Samstag, 20. März 2010

assoziation: weiteres zur gewalt in totalen institutionen [update]

zum thema der (sexualisierten) gewalt in totalen institutionen - religiösen, privaten und staatlichen heimen, schulen, internaten... habe ich aus meiner perspektive nichts grundsätzlich neues bzw. anderes zu dem nachzutragen, was ich in den letzten wochen schon geschrieben hatte - die sprache der berichterstattung ist fast ohne ausnahmen immer noch ein trauerspiel; der im vatikan thronende opus-dei-sympathisant bekommt nun zumindest imagemässig auch immer mehr wohlverdiente kratzer; natürlich werden auch bei seiner konkurrenz auf dem glaubensmarkt die mit tödlicher und zwangsweiser sicherheit vorhandenen gewaltstrukturen immer sichtbarer; und gleichfalls wird durch die fülle von meldungen praktisch jeden tag auch aus immer neuen ländern wie den niederlanden, österreich und der schweiz primär, aber nicht nur, in bezug auf die katholische kirche überdeutlich, dass wir es da mit einer wirklichen systemischen eigenart zu tun haben - von "einzelfällen" noch zu reden, traut sich immerhin kaum noch einer.

sehr, sehr langsam wird immerhin an einigen stellen im mainstream auch grundsätzlicher hingeschaut - als prägnante beispiele für diese begrüssenswerte tendenz können zb. der folgende kommentar, eher schon ein
essay, aus dem tagesspiegel dienen -

(...) "Jetzt wird gesprochen. Mit dem Fall Canisius war ein Schweigekartell gebrochen, nachdem am 28. Januar 2010 ein Brief des heutigen Schulleiters an ehemalige Schüler öffentlich wurde. Es kann sein, dass der Tag zum historischen Datum wird. Von dem Tag an geriet das gesamte Land in Aufruhr, eine gigantische Schleuse hatte sich geöffnet, der lange unterdrückte Aufstand der Ungeschützten setzte ein. Aus allen Winkeln der Republik quellen täglich neue Meldungen zu Fällen von Missbrauch und Misshandlungen an Internaten, auf Tagesschulen, in sozialen Einrichtungen. (...)

Kinder sind für Regierungen im Prinzip uninteressant, für Angehörige und Betreuer oft lästig. Mit Kindern als politischen Subjekten, als Rechtsträgern hat sich bisher keine Epoche der Menschheit jemals jenseits erwachsener Eigeninteressen („die zahlen später unsere Rente“) auseinandergesetzt. Gewalt gegen Kinder war historisch immer die Regel, nie die Ausnahme. Der Raum der Straffreiheit war und ist hier von unübersehbarer Weite. Die Geschichte der Kindheit kennt kaum eine Foltermethode, kaum eine Perfidie, die nicht an Kindern begangen wurde, bis hin zur modernsten Hightech-Variante, der Produktion und Ausstellung von brutaler Kinderpornografie, sogar mit Säuglingen, für das Internet.

Am Kind lässt sich am leichtesten abreagieren, was die Welt aus Frustrationen, Hierarchien und Demütigungen Erwachsenen zumutet, und Begriffe wie „Prügelknabe“ oder „Lustknabe“ zeugen von dieser Sündenbock- und Ventilfunktion der Kinder. Als Teil seines Hausstandes gehörten Frau, Gesinde, Vieh und Kind über Jahrhunderte zum dinglichen Besitz des Patriarchen. Und während sich der Patriarch an allen schadlos halten konnte, blieb der Frau nur der Nachwuchs. Mütter, Frauen als Täterinnen waren und sind ebenso die Regel – und noch mehr Tabu. Im Zentrum erwachsenen Interesses stand im Lauf der Geschichte nur selten, etwa bei einer Elitefamilie wie den Humboldts, die glückliche Entfaltung des Kindes." (...)


- nachgeholter geschichtsunterricht, realistisch, deutlich und notwendig. ebenso wie dieser bemerkenswerte
kommentar in der frankfurter rundschau, der nicht nur mit dem eigenen blatt und der eigenen journalistischen zunft hadert, sondern ebenso grundsätzliche wichtige und richtige dinge feststellt:

(...) "Es fehlt uns an Empathie.

Das ist eine Feststellung, kein Vorwurf. Wir lassen uns zum zehnten Mal erklären, warum Menschen traumatische Erfahrungen abkapseln. Wir haben immer noch nicht verstanden, dass wir es mit den Berichten von traumatischen Erfahrungen genauso machen. Sie erreichen und bewegen uns. Dann spinnen wir sie ein, bilden einen Kokon um sie und legen sie irgendwo ab, wo wir nicht wieder auf sie stoßen.

So können wir vergessen, dass die Orte, an denen mehr oder weniger hilflose Kinder und zu großen Autoritäten - Priester, Lehrer, Erzieher, Eltern - aufgeblasene Erwachsene aufeinander treffen, Weidegrund sind für Gewalttäter. Wir können dort sorglos sein, wo wir besonders sorgfältig beobachten, kontrollieren müssten.

