-5; s. 103, 106 - 107)
"jedes schaf gilt ihnen als wolf im schafspelz" - eine treffende metapher für die weiter oben beschriebene fatale psychophysische hypothese der grundsätzlichen gegenseitigen gleichheit. beispiele für diesen wahrnehmungsfehler lassen sich heute ebenso ohne probleme finden, besonders die immer wieder angeführte "menschliche natur" mit ihrer angeblich immanenten gier, gar mordlust, wurzelt in genau diesem fehler bei denjenigen, die damit ankommen. wie früher schon geschrieben: das ist ihre eigene projektion ihrer eigenen selbstwahrnehmung.
und aus diesem grund sind wir alle in den augen der paranoiden macht auch zwingend und notwendig tatsächlich verdächtig und müssen umfassenden kontroll- und überwachungsmaßnahmen unterworfen werden. und zwar ganz egal, ob und was wir real tun und lassen. schäuble ist ein würdiger nachfolger von zimmermann.
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das buch, aus dem ich gerade zitiert habe, ist eines, welches in der form heute womöglich gar nicht mehr erscheinen dürfte. der anlaß war ein interview des damaligen herausgebers der zeitschrift "natur" mit günther anders, in dem dieser einige aufsehenerregende gedanken zum weiteren weg des anti-atom-widerstands nach dem super-GAU von tschernobyl 1986 formulierte. gedanken, die zu einer breiten öffentlichen diskussion um die gewaltfrage führten, unter beteiligung sowohl der "natur"-leserInnenschaft als auch großer teile des damals noch existierenden milieus der (links-)liberalen intellektuellen der alten brd. darunter bspw. namen wie heinrich albertz, ingeborg drewitz, axel eggebrecht, erich kuby und etliche andere. ihren reaktionen ist im buch ein ganzes kapitel gewidmet, ein paar auszüge:
"Wer öffentlich zur Gewalt aufruft, soll selbst bereit sein, ins Feuer zu gehen. Das wird der von mir sehr ernstgenommene Günther Anders sicher nicht tun. Er trägt nun die Verantwortung dafür, daß sich jeder Terrorist auf ihn berufen kann.
Ich halte seinen Aufruf nicht nur für falsch, sondern für unverantwortlich. Ich werde mich weiter strikt an den Satz halten: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." Das gilt für alle Seiten des mörderischen Konfliktes, in dem wir stehen." (Heinrich Albertz, S. 37)
"Gewalt gegen Sachen wird zu "Terrorismus" erklärt, um den vielfältigen, diffusen Widerstand treffen und kriminalisieren zu können zur Durchsetzung des von der Bevölkerung abgelehnten Atomprogramms. Ganz anders, wenn es um die Interessen der Großindustrie geht. Dann bleibt Gewalt gegen Sachen im Werte von vielen hundert Millionen und sogar Gewalt gegen Menschen unverfolgt oder ein Kavaliersdelikt. Die, die gleich tonnenweise und vorsätzlich Gift in den Rhein und damit in unser Trinkwasser schütten sitzen mit dem Minister am Konferenztisch und feilschen darüber, daß sie in Zukunft doch bitteschön freiwillig auf solche Gewalt verzichten.
Für die Regierenden ist offensichtlich nicht Gewalt gleich Gewalt. Es kommt für sie darauf an, wer in welchem Interesse das staatliche Gewaltmonopol verletzt. Es wird Zeit, daß die da oben ihr Verhältnis zur Gewalt überprüfen. Ihre Beteuerungen der Abscheu vor Gewalt klingen so unglaubhaft." (Hans-Christian Ströbele, S. 80f.)
"Gewalt ist nicht Gewalt. Es kommt darauf an, wer wann wo für welche Gewalt ist. Es ist etwas anderes, ob einer, der keine Gewalt hat (außer der sprachlichen) für Gewalt ist, so wie der ehrenwerte Günther Anders, ob ob einer wie der Staat, der vor Gewalttaten strotzt, Gewalt abzulehnen vorgibt." (Joseph von Westfalen, S. 85)
im kern war die reaktion der "promis" damals eindeutig ablehnend (die zitatauswahl oben ist nicht repräsentativ); etwas anders verhielt sich das bei den leserInnen:
"Es ist in der Geschichte der Menschheit noch nie gelungen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Versuche enden stets im vielfach gesteigerten Chaos und schwerstem Unglück." (Leonore E., Oberursel, S. 113)
"Seit Auschwitz sollte eigentlich allen endgültig klar sein, daß die Gewaltlosigkeit der Machtlosen nicht in der Lage ist, die Mächtigen von der amoralischen Ausübung der Gewalt abzuhalten." (Hans-Werner K., Frankfurt, S. 116)
"Die Alternative zu den nun leider wenigen wirkungsvollen Demonstrationen ist nicht automtatisch Gewalt, sondern eine nur durch menschliche Phantasie begrenzte Palette von Widerstand." (Thomas L., Sulzbach, S. 121)
"... was prinzipiell eher bedeutet, daß ich einem Gegner, der mich mit einem Tötungsgegenstand bedroht, doch zunächst einmal die Waffe aus der Hand schlage, anstatt den Menschen gleich umzuhauen." (Felicia M., Kassel, S. 122)
"Die tägliche kleine Sabotageaktion, angefangen von Kaufboykott bestimmter Produkte, über zubetonierte Abwasserrohre, bis hin zum umgeknickten Stormmast - vielfach, phantasievoll und unkontrollliert eingesetzt, gibt uns eine noch lange nicht ausgeschöpfte Kraft. ... Angst machen den Mächtigen nicht einige Gewaltaktionen, sonden die zunehmenden Sympathien hierfür in wachsenden Bevölkerungskreisen." (K. Lauer, Saarbrücken, S. 123)
"Da sitzen wir nun am Tisch, wir Gewaltlosen, schlagen natur auf und beginnen zu blättern. Wir sind zwar für Widerstand, aber gewaltlos muß er sein. ... Gewalt ist moralisch verwerflich und wird schwer bestraft. Außerdem provoziert man damit die Poizei, die einen dann verprügelt. Gewaltos wollen wir werden und gewaltlos auch dorthin kommen.
