Dienstag, 27. September 2011

assoziation: götz eisenberg - "die `psychopathen´ kommen" [update]

nachdem ich kürzlich schon einmal eine empfehlung für seinen text zu den britischen riots auf den "nachdenkseiten" gegeben hatte, kommt nun eine weitere: klar, dass ich bei diesem titel aufmerksam wurde - auszug:

(...) "Die vom Markt propagierten und für ein erfolgreiches Agieren auf dem ökonomischen Parkett erforderlichen Eigenschaften und Haltungen sind inzwischen bis in die Poren des Alltagslebens vorgedrungen. Eine allumfassende Rücksichtslosigkeit, ein zur Egomanie gesteigerter Individualismus, Zynismus und Gleichgültigkeit prägen den zwischenmenschlichen Umgang. So geht das „Zeitalter des Narzissmus“ bereits mit der nächsten psycho-historischen Entwicklungsstufe schwanger. Das Innenleben des allseits kompatiblen und fungiblen Menschen, den Markt, Wirtschaft und Pädagogik propagieren, weist eine große Ähnlichkeit mit dem eines Menschentypus’ auf, den wir heute noch als „Psychopathen“ stigmatisieren und den Gefängnissen und forensischen Psychiatrien überantworten. Wenn hier vom „Psychopath“ die Rede ist, ist nicht die umgangssprachliche Bedeutung gemeint, die darunter einen „durchgeknallten, unberechenbar-brutalen Typ“ versteht, sondern eine psychiatrische Diagnose, die in jüngerer Zeit von den amerikanisch-kanadischen Psychiatern Cleckley und Hare formuliert wurde. Die Diagnosemanuale beschreiben den „Psychopath“ als zur Einfühlung in andere unfähig, oberflächlich charmant, anpassungsfähig, zynisch-kalt, bindungs- und skrupellos und ausschließlich an privater Nutzenmaximierung interessiert. Das sind genau die Eigenschaften, die die Hasardeure und Gurus der New Economy und der Finanzwelt aufweisen, die uns an den Rand des Abgrunds manövriert haben und weiter manövrieren.

Vor einigen Jahren haben Paul Babiak und Robert Hare unter dem Titel „Menschenschinder oder Manager“ (München 2007) ein Buch herausgebracht, in dem sie die Unternehmen und die Finanzwelt vor dem Vordringen von „Psychopathen“ in Führungspositionen warnten, weil ihre Skrupellosigkeit und grenzenlose Risikofreude ihnen langfristig großen Schaden zufügen würden. Eine Psychologie, die ihre Erkenntnisse ans Business verschachern will, muss die Systemfehler beim einzelnen Mitarbeiter suchen und nicht bei den Strukturvorgaben einer kapitalistischen Wirtschaft. Die akademische Psychologie ist auf dem gesellschaftlichen Auge blind und versucht deshalb, wie Peter Brückner bemerkte, „den Stand der Gestirne bei bereichsweise bedecktem Himmel zu bestimmen“. Sie kann nicht erkennen, dass die beklagten Phänomene eine Begleiterscheinung des neuen kapitalistischen Zeitalters darstellen, das sich im Abschied von der traditionellen „stakeholder value“- zugunsten der „shareholder value“-Orientierung Ende der 90er Jahre ankündigte. Die entfesselt und hemmungslos, also, wenn man so will, „psychopathisch“ gewordene Geldwelt zieht wie ein Magnet „psychopathische“ Menschen an und produziert sie." (...)


tja. ich weiß nicht mehr, wie oft ich mich in den vergangenen sechs jahren hier im blog u.a. genau diesen entwicklungen von verschiedenen seiten gewidmet habe. immerhin - und leider - werden diese trends zunehmend von anderen wahrgenommen. "leider" deshalb, weil ich mich am ende in diesen fragen ganz gerne geirrt hätte, auch wenn mir meine intuition ebenso wie meine objektivistische vernunft meistens deutlich etwas anderes sagt.