Wir vergessen aber auch, dass nicht alle Erinnerungen stimmen. So können wir uns leichter ein Bild machen. Wir werfen gerne weg, was wir wussten. Die Zeitungsleute tun das, weil sie glauben, sie müssten immer Neues bringen, statt uns das Schrecklich-Vertraute in Erinnerung zu rufen. Wir alle tun es, weil wir wissen, wir müssten unser Leben ändern, wenn wir unser Wissen ernst nähmen. Davor aber haben wir mindestens so viel Angst wie vor diesem Wissen selbst."


"Wir alle tun es, weil wir wissen, wir müssten unser Leben ändern, wenn wir unser Wissen ernst nähmen."

ein schöner satz. weil er ein trauriger und treffender dazu ist, der sich umstandlos auf kriegs- und hungertote, auf die toten flüchtlinge an den eu-aussengrenzen undundund anwenden lässt. in diesem satz steckt ein ganzer berg an wahrheit.

im übrigen möchte ich das entsprechende
dossier der fr, trotz des sachlich falschen, weil reduktionistischen titels, schon empfehlen, um sich einen guten überblick zu verschaffen - einen überblick allerdings, der einem mehr als nur das wochenende restlos versauen kann. irgendwo darin, ich schätze mal so vor ca. zwei wochen erschienen, steckt übrigens auch eine geschichte, die meine these von der "echten" pädophilie als (relative) randerscheinung innerhalb der geschehnisse sehr untermauert - sobald ich den link wiederfinde, ergänze ich das hier.

*

edit am 21.03.: wie zur illustration
dieser sätze...

"staatliche repressionsorgane werden nicht von ungefähr regelmässig von apathie und lähmung befallen, wenn es darum geht, selbst schwere und schwerste gewaltdelikte in solchen institutionen zu verfolgen, und zwar nicht nur in staatlichen. das darf getrost als ausdruck davon verstanden werden, dass sie selbst - polizei und justiz - strukturell ähnlich organisiert sind bzw. solche institutionen selbst betreiben; und auch als ausdruck eines impliziten wissens, dass ohne solche institutionen im wahrsten sinne des wortes kein staat zu machen ist."

...lesen sich die folgenden
anmerkungen zur staatlichen (nicht-)reaktion in sachen "odenwaldschule" in hessen:

(...) "Von Anfang an also stand der Verdacht im Raum, dass es an der Schule zu deutlich mehr sexuellen Übergriffen gekommen war. Ein Verdacht, der 1999 durchaus strafrechtliche Konsequenzen hätte haben können. Becker nämlich war bis 1985 im Amt. Hätte man einen Schüler gefunden, der in diesem Jahr als 13-Jähriger von ihm missbraucht wurde, wäre dessen Fall erst im Jahr 2000 verjährt gewesen. Sexueller Missbrauch nämlich verjährt in der Regel erst zehn Jahre, nachdem das Opfer volljährig wurde. Aber nach solchen oder anderen Fällen wurde offenbar nicht gesucht.

Einer der Schüler, die den OSO-Skandal seinerzeit ins Rollen brachten, sagte der FR: "Bei uns hat sich 1999 niemand gemeldet, mit uns hat niemand gesprochen." Warum nicht? "Das ist nach zehn Jahren nicht mehr so einfach zu klären", sagte Klaus Reinhardt, der Sprecher der Staatsanwaltschaft, auf Anfrage. Die Akten seien vernichtet. Wieso die betroffenen Schüler seinerzeit nicht kontaktiert worden seien, sei ihm ein Rätsel: "Die hätten in dieser Situation vernommen werden müssen." (...)

Auch im Hessischen Kultusministerium kam 1999 anscheinend niemand auf die Idee, die beiden anklagenden Schüler persönlich befragen zu lassen. Bestätigen will das im Ministerium niemand, ob oder ob nicht gehe "aus den uns vorliegenden Akten nicht hervor". Die damalige Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hatte die FR in der vorvergangenen Woche wissen lassen, ihre Behörde habe seinerzeit "das Notwendige gemacht". Dem Schulamt habe man umgehend den Auftrag erteilt, die Odenwaldschule zu überprüfen.

Das soll auch geschehen sein, ohne dass weitere Anhaltspunkte gefunden wurden. Kein Wunder: Die wichtigsten Zeugen wurden ja nie gefragt. Unklar ist schließlich auch, was aus zwei Briefen geworden ist, die ein drittes Missbrauchopfer 1999 und 2003 an Ministerin Wolff geschrieben haben will. Sie sind wohl, wie so vieles, verschwunden.

Opferanwalt Kahl zeigte sich am Freitag fassungslos. Nicht nur die Odenwaldschule selbst, auch die Ämter und die Strafverfolgungsbehörden hätten von Anfang an die Aufklärung eines mittlerweile gewaltigen Skandals verhindert. (...)


interessant ist die frage danach, wer dadurch eventuell profitieren könnte, die sich keinesfalls nur im zusammenhang mit dieser schule stellt und auch bei anderen auffälligen staatlichen reaktionen zu stellen war und ist, wie bspw. bei den bis heute abgeblockten ermittlungen in sachen quasimafiöser strukturen (wo es u.a. auch um sexualisierte gewalt gegen kinder geht) in
sachsen. wer waren zb. die erwähnten "gäste" an der odenwaldschule ?

(...) "Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, dass sie als "sexuelle Dienstleister" für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen." (...)

fragen, auf die nicht nur die unmittelbaren opfer antworten erwarten können und sollten.

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