Doch dann das Gespräch mit Günther Anders über Notstand und Notwehr. Es macht uns neugierig und wir lesen. Was steht da?! Was spricht er da aus? Aber er spricht es aus! Ganz schön mutig, dafür kann man ins Zuchthaus kommen, neuerdings! - Wir meinen, in uns bewege sich etwas, oberhalb des Magens, und ein Kloß im Hals läßt uns den Kopf anheben, um zu schlucken. Ein seltsames Kribbeln durchströmt den Körper, als strahle ein warmer Hoffnungsschimmer auf die verkrämpfte Backe, und wir stellen fest, daß wir kaum zuvor einen Text so verschlungen haben.
Doch - Nein! - Nein, wie sind doch gegen Gewalt, keine Gewalt gegen Menschen und auch nicht gegen Sachen!. Wie kann man nur so etwas schreiben?!
Wir legen den Text weg, stehen auf und sehen zum Fenster raus: Die Fichten auf dem Hügel sind durchsichtiger denn je. Die Autos vor der Ampel unten machen einen Höllenlärm ... auf einem LKW erkennen wir den Schutt des alten Fachwerkhauses aus der Nachbarstraße ... Eine Frau an der Ampel schlägt ein Kind, weil es nicht bei Fuß bleiben will ...
Auf jeden Fall sind wir gegen Gewalt. Wir müssen nur noch zahlreicher auf die Straße! - Nein, nicht für Politiker oder die Bevölkerung, die uns sowieso nicht hören, sondern um Eindruck zu schinden beim großen Gewalo, Schutzpatron der Gewaltlosen, der hoffentilch bald zu uns kommt und zur Belohung die Atomkraft abschafft und die Raketen und vielleicht auch ein bißchen die Chemie-Industrie und ein paar Autos und ... und ... und ..." (Carl Christian R., Kirn, S. 127f.)
"Welches Verhängnis, wenn Menschen gutgläubig nachgeben, auf Gewalt verzichten, weil sie an die Gewaltlosigkeit glauben! Sie werden dann nur um so radikaler von der Gewalt überwunden!" (Steffen S., Mannheim, S. 130)
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Sie sehen schon, das die erwähnten gesellschaftlichen probleme den geist der 80er jahre atmen - jedoch im prinzip heute noch aktuell, wenn nicht verschärft und ergänzt sind um die entwicklungen seit dem 11.09.2001 und die heutigen umfassenden krisensymptome. das tabu, welches anders damals ankratzte, liest sich auf den kern gebracht folgendermaßen (und die im zentrum seiner argumentation stehende atomara bedrohung würde er wahrscheinlich heute noch mit der bio/gentechnologie, dem klimawandel und auch der wirtschaftskrise ergänzen):
""Keiner von denen - und ich sprech vor allem von Politikern, Generälen, Wissenschaftlern und Journalisten - keiner von denen, die die atomare Massenbedrohung oder den Massenmord vorbereiten, mit diesem drohen oder die Möglichkeit des Massenmordes durch sogenannte friedliche Atomanlagen mindestens in Kauf nehmen - keiner von denen darf mehr oder soll mehr seines Lebens sicher sein. Da sie uns pausenlos programmatisch und professionell in Angst versetzen, sollen nun endlich auch sie in Angst leben müssen. Die uns bedrohen, sollen von uns bedroht werden. Und nicht nur bedroht werden, sondern dadurch, daß wir unsere Drohungen hier und dort wahrmachen, eingeschüchtert, dadurch zu Einsicht gebracht und dadurch zur Umkehr veranlaßt werden. Damit am Ende niemand mehr bedroht sei, nicht wir und auch sie nicht. Ob uns das gelingt, ob wir durch unsere Gegenbedrohung die Gefährdung der Menschheit noch neutralisieren können, das weiß ich nicht. Aber daß wir das ohne unsere Gegendrohung nicht können, das weiß ich." (Charles Meunier* - meines wissens ein kanadischer künstler, anmerkg. mo)
*übersetzung durch günther anders am 28.9.1986, im buch auf s.89
weitere argumentationen aus dem interview von anders mit seinem fiktiven selbst:
"... Das Recht auf Notwehr tödlich Bedrohter und in jeder Sekunde Angreifbarer ist natürlich natürlich! Selbst das Naturrecht ...
Die Absage an Gewaltlosigkeit nennen Sie "Notwehr"?
Schon wieder dieses "Nennen"! Sie ist Notwehr! Und da die Bedrohung total und die mögliche Vernichtung global ist, hat unser Notwehr total und global zu werden. Zum Verteidigungskrieg aller Bedrohten. Und das heißt: aller Menschen heute und morgen." (s.91)
"Wir Atomgegner kämpfen also, wie gesagt, einen Verteidigungskampf gegen so enorme Bedroher, wie es deren nie zuvor gegeben hatte. Also haben wir das Recht, Gegengewalt auszuüben, obwohl hinter dieser keine "amtliche" und "rechtmäßige" Macht, also kein Staat, steht. Aber Notstand legitimiert Notwehr, Moral bricht Legalität. Diese Regel zweihundert Jahre nach Kant eigens zu begründen, erübrigt sich ja wohl." (s. 93)
"Happenings sind nicht genug!
(Befremdet:) Happenings! Dieser Vergleich überschreitet doch wohl ...
Nein. Gar nichts überschreitet er. Und ist auch nicht nur ein Vergleich. Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happinings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel." (s.98)
"Unsere Gewaltausübung darf immer nur als Verzweiflungsmittel, immer nur als Gegengewalt, immer nur als Provisorium eingesetzt werden." (s.102)
"Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts. Diejenigen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben." (s. 104)
na, harter tobak, oder? bevor sich hier einige bemüßigt fühlen sollten, in ihrer strukturellen obrigkeitshörigkeit zur nächsten polizeiwache zu rennen: informieren Sie sich vorsichthalber vorher darüber, wer günther anders war. und realisieren Sie, dass dieses buch bis heute "legal" gehandelt wird.
