gastbeiträge

Dienstag, 1. Mai 2012

einleitung (und kommentarmöglichkeit) zu den gastbeiträgen von j. erik mertz [update]

es ist vielleicht ganz passend, dass es hier nach der vermutlich längsten – und nicht geplanten - pause in der bloggeschichte mit dem start der beitragsreihe eines gastes weitergeht, dessen arbeit und denken letztlich ganz entscheidend mit zur existenz dieses blogs beigetragen haben, incl. des titelgebenden als-ob. wenn Sie einen blick in die literaturliste rechts unten werfen, sehen Sie dort den titel „borderline – weder tot noch lebendig“ von j. erik mertz. dieses buch, über das ich irgendwann in der zeit von 2001/2002 eher zufällig gestolpert bin, hat in gewisser weise mein denken (und fühlen) zu vielen fundamentalen fragen revolutioniert – nicht alleine und nicht kritiklos, aber es zählt neben einigen anderen arbeiten, die dort unten ebenfalls aufgeführt sind, bis heute zu meinen „essentials“, wenn ich mich daran versuche, mich, die mitmenschen und letztlich auch „die welt“ in all unseren – leider meist erbärmlichen – zuständen besser begreifen zu wollen.

ich möchte hier nicht die für mich wesentlichen teile der ansätze von j.e. mertz ausführlich wiederholen; in den inzwischen fast sieben jahren mit diversen blogbeiträgen habe ich die für mich wichtigsten einsichten und anregungen aus dem buch in diversen kontexten dargestellt. stammleserInnen werden sie vermutlich eh zum größten teil kennen; für alle anderen, die thematisch interessiert sind, verlinke ich nochmals die wichtigsten beiträge, die nicht umsonst mehrheitlich in der rubrik „basis“ zu finden sind:
subjektivität vs. objektivität, autismus, borderline, "als-ob-persönlichkeiten".

der eine oder die andere wird sich vielleicht an einen kommentar hier vor einigen wochen erinnern (der aufgrund einer eigentlich nicht zur veröffentlichung gedachten mailaddresse wieder gelöscht wurde), dessen absender zu meiner nicht geringen überraschung tatsächlich j. erik mertz gewesen ist. im darauf folgenden mailkontakt schlug mir herr mertz dann ein projekt vor, welches nach einigen beiderseitigen überlegungen konkreter wurde und (ab) heute öffentlich wird:
  • die auf der basis veröffentlichter und unveröffentlichter texte von herrn mertz entstandene arbeit „das sympathetische weltbild/paradigma“ wird hier ab heute kapitelweise zu jedem ersten eines monats mit zeitlicher begrenzung zu lesen sein.
  • zeitliche begrenzung bedeutet, dass jedes kapitel nach einem monat wieder gelöscht werden und durch das folgende ersetzt wird.
  • um die jeweiligen kommentare dazu nicht ebenfalls ins digitale nirvana zu versenken, wird dieser beitrag hier dazu dienen, sie zu sammeln – ich werde erstmal beobachten, wie stark die kommentierung sein wird und gegebenenfalls eine zweite möglichkeit schaffen. unter den beiträgen selbst ist keine kommentierung möglich.
  • die veröffentlichung läuft explizit in der rubrik „gastbeiträge“, was u.a. auch bedeutet, dass ich keinerlei verantwortung für diese texte habe, sondern diese alleine bei herr mertz liegt.
  • ebenfalls bleiben natürlich alle rechte bei herr mertz.
die texte werden von mir unverändert, so wie ich sie bekomme, hier veröffentlicht. lediglich einige formatierungen für das blog werden von mir vorgenommen.

*

um transparenter zu machen, was Sie im einzelnen in dieser reihe in den nächsten monaten erwartet, gibt es nun einen überblick zu den einzelnen kapiteln:

Das Sympathische Weltbild/Paradigma
Von der wissenschaftlichen Neubegründung einer uralten Weltanschauung zur Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit von Menschlichkeit und Wissenschaft (Die Einheitswissenschaft) - Der Radikale Humanismus nach J.E.Mertz als Grundriß einer psychologisch begründeten 'Theorie über Alles'

1 Vorwort
Die Moderne als permanenter Krisenzustand: Der Mensch als eigentliches Modernisierungshindernis (Die Abschaffung des Menschen)

2 Erfahrung
Am Anfang war...die Erfahrung! Alle Tatsachen sind Erfahrungstatsachen

3 Psychologie
Die Erfahrungswissenschaft von der menschlichen Erfahrung:
Heimliche 'Königin der Wissenschaften'

4 Erkenntnis
Von der Wirklichkeit der Erfahrung zur Erfahrung der Wirklichkeit:
Seinsordnung und Ordnungsvorstellung (Erkenntnis als Ordnungsaufgabe)