ich hatte gerade mal blogintern recherchiert, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich zu den erwähnten (nicht zitierten) entwicklungen innerhalb der diagnostischen modellwelt des manuals dsm, die eisenberg als aufhänger benutzt, nicht schon mal ein paar worte geschrieben habe, konnte aber nichts finden. tatsächlich habe ich schon vor monaten etwas über die geradezu als spektakulär zu bezeichnenden revisionen im "neuen" dsm gelesen und weiß noch, dass mir besonders die geplante streichung der narzisstischen persönlichkeitsstörung ebenso wie einige tiefgehende veränderungen (bzw: war´s nicht auch die völlige abschaffung der diagnose?) im modell der borderline-ps schwer zu denken gaben. in
"wahnsinnige liebe" und die borderline-gesellschaft ist einiges von der veränderten psychiatrischen wahrnehmung besonders bei den beiden genannten störungen zu lesen, und im prinzip wird da bereits in anderen worten das formuliert, was eisenberg oben ausdrückt.

ich möchte seinen text ausführlicher kommentieren, werde da aber frühestens erst zum wochenende zu kommen. mehr dann an dieser stelle. aber schließlich können Sie sich selbst schon mal ein paar gedanken machen.

*

letztere mache ich mir gerade auch über ein video, welches die britische bbc veröffentlicht hat und das sich seit ein paar tagen wachsender und großer öffentlicher aufmerksamkeit erfreut - unter dem titel
goldman sachs regiert die welt hat das blog von cashkurs sowohl das video verlinkt als auch eine deutschsprachige übersetzung der gesamten geschichte. gerüchte, dass es sich bei dem interview um einen fake handelt, womöglich gar von den genialen yes men initiiert, geistern ebenfalls durchs netz - aber bis jetzt konnte ich diesbezgl. keine wirkliche aufklärung finden. bis auf weiteres muss das interview also als authentisch angesehen werden. und solange das so ist, stellt es in gewisser weise eine aktuelle und sehr deutliche untermauerung genau des diagnostischen befundes dar, den eisenberg thematisiert. wobei: selbst als fake würde es der realität immer noch sehr nahe kommen, aber orginale aussagen der involvierten sind doch immer noch am aufschlußreichsten.


*

edit am 01.10.: zwei kleine inhaltliche nachträge zunächst - einmal zu meinen sätzen über die angekündigten revisionen im dsm, wo ich hinterher feststellte, dass mich meine erinnerung doch nicht ganz trog, allerdings in einem zentralen punkt falsch lag. anfang 2010 zitierte ich den folgenden satz:
(...) "In der Psychiatrie sind Diagnosen selten eindeutig. Zwar existiert mit dem ICD 10 ein internationales System der WHO, der Weltgesundheitsorganisation. Aber auch dieser Katalog an Kriterien wird ständig überarbeitet, alte Überzeugungen schwinden. In Zukunft wird es beispielsweise die Diagnose "Borderline-Syndrom" gar nicht mehr geben. Die WHO hat sie als zu ungenau eingestuft." (...). es war die icd, die "international classification of deseases" der who, die formal im gesamten medizinischen bereich leitgebend ist, aber innerhalb der psychiatrie nicht nur eine art doppelexistenz mit dem dsm fristet, sondern sich in vielerlei hinsicht auch an dieses anlehnt.

dann zum zuletzt erwähnten und weltweit wellen schlagenden interview mit rastani: letzterer ist zwar kein yes man, aber durchaus als hobbytrader und - vor allem -
hochstapler anzusehen. allerdings werden seine aussagen dadurch nicht unbedingt weniger treffend.

und zum schluß: ich schlage mich gerade wieder anlässlich des eisenberg-artikels mit dem seit jahren mehrfach verschobenen, überarbeiteten und mehrfach neu begonnenem basis-beitrag "soziopathie" herum - ich verspreche jetzt aber mal nichts. überfällig wär´s allerdings.

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