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es gibt natürlich etliche gute argumente gegen gewalt, und ich glaube, die meisten sind mir durchaus bekannt. am ernstesten davon nehme ich - bei ansicht des blogs wahrscheinlich nachvollziehbar - ihre potenziell traumatischen folgen bzw. die kreisläufe des traumas, die dringend unterbrochen werden müssen. was bedeutet, innerhalb der sozialen beziehungen gewalt klar und deutlich zu ächten!
aber: die sphären von macht und herrschaft bzw. diejenigen, die dort ihre psychophysischen defekte kompensieren und ausagieren, haben sich selbst zeitweise oder auf dauer aus diesen sozialen beziehungen ausgeschlossen und setzen dieselben sowie im weiteren die elementarsten überlebensbedingungen der gesamten spezies durch ihr fortgesetzt destruktives handeln unter permanent zunehmenden lebensgefährlichen druck. und deshalb kann die eben erwähnte maxime von der ächtung für sie nicht gelten! es geht dabei keinesfalls um grundsätzliche vernichtung, sondern um ihre unschädlichmachung - das verhindern ihres weiteren agierens. und da bin ich allerdings der gleichen meinung wie anders: das wird nicht ohne einen sorgfältig kontrollierten und abgewogenen einsatz von gewalt möglich sein.
als alternative sehe ich bisher einzig die option einer wirklich massenhaft getragenen sozialen isolierung der erwähnten elitären schichten. das würde bedeuten, die zusammen- oder eher zuarbeit für das und mit dem system auf allen nur denkbaren gebieten einfach einzustellen -> totale aufkündigung der loyalität. das aber wäre nur erreichbare, wenn sich die soziale trance soweit aufösen lassen würde, dass relevante teile der hiesigen bevölkerung zu einem schier unfassbaren psychophysischen entwicklungssprung in der lage wären bzw. diesen mit der gemeinten auflösung bereits beginnen würden. ob es diese möglichkeit gibt?
ghandi oder martin luther king werden meistens als beispiele für funktionierende gewaltlose widerstandshandlungen aufgeführt. ich würde ja sagen, bei ansicht der heutigen realitäten in den usa ist zu sehen, dass sich zwar einige symptome des rassismus dort abgeschwächt haben (obamas wahl mag dafür ein beispiel sein), jedoch strukturell viele schwarze nach wie vor die absolute arschkarte haben. und zu einer realistischen bewertung ghandis ist eine beschäftigung mit den damaligen speziellen bedingungen in indien ganz hilfreich, die er vorgefunden hat. die sind meiner meinung nach nicht übertragbar auf andere zeiten und räume.
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es gäbe noch viel zum thema zu sagen, aber ich möchte Ihnen einfach zum schluß einen text aus dem heutigen griechenland mit auf den weg geben, der mit seiner - mich sehr berührenden - sprache für sich selbst spricht und dabei deutlich macht, dass die ganze sog. gewaltdebatte am ende wahrscheinlich etwas sekundäres ist. will sagen: die hauptarbeit gerade in einem land wie hier liegt aktuell darin, jetzt die deformierten und angegriffenen sozialen beziehungen zu heilen und diesen prozeß auf immer weitere kreise auszuweiten. und mit diesem unbescheidenem wunsch verabschiede ich mich für heute.
(...)"Morgen bricht ein Tag heran, und nichts wird mehr das Gleiche sein. Was kann befreiender sein als dies, nach so vielen Tagen der Gleichheit? Eine Kugel war nötig, um die brutale Abfolge dieser Identischen Tage zu durchbrechen. Der Mord an einem 15 jährigen Jungen war der Moment, in dem eine Loslösung statt fand, stark genug um die Welt auf den Kopf zu stellen. Eine Loslösung von dem warten auf andere Tage, zu einem Punkt, an dem so viele gleichzeitig dachten: „Das war es, kein Schritt weiter, alles muss sich ändern, und wir werden es verändern.“ Die Rache für den Tod von Alex, wurde zur Rache für jeden einzelnen Tag, gezwungen in dieser Welt aufzuwachen. Und was so schwierig schien, stellte sich als simpel heraus.
Dies ist was passierte, und was wir haben. Wenn uns etwas Angst macht, dann ist es die Rückkehr zur Normalität. In den Zerstörungen und Plünderungen unserer ach so heilen Städte sehen wie nicht nur das offensichtliche Resultat unserer Wut, sondern auch die Möglichkeit zu leben zu beginnen. Uns bleibt nichts anderes mehr zu tun, als uns zu installieren in der Möglichkeit und sie in ein lebendes Experiment umzuwandeln: Angefangen beim alltäglichen Leben, unserer Kreativität, der Macht unsere Wünsche zu materialisieren, der Macht die Wirklichkeit nicht zu betrachten, sondern zu konstruieren*. Dies ist unser lebenswichtiger Raum. Alles andere ist Tod.
Die die verstehen wollen, werden verstehen. Jetzt ist die Zeit, die unsichtbaren Zellen zu durchbrechen, die alle und jeden an ihre kleinen pathetischen Leben ketten. Und dies fordert nicht einzig oder notwendigerweise jemanden auf, eine Polizeistation anzugreiffen oder Einkaufszentren und Banken abzufackeln. Die Zeit sein Sofa zu verlassen, die passive Betrachtung des eigenen Lebens, und auf die Strasse zu gehen, um zu sprechen und zu hören, alles private hinter sich zu lassen, sich zu involvieren in die sozialen Beziehungen; die destabilisierende Kraft einer Atombombe. Und dies ist genau, da die Fixierung eines jeden (bis jetzt) auf seinen Mikrokosmos wie an die Anziehungskraft eines Atoms gebunden ist, die Kraft, welche die (kapitalistische) Welt umkehren wird. Das ist das Dilemma: Mit dem Aufständischen oder alleine. Und dies ist einer der wirklich wenigen Momente, in denen dieses Dilemma so Absolut und so Real sein kann."
(*hier würde ich gerne ersetzen: wahrnehmen und gestalten!)
trotz aller militanz gab es in dieser zeit nichts vergleichbares analog zu den aktuellen griechischen unruhen, und das mag auch daran liegen, dass die gesellschaftlichen verhältnisse heute trotz aller scheinbaren erstarrung wesentlich instabiler geworden sind. die parole jedoch finde ich nach wie vor sehr treffend in ihrer kenntlichmachung des primats der dingwelt und ihrer gleichzeitigen impliziten benennung der ungeheuren heuchelei, die noch stets jeden "krawall" in der (medialen) öffentlichkeit begleitet hat, und so natürlich auch die ereignisse in griechenland.