5 Mensch
Der Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch...
Reine Unnatur: Das postevolutionäre Kulturwesen Mensch

6 Kultur
Kampf der Zwei Kulturen (Kultur und technische Unkultur).
Eine Kurzgeschichte der menschlichen Kultur und ihres Scheiterns

7 Sinn
Menschsein unter unmenschlichen Bedingungen.
Eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens

8 Nachwort
Der wissenschaftliche Diskurs ist der menschliche Diskurs -
die Teilnahmebedingungen (Der Authentische Diskurs)

*

wer sich bereits mit seinen ansätzen beschäftigt hat und/oder gar das (lange vergriffene) buch gelesen hat, wird vermutlich einige bekannte themen entdecken. tatsächlich werden nach meinem verständnis in den kapiteln etliche ansätze aus „borderline...“ konkreter behandelt und sozusagen auf ihre jeweiligen kerne zugespitzt. dennoch ist die kenntnis des buchinhaltes aus meiner sicht nicht unbedingt eine vorbedingung, um die texte zu verstehen, auch wenn sie es vermutlich leichter macht. ebenfalls sollte sich niemand von den abstraktionsebenen sowie der vielleicht ungewohnten sprache bzw. logik abschrecken lassen – schon das buch war etwas, was nach meinem eindruck tatsächlich erarbeitet werden musste, um am ende mit einer ganzen flut von aha!-erlebnissen dazusitzen. ich könnte dazu jetzt noch etliches schreiben, würde aber vorschlagen, dass Sie sich einfach soweit wie möglich auf die argumentationen einlassen und sie in ruhe betrachten. einen thematischen aspekt möchte ich aber doch noch herausheben, gerade im hinblick auf das angesammelte material für bisher ungeschriebene beiträge hier in der letzten zeit: es geht aus meiner perspektive bei dieser arbeit ständig um ganz fundamentale (und fatale!) entwicklungen, die mit der heutigen krisenkaskade nicht nur untrennbar zusammenhängen, sondern sie sogar in einem erweiterten sinn überhaupt erst verständlich machen. in diesem sinne ist der erste mai als datum, an dem heute weltweit (hoffentlich!) ein neuer zyklus des widerstands beginnt, ebenfalls sehr passend.

zum schluß: ob sich herr mertz direkt zu kommentaren (oder direkten fragen an ihn) äussern wird, kann ich schlicht und einfach nicht sagen. an dem punkt lasse ich mich ebenso überraschen wie Sie.

*

edit am 03.05.: eine kleine, wenn auch nicht ganz unwesentliche, korrektur - hinsichtlich der überschrift des hier öffentlich gemachten textes (zu dem übrigens noch angefügt werden sollte, dass es sich um einen entwurf handelt), hat sich die eine oder der andere vielleicht schon gedanken zum nicht unbedingt sehr gebräuchlichen begriff "sympathetisch" gemacht - durch ein missverständnis bei der textübermittlung ist das ursprüngliche "sympathisch" dadurch ersetzt worden. sorry dafür. ich habe die überschrif(ten) entsprechend geändert; in der url des ersten textteiles lasse ich die erste version aber drinnen, weil sonst die bereits vorhandenen links zum beitrag unbrauchbar werden.

Samstag, 9. Oktober 2010

gastbeitrag: henri zu "stuttgart 21"

"...Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifriger Gott, der da heimsucht der Väter Missetat an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied, die mich hassen...."

Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, wer wach durch die Zeit schreitet, der, ja der wird irgendwann wahrnehmen, dass uns, uns allen, die beiden letzten Jahrhunderte gerade auf den Kopf fallen.

Die Exzesse jener kaum vergangenen Geschichte haben nicht nur unzählige Opfer gezeugt, nein sie haben auch in den Köpfen der Überlebenden, seien sie nun Täter oder Opfer ihre Narben in der Seele hinterlassen - bis ins vierte Glied!

Mit diesen traumatisierten, geschädigten, beschädigten, defizitären, defekten Mitmenschen müssen die Nachgeborenen nicht nur umgehen; jene gehen vor allem mit ihnen um.

Ein kurzer Blick auf das "leitende" Personal nicht nur dieser Republik, nicht nur der oder jener Corporation zeigt, dass die derart behinderten längst fast alle Entscheidungspositionen eingenommen haben. Da passte wohl Schlüssel zum Schloss. Und so haben wir es bei den aktuellen Auseinandersetzungen mit Funktionsträgern zu tun, die sich eben genau dadurch auszeichnen. Sie erfüllen eine Funktion.

Funktionäre. (Ein Funktionär ist im reinsten Wortsinne eine Reiz-Reaktionsmaschine, die von aussen gesteuert wird.)