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diese heuchelei löst in mir immer noch die gleiche (v)erbitterung aus, die ich als jugendlicher damals gespürt habe - anklagende zeigefinger auf ausgebrannte autos, kaputte schaufensterscheiben und verwüstete bankfilialien auf der einen seite, schweigen, ignoranz, schulterzucken und zustimmende passivität auf der anderen im angesicht von millionenfachen tod und elend durch den hunger, die kriege, die ökologische verwüstung sowie die zerstörung sozialer beziehungen und traumatisierungen planetenweit, die von der "besten aller welten" in gestalt der westlich-industriellen "zivilisation" bis heute ungebremst zur erhaltung des eigenen status quo verursacht werden. der ordentliche normale bürger, der sich wie ein schaf bösartig blökend die abgrundtief verlogenen postulate und bewertungen der "eliten" zu eigen macht und sich aus allem heraushält, was seine eigene friedhofsruhe stören könnte - zb. die verprügelten kinder in der wohnung nebenan -, alles als kriminelles chaos empfindet, was seinen eigenen pervertierten lebensinn bedrohen könnte - zb. kratzer im autolack -, und alles als unverschämte zumutung, was seine als-ob-freiheit des ungehinderten konsums in frage stellt, ist nach wie vor eine erbärmliche und dümmliche karikatur des menschseins, die sich in wahnhafter verkennung der realität dazu noch erdreistet, sich selbst für einen, wenn nicht den gipfelpunkt der schöpfung zu halten und dumpf "polizei" brüllt, wenn sich die realität in handfesten formen in seine simulationen und die erbittert verteidigte trance zu drängen droht. um diese spezies zu betrachten, reicht momentan ein blick in viele online-foren.
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solche leute, deren funktion in vielerlei hinsicht mit der metapher des nützlichen idioten der herrschenden mafiösen strukturen auf den punkt gebracht werden kann, haben ebenso keinerlei legitimation sich über gegengewalt zu beschweren, wie die "eliten", die für sich ganz selbstverständlich in anspuch nehmen, gewalt je nach bedarf und abgesichert von den von ihnen geschaffenen apparaten, instanzen und gesetzen beliebig einzusetzen. diesem anspruch dienen die mechanismen der demokratiesimulationen ebenso wie die einschüchternde präsenz von militär, polizei, geheimdiensten, justiz und gefängnissen. nein, nicht der eindämmung der vielfältig vorhandenen antisozialen gewalt in den sozialen beziehungen dienen diese einrichtungen - das ist eher eine zweitrangige symptombekämpfung von phänomenen, die in einer grundsätzlich durch gewalt strukturierten gesellschaft zwanghaft ständig produziert (und bis zu bestimmten grenzen in kauf genommen) werden, sondern primär dienen sie einzig und alleine dem machterhalt und der absicherung der vorhandenen hierarchien, die von den herrschenden "eliten" als existenzielles elixier, als der für sie einzig zählende "lebenssinn" innerhalb des nur quantifizieren könnenden objektivistischen modus´ gebraucht werden. da sie die folgen ihrer gewalt zu großen teilen nicht wahrnehmen können, existieren diese folgen für sie in einem umfassenden sinne auch nicht. was dazu führt, dass gewalt ständig nur unter strategischen und taktischen gesichtspunkten gesehen werden kann.
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aus diesen gründen habe ich neulich das folgende fazit gezogen:
"und das macht meiner meinung auch sog. gewaltdebatten, jedenfalls in ihrer bisherigen form, ziemlich überflüssig."
das möchte ich im folgenden präzisieren:
wie ebenfalls im letzten beitrag schon geschrieben, respektiere ich gewaltlosigkeit als persönliche maxime und als ausdruck tiefgreifender biographisch-persönlicher erfahrungen absolut (wenn sie denn nicht blind ist gegenüber der systemimmanenten und -produzierten gewalt), sehe jedoch ein grundsätzliches problem darin, wenn aus dieser haltung heraus versucht wird, in gesellschaftliche prozesse einzugreifen. das problem liegt dabei in der wahrnehmungsbedingten und - eigentlich - grundsätzlich sinnvollen annahme, das mein menschliches gegenüber grundsätzlich gleich "tickt" (funktioniert) wie ich selbst.
ohne diese jeden tag unzählige male benutzte hypothese, die eigentlich eine art von grundsätzlichem vertrauensvorschuß darstellt, wäre die soziale menschliche welt, wären beziehungen aller art zwar vielleicht nicht unmöglich, würden sich jedoch tiefgreifend anders und v.a. komplizierter gestalten als eh schon.
diese gerade umschriebene annahme lässt sich als teil unserer aller psychophysischen grundausstattung ansehen, und wenn ich "alle" schreibe, meine ich in diesem fall auch alle, selbst die soziopathischen zeitgenossen, die meiner meinung nach mit der gleichen hypothese operieren. aber genau in letzterem zeigt sich bereits das erwähnte problem.
gewaltlosigkeit als ethisch-moralisch leitende matrix hinter gesellschaftlich-politischem engagement kann nur funktionieren, wenn das angesprochene gegenüber - also im normalfall die herrschende macht - , die in der demonstrativ gewaltfreien position enthaltenen angebote von offenheit, beziehung, verzicht auf verletzung u.a. auch als solche wahrnehmen, sprich sich davon berühren lassen kann. die idee hinter aktionen wie unterschriftensammlungen, petitionen, öffentlichen appellen, kundgebungen und menschenketten etc. geht unausgesprochen eben von dieser der anderen seite unterstellten fähigkeit aus: mitmenschliche kritik ernst zu nehmen, sich davon berühren zu lassen und gegebenenfalls konsequenzen für das eigene handeln zu ziehen.
ich fürchte allerdings, genau wegen dieser unterstellung bleibt die gewaltfreie aktion bis heute so offenkundig wirkungslos (zu ein paar immer wieder angeführten anscheinenden ausnahmen komme ich noch).
denn die ernsthafte frage, die sich stellt: was ist denn, wenn mein gegenüber die stillschweigend unterstellte gleichheit bzw. die benannten fähigkeiten gar nicht oder nur in verzerrten formen aufweist?
was ist denn, wenn mein gegenüber zu denjenigen gehören sollte, die aufgrund unserer verfluchten jahrtausendealten "tradition" von vielfältigster antisozialer gewalt bereits die strukturen und symptome von einer oder mehreren der im blog thematisierten beziehungskrankheiten aufweist, zu deren merkmalen es gehört, die selbst- und fremdwahrnehmung quantitativ und qualitativ in richtung objektivismus zu verschieben? wenn ich es gar mit einem durch die traumatischen gesellschaftlichen verhältnisse erzeugten psychophysischen quasi-mutanten zu tun habe, wie er sich in gestalt der strukturellen soziopathen am deutlichsten manifestiert?
in diesem fall wird die oben beschriebene sinnvolle annahme zu einem hochgefährlichen wahrnehmungsmässigen rohrkrepierer, und zwar gleich doppelt: einmal bleibe ich in einer realitätswidrigen illusion hängen, die im schlimmsten fall zu völlig falschen einschätzungen der realität mit der implikation der eigenen vernichtung führen kann, zum anderen bleibt aber auch das gegenüber in seiner objektivistischen konstruktion hängen, welche funktionsbedingt meine postulierte gewaltlosigkeit nun seinerseits nur als strategische heuchelei wahrnimmt - "der tickt so wie ich auch". eine fatale art der kompletten nicht-kommunikation, in der intentionen und motive beidseitig real nicht nur völlig aneinander vorbeirauschen, sondern auch schlicht aufgrund der beidseitigen unhinterfragten hypothese nicht wahrgenommen werden können. und in dieser konstallation bleibt diejenige seite sieger, die die größeren machtmittel incl. der nötigen skrupellosigkeit für ihren einsatz besitzt.
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der philosoph günther anders hat das obige in einem bemerkenswerten interview mit seinem fiktiven selbst in folgenden worten ausgedrückt (der genannte minister friedrich zimmermann war ende der 80ger jahre bundesinnenminister unter kohl und galt als csu-hardliner):
Anders fiktiv: Der (zimmermann) hat (...) die Unterscheidung zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit verwischt. Laut `Welt´ hat er nämlich gesagt: `Auch gewaltloser Widerstand ist Gewalt. Und zwar deshalb, weil er Widerstand ist.´
Anders: Kurz, Widerstand als solcher ist gewalttätig. Eine schöne Gleichung (...)
Anders: (...)Und um noch einmal auf das schändliche Wort von Zimmermann zurückzukommen, auf dieses entrechtende, höhnende, lieblose, undemokratische und unchristliche Wort `gewaltloser Widerstand ist Gewalt, weil Widerstand´ - dieses `Weil´ ist in der Tat das niederträchtigste Weil, das ich je gehört habe. Nicht nur seine diktatorische Mentalität bezeugt Zimmermann durch diese Formel, er prahlt mit ihr geradezu. Statt aus seinem hätte sie glatt aus dem bellenden Mund Hitlers kommen können. Sie ist ein um 50 Jahre verspätetes Echo.
Soweit, glauben Sie, sind wir beinahe?
Das ist keine Sache des Glaubens. Wer wie Zimmermann verkündet, gewaltloser Widerstand sei, weil Widerstand, Gewalt, der versagt jedem Widerspruch sein Recht und macht dadurch jede freie Meinungsäußerung, jede Kritik an Maßnahmen der herrschenden Macht zur strafwürdigen Anmaßung. Und das ist das Ende jeder Freiheit. So würde z.B. jede noch so freundlich angebrachte Warnung vor Kriegsspielzeug verdächtig werden, sie sei eine als `christlich´ oder als `gewaltlos´ getarnte Gewaltaktion gegen die sogenannten `freiheitlichen Werte´. Natürlich gibt es zuweilen - das läßt sich nicht abstreiten - Fälle, in denen Freundlichen, die sich für offiziell nicht Gebotenes oder gar für amtlich Verbotenes direkt einsetzen, gewisse vorübergehende Erfolge beschieden sind. Aber in den Augen der Zimmermänner stehen eben Erfolge eigentlich nur den Machtinhabern zu. Und eigentlich (aber natürlich unausgesprochenerweise) dürfen Erfolge ausschließlich durch Drohung mit Gewalt (die Macht und dadurch Legitimität beweist) durchgesetzt werden. Was die erhobene und zuschlagende Hand des Establishments kann (und deshalb angeblich darf und soll), das darf der streichelnden nicht gestattet sein.
In den Augen der Zimmermänner ist Güte, die einzugreifen sucht (was ihr zuweilen sogar glückt), nichts als ein Trick. Und Sanftheit nichts als getarnte Gewalt. Jedes Schaf gilt ihnen als Wolf im Schafspelz - echte Schafe gibt es aus der Perspektive der Mächtigen nicht, und das bedeutet natürlich auch: Echte Christen sind in den Augen derer, die nur die Gewalt und der auf Gewalt beruhenden Macht Legitimation zuerkennen, eo ipso Heuchler. Daß das von den Zimmermännern niemals zugegeben werden würde, gehört zum Wesen der Zimmermänner. Und das die sich als `gewaltlos´tarnenden Wölfe im Schafspelz von den rechtschaffenen Wölfen (die, weil sie Machteigentümer sind, auch legitim das Gewaltmonopol besitzen), nicht geduldet werden können, das versteht sich von selbst.(...)
(auszüge aus "die zuspitzung 1: vom ende des pazifimus" in "günther anders - gewalt ja oder nein. eine notwendige diskussion" hrsg. manfred bissinger; münchen 1987; knaur; isbn 3-426-03893-5; s. 103, 106 - 107)
"jedes schaf gilt ihnen als wolf im schafspelz" - eine treffende metapher für die weiter oben beschriebene fatale psychophysische hypothese der grundsätzlichen gegenseitigen gleichheit. beispiele für diesen wahrnehmungsfehler lassen sich heute ebenso ohne probleme finden, besonders die immer wieder angeführte "menschliche natur" mit ihrer angeblich immanenten gier, gar mordlust, wurzelt in genau diesem fehler bei denjenigen, die damit ankommen. wie früher schon geschrieben: das ist ihre eigene projektion ihrer eigenen selbstwahrnehmung.
und aus diesem grund sind wir alle in den augen der paranoiden macht auch zwingend und notwendig tatsächlich verdächtig und müssen umfassenden kontroll- und überwachungsmaßnahmen unterworfen werden. und zwar ganz egal, ob und was wir real tun und lassen. schäuble ist ein würdiger nachfolger von zimmermann.