Man schaue sich nur einmal das
Interview von Frau Slomka mit MP Mappus auf ZDF an.

Mappus ist nicht in der Lage wirklich in der ersten Person zu reden:

"man muss das sehr ernst nehmen" (die Proteste) anstatt 'wir nehmen das sehr ernst', oder

"es war unser Anliegen, den Dialog zu suchen" anstatt ' wir suchten den Dialog' etc..

(Sollten wir ihm den Besuch eines coachings zu small-talk empfehlen, wo ihm beigebracht wird, dass es besser rüberkommt, 'eigene Emotionen' nicht in der dritten Person, sondern in der Ich-Form zu formulieren?)

Bei alledem fällt Mappus' teigiger, pastöser, fast teilnahmsloser Gesichtsausdruck auf, gelegentlich eine Folge mangelnder dortiger Muskelbetätigung, wie sie auch bei Mimik-blinden vorkommt.

Dann
beschwert Rech sich über die Instrumentalisierung von Kindern, welches er den Protestierenden unterstellt.

Hier schallt es 'haltet den Dieb!'. Vermutlich unterstellt man dem Anderen zuerst das, was man selber dächte...

'KINDER' ist ja vor allem ein manipulativer Zugang zur Emotion des Publikums. Von tätschelnden Potentaten bis zu Surrogat-SurrogatInnen selbst leyenhaftester Provinzialität wird das täglich exerziert. Dieses Instrumentalisieren unterstellt er also dem Bürger. Seine Aufregung dürfte allerdings nicht Ausdruck einer moralischen Entrüstung sein, sondern eher Ausdruck des Frustes, dass da der Gegner (vermeintlich) die eigenen Kampfmittel benutzt.

'Wer hat denen das erlaubt? Das ist doch unsere Attitüde! Wo sind die denn gelistet? Was sagt das Ordnungsamt dazu?'

"Im äussersten Notfall sind dann auch Wasserwerfer.." Diesen 'äussersten Notfall' kann wohl nur ein Apparatschik wie Rech so sehen. Bestünde Gefahr dass er auffliegt? Das rauskommt, dass es in Stuttgart 'nur' um eine Bilanzverschiebung zu Gunsten des Börsenwertes der DBAG ging und geht?

Das die Provisionen alle schon geflossen sind? Das demgemäss alle Beteiligten nun in der Lieferpflicht sind? Das die unlauteren 'Gewinne' der DBAG aus dem Verkauf des Gleisvorfeldes schon längst die Bilanz des Konzerns geschönt haben - also weg sind?

Zu fragen ist auch, warum man in Stuttgart die Hilfe von Einsatzkräften aus anderen Bundesländern brauchte.

Wenn es denn 'nur' 1000 bis 2000 Demonstranten gewesen waren, wie die
Polizei selbst sagte: warum brauchte man dann externe Hundertschaften? Diese musste man schon Tage vorher bestellen. Da kann man nicht um 8:00 Uhr in Hamburg anrufen und um 16:00 sind die dann in Stuttgart im Einsatz. Das hat einen elendiglich langen Vorlauf. Und es kostet Geld. Geld, das nicht mal BW heute hat. Haben 1000 bis 2000 Demonstranten die BW-Polizei schon aus der Vorausperspektive so überfordert, dass diese Unterstützung brauchte? Können die ausser hochdeutsch auch anderes nicht? Oder ist das ganze ein widerlich hinterf... eingefädeltes Komplott?

Stellen wir uns nur mal vor, die Finanzkrise hätte dem Börsengang der DBAG nicht ein vorzeitiges Ende bereitet.

Dann wäre das Bild noch ein prägnanteres. 'Staat sichert Privatkonzern das Einfahren seiner dem Steuerbürger hinterzogenen Mittel mit Hilfe des staatlichen Gewaltmonopols'. Das jetzt ist sozusagen nur der Plan B, eine weichgespülte Variante, derer sich die (un-)Verantwortlichen nur mit halber Kraft widmen. Daher auch deren Unverständnis über den Aufruhr. (Kinder, ihr habt ja keine Ahnung, wie es hätte auch anders kommen können..)

Sehr häufig fällt gerade bei Stuttgart 21 der Begriff 'Konservativ'. Was wird da über Werte schwadroniert, wenn Interessen gemeint sind.

Den Protagonisten wird dann Zynismus unterstellt. Zu viel der Ehre, wie ich meine. Zu befürchten ist, dass jene den Unterschied gar nicht ermessen können. So wenig wie den Unterschied zwischen scheinbar und anscheinend, zwischen nichts falsch gemacht und alles richtig gemacht.

Diese Einsicht macht mir Angst.

*

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