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das buch, aus dem ich gerade zitiert habe, ist eines, welches in der form heute womöglich gar nicht mehr erscheinen dürfte. der anlaß war ein interview des damaligen herausgebers der zeitschrift "natur" mit günther anders, in dem dieser einige aufsehenerregende gedanken zum weiteren weg des anti-atom-widerstands nach dem super-GAU von tschernobyl 1986 formulierte. gedanken, die zu einer breiten öffentlichen diskussion um die gewaltfrage führten, unter beteiligung sowohl der "natur"-leserInnenschaft als auch großer teile des damals noch existierenden milieus der (links-)liberalen intellektuellen der alten brd. darunter bspw. namen wie heinrich albertz, ingeborg drewitz, axel eggebrecht, erich kuby und etliche andere. ihren reaktionen ist im buch ein ganzes kapitel gewidmet, ein paar auszüge:
"Wer öffentlich zur Gewalt aufruft, soll selbst bereit sein, ins Feuer zu gehen. Das wird der von mir sehr ernstgenommene Günther Anders sicher nicht tun. Er trägt nun die Verantwortung dafür, daß sich jeder Terrorist auf ihn berufen kann.
Ich halte seinen Aufruf nicht nur für falsch, sondern für unverantwortlich. Ich werde mich weiter strikt an den Satz halten: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen." Das gilt für alle Seiten des mörderischen Konfliktes, in dem wir stehen." (Heinrich Albertz, S. 37)
"Gewalt gegen Sachen wird zu "Terrorismus" erklärt, um den vielfältigen, diffusen Widerstand treffen und kriminalisieren zu können zur Durchsetzung des von der Bevölkerung abgelehnten Atomprogramms. Ganz anders, wenn es um die Interessen der Großindustrie geht. Dann bleibt Gewalt gegen Sachen im Werte von vielen hundert Millionen und sogar Gewalt gegen Menschen unverfolgt oder ein Kavaliersdelikt. Die, die gleich tonnenweise und vorsätzlich Gift in den Rhein und damit in unser Trinkwasser schütten sitzen mit dem Minister am Konferenztisch und feilschen darüber, daß sie in Zukunft doch bitteschön freiwillig auf solche Gewalt verzichten.
Für die Regierenden ist offensichtlich nicht Gewalt gleich Gewalt. Es kommt für sie darauf an, wer in welchem Interesse das staatliche Gewaltmonopol verletzt. Es wird Zeit, daß die da oben ihr Verhältnis zur Gewalt überprüfen. Ihre Beteuerungen der Abscheu vor Gewalt klingen so unglaubhaft." (Hans-Christian Ströbele, S. 80f.)
"Gewalt ist nicht Gewalt. Es kommt darauf an, wer wann wo für welche Gewalt ist. Es ist etwas anderes, ob einer, der keine Gewalt hat (außer der sprachlichen) für Gewalt ist, so wie der ehrenwerte Günther Anders, ob ob einer wie der Staat, der vor Gewalttaten strotzt, Gewalt abzulehnen vorgibt." (Joseph von Westfalen, S. 85)
im kern war die reaktion der "promis" damals eindeutig ablehnend (die zitatauswahl oben ist nicht repräsentativ); etwas anders verhielt sich das bei den leserInnen:
"Es ist in der Geschichte der Menschheit noch nie gelungen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Versuche enden stets im vielfach gesteigerten Chaos und schwerstem Unglück." (Leonore E., Oberursel, S. 113)
"Seit Auschwitz sollte eigentlich allen endgültig klar sein, daß die Gewaltlosigkeit der Machtlosen nicht in der Lage ist, die Mächtigen von der amoralischen Ausübung der Gewalt abzuhalten." (Hans-Werner K., Frankfurt, S. 116)
"Die Alternative zu den nun leider wenigen wirkungsvollen Demonstrationen ist nicht automtatisch Gewalt, sondern eine nur durch menschliche Phantasie begrenzte Palette von Widerstand." (Thomas L., Sulzbach, S. 121)
"... was prinzipiell eher bedeutet, daß ich einem Gegner, der mich mit einem Tötungsgegenstand bedroht, doch zunächst einmal die Waffe aus der Hand schlage, anstatt den Menschen gleich umzuhauen." (Felicia M., Kassel, S. 122)
"Die tägliche kleine Sabotageaktion, angefangen von Kaufboykott bestimmter Produkte, über zubetonierte Abwasserrohre, bis hin zum umgeknickten Stormmast - vielfach, phantasievoll und unkontrollliert eingesetzt, gibt uns eine noch lange nicht ausgeschöpfte Kraft. ... Angst machen den Mächtigen nicht einige Gewaltaktionen, sonden die zunehmenden Sympathien hierfür in wachsenden Bevölkerungskreisen." (K. Lauer, Saarbrücken, S. 123)
"Da sitzen wir nun am Tisch, wir Gewaltlosen, schlagen natur auf und beginnen zu blättern. Wir sind zwar für Widerstand, aber gewaltlos muß er sein. ... Gewalt ist moralisch verwerflich und wird schwer bestraft. Außerdem provoziert man damit die Poizei, die einen dann verprügelt. Gewaltos wollen wir werden und gewaltlos auch dorthin kommen.
Doch dann das Gespräch mit Günther Anders über Notstand und Notwehr. Es macht uns neugierig und wir lesen. Was steht da?! Was spricht er da aus? Aber er spricht es aus! Ganz schön mutig, dafür kann man ins Zuchthaus kommen, neuerdings! - Wir meinen, in uns bewege sich etwas, oberhalb des Magens, und ein Kloß im Hals läßt uns den Kopf anheben, um zu schlucken. Ein seltsames Kribbeln durchströmt den Körper, als strahle ein warmer Hoffnungsschimmer auf die verkrämpfte Backe, und wir stellen fest, daß wir kaum zuvor einen Text so verschlungen haben.
Doch - Nein! - Nein, wie sind doch gegen Gewalt, keine Gewalt gegen Menschen und auch nicht gegen Sachen!. Wie kann man nur so etwas schreiben?!
Wir legen den Text weg, stehen auf und sehen zum Fenster raus: Die Fichten auf dem Hügel sind durchsichtiger denn je. Die Autos vor der Ampel unten machen einen Höllenlärm ... auf einem LKW erkennen wir den Schutt des alten Fachwerkhauses aus der Nachbarstraße ... Eine Frau an der Ampel schlägt ein Kind, weil es nicht bei Fuß bleiben will ...
Auf jeden Fall sind wir gegen Gewalt. Wir müssen nur noch zahlreicher auf die Straße! - Nein, nicht für Politiker oder die Bevölkerung, die uns sowieso nicht hören, sondern um Eindruck zu schinden beim großen Gewalo, Schutzpatron der Gewaltlosen, der hoffentilch bald zu uns kommt und zur Belohung die Atomkraft abschafft und die Raketen und vielleicht auch ein bißchen die Chemie-Industrie und ein paar Autos und ... und ... und ..." (Carl Christian R., Kirn, S. 127f.)
"Welches Verhängnis, wenn Menschen gutgläubig nachgeben, auf Gewalt verzichten, weil sie an die Gewaltlosigkeit glauben! Sie werden dann nur um so radikaler von der Gewalt überwunden!" (Steffen S., Mannheim, S. 130)
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Sie sehen schon, das die erwähnten gesellschaftlichen probleme den geist der 80er jahre atmen - jedoch im prinzip heute noch aktuell, wenn nicht verschärft und ergänzt sind um die entwicklungen seit dem 11.09.2001 und die heutigen umfassenden krisensymptome. das tabu, welches anders damals ankratzte, liest sich auf den kern gebracht folgendermaßen (und die im zentrum seiner argumentation stehende atomara bedrohung würde er wahrscheinlich heute noch mit der bio/gentechnologie, dem klimawandel und auch der wirtschaftskrise ergänzen):
""Keiner von denen - und ich sprech vor allem von Politikern, Generälen, Wissenschaftlern und Journalisten - keiner von denen, die die atomare Massenbedrohung oder den Massenmord vorbereiten, mit diesem drohen oder die Möglichkeit des Massenmordes durch sogenannte friedliche Atomanlagen mindestens in Kauf nehmen - keiner von denen darf mehr oder soll mehr seines Lebens sicher sein. Da sie uns pausenlos programmatisch und professionell in Angst versetzen, sollen nun endlich auch sie in Angst leben müssen. Die uns bedrohen, sollen von uns bedroht werden. Und nicht nur bedroht werden, sondern dadurch, daß wir unsere Drohungen hier und dort wahrmachen, eingeschüchtert, dadurch zu Einsicht gebracht und dadurch zur Umkehr veranlaßt werden. Damit am Ende niemand mehr bedroht sei, nicht wir und auch sie nicht. Ob uns das gelingt, ob wir durch unsere Gegenbedrohung die Gefährdung der Menschheit noch neutralisieren können, das weiß ich nicht. Aber daß wir das ohne unsere Gegendrohung nicht können, das weiß ich." (Charles Meunier* - meines wissens ein kanadischer künstler, anmerkg. mo)
*übersetzung durch günther anders am 28.9.1986, im buch auf s.89
weitere argumentationen aus dem interview von anders mit seinem fiktiven selbst:
"... Das Recht auf Notwehr tödlich Bedrohter und in jeder Sekunde Angreifbarer ist natürlich natürlich! Selbst das Naturrecht ...
Die Absage an Gewaltlosigkeit nennen Sie "Notwehr"?
Schon wieder dieses "Nennen"! Sie ist Notwehr! Und da die Bedrohung total und die mögliche Vernichtung global ist, hat unser Notwehr total und global zu werden. Zum Verteidigungskrieg aller Bedrohten. Und das heißt: aller Menschen heute und morgen." (s.91)
"Wir Atomgegner kämpfen also, wie gesagt, einen Verteidigungskampf gegen so enorme Bedroher, wie es deren nie zuvor gegeben hatte. Also haben wir das Recht, Gegengewalt auszuüben, obwohl hinter dieser keine "amtliche" und "rechtmäßige" Macht, also kein Staat, steht. Aber Notstand legitimiert Notwehr, Moral bricht Legalität. Diese Regel zweihundert Jahre nach Kant eigens zu begründen, erübrigt sich ja wohl." (s. 93)
"Happenings sind nicht genug!
(Befremdet:) Happenings! Dieser Vergleich überschreitet doch wohl ...
Nein. Gar nichts überschreitet er. Und ist auch nicht nur ein Vergleich. Gewaltlose Widerstandsaktionen ähneln nicht nur Happenings. Sie sind Happenings.
Und warum sind sie das?
Deshalb, weil Happinings verspielte Scheinakte sind und Als-Obs, die so tun, als seien sie mehr: nämlich wirkliche Aktionen oder mindestens Bastarde von Sein und Schein, von Ernst und Spiel." (s.98)
"Unsere Gewaltausübung darf immer nur als Verzweiflungsmittel, immer nur als Gegengewalt, immer nur als Provisorium eingesetzt werden." (s.102)
"Gewaltlosigkeit gegen Gewalt taugt nichts. Diejenigen, die die Vernichtung von Millionen Heutiger und Morgiger, also unsere endgültige Vernichtung vorbereiten oder mindestens in Kauf nehmen, die müssen verschwinden, die darf es nicht mehr geben." (s. 104)
na, harter tobak, oder? bevor sich hier einige bemüßigt fühlen sollten, in ihrer strukturellen obrigkeitshörigkeit zur nächsten polizeiwache zu rennen: informieren Sie sich vorsichthalber vorher darüber, wer günther anders war. und realisieren Sie, dass dieses buch bis heute "legal" gehandelt wird.
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es gibt natürlich etliche gute argumente gegen gewalt, und ich glaube, die meisten sind mir durchaus bekannt. am ernstesten davon nehme ich - bei ansicht des blogs wahrscheinlich nachvollziehbar - ihre potenziell traumatischen folgen bzw. die kreisläufe des traumas, die dringend unterbrochen werden müssen. was bedeutet, innerhalb der sozialen beziehungen gewalt klar und deutlich zu ächten!
aber: die sphären von macht und herrschaft bzw. diejenigen, die dort ihre psychophysischen defekte kompensieren und ausagieren, haben sich selbst zeitweise oder auf dauer aus diesen sozialen beziehungen ausgeschlossen und setzen dieselben sowie im weiteren die elementarsten überlebensbedingungen der gesamten spezies durch ihr fortgesetzt destruktives handeln unter permanent zunehmenden lebensgefährlichen druck. und deshalb kann die eben erwähnte maxime von der ächtung für sie nicht gelten! es geht dabei keinesfalls um grundsätzliche vernichtung, sondern um ihre unschädlichmachung - das verhindern ihres weiteren agierens. und da bin ich allerdings der gleichen meinung wie anders: das wird nicht ohne einen sorgfältig kontrollierten und abgewogenen einsatz von gewalt möglich sein.
als alternative sehe ich bisher einzig die option einer wirklich massenhaft getragenen sozialen isolierung der erwähnten elitären schichten. das würde bedeuten, die zusammen- oder eher zuarbeit für das und mit dem system auf allen nur denkbaren gebieten einfach einzustellen -> totale aufkündigung der loyalität. das aber wäre nur erreichbare, wenn sich die soziale trance soweit aufösen lassen würde, dass relevante teile der hiesigen bevölkerung zu einem schier unfassbaren psychophysischen entwicklungssprung in der lage wären bzw. diesen mit der gemeinten auflösung bereits beginnen würden. ob es diese möglichkeit gibt?
ghandi oder martin luther king werden meistens als beispiele für funktionierende gewaltlose widerstandshandlungen aufgeführt. ich würde ja sagen, bei ansicht der heutigen realitäten in den usa ist zu sehen, dass sich zwar einige symptome des rassismus dort abgeschwächt haben (obamas wahl mag dafür ein beispiel sein), jedoch strukturell viele schwarze nach wie vor die absolute arschkarte haben. und zu einer realistischen bewertung ghandis ist eine beschäftigung mit den damaligen speziellen bedingungen in indien ganz hilfreich, die er vorgefunden hat. die sind meiner meinung nach nicht übertragbar auf andere zeiten und räume.
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es gäbe noch viel zum thema zu sagen, aber ich möchte Ihnen einfach zum schluß einen text aus dem heutigen griechenland mit auf den weg geben, der mit seiner - mich sehr berührenden - sprache für sich selbst spricht und dabei deutlich macht, dass die ganze sog. gewaltdebatte am ende wahrscheinlich etwas sekundäres ist. will sagen: die hauptarbeit gerade in einem land wie hier liegt aktuell darin, jetzt die deformierten und angegriffenen sozialen beziehungen zu heilen und diesen prozeß auf immer weitere kreise auszuweiten. und mit diesem unbescheidenem wunsch verabschiede ich mich für heute.
(...)"Morgen bricht ein Tag heran, und nichts wird mehr das Gleiche sein. Was kann befreiender sein als dies, nach so vielen Tagen der Gleichheit? Eine Kugel war nötig, um die brutale Abfolge dieser Identischen Tage zu durchbrechen. Der Mord an einem 15 jährigen Jungen war der Moment, in dem eine Loslösung statt fand, stark genug um die Welt auf den Kopf zu stellen. Eine Loslösung von dem warten auf andere Tage, zu einem Punkt, an dem so viele gleichzeitig dachten: „Das war es, kein Schritt weiter, alles muss sich ändern, und wir werden es verändern.“ Die Rache für den Tod von Alex, wurde zur Rache für jeden einzelnen Tag, gezwungen in dieser Welt aufzuwachen. Und was so schwierig schien, stellte sich als simpel heraus.
Dies ist was passierte, und was wir haben. Wenn uns etwas Angst macht, dann ist es die Rückkehr zur Normalität. In den Zerstörungen und Plünderungen unserer ach so heilen Städte sehen wie nicht nur das offensichtliche Resultat unserer Wut, sondern auch die Möglichkeit zu leben zu beginnen. Uns bleibt nichts anderes mehr zu tun, als uns zu installieren in der Möglichkeit und sie in ein lebendes Experiment umzuwandeln: Angefangen beim alltäglichen Leben, unserer Kreativität, der Macht unsere Wünsche zu materialisieren, der Macht die Wirklichkeit nicht zu betrachten, sondern zu konstruieren*. Dies ist unser lebenswichtiger Raum. Alles andere ist Tod.
Die die verstehen wollen, werden verstehen. Jetzt ist die Zeit, die unsichtbaren Zellen zu durchbrechen, die alle und jeden an ihre kleinen pathetischen Leben ketten. Und dies fordert nicht einzig oder notwendigerweise jemanden auf, eine Polizeistation anzugreiffen oder Einkaufszentren und Banken abzufackeln. Die Zeit sein Sofa zu verlassen, die passive Betrachtung des eigenen Lebens, und auf die Strasse zu gehen, um zu sprechen und zu hören, alles private hinter sich zu lassen, sich zu involvieren in die sozialen Beziehungen; die destabilisierende Kraft einer Atombombe. Und dies ist genau, da die Fixierung eines jeden (bis jetzt) auf seinen Mikrokosmos wie an die Anziehungskraft eines Atoms gebunden ist, die Kraft, welche die (kapitalistische) Welt umkehren wird. Das ist das Dilemma: Mit dem Aufständischen oder alleine. Und dies ist einer der wirklich wenigen Momente, in denen dieses Dilemma so Absolut und so Real sein kann."
(*hier würde ich gerne ersetzen: wahrnehmen und gestalten!)
monoma - 14. Dez, 13:01
nachträge und ergänzungen
"die sphären von macht und herrschaft bzw. diejenigen, die dort ihre psychophysischen defekte kompensieren und ausagieren, haben sich selbst zeitweise oder auf dauer aus diesen sozialen beziehungen ausgeschlossen"
fehlt ein wichtiges wort: "sie haben sich selbst oder auf dauer fiktiv aus diesen sozialen beziehungen ausgeschlossen."
real aus dem menschlichen beziehungsgeflecht heraustreten lässt sich nur mit dem tod. nicht anders. die psychophysischen zustände, die als wahnsinn zusammengefasst werden, zeichnen sich gerade durch dieses fiktive heraustreten aus, was bei den objektivistischen varianten durch die dort vorhandenen simulationen mehr oder weniger verschleiert wird. würde der objektivistisch-wahnsinnige mensch tatsächlich aus der beziehungsmatrix heraustreten, wäre er ein toter mensch. und gleichzeitig wären die folgen des ausagierens seines wahns in der realen welt gleich null.
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es gibt natürlich einen unterschied zwischen straßenunruhen und gezielten aktionen/schlägen gegen strukturen der "eliten". erstere können allerdings letztere fördern und quasi einen klimawandel (der im text aus griechenland sehr schön beschrieben wird) ankündigen, in denen vorher undenkbares überhaupt erst als möglichkeit gedacht werden kann - auch deshalb ist das system so derart auf äußerliche ruhe bedacht.
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und nein, nazi-gewalt (wie beim jüngsten attentat in passau) gehört in keinem fall in den ganzen kontext. das lässt sich kurz auf den punkt bringen: die nazis möchten andere (ihnen genehme) polizeipräsidenten bzw. polizisten überhaupt. emanzipatorische gewalt möchte das amt bzw. die institution an sich überflüssig